FGSV-Nr. FGSV 002/123
Ort Kassel
Datum 19.03.2019
Titel Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept als Planungsgrundlage zur Fußverkehrsförderung
Autoren Dipl.-Ing. Christian Stamer
Kategorien Kommunal
Einleitung

Durch den Verkehrsentwicklungsplan 2008 (VEP) wurde die Verwaltung beauftragt, ein Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept als Planungsgrundlage ähnlich den Hierarchien im Straßennetz und den Velorouten im Radverkehr flächendeckend für das gesamte Kieler Stadtgebiet zu entwickeln. Seit 2011 wird kontinuierlich an der Entwicklung gearbeitet. Mit dem Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept will die Landeshauptstadt Kiel den Fußverkehr systematisch fördern und den Nachholbedarf schrittweise reduzieren und eine Planungsgrundlage zur systematischen Förderung des Fußverkehr erstellen. Die „Standards für das Fußwege“ bilden Grundlage für die Mängelbewertung von Fußwegen und wurden als allgemein gültige Richtschnur und Zielvorgabe auf Basis von Vorschriften und Richtlinien entwickelt und durch die Gremien der LH Kiel beschlossen. Die Fußwege- und Kinderwegeachsen werden in Allzeitwege, Freizeitwege und Kinderwege unterteil. Arbeitskreise und Beiräte sind an der Entwicklung der Fußwegeachsen beteiligt. In den Stadtteilen werden mehrere Planungsspaziergänge für Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt. Die Beteiligung von Schulkindern wird mit den „Wegetagebüchern für Kinder“ in den Unterricht integriert. Die Ergebnisse werden in Form von Berichten veröffentlicht und das entwickelte Fußwegeachsennetz sowie die Handlungsschwerpunkte den städtischen Gremien zum Beschluss vorgelegt. Mit dem „Programm zur Förderung des Fußverkehrs“ wird die gezielte Umsetzung der aus den Handlungsschwerpunkten abgeleiteten kleinteiligen Maßnahmen finanziert. Es stehen in der Regel jährlich ca. 250.000 € für Herstellung von Maßnahmen wie Fahrbahnverengungen, Fahrbahninseln oder Befestigungen von Gehwegen etc. zur Verfügung. Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzepte als Planungsgrundlage zur Fußverkehrsförderung.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Durch den Verkehrsentwicklungsplan 2008 (VEP) wurde die Verwaltung beauftragt, ein Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept als Planungsgrundlage ähnlich den Hierarchien im Straßennetz und den Velorouten im Radverkehr flächendeckend für das gesamte Kieler Stadtgebiet zu entwickeln.

Seit 2011 wird kontinuierlich an der Entwicklung des Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzeptes gearbeitet. Es umfasst mittlerweile den größten Teil des Kieler Stadtgebietes. Mit der Erstellung der umfangreichen Untersuchungen wurden Ingenieurbüros beauftragt.

Auch im Rahmen der Erstellung des Masterplan Mobilität für die KielRegion wurde das Thema Fußverkehr intensiv behandelt und ein „Leitfaden Fußverkehrsförderung“ entwickelt. 

Der Anteil des Fußverkehrs am Modal Split liegt in Kiel bei 30 Prozent (Quelle: Forschungsprojekt‚ Mobilität in Städten – SrV 2013). Bezieht man die Zuwege zum Erreichen von Bushaltestellen oder Parkplätzen mit ein, liegt der Anteil sogar bei circa 60 Prozent. 

2 Ziele

Mit dem Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept will die Landeshauptstadt Kiel den Fußverkehr systematisch fördern und den Nachholbedarf schrittweise reduzieren:

– Planungsgrundlage zur systematischen Förderung des Fußverkehr,

– Standards für Fußwege in Kiel als Arbeitsgrundlage zur Mängelbewertung,

– Priorisierung des Mitteleinsatzes in Bauprogrammen, u. a. Programm zur Förderung des Fußverkehrs,

– Priorisierung für Wegeunterhaltung, z. B. Grünschnitt, Belagsarbeiten,

– Berücksichtigung in größeren Projekten,

– Grundlage für Förderanträge, u. a. Kommunaler Klimaschutz, Soziale Stadt.

