FGSV-Nr. FGSV 002/120
Ort Karlsruhe
Datum 19.09.2017
Titel Winterradler – ein innovatives Konzept für den Radwegwinterdienst in Wien
Autoren Dr. techn. Dipl.-Ing. Peter Nutz
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

Die Magistratsabteilung 48 – Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark (MA 48) der Stadt Wien ist für den Winterdienst in der Stadt Wien zuständig. Um dem zunehmenden Radverkehr Rechnung zu tragen, setzte die MA 48 in den vergangenen Jahren eine Fülle von Maßnahmen zur Optimierung zur winterlichen Betreuung der Radwege ein. Im Jahre 2010 begannen die Vorplanungen für die Umgestaltung des Winterdienstes auf den wichtigsten Radverbindungen, den sogenannten Basisrouten. Ein auf Basisrouten aufbauendes „Winter-Radwegebasisnetz“ wurde festgelegt, auf dem Schnee und Eis unabhängig von Bezirksgrenzen und Zuständigkeiten der unterschiedlichen Magistratsabteilungen bekämpft werden. Im Zuge dieser Planungen wurden auch Verwaltungsabkommen mit den Magistratsabteilungen MA 42 (Wiener Stadtgärten), MA 45 (Wiener Gewässer) und MA 49 (Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien) abgeschlossen, um eine durchgängige, einheitliche winterliche Betreuung durch die MA 48 zu erzielen. Das Winter-Radwegebasisnetz erstreckte sich im ersten Jahr auf ca. 255 km. Die für dieses Netz neu erstellten „R-Pläne“ wurden erstmals in der Winterdienstsaison 2011/2012 eingesetzt und mit neu angeschafften Traktoren und Soleanhängern (sogenannte „Winterradler“) befahren. Als Auftaumittel für die R-Pläne kommt großteils reine Sole, teilweise auch Feuchtsalz zur Anwendung. Um die flächendeckende Versorgung mit Sole zu gewährleisten, wurden 12 Standorte mit semimobilen Kleinsoleanlagen ausgestattet. Diese finden durch die kompakte Bauform auch in kleineren Unterkünften Platz. Um die laufende Aktualisierung und Planung des Winter-Radwegebasisnetzes mithilfe des GIS-Datenbestandes zu gewährleisten, arbeitete die MA 48 eng mit den Magistratsabteilungen MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung) und MA 46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten) zusammen. So wurden spezielle MA 48-Zusatzattribute für den GIS-Radwegebestand der MA 46 eingerichtet. Damit ist eine schnelle Klärung der Zuständigkeiten aller Radverbindungen in Wien möglich. Das Winter-Radwegebasisnetz wuchs bis zum Jahr 2017 auf ca. 280 km an. Die R-Pläne wurden jährlich darauf abgestimmt und aktualisiert. Das Winter-Radwegebasisnetz wird besonders intensiv betreut. Die restlichen über 1.000 Kilometer Radwege in Wien werden im Zuge der weniger stark befahrenen Nebenstraßen und Nebenfahrbahnen von der MA 48 ebenfalls mitgeräumt. Der Schwerpunkt der Räumung liegt bei jenen Radwegen, die für Radpendlerinnen und -pendler von besonderer Wichtigkeit sind.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Grundlagen des Winterdienstes in Wien

Entsprechend der Geschäftseinteilung für den Magistrat der Stadt Wien obliegt der Magistratsabteilung 48 – Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark (MA 48), die Durchführung des Winterdienstes auf allen im Stadtgebiet gelegenen öffentlichen Straßen mit Ausnahmen der Autobahnen und Schnellstraßen sowie auf Gehwegen, soweit nicht Dritte zuständig sind.

Der Winterdienst der Stadt Wien ist organisatorisch im Betriebsbereich Straßenreinigung und Winterdienst der MA 48 angesiedelt und wird dabei durch andere Betriebsbereiche und Betriebsabteilungen unterstützt, wie z. B. vom Fuhrpark und vom Technik Center (Werkstätte der MA 48). Die Leitung des Winterdiensteinsatzes erfolgt durch den jeweils diensthabenden Winterdienstleiter. Der Funkeinsatzleiter ist in der Funkzentrale für die Alarmierung und Lenkung des Winterdienstes zuständig.

In der Organisationsstruktur des Betriebsbereichs Straßenreinigung und Winterdienst ist die Stadt Wien in 13 Kehrbezirke unterteilt (12 Kehrbezirke Tag und 1 Kehrbezirk Nacht), die sich aus 1 bis 3 politischen Bezirken zusammensetzen. Die Leitung und Verantwortung hat jeweils die Kehrbezirksleiterin/der Kehrbezirksleiter. Jeder Kehrbezirk kann optimal von mindestens einem Lagerplatz (Abfallplatz/Winterdienstlagerplatz) versorgt werden. Insgesamt stehen auf den 13 Winterdienstlagerplätzen 31 Auftaumittelsilos und 17 Solemischanlagen zu Verfügung.

Alle Streugeräte der MA 48 und der unter Vertrag stehenden privaten Fuhrwerker sind Feuchtsalzstreugeräte, womit der Einsatz von FS 30-Streuung im gesamten Stadtgebiet der Regelfall ist. In einigen wenigen Straßenzügen ist der Einsatz von Feuchtsalz nicht möglich, weshalb in diesen Fällen andere Streumittel eingesetzt werden. Neue Streugeräte werden als Kombistreugeräte mit Streuteller und Sprühbalken für Sole bzw. FS50-tauglich beschafft.

Tabelle 1: Fakten zum Winterdienst in Wien

Jedes Jahr nimmt die Anzahl von RadfahrerInnen, die im Winter in Wien unterwegs sind, stetig zu. Um diesen positiven Effekt anzukurbeln, sind unterstützende Maßnahmen für Winterradlerinnen bei Eis und Schnee erforderlich. Es wurde daher bereits 2009 mit einer Verbesserung der winterlichen Betreuung für Radfahrerinnen begonnen.

Grundlage ist ein definiertes Winterbasisradwegenetz. Dieses Basisnetz mit einer Länge von aktuell rund 280 km beinhaltet wichtige Radwege mit einer besonderen Bedeutung für den Berufsverkehr und genießt – im Vergleich zu den restlichen Radwegen – eine priorisierte winterliche Betreuung. Die verbleibenden 1.000 Kilometer Radwege werden im Zuge des Straßennetzes mitbetreut (siehe Bild 1).

Bild 1: Karte der Winterbetreuung der Wiener Radverkehrsanlagen Basisrouten 2016/2017
(Download unter https://www.wien.gv.at/verkehr/radfahren/pdf/winterraeumung.pdf)
 

2 Planung der winterlichen Betreuung von Radwegen

2.1 Rechtliche Grundlagen

Radwege gelten im Sinne der Wegehalterhaftung § 1319a ABGB als „Weg“ und sind daher winterlich zu betreuen. Dabei wird im ABGB keine konkrete Maßnahme angeführt, ein „mangelhafter Zustand“ eines Weges begründet jedoch eine Schadensersatzpflicht des Wegehalters. Die Konkretisierung der winterlichen Betreuung, etwa Betreuungszeitraum, Umlaufzeiten etc. erfolgt in Österreich in den Richtlinien RVS 12. 4. 12 (FSV 2010). Für den Radverkehr sind die urbanen Winterdienstkategorien P4 und P5 wesentlich.

– P4: Getrennt geführte Radwege als Verbindung von Ortsteilen bzw. mit Bedeutung für den Berufsverkehr/Schulverkehr

– P5: Getrennt geführter Radweg als Verbindung mit einer örtlichen Erschließungsfunktion bzw. Freizeitverkehr

In den RVS wird etwa für die Kategorie P4 ein Betreuungszeitraum 6 bis 19 Uhr und eine Umlaufzeit von max. 12 h bei leichten Schneefällen gefordert. Der Zustand nach Einsatzende soll eine trockene Fahrbahn sein, Vereisungsreste und Spurrillen sind nicht auszuschließen. Für die Kategorie P5 wird noch eine Umlaufzeit nach Bedarf gefordert.

