FGSV-Nr. FGSV 001/25
Ort Stuttgart
Datum 30.09.2014
Titel Zuverlässiger Betrieb von Streckenbeeinflussungsanlagen auf Basis einer antizipierenden, regelbasierten Steuerung
Autoren Dipl.-Ing., Prof. Gerd Riegelhuth, Dipl.-Ing. Matthias Glatz
Kategorien Kongress
Einleitung

Seit 25 Jahren verfolgt das Land Hessen eine eigene Philosophie des Betriebs von Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA), bei der die Kundenorientierung im Mittelpunkt steht. Die Wirkungen der SBA-Anzeigen auf den Verkehrsablauf beweisen, dass sich die Qualität der Steuerung auf hohem Niveau bewegt – die Verkehrsteilnehmer (Kunden) vertrauen auf die Anzeigen und akzeptieren sie. Die wesentlichen Herausforderungen für Hessen Mobil als Betreiber bestehen dabei in der Rechtskonformität, Transparenz, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit. Erst wenn diese gemeistert werden, sind Akzeptanz durch die Verkehrsteilnehmer, positive Wirkungen auf den Verkehrsablauf und der daraus resultierende volkswirtschaftliche Nutzen zu erwarten.

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1 Einleitung

Das zunehmende Verkehrswachstum führt zu immer größeren Verkehrsdichten und zunehmend zu ausgeprägteren Spitzenzeiten. Der Einsatz von Streckenbeeinflussungsanlagen auf hoch belasteten Autobahnabschnitten ist eine effiziente Möglichkeit, mit den immer häufigeren Überlastungen des Straßennetzes umzugehen. Diese können durch Harmonisierung der Geschwindigkeiten die Qualität des Verkehrsablaufs verbessern sowie durch Warnungen vor verkehrs- und umfeldbedingten Störungen die Verkehrssicherheit erhöhen. Diese Wirkungen sind jedoch nicht selbstverständlich; sie setzen vielmehr zum einen eine sorgfältige Planung der Lage von Anzeige- und Messquerschnitten sowie einer zielorientierten Steuerungsstrategie und zum anderen in der Folge einen zuverlässigen Betrieb voraus. Auf diese und weitere Voraussetzungen wird im Folgenden näher eingegangen.

2 Wirkung eines zuverlässigen Betriebs

2.1 Ziele und Funktionen der Streckenbeeinflussung

Mit Hilfe von Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) besteht die Möglichkeit über Wechselverkehrszeichen in Abhängigkeit von der Verkehrssituation automatisch variable Geschwindigkeitsbeschränkungen, Stauwarnungen oder Überholverbote anzuordnen. Darüber hinaus können manuell Fahrstreifen gesperrt, besondere Gefahrenwarnungen oder die Absicherung von Baustellen vorgenommen werden.

Dem automatischen Betrieb von SBA liegen Steuerungsmodelle zugrunde, in die aktuelle Verkehrs- und Umfelddaten, die an geeignet angeordneten Messquerschnitten erfasst werden, einfließen. Damit entsteht folgender Regelkreis:

  • Messung des Verkehrsablaufs,
  • Situationserkennung im Steuerungsmodell,
  • Schaltung der Wechselverkehrszeichen,
  • Änderung des Verkehrsablaufs durch Reaktion der Verkehrsteilnehmer.

Entscheidend für die Wirksamkeit von SBA ist die Akzeptanz der Anzeigen über Wechselverkehrszeichen durch die Verkehrsteilnehmer. Dies setzt eine Vertrauenswürdigkeit der vom Verkehrsteilnehmer wahrgenommenen Anzeigen der SBA im Zusammenhang mit der aktuellen Verkehrssituation voraus, die nur durch eine hohe Qualität des Anlagenbetriebs erreicht werden kann: Eine wesentliche Rolle spielen hier der Umgang des Betreibers mit Messfehlern und Anlagenstörungen, die Verwendung praxiserprobter Steuerungsmodelle und die ständige Überprüfung, Korrektur und Optimierung im laufenden Betrieb. Nur so kann erfolgreich auf die äußerst komplexe räumlich-zeitliche Dynamik des Verkehrsablaufs eingewirkt werden.

SBA sind kein technischer Selbstzweck, sondern sollen auf hochbelasteten Autobahnabschnitten einen volkswirtschaftlichen Nutzen im Verkehr bewirken. Zur Rechtfertigung der hierfür aufgewendeten Investitionsmittel sollte der Straßenbetreiber SBA regelmäßig hinsichtlich ihres Nutzens bewerten. Hessen Mobil hat diesen Nachweis mehrfach in Form von Wirkungsermittlungen – in Eigenleistung oder durch unabhängige Gutachter – für die auf Autobahnen in Hessen betriebenen SBA erbracht.

Die volkswirtschaftliche Nutzenstiftung lässt sich im Bereich der Streckenbeeinflussung in folgende Zielfelder aufgliedern:

  • Erhöhung der Verkehrssicherheit,
  • Verbesserung der Qualität des Verkehrsablaufs,
  • Verminderung der Umweltbelastungen durch den Verkehr.

Über die nachweislich in diesen Zielfeldern erreichten Wirkungen wird im folgenden Abschnitt berichtet.

2.2 Verkehrssicherheit

Die Erhöhung der Verkehrssicherheit erfolgt einerseits durch direkte Gefahrenwarnungen vor Staus, Baustellen, Pannen und widrigen Witterungsbedingungen, andererseits wird durch die Harmonisierung des Verkehrsablaufs, das heißt die Reduktion der Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Fahrzeugen, die Stabilität des Verkehrsflusses erhöht und die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Staus vermindert.

Die aus dem SBA-Betrieb resultierenden Rückgänge der Unfallraten und der Unfallschwere sind aus zahlreichen Untersuchungen bekannt (z. B. Siegner, Träger et. al 2000). Als typisches Beispiel für Hessen kann die SBA auf der BAB A 5 zwischen der AS Friedberg und dem Westkreuz Frankfurt gelten. Dort wurde ein Rückgang der Unfälle mit Personenschaden um 29 % festgestellt (Bild 1). Der volkswirtschaftliche Nutzen dieser SBA allein durch vermiedene Unfallkosten wurde damals mit 7 Mio. DM/Jahr beziffert; die Investitionskosten der SBA lagen bei 15 Mio. DM. Die Geschwindigkeitsunterschiede haben sich im ersten Ausbauabschnitt zwischen dem Bad Homburger Kreuz und dem Nordwestkreuz Frankfurt um 13 % bis 30 % reduziert.

Bild 1: Vorher-Nachher-Vergleich der Unfallraten BAB A 5 Frankfurt-Friedberg

Nach der Erweiterung dieser SBA auf der BAB A 5 nach Norden über die AS Friedberg hinaus bis zur T+R Wetterau wurde festgestellt, dass dort die Geschwindigkeitsunterschiede gegenüber dem Zustand ohne SBA sogar um 35 % bis 45 % zurückgingen und der Anteil kritischer Fahrzeugabstände sich trotz 10-prozentiger Verkehrszunahme nicht erhöht hat.
Das Bild 2 zeigt eine Gegenüberstellung der zeitlich-räumlichen Verläufe der gemessenen Geschwindigkeiten und der SBA-Anzeigen auf der BAB A 5 im Abschnitt Gambacher Kreuz – T+R Wetterau am 15. 9. 2014. Die Übereinstimmung zwischen Schaltung und Verkehrssituation ist dort deutlich erkennbar. Sie ist die Grundlage des Vertrauens der Verkehrsteilnehmer darauf, dass die SBA richtig funktioniert und dass die angezeigten Streckengebote zur Verkehrssituation passen.

