FGSV-Nr. FGSV 001/22
Ort Düsseldorf
Datum 08.10.2008
Titel Wegweisungsziele – Kontinuitätsprinzip oder Informationsbegrenzung?
Autoren Univ.-Prof. Dr. phil. Berthold Färber, Dr. Brigitte Färber
Kategorien Kongress
Einleitung

Einen wesentlichen Aspekt der Gestaltung wegweisender Beschilderung stellt die maximal wahrnehmbare Anzahl von Zielen dar. In einem Feldversuch konnten für Autobahnen und das Sekundärnetz Zeiten ermittelt werden, die dem Kraftfahrer für das Lesen von Schildern zu Verfügung stehen. Sie betragen für Autobahnwegweiser überkopf 5,4, seitlich 4,2 und für das Sekundärnetz 3,0 Sekunden. Mit diesen Lesezeiten wurde in mehreren Laborexperimenten die maximal zulässige Anzahl von Zielangaben ermittelt. Bei Autobahnwegweisern überkopf können 7 Ziele wahrgenommen werden, mit maximal 3 Zielen in Geradeausrichtung und maximal 5 Zielen in abzweigender Richtung. Bei seitlicher Aufstellung können 6 Ziele wahrgenommen werden, maximal 3 in Geradeausrichtung und maximal 4 in Ausfahrt-Richtung. Im Sekundärnetz sind maximal 7 Ziele empfehlenswert, wobei bei 3 Richtungen bis zu 4 Ziele pro Richtung, bei 2 Richtungen bis zu 5 Ziele pro Richtung akzeptabel sind. Durch Farbeinsätze kann die Anzahl der Ziele erhöht werden, allerdings darf die positive Wirkung von Farbeinsätzen nicht überschätzt werden.

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1 Ausgangssituation

Orientierung im motorisierten Straßenverkehr stellt einen wichtigen Parameter sicheren Verkehrsverhaltens dar. So sind beispielsweise Falschfahrten auf Autobahnen (Geisterfahrer) unter anderen durch mangelnde Orientierung bedingt [1]. Auch für den Innerortsbereich weisen Studien die negativen Auswirkungen von Desorientierung nach. Engels hat hierfür den Begriff des Fremdenrisikos geprägt [2], der besagt, dass Ortsfremde in Relation zur Gefahrenexpositionszeit häufiger in Unfälle oder Verkehrskonflikte verwickelt sind als Ortskundige. Popp [3] beobachtete das Verhalten ortsunkundiger Kraftfahrer und konnte zum Teil erhebliche Sicherheitsbeeinträchtigungen durch diese Fahrergruppe feststellen. Trotz der Zunahme von Navigationsgeräten kommt der wegweisenden Beschilderung für die Orientierung von Kraftfahrern weiterhin eine zentrale Bedeutung zu. Wegweisende Beschilderung dient nicht nur als „Rückfallposition“ beim Ausfall des Navigationssystems, oder für Personen, die über kein Navigationssystem verfügen. Vielmehr wollen Autofahrer die Navigationsinformation mit der realen Welt, das heißt mit der Beschilderung abgleichen.

Die Auslegung der wegweisenden Beschilderung muss einen Zielkonflikt zwischen Informationsflut und detailliertem Informationsangebot lösen. Aus der Sicht eines Nutzers wäre es wünschenswert, wenn „sein“ Ziel vom Startpunkt bis zum Zielort durchgängig beschildert wäre. Dies führt jedoch schnell zu einer Informationsflut, die nicht nur ablenkend wirkt, sondern auch das Auffinden der richtigen Information unmöglich macht.