2.2 Zuständigkeitsklärungen

Die MA 48 ist für die winterliche Betreuung von Radwegen im öffentlichen Gut zuständig. Dabei wird zwischen folgenden Typen unterschieden:

Fahrradstreifen auf der Fahrbahn

Baulich getrennter Radweg

Gemischter Geh- und Radweg.

Fahrradstreifen auf der Fahrbahn werden im Zuge der Schneeräumung der Straße im zweiten Räumdurchgang betreut. Gemischte Geh- und Radwege werden von der MA 48 an private Firmen zur Betreuung vergeben. Die baulich getrennten Radwege werden durch eigene Fahrzeuge und eigenes Personal der MA 48 betreut.

In Zusammenarbeit mit dem Fahrradkoordinator der Stadt Wien wurde ein Winterbasisradwegenetz erstellt, welches die wichtigsten und viel befahrenen Radwegverbindungen zusammenfasst. Bei der Erstellung dieses Netzes war eine Durchgängigkeit der Hauptradwege ein wesentliches Ziel. Problematisch war dabei die Zuständigkeit mehrere Dienststellen für die Betreuung der Radwege. Der Großteil liegt in der Zuständigkeit der MA 48. Teile dieses Hauptnetzes laufen entlang von Wienfluss oder Donaukanal, wobei hier die MA 45 – Wiener Gewässer zuständig sind. Analoges gilt für Strecken durch Parkanlagen (MA 42 – Wiener Stadtgärten) und Waldflächen (MA 49-Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien). Um eine einheitliche winterliche Betreuung zu ermöglichen, wurden daher Verwaltungsabkommen zwischen den Dienststellen abgeschlossen, in welchen die MA 48 die winterliche Betreuung der betroffenen Teilstücke übernimmt.

2.3 Routenplanung

Nach Klärung der Zuständigkeiten und Festlegung des Netzes mussten die entsprechenden Routen geschaffen werden. Dazu wurde das Radwegenetz einmalig befahren und auf mögliche Problemstellen für den Einsatz von Traktor und Anhänger kontrolliert. Wichtig waren dabei insbesondere Radwegbreite und Kurvenradien. Ebenso die Höhe bei Brücken bzw. Verkehrsschildern.

Das Bild 2a zeigt ein Beispiel einer möglichen Einengung durch Verkehrszeichen bzw. abgestellte Fahrräder. Ebenso sind Rampen oder sonstige enge Kurvenradien problematisch, wie Bild 2b zeigt. Diese Problemstellen müssen bei der Auswahl der auf dem Plan eingesetzten Fahrzeuge beachtet werden.

Bild 2: (a) Mögliche Engstelle durch Verkehrszeichen und abgestellte Fahrräder, (b) Enger Kurvenradius bei Unterführung 

3 Solestreuung auf Radwegen (Winterradler)

3.1 Eingesetzte Fahrzeuge

Die MA 48 setzt auf Radwegen die Feuchtsalztechnologie FS 100 ein, bei der reine Sole (20 %-ige Salz-Wasser-Lösung) in sehr geringen Mengen ausgebracht wird. Neben der erhöhten Verkehrssicherheit für Radfahrer im Vergleich zu Splitt hat die Solestreuung die Vorteile, dass sie in ihrer Streubreite sehr exakt ausgebracht werden kann, dass sie auf dem Fahrbahnbelag haften bleibt und dass – anders als bei Splitt – kein Feinstaub durch mechanischen Abrieb emittiert.

