FGSV-Nr. FGSV 001/21
Ort Karlsruhe
Datum 11.10.2006
Titel Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Jahr 2025
Autoren Dr. Walter Hell
Kategorien Kongress
Einleitung

Mit der Szenariostudie „Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Jahr 2025“ hat das Institut für Mobilitätsforschung (ifmo) in Kooperation mit der Deutschen Lufthansa, der Deutschen Bahn und MAN erneut einen Blick in eine mögliche Zukunft der Mobilität geworfen. Mit Hilfe eines interdisziplinären Netzwerkes von Experten aus Wissenschaft und Praxis wurden mit Hilfe der Szenariotechnik konsistente, in sich schlüssige Zukunftsbilder entwickelt. Im Ergebnis liegen erstmalig Gesamtverkehrsszenarien vor, die nicht nur übergreifend die Verkehrsträger Straße, Schiene, Luft und Wasser analysieren, sondern sowohl Personen- als auch Güterverkehr in die Betrachtung einbeziehen. Das Hauptszenario „Mobilität braucht Aktion“ zeichnet ein Zukunftsbild für das Jahr 2025, das auf grundsätzlichen und konsequent umgesetzten Entscheidungen vor allem in Politik und Wirtschaft beruht. Im Ergebnis ist die Qualität unserer Mobilität ganz ähnlich wie heute. Bei einem für dieses Szenario unterstelltem Wachstum der Güterverkehrsleistung von 80 % ist dies jedoch eine beachtliche Leistung. Die Studie zeigt Herausforderungen und Lösungsalternativen für eine funktionierende Mobilität in etwa 20 Jahren auf. Sie soll dazu beitragen, langfristige Entwicklungen der Mobilität im Spannungsfeld ihrer Einflussumfelder gesamthaft darzustellen, um sich fundiert und umfassend damit auseinandersetzen zu können.

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0 Vorbemerkung

Im Jahr 2004 haben sich etwa 80 Experten unter Leitung des Instituts für Mobilitätsforschung (ifmo) in einem systematischen Szenarioprozess Gedanken darüber gemacht, wie die Zukunft der Mobilität in ca. 20 Jahren aussehen könnte. Auch wenn dieses Vorhaben von der BMW Group, der Deutschen Bahn, der Deutschen Lufthansa und von MAN getragen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, sind in dieses Projekt keine Wunschvorstellungen der beteiligten Unternehmen über die Zukunft eingeflossen. Das Ziel war vielmehr, ein möglichst realistisches Bild von der Mobilität in der Zukunft zu erarbeiten.

Der Anspruch des Projektes war es, die Verkehrswelt gesamthaft darzustellen, weil in der Politik und in der Öffentlichkeit Themen wie Straßenverkehr, Schienenverkehr, Demographie oder Infrastruktur häufig zu isoliert voneinander diskutiert werden. Das aber wird einem komplexen Thema, wie dem des Verkehrs, nicht gerecht.

Die Szenariostudie beinhaltet zwei Szenarien und zwei Trendbruchereignisse. Im Folgenden werden einige Eckpunkte des Hauptszenarios „Mobilität braucht Aktion“ beschrieben. Eine ausführliche Beschreibung der Szenarien findet sich in der Publikation „Zukunft der Mobilität Szenarien für das Jahr 2025“ (kostenlos zu beziehen unter institut@ifmo.de).

In diesem Beitrag wird ein Überblick über Entwicklungen gegeben, wie sie die beteiligten Experten für den Personenverkehr und den Güterverkehr bis 2025 erwarten. Vor dem Hintergrund der Schwerpunktsetzung beim Deutschen Straßen- und Verkehrskongress steht der Verkehrsträger Straße im Mittelpunkt. Am Ende werden einige Empfehlungen gegeben, was passieren muss, um die Qualität der Mobilität in Deutschland auch in 20 Jahren noch auf einem angemessenen Niveau sicherzustellen.

Die Ergebnisse der Szenariostudie sollen vor allem zum Nachdenken und zur Diskussion motivieren: Was wäre, wenn es so kommen würde, wie in diesem Szenario beschrieben bzw. was müssten wir heute und auf dem Weg ins Jahr 2025 tun, um die auf uns zukommenden Probleme in der Zukunft möglichst zu minimieren oder gar abzuwenden.