Die Regeln zur Gestaltung wegweisender Beschilderung sind für das Sekundärnetz in den „Richtlinien für die wegweisenden Beschilderung außerhalb von Autobahnen“ (RWB 2000), für Autobahnen in den „Richtlinien für die wegweisende Beschilderung auf Autobahnen“ (RWBA 2000) festgelegt. Die wesentliche Aussage der RWB 2000 [4] über die Anzahl zulässiger Ziele auf einem Wegweiser ist die sogenannte 4/10 Regel. Sie besagt, dass ein Schild maximal 10 Ziele in maximal 10 Zeilen umfassen darf, sowie die maximale Anzahl von Zielen pro Richtung nicht mehr als 4 betragen darf. Für Autobahnen wird in den RWBA 2000 [5] festgelegt, dass die Vorankündigung der nächsten Ausfahrt nur eine Zielangabe enthalten darf und an Knotenpunkten (Anschlussstellen, Autobahnkreuzen und -dreiecken) maximal 3 Ziele geradeaus und 4 Ziele in abzweigender Richtung angezeigt werden dürfen.

Die Richtlinien basieren auf dem Stand des Wissens zum Zeitpunkt der Verabschiedung, das heißt vor dem Jahr 2000. Sie berücksichtigen beispielsweise Studien von Erke [6], die im Labor entstanden sind, oder von Heller [7], der vor allem theoretische Berechnungen durchgeführt hat.

2 Fragestellung

Die zentrale Frage bezüglich der Auslegung wegweisender Beschilderung lautet: wie viele Ziele dürfen maximal auf einem Schild dargestellt sein, damit sie vom Nutzer sicher wahrgenommen und verarbeitet werden können? Die Beantwortung dieser Frage hängt möglicherweise von der Art der Informationsdarbietung, das heißt von der Gestaltung des Schildes ab, von der gefahrenen Geschwindigkeit sowie von der Verkehrsdichte. Aspekte wie Fahrerzustand (aufmerksam/unaufmerksam), Sprachkenntnisse (z. B. Ausländer) oder Witterungsbedingungen sollen dabei unberücksichtigt bleiben. Die Erforschung der Randbedingungen und die daraus abgeleitete Empfehlung für die Auslegung der Schilder erfolgt also weitgehend unter „Normalbedingungen“ und nicht unter Extrembedingungen. Eine besonders ungünstige Bedingung wäre etwa die Orientierung in völlig unbekannter Umgebung im Ausland, bei Nacht und Regen.

3 Methode

Die Untersuchung der maximalen Anzahl von Zielen, die ein Fahrer erfassen und verarbeiten kann, erfolgt in zwei Schritten: der Erfassung der zum Lesen von Schildern verfügbaren Zeit im realen Straßenverkehr, der Untersuchung der maximal wahrnehmbaren Anzahl von Zielen in Laborexperimenten.

3.1 Bestimmung der Lesezeit im realen Straßenverkehr

Die Beantwortung der Frage: „wie viel Zeit hat ein Kraftfahrer im heutigen Straßenverkehr zum Lesen von wegweisender Beschilderung bei gleichzeitiger Beachtung des übrigen Verkehrs“ erfolgte durch einen Feldversuch. Ziel dieses Versuches war, die freie zeitliche Kapazität für das Lesen der Schilder während einer normalen Fahrt mit mittlerem bis starkem Verkehrsaufkommen auf Autobahnen, Landstraßen und innerorts zu erkunden. Diese freie zeitliche Kapazität bezeichnen wir als „Nettolesezeit“. Sie soll als Vorgabe für die Darbietung der Schildervarianten in den Laborexperimenten dienen.

Die Fahrten werden unter Tageslichtbedingungen mit einem instrumentierten Fahrzeug auf einer festgelegten Versuchsstrecke durchgeführt. Vor bestimmten, besonders informationsreichen Schildern wird der Proband aufgefordert, alles, was er auf dem nächsten Schild erkennen kann, laut vorzulesen, soweit es seine Hauptaufgabe, dass sichere Führen des Fahrzeugs, zulässt.

Dabei werden Außensicht, Blickbewegungen und Äußerungen des Versuchsteilnehmers für die spätere Analyse aufgezeichnet. Im Protokollbogen wird zusätzlich die gefahrene Geschwindigkeit, der umgebende Verkehr und die momentane Fahrsituation der Versuchsperson vermerkt. Das Bild 1 gibt einen Überblick über den Ort der Messung, die gefahrene Geschwindigkeit, den Aufstellungsort des gemessenen Schildes und die Anzahl der analysierten Schilder sowie ein Beispiel.

