FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Begrüßung durch die Staatssekretärin für Verkehr und Umwelt in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin
Autoren Maria Krautzberger
Kategorien Kongress
Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen des Berliner Senats möchte ich alle Teilnehmer des Deutschen Straßen- und Verkehrskongresses 2004 recht herzlich begrüßen. In Ihren Vortragsreihen werden Sie Fragen behandeln, die natürlich auch in der Verkehrspolitik des Landes Berlin eine Rolle spielen. Dies sind z.B. Fragen der Investitionsstrategie beim Verkehrswegebau, die Bedeutung von Verkehrsmanagement, die Themen Lärmminderung und Verkehrssicherheit. Der Senat hat hierzu eine integrierte Verkehrskonzeption – den Stadtentwicklungsplan Verkehr Berlin (StEP Verkehr) – entwickelt. Derzeit sind wir dabei, viele dieser Maßnahmen umzusetzen. Ich möchte daher mein Grußwort gerne dazu nutzen, einige Erkenntnisse anzusprechen, die wir in diesem Zusammenhang gewonnen haben und die auch für Sie von Interesse sein könnten.

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Die Ansprache zur Veranstaltung ist im Volltext und als PDF verfügbar.

... „Nachhaltigkeit im Verkehr“ – auch damit befasst sich eine Vortragsreihe dieses Kongresses. Die Entwicklung des Ziel-Systems einer nachhaltigen Verkehrspolitik, also eines Ziel-Systems mit ökologischen, ökonomischen und sozialen Zieldimensionen und nachprüfbaren Indikatoren war auch der Ausgangspunkt der Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr. Unsere Überlegung war zunächst, Verkehrspolitik aus der Konfrontationssituation zu holen und in einem dialog- und konsensorientierten Verfahren die zerstrittenen Akteure der Verkehrspolitik in der Stadt für ein gemeinsames nachhaltiges Konzept zu gewinnen. Deshalb wurde auch der Planungsprozess grundlegend verändert: Die Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr erfolgte nicht hinter verschlossenen Türen, sondern wurde von einem Runden Tisch begleitet. An ihm nahmen neben den Vertretern der Verwaltung wichtige Nichtregierungsorganisationen, z.B. Vertreter der Lokalen Agenda 21, der Umweltverbände, aber auch des ADAC, der Fuhrgewerbe-Innung und die verkehrspolitischen Sprecher der Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses teil. Ein Wissenschaftlicher Beirat mit bekannten nationalen und internationalen Verkehrswissenschaftlern hat diesen Prozess begeleitet und für den nationalen und internationalen Erfahrungstransfer gesorgt.

Am Runden Tisch konnte ein relativ breiter Konsens hinsichtlich der Ziele erreicht werden: „Saubere Luft“, „weniger Lärm“ und eine „bessere Aufenthaltsqualität im Straßenraum“ wurden als Ziele der Verkehrspolitik genauso anerkannt wie die Belange des Wirtschaftsstandortes Berlin, z.B. die schnelle Erreichbarkeit unserer innerstädtischen Dienstleistungszentren vom Flughafen BBI. Es wurde festgestellt, dass die Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität in der Berliner Innenstadt notwendig ist, um dem drohenden Wegzug der Bürger in das Umland entgegenzuwirken – weil nämlich Probleme des Verkehrslärms und der Verkehrssicherheit in Wohngebieten dazu beitragen, dass u.a. Familien in das Umland wegziehen. Alle waren sich einig, dass Verkehrsplanung und Verkehrspolitik immer auch etwas mit sozialer Stadtentwicklung zu tun haben.

Zur Überprüfung der Verkehrspolitik wurden gemeinsam am Runden Tisch messbare Ziele erarbeitet. Der Maßnahmenkatalog des StEP Verkehr umfasst über 60 Maßnahmen, die bis 2015 umgesetzt werden sollen. Mit Hilfe von Szenarientechnik, von Modellrechnungen und Expertenabschätzungen wurden die Maßnahmen einer Wirkungsanalyse unterzogen.