 

1  Die Entwicklung des Verkehrs bis 2025

1.1      Die Entwicklung der Verkehrsleistung im Personen- und im Güterverkehr

Im Rahmen des angesprochenen Szenarioprojektes ergibt sich zusammenfassend auf Basis von Experteneinschätzungen, dass das durchschnittliche Wachstum der Personenverkehrsleistung in den kommenden 20 Jahren mit ca. 0,4% jährlich deutlich geringer ausfällt als in der Vergangenheit.

Die große Herausforderung in der Zukunft aber liegt in der Entwicklung des Güterverkehrs. Hier liegen die Erwartungen, über alle Verkehrsträger, bei einer Steigerung von ca. 80 % bis 2025, was einer jährlichen Wachstumsrate von 2,7 % entspricht.

Für die wirtschaftliche Entwicklung, die für eine Zukunftsbetrachtung mobilitätsrelevanter Entwicklungen von erheblicher Bedeutung ist, wurde im Rahmen der Szenariostudie von jährlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 1,8 % bis 2025 ausgegangen.

Betrachtet man diese drei Entwicklungen – Personenverkehrsleistung, Güterverkehrsleistung, Bruttoinlandsprodukt – zunächst einmal gesamthaft, dann bedeutet das nichts anderes als dass der jahrzehntelange enge Zusammenhang zwischen der Wirtschaftleistung und der Verkehrsleistung schwächer geworden ist. Allerdings kann von der gewünschten Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum keine Rede sein, denn der Güterverkehr wächst in diesem Szenario stärker als das Bruttoinlandsprodukt.

Das heißt, das viel beschworene Ziel, Wirtschaftswachstum in nennenswertem Umfang zu generieren, ohne zusätzliche bzw. mit signifikant weniger Verkehrsnachfrage als bisher zu erzeugen, scheint auch in 20 Jahren nicht möglich zu sein. Da Personenverkehr und Güterverkehr meist auf derselben Infrastruktur stattfindet, sollte man beide Entwicklungen nie getrennt voneinander diskutieren.

1.2      Gründe für das abgeschwächte Wachstum im Personenverkehr

Für die erwartete Abschwächung des Wachstums im Personenverkehr während der kommenden 20 Jahre konnten im Rahmen der Szenariostudie vor allem vier Kriterien identifiziert werden:

  • die demographische Entwicklung
  • die regionale Bevölkerungsverteilung
  • Veränderungen in Gesellschaft und Arbeit
  • die Einkommensentwicklung

Die demographische Entwicklung

Rückblickend aus der Sicht des Jahres 2025 stagnierte die Bevölkerung in Deutschland zwischen 2005 und 2025 bei ca. 82 Millionen Einwohnern – und dies nur aufgrund eines (Netto-) Saldos von durchschnittlich 200.000 Zuwanderern jährlich. Ohne diese Zuwanderung wäre die deutsche Bevölkerung zahlenmäßig sogar geschrumpft. Die Altersstruktur der Bevölkerung hat sich im Jahr 2025 gegenüber 2005 dennoch deutlich verschoben. So ist der Anteil der über 60-jährigen von 24,6 % in 2003 auf 32,3 % in 2025 gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der unter 20-jährigen von 20,5 % auf 17,3 % gefallen. Ursache hierfür ist vor allem der Umstand, dass die Geburtenrate weiterhin bei 1,4 und darunter liegt.

In der Folge blieb auch die Verkehrsnachfrage zunächst einmal konstant, weil die Anzahl der Verkehrsteilnehmer nahezu unverändert ist – allerdings bei höherem Durchschnittsalter. Auswirkungen auf die Mobilität durch die Verschiebung der Altersstruktur sind z. B. abnehmende Schüler- und Ausbildungsverkehre, die in der Vergangenheit einen wesentlichen Anteil an den Fahrgastzahlen beim ÖPNV bildeten. Dadurch gerät vor allem in bevölkerungsärmeren Regionen der öffentliche Verkehr erheblich unter wirtschaftlichen Druck. Teilweise kommt es zu Einstellungen nicht rentabler Angebote und als Ersatz zu neuen Angebotsformen (z. B. Rufbus) oder es etablieren sich automobilorientierte Selbsthilfestrukturen (z. B. Mitfahrgelegenheiten zwischen Nachbarn).

