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1 Einleitung
Seit sich ein breiter wissenschaftlicher Konsens über die Existenz eines globalen Klimawandels gebildet hat, gibt es zahlreichen Handlungsfelder um sowohl den Klimawandel selbst als auch dessen Auswirkungen auf die menschliche Umwelt zu reduzieren. Beide Komponenten, Mitigation und Adaption, haben im Jahr 2015 Ihren Einzug in das Pariser Klimaabkommen gefunden. Bereits im Jahr 2008 wurden Anforderungen der Klimaanpassung im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) formuliert. Wasserwirtschaftliche Problemstellungen, die aus zunehmender Trockenheit, aber auch zunehmenden Starkregen resultieren, spielen hierbei eine große Rolle. Als potenzielle Handlungsfelder für Starkregenvorsorge werden unter anderem das Bauwesen, sowie die Infrastrukturen der Wasserver- und entsorgung aufgeführt (Bundeskabinett 12/17/2008).
Insbesondere für die Siedlungswasserwirtschaft lassen sich dadurch neue Herausforderungen ableiten, die weit über ihre originäre Aufgabe der Abwasserbeseitigung reichen. Weiterhin handelt es sich dabei um Herausforderungen, die nicht mehr im Rahmen einer autarken Planung gelöst werden können, sondern unbedingt ein verzahntes, integrales Planen verschiedener Disziplinen – Wasserwirtschaft, Tiefbau, Hochbau, Stadtentwicklung, Landschaftsplanung – benötigen. Von Seiten der Wasserwirtschaft gibt es dabei zahlreiche Maßnahmen, die sich gewinnbringend für andere Planungsbelange einsetzen lassen, und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag für die Bewältigung von Starkregenereignissen liefern. Der vorliegende Beitrag soll eine Auswahl solcher Maßnahmen erläutern sowie grundlegende planerische Ansätze präsentieren.
2 Notwendigkeit der Starkregenvorsorge
Das Auftreten von Starkregen ist in den mittleren Breiten kein neuzeitliches Phänomen, sondern seit jeher Bestandteil des Wetterzyklus. Die Abgrenzung und Einordnung von Starkniederschlägen variieren jedoch in verschiedenen Quellen. Starkregen liegt gemäß einer Definition des Deutschen Wetterdienstes dann vor, wenn 15 bis 25 mm innerhalb von einer Stunden, bzw. 20 bis 35 mm in 6 Stunden fallen (Deutscher Wetterdienst, 2019). Bezüglich der Wiederkehrhäufigkeit werden durch das DWA-Merkblatt 119 seltene Starkregen mit einer Wiederkehrzeit von 5 bis 30 Jahren und außergewöhnliche Starkregen mit einer Wiederkehrzeit von 30 bis 100 Jahren definiert. In Anlehnung an die statistische Einordnung von Hochwasserabflüssen werden Starkregenereignisse mit Wiederkehrhäufigkeiten > 100 Jahren als extrem bezeichnet (Bernhart; Albrecht, 2016).
In der öffentlichen Wahrnehmung haben Starkregenereignisse zugenommen. Dortmund 2008, Münster 2014, Braunsbach 2016 und Berlin 2017 sind nur eine Auswahl von sommerlichen Starkregenereignissen, die massive Schäden verursachten und z. T. Todesopfer forderten. Doch trotz dieser Ballung von Ereignissen ist aktuell noch nicht statistisch belegbar, dass deutschlandweit bei den extremen Sommerniederschläge ein Anstieg zu verzeichnen ist (Deutscher Wetterdienst, 2016). Aufgrund der klimatischen Wirkungspfade ist jedoch zu vermuten, dass mit dem globalen Klimawandeln auch eine Zunahme von Extremereignissen einhergeht (ebd.). Erwiesen ist hingegen, dass die Sommermonate der maßgebliche Zeitraum für Starkregenereignisse ist (vgl. Bild 1).
Bild 1: Jährliche Verteilung von Starkregen 2001 bis 2017 (GDV 2017)
Unabhängig davon, ob es in den letzten Jahren und Dekaden eine Zunahme von Starkregenereignissen gab, lässt sich konstatieren, dass die Schäden dieser Ereignisse zunehmen. In dem von Starkregen geprägten Jahr 2016 summierten sich die Schäden aus lokalen Überschwemmungen auf 800 Millionen Euro – gegenüber dem Vorjahr 2015 eine Verachtfachung (GDV, 2017).