Zur Betreuung des Winterbasisradwegenetzes wurden sechs zusätzliche Traktoren mit Solestreuanhänger angeschafft. Ein „Winterradler“ besteht aus einem Kleintraktor mit Pflug als Zugfahrzeug für einen Anhänger mit 1.200 l Sole und Sprühbalken. Einer der Vorteile dieser Lösung ist die geringere Achslast, welche für nicht stark dimensionierte Radwegaufbauten geeignet ist. Zusätzlich ist die Reichweite deutlich höher als bei den ebenfalls eingesetzten Kleintraktoren mit angebautem 300 l Solebehälter. Durch die gesteigerte Solekapazität ist eine durchgängige Betreuung auch längerer Routen ohne Nachladen möglich.

Bild 3: Winterradler bei der Betreuung eines Radweges in der Nähe des Riesenrades

3.2 Semimobile Solemischanlagen

Die Versorgung der Kleintraktoren mit Sole von den 13 Winterdienstlagerplätzen ist für Routen die weit abseits der Lagerplätze verlaufen aufgrund der geringen Ladekapazitäten problematisch. Eine Lösung für das Problem der langen Leerfahrten beim Nachladen wurde in der Anschaffung semimobiler Solemischanlagen gefunden.

Insbesondere für Kleintraktoren sind die Anfahrtswege zum Laden der Sole so kurz wie möglich zu halten, da durch die geringere Fahrgeschwindigkeit die Zeit der Ladefahrten vergleichsweise hoch ist. Die angeschafften Solemischanlagen mit einem Fassungsvermögen von 1.200 l wurden so im Stadtgebiet verteilt, dass für die Fahrzeuge entweder ein herkömmlicher Winterdienstlagerplatz oder eine semimobile Mischanlage in Reichweite liegt. Diese kleinen Mischanlagen stehen dabei nur den Kleintraktoren der Straßenreinigung zu Verfügung und werden manuell bedient.

Bild 4: (a) Semimobile Solemischanlage in einer Unterkunft der Straßenreinigung, (b) Umfrageergebnis auf die Frage: „Wie gut hat in Wien aus Ihrer Sicht die Schneeräumung auf Radwegen im letzten Winter insgesamt gesehen funktioniert?“ (Winter 2017, n = 800) 

4 Ergebnis der Radwegbetreuung durch die Winterradler

Die Ausbringung von Sole mittels Sprühbalken ist besonders gut für Radwege geeignet, da hier keine Kfz zur Längsverteilung des Streusalzes beitragen. Insgesamt zeigt sich, dass die reine Solestreuung auf Radwegen gut funktioniert, wobei die Abnahme der Wirksamkeit von Sole bei tiefen Temperaturen bemerkbar ist. Daher ist auf Radwegen besonders auf ein gutes Räumbild zu achten. Hier haben die geringe Belastung des Belags und das damit verbundene Fehlen von Spurrillen positive Auswirkungen.

Bei der Auswahl geeigneter Fahrzeuge bzw. Techniken ist jedenfalls auch die Versorgung mit Streumittel zu betrachten. Ebenso sind die geplanten Routen zu prüfen, ob ein durchgängiges Befahren mit den Fahrzeugen auch möglich ist.

Das positive Ergebnis des Soleeinsatzes auf Radwegen lässt sich am besten durch Umfragewerte darstellen, die zum Thema Radfahren im Winter vorliegen. Dabei wurde die Wiener Bevölkerung gezielt zum Thema Radfahren im Winter befragt.

Die Antwort der Wiener Bevölkerung auf die Frage nach der winterlichen Betreuung der Radwege zeigt eindeutig, dass der Einsatz der Winterradler mit der Verwendung reiner Solestreuung positiv aufgenommen wird (siehe Bild 4a).

Das mit reiner Sole betreute Winterbasisradwegenetz stellt ein Grundnetz dar, das laufend, etwa an Stadterweiterungsgebiete, angepasst wird. Eine Ausweitung der reinen Solestreuung auf Radwegen ist direkt mit der Ausweitung des Basisnetzes verbunden. 

Literaturverzeichnis

Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr (FSV) (2010): Schneeräumung und Streuung, Ausgabe 2010, FSV, Wien