Bild 1: Aufstellungsort, Geschwindigkeit, Schilderart und Anzahl der Schilder zur Bestimmung der Netto-Lesezeit

3.1.1 Versuchsteilnehmer

Aus Sicht der Verkehrspsychologie sind besonders jüngere und ältere Fahrer von Interesse.

Die jüngeren Autofahrer verfügen in der Regel über geringere Fahrpraxis, sie sind jedoch von ihrem Fahrkönnen überzeugt und fahren daher lässiger, schneller, teilweise auch aggressiver. Ältere Fahrer, eine demografisch gesehen anwachsende Gruppe, haben hingegen mit verschiedenen physiologischen Einschränkungen zu kämpfen. Auch ihre Reaktionsfähigkeit kann nachlassen, doch kompensieren sie viel durch Fahrpraxis und Erfahrung. Gerade die physiologischen Einschränkungen machen diesen Personenkreis für unsere Untersuchung interessant: So geht beispielsweise das Nachlassen der Akkomodationskraft des Auges mit zunehmendem Alter einher mit einer langsameren Akkomodationsgeschwindigkeit. „Beträgt diese beim Jugendlichen noch 0,2 bis 0,3 s, so ist sie beim 60-Jährigen auf Werte über 0,5 s angestiegen.“ [8].

Die Versuchsfahrten werden mit insgesamt 28 Autofahrern durchgeführt, die Daten von 23 Probanden konnten ausgewertet werden. Die Stichprobe besteht aus 11 jüngeren (Altersdurchschnitt 24 Jahre) und 12 älteren (Altersdurchschnitt 54 Jahre) Personen, jeweils zur Hälfte männlich und weiblich.

Als abhängige Variablen werden die verfügbare Lesezeit und die Augenbewegungen erfasst.

Zur Erfassung der Augenbewegungen dient ein System zur berührungslosen Blickerfassung (faceLAB) (Bild 2).

Bild 2: System zur berührungslosen Blickerfassung (faceLAB)

3.1.2 Versuchsablauf und Definition der Netto-Lesezeit

Bei bestimmten vorher festgelegten Schildern bekommt die Versuchsperson (Vpn) die Aufgabe alles vorzulesen, was auf den Schildern steht – soweit es die Beachtung des Verkehrs zulässt. Die Zeit vom Beginn des Lesens bis zum Verschwinden des Schildes aus dem Blick des Fahrers (Verschwindepunkt) wird als Gesamtzeit bezeichnet. Alle Zeiten innerhalb dieser Gesamtzeit, während der der Fahrer auf das Schild blickt, werden aufsummiert. Sie stellen die Netto-Lesezeit dar, das heißt die Zeit, die der Fahrer zum Lesen von Schildern zur Verfügung hätte.

3.1.3 Ergebnisse

Um eine realistische Basis für die Gestaltung von Richtlinien zu bekommen, werden nur die Daten, bei denen mittlerer oder starker Verkehr vorlag, in die weitere Berechnung einbezogen. Waren keine anderen Fahrzeuge vorhanden, so werden die Daten nicht für die Berechnung der Netto-Lesezeit herangezogen. Unter Berücksichtigung dieser Randbedingung ergeben sich 237 auswertbare Datensätze.

Das Bild 3 stellt die Mittelwerte der Netto-Lesezeit der Gesamtzeit gegenüber. Hier fällt auf, dass in 83 % der zur Verfügung stehenden Zeit auf das Schild geblickt wird (Netto-Lesezeit). Dies ist ein überraschend hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass andere Fahrzeuge zu beachten waren. Offensichtlich ist die Beachtung des Verkehrs auch ohne direkte Blickfixierung möglich. Aufgrund der geringeren Sehschärfe ist die Gesamtzeit und die Netto-Lesezeit bei älteren Personen im Mittel kürzer. Es ist jedoch bemerkenswert, dass die Relation zwischen den beiden Zeiten erhalten bleibt und sich statistisch kein Unterschied zwischen den beiden Altersgruppen zeigt.