Bild 2: Gegenüberstellung Geschwindigkeiten und SBA-Anzeigen

Im rechten Bereich von Bild 2 (ab 9:30 Uhr) ist zu erkennen, dass Häufigkeit und Intensität der Geschwindigkeitsanzeigen abnehmen, den Verkehrsteilnehmern also keine übermäßigen Beschränkungen auferlegt werden. Damit sind die Voraussetzungen einer hohen Akzeptanz der SBA-Anzeigen gegeben – nämlich aus Steuerungssicht ein ausreichend hoher Anteil erkannter Verkehrsstörungen bei einem ausreichend niedrigen Anteil von Fehlalarmen. In Hessen liegt beispielsweise der Anteil von Fehlalarmen bei der Stauwarnung (Situationen, bei denen stromabwärts der Anzeige von 60 km/h schneller als 100 km/h gefahren wird) unter 3 %. Der eingangs erwähnte Regelkreis wird dadurch geschlossen und eröffnet erst die Möglichkeit, die im Bild 2 gezeigten Verkehrsmuster zu beeinflussen.

2.3 Qualität des Verkehrsablaufs

Akzeptanz

Im Vorfeld der Erweiterung der SBA auf der BAB A 5 zwischen dem Bad Homburger Kreuz und dem Nordwestkreuz Frankfurt um verkehrstechnische Einrichtungen für die temporäre Seitenstreifenfreigabe (TSF) wurde temporär ein vorübergehender TSF-Betrieb mit stationären Geschwindigkeitsanzeigen durchgeführt, während gleichzeitig auf der BAB A 3 zwischen dem Offenbacher Kreuz und der Anschlussstelle Hanau bereits eine TSF mit integrierter SBA in Betrieb war. Bei dieser Gelegenheit wurde die Akzeptanz von stationären Geschwindigkeitsanzeigen mit der Akzeptanz von dynamischen Geschwindigkeitsanzeigen verglichen.

Im Bild 3 ist erkennbar, dass die statischen Geschwindigkeitsanzeigen auf der BAB A 5 deutlich schlechter akzeptiert werden als die dynamischen Anzeigen auf der BAB A 3. Als Akzeptanz wurde jeweils der Anteil von Fahrzeugen definiert, der die angezeigte Geschwindigkeit zuzüglich 20 km/h unterschreitet. Neben der direkten Wirkung der Geschwindigkeitsbeschränkung tritt in der Regel eine gleichmäßigere Fahrstreifennutzung ein, die sich positiv auf die Streckenkapazität auswirkt.

Bild 3: Akzeptanzvergleich zeitabhängige und verkehrsabhängige Steuerung

Kapazität

Eine Langfristbetrachtung der Streckenkapazität der BAB A 5 Richtung Süden zwischen Bad Homburger Kreuz und Nordwestkreuz Frankfurt zeigt, dass eine SBA – entgegen der in der neueren Literatur (z. B. Schick, 2003) vertretenen Ansicht – bei geeigneter Steuerung durchaus Beiträge zu einer deutlichen Erhöhung der Streckenkapazität (hier definiert als größte Verkehrsstärke in 60 aufeinander folgenden 1-Minuten-Intervallen bei vorhandenem Rückstau) leisten kann (Bild 4). Bereits nach Inbetriebnahme der SBA 1996 wurde eine Kapazitätssteigerung um 13 % festgestellt, nach kontinuierlicher Optimierung der Steuerungsparameter erhöhte sich die Kapazität weiter um 8 %. Nach Inbetriebnahme der TSF im betrachteten Abschnitt wurde keine Überlastung der freien Strecke mehr festgestellt; die höchste Verkehrsstärke ist weiter um 5 % gestiegen. Maßgeblicher Engpass der Strecke ist seitdem die Ausfahrt am Nordwestkreuz Frankfurt.

Bild 4: Kapazitätszunahme SBA BAB A 5 Bad Homburger Kreuz – Nordwestkreuz Frankfurt

2.4 Wirkung von Parameteroptimierungen

Die Wirkung der Optimierung der Steuerungsparameter wird hier am Beispiel der SBA BAB A 5 Frankfurt am Aufstieg zur T+R Wetterau aufgezeigt. Der betroffene Abschnitt befindet sich zwischen dem Gambacher Kreuz und der AS Friedberg und bildet mit einer Längsneigung von bis zu 5 % den maßgeblichen Engpass im Zulauf von Norden auf das Rhein-Main-Gebiet. Auch im Lageplan kann man den Streckenverlauf als bewegt bezeichnen. Einen Eindruck von der Strecke vermittelt das Bild 5. Montags bis freitags ist der Streckenabschnitt mit starken Einpendlerverkehren belastet. Hinzu kommen Fernpendlerströme am Sonntagnachmittag und Montag früh. Als Folge der Überlastung reicht der Rückstau an der T+R Wetterau am Montagmorgen bis über das Gambacher Kreuz hinaus. Bereits nach Inbetriebnahme der SBA im betrachteten Bereich im Jahr 2010 konnte eine Abnahme der mittleren Reisezeitverluste von knapp 9 Minuten auf gut 5 Minuten und damit eine erste deutliche Reduktion der Engpasswirkung festgestellt werden.

Bild 5: SBA BAB A 5 – Wetterauaufstieg

Während der Überlastung der Steigungsstrecke kommt es jedoch weiterhin häufig zu Verkehrszuständen, bei denen langsam, das heißt mit Geschwindigkeiten von 50 – 60 km/h gefahren wird, aber sich noch keine Stop-and-Go-Wellen im Verkehr bilden. Durch Reduzierung der Schwellenwerte der Stauerkennung gegenüber den Standardwerten in Hessen konnten diese Verkehrszustände durch Anzeige einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h als „nächst höhere Warnstufe“ stabilisiert und die Entstehung von Stauwellen reduziert werden. Weiter wurde am Ende des Engpasses auf Höhe der T+R Wetterau vermehrt eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h anstelle der üblichen 100 km/h angezeigt, um den Verkehrsteilnehmern das Ende des Engpasses zu signalisieren.

Das Ergebnis der Optimierung wurde mit einem Vorher-Nachher-Vergleich überprüft. Vergleicht man die Verkehrsstärkesummenlinien daraufhin, wann jeweils die x-te Fahrt den Messquerschnitt passiert hat, lässt sich aus der Differenz der Vorher- und Nachher-Ergebnisse die Zeitersparnis für diese Fahrt berechnen (Bild 6). Der Vergleich wurde an einem Messquerschnitt am Ende der Steigungsstrecke vorgenommen. Im Ergebnis hat sich der Zeitraum mit Stauentwicklung in der Frühspitze von 6:00 – 10:30 Uhr (vorher) auf 6:00 – 9:45 Uhr (nachher) verkürzt. Die größte Zeitersparnis beträgt um 9:30 Uhr etwa 9 Minuten pro Fahrt.

Bild 6: Vermiedene Reisezeitverluste durch Parameteroptimierung

Die bereits Anfang 2012 vorgenommene Anpassung der Schaltbilder an die Verkehrsdynamik (vgl. Abschnitt 3.5) hat sich bereits in der Pünktlichkeitsstatistik im betrachteten Bereich niedergeschlagen (Bild 7). In der Pünktlichkeitsbilanz wird unter anderem für die wichtigsten Autobahnkorridore im Rhein-Main-Gebiet der Anteil pünktlicher Fahrten ausgewiesen. Dies ist der Prozentsatz der Verkehrsteilnehmer, die den Korridor mit einer Verzögerung von maximal fünf Minuten im Vergleich zur freien Fahrt durchfahren konnten. Im Gegensatz zu Pünktlichkeitsstatistiken anderer Verkehrsträger werden die Auswirkungen von Störungen dabei mit der Anzahl der betroffenen Verkehrsteilnehmer gewichtet.

Bild 7: Pünktlichkeitsstatistik am Wetterauaufstieg

2.5 Verminderung der Umweltbelastungen

Die Harmonisierung des Verkehrs durch verkehrsbedingte dynamische Geschwindigkeitsanzeigen bewirkt bei hoher Akzeptanz eine entspanntere Fahrweise und führt in Folge auch zu einer Verringerung der Umweltbelastung durch Schadstoffemissionen. So konnte in einer Untersuchung im Jahr 2010 nachgewiesen werden, dass die verkehrsbedingten PM10- und NOx-Emissionen infolge der SBA-Steuerung um knapp 10 % gegenüber einem Zustand ohne SBA zurückgehen. Im Vergleich zur SBA auf der BAB A 12 in Tirol, bei der dynamische umweltbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen in Verbindung mit einer intensiven Geschwindigkeitsüberwachung Bestandteil der Steuerung sind (Thudium 2006, 2012), liegt die Verringerung der verkehrsbedingten Umweltbelastung auf der BAB A 5 bei Frankfurt auf etwa dem gleichen Niveau bei höherer Fahrstreifenbelastung und deutlich geringerer Schaltdauer von Tempolimits (Bild 8). Ein verkehrlich optimierter Betrieb von SBA ermöglicht damit bei hoher Akzeptanz durch die Verkehrsteilnehmer die gleichen positiven Umweltwirkungen wie eine umweltgesteuerte SBA, bei der die Geschwindigkeitsbeschränkungen nur infolge einer polizeilichen Überwachung befolgt werden.

Bild 8: Vergleich der Umweltwirkungen über spezielle Umweltsteuerung und konventionelle SBA-Steuerung

3 Herausforderungen eines zuverlässigen Betriebs

3.1 Übersicht

Bild 9: Herausforderungen eines zuverlässigen Betriebs

Der zuverlässige Betrieb einer SBA ist vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt (Bild 9), die der Betreiber im gesamten Planungs- und Lebenszyklus einer SBA in Einklang bringen muss. Aus den rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenspiel mit den beteiligten Akteuren leiten sich Ansprüche an Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit der gezeigten Ge- und Verbote ab, die ihrerseits Ansprüche an die Transparenz nicht nur der Steuerung, sondern des gesamten Betriebs, an die Planung und an die technische Gestaltung des Systems nach sich ziehen. Schließlich ist es in Hessen erklärtes Ziel, durch eine hohe Qualität des SBA-Betriebs das Vertrauen der Verkehrsteilnehmer zu gewinnen und damit eine hohe Akzeptanz der SBA Anzeigen zu erreichen. Die Erfüllung dieses Qualitätsanspruchs setzt eine geeignete Steuerungsphilosophie ebenso voraus wie die Berücksichtigung technischer Entwicklungen und gesellschaftlicher Trends.

3.2 Rechtsrahmen

Verkehrsbeeinflussungsanlagen zählen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 StVO zu den Verkehrseinrichtungen. Die Planung und der Bau sowie der Betrieb von Verkehrsbeeinflussungsanlagen obliegt nach § 5b Abs. 1 StVG und § 45 Abs. 5 StVO dem Straßenbaulastträger. Für den Betrieb von SBA, konkret also für die automatische und manuelle Aktivierung von Verkehrszeichen über Wechselverkehrszeichen, verfügt die zuständige Straßenverkehrsbehörde eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StVO. Diese beinhaltet unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen und verkehrlichen Verhältnisse die Positionierung der Anzeigequerschnitte, die Bestückung der Wechselverkehrszeichen sowie die zu schaltenden Module, bestehend aus manuellen und Automatikprogrammen. Wesentlich für den rechtskonformen Betrieb einer SBA ist jedoch die Vorgabe der Kriterien für die Kombination von Programmmodulen sowie für die De-/Aktivierung einzelner Schaltungen durch die Straßenverkehrsbehörde, da jeder Schaltung einer SBA, beispielsweise auch im 15-Sekunden-Zyklus, eine virtuelle verkehrsrechtliche Anordnung zugrunde liegen muss. Dies setzt auf Seiten der Straßenverkehrsbehörde entsprechendes Fachwissen zur Funktionsweise von SBA sowie eine enge (permanente) Abstimmung mit dem Straßenbaulastträger, also der zuständigen Verkehrszentrale, voraus.

Die Straßenverkehrsordnung (StVO) trifft hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anordnung von Vorschriftzeichen keine Unterscheidung zwischen stationärer und dynamischer Beschilderung. Insofern gibt es keine Veranlassung, im Zuge von SBA, und damit auf Teilabschnitten des Autobahnnetzes, andere Maßstäbe für Eingriffe in den Straßenverkehr anzulegen als im übrigen Straßennetz. Es gilt daher auch für SBA sinngemäß der Grundsatz, so wenig Verkehrszeichen wie möglich anzuordnen bzw. bei SBA zu aktivieren. Nur dadurch kann eine hohe Akzeptanz bei den Verkehrsteilnehmern erzielt werden.

3.3 Organisatorische Rahmenbedingungen

Bei Hessen Mobil sind die Hauptbeteiligten am Betrieb von SBA organisatorisch in der Verkehrszentrale Hessen angesiedelt: die Straßenverkehrsbehörde, der Bereich Verkehrsmanagement und die Operatoren (Bild 10).

Bild 10: Hauptbeteiligte am SBA-Betrieb

Grundlage des Betriebs einer SBA ist die verkehrsrechtliche Anordnung der Ausstattung und des Betriebs durch die Straßenverkehrsbehörde. Die Anordnung umfasst Position und Anzeigeinhalt der Wechselverkehrszeichen einschließlich ihrer Priorisierung sowie die Schaltbilder der Automatikprogramme und der manuellen Programme einschließlich einer verbalen Beschreibung der jeweiligen Einsatzbereiche.

Der Vollzug der verkehrsrechtlichen Anordnung erfolgt hinsichtlich der Automatikprogramme auf Grundlage der Festlegung von Parametern, die sich aus der verkehrsrechtlichen Anordnung ableiten, durch Verkehrsingenieure im Bereich Verkehrsmanagement. Hier werden die verbalen Beschreibungen der Einsatzbereiche der Automatikprogramme durch die Vorgabe der Steuerungslogik und die Anpassung des Schaltverhaltens der SBA mit Hilfe der Steuerungsparameter zu logischen Ein- und Ausschaltbedingungen auf der Basis von messbaren Indikatoren konkretisiert. Die Schaltbedingungen werden einer regelmäßigen Qualitätskontrolle hinsichtlich der Anteile erkannter Situationen mit Handlungsbedarf und dem Anteil der Fehlalarme unterzogen und ständig mit der Straßenverkehrsbehörde rückgekoppelt. Externe Einflüsse wie z. B. Veränderungen in der Verkehrszusammensetzung oder die fortschreitende Technisierung der Fahrzeugflotte erfordern eine regelmäßige Beobachtung des Schaltverhaltens und gegebenenfalls eine Nachjustierung der  Steuerungsparameter. Schließlich können durch Parameteroptimierung nennenswerte Verbesserungen im Verkehrsablauf erreicht werden (vgl. Abschnitt 2.4). Neben der Weiterentwicklung der Automatikprogramme werden als weitere Aufgabe Unterstützungsleistungen bei der Planung von Arbeitsstellen in Bereichen mit SBA durchgeführt, um auch im Bauzustand eine widerspruchsfreie Beschilderung – besonders in den Übergängen zwischen statischer Beschilderung und dynamischen SBA-Anzeigen – zu gewährleisten.

Hinsichtlich der manuellen Programme wird die verkehrsrechtliche Anordnung durch die Operatoren in der Verkehrszentrale vollzogen. Neben der reinen Ausführung der Schaltungen ist die Tätigkeit der Operatoren vor allem koordinierender Natur, da es sich in der Regel um Situationen handelt, in denen der Bedarf an Schaltungen und auch der geeignete Zeitpunkt für deren Aufhebung mit externen Beteiligten wie Autobahnmeistereien, Polizei, Rettungskräfte oder Verkehrssicherungsfirmen abgestimmt werden muss.