3 Standards für Fußwege

Die Standards für das Fußwegeachsen- und Kinderwegenetz wurden als allgemein gültige Richtschnur und Zielvorgabe bei den Bemühungen um die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung des Fußverkehrs in der Landeshauptstadt Kiel auf Basis von Vorschriften und Richtlinien entwickelt und durch die Gremien der LH Kiel beschlossen.

Sie sind in Gruppen eingeteilt und mit Kriterien zur Beurteilung hinterlegt. Diese Kriterien bilden die Grundlage für die Mängelbewertung von Fußwegen. Sie werden außerdem für die Planungen von Wegen, Straßen und Plätzen herangezogen, um dem Fußverkehr das erforderliche Gewicht zu geben.

– Hohe Aufenthaltsqualität

– Optimale Orientierung

– Stimmige Gehwegausgestaltung

– Durchgängige Barrierefreiheit

– Anlagen für den Querverkehr

– Zugänglichkeit des ÖPNV

– Flächen für den Rad- und Fußverkehr

– Verkehrsberuhigte Bereiche

– Arbeitsstellen

– Ergänzt werden diese Kriterien durch „Standards für Kinderwege“ wie z. B. Breitenzuschläge.

4 Allzeit-, Freizeit und Kinderwege

Die Fußwege- und Kinderwegeachsen werden in drei Kategorien unterteilt:

Allzeitwege 

Verbinden wesentliche Quell- und Zielorte des Fußverkehrs. Sie sollen sicher begehbar und zu jeder Tages- und Jahreszeit nutzbar sein. Die Allzeitwege sollten durchgehend barrierefrei ausgeführt sein. 

Freizeitwege

Freizeitwege sind in der Regel Verbindungen und Alternativrouten durch Naherholungsgebiete oder Grünflächen aber auch touristische Wege in dichter bebauten Bereichen. Sie sind nicht in allen Situationen barrierefrei. 

Kinderwege 

Kinderwege haben grundsätzlich die Qualität von Allzeitwegen mit zusätzlichen Ansprüchen wie z. B. Breitenzuschläge, Elementen zum Spielen, Abstände von Querungsanlagen.

Diese Unterteilung wurde vor allem deshalb vorgenommen, da es vor allem in Parks und Grünanlagen angenehm ist zu gehen, diese Wege aber weder barrierefrei noch befestigt oder beleuchtet ausgeführt werden können. Sie spielen aber als Alternativrouten abseits der Straßen eine wichtige Rolle, nicht nur in der Freizeit. 

Bild 1: Ausschnitt Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept 

5 Beteiligung und Zusammenarbeit

Arbeitskreise und Beiräte sind an der Entwicklung der Fußwegeachsen beteiligt. Diese sind unter anderem der Arbeitskreis Verkehrsmarketing, der Arbeitskreis Fußverkehr, der Beirat für Menschen mit Behinderungen, der Beirat für Seniorinnen und Senioren sowie die betroffenen Ortsbeiräte.

In jedem Ortsbeiratsbezirk werden nach Entwicklung eines ersten Entwurfs mehrere Planungsspaziergänge durchgeführt, an denen sich die oben genannten Gremien, aber auch Einwohnerinnen und Einwohner sowie die Polizei beteiligen können.

Wichtige Grundlagen für die Erstellung des Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzeptes sind auch die Hinweise, die aus einer umfangreichen Beteiligung von Schulkindern auf Grundlage der „Wegetagebücher für Kinder“ gewonnen werden. Auch eine Befragung von Seniorinnen und Senioren ist Bestandteil des Beteiligungskonzeptes.

6 Wegetagebücher für Kinder

Welche Wege gehen Kinder und welche Erfahrungen machen sie dabei? Welche Orte sind ihnen unangenehm und wo halten sie sich am liebsten und am häufigsten auf? Um dies zu erfahren ist das sogenannte „Wegetagebuch“ entwickelt worden.

In den 4. Klassen wird im Unterricht das Thema Landkarten behandelt, so dass die Wegetagebücher durch die Lehrer im Unterricht als Lehrmaterial verwendet werden können. Die Kinderbeteiligung kann so in den Unterricht eingebunden werden.

Das Wegetagebuch ist ein Heft, das Fragebögen zu den Schul- und Freizeitwegen sowie zwei Umgebungspläne enthält. Eine Karte wird zum Einzeichnen der Schulwege und die andere für Freizeitwege verwendet. 

Es wird außerdem abgefragt, wie die Kinder zur Schule kommen, wie sie sich in der Freizeit fortbewegen, was sie an ihrem Stadtteil besonders schätzen und ob sie gerne zu Fuß gehen. Sie können auch ihre Lieblingsorte und „gefährliche Orte“ benennen. Das ausgefüllte Wegetagebuch wird anonymisiert ausgewertet und dann an die Kinder zurückgegeben. 

Die Ergebnisse der Beteiligung haben Einfluss auf die Gestaltung des Fußwege- und Kinderwegekonzeptes und geben der Landeshauptstadt Kiel Hinweise für die Gestaltung der stadtteilbezogenen Kinderwegepläne.

Sie tragen generell dazu bei, die Bedürfnisse und Belange der Kinder hinsichtlich der Stadt-, Verkehrs- und Freiraumplanung besser zu verstehen und sie planerisch mit dem Ziel zu berücksichtigen, Kindern in der Stadt die Mobilität zu erleichtern. 

Bild 2: Fragebogen und Umgebungsplan mit Eintragungen 

Bild 3: Wegehäufigkeiten an den Beispielen der Reventlou- und Hardenbergschule

7 Ergebnisse

Nach Abschluss der Untersuchungen, die in der Regel jährlich für 2 bis 4 Ortsbeiratsbezirke durchführt werden, werden die Ergebnisse in Form von Berichten veröffentlicht und das entwickelte Fußwegeachsennetz sowie Handlungsschwerpunkte den städtischen Gremien zum Beschluss vorgelegt.

Die Abschlussberichte enthalten neben dem entwickelten Achsennetz auch umfangreiche Mängelanalysen (dokumentiert in Excel-Tabellen) entlang der untersuchten Fußwegeachsen. Außerdem werden Maßnahmenskizzen(-vorschläge) mit Kostenschätzungen für die Handlungsschwerpunkte erstellt. Dadurch werden wichtige Grundlagen erstellt, die für weitere Planungen und Förderantrage herangezogen und nach Möglichkeit auch umgesetzt werden. 

8 Programm zur Förderung des Fußverkehrs

Das „Programm zur Förderung des Fußverkehrs“ wurde geschaffen, um gezielt kleinteilige Maßnahmen zur Fußverkehrsförderung zu finanzieren. Es stehen in der Regel jährlich ca. 250.000 € zur Verfügung. Derzeit enthält dieses Bauprogramm Vorschläge für ca. 40 Maßnahmen. Dies sind in der Regel Fahrbahnverengungen, Fahrbahninseln, Befestigungen von Gehwegen etc. Die Maßnahmenvorschläge werden aus den Handlungsschwerpunkten des Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzeptes abgeleitet. 

Bild 4: Ausschnitt mit umgesetzten (grün) und noch nicht fertiggestellten Maßnahmen aus dem Programm zur Förderung des Fußverkehrs

Beispiel Fahrbahneinengung Speckenbeker Weg 

Beispiel Gehwegüberfahrt Virchowstraße 

Beispiel Verbreiterung der nutzbaren Gehwegfläche Eichhofstraße 

9 ExWoSt – Aktive Mobilität in städtischen Quartieren

Die Landeshauptstadt Kiel beteiligt sich seit 2017 am Projekt „Aktive Mobilität in städtischen Quartieren“, das mit Bundesmitteln aus dem Forschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) gefördert wird. Das Motto des Projektes in Kiel ist „Bespielbares Quartier“. Dieses Motto für die Umgestaltung des öffentlichen Straßenraums ist aus dem vom Land Schleswig-Holstein geförderten Modellprojekt „Wohnen mit Kindern in der Stadt“, entstanden. Weiterhin wird der Leitgedanke des Kieler Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzeptes zur Schaffung eines attraktiven, alltagstauglichen und durchgehend barrierefreien Wegenetzes im Quartier aufgegriffen. 