Gleichzeitig hat sich bis 2025 die demographische Zusammensetzung der Autofahrer deutlich geändert, denn der Anteil der älteren weiblichen Autofahrerinnen nimmt zu. So hatten im Jahr 2003 nur ca. 48 % der Frauen zwischen 61 und 80 Jahren in Deutschland einen Führerschein, aber etwa 86 % der Männer in dieser Altersgruppe. In den Jahren bis 2025 haben sich die Anteile von Männern und Frauen an den Führerscheinbesitzern weitgehend angeglichen.

Ebenso hat sich ein Anstieg der Reiseverkehre vor allem von wirtschaftlich gut gestellten „jungen Alten“, die ja prozentual bis 2025 zugenommen haben, eingestellt. Aber auch der regelmäßige, grenzüberschreitende Reiseverkehr von Zuwanderern in ihre Heimatländer hat zugenommen.

Die regionale Bevölkerungsverteilung

Große Herausforderungen sind mit der erwarteten Migration innerhalb von Deutschland verbunden. Nach einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung ist in den kommenden 15 Jahren mit einer erheblichen Abwanderung aus wirtschaftlich schwachen Regionen zu rechnen. Dabei handelt es sich vor allem um weite Teile der neuen Bundesländer, aber auch um das Saarland, das Ruhrgebiet und Teile von Nordbayern.

Im Gegenzug kommt es gleichzeitig zu Zuwanderungen in das Umland von wirtschaftlich wachsenden Ballungsräumen wie z. B. München und Berlin. Als Folge konzentrieren sich Verkehre in 2025 auf Magistralen zwischen diesen Ballungsräumen und innerhalb dieser Ballungsräume. Vor diesem Hintergrund steigt dort die Nachfrage nach dem Öffentlichen Personennahverkehr und damit die Verkehrsleistung in diesem Segment.

In den Abwanderungsregionen kommt es dagegen zu einem Rückgang der Verkehrsleistung. Ähnlich wie die schon oben angesprochenen rückläufigen Schülerzahlen, führt auch diese Entwicklung aufgrund rückläufiger Nachfrage in diesen Regionen vermehrt zur Einstellung von schienengebundenem Nahverkehr. Teilweise verstärken sich die Folgen aus der demographischen Entwicklung und der Migration gegenseitig. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Wochenendpendler zu, da immer mehr Menschen aufgrund unterschiedlicher Lebenshaltungskostenniveaus in unterschiedlichen Regionen wohnen und arbeiten.

Veränderungen in Gesellschaft und Arbeit

Weitere Einflüsse auf die Mobilität in der Zukunft kommen bis 2025 aus dem Bereich Gesellschaft und Arbeit. Es werden zusätzliche Anforderungen an die Flexibilität des Einzelnen gestellt. Die Experten rechnen mit noch häufigeren Wechseln von Arbeitgebern, mit einer größeren Verbreitung von Mehrfacharbeitsverhältnissen und auch mit noch flexibleren arbeitsvertraglichen Regelungen als heute, z. B. bei der Arbeitszeit.

Die sozialen Netze wurden bis 2025 weiträumiger. Freunde und Bekannte wohnen häufig nicht mehr in derselben Stadt, sondern verteilen sich über das ganze Land oder sogar international. Man erlebt immer mehr Wochenendbeziehungen, hochmobile Singles, sowohl junge als auch Senioren. Besuche, Treffen und sonstige auf soziale Interaktion zielende Aktivitäten sind dadurch immer häufiger mit weiteren Reisen verbunden.

Die Erwerbstätigenquote von Männern und Frauen hat sich bis 2025 annähernd angeglichen. Dadurch ist der Tagesablauf des Einzelnen und innerhalb von Familien komplizierter geworden. Die Koordination von Arbeiten, Einkaufen, Bringen und Abholen von Kindern zu und von Kindergarten oder Schule sowie sonstiger privater Aktivitäten (z. B. Besuch von Fitnessstudios, Vereinstätigkeiten) erfordern überwiegend eine sehr flexible Mobilität und das heißt meist motorisierter Individualverkehr.

Alle bisherigen Aussagen deuten eher darauf hin, dass die Anforderungen an die Mobilität zunehmen und das würde der oben gemachten Aussage, die Personenverkehrsleistung wächst nur schwach, eigentlich widersprechen. Aber es gibt auch eine entscheidende Komponente, die die Verkehrsnachfrage bis 2025 dämpft: das verfügbare Einkommen.