3.4 Planungsgrundlagen und verkehrstechnische Folgerungen

Neben den organisatorischen Randbedingungen ist ein qualitativ hochwertiger SBA-Betrieb vor allem auch an die planerischen Parameter gebunden. Positionen und Abstände der Anzeigequerschnitte von SBA (und damit auch deren Anzahl) müssen sich dabei an den verkehrstechnischen Erfordernissen orientieren, die von Ausdehnung, Dauer und Schwere der Verkehrsstörungen abhängen und durch Knotenpunkte, Trassierung im Lage- und Höhenplan sowie durch verkehrliche Engpässe bestimmt werden. Nicht nur für die Erkennbarkeit der SBA-Anzeigen, auch um den Verkehrsteilnehmern eine Vorausschau zu ermöglichen, ist die Berücksichtigung der Sichtverhältnisse unverzichtbar. Schließlich ist es sinnvoll, die Verkehrsteilnehmer an ein bestehendes Tempolimit zu erinnern; hierfür empfiehlt die VwV-StVO für statische Beschilderung eine Wiederholung alle 1.000 m vor, in Straßentunneln sehen die „Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT) sogar eine Wiederholung alle 600 m vor.

Die für die Planung von SBA einschlägigen „Richtlinien für Wechselverkehrszeichenanlagen an Bundesfernstraßen“ (RWVA, BASt 1997) sehen dagegen einen Regelabstand der Anzeigequerschnitte von 1,5 – 2,5 km vor. Mit diesem Regelabstand wird beispielsweise für einen Geschwindigkeitstrichter mit 120 km/h – 80 km/h – 60 km/h, wie er als Warnung vor einem Stau-Ende angezeigt wird, im Mittel eine Länge von 6 km vorgegeben. Bei Einhaltung der vorgegebenen Geschwindigkeiten entspricht dies einer Fahrtzeit von 4 1/2-Minuten, in der bei einer Steuerung im 60-Sekunden-Intervall vier, im 15-Sekunden-Intervall sogar 18 zwischen zeitliche Umschaltungen der SBA-Anzeigen erfolgen können. Bei einer in diesem Zeitraum erfolgten Stauauflösung resultieren daraus selbst bei einer perfekten und verzögerungsfrei arbeitenden SBA-Steuerung Fehlalarme aus Sicht der Verkehrsteilnehmer mit einem entsprechenden Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die SBA-Anzeigen.

Auch hinsichtlich des Ausmaßes von Verkehrsstörungen sind die vorgenannten Vorgaben der RWVA wenig zielführend. Gut 75 % der Verkehrsstörungen sind vom Umfang her kürzer als 2 km und haben eine Dauer von weniger als 10 Minuten (Bild 11). Dies ist auch bei größeren Abständen der Anzeigequerschnitte über die Störungsdauer und deren Ausbreitungsgeschwindigkeit ermittelbar. Von diesen kurzen Störungen sind jedoch in der Regel genügend Fahrzeuge betroffen, dass der Eingriff durch eine kollektive Steuerung nötig und sinnvoll ist. Sind die Verkehrsstörungen in ihrer Ausbreitung kürzer als der Abstand der Messquerschnitte, so können sich diese für einige Zeitintervalle zwischen den Messquerschnitten befinden und lösen dann in der Steuerung keine Stauwarnung oder Geschwindigkeitsbegrenzung aus. Als Abhilfe muss dann die Standzeit der Stauwarnung bzw. der Geschwindigkeitsbegrenzung erhöht werden. Dies hat wiederum zur Folge, dass das Risiko steigt, dass sich die Störungen während der verlängerten Standzeit auflösen und wiederum aus Sicht der Verkehrsteilnehmer Fehlalarme mit entsprechenden Folgen für die Glaubwürdigkeit der Anzeigen entstehen.

Bild 11: Ausmaß von Verkehrsstörungen

Das Bild 12 stellt eine ähnliche Problematik im Bereich einer Anschlussstelle dar, an der sich durch Überlastung an der Einfahrt synchronisierter Verkehr und Stau entwickelt. Zur Warnung vor dem Stau ist auf Höhe der Ausfahrt ein Anzeigequerschnitt erforderlich. Auf Höhe der Einfahrt wäre die Geschwindigkeitsbeschränkung aus verkehrstechnischer Sicht (freier Verkehr) aufzuheben. Ein hier platzierter Anzeigequerschnitte würde zwar die nach RWVA vorgegebenen Regelabstände unterschreiten, jedoch könnte die hier notwendige Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung angezeigt werden. Andernfalls wären die Verkehrsteilnehmer noch einen weiteren Kilometer nach dem Engpass einem Tempolimit unterworfen, das nicht annähernd mehr zu der Verkehrssituation passt; zudem sind die Voraussetzungen nach StVO für eine Geschwindigkeitsbeschränkung im Einfahrtbereich nicht gegeben.

Bild 12: Variantenbetrachtung zu AQ-Abständen an Anschlussstellen

An diesen Beispielen wird erkennbar, dass bereits die Planung einer SBA einen großen Einfluss auf deren spätere Wirksamkeit und vor allem Akzeptanz hat. Hier ist kritisch zu hinterfragen, ob die häufig von verschiedenen Stellen geführten Diskussionen nach Einsparung von Anzeigequerschnitten vor einem fachlichen Hintergrund geführt werden. Man muss sich die Frage zu stellen, ob es sinnvoll ist, durch Einsparung einiger Betonfundamente und Anzeigequerschnitte die Steuerung einer SBA zu erschweren, die Glaubwürdigkeit der SBA-Anzeigen zu mindern und damit die Akzeptanz und Wirksamkeit der SBA auf Dauer zu reduzieren. Da Entscheidungen und Prüfungen im Genehmigungsverfahren von SBA sich am bestehenden Regelwerk orientieren, bedürfen die RWVA aufgrund der in Hessen gemachten Erfahrungen zu einem qualitativ hochwertigen Betrieb von SBA dringend der Überarbeitung und der Anpassung an den Stand der Technik, um auf Dauer einen wirksamen Betrieb von SBA in Deutschland zu gewährleisten.

3.5 Verkehrsdynamik

Neben den baulichen Rahmenbedingungen einer Streckenbeeinflussungsanlage kommt über die Verkehrsdynamik der zeitliche Aspekt hinzu. Da alle über die Sensorik einer SBA erfassten Verkehrsdaten erst im folgenden Zeitintervall in die Steuerung einfließen, sollte diese die Verkehrsdynamik berücksichtigen. Der zugrunde liegende Mechanismus besteht im Wesentlichen darin, dass Verkehrsteilnehmer auf vorausfahrende Kfz reagieren. Dies führt bei entsprechend dichtem Verkehr dazu, dass sich Verkehrsstörungen als Wellen entlang der Fahrzeugkette ausbreiten, und zwar langsamer als die gefahrene Geschwindigkeit. Fahrzeugpulks bewegen sich mit etwa 120 km/h in Fahrtrichtung, was bei standardgemäßen SBA ca. zwei AQ pro Minute entspricht. Stärkere Verkehrsstörungen wie zum Beispiel Stau-Enden bewegen sich mit 16 bis 17 km/h entgegen der Fahrtrichtung. Somit ergibt sich bei üblichen AQ-Abständen eine Laufzeit von 3 bis 4 Minuten von einem gegebenen Anzeigequerschnitt zum stromaufwärts davon gelegenen Anzeigequerschnitt. Anhand von Geschwindigkeitsdaten aus vier Monaten der SBA im Abschnitt Gambacher Kreuz – Bad Homburger Kreuz der BAB A 5 wurde festgestellt, dass die Abgrenzung von vorwärts und rückwärts laufenden Verkehrsstörungen bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 90 bis 95 km/h liegt.

Bild 13: SBA-Steuerung mit Verkehrsdynamik

Die Konsequenz für die SBA-Steuerung ist im Bild 13 dargestellt: Zur Harmonisierung von Pulks wird den betroffenen Verkehrsteilnehmern eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h gezeigt, das heißt an den Querschnitten bis 2 km stromabwärts vom auslösenden Messquerschnitt. Mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h wird dagegen der auf die Störung zufließende Verkehr gewarnt, das heißt es wird ein kurzer Geschwindigkeitstrichter stromaufwärts des auslösenden Messquerschnitts angezeigt. In beiden Fällen wird damit die Weiterbewegung der jeweiligen Verkehrsstörung durch die Steuerung antizipiert.

3.6 Technische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Verkehrsablauf und Steuerung

Die Verkehrsdynamik wird auch durch die technischen Entwicklungen auf der Fahrzeugseite beeinflusst. Das Beschleunigungs- und Bremsvermögen der Pkw hat in den letzten 25 Jahren deutlich zugenommen. Konnte zum Beispiel der VW Golf II (Baujahre 1983 bis 1992) von 0 auf 100 km/h je nach Motorisierungsvariante in 16,7 s (60 kW) bis 7,4 s (kW) beschleunigen und verfügte über Trommelbremsen hinten, kann der Golf VII das vorgenannte Geschwindigkeitsniveau in 11,9 s (63 kW) bis 5,0 s (221 kW) erreichen, hat Scheibenbremsen rundum und serienmäßig ABS. Beim Golf II war ABS erst ab 1986 als Zusatzausstattung erhältlich.

Das um etwa 30 % erhöhte Beschleunigungs- und das gesteigerte Bremsvermögen der Fahrzeugflotte wirken sich in mehreren Aspekten auf den Verkehrsablauf aus:

  • es wird leichter, für Spurwechsel auf dem Nachbarstreifen Lücken anzusteuern;
  • Spurwechsel werden dadurch zahlreicher und dauern weniger lange;
  • die zahlreicheren Spurwechsel bewirken eine schnellere Pulkbildung;
  • bei gleich gebliebener Reaktionszeit der Fahrer nimmt die Kolonnenstabilität ab.

Nicht verändert hat sich dagegen die Geschwindigkeit der Anfahrwellen, da diese durch die Aufstellabstände und die Reaktionszeiten der Fahrer geprägt sind.

Für den Betrieb von SBA wurden aufgrund der vorgenannten Erkenntnisse in Hessen unter anderem die Konsequenzen gezogen, das Steuerungsintervall auf 15 s zu verkürzen, in den Schaltbildern der Harmonisierungsprogramme die Weiterbewegung von Pulks während des Messintervalls zu berücksichtigen und die Auslösung von Schaltanforderungen stärker auf den linken Fahrstreifen zu konzentrieren.

3.7 Technischer Betrieb

Neben der Anpassung der SBA-Steuerung an die sich verändernde Verkehrsdynamik sind auch Vorkehrungen gegen Ausfälle der Anlage zu treffen, um der Forderung nach einer hohen Verfügbarkeit der SBA Rechnung zu tragen. Fällt beispielsweise die Unterzentrale (UZ) einer SBA aus, geht diese in den Grundzustand („keine Anzeige“) und es findet keine Verkehrsbeeinflussung mehr statt. Mögliche Verluste bei der Verkehrssicherheit und der Akzeptanz wären die Folge. Denn der Zustand „keine Anzeige“ auf den  Wechselverkehrszeichen ist für die Verkehrsteilnehmer eine wesentliche Information bei voll funktionsfähiger Anlage, können sie doch darauf vertrauen, im folgenden Abschnitt nicht auf Störungen im Verkehrsablauf zu treffen. Für den Betreiber einer SBA sind Anlagenausfälle jeweils mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden.

Zur Vermeidung solcher Ausfälle werden Streckenbeeinflussungsanlagen in Hessen mit redundanten Unterzentralen betrieben (Bild 14), das heißt der standardmäßige Rechnerverbund aus Steuerungs-, Datenbank- und Kommunikationsrechner wird durch einen zweiten Rechnerverbund als Hot-Standby-System ergänzt. Die Hot-Standby-Systeme werden in der Verkehrszentrale Hessen auf virtuellen Servern zentralisiert. Dadurch wird der Aufwand für Energieversorgung, Verkabelung und Klimatisierung im Feld reduziert, da dort nur noch ein Rechnerverbund versorgt werden muss. Eine Unterzentrale muss jedoch im Feld verbleiben, damit im Falle einer Kommunikationsstörung zur VZH kein Ausfall der SBA erfolgt. Die zentralen Hot-Standby-Systeme werden schließlich virtualisiert, was zu weiteren Kostensenkungen bei Hardware und Betrieb führt. Im Ergebnis wird eine deutlich erhöhte Ausfallsicherheit zu vergleichsweise geringen Kosten für Hardware und Betrieb erreicht.

Bild 14: Zentralisierung der Unterzentralen

4 Verkehrstechnischer Betrieb und Steuerungsaspekte

4.1 Verkehrstechnischer Betrieb

Mit dem Ziel, die Steuerung von SBA in Hessen zu standardisie-ren, wurde von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde ein verkehrstechnisches Lastenheft für die Entwicklung einer Unterzentrale für die SBA-Steuerung erstellt. Dieses dient als Grundlage für die Implementierung neuer SBA, definiert Qualitätskriterien für Stauwarnung, Harmonisierung und Lkw-Überholverbot. Schließlich enthält das Lastenheft die verkehrstechnische Vorgabe der Steuerungslogik einschließlich der Standard-Parameter – das Steuerungsmodell SARAH (Streckensteuerung mit Antizipierendem Regelbasiertem Ansatz in Hessen).

Das Steuerungsmodell SARAH ist eine Weiterentwicklung der MARZ-Algorithmen (MARZ 1999) mit dem Ziel, die Steuerungsqualität zu erhöhen. Im Gegensatz zum MARZ erfolgt die Steuerung aller verkehrsbezogenen Automatikprogramme mit Ausnahme des Lkw-Überholverbots über fahrstreifenbezogene Schwellenwerte. Damit wird eine deutlich bessere Anpassung der Steuerung an die unterschiedlichen Geschwindigkeitsniveaus auf den Fahrstreifen, an die Fahrstreifennutzung durch die Verkehrsteilnehmer und an örtliche Besonderheiten ermöglicht. Auch die Steuerung des Lkw-Überholverbots wurde modifiziert; sie entspricht einer Erweiterung der MARZ-Logik für Lkw-Überholverbot bei Nässe. Zusätzlich zu den Programmen des MARZ gibt es noch Automatikprogramme zur Ein- und Ausfahrtharmonisierung sowie für Ausfahrtstau und für Lkw-Stau.

Aus dem MARZ beibehalten wurde der Grundsatz eines regelbasierten Steuerungsverfahrens, da nach Meinung der Verfasser nur dieser Ansatz eine ausreichend transparente und nachvollziehbare Abbildung der StVO-Vorgaben und der verkehrsbehördlichen Anordnung ermöglicht. Der regelbasierte Ansatz ermöglicht neben der kurzfristigen Reaktion auf sich ändernde verkehrstechnische Anforderungen auch das Testen von Steuerungsparametern anhand historischer Verkehrsdaten. Der antizipierende Ansatz entsteht schließlich durch die Berücksichtigung der Verkehrsdynamik in den Schaltbildern (vgl. Abschnitt 3.5).

4.2 Steuerungsstrategie

Das grundlegende Steuerungskonzept basiert auf der programmtechnischen Implementierung der Steuerungslogik und legt dabei die jeweiligen Einsatzbereiche für die manuellen Programme und die Automatikprogramme fest. Auslöser für die manuellen Programme sind in der Regel Arbeitsstellen kürzerer und längerer Dauer als planbare Ereignisse sowie nicht planbare Ereignisse wie z. B. Unfälle und Pannenfahrzeuge. Der Standardfall ist dabei die manuelle Steuerung durch Sonderprogramme, um die Automatikprogramme noch, soweit wie im Rahmen von Priorisierung, Quer- und Längsabgleich möglich, wirken zu lassen. Handprogramme werden nur zur Anzeige niedrig priorisierter – aber im konkreten Fall erforderlicher – Verkehrszeichen oder im Fall einer Funktionsstörung der SBA angewendet.

Die Anzeige statischer oder zeitabhängiger Geschwindigkeitsbeschränkungen – auch die sogenannte Deckelung von Höchstgeschwindigkeiten – ohne parallele Darstellung mit statischer Beschilderung über SBA ist auszuschließen. Auf diese Weise soll die Erwartungshaltung der Verkehrsteilnehmer, dass die SBA-Anzeigen aktuell und situationsangepasst sind, bestärkt werden. Zudem kann nur dadurch die Akzeptanz auf hohem Niveau gehalten werden.

4.3 Steuerungskonzept Automatikprogramme

Die StVO betont die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer und sieht Verkehrsbeschränkungen nur dort vor, wo dies auf Grund besonderer Umstände zwingend geboten ist. Insofern erwarten die Verkehrsteilnehmer zurecht, dass den SBA-Anzeigen entsprechende Verkehrssituationen zugrunde liegen. Dies bedeutet aber nicht, den Verkehrsteilnehmern mit Harmonisierungsprogrammen ihre eigenen Geschwindigkeiten zu verordnen, das heißt die Anlage wie einen riesigen Tachometer zu steuern. Vielmehr sieht das Steuerungskonzept von SARAH für jedes Automatikprogramm konkrete Steuerungsziele und Einsatzbereiche vor. In Überlastungssituationen ist damit in der Regel für die Verkehrsteilnehmer eine Vorausschau auf die noch außerhalb des Sichtbereichs befindliche Verkehrssituation verbunden.

Bei mittlerem und hohem Verkehrsaufkommen soll zunächst mittels Lkw-Überholverbot die Bildung von Pkw-Pulks vermindert und Geschwindigkeitsdifferenzen auf dem linken Fahrstreifen reduziert werden. Einsatzkriterum ist ein – bezogen auf die Fahrstreifenzahl – relativ hohes Pkw-Aufkommen bei einer Mindestmenge an Lkw-Verkehr. Bei drohenden Lkw-Staus kommt als Option die Deaktivierung des Lkw-Überholverbots dazu.

Haben sich bereits Pulks gebildet, wird durch Harmonisierung mit 120 km/h die Angleichung der Geschwindigkeiten in Längsrichtung angestrebt. In der Praxis hat sich eine hohe Bemessungsverkehrsstärke auf dem linken Fahrstreifen als guter Indikator für Pulks herausgestellt. In Übergangssituationen von und zu hohen Auslastungen besteht dabei die Herausforderung, eine situationsgerechte und gleichzeitig stabile Schaltung zu erreichen. Hinzu kommt die Problematik, dass unter dem Einfluss der Harmonisierung die rechten Fahrstreifen stärker genutzt werden und damit der Schaltgrund wieder entfallen kann. In diesem Sinne stellt die Harmonisierung auch eine selbstzerstörende Prognose dar. Hier bewähren sich geeignet gewählte Mindestschaltdauern und Anzeigelängen eher als Hysteresen, für die die stochastischen Schwankungen einfach zu groß sind, oder Glättungen, die die Zeitverzögerungen noch verstärken und dazu führen, dass dem Verkehr hinterher gesteuert wird. Wird diesen Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, besteht das Risiko, die Verkehrsteilnehmer einem nicht nachvollziehbaren Wechsel zwischen Harmonisierung und Dunkelschaltung auszusetzen. Wird dabei zu viel Wert auf ein ruhiges Schaltbild gelegt, steigt die Häufigkeit von Situationen, in denen die Verkehrsteilnehmer keinen Grund für die Harmonisierung erkennen können. Spätestens bei weniger als 10 Kfz/Min auf dem linken Fahrstreifen sollte das Programm dann nicht mehr angezeigt werden, da es sonst von den Verkehrsteilnehmern als Gängelung empfunden werden kann.

Ist die Kapazitätsgrenze erreicht, wird die Harmonisierung von 100 km/h zur Verminderung der Geschwindigkeitsdifferenzen in Längs- und Querrichtung angewendet. Diese soll außerdem den Zufluss in dichte Pulks zurückhalten und den Verkehr am Ende des Pulks stabilisieren. In der Praxis lässt sich mit diesem Programm auch die Kapazität eines Streckenabschnitts zur Verbesserung des Verkehrsablaufs an Engpässen beeinflussen. Da die Verkehrsstärke im Bereich der beginnenden Instabilitäten des Verkehrsablaufs für die Situationserkennung weniger geeignet ist, wird das Programm in SARAH durch hohe Bemessungsdichten ausgelöst.

Die Harmonisierung von 80 km/h wird zur Warnung vor stockendem Verkehr stromabwärts gezeigt. Darüber hinaus soll der Verkehrsfluss auf niedrigem Geschwindigkeitsniveau stabilisiert werden und Geschwindigkeitsdifferenzen in Längs- und Querrichtung reduziert werden. In der Praxis lässt sich die Entstehung eines überlastungsbedingten Staus noch um 10 bis 15 Minuten hinauszögern.

Die Stauerkennung erfolgt über die Unterschreitung fahrstreifenbezogener Geschwindigkeitsschwellenwerte, die von den Anzeigezuständen abhängen. Auf wie vielen Fahrstreifen die Schwellenwerte unterschritten sein müssen hängt darüber hinaus von der Bemessungsverkehrsstärke am Querschnitt ab. Auf diese Weise wird, wenn nicht auf allen Fahrstreifen Stau ist, eine Art Mehrheitsprinzip realisiert, das sich in der Praxis sehr bewährt hat.

Zur Ausfahrtharmonisierung und bei Ausfahrtstau haben sich Schaltbilder mit von rechts nach links ansteigenden Tempolimits bewährt (Bild 15). Auf diese Weise gelingt eine gewisse Entkoppelung der ausfahrenden Ströme vom Hauptstrom mit der Folge, dass sich der Ausfahrtstau erst später oder sogar überhaupt nicht in die Hauptfahrbahn ausbreitet. Durch die Überlagerung mit den gleichzeitig stromauf- und stromabwärts laufenden Harmonisierungsprogrammen entstehen durch den fahrstreifenweisen Längsabgleich im Ausfahrtbereich Gesamtschaltbilder, die sich sehr flexibel der aktuellen Verkehrssituation anpassen.

Bild 15: Schaltbild Ausfahrtstau

Die Erfassung der Umfeldsituation ist durch Unschärfen geprägt, die auch mit einer deutlichen Verbesserung der Sensorik nur begrenzt reduziert werden können, da immer teilweise deutliche Abweichungen der Verhältnisse auf der Strecke vom Standort des Sensors auftreten können. Vor diesem Hintergrund ist z.B. eine feine Unterteilung von Niederschlagsstufen nicht sinnvoll. Dies auch unter dem Aspekt, dass außerhalb von SBA die Geschwindigkeit bei Nässe nur dann auf 80 km/h beschränkt wird, wenn es zu einer Häufung von Unfällen bei Nässe in Verbindung mit Griffigkeitsdefiziten der Fahrbahn kommt. Daher beschränkt sich die SBA-Steuerung der Regenprogramme in Hessen bei geringer Niederschlagsintensität auf eine Verschärfung der Harmonisierung. Erst bei stärkerem Niederschlag wird ein Regenprogramm mit Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h geschaltet oder ein Starkregenprogramm mit Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h (Bild 16). Damit wird der bereits oben genannten Auslegung der StVO entsprochen.

Bild 16: Regenprogramme im Zuge von SBA in Hessen

4.4 Integration in Phasenpläne für Arbeitsstellen

Hessen hat im Jahr 2013 sogenannte Phasenpläne für Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) eingeführt, die als Bestandteil der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht nur den Zustand der Arbeitsstelle während der Arbeiten enthalten, sondern auch den kompletten Prozess des Aufund Abbaus der Arbeitsstelle. Die Phasenpläne sehen im Bereich von SBA deren Unterstützung bei der Sperrung vor. Im Bild 17 wird deutlich, dass der für die Sperrung erforderliche Aufwand deutlich reduziert wird, da beispielsweise auf Vorwarntafeln und statische Beschilderung verzichtet werden kann. Außerdem wird die Anzahl der Auf- und Abbauphasen von neun auf fünf reduziert. Zudem ist die SBA in den kompletten Auf- und Abbauprozess integriert, so dass Widersprüche zwischen SBA und statischer Beschilderung bei AkD im Bereich von SBA durchgängig vermieden werden können. Die dazu erforderlichen Handschaltungen werden von den Operatoren der Nachtschicht alle vorbereitet und dann bei Auf- und Abbau der AkD phasenweise aktiviert.