Unsere Bestandsanalyse am Anfang zeigte: Berlin hat bereits heute eine im Vergleich zu anderen Metropolen deutlich bessere Infrastruktur und Mobilität. Sie wird noch besser, wenn in wenigen Jahren der Wiederaufbau der S-Bahn, die Umsetzung der Eisenbahnkonzeption Berlin, der Nord-Süd-Tunnel und die Teltowkanalautobahn fertiggestellt sind. Diejenigen von Ihnen, die die Stadt kennen oder an der heutigen Stadtrundfahrt teilgenommen haben, werden sicher einen Eindruck davon bekommen haben, wie viel an Infrastruktur in Berlin schon gebaut und erneuert wurde. Allein in den Ausbau Berlins zum Eisenbahnknotenpunkt und in den Wiederaufbau des S-Bahn-Netzes wurden bzw. werden von der Bundesregierung im Zeitraum 1990 – 2006 ca. 10 Milliarden EURO investiert. Sehr viele Mittel sind in den neunziger Jahren auch in Netzerweiterungen der U-Bahn und der Straßenbahn unter Mitbeteiligung des Landes Berlin investiert worden.

Trotz der hohen Investitionen in den ÖPNV in den 90er Jahren musste Berlin in diesem Zeitraum Rückgänge der Fahrgastzahlen hinnehmen. Berlin musste lernen, dass Investitionen in die ÖPNV-Netzerweiterungen allein nicht ausreichen, um seine nachhaltigen Ziele zu erreichen. Uns wurde sehr deutlich, dass das Zusammenwirken von organisatorischen, preispolitischen, raumstrukturellen und bewusstseinsbildenden Maßnahmen letztlich entscheidend ist, um mit neuen und alten Infrastrukturen Mobilitätsverhalten zu beeinflussen.

Kernstück des StEP Verkehr war auch die Entwicklung einer neuen Investitionsstrategie: Wie Ihnen sicher bekannt ist, wird der Handlungsspielraum des Landes Berlin zur Finanzierung verkehrlicher Maßnahmen in den kommenden Jahren äußerst begrenzt sein. Der notwendige Prozess der Haushaltskonsolidierung hat uns noch stärker als bisher gezwungen, über die Effizienz aller Maßnahmen und den Einsatz von Mitteln nachzudenken. Wie ich bereits dargelegt habe, wurden in den neunziger Jahren in Berlin sehr viele Erweiterungen der Verkehrsnetze finanziert. Natürlich waren große Anstrengungen notwendig, die nach dem Bau der Berliner Mauer unterbrochene Infrastruktur wiederherzustellen. Dieser Wiederaufbau kam kostenmäßig einem Neubau gleich. Erweiterungen von Verkehrsnetzen führen aber auch dazu, dass die jährlichen Instandhaltungskosten anwachsen. Dieser enorme finanzielle Aufwand führte dazu, dass wir in den neunziger Jahren die Bestandspflege der vorhandenen Infrastruktur vernachlässigt haben.

Wir haben auf Grundlage dieser Erkenntnisse unsere Investitionsstrategie geändert: Wir konzentrieren uns in den nächsten Jahren mehr auf Substanzerhaltung und -pflege. Netzerweitungen wird es nur noch in Ausnahmefällen geben: Dies gilt sowohl für das Straßennetz als auch für das Schienennetz: Mit einem Grundsanierungsprogramm bei U- und Straßenbahn werden wir auch Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Infrastruktur verbinden. Mit der Grundsanierung werden z.B. die Bahnhöfe durch den Einbau von Aufzügen behindertengerecht ausgebaut. Von Aufzügen profitieren auch andere Bevölkerungsgruppen, z.B. ältere Mitbürger, Eltern mit Kinderwagen oder ÖPNV-Benutzer mit Fahrrad. Im Rahmen des Substanzpflegeprogramms werden wir auch bauliche Maßnahmen ergreifen, um die Umsteigewege zwischen den ÖPNV-Systemen zu verkürzen.

