FGSV-Nr. FGSV 001/26
Ort Bremen
Datum 28.09.2016
Titel Die neuen „Hinweise für die Erfassung und Nutzung von Umfelddaten in Streckenbeeinflussungsanlagen“
Autoren Dipl.-Ing. Slavica Grošanić
Kategorien Kongress
Einleitung

Das primäre Ziel einer Streckenbeeinflussungsanlage (SBA) ist es, den Verkehrsfluss zu ver­bessern sowie die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Durch die aktuell erfassten Verkehrs­ und Umfelddaten ist eine zeitnahe Reaktion auf die vorhandene Situation möglich. Dem Verkehrs­teilnehmer werden entsprechende Warnhinweise und Streckenverbote über Wechselverkehrs­zeichen (WVZ) mitgeteilt. Eine wichtige Rolle für die Akzeptanz von SBA spielt die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der angezeigten Geschwindigkeiten und Informationen.Die zur Erfassung von Umfeldbedingungen eingesetzten Sensoren müssen die aktuelle Situa­tion hinreichend genau erfassen und auf Basis der gewonnenen Messwerte ist ein adäquates Schaltbild zu generieren. Der Arbeitskreis 3.2.1 „Umfelddaten in Streckenbeeinflussungsanlagen“ der Forschungs­gesellschaft für Straßen­ und Verkehrswesen (FGSV) hat sich bereits seit mehreren Jahren mit diesem Themenkomplex befasst. Durch die Möglichkeiten, die sich im Umfelddatentest­feld des Bundes „Eching Ost“ ergaben, konnten langjährige Erfahrungen und Erkenntnisse zu Sensoren, Verhalten von meteorologischen Messwerten und deren Zusammenhänge in Wissensdokumente einfließen. Der AK 3.2.1 hat u.a. ein „Merkblatt für die Nässeerfassung in Streckenbeeinflussungsanlagen“ (FGSV 380), Ausgabe 2002 (zurückgezogen), zwei Wissensdokumente (Hinweise) (FGSV 306, Ausgabe 2010 und Entwurf 2016) erstellt sowie die Funktionsgruppe 3 der „Technischen Lie­ferbedingungen für Streckenstationen“ (TLS) (BMVBS, 2012) grundlegend über arbeitet. Die Ergebnisse aus den jährlichen Sensorbeurteilungen sind, mit Nennung der Hersteller und Sensortypen, in den Abschlussberichten (Haug; Busch, 2016), die von der Technischen Uni­versität München, Lehrstuhl für Verkehrstechnik erstellt wurden zusammengefasst.In die überarbeiteten Hinweise (FGSV 306, Entwurf 2016) wurde u.a. ein neuer Abschnitt zur Planung von Umfelddatenerfassungssystemen mit entsprechenden Muster­Ausschrei­bungstexten aufgenommen, weiterhin werden neue Sensortechnologien berücksichtigt. Zur einheitlichen Kommunikation zwischen den Sensoren und der Streckenstation wurde ein Feld­busprotokoll definiert. Die bereits bestehenden Plausibilitätsprüfungen und entsprechende Steuerungsverfahren wurden ebenfalls überarbeitet und um Vorschläge zur Helligkeitssteue­rung von WVZ und dWiSta ergänzt.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Streckenbeeinflussungsanlagen tragen wesentlich zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Autobahnen bei. Durch die dynamische Reaktion auf die aktuellen Verkehrs- und Umfeldbedingungen können situationsgerechte Warnhinweise (B- und C-Zeichen) und Geschwindigkeitsbeschränkungen (A-Zeichen) an Wechselverkehrszeichen (WVZ) angezeigt werden. Diese Anzeigen können jedoch nur so plausibel sein, wie die Erfassung und Weiterverarbeitung der gewonnenen Messwerte.

Bild 1: Gliederung Hinweispapier (FGSV, 201x)

Dazu sind bereits bei der Planung und Ausschreibung von SBA einige Dinge zu beachten, die im Hinweispapier genauer beschrieben werden. Im anschließenden Betrieb gibt es weitere Faktoren zu beachten, die Einfluss auf die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der späteren Schaltungen nehmen. Die Sensorik muss dabei die aktuelle Umfeldsituation hinreichend genau erfassen und der Steuerungsalgorithmus muss auf Basis der Messwerte eine entsprechende verkehrstechnische Maßnahme ermitteln.