Die Einkommensentwicklung

Nach Einschätzung der Experten sind bis 2025 steigende Sozialabgaben und ein zunehmender Zwang zur privaten Altersvorsorge zu erwarten, da die öffentlichen Haushalte die in den kommenden Jahren auftretenden Belastungen, insbesondere aus der demographischen Entwicklung nicht mehr abdecken können. In diesem Zusammenhang wird auch damit gerechnet, dass vor 2025 eine Straßenbenutzungsgebühr für Pkw eingeführt wird.

Darüber hinaus wird Mobilität im Jahr 2025 insgesamt teurer sein als heute. Aufgrund der großen Nachfrage nach Energie in Ländern wie Indien und China einerseits und der Erwartung, dass bis 2025 der Förderhöhepunkt beim Erdöl überschritten sein wird, geht man von einer Erhöhung der Treibstoffpreise auch an den Tankstellen aus.

Bei der unterstellten wirtschaftlichen Entwicklung werden andererseits die Einkommen der Privathaushalte in den kommenden Jahren nur verhalten steigen. Unter dem Strich bedeutet das, dass es immer mehr Menschen geben wird, die ihre Mobilität unter Kostengesichtspunkten optimieren bzw. teilweise auch einschränken müssen. Es ist zwar zu erwarten, dass es zu Umschichtungen innerhalb der Haushaltsbudgets kommt und die Ausgaben für Kommunikation und Mobilität steigen. Allerdings wird dies zu Lasten der Ausgaben für klassische Konsumgüter erfolgen, was Nachteile für die Entwicklung der Binnenkonjunktur haben wird.

Da also Mobilität in 2025 teurer geworden ist und andererseits vielfach – wie oben bereits beschrieben – ein Zwang zur Mobilität besteht, wird damit gerechnet, dass viele Menschen in 2025 anders mit ihrer Mobilität umgehen als noch vor 20 Jahren: das Auto wird weniger aus Routine gewählt, sondern man entscheidet fallweise, welches das geeignetste und preisgünstigste Verkehrsmittel für den jeweiligen Fahrtweck ist. Zudem sind Informationen über Mobilitätsangebote immer und überall vorhanden, so dass die Entscheidung über die geeignete Wahl des Verkehrsmittels sehr viel leichter als heute erfolgen kann. Attraktivere und besser verfügbare Angebote im Zusammenhang mit car-sharing oder Mietwagen führen auch dazu, dass es häufiger dazu kommt, dass man sich ein Auto anlassbezogen mietet anstatt es zu kaufen. Unter diesen angenommenen Rahmenbedingungen kommt es im Ergebnis zu dem erwähnten nur ca. 10%igen Wachstum beim Personenverkehr. An der Dominanz des MIV bzw. des Autos im Rahmen des Modalsplits beim Personenverkehr ändert das aber alles nichts.

1.3      Gründe für das starke Wachstum im Güterverkehr

Die beschriebene Entwicklung der Haushaltseinkommen in Kombination mit Verschiebungen der Haushaltsausgaben, vor allem in Richtung private Altersvorsorge, stehen zunächst einmal in einem Widerspruch zum starken Wachstum der Güterverkehrsleistung. So fallen die Stagnation der Haushaltseinkommen und die Veränderung der Ausgabenstruktur doch hauptsächlich zu Lasten der klassischen Konsumgüter aus, die schließlich das Güteraufkommen in hohem Maße generieren.

Will man die Ursachen für das starke Güterverkehrswachstum im Szenario „Mobilität braucht Aktion“ ausfindig machen, so muss man das geografische Umfeld zunächst deutlich erweitern und jenseits der Grenzen Deutschlands suchen. Denn die Treiber für dieses Wachstum sind vor allem folgende Entwicklungen:

Die wirtschaftliche Globalisierung und die internationale industrielle Arbeitsteilung werden in den nächsten zwanzig Jahren weitgehend ungehemmt voranschreiten. Das Welthandelsvolumen wird sich bei durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 6 bis 7 % mehr als verdreifachen (in Werten).

Die Volkswirtschaften in Osteuropa werden stark wachsen. Auf den deutschen Außenhandelskorridoren nach Osten erhöhen sich die Güteraufkommen zum Teil um über 200 Prozent. Das starke Wirtschaftswachstum in Osteuropa wird jedoch nicht nur das Wachstum des deutschen Außenhandelsvolumens begünstigen, sondern auch der Handel der anderen europäischen Länder mit Osteuropa wird zunehmen und zu einem starken Anstieg der Transitverkehre durch Deutschland führen. Aufgrund der zentralen Lage Deutschlands in einer erweiterten EU und den geschilderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird das Transitaufkommen in den nächsten zwei Jahrzehnten mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 4 % um knapp 150 % wachsen.