Im Berliner Straßennetz, einschließlich aller Brückenbauwerke und Tunnelanlagen, hat sich ein gewaltiger Instandhaltungsrückstand von über 400 Mio. Euro aufgebaut. Wir beginnen im nächsten Jahr mit einem Sonderprogramm von 50 Mio. Euro hier Abhilfe zu schaffen. Unsere Investitionsstrategie sieht nach Fertigstellung der Maßnahme Nord-Süd-Straßentunnel, die derzeitig alle GVFG-Mittel Straße von Berlin bindet, vor, entsprechende Mittel in ein Grundsanierungsprogramm umzulenken. Wir wollen einerseits den Instandhaltungsrückstand flächendeckend bis Ende 2010 beseitigen und in diesem Zeitraum Erweiterungsinvestitionen zurückfahren. Wir wollen gleichzeitig die Qualität des vorhandenen Straßennetzes verbessern: Die Grundsanierung wird verzahnt mit der Errichtung neuer Fahrbahndecken, die den Lärm und die Ausbreitung von gesundheitsgefährdenden Feinstäuben reduzieren. Der Straßenraum wird gleichzeitig so umgestaltet, dass Unfallschwerpunkte durch bauliche Maßnahmen entschärft werden und sich die Bedingungen für mobilitätseingeschränkte Bürger verbessern.

Ansonsten liegt der Schwerpunkt unserer neuen Verkehrsstrategie auf Maßnahmen, die möglichst wenig kosten, aber einen großen Effekt haben. Die Untersuchungen zeigen eindeutig, dass besonders zwei Maßnahmenpakete das Verkehrsmittelwahlverhalten beeinflussen: das Parkraummanagement und organisatorische Maßnahmen, die auf die Größe des Zeitvorsprungs bei einer Nutzung des Pkw gegenüber dem ÖPNV Einfluss nehmen.

So kann z.B. durch eine gut durchdachte und differenzierte Parkraumbewirtschaftung eine Verlagerung auf den ÖPNV insbesondere im Berufspendler- und Ausbildungsverkehr erreicht werden. Da neben dem Parkraummanagement die Zeit der zweite wichtige Faktor ist, der das Verkehrsmittelwahlverhalten beeinflusst, spielen Maßnahmen, die zur Senkung der Fahrzeiten bei der ÖPNV-Nutzung beitragen, ebenfalls eine große Rolle. Dabei geht es nicht nur um Ampelvorrangschaltungen und Busspuren. Die Fahrzeiten für den ÖPNV-Benutzer lassen sich auch durch kleine Maßnahmen, wie Anschlussoptimierung, Verkürzung der Umsteigewege zwischen S-, U-, Straßenbahnen und Bussen wirkungsvoll und relativ kosteneffizient verkürzen.

Um eine Entlastung der Berliner Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu erreichen, haben wir noch ein drittes Paket von organisatorischen Maßnahmen zur Umorganisation des übergeordneten Straßenverkehrs in der Innenstadt entwickelt. Hierzu gehört vor allem das Verkehrsmanagement. Wir haben ein sogenanntes „tangentiales Ableitungskonzept“ entwickelt, das verkehrslenkende Maßnahmen zur Reduzierung des Kfz-Durchgangsverkehrs enthält. Durch längere Ampel-Freigabezeiten für die tangentialen Richtungen oder durch eine Veränderung der Spuraufteilung in den Knoten, kombiniert mit einer verbesserten Wegweisung sollen mehr Anreize geschaffen werden, um die Innenstadt auf einem geeigneten mehrstufigen System von Straßen mit geringerer Wohnbevölkerung zu umfahren.

Auch der Förderung des Radverkehrs, dem „Zero Emission Vehicle“, messen wir eine hohe Priorität bei. In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen wurde bestätigt, dass diese Maßnahmen mit einem relativ geringen Einsatz an Haushaltsmitteln einen großen Effekt hinsichtlich der umwelt- und klimapolitischen Ziele erreichen. Das Rad ist im innerstädtischen Nahbereich ein schnelles Verkehrsmittel mit positiven externen Umwelteffekten. Wir wollen Defizite in den Radverkehrsanlagen beseitigen und besonders den Anteil der sicheren Radstreifen im Straßenraum erhöhen. Radverkehrspolitik muss aber künftig auch „im System“ betrachtet werden: Alltagstauglicher Radverkehr erfordert neben Wegen auch Wegweisung, Stellplätze, Serviceeinrichtungen,

Infrastruktur. Trotz aller Sparzwänge haben wir die Haushaltsausgaben für den Fahrradverkehr seit 2000 gesteigert („intelligentes Sparen“). Zur besseren Umsetzung unserer Strategie haben wir im letzten Jahr einen speziellen Runden Tisch zum Radverkehr, den „FahrRat“ installiert, zu dem wieder alle geeigneten Akteure – von den ÖPNV-Unternehmen bis zu den Wohnungsbaugesellschaften und Krankenkassen – eingeladen wurden.

Im nächsten Jahr werden wir das bewährte „Runde Tisch“-Verfahren einsetzen, um unsere Verkehrssicherheitsstrategie zu konkretisieren, umzusetzen und alle Akteure zu vernetzen. Die Verkehrssicherheit im Berliner Stadtgebiet hat sich zwar deutlich verbessert. Aber wir sind unzufrieden mit der zu hohen Zahl der verunglückten nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Ausgehend von einer verbesserten Unfallanalyse wollen wir ein umfangreiches Maßnahmenpaket umsetzen, das von der Mobilitätserziehung über die Verkehrsüberwachung bis zu baulichen Maßnahmen und zur Überprüfung des Geschwindigkeitskonzeptes im Straßennetz reicht.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass in Berlin wie auch in anderen Metropolen in Zukunft die intelligente Nutzung und die Vernetzung der vorhandenen Ressourcen Vorrang hat. Organisatorische Maßnahmen, Soft Policies und Substanzpflege gewinnen gegenüber Netzerweiterungen immer mehr an Bedeutung.

Moderne Verkehrsplanung muss heute in unterschiedlichen Politikfeldern ansetzen. Der Versuch einer Einflussnahme auf die Verkehrsentwicklung muss integrativ sein. Hieraus ergeben sich auch neue Anforderungen an die Hochschulen, die ja Thema des Festvortrages Ihres Kongresses sind:

Das Land Berlin wird in Zukunft einen großen Bedarf an Hochschulabgängern haben, die nicht nur eine klassische ingenieurwissenschaftliche Ausbildung haben, sondern auch gelernt haben, querschnittsorientiert zu denken. Dies gilt nicht nur für die Verkehrsplaner der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dies gilt auch für die zahlreichen Mitarbeiter in privaten Planungsbüros, die zunehmend Aufträge übernehmen, die früher in unserer Verwaltung bearbeitet wurden. Moderne Verkehrsplaner, wie wir sie benötigen, müssen auch Kenntnisse in der Stadt- und Regionalplanung sowie in der Umweltpolitik haben, über Moderationsfähigkeiten verfügen und wichtige Wechselwirkungen der Verkehrspolitik zur Sozialwissenschaft begreifen.

Soweit meine „einführenden“ Anmerkungen zu diesem wichtigen Kongress. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, eine fruchtbare und interessante Diskussion und neue Erkenntnisse. Und natürlich hoffe ich auch, dass Sie trotz des umfangreichen Programms die Gelegenheit finden, in Berlin auf Entdeckungsreise zu gehen und die Vielfalt der Kultur- und Kneipenszene unserer Metropole kennen zu lernen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.