Dazu hat der AK 3.2.1 das nachfolgend vorgestellte Hinweispapier (FGSV, 201x) neu überarbeitet, um die Verantwortlichen bei Planung und Betrieb von Umfelddatenerfassung im Zug von SBA zu unterstützen.

2 Hinweise zur Planung und Ausschreibung

Zur Erleichterung der Ausschreibung von Umfelddatenerfassungssystemen werden im Hinweispapier (FGSV, 201x) im Kapitel 3 Vorschläge gegeben, die bei der Planung der Anlagen unterstützen. Die Muster-Ausschreibungstexte können, mit geringen Anpassungen an das jeweilige Projekt, direkt in die Ausschreibungsunterlagen übernommen werden. Projektspezifische Anpassungen sind beispielsweise beim Einbau auf Brücken und bei der vorhandenen Energieversorgung erforderlich.

An jeder Station zur Umfelddatenerfassung ist eine Vielzahl an Sensoren vorhanden, die mit unterschiedlichen, herstellerspezifischen Übertragungsprotokollen die Daten zur Streckenstation (SST) übertragen. Um den Integrations- und Prüfaufwand bei der Anbindung der Sensorik an die Infrastruktur (SST) gering zu halten, wird ein standardisiertes Schnittstellenprotokoll im Hinweispapier beschrieben. Dieses Feldbusprotokoll ermöglicht ebenfalls den einfachen Austausch von Sensoren unterschiedlicher Hersteller, da keine herstellerspezifischen Übertragungslösungen, beachtet werden müssen. Die im Umfelddatentestfeld des Bundes vertretenen Hersteller für Umfelddaten haben dieses Protokoll bereits umgesetzt und es konnten über eine bzw. mehrere Testphasen hinweg Erfahrungen gesammelt werden.

Das neue Hinweispapier enthält Muster-Ausschreibungstexte für:

–­ Sämtliche atmosphärische Sensoren, die an einer Umfelddatenstation in SBA benötigt werden

– ­ Fahrbahnsonden und berührungslose Sensoren, die vor allem für die Ermittlung der Wasserfilmdickenstufe erforderlich sind ­

– Abnahmeprüfungen, die mit einfachen Mitteln an der Straße durchgeführt werden können (Beispiel: Tuchtest als ,,Schritt-für-Schritt-Anleitung")

–­ Aufstellvorrichtungen für die Sensorik an der Straße oder Brücke sowie

–­ die mögliche Ausführung der Streckenstation mit dem entsprechenden Steuermodul und dem Eingabe-Ausgabe-Konzentrator (EAK) in der Funktionsgruppe 3.

Bild 2: Beispiel für einen Muster-Ausschreibungstext

Die Langzeiterfahrungen zu unterschiedlichen Sensortypen der verschiedenen auf dem Markt erhältlichen Hersteller können aus den 11 Abschlussberichten zum Umfelddatentestfeld des Bundes ,,Eching Ost" eingesehen werden (Berichte-Umfelddatentestfeld). In den Berichten findet sich jeweils eine Beurteilung der Sensoren je Umfeldgröße unter Nennung der Herstellernamen und deren zugrundeliegenden Firmware-Versionen während der betrachteten Testphase.

3 Offenporiger Asphalt

Bei Offenporigem Asphalt (abgekürzt: OPA) handelt es sich um eine besondere Form der Asphaltdeckschicht, die als Charakteristikum einen sehr hohen Hohlraumgehalt (in der Regel ca. 22 Vol.-%) aufweist. Hierdurch wird ein Ableiten des Oberflächenwassers ermöglicht.

Infolge dieses Verhaltens auf OPA ist ein geringerer Wasserfilm auf der Fahrbahnoberfläche zu verzeichnen, aber auch eine deutlich schnellere Abnahme der Salzkonzentration. Die Besonderheit des OPA gegenüber den ,,klassischen" Fahrbahnbelägen besteht vor allem in der unterschiedlichen Charakteristik bei der Benetzung durch Regen und dem entstehenden Wasserfilm. Die Offenporigkeit verändert sich standortabhängig über die Betriebsjahre. Die Erfahrungen bisher zeigen, dass in den ersten Lebensjahren des OPA die Versickerungseigenschaft stärker ausgeprägt ist, als bei ,,klassischen" Belägen, diese sich aber über die Jahre wieder angleicht.