Die Ursachen für den Anstieg der Güterverkehrsleistung sind demnach im Wesentlichen nicht in der binnenländischen Nachfrage, sondern in globalwirtschaftlichen Zusammenhängen und der wirtschaftlichen Entwicklung Europas zu verorten. Deutschland wird so mehr und mehr zu einer Güterverkehrsdrehscheibe.

1.4      Der Güterverkehr wächst vor allem auf der Straße

Der starke Anstieg der Verkehrsleistung wird sich auf alle Verkehrsträger verteilen, allerdings in deutlich unterschiedlichem Ausmaß. Das Wachstum im Güterverkehr wird im Wesentlichen auf der Straße stattfinden. Dies ist zunächst einmal bemerkenswert, denn einige Entwicklungen im Szenario „Mobilität braucht Aktion“ sprechen auf den ersten Blick für das Binnenschiff und die Schiene. In diesem Zusammenhang sei hier nur kurz auf den deutlichen Anstieg der Entfernungen im Güterverkehr innerhalb Europas, die kontinuierliche Harmonisierung des europäischen Schienenverkehrs und auf das Wachstum des weltweiten Containeraufkommens verwiesen. Alle diese Entwicklungen unterstützen eigentlich das Wachstum des Schienengüterverkehrs.

Um die Gründe für das weitere überproportionale Wachstum des Straßengüterverkehrs auszumachen, muss man sich den neu entstandenen Bedarf und die daraus resultierende Nachfrage nach Gütertransport etwas genauer ansehen.

Der Nachfrager mit dem größten wachsenden Bedarf an Güterverkehr ist in dem Szenario „Mobilität braucht Aktion“ die verladende Industrie. Die Unternehmen werden ihre Produktion weiter netzwerkartig organisieren. Durch die sinkende Fertigungstiefe, das weitere Outsourcing und die dadurch wachsende Anzahl von Akteuren in den Produktionsprozessen wird die industrielle Produktion zunehmend kleinteiliger. Beim Transport der dabei anfallenden geringeren Sendungsgrößen ist die Straße systembedingt und durch ihre Kostenstruktur mit ihren vergleichsweise geringen Fixkosten eindeutig im Vorteil. Flexibilität ist zudem durch die ständig neu entstehenden bzw. häufiger wechselnden Relationen in den Produktionsnetzwerken ein entscheidendes Kriterium für die verladende Industrie und die Logistikdienstleister. Auch diese Entwicklung spricht für die Straße, die im Vergleich der Verkehrsträger auch in 2025 die höchste Netzdichte aufweisen wird.

Darüber hinaus wird sich die Struktur der transportierten Güter durch die Entwicklungen bei der verladenden Industrie weiter von Massengütern in Richtung Stückgüter verschieben. Makroökonomisch betrachtet wird diese Verschiebung kontinuierlich durch das Wirtschaftswachstum und die daraus resultierenden Veränderungen der Sektorstrukturen getrieben, vor allem in Osteuropa. An der Verkehrsleistung in Deutschland wird der Anteil von Massengütern in dem Szenario von ca. 40 % auf ca. 27 % zurückgehen. Demgegenüber wird der Anteil der Stückgüter von ca. 53 % auf ca. 66 % anwachsen.

Diesem enormen Zuwachs an Straßengüterverkehr wird mit herkömmlichem Infrastrukturausbau nicht mehr beizukommen sein. Die knappen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen müssen zu wesentlichen Teilen in die Instandhaltung von Straßen und Brücken investiert werden. Darüber hinaus kann noch für die Beseitigung von besonders akuten Engpässen gesorgt werden. Aber für einen bedarfsgerechten Ausbau des Straßennetzes, der dem Zuwachs an Straßengüterverkehr gerecht werden würde, werden die Mittel nicht ausreichen. Und dies, obwohl in dem Szenario unterstellt wird, dass große Teile des Bundesfernstraßennetzes von privaten Investoren betrieben werden und die von Lkw als auch von Pkw erhobene Straßenbenutzungsgebühren vollständig in die Infrastruktur zurückfließen. In diesem Zusammenhang muss aber auch konstatiert werden, dass in einem dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik einem Ausbau ohnehin irgendwann Grenzen gesetzt sind.