Als Ursache lassen sich zwei Faktoren ins Feld führen: insbesondere in Städten ist eine anhaltende Versiegelung zu beobachten. Deutschlandweit gibt es einen starken Trend zur Landflucht. Gleichzeitig gilt das Paradigma der Innenverdichtung. In der Folge ergeben sich in den Innenstädten hohe Versiegelungsgrade. Unabhängig von der Entwicklung der Niederschläge steigen die Abflüsse in den Städten. Gleichzeitig geht mit der Verdichtung der Städte eine Zunahme von Gütern und Werten einher – das Risiko durch Starkregen steigt also unabhängig von der klimatischen Entwicklung. Maßnahmen zur besseren Bewältigung von Starkregenereignissen müssen Lösungen für diese Randbedingungen bieten.
3 Regelung durch Gesetze und Normen
Starkregenereignisse haben ein hohes Potenzial die Geländeoberfläche zu überschwemmen. Durch die Definition des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) ist eine solche Bedeckung „von normalerweise nicht mit Wasser bedecktem Land“ (§ 72 WHG) als Hochwasser definiert (Bundesrat 7/31/2009). Ausnahmetatbestand ist jedoch, wenn eine solche Überschwemmung aus Abwasseranlagen entspringt. Letztere Einschränkung findet überall dort Anwendung, wo bebaute Fläche durch entsprechende Entwässerungsanlagen erschlossen ist. Insofern fällt gerade in urbanen Gebieten Überflutungen durch Starkregen in den Regelungsbereich von Abwasser (§ 54 Abs. 2 WHG). Abweichend davon wäre jedoch wild abfließendes Wasser, welches zum Beispiel außerhalb des geschlossenen Siedlungsbestands eine Straße überflutet rechtlich als Hochwasser zu werten.
Aufgrund des erhöhten Risikos liegt der Fokus dieses Beitrags jedoch auf urbanen Räumen. Hier ergeben sich Vorgaben für die Bewältigung von Starkregen vor allem aus den technischen Normen, die in Deutschland jedoch hohen, fast legislativen Charakter genießen.
Der Geltungsbereich der Normung wird durch die räumliche Gliederung innerhalb und außerhalb von Gebäuden und Grundstücken definiert.
Auf der Ebene von Gebäuden und Grundstücken regelt die DIN 1986-100 Belange der Entwässerung und gibt bezüglich des Umgangs mit Starkregen klare Vorgaben. So ist für Gebäude bzw. Grundstücken ab einer versiegelten Fläche von 800 m² ein Überflutungsnachweis zu führen (DIN 1986-100). Inhalt eines solchen Nachweises ist der schadlose Verbleib des anfallenden Überflutungsvolumens für seltene bis außergewöhnliche Regenereignisse. Grundgedanke der Norm ist somit nicht die Vergrößerung der Ableitungskapazitäten, sondern der Fokus auf den Rückhalt von Regenwasser. Je nach kommunaler Baugenehmigungspraxis wird im Zusammenhang mit der DIN 1986-100 der vollständige Rückhalt von Oberflächenabfluss bei Starkregen gefordert.
Der Fokus auf Rückhaltung ist für kommunale Entwässerungsnetz von großer Bedeutung, da deren Bemessungsregenhäufigkeit bei einmal in 2 bis 5 Jahren liegt (DIN EN 752).
Die DIN EN 752 regelt jedoch auch die Überflutungshäufigkeit, die für Wohngebiete mit einmal in 20 Jahren und für Stadtzentren oder Industrie- und Gewerbegebiete mit einmal in 30 Jahren vorgegeben wird. Sensible Punkte wie Unterführungen dürfen sogar nur einmal in 50 Jahren gemäß Planung aus dem Entwässerungssystem heraus überflutet werden.
Für einen Großteil urbaner Flächen, und hierzu zählen insbesondere die Verkehrsflächen, erstreckt sich der Regelungsrahmen durch die technische Normung bis zu seltenen Starkregenereignissen.