Bild 5: Fußwegeachsen im Projektquartier mit Handlungsschwerpunkten 

Wellingdorfer Straße

Die Wellingdorfer Straße wird bzw. wurde im Rahmen des Projektes in zwei Schritten umgestaltet. In einem ersten Schritt wurde durch eine Eingrenzung einer Platzfläche mit Fahrradbügeln ein Aktionsraum geschaffen. Im Anschluss daran, wurde dort von Künstlern das „Wellingdorfer Wohnzimmer“ zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohner aufgebaut. Im zweiten Schritt soll dieser Platzbereich ab 2019 baulich dauerhaft umgestaltet werden. Die Planungen dafür werden derzeit erstellt. 

Bild 6: Temporäre Gestaltung „Wellingdorfer Wohnzimmer“

Kieler Kuhle

Ein Ähnliches Vorgehen wurde in der Kieler Kuhle gewählt, die als bespielbare Straße in ebenfalls in zwei Schritten umgestaltet wird.

In einem ersten Schritt wurde ein Teil der Kieler Kuhle durch Fahrradbügel für den Kfz-Verkehr gesperrt. Im zweiten Schritt wird ab 2019 ebenfalls eine dauerhafte bauliche Umgestaltung vorgenommen. 

Bild 7: Kieler Kuhle

Klausdorfer Weg – Fahrbahninsel

Im Klausdorfer Weg sollen zwei Querungsanlagen und Fahrradschutzstreifen geschaffen werden. Im Rahmen des ExWoSt-Projektes wurde eine unkonventionelle Lösung entwickelt. Anstelle einer klassischen Mittelinsel sollen in der mit ca. 6000 Kfz/24h befahrenen Straße zwei kleinere Fahrbahninseln erstellt werden, die für den Kfz-Verkehr eine Fahrbahneinengung bedeuten, für den Radverkehr aber Durchfahrtsmöglichkeiten entlang des Gehweges bieten. Dadurch soll verhindert werden, dass der Radverkehr nicht wie bei klassischen Fahrbahninseln oder Fahrbahneinengungen kurz vorher durch Fahrzeuge behindert wird, die noch „schnell“ überholen wollen. 

Bild 8: Planung Fahrbahneinengung Klausdorfer Weg 

10 Fazit

Aus Sicht der Landeshauptstadt Kiel hat sich das Vorgehen einer flächendeckenden Entwicklung von Fußwegeachsen bewährt und hat dazu geführt, dass die öffentliche Wahrnehmung für Fußverkehrsthemen deutlich zugenommen hat. Ein Grund dafür ist, dass die Fußwegeachsen und Kinderwege durch das sukzessive Vorgehen jährlich wieder in den Fokus rücken. Auch die begleitende Presseberichterstattung und die intensive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Stadtteilen, haben dazu beigetragen. Sehr wichtig für die Durchsetzbarkeit von Maßnahmen ist außerdem die Kinderbeteiligung. Verkehrssicherheit für Kinder will prinzipiell jeder gerne unterstützen. Auch unpopuläre Maßnahmen, wie die Einschränkung des Kfz-Parkens, werden deshalb eher akzeptiert. Es bleibt abzuwarten wie sich die derzeit schleppende Umsetzung der Maßnahmenvorschläge aus dem Programm zur Förderung des Fußverkehrs entwickelt. Hoffnung gibt es, da die Kieler Ratsversammlung im vergangenen Herbst die Schaffung von Personalstellen im Tiefbauamt für die Planung und Umsetzung dieser Maßnahmen beschlossen hat.