Den Erhalt der Leistungsfähigkeit der Straße in dem Szenario „Mobilität braucht Aktion“ haben die Experten deshalb an das Zusammenwirken zahlreicher verkehrspolitischer Entscheidungen und die konsequente Umsetzung wichtiger Innovationen geknüpft, u. a.:

  • Vernetzung der öffentlichen Verkehrsmanagementsysteme mit privaten Navigationsdiensten und Fahrzeug-basierten Sensornetzwerken zur übergreifenden Erfassung der Verkehrslage in Echtzeit. Und dies sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr
  • Erweiterung der kollektiven Verkehrssteuerung um netzweite individuelle Verkehrssteuerung
  • Erweiterung der Maut um auslastungsabhängige Kriterien; erfolgreicher Einsatz als Verkehrssteuerungsinstrument
  • Erhöhung der zulässigen Lkw-Abmessungen.

1.5      Die Auswirkungen auf die anderen Verkehrsträger

Auch die Schiene kann in diesem Szenario vom allgemeinen Zuwachs im Güterverkehr profitieren. Die Zuwachsraten fallen jedoch im Vergleich zur Straße deutlich geringer aus. Im Vergleich zum Gesamtwachstum wächst der Schienengüterverkehr sogar nur unterproportional.

Eine Verlagerung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene – von seiten der Verkehrspolitik vielerorts heftig gefordert und häufig prognostiziert – wird also nach Meinung der Experten nicht eintreten. Die wesentlichen Ursachen dafür sind in der Struktur des gewachsenen Güterverkehrs zu finden und bereits als Gründe für den Zuwachs im Straßengüterverkehr genannt.

Die Anbieter im Schienengüterverkehr konzentrieren sich in dem Szenario auf die rentablen Relationen mit hohen, schienenaffinen Güteraufkommen, auf denen vorrangig Ganzzüge gefahren werden können, wie z. B. auf den Hinterlandverbindungen der Containerseehäfen. Auf diesen Relationen werden sogar vergleichsweise hohe Wachstumsraten erzielt. Dafür werden jedoch in dem Szenario einige Entwicklungen als Annahmen vorausgesetzt, u. a.:

  • Verbesserung der Interoperabilität der europäischen Schienenverkehre; technische Interoperabilität, vor allem bei den Signalsystemen
  • Beseitigung institutioneller Hemmnisse innerhalb Europa
  • Entkopplung von Güter- und Personenverkehr auf den Magistralen
  • Konsequente Fortsetzung der Marktliberalisierung auf europäischer

Die Binnenschifffahrt kann in dem Szenario wie der Schienengüterverkehr von den hohen Wachstumsraten des Seecontaineraufkommens profitieren, vor allem auf dem Rhein. Doch auch hier spricht die geschilderte Struktur des zusätzlichen Bedarfs gegen Wachstumsraten, die höher als die der gesamten Güterverkehrsleistung ausfallen könnten, unter anderem wegen der geringen Netzdichte.

In dem Szenario „Mobilität braucht Aktion“ hat neben dem Straßengüterverkehr auch die Luftfracht hohe Wachstumsraten zu verzeichnen. Neben der fortgeschrittenen wirtschaftlichen Globalisierung und dem stark steigenden Welthandelsvolumen liegt die Ursache dafür vor allem in der beschriebenen Verschiebung der Güterstruktur. So wird beispielsweise erwartet, dass der Anteil an hochwertigen Maschinen im deutschen Export deutlich ansteigen wird.

1.6      Nur ein Bündel von Maßnahmen sichert die Mobilität

Zusammenfassend ergibt sich auf Basis der Annahmen der Experten in dieser Szenariostudie als Ergebnis, dass der Verkehr in 2025 durchaus noch fließt. Das allerdings darf nicht den Eindruck erwecken, wir könnten die Zukunft entspannt auf uns zukommen lassen, denn dieses Ergebnis ist von einer ganzen Reihe von Annahmen abhängig, die die Experten für das Jahr 2025 unterstellt haben, u. a.:

  • ausreichende Finanzmittel für Instandhaltung und Engpassbeseitigung
  • eine Umstellung von Steuer- auf Nutzerfinanzierung im Vergleich mit einer Zweckbindung der Einnahmen
  • außerdem die Privatisierung des überwiegenden Teil des Bundesfernstraßennetzes
  • weiterhin eine auslastungsabhängig erhobene Straßenbenutzungsgebühr, die zur Verkehrssteuerung eingesetzt

Darüber hinaus gehen die Experten davon aus, dass

  • vernetzte Telematik- und Fahrerassistenzsysteme für Lkw und Pkw im Einsatz sind und
  • dass die zulässigen Abmessungen der Lkw erhöht

Auch wenn man der einen oder anderen dieser Annahme nicht ganz zustimmen kann, wird deutlich, dass Wesentliches passieren muss, wenn wir künftig so mobil bleiben wollen, wie wir es heute sind.