Deshalb ist auch in Bereichen mit offenporigen Belägen eine Erfassung der Wasserfilmdicke erforderlich, da selbst bei hoher Versickerung, die Oberfläche der Gesteinskörnung mit Wasser benetzt ist und abhängig von der Niederschlagsintensität eine Beschränkung bzw. Reduzierung der Geschwindigkeit im A-Zeichen der WVZ sinnvoll sein kann. Ist die Niederschlagsintensität hoch und die Dränwirkung des OPA aus den dargestellten Gründen beeinträchtigt, kann das Oberflächenwasser nicht abgeführt werden, wodurch sich auch hier ein geschlossener Wasserfilm mit den bekannten negativen Folgen für den Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn bilden wird, der steuerungstechnisch im Zuge einer SBA zu berücksichtigen ist. Aus den erwähnten Gründen ist von der alleinigen Erfassung der Niederschlagsintensität abzuraten, da die realen Verhältnisse der Fahrbahnoberfläche dabei nicht berücksichtigt werden. Auch aus messtechnischer Sicht ist diese indirekte Erfassung allein über die Niederschlagsintensität nicht zielführend.

Innerhalb einer SBA ist für eine verkehrlich und meteorologisch ausgewogene Erfassung und ein daraus abgeleitetes Schaltbild eine Mindestausstattung (min. 2 je Anlage bzw. alle 3 bis 5 km) erforderlich. Auf offenporigen Belägen sind messtechnisch und wirtschaftlich die Verwendung von berührungslosen Überkopfsensoren zur Erfassung des Fahrbahnzustands und der Wasserfilmdicke sinnvoll. Der Einbau von Fahrbahnsensoren ist neben der gestörten Dränwirkung des Fahrbahnbelags auch wegen der nicht realistischen Messwerte zur Wasserfilmdicke nicht zu empfehlen. Der auf der Sensoroberfläche gemessene Wasserfilm kann die realen Verhältnisse auf der Fahrbahn nicht widerspiegeln.

4 Berührungslose Sensoren

Die berührungslosen Sensoren zur Erfassung des Fahrbahnzustands, der Wasserfilmdicke und auch der Fahrbahnoberflächentemperatur sind vor allem an Stellen zu nutzen, an denen Bodensonden (z. B. OPA) nicht eingesetzt werden können. Vorteil der berührungslosen Sensoren ist, dass ein Eingriff in die Fahrbahn nicht mehr erforderlich ist. Bei der Montage, Wartung oder Austausch der Sensorik ist die Beeinträchtigung des Verkehrsraums wesentlich geringer, als bei Bodensonden.

Bild 3: Einbauort und Erfassungsbereich

Durch den größeren Erfassungsbereich, können die entsprechenden Größen wesentlich realitätsnaher erfasst werden, als dies mit der rein punktuellen Messung bei den ,,klassischen" Fahrbahnsensoren möglich ist. Es wird empfohlen, diese wesentlich größere Erfassungsfläche in die Mitte des Fahrstreifens zu legen, um Reflexionen der Fahrstreifenmarkierungen zu vermeiden. Die Montage der Sensoren ist über der Fahrbahn an einer Brücke oder seitlich möglich.

Mit Hilfe eines optisch-spektroskopischen Messverfahrens werden die Fahrbahnzustände bestimmt. Der Sensor muss in der Lage sein, für unterschiedliche Oberflächen kalibrierbar zu sein. Des Weiteren ist es wichtig, dass der Sensor auch bei höheren Verkehrsstärken (,,stockender Verkehr", Verkehrsstufe Z3 nach MARZ) zuverlässig und zeitnah Messwerte nach den Anforderungen der TLS (BMVBS, 2012) liefert. Bei Stau ist davon auszugehen, dass kein korrekter Messwert auf der Fahrbahnoberfläche durch den Sensor ermittelt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass bei diesem Verkehrszustand die Ermittlung des Schaltbildes aufgrund von Umfeldbedingungen eine untergeordnete Bedeutung hat.