Bild 3: Gesamtzeit und Netto-Lesezeit für alle Versuchspersonen (links) sowie getrennt nach Altersgruppen

3.1.4 Mittlere Netto-Lesezeit nach Straßenarten und Schildern

Ein varianzanalytischer Vergleich zwischen den Schildern ergibt drei unterschiedliche Schildertypen: Autobahnwegweiser überkopf, Autobahnwegweiser seitlich, Wegweiser auf Landstraßen/innerorts. Als Netto-Lesezeiten für diese drei Schildertypen ergeben sich folgende Mittelwerte, die als Darbietungszeiten für die Laborversuche dienen:

  • Schild auf der Autobahn, überkopf: 5,4 Sekunden
  • Schild auf der Autobahn, seitlich: 4,2 Sekunden
  • Schild Sekundärnetz, seitlich: 3,0 Sekunden.

3.2 Laborversuche zur maximalen Anzahl von Zielen

Auf der Basis der Netto-Lesezeiten und der augenblicklich geltenden Regelung (RWB/RWBA 2000) kann in einer Serie von Laborexperimenten untersucht werden, wie viele Ziele bei welcher Darstellungsform vom Kraftfahrer wahrgenommen und verarbeitet werden können.

3.2.1 Konstruktion der Schilder

Für die Konstruktion der Schilder sind zwei Aspekte bedeutsam: Die Ortsnamen und die Art der Darstellung. Um generalisierbare Aussagen treffen zu können, wurden für die Generierung der Ortsnamen folgende Randbedingungen gesetzt:

Länge der Ortsnamen

Aufgrund einer Statistik bestehen Ortsnamen am häufigsten aus zwei- bis dreisilbigen Namen. Um zu vermeiden, dass manche Versuchsteilnehmer Ortsnamen bereits kennen, und andere nicht, verwenden wir Ortsnamen mit künstlichen Vorsilben und Endungen, die der Realität entsprechen.

Namenskonstruktion

Zur Namenskonstruktion wird eine Liste von ca. 100 typischen Endungen bei Ortsnamen erstellt, z. B. -au, -bach, -berg, -bruch, -bruck, -brunn, ... -walde, -weiler, -werda, -wisch, -zell.

Es wird also bewusst vermieden, besonders bekannte Namen wie Berlin, Bonn, Hamburg etc. zu verwenden, oder sinnlose Silben bzw. Ersatzwörter wie Hinterhugelhapfing, Kleinkleckersdorf, Kleinsiehstenich.

Farbe und Form der Schilder

Die Schildervarianten werden als Computergrafik vom Ingenieurbüro Siegener Verkehrstechnik IS-V, Karlsruhe, für die experimentelle Analyse generiert. Die Varianten entsprechen in der Gestaltung den RWBA 2000 und für das Sekundärnetz (RWB 2000), was die verwendeten Farben von Hintergrund und Schrift, Form und Größe von Pfeilsymbolen, Nummernzeichen, Umrandungen etc. betrifft. Jedoch wird die Anzahl der Ziele variiert, teilweise über die Beschränkungen der Richtlinien hinaus.

Einbettung des Schildes

Ein besonders wichtiger Punkt ist die Einbettung der Schilder in reale Verkehrsszenarien auf Autobahnen und dass inner- bzw. außerörtlichen Sekundärnetz (Bild 4). Dabei ist es unerheblich, ob das Schild in der Größe dem eines realen Wegweisers oder Vorwegweisers in dieser Situation vollkommen entspricht. Wichtig ist nur, die Ablenkung durch das Verkehrsumfeld darzustellen. Die Schriftgröße ist bei allen im Versuch dargebotenen Schildern gleich, um diese Variable konstant zu halten.