 

2             Fazit

Ein kurzes Fazit aus dieser Studie und den Diskussionen, die mit verschiedensten Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geführt wurden und auch weiterhin geführt werden, könnte wie folgt aussehen:

Die getrennte Diskussion von den verschiedenen Verkehrsträgen Straße, Schiene, Wasser Luft und auch von Personen- und Güterverkehr in Politik und Wirtschaft muss beendet werden, da sie häufig mit der Erzeugung suboptimaler Ergebnisse verbunden ist. Auch in der Wissenschaft sollte man sich, neben der zweifellos wichtigen Auseinandersetzung mit der Optimierung einzelner Aspekte, mehr mit verkehrsträgerübergreifenden Sachverhalten befassen und vor allem auch Rahmenbedingungen aus angrenzenden Fachgebieten berücksichtigen.

Wenn der Verkehrszuwachs auch nur annähernd so kommt wie von den Experten erwartet, wird es vor allem darum gehen, den steigenden Anforderungen durch eine Vielzahl von Maßnahmen zu begegnen. Es geht dann zum Beispiel um den Abbau des Instandhaltungsdefizits und um die Beseitigung von Engpässen, um gezielte Erweiterung von Korridoren mit überproportionalen Zuwächsen, aber auch um organisatorische Lösungen wie z. B. mehr Intermodalität im Güterverkehr, mehr und besseres Verkehrsmanagement im Straßengüterverkehr, mehr Interoperabilität im Schienenverkehr, eine leistungsfähige Luftverkehrsinfrastruktur sowie eine entsprechend leistungsfähige Binnenwasser- und Seehäfen-Infrastruktur.

Nur alles zusammen wird uns in die Lage versetzen, die erwarteten Entwicklungen so zu meistern, dass sich die gesamte Verkehrssituation, auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, gegenüber heute möglichst verbessert, auf keinen Fall aber verschlechtert. Es wird vermutlich nur möglich sein die Zuwächse zu bewältigen, wenn – bei allem Wettbewerb, der sicherlich sein muss – die verschiedenen Verkehrsträger besser zusammenarbeiten.

Und man muss sich klar darüber sein, dass das in diesem Szenario unterstellte Wirtschaftswachstum von ca. 1,8 % eine durchaus optimistische Annahme ist. Wenn es weniger wird, dann wird das Bild vom Jahr 2025 vermutlich anders aussehen als beschrieben. Als wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Weg ins Jahr 2025 sind vor allem schnellere Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse in der Politik erforderlich, aber auch das Festhalten der Wirtschaft am Standort Deutschland in Form von Investitionen. Ebenso wichtig ist mehr Verständnis der Menschen für Zusammenhänge in Technik und Wirtschaft. Hier gibt es vor allem für Politik und Medien noch erheblichen Vermittlungsbedarf. Denn man kann, unabhängig von dem beschriebenen Projekt, davon ausgehen, dass es langfristig kein Wirtschaftswachstum in Deutschland ohne eine Zunahme der Verkehrsnachfrage geben wird.

Das Institut für Mobilitätsforschung (ifmo)

Das ifmo ist eine Forschungseinrichtung der BMW Group, die sich zukunftsorientiert, interdisziplinär und verkehrsträgerübergreifend mit Mobilität beschäftigt, um auf zukünftige Herausforderungen hinzuweisen und isolierte oder einseitige Sichtweisen in der Diskussion des Themas aufzubrechen. Es befasst sich mit den verschiedensten Aspekten von Mobilität.

Die Arbeit des Instituts wird begleitet von einem Kuratorium, dem neben renommierten Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft, auch Repräsentanten der BMW Group, der Deutschen Lufthansa AG, der Deutschen Bahn AG und der MAN AG angehören. Vorsitzender des Kuratoriums ist Prof. Dr. Peer Witten, Mitglied des Aufsichtsrates der Otto Gruppe und Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik (BVL).

Informationen unter: www.ifmo.de