Zur Ermittlung der Nässestufe werden zunächst eine Niederschlagsintensitäts- und Wasserfilmdickenstufe ermittelt. Aus diesen beiden Stufen wird mit Hilfe einer Matrix die Nässestufe abgeleitet. Im Hinweispapier finden sich dazu Anhaltswerte für die jeweiligen Stufen. Diese Parameter sind für jeden Standort individuell einzustellen. Denn entsprechend der Erfassungstechnologie (berührungsloser Sensor oder Fahrbahnsonde), Höhenlage, Fahrbahnoberfläche und weiteren Faktoren fallen die Messwerte unterschiedlich aus und resultieren somit in unterschiedlichen Nässestufen, welche das Schaltbild vorgeben. Aufgrund der Eigenschaft von berührungslosen Sensoren die Oberfläche spektroskopisch zu erfassen, wird auch der Wasserfilm in den Porenzwischenräumen der Fahrbahnoberfläche erfasst. Somit ergeben sich bei berührungslosen Sensoren meist höhere Wasserfilmdicken, als bei Fahrbahnsonden. (Haug, Grosanic, 2016)

Als Abnahmekriterium für berührungslose Sensoren eignet sich ebenfalls der Tuchtest, der im Kapitel 5.1 (FGSV, 201x) in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung beschrieben ist.

5 Helligkeitssteuerung

Nach wie vor ist das Wechselverkehrszeichen das wichtigste Mittel zur Kommunikation mit dem Verkehrsteilnehmer. Damit die Inhalte bei allen Umfeldsituationen zweifelsfrei erkannt werden können, hat die Helligkeitssteuerung von Wechselverkehrszeichen und dWiSta eine hohe Bedeutung für die Wirksamkeit der jeweiligen Strecken- und Netzbeeinflussungsanlagen.

Zur Erfassung der Helligkeit an einem Anzeigequerschnitt (AQ) wird empfohlen, an der Vorderund Rückseite einen Sensor zu installieren. Die Steuerung erfolgt nach dem jeweils größten gemessenen Helligkeitswert. Durch dieses Verfahren wird gewährleistet, dass die Schaltbilder auch bei ungünstigen Lichtverhältnissen (z. B. tiefstehende Sonne) gut erkennbar sind.

6 Fazit und Ausblick

Im neu gestalteten Hinweispapier (FGSV, 201x) finden sich Anleitungen und Vorschläge, die bei der Ausschreibung, Abnahme und im Betrieb von Umfelddatenerfassungssystemen unterstützen. Durch Muster-Ausschreibungstexte, Schritt-für-Schritt Anleitungen und Checklisten ist ein hilfreiches Werkzeug für den Anwender entstanden. Neue Technologien, wie die berührungslose Erfassung des Fahrbahnzustands sowie die Erfahrungen mit offenporigen Deckschichten finden sich ebenfalls wieder. Die bereits im vorherigen Hinweispapier beschriebenen Plausibilitätskontrollen wurden weiter fortgeschrieben und um Praxiserfahrungen ergänzt.

Der AK 3.2.1 hat nach Herausgabe von einem Merkblatt, zwei Hinweispapieren, der Mitgestaltung von Regelwerken wie die TLS und dem ,,Merkblatt für die Ausstattung von Verkehrsrechnerzentralen und Unterzentralen" (MARZ) sowie der Betreuung des Umfelddatentestfeldes des Bundes ,,Eching Ost" seine Arbeit beendet.

Dennoch sind die Zusammenhänge, die sich durch Witterungseinflüsse auf den Verkehrsablauf ergeben noch nicht hinreichend untersucht. Des Weiteren werden die punktuell erfassten Messwerte in naher Zukunft um flächendeckende sog. Extended Floating Car Data ergänzt, um eine genauere Vorstellung über den Zustand des Streckenabschnitts zu erhalten. Hierzu fehlen, bezüglich der Umfelddaten, Erfahrungen und deren mögliche Nutzung in Verkehrsrechnerzentralen. Es ist geplant einen neuen Arbeitskreis zu gründen, der sich mit diesen weiterführenden Themen befasst und die daraus gewonnen Erkenntnisse zur Aktualisierung der Anforderungen an Umfelddatenerfassung nutzt.

Literaturverzeichnis

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Merkblatt Nässeerfassung in Streckenbeeinflussungsanlagen, Ausgabe 2002 (zurückgezogen), FGSV Verlag, Köln

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Hinweise für die Erfassung und Nutzung von Umfelddaten in Streckenbeeinflussungsanlagen, Ausgabe 2010, Entwurf 2016, FGSV Verlag, Köