FGSV-Nr. FGSV C 13
Ort Worms
Datum 08.03.2016
Titel Gabionen – Einsatzbereiche, Bemessung, Ausführungsbeispiele
Autoren Prof. Dr.-Ing. Lutz Wichter
Kategorien Erd- und Grundbau
Einleitung

In Deutschland hat sich der Bau von Stützkonstruktionen aus Gabionen seit ca. 30 Jahren durchgesetzt. In den letzten Jahren ist eine starke Zunahme der Beliebtheit festzustellen. Insbesondere Lärmschutzwände aus Drahtschotterbehältern werden von der Deutschen Bahn und den Straßenbauverwaltungen als dauerhafte und unterhaltungsarme Konstruktionen geschätzt. Ab einer gewissen Höhe sind Mauern aus Drahtschotterbehältern Ingenieurbauwerke und müssen statisch nachgewiesen werden. Wenn die Gabionen als Stützkonstruktionen eingesetzt werden, werden sie wie Gewichtsmauern aus Beton oder Naturstein behandelt. Für die innere Standsicherheit der Gabionenelemente, die insbesondere beim Bau von Lärmschutzwänden eine große Bedeutung hat, ist bis heute ein rechnerischer statischer Nachweis nicht möglich ­ hier ist man bisher auf Eignungsversuche angewiesen. Diese Versuche werden als Belastungsversuche durchgeführt, bei denen die Verformungen der befüllten Drahtbehälter gemessen werden. Vom Arbeitsausschuss 5.6 ,,Grundbau" der FGSV wurde das ,,Merkblatt über Stützkonstruktionen aus Betonelementen, Blockschichtungen und Gabionen" erarbeitet (FGSV 555, Ausgabe 2003). Das Merkblatt wurde in den letzten Jahren überarbeitet; die Neufassung erschien im Jahr 2014 unter dem Titel ,,Merkblatt über Stütz- und Lärmschutzkonstruktionen aus Betonelementen, Blockschichtungen oder Gabionen" (M Gab). Im Vortrag wird die Bauweise vorgestellt, und die statischen Nachweise werden erläutert. An Hand von Beispielen werden Schadensmöglichkeiten aufgezeigt.

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Gabionen werden auch als Drahtschotterbehälter bezeichnet. Es handelt sich um in der Regel kubische Käfige aus verzinktem Draht, die mit Bruchsteinen, Schotter und in jüngerer Zeit gelegentlich auch mit Erde befüllt werden. Mit ihnen werden Stützkonstruktionen errichtet, die wasserdurchlässig und in gewissen Grenzen flexibel sind. Beim Bau von Lärmschutzwällen finden Gabionen zunehmend Verwendung. Weitere Einsatzbereiche sind der Bau von militärischen Stellungen ("Schanzkörbe"), die Verkleidung von Mauern in der Architektur und Uferbefestigungen im Wasserbau. Der Name wurde aus dem italienischen "gabbia" abgeleitet und bedeutet Käfig.

Die Bauweise stammt ursprünglich aus dem Alpenraum, wo steinbefüllte Drahtkäfige in der Wildbachverbauung seit Jahrzehnten üblich sind. Der italienische Ingenieur Serrazanetti führte sie um 1890 in den Wasserbau ein und definierte gewisse Richtlinien für ihre Verwendung. In den Provinzen Bologna, Modena, Turin, Guneo, Alessandria, Benevento und Girgenti (insbesondere an den Flüssen Idice, Stura, Po, Samoggia und Secchia) wurden erstmals Buhnenbauten mit sog. Drahtnetzkörpern ausgeführt [1]. Das Zentralblatt der Bauverwaltung in Berlin berichtete 1915 über den Einsatz von Drahtwalzen mit Steinfüllung in Österreich-Ungarn [2]. Im Jahr 1917 veröffentlichte der k. k. Oberbaurat Arndt einen Aufsatz über schiffbare Seen, Flüsse und Kanäle in Italien, in dem Schotterbehälter System Palvis vorgestellt werden [3]. Bereits im Jahr 1915 hatte er das Verfahren vorgestellt [4], das sich auch zur Herstellung von Stützkonstruktionen eignete (Bilder 1, 2 und 3)

In Deutschland hat sich der Bau von Stützkonstruktionen aus Gabionen seit ca. 30 Jahren durchgesetzt. In den letzten Jahren ist eine starke Zunahme der Beliebtheit festzustellen. Insbesondere Lärmschutzwände aus Drahtschotterbehältern werden von der Deutschen Bahn und den Straßenbauverwaltungen als dauerhafte und unterhaltungsarme Konstruktionen geschätzt.

Ab einer gewissen Höhe sind Mauern aus Drahtschotterbehältern Ingenieurbauwerke und müssen statisch nachgewiesen werden. Wenn die Gabionen als Stützkonstruktionen eingesetzt werden, werden sie wie Gewichtsmauern aus Beton oder Naturstein behandelt. Durch den relativ großen Porenraum der Schotterbefüllung liegen die Wichten in der Regel nur zwischen 16 und 19 kN/m3.

Für die innere Standsicherheit der Gabionenelemente, die insbesondere beim Bau von Lärmschutzwänden eine große Bedeutung hat, ist bis heute ein rechnerischer statischer Nachweis nicht möglich – hier ist man auf Eignungsversuche angewiesen. Diese Versuche werden als Belastungsversuche durchgeführt, bei denen die Verformungen der befüllten Drahtbehälter unter Horizontal- und Vertikallasten gemessen werden (Bild 4).

Bild 4: Belastungsversuch (vertikal) an einer Lärmschutz-Gabionenmauer

Das ursprüngliche Baumaterial für die Drahtkäfige war Sechseck-Drahtgeflecht, das keine große Eigensteifigkeit besitzt und deswegen vergleichsweise leicht verformt werden kann. Steifer sind Gabionen aus verschweißten Stahlstäben. Durch die Wahl der Stababstände und Stabdicken lässt sich die Steifigkeit variieren. Inzwischen gibt es Gabionen aus kräftigen verzinkten Stahlkörben, die fabrikmäßig befüllt und geliefert werden. Die Ansprüche an die Verzinkung des Drahtes oder der Stäbe sind in [5] beschrieben. Wenn die Verzinkung fachgerecht ist, und die Gabionen nicht besonders aggressiven Umwelteinfl üssen ausgesetzt sind, kann man von einer Gebrauchsdauer von mindestens 50 Jahren ausgehen. Es macht keinen Sinn, den verzinkten Stahldraht zusätzlich z. B. mit einer Beschichtung aus PVC zu umgeben. Unter bestimmten Umständen kann eine solche Beschichtung die Schutzwirkung des Zinks sogar verringern.

Üblich war es lange Zeit, die Ansichtsseite von Gabionenmauern als Trockenmauer aus Bruchsteinen zu gestalten und die Steine von Hand zu versetzen. Dahinter konnte dann Schotter eingefüllt werden. Inzwischen werden die meisten Gabionenkonstruktionen aus punktgeschweißten Drahtgitterkörben gebaut, deren Schotterbefüllung bereits im Werk eingebracht und verdichtet wurde.

Es gibt aber auch durchaus andere Möglichkeiten der Vorderseitengestaltung, wie die Bilder 5 bis 9 zeigen. In Berlin hat die Friedhofsverwaltung eines Bezirkes sogar Grabsteinfrag-mente zur Befüllung von Gabionen benutzt. Eine anschauliche Darstellung der mit Gabionen möglichen Gestaltung von Stütz- und Lärmschutzkonstruktionen gibt Jung in [6]. Von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. wurde ebenfalls eine Schrift zur Gabionenbauweise veröffentlich [7].

Das Aussehen der Ansichtsseite ist immer wieder Anlass zu Auseinandersetzungen zwischen Bauherren und ausführenden Unternehmen. Deshalb muss in den Leistungsverzeichnissen und Leistungsbeschreibungen genau beschrieben werden, aus welchem Gestein und aus welchen Steinformaten die Befüllung der Drahtkörbe bestehen soll. Am besten ist es, ein Muster herstellen zu lassen, bevor die Vergabe erfolgt. Es reicht nicht, z. B. ein trockenmauerartiges Aussehen zu verlangen. Im Jahr 2011 erschienen für das Bundesland Bayern die „Technischen Lieferbedingungen für Gabionen im Straßenbau – Teil 1: Befüllmaterialien“; 2012 gab das Bayerische Staatsministerium des Innern eine überarbeitete Fassung heraus [8]. Derzeit wird vom Arbeitssausschuss 5.6 Grundbau der FGSV eine TL Gab auch für die anderen Bundesländer erarbeitet.

Bild 5: Gabionenstützmauer mit Großpflastersteinen

Bild 6: Gabionenstützmauer aus Feldsteinen

Bild 7: Gabionenstützmauer aus Flussgeröllen

Bild 8: Gabionenstützmauer aus Grabsteinfragmenten (Foto: Hecht)

Bild 9: Gabionenstützmauer, Vorderseite gesägter Sandstein

Eine Selbstverständlichkeit ist es eigentlich, dass die Korndurchmesser der Verfüllung größer sein müssen als die Maschenweiten der Käfige. Das Gestein der Verfüllung muss außerdem frostbeständig sein. Viele Kalksteine in Deutschland erfüllen diese Bedingung nicht und zerfallen unter dem Einfluss von Frost-Tauwechseln. Unmittelbare Gefahr entsteht dadurch in der Regel freilich nicht, denn die Gesteinssplitter verbleiben weitgehend innerhalb der Käfi ge, solange nicht z. B. strömendes Wasser sie fort trägt.

Bild 10: Nicht fachgerechte Verfüllung

Bild 11: Zerfallende Kalksteinbefüllung

Um die Gabionen bei der Verdichtung des Füllbodens in Form zu halten, ist eine ausreichen-de Anzahl von Spanndrähten im Innern erforderlich, und die Verdichtungsintensität muss der Situation angepasst sein. Andernfalls bauchen die Vorderseiten aus.

Erdbefüllte Stützkonstruktionen aus Gabionen können problematisch sein. Um die Erde in den Käfigen zu halten, verwendet man gern Geokunststoffe (z. B. Vliese) und gelegentlich auch natürliche Materialien wie Matten aus Kokosfasern, mit denen die Vorderseite ausgelegt wird. Geokunststoffe bestehen aus Polymeren, deren Beständigkeit unter dem Einfluss der Atmosphärilien nicht an die herkömmlicher Baustoffe wie Beton oder Stein heranreicht. Insbe-sondere die UV-Strahlung der Sonne setzt ihnen auf die Dauer zu. Eine Begrünung bietet dagegen keinen wirksamen Schutz. Wenn das Vlies verrottet, kann die Erdbefüllung nicht in der Gabione bleiben. Man sollte also die Lebensdauer solcher Konstruktionen nüchtern einschätzen. Gleiches gilt für erdbefüllte Gabionen, deren Vorderseite mit organischen Materialien wie Kokosmatten, Jutegewebe o. Ä. geschlossen wird. Es ist eine Binsenweisheit, dass diese Materialien im Laufe der Zeit verrotten und damit ihre Funktion verlieren. Konstruktionen, wie sie die Bilder 12 und 13 zeigen, sind nicht dauerhaft gebrauchsfähig.

Bild 12: Lärmschutzwand aus erdbefüllten Gabionen und Naturfaser

Bild 13: Erdbefüllte Gabione mit Vliesvorderseite

Die Methode, Drahtschotterbehälter mit Erde zu befüllen, beruht auf dem Wunsch, die Konstruktion begrünbar zu machen. Deshalb muss der Erdstoff so gewählt werden, dass er den Wurzeln Halt und Nahrung geben kann. Dazu kommt entweder Mutterboden oder ein Substrat aus bindigem Boden in Frage. Um der Gabionenkonstruktion die gewünschte und dauerhaft beizubehaltende Form zu geben, muss der Erdstoff verdichtet werden. Dabei können sich die Drahtbehälter seitlich ausbeulen. Außerdem ist eine gute Verdichtung, wenn sie denn zwischen den Spanndrähten im Gabioneninnern überhaupt möglich ist, dem Pflanzenwachstum eher abträglich. Auch die ausreichende Versorgung der Pflanzen mit Wasser ist bei Gabionenkonstruktionen wie z. B. Lärmschutzmauern nicht immer einfach zu gewährleisten. In der Regel funktioniert sie nicht.

Literaturverzeichnis

1 Keutner, Ch.: Buhnenbauten aus Drahtnetzkörpern. In: Die Bautechnik, Jahrgang 14, Heft 36, S. 513–523, 1936, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin

2 Preußisches Finanzministerium: Verwendung von Drahtwalzen mit Steinfüllung im Flußbau. In: Zen-tralblatt der Bauverwaltung, Hrsg. Ministerium der öffentlichen Arbeiten, S. 199–200, 1915, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin

3 Arndt, L.: Schiffbare Seen, Flüsse und Kanäle in Italien. In: Allgemeine Bauzeitung, S. 21-38, Wien, 1917

4 Arndt, L.: Ein neues Verfahren von Uferschutz- und Leitwerken. In: Zeitschrift des Österr. Ingenieur- und Architekten-Vereines, S. 737–739, 1915

5 Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Merkblatt über Stützkonstruktionen aus Betonelementen, Blockschichtungen und Gabionen (M Gab), Ausgabe 2003, Köln, FGSV 555

6 J u n g, G. F. W.: Gabionen, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart, 2015, ISBN 978-3-8001-8069-1

7 Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL, Hrsg.): Empfehlungen für Planung, Bau und Instandhaltung von Gabionen, 2012

8 Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern: Technische Lieferbedingungen für Gabionen im Straßenbau – Teil 1: Befüllmaterialien“ (TL Gab-StB By 11 – Teil 1), Ausgabe 2012, Az.: IID9-43434-001/11