Bild 4: Schilderbeispiele und Einbettung in das Verkehrsumfeld

3.2.2 Versuchsaufbau und Aufgabe der Versuchspersonen

Die Schilder werden den Versuchspersonen auf einer Leinwand im Abstand von 5,5 m dargeboten, um Fernakkomodation zu gewährleisten. Die Versuchsteilnehmer haben eine Entscheidungsaufgabe auszuführen (Bild 5).

Bild 5: Entscheidungsmöglichkeiten der Versuchspersonen

Sie erhalten durch Drücken einer Taste das nächste Ziel akustisch dargeboten und auf einen weiteren Tastendruck das Bild mit dem Wegweiser. Sie müssen nun entscheiden, in welcher Fahrtrichtung ihr Ziel liegt, bzw. ob es nicht auf dem Schild dargestellt ist. Um die Ratewahrscheinlichkeit gering zu halten, ist der Zielort in 50 % der Fälle nicht auf dem Schild dargestellt. Die akustische Darbietung des Ziels verhindert, dass sich ein visuelles Icon bildet und lediglich ein Vergleich des visuell gespeicherten Bildes mit den Angaben auf dem Schild erfolgt. Die Steuerung des Ablaufs (Darbietung nächstes Schild) durch die Teilnehmer

gewährleistet, dass sie erst dann das Schild dargeboten bekommen, wenn sie sich über den Zielort im Klaren sind. Um die Aufgabe möglichst realitätsnah zu gestalten, müssen die Versuchspersonen während des Versuchs zusätzlich eine Trackingaufgabe ausführen.

3.2.3 Messwerte

Das entscheidende Kriterium für die wahrnehmungspsychologischen Empfehlungen zur Gestaltung der Schilder (Anzahl und Aufteilung der Ziele, Farbeinsätze etc.) stellen die Fehlerhäufigkeiten dar. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wegweisende Beschilderung nicht so sicherheitskritisch ist wie manche andere Verkehrszeichen, wird die maximal zulässige Anzahl von Fehlern mit 10 % festgesetzt. Auf Autobahnen müssen 90 % der richtigen Entscheidungen innerhalb der Darbietungszeit (entspricht der Netto-Lesezeit) getroffen werden. Demgegenüber wird für das Sekundärnetz eine Abweichung vom vorher aufgestellten Entscheidungskriterium für vertretbar gehalten. Hier werden aufgrund der leichteren Korrigierbarkeit von Fehlentscheidungen (engeres Netz, Möglichkeit zu Wenden) und der geringeren Geschwindigkeiten auch Entscheidungen als richtig gewertet, die erst nach der Darbietungszeit getroffen wurden.

4 Erkenntnisse für die Gestaltung der Beschilderung

4.1 Erkenntnisse für die Autobahnbeschilderung

Unter diesen Randbedingungen lassen sich aus den Ergebnissen der Laborversuche folgende Erkenntnisse für die maximale Anzahl von Zielangaben ableiten:

4.1.1 Autobahn überkopf einteilig

Innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit können maximal 7 Ziele wahrgenommen werden, mit maximal 3 Zielen in Geradeausrichtung und maximal 5 Zielen in abzweigender Richtung. In Abweichung zur bisherigen Regelung in der RWBA 2000 ist also auch eine 2/5 Regel möglich.

Bild 6: Beispiel einer Auslegung mit 3 Zielen geradeaus und 4 abzweigend

Bild 7: Beispiel einer Auslegung mit 7 Zielen, 2 geradeaus und 5 abzweigend

4.1.2 Autobahn überkopf mehrteilig

Die Ergebnisse stimmen mit denen für einteilige Schilder mit einer Ausnahme überein:

In der Aufteilung 4/2/2 (gerade/Abzweig/Abzweig) können bei mehrteiligen Überkopfwegweisern maximal 8 Ziele wahrgenommen werden.

Bild 8: Überkopfwegweiser mehrteilig mit bis zu 8 Zielen, davon 4 geradeaus und jeweils 2 in abzweigender Richtung

4.1.3 Autobahn seitlich, eine Ausfahrt

Maximal können 6 Ziele wahrgenommen werden, mit maximal 3 Zielen in Geradeausrichtung und maximal 4 Zielen in Ausfahrtrichtung.