Bild 17: Phasenpläne für Arbeitsstellen kürzerer Dauer mit und ohne SBA

4.5 Perspektive im SBA-Betrieb

Der Betrieb von SBA wird durch vielfältige äußere Ereignisse Störungen ausgesetzt, seien es Unfallschäden an Außenanlagen oder Beschädigungen der Energieversorgung oder der Kommunikationseinrichtungen, auf die ad hoc reagiert werden muss. Zumindest bei geplanten Ereignissen, das heißt Arbeitsstellen längerer Dauer (AlD), ist in gewissem Umfang eine Reduzierung der Beeinträchtigung des regulären Betriebs möglich.

Üblicherweise wird bei AlD die SBA im Baustellenbereich sowie in deren Zulauf (Baustellentrichter) außer Betrieb genommen und durch statische Beschilderung ersetzt. Dies bedeutet, dass eine Stauwarnung durch die SBA stromaufwärts der Baustelle nur eingeschränkt umgesetzt werden kann, da der Geschwindigkeitstrichter vor der Baustelle bei einer konventionellen Beschilderung nicht dynamisch an die aktuelle Verkehrssituation angepasst werden kann. Zudem ergeben sich durch die Abfolge dynamischer SBA-Anzeigequerschnitte und statischer Verkehrszeichen (Blechbeschilderung) unter Umständen inkonsistente Geschwindigkeitsbeschränkungen. Durch eine Ergänzung provisorischer Anzeigequerschnitte im Zulauf auf die Baustelle (Bild 18) kann die SBA jedoch für die Steuerung des zufließenden Verkehrs genutzt und eine flexible Anpassung des Geschwindigkeitstrichters im Falle eines Staus ermöglicht werden. Damit kann eine Stauwarnung bis direkt vor die Baustelle wirken. Die verbesserte Zulaufsteuerung trägt sowohl zur Erhöhung der Verkehrssicherheit als auch zur Steigerung der Verkehrseffizienz bei.

Bild 18: Baustelle mit integrierter SBA

Anlässlich einer Fahrbahnsanierung im Bereich der SBA BAB A 5 wurde dies im Rahmen des Pilotprojekts „Baustelle im 21. Jahrhundert“ umgesetzt (Bild 19) und die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit analysiert.

Diese lässt sich durch einen Vergleich der sogenannten Unfallraten beurteilen, das ist die jeweilige Anzahl der Unfälle, die sich pro Million gefahrener Kilometer ereignen. Die Unfallrate in der Baustelle im 21. Jahrhundert wurde verglichen mit

  • der Unfallrate aller Baustellen in Hessen im Jahr 2012,
  • der Unfallrate im gleichen Streckenabschnitt ohne Baustelle im Jahr 2011 (2012 war in diesem Bereich eine andere Baumaßnahme) und
  • der Unfallrate aller Autobahnen in Hessen im Jahr 2012.

Bild 19: Aktiver SBA-Querschnitt in einer Baustelle

Im Ergebnis erkennt man, dass die Unfallrate in der Baustelle im 21. Jahrhundert auf dem gleichen Niveau der Unfallrate im gleichen Abschnitt ohne Baustelle (BAB A 5, 2011) lag und sich beide Werte kaum von der Unfallrate aller hessischer Autobahnen unterscheiden. Im Vergleich mit der Unfallrate in allen hessischen Autobahnbaustellen erkennt man, dass der Sicherheitsgewinn deutlich ausfällt (Bild 20).

Die aus der Baustelle im 21. Jahrhundert zu ziehende Erfahrung ist, dass sich die Anstrengungen lohnen, SBA bei Arbeitsstellen längerer Dauer, soweit es die örtlichen Rahmenbedingungen zulassen, weiter zu betreiben. Angesichts des hohen aktuellen Instandsetzungsbedarfs auf Autobahnen ist dies ein weiterer Beitrag zum zuverlässigen Betrieb von SBA und zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Einbußen durch eine länger andauernde Außerbetriebnahme der SBA bei gleichzeitiger Verschärfung der Verkehrssituation durch die Einrichtung einer Baustelle.

Bild 20: Sicherheitsbetrachtung einer Baustelle mit integrierter SBA

Als weitere Perspektive ist die Weiterentwicklung des antizipierenden Steuerungsansatzes über eine modellbasierte Erkennung und Verfolgung von zeitlich-räumlichen Verkehrsmustern vorgesehen. Dafür in Frage kommen die Modelle ASDA (Automatische Staudynamikanalyse) und FOTO (Forecasting Of Traffic Objects), die auf Basis der Drei-Phasen-Verkehrstheorie von Kerner entwickelt wurden. Die Modelle ASDA und FOTO bestimmen den zeitlich-räumlichen Verlauf der Flanken von gestauten Verkehrsphasen auch zwischen lokalen Verkehrserfassungsdetektoren. Die Flanken (oder Fronten) werden auf Basis von stationären Messdaten zwischen den Messstellen verfolgt und fortgeschrieben. Somit ermöglichen ASDA und FOTO eine lückenlose Verfolgung und Fortschreibung von gestauten Verkehrsgebieten, auch wenn keine gleichmäßige lückenlose Erfassung des Verkehrs gegeben ist. Dies wurde in umfangreichen Untersuchungen in Hessen mit Erfassungsinformationen verschiedener Vollständigkeit und einer Einschätzung der möglichen Modellgüte nachgewiesen, das heißt die Eingangsinformationen wurden immer weiter eingeschränkt bei gleichzeitiger Bewertung der noch möglichen ASDA/FOTO-Modellaussagen. Die Modelle werden seit Mitte der 1990er Jahre in der Verkehrszentrale Hessen erprobt, weiterentwickelt und mittlerweile flächendeckend für die Verkehrslageanalyse und Reisezeitbestimmung auf Autobahnen in Hessen eingesetzt. Die Qualität der Verkehrsphasenerkennung und Verkehrsphasenverfolgung ist durch Fusion mit weiteren Detektorsystemen noch erweiterungsfähig, wie zum Beispiel durch Integration von FCD (Floating Car Data).

Bild 21: Zeitlich und räumlich kontinuierliche SBA-Steuerung

Das frühzeitige Erkennen von ortsfesten Störungen (synchronisierter Verkehr) und sich bewegenden Stauwellen mit Hilfe von ASDA/FOTO ermöglicht die sofortige Aktivierung von SBAProgrammen zur Beeinflussung des Verkehrs. Dabei ist man weder an die Messquerschnitte, noch an die Anzeigequerschnitte gebunden. Die bisherigen Indikatoren für das Auslösen eines Schaltgrundes können somit über die Querschnitte hinweg verknüpft werden und es lassen sich ganz neue Indikatoren auf der Basis der raum- und zeitkontinuierlichen Verkehrslage entwickeln. Die Schaltlogik könnte dann auf einem Steuerungsmodell basieren, das gemäß Bild 21 die ganze Dynamik der Verkehrsabläufe auf dem kompletten Autobahnabschnitt berücksichtigt.

4.6 Streckenbeeinflussung der Zukunft

In Zukunft werden Fahrzeuge untereinander und mit der straßenseitigen Infrastruktur kommunizieren und dabei Daten austauschen (Bild 22). Verkehrsinformationen werden somit in Echtzeit von Fahrzeug zu Fahrzeug sowie von Fahrzeugen an die Verkehrsinfrastruktur und umgekehrt übertragen. Dadurch entsteht ein vernetzter Systemverbund aus Fahrzeugen und Straße. Dieser wird in den Fahrzeugen so umgesetzt, dass der Nutzer durch eine Vielzahl von neuen Funktionen und Informationssystemen bei der Ausübung seiner Fahraufgabe unterstützt wird. So können Fahrer unmittelbar und ortsgenau vor einem Stauende, einem liegengebliebenen Fahrzeug oder einer Baustelle gewarnt werden und erhalten präzise Informationen zur Verkehrslage oder differenzierte Umleitungsempfehlungen direkt ins Fahrzeug.

