FGSV-Nr. FGSV 002/117
Ort Münster
Datum 15.03.2017
Titel Aufgrabungen – das Kontrollsystem in Berlin
Autoren Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Pfeifer
Kategorien Kommunal
Einleitung

Für kommunale Baulastträger bieten Aufgrabungen durch Versorger und andere Leitungsträger großes Konfl iktpotenzial. Die Straßenbauverwaltungen sind verantwortlich für die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspfl icht und für den Werterhalt der Straße, haben jedoch keinen direkten Einfl uss darauf, wer, mit welcher technischen Ausstattung und mit welcher Qualifi kation die Arbeiten zur Wiederherstellung des Straßenaufbaus ausführt. In den  Straßengesetzen der Länder wird lediglich darauf verwiesen, dass Aufgrabungen Sondernutzungen sind und dass nach einer Sondernutzung der …. die Straße in einem … Zustand dem Baulastträger wieder zu übergeben hat. Um den Verwaltungen ein Werkzeug zur Hand zu geben, hat die FGSV die „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Aufgrabungen in Verkehrsfl ächen“ (ZTV A-StB) herausgegeben. Diese greifen jedoch zu kurz, da die Verwaltungen im dafür relevanten Bauvertrag kein Vertragspartner sind. Die Senatsverwaltung für Berlin hat daher ergänzend zu den ZTV A-StB „Verbindliche Regelungen für die endgültige Wiederherstellung von Fahrbahnen, Geh- und Radwegen nach Aufgrabungen“ erarbeitet und 2014 per Ausführungsvorschrift eingeführt.

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1 Einleitung

Um sich dem Thema Aufgrabungen zu nähern, als erstes ein Blick in die ZTV A-StB:

Aufgrabung (nach ZTV A-StB-12)

Aufnehmen des Straßenoberbaus, Ausheben meist von Untergrund bzw. Unterbaumaterial (z. B. zur Ver- oder Freilegung von Leitungen). Wiederverfüllen bis zum Planum und Wiederherstellen des Oberbaus. Auch Bezeichnung für den betroffenen Bereich des Straßenkörpers.

Die darauf folgende Definition:

Auftraggeber

Auftraggeber im Sinne der ZTV A-StB ist in der Regel der Eigentümer oder Betreiber der Leitungen oder Bauwerke, deren Herstellung, Veränderung, Reparatur oder Beseitigung die Aufgrabung erforderlich macht.

zeigt auch gleich das Problem auf:

Ein Bauvertrag im öffentlichen Straßenraum, bei dem der Straßenbaulastträger nicht Auftraggeber ist.

Mehr sogar noch, die Verwaltung wird in Handlungszwang gesetzt:

Übernahme durch den Straßenbaulastträger

Die Übernahme soll unverzüglich nach der Fertigstellung erfolgen.

Voraussetzung für die Übernahme ist die Fertigstellungsmeldung und die Vorlage aller vereinbarten Unterlagen durch den Auftraggeber.

Wegen wesentlicher Mängel kann der Straßenbaulastträger die Übernahme bis zu deren Beseitigung verweigern.

Wird vom Straßenbaulastträger innerhalb von 12 Werktagen nach Fertigstellungsmeldung kein Übernahmetermin festgelegt, gilt die wiederhergestellte Verkehrsfläche nach Ablauf dieser Frist als übernommen. 

2 Situation in Berlin

2.1 Stadt und Bundesland

Die Bundeshauptstadt Berlin ist Stadt und Bundesland.

Wir haben derzeit gut 3,5 Mio. Einwohner (Stand: 2015) und rund 5.500 km Stadtstraßen. Die Lokalverwaltung liegt in den 12 Bezirken, die mit ihren 230.000 bis 370.000 Einwohnern jeweils Großstädte sind. 

2.2 Straßenbauverwaltung

Laut Berliner Straßengesetz (BerlStrG) vom 13. Juli 1999, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 2008, gilt:

§ 7 BerlStrG: Straßenbaulast

(1)    Träger der Straßenbaulast für die öffentlichen Straßen ist Berlin.

Die Wahrnehmung dieser Pflichten erfolgt durch die zuständige Senatsverwaltung als oberste Straßenbaubehörde des Landes und als ausführende Behörde im Neubau und Ausbau von Straßen von gehobener Bedeutung.

Die Verwaltung, der Betrieb, die Unterhaltung und die Erhaltung sowie die Verkehrssicherungspflicht sowie der Bau der sonstigen Straßen liegt in der Verantwortung der Bezirke und wird durch die Straßen- und Grünflächenämter wahrgenommen.

Die Aufgaben der Verkehrsbehörde werden zentral durch die Verkehrslenkung Berlin (VLB) wahrgenommen und können für sonstige Straßen den Bezirken übertragen werden.

2.3 Aufgrabungen

Was sind nach BerlStrG nun die Aufgrabungen?

§ 12 BerlStrG: Sondernutzung für Zwecke der öffentlichen Versorgung

(1) Für die Sondernutzung zu Zwecken der öffentlichen Versorgung gilt § 11 entsprechend nach Maßgabe der folgenden Absätze. Den Unternehmen der öffentlichen Versorgung sind die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Polizeipräsident in Berlin, der Landesbetrieb für Informationstechnik und die Berliner Feuerwehr gleichgestellt.

(7) Die Versorgungsunternehmen bedürfen für Aufgrabungen und Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Maßnahmen nach den Absätzen 5 und 6 grundsätzlich der straßenrechtlichen Erlaubnis.

beschreibt den allgemeinen rechtlichen Rahmen. Der folgende Satz:

Notfälle, in denen sofortiges Handeln zur Schadensabwehr geboten ist, sowie Fälle von unwesentlicher Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs mit Ausnahme der Aufgrabungen und Baumaßnahmen auf Fahrbahnen des übergeordneten Straßennetzes sind der Straßenbaubehörde und der Verkehrslenkung Berlin lediglich anzuzeigen.

ist der Praktikabilität angesichts von erheblich über 10.000 Aufgrabungen pro Jahr geschuldet.

In den Ausführungsvorschriften zu § 12 des Berliner Straßengesetzes vom Oktober 2013 wird dieses präzisiert:

5.

Kleine Baumaßnahmen nach § 12 Absatz 7 Satz 3 BerlStrG sind Tiefbauvorhaben in Gehwegen und in Radwegen ohne Benutzungspflicht, bei denen im Einzelfall nicht mehr als 15 m² Straßenbefestigung – jedoch nicht mehr als 25 m Grabenlänge – aufgenommen werden und die voraussichtlich nicht länger als sechs Werktage dauern. Für Fahrbahnen gilt im Einzelfall ein Umfang von höchstens 5 m² und eine Dauer von höchstens sechs Werktagen unter Aufrechterhaltung des Fahrzeugverkehrs.

3 Allgemeiner Rahmen

3.1 ZTV A-StB – vertragsrechtlich

Die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien (ZTV A) sind darauf abgestellt, dass die Aufgrabungen im Rahmen von VOB-Verträgen erfolgen und somit die ATV der VOB (C) gelten und außerdem weitere Regelwerke des Straßenbaus, insbesondere die ZTV E-StB, ZTV SoB-StB, ZTV Pflaster-StB, ZTV Asphalt-StB und die ZTV Beton-StB sowie die ZTV zur Erhaltung der Bauweisen, bekannt und gegebenenfalls Vertragsbestandteil sind.

Dies ist in der Regel für die „großen“, d. h. bezüglich der Sondernutzung genehmigungspflichtigen, Baumaßnahmen gegeben.

Die Vertragsform für die „kleinen“, nur anzeigepflichtigen Baumaßnahmen ist nicht zwingend an die VOB und somit an die einschlägigen ZTV gebunden, damit sind die ZTV A-StB so nicht immer umsetzbar.

3.2 Die ZTV A-StB technisch

Bezüglich der Materialien und der Ausführung des Straßenbaus wird zumeist auf die jeweiligen ZTV verwiesen, z. B.:

Auszug siehe PDF.

Der Abschnitt:

Auszug siehe PDF.

wird aus Berliner Sicht als besonders kritisch angesehen. Für kleine Flächen ist ein Deckenschluss unserer Meinung nach mit Walzasphalt nicht zielführend. Der Begriff „Thermobehälter“ ohne konkrete Anforderung an die Wärmedämmung ist ohne hinreichende Aussage.

Durch die Formulierung:

Auszug siehe PDF.

ist eine systematische Qualitätssicherung bei kleineren Aufgrabungen als grundsätzlich auszuführende Pflicht des Leitungsträgers eher behindert als gefördert.

4 Berliner Lösungsansatz

4.1 Kurze Historie

Mit Übergabe der Verantwortung für den Deckenschluss nach Aufgrabungen an die Leitungsträger wuchs die Forderung der Verantwortlichen in den Bezirksverwaltungen nach Sicherung der Qualität in der Bauausführung.

Nachdem es bei der Rückübernahme nach Sondernutzung durch die öffentliche Verwaltung mehrmals Beanstandungen und Forderungen zur Mängelbeseitigung gab, wollten auch die Leitungsträger Vertragssicherheit erlangen und, nicht zuletzt, kam aus den Reihen der qualifizierten Tiefbauunternehmen der Ruf nach Vergleichbarkeit angebotener Leistungen und Schutz vor Billiganbietern.

Aus dieser Intention heraus gründete sich 2009 die „Qualitätsgemeinschaft Städtischer Straßenbau e.V. (QGS)“ mit den Zielsetzungen

Sicherstellung der Umsetzung prozessorientierter Qualität im Straßenbau und „Wettbewerb unter Gleichen“

2010 legte die damalige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zusammen mit den

Ausführungsvorschriften

zu § 7 des Berliner Straßengesetzes für Aufgrabungen in Verkehrsflächen

die ersten

Verbindliche Regelungen für die endgültige Wiederherstellung von Fahrbahnen,

Geh- und Radwegen nach Aufgrabungen

fest. Hierin fanden sich die für Berlin typischen Bauweisen, technologische Anweisungen und ein Kontrollprüfungssystem.

Zur Prüfung der Wirksamkeit der Regelungen beschloss die Verwaltung gemeinsam mit den Leitungsträgern und der QGS, die Erfahrungen der ersten Kontrollprüfungen wissenschaftlich auswerten zu lassen.

4.2 Die derzeitigen Regelungen

Im Rahmen der durch die Veröffentlichung der ZTV A-StB 12 notwendigen Überarbeitung der AV zum BerlStrG

Auszug siehe PDF.

wurden zum Juli 2014 die Verbindlichen Regelungen überarbeitet und angepasst:

Auszug siehe PDF.

4.3 Technische Bestimmungen

Intention war es, technisch hinreichende, vertragssichere Anforderungen an den Straßenbau bei der Schließung von kleinen Aufgrabungen so zu formulieren, dass sie auch ohne VOB und andere ZTV umsetzbar sind.

Im Folgenden wird an Hand von ausgewählten Beispielen der Inhalt und die Zielrichtung der „Verbindlichen Regelungen“ dargestellt.

Bereits unter Allgemeines wird eine Formulierung der ZTV A-StB wie folgt konkretisiert:

Auszug siehe PDF.

Bei Aufgrabungen in Asphaltstraßen wird ausschließlich Gussasphalt als Deckschichtmaterial vorgegeben, konkrete Angaben zu Materialien wie

Auszug siehe PDF.

reduzieren maßgeblich das Kalkulationsrisiko auf Seiten der Baufirmen, der Leitungsträger und der Straßenbaulastträger.

Vergleichbare Festlegungen wurden auch für den Erdbau und die Tragschichten, für die Beton- und die Pflasterbauweise, für Sonderbauweisen und ungebundene Oberflächen, für die Fugenausbildung sowie die Wiederherstellung der Markierungen sowohl in den Fahrbahnflächen als auch in Fußgänger- und Fahrradverkehrsflächen getroffen.

4.4 Kontrollsystem/Kontrollprüfung

Im Gegensatz zur ZTV A-StB legt Berlin verbindlich die Durchführung von Kontrollprüfungen fest.

Auszug siehe PDF.

Da ein flächendeckendes Kontrollprüfungssystem extrem aufwändig und sich zum Teil praktisch als nicht ausführbar darstellt, wurde ein verbindliches, transparentes Stichprobensystem festgelegt:

Auszug siehe PDF.

Neben der Bewertung der Vertragserfüllung dient das System auch der Abschätzung des Qualitätsniveaus der ausgeführten Leistungen und der Dokumentation:

Auszug siehe PDF.

Die Wertung erfolgt über ein Punktesystem in dem auch Mängel in der Dokumentation einfließen.

0 Punkte bedeutet Mängelfrei

1 bis 4 Punkte heißt mit leichten Mängeln

ab 5 Punkte lautet die Bewertung: schwere Mängel

Beispiel für diese Punktewertung:

Tabelle Siehe PDF.

5 Erfahrungen mit dem Kontrollsystem

5.1 Die Meldung der kleinen Aufgrabungen

Die durch die AV zu § 12 und die „verbindlichen Regelungen“ durch die Versorgungsunternehmen vorzulegenden Formblätter „Abschlussblatt für die endgültige Wiederherstellung nach Aufgrabung“ werden in sehr unterschiedlicher Qualität geliefert.

Auch die Jahresmeldung der Versorger zum 15.1. wird nicht immer fristgerecht eingereicht. Mit der Erfahrung der ersten umgesetzten Jahre stieg die Anzahl der gemeldeten Maßnahmen erheblich an.

Das beschriebene Auswahlverfahren bei dem die Maßnahmen, welche kontrollgeprüft werden sollen, festgelegt werden, hat sich als erheblich aufwändiger herausgestellt, als zuvor vermutet.

 5.2 Die wissenschaftliche Begleitung

Wie schon unter Abschnitt 4.1 erwähnt, haben die Verwaltung, die QGS und die Leitungsträger gemeinsam beschlossen, die Ergebnisse der Kontrollprüfungen wissenschaftlich auswerten zu lassen und die dabei anfallenden Kosten gemeinsam zu tragen.

Dazu konnte Prof. Dr.-Ing. Weßelborg von der Fachhochschule Münster gewonnen werden. Der letzte Bericht hierzu berücksichtigte die Aufgrabungen aus

–  Prüfzyklus 2010

–  einem Prüfzyklus Mitte 2011 bis Mitte 2012 sowie

–  einem Prüfzyklus Mitte 2012 bis Mitte 2013.

Das Gutachten untersucht getrennt nach Bauweisen, Flächen, Schichten etc. die Mängelverteilung.

Als Übersicht über alle Mängel ergibt sich folgende Entwicklung:

Bild siehe PDF.

5.3 Die QGS

Als Reaktion auf die Ergebnisse des Jahres 2010 wurde die QGS aktiv.

Wer ist die QGS?

Der Verein QGS e.V. verfolgt laut Satzung als privatrechtlicher Qualitäts- und Überwachungsverein im Interesse der Öffentlichkeit das Ziel, durch Festlegung von Qualitätsstandards an die Bauausführung, das Allgemeingut Straße, auch für künftige Generationen, besser zu erhalten.

Welche Ziele hat die QGS:

1.   Sicherstellung der Umsetzung prozessorientierter Qualität im Straßenbau

2.   Wettbewerb unter Gleichen

Sicherstellung der Umsetzung prozessorientierter Qualität im Straßenbau

Wie definiert sich „prozessorientiert“? Die dreigliedrige Qualitätskette:

 Bild siehe PDF.

Dabei erzielt die QGS mit folgenden Ansätzen die gewünschten Erfolge:

1. Sicherstellung der Umsetzung prozessorientierter Qualität im Straßenbau

Dies erfolgt durch die Definition von Qualitätsanforderung für

–  die Mitarbeiter

•  Qualifikation; Ausbildung

–  die Geräte

•  Mindestausstattung

bauweisenspezifische Referenzen

Dies in Abhängigkeit von 4 einzelnen Haupt-Bauweisen:

Walzasphalt-, Gussasphalt-, Beton- und Stein-Straßenbau

2. Wettbewerb unter Gleichen

Regelmäßige Auditierungen durch einen externen Qualitätsbeauftragten

6 Fazit

Die Zusammenarbeit zwischen der Senatsverwaltung, den Bezirksämtern, den Leitungsträgern und der QGS kann als sehr erfolgreich gewertet werden.

Das Land Berlin hat sich mit den Verbindliche Regelungen für die endgültige Wiederherstellung von Fahrbahnen, Geh- und Radwegen nach Aufgrabungen ein wirkungsvolles Werkzeug geschaffen.

Die alte Weisheit, dass Kontrollprüfungen dauerhaft die Qualität sichern, hat sich mal wieder eindrucksvoll bestätigt.

Zur nächsten Überarbeitung der verbindlichen Regelungen sind noch ein paar praktische Anpassungen notwendig, die konkretere Beschreibung der zu vollziehenden Mängelbeseitigung gehört ebenso dazu wie die Einbindung der Telekommunikationsunternehmen.