Bild 9: Mögliche Varianten für seitlich aufgestellte Autobahnwegweiser mit maximal 7 Zielen

4.1.4 Autobahn seitlich, 2 Ausfahrten

Doppelausfahrten mit seitlicher Beschilderung stellen eine höhere Anforderung an die Wahrnehmung und Verarbeitung der Kraftfahrer. Dadurch reduziert sich die Anzahl der Ziele, die in der zur Verfügung stehenden Zeit aufgenommen werden können, auf 5 Ortsangaben; die Aufteilung in geradeaus- und abzweigende Ziele ist beliebig.

Bild 10: Beispiele für seitlich aufgestellte Wegweiser mit Doppelausfahrt und maximal 5 Zielen

4.2 Erkenntnisse für die Beschilderung im Sekundärnetz

4.2.1 Schilder ohne Farbeinsätze

Für Schilder im Sekundärnetz konnten keine Unterschiede bezüglich der Art des Schildes, das heißt der Darstellung in Tabellenform oder in pfeilorientierter Form festgestellt werden. Jedoch wirkt sich die Anzahl der Richtungen auf die Anzahl wahrnehmbarer Ziele aus.

4.2.1.1 Sekundärnetz 3 Richtungen

Bei Schildern des Sekundärnetzes, die in 3 Richtungen weisen, sind insgesamt bis zu 7 Ziele, wovon maximal 4 in eine Richtung weisen (4/7 Regel), wahrnehmungspsychologisch akzeptabel. Dies heißt mit anderen Worten, dass die Informationsmenge der momentan gültigen 4/10 Regel der RWB 2000 die Aufnahmefähigkeit des Kraftfahrers überfordert.

Bild 11: Beispiele für Schilder im Sekundärnetz mit 3 Richtungen

4.2.1.2 Sekundärnetz 2 Richtungen

Bei Schildern, die in 2 Richtungen weisen, sind insgesamt maximal 7 Ziele möglich, davon können maximal 5 Ziele in eine Richtung weisen. In Abweichung von der 4/10-Regel der RWB 2000 können also auch 5 Ziele in eine Richtung angegeben werden, allerdings sollte auch bei 2 Richtungen die maximale Anzahl von Zielen die Zahl 7 nicht überschreiten.

Bild 12: Beispiel für Schild mit 2 Richtungen mit maximal 7 Zielen, davon 5 in einer Richtung

4.2.2 Schilder mit Farbeinsätzen

Durch die Verwendung von Farbeinsätzen kann die Anzahl der Ziele pro Schild zwar erhöht werden, jedoch gilt dies nicht generell. Eine Erhöhung hängt davon ab, wie viele verschiedenfarbige Einsätze in wie vielen Richtungen vorkommen und wie viele Zielangaben die Farbeinsätze enthalten. In der zugrunde liegenden Studie wurden Farbeinsätze für bis zu insgesamt 9 Ziele pro Schild untersucht. Die Obergrenze für Schilder mit Farbeinsätzen wurde zwar experimentell nicht komplett ausgelotet, doch ist anhand der Fehler für 9 Ziele anzunehmen, dass eine Überschreitung dieses Grenzwertes sehr wahrscheinlich nicht möglich sein wird.

Nach den bislang vorliegenden Untersuchungen sind akzeptabel (siehe auch Bild 13): Schilder mit maximal 9 Zielen, mit

  • jeweils einem Farbeinsatz pro Richtung in bis zu drei Richtungen (links, geradeaus, rechts),
  • Farbeinsätzen in zwei Richtungen, mit bis zu drei farblich codierten Zielen als Block pro Richtung

Bild 13: Beispiel für die Erhöhung der Ziele auf 9 durch Verwendung von Farbeinsätzen