Bild 22: Einbindung einer Streckenbeeinflussungsanlage in C2X – Kooperative Systeme

Die Verkehrszentralen erhalten in einem kooperativen System anonymisierte Daten zu Position und Geschwindigkeit der Fahrzeuge sowie weitere wichtige Informationen aus der Fahrzeugsteuerung – zum Beispiel starke Bremsverzögerung, Aktivierung von Sicherheitssystemen – zur Verfügung. Auf dieser Basis können Präzision und Aktualität der Verkehrslageermittlung und der Erkennung von wichtigen Ereignissen weiter verbessert werden.

Für den Aufbau kooperativer Systeme ist eine Vielzahl komplexer Herausforderungen zu bewältigen. Dazu betreibt Hessen Mobil mit dem DRIVE-Center Hessen neben der Verkehrszentrale Hessen eine weitere Einrichtung geschaffen, wo diese hochmodernen Technologien in bedeutenden nationalen und internationalen Projekten wie z. B. AKTIV, DIAMANT, simTD und CONVERGE gemeinsam mit Industrie und Wissenschaft erprobt werden. Hier ist die erste kooperative Verkehrszentrale der Zukunft entstanden, von der aus das DRIVE-Testgebiet, bestehend aus den Autobahnen und einigen Bundesstraßen im Rhein-Main-Gebiet, gesteuert wird. Hier wurde im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projekt AKTIV (Adaptive und Kooperative Technologien für den Intelligenten Verkehr) auf der BAB A 3 im Bereich des Frankfurter Kreuzes erstmals eine SBA virtualisiert. Während der Verkehr noch über stationäre Messstellen erfasst wurde, erfolgte die Übertragung der Anzeigen zur Streckenbeeinflussung in Höhe dieser Messquerschnitte ausschließlich über direkte Kommunikation in die Fahrzeuge. Für die Steuerung wurde auf das Modell SARAH zurückgegriffen.

Die Virtualisierung der SBA-Anzeigen geht zunächst von der Weiterentwicklung der Verkehrszeichenerkennung aus, die dann durch eine direkte Übermittlung der Verkehrszeichen in die Fahrzeuge ergänzt und später ersetzt werden kann. Sobald die Streckenbeeinflussung nur noch über die direkte Verkehrszeichenübermittlung in die Fahrzeuge erfolgt, kann auf Anzeigequerschnitte an festgelegten Positionen verzichtet werden und die SBA-Anzeigen können räumlich-zeitlich flexibel bei Bedarf erfolgen. Neben den für diesen Entwicklungspfad zu klärenden juristischen Fragen stellt die Verkehrszeichenübermittlung in das Fahrzeug hinsichtlich der Anforderungen an die Echtzeitkommunikation eine der größten technischen Herausforderungen dar, insbesondere dann, wenn man statt der quasi-statischen Kommunikation über W-LAN-Einheiten (ITS-Road-Side-Stations) den Mobilfunk zur Datenübertragung in die Fahrzeuge nutzen möchte.

Bild 23: Virtuelle SBA

Die parallel zu vollziehende Virtualisierung der Verkehrserfassung betrifft die Nutzung der in kooperativen Systemen anfallenden xFCD (extended Floating Car Data) in der SBA-Steuerung. Neben der räumlichen und zeitlichen Verdichtung der nutzbaren Verkehrslageinformationen sind hier erweiterte Informationen über Fahrzustände von Interesse wie zum Beispiel Funktion von Bremslicht oder Scheibenwischer. Hier sind in einem ersten Schritt die räumlich-zeitlich verteilten Positions- und Geschwindigkeitsdaten so zu einer Verkehrslage aufzubereiten, dass diese in das Steuerungsmodell der SBA, beispielsweise als Zusammenfassung zu virtuellen Zwischenquerschnitten, einfließen können. Analog kann bereits hier bei der Ergänzung der Umfelddaten mit xFCD vorgegangen werden. Sobald das xFCD-Aufkommen für eine kollektive Verkehrsbeeinflussung ausreichend groß und repräsentativ geworden ist, können bisher nicht verfügbare erweiterte Steuerungskriterien aufgenommen werden.

Führt man beide Entwicklungspfade zusammen, wird die Streckenbeeinflussung räumlich und zeitlich so flexibel, dass durch schrittweise Verringerung der zu beeinflussenden Verkehrssituationen und -störungen eine noch dynamischere Steuerung bis hin zur völligen Individualisierung möglich wird. Darüber hinaus sollte damit eine deutliche Reduzierung der Investitionskosten für SBA einhergehen, mit deren Hilfe dann Verkehrsablauf und -sicherheit auch auf solchen Strecken ermöglichen, auf denen Errichtung und Betrieb einer konventionellen SBA nicht wirtschaftlich wären.

5 Fazit und Ausblick

Die SBA in Hessen haben sich als volkswirtschaftlich hoch wirk-same Maßnahme erwiesen, deren Investitionskosten sich oft nach weniger als drei Jahren durch vermiedene Unfallkosten und durch eingesparte Reisezeitverluste amortisiert haben. Darüber können sich unter dem Einfluss der SBA-Steuerung die verkehrsbedingten PM10- und NOx-Emissionen um knapp 10 % verringern, womit Effekte in gleicher Größenordnung wie bei reinen Umwelt-SBA erreicht werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist jedoch ein zuverlässiger Betrieb mit einer hohen Steuerungsqualität, mit der das Vertrauen der Verkehrsteilnehmer in die SBA-Anzeigen gewonnen werden kann. Fehlende Akzeptanz kann nicht durch stationäre Geschwindigkeitsüberwachungseinrichtungen im Verlauf von SBA kompensiert werden; vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verkehrsteilnehmer dann nur punktuell die Geschwindigkeitsanzeigen befolgen und so eher die Inhomogenität des Verkehrsflusses gesteigert wird.

Den wesentlichen Herausforderungen im SBA-Betrieb – Rechtskonformität, Transparenz, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit – begegnet Hessen Mobil durch regelmäßige Qualitätssicherung, bei der die Kundenorientierung im Mittelpunkt steht. Dafür muss man im laufenden Betrieb einen Aufwand von mindestens 2–3 Personentagen pro Monat je Anlage kalkulieren. Ferner bedarf es dazu qualifizierter Verkehrsingenieure, die diese Aufgabe in engem Zusammenwirken mit der zuständigen Straßenverkehrsbehörde und den Operatoren der Verkehrszentrale wahrnehmen.

Die Erwartungshaltung der Verkehrsteilnehmer auf Strecken mit SBA ist eine andere als auf Strecken mit Beschränkungen mittels (Blech-)Beschilderung; folglich verhalten sie sich anders. Der Betrieb von Streckenbeeinflussungsanlagen erfordert daher eine Steuerungsphilosophie, die sich nicht an der sonst üblichen Reglementierung mittels statischer Beschilderung orientieren darf, sondern stärker am Nutzer/Verkehrsteilnehmer ausgerichtet sein muss. Dies in Einklang mit den verkehrstechnischen Zielen umzusetzen bedeutet eine Gratwanderung hinsichtlich der Optimierung der Steuerungsparameter.

Ein wesentliches Hilfsmittel in Hessen ist dabei das nach Anforderungen der Straßenverkehrsbehörde entwickelte Steuerungsmodell SARAH, mit dessen Hilfe sich die Steuerung an örtliche Gegebenheiten und das Fahrverhalten anpassen lässt und das eine Rückverfolgung der Schaltungen bis zu den Messwerten ermöglicht.

Im Rahmen der Einführung kooperativer Systeme eröffnen sich Möglichkeiten der Virtualisierung sowohl der Verkehrserfassung als auch der Anzeigesysteme. Die technische Machbarkeit wurde bereits in Hessen erprobt. Perspektivisch wird sich auf der Basis vernetzter Fahrerassistenz eine zunehmende Individualisierung der kollektiven Verkehrssteuerung entwickeln, die entsprechenden Raum für weitere Kapazitätssteigerungen und Sicherheitsgewinne bieten wird.

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