Im Bereich der außergewöhnlichen Starkregen findet vor allem das Starkregenrisikomanagement Anwendung. Hier steht die Vermeidung von Schäden im Vordergrund. Verschiedene Bundesländer haben hierzu landesspezifische Regelungen bzw. Anleitungen verfasst (vgl. Konzept Starkregen, 2016 NRW oder Kommunales Starkregenrisikomanagement in Baden-Württemberg, 2016). Nationalen Geltungsbereich hat das DWA-Merkblatt 119, welches im Rahmen der FGSV-Tagung durch einen eigenen Beitrag gewürdigt wird.
4 Dezentrale Maßnahmen als Grundsatz der Starkregenbewältigung
Für die Planung von Maßnahmen zur Bewältigung von Starkregen gibt es in der Regel zwei grundsätzliche Zielstellungen: Abflussvermeidung oder Abflusslenkung.
Beide Zielstellungen bedingen sich insofern, als dass das Maß an Abflusslenkung abhängig ist von den zu lenkenden Wassermengen. Im Rückschluss folgt aus einem limitierten Potenzial für Wasserlenkung (Stichwort Notwasserwege) der unbedingte Zwang die Abflussbildung zu reduzieren.
Im Sinne des Verursacherprinzips gehört zuerst den Maßnahmen der Abflussvermeidung die Aufmerksamkeit, bevor man sich mit Maßnahmen der Abflusslenkung beschäftigt. Abflussvermeidung im originären Sinne, also der Rückhalt von Regenwasser an dem Ort wo es anfällt, wird durch Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung gewährleistet. Einen entsprechenden Grundsatz hat der Gesetzgeber durch den § 55 Abs. 2 WHG formuliert:
„Niederschlagswasser soll ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden […]“. Das Portfolio der dRWB erstreckt sich von den Maßnahmen auf Gebäudeebene (z. B. Gründächer, Zisternen), über Maßnahmen auf Grundstücksebene (z. B. Versickerung, Entsiegelung, Zisternen) bis hin zu den Maßnahmen im öffentlichen Raum (z.B. Versickerung, gedrosselte Ableitung). Verschiedene frei verfügbare und umfassende Darstellungen von Maßnahmen und ihren Anwendungsfelder komplettieren die zuvor genannte Maßnahmenauswahl (vgl. (KURAS 2016; Nowak et al. 2018).
Da jeder Quadratmeter abflusswirksamer Fläche, der an eine Kanalisation angeschlossen wird, zu einer reduzierten Retentionskapazität des Netzes im Moment des Starkregens führt, ist der dezentralen Bewirtschaftung von Regenwasser beim Neubau aber auch im Bestand eine große Bedeutung beizuwohnen. Maßnahmen der dRWB haben darüber hinaus einen hohen Stellenwert für die Starkregenbewältigung, da sie äußerst robust gegenüber Betriebsversagen sein können. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Wasserführung oberflächig durch eine angepasste Gefällemodellierung erfolgt. Während Abläufe oder Rohre Betriebspunkte mit einem Versagenspotenzial sind, gibt es beispielsweise bei einer flächigen Beschickung von Versickerungsmulden, oder der Führung in einer oberirdischen Muldenrinne keine relevanten Betriebspunkte, von denen ein Versagenspotenzial hervorgeht. Neben der Robustheit von dRWB-Maßnahmen liegt ein weiterer Vorteil für die Starkregenvorsorge in ihrer Flexibilität. So können bei sich ändernden Randbedingungen einer Anlage – z. B. durch Bautätigkeit, oder aufgrund klimatischer Schwankungen – deren Dimension ohne übermäßigen Aufwand angepasst werden. Demgegenüber steht die starre Bemessung von baulichen Anlagen der zentralen Ableitung (Stauräume, Rückhaltebecken), die auf Lebenslaufzeiten von 50 Jahre ausgelegt werden und aufgrund ihrer überwiegend unterirdischen Bauweise nur mit erheblichem Mehraufwand angepasst werden können. Diese Flexibilität wird auch in der strategischen Ausrichtung der Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) gewürdigt. Dort wird vor allem die unzureichende Vorhersehbarkeit von Ort und Zeit potenzieller Starkregenereignisse thematisiert. Für den Umgang mit solchen planerischen Unsicherheiten wird die bevorzugte Planung von flexiblen und nachsteuerbaren Maßnahmen erwogen. Als solche werden unter anderem die stärkere Umsetzung von Regenwasserversickerung angeführt (DAS 2008; S.14). Der in der DAS formulierte Begriff der „Regenwasserversickerung“ sollte unbedingt auf den Begriff der „Regenwasserbewirtschaftung“ erweitert werden, weil bei grundsätzlich allen ihren Maßnahmen das Potenzial besteht, mit Hilfe leichter Modifikationen größere Retentionsvolumina herzustellen: Gründächer können mit oberirdischem oder unterirdischem Speicherraum versehen werden (Appl et al., 2009). Zisternen können intelligent gesteuert werden, um im Fall von Starkregen das vollständige Speichervolumen aktiviert zu haben (Post, 2017). Bei Versickerungsmulden, z. B. im Straßenland, hilft die Verbreiterung oder Erhöhung des Freibords häufig bereits schon aus, im Starkregenfall eine schadlose Abführung zu gewährleisten.
Dies sind nur einige Beispiele, welche die Bedeutung von Maßnahmen der dRWB für die Bewältigung von Starkregen verdeutlichen. Vor dem Hintergrund, dass eine starkregensensible Stadtentwicklung mehr als nur volumenbezogene Parameter berücksichtigen muss, soll im folgenden Teil Beispiele für neue Planungsansätze und Maßnahmen aus dem Bereich der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung vorgestellt werden. Der Schwerpunt soll hierbei auf Maßnahmen im Straßenraum liegen.
5 Planung von Maßnahmen
5.1 Dimensionierung von kombinierten Systemen
Starkregenvorsorge bzw. -anpassung ist nur eine Säule der Anstrengungen zur Klimaanpassung. Eine zweite wichtige Säule ist die Bekämpfung von Trockenheit und Hitzestress. Insbesondere für urbane Räume wird mit einer Zunahme solcher sogenannten Hitzeinseln gerechnet. Ursprung und Auftreten dieser Hitzeinseln sind dabei häufig im Straßenraum räumlich überlagert. Grund dafür sind fehlende Verschattung, aufheizbare Oberflächen, ein Mangel an Kaltluftaustausch und Verdunstung (Faltermeier et al., 2016). Insofern verknüpft das Medium (Regen-) Wasser die Belange von Hitzeanpassung und Starkregenanpassung. Eine nachhaltige Planung sollte daher integrale Maßnahmen vorsehen. Ein aktueller Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkt liegt auf Versickerungsanalgen mit hochwachsender Vegetation. Das Konzept dieser kombinierten Systeme hat folgende Zielgrößen (Pallasch et al., 2017):
– Wasserrückhalt in der Fläche,
– Verbesserung des Wasserangebots für Bäume,
– Aufheben der Flächenkonkurrenz von blauer und grüner Infrastruktur.
Der Technisierungsgrad von bepflanzten Versickerungssystemen kann je nach örtlichen Randbedingungen und Anforderungen variieren und reicht von bepflanzten Mulden über Muldentiefbeete bis hin zu Baum-Rigolen (vgl. Bild 2).
Bild 2: Bauliche Varianten von bepflanzten Versickerungsanlagen (Pallasch et al., 2017)
Aus dem Nebeneinander mehrerer Zielgrößen leitet sich ein Nebeneinander verschiedener Bemessungsansätze ab: gängige hydraulische Lastnachweise für das Entwässerungselement müssen ebenso erbracht und vegetationstechnische Vorgaben an das Baumpflanzquartier erfüllt werden. Zwei Standards bedürfen der besonderen Berücksichtigung im Auslegungsprozess. Die DWA A-138 formuliert Vorgaben an die Dimensionierung von Versickerungssystemen. Von Seiten der Vegetationstechnik formuliert vor allem die „FLL-Empfehlungen für Baumpflanzungen“ (Teile 1 und 2) Ansprüche an Vegetationsstandorte. Die aus diesen Regelwerken hervorgehenden Randbedingungen sollen in Kürze dargestellt werden.
Die DWA A-138 genießt als zentrale Norm für Versickerungsanlagen in Deutschland ein hohes Ansehen und wird bundesweit als Grundlage für Anlagen nach dem allgemein anerkannten Regeln der Technik gesehen. Erst wenn Anlagen den in der DWA A-138 formulierten Lastfällen für die Mulden und Rigolen genügen, ist der sog. „Entwässerungskomfort“ gewährleistet. Im Sinne der urbanen Hydrologie ist dies notwendig, da nur so die Abkopplung einer Fläche vom zentralen Kanalnetz bewerkstelligt werden kann. Die Umsetzung solcher Versickerungsanlagen im Bestand aktiviert, sofern zuvor ein Netzanschluss vorlag, zusätzliches Volumen im Kanalnetz und reduziert Überstauvolumen. Doch Versickerungsanlagen sind gemäß DWA A-138 nur für Wiederkehrhäufigkeiten von 1- bis maximal 5-jährlich ausgelegt. Für die Belange des Überflutungsschutzes müssen diese Ansprüche erweitert werden. Dies kann entweder durch eine unmittelbare Vergrößerung der Versickerungsanlagen erfolgen, oder durch eine Anpassung der unmittelbaren Umgebung der Versickerungsanlagen. Letzteres könnte beispielsweise durch die Einbettung von Versickerungsanlagen in einen Grünstreifen, der im Starkregenfall überflutet wird, vollzogen werden. Alternativ bietet sich auch die gezielte Ableitung von überlaufendem Regenwasser hin zu begrünten Geländesenken an. Die Möglichkeit solcher Lösungen hängt maßgeblich vom örtlichen Relief und Grünflächenangebot ab.
Werden oberflächige Mulden für einen Starkregenlastfall unmittelbar vergrößert, sollte auch hier in die Fläche gedacht werden und nicht in die Tiefe. Zum Schutz vor Kolmation der Muldensohle soll beispielweise die Einstaudauer für ein Regenereignis der Häufigkeit n = 1/a nicht länger als 24 Stunden dauern (DWA-Arbeitsblatt 138). Dieser Anspruch lässt sich nicht auf seltene bis außergewöhnliche Regenereignisse ohne weiteres übertragen, sollte aber den Planer dafür sensibilisieren, eine übermäßige hydraulische Belastung zu vermeiden.
Kombiniert man Versickerungssysteme zusätzlich mit hochwachsender Vegetation hat dies einen direkten Einfluss auf hydraulische Parameter und die Anlagenauslegung. Ein Aspekt ist der langfristige Verlust von Porenvolumen durch Durchwurzelung, den man bereits bei der Dimensionierung mitberücksichtigen muss. Hinsichtlich der oberirdischen Gestaltung sind Höhe und Dauer des Wassereinstaus mit Blick auf die geplanten Baumarten zu beachten. Wenige Arten wie quercus palustris, alnus spaetii oder ulmus resista sind durchaus tolerant gegenüber kurzzeitiger Überflutung. Viele etablierte Straßenbaumarten hingegen sind sensible gegenüber Überflutungen und kommen für die Anwendung in baumbestandenen Mulden oder Baum-Rigolen nicht in Frage. Die Frage der „richtigen“ bzw. „akzeptablen“ Bodenfeuchte ist eine generell komplexe planerische Aufgabe. Die Beantwortung kann nur fallbezogen durch eine entsprechende Modellierung der Bodenfeuchte und Integration von Baumexperten in den Planungsprozess beantwortet werden. Insofern ergibt sich der Anspruch an kombinierte Systeme, die wasserwirtschaftliche Dimensionierung über das Nachweisprinzip (Langzeitsimulation) in Verbindung mit einem Bodenhaushaltsmodell zu erbringen (z. B. STORM.XXL).
Neben der Frage der Einstauhöhe und der Bodenfeuchte spielen insbesondere die Belüftung und das vorhandene Bodenvolumen eine entscheidende Rolle bei der vegetationstechnischen Auslegung kombinierter Systeme. Als maßgebendes Regelwerk sind hier die FLL-Empfehlungen für Baumpflanzungen zu sehen (FLL, 2010). Für die Auslegung von Mulden und Rigolen sind seitens dieser Norm entscheidend, dass pro Baum mit mindestens 12 m³ Wurzelraum, bei einer durchschnittlichen Wurzeltiefe von 1,5 m vorgehalten werden müssen. Dieses Volumen wird in der Regel mit sogenannten Baumsubstraten aufgefüllt. Es ist fallbezogen zu klären, inwieweit dieser Wurzelraum auch als hydraulischer Speicher mit aktiviert wird.
5.2 Praxiserfahrungen bei der Umsetzung
Die skizzierten Ansprüche für baumbestandene Versickerungsanlagen führen in Summe dazu, dass entsprechende Anlagen etwas größer ausfallen als konventionelle Versickerungsanlagen. Dies wirkt sich günstig für das Anlagenverhalten im Starkregenfall aus. Bei dem Prototyp einer Baum-Rigole, der auf der Internationalen Gartenausstellung Berlin 2017 umgesetzt wurde (Pallasch; Post, 2017) konnte eine gute Leistungsfähigkeit während eines Starkregenereignisses im Sommer 2017 festgestellt werden. Die Anlage nahm sowohl das Wasser von einer 600 m² Platzfläche, sowie die den Notablauf einer angrenzenden Seilbahnstation auf. An vergleichbaren Flächen in der direkten Umgebung, die über konventionelle Baumscheiben oder punktuelle Hofabläufe entwässerten, ergaben sich temporäre Überflutungen. Ursächlich für die Leistungsfähigkeit war das gute Aufnahmevermögen des FLL-Substrats in Verbindung mit speziell angelegten Kiesschichten zur Wasserverteilung innerhalb der Baum-Rigole. Der flächige und materielle Mehraufwand für die Baum-Rigole hat sich hinsichtlich des Anlagenverhaltens bei Starkregen gerechnet!
Trotz dieser guten Erfahrungen ist die Umsetzung solcher kombinierten Systeme – insbesondere dann, wenn sie baumbestanden sein sollen – schwierig. Vorbehalte bei der Genehmigung sind häufig die Vitalität der Bäume und die damit verbundene Frage der Verkehrssicherheit. Andere bekannte Vorbehalte beziehen sich auf das stoffliche Reinigungspotenzial baumbestandener Versickerungssysteme. Neben genehmigungsrechtlichen Fragestellungen ist aber insbesondere die Klärung von Zuständigkeiten ein Hemmnis für die Umsetzung von Baum-Rigolen. Dies bezieht sich auf die Felder von Finanzierung, Bau, Betrieb und Haftung. Die gängigen kommunalen Akteure, die diese Zuständigkeiten klären müssen, sind Tiefbau, Wasserwirtschaft und Grünflächenamt.
Ein weiteres sehr praktisches Hemmnis, welches sich insbesondere für Anlagen im Bestand ergibt, ist die weitreichende Belegung des Untergrunds mit Medien. Sowohl für den nachträglichen Bau von Versickerungs- und Rückhaltemulden im Straßenbereich als auch insbesondere für den Bau baumbestandener Versickerungsmaßnahmen ist häufig ein nur unzureichender (unterirdischer) Korridor vorhanden. Neben einem lokal differierendem „Leitungswildwuchs“ ist dies aber auch ein strukturelles Problem. So sind z. B. in der regelgebenden DIN 1998 („Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Verkehrsflächen – Richtlinie für Planung“) keine Trassen im straßenbegleitenden Randbereich vorgesehen, die zwecks Versickerung oder Notwasserwege von Leitungen freigehalten werden. Das Beispiel zeigt, dass die wasserwirtschaftlichen Belange verstärkt auch in der Normung anderer Fachplanungen berücksichtig werden müssen, wenn man wassersensible und damit starkregensichere Infrastruktur planen will.
Dem Problem unzureichender Straßenraumbreite kann bei Neuanlage von Straßen entgegengetreten werden, wenn die Belange der Regenwasserbewirtschaftung und Starkregenvorsorge von Beginn der Planung an berücksichtigt werden. Die Erfahrungen über den Flächenbedarf für blau-grüne Infrastruktur muss genutzt werden, um die Straßenraumbreite z. B. bei den planerischen Festlegungen innerhalb von Bebauungsplänen zu verankern. Für das Land Berlin wurden vor diesem Hintergrund repräsentative Straßenquerschnitte entwickelt, welche die „wassersensible“ Straßenraumbreite in Abhängigkeit von Versickerungsfähigkeit und Straßenwidmung darstellt (vgl. Bild 3).
Bild 3: Planungshilfe für dezentrale Straßenentwässerung (Sieker und Neidhard, 2018)
Mit Hilfe solcher Planungshilfen muss die Sensibilisierung geschaffen werden, dass Regenwasserbewirtschaftung und Starkregenvorsorge keine nachgelagerte Fachplanung sind, sondern als integraler Bestandteil der Stadtplanung zu berücksichtigen ist.
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