Die Auswirkung farblicher Codierung ist komplexer als es auf den ersten Blick erscheint. Offensichtlich hat die Anzahl von Farbeinsätzen pro Richtung einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmbarkeit von Zielangaben. Bei der Verwendung von mehreren Farbeinsätzen pro Richtung sind zwei Fälle zu unterscheiden: maximal zwei Farben pro Richtung (inklusive gelber Ziele) bzw. 3 Farben pro Richtung (ebenfalls inklusive gelber Ziele). In der Konstellation

  • Farbeinsätze in drei Richtungen,
  • je Farbeinsatz 1 Wort,
  • dabei in einer Richtung zwei Farbeinsätze (z. 1 blauer, 1 weißer),
  • dabei im Zielblock mit den beiden Farbeinsätzen keine weiteren (gelben) Ziele, konnten Schilder mit 7 Zielen noch sicher erkannt und verarbeitet werden (Bild 14).

Bild 14: Beispiel für ein wahrnehmungspsychologisch akzeptables Schild mit Farbeinsätzen im Sekundärnetz

Treten jedoch 3 Farben pro Richtung auf (inklusive gelber) so wirkt die Farbe nicht mehr als Ordnungsmerkmal sondern als Distraktor. Unter dieser Bedingung konnte selbst bei 7 Zielen die relevante Information nicht mit der nötigen Sicherheit aus dem Schild aufgefasst werden.

Eine endgültige Abschätzung der Wirkung von Farbe und von Piktogrammen ist anhand der vorliegenden Studien noch nicht möglich. Es ist aber offensichtlich, dass durch die Verwendung von Farbcodierung und Piktogrammen die Anzahl von Wegweisungsinformationen erhöht werden kann – jedoch werden nach unserer Einschätzung die Möglichkeiten dieses Gestaltungselements tendenziell überschätzt.

Langfristiges Ziel muss daher sein, die Informationsfülle bei wegweisender Beschilderung zu reduzieren und durch konsistente und durchgängige Zielangaben den Fahrer zu leiten.

Literaturverzeichnis

  1. Färber, ; Färber, B. A; Stapf, K. H. (1979): Untersuchungen der Ursachen von Falschfahrten auf Autobahnen. Forschungsprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen Nr. 7826/2, Psychologisches Institut der Universität Tübingen
  2. Engels, ; Dellen, R. (1989): Der Einfluss von Suchverhalten auf das Unfallverursachungsrisiko. Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 35, S. 93–100
  3. Popp, M. (1987): Orientierungsverhalten von Kraftfahrern in fremden Städten: Subjektive Einschätzungen und objektive Beobachtungen. In: M. Kastner (Band-Hrsg.) Fortschritte der Verkehrspsychologie‚ 87. Reihe Mensch-Fahrzeug-Umwelt, Band 21, Köln, TÜV Rheinland
  4. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.) (2000): Richtlinien für die wegweisende Beschilderung außerhalb von Autobahnen (RWB 2000), Köln, FGSV, (FGSV 329)
  5. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.) (2000):, Richtlinien für die wegweisende Beschilderung auf Autobahnen (RWBA 2000), Köln, (FGSV 329/2)
  6. Erke, ; Gottlieb, W. (1981): Psychologische Untersuchungen zur Wegweisung. In: Bundesanstalt für Straßenwesen, Bereich Unfallforschung (Hrsg.): Grundlagen der Wegweisung. Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr, Heft 30, S. 19–112, Waisenhaus-Buchdruckerei und Verlag, Braunschweig
  7. Heller, (1957): Regeln zur Bemessung und Gestaltung beschrifteter Verkehrsschilder. In: Straße und Autobahn, 8. Jahrgang, darin enthalten: Straßenverkehrstechnik 1. Jahrgang, Heft 12. S. 455–464, Kirschbaum-Verlag, Bielefeld
  8. Ehrenstein, ; Müller-Limmroth, W. (1984): Physiologische Grundlagen der Anforderungen im Straßenverkehr. In: Wagner J.-J. (Hrsg.): Verkehrsmedizin, Springer-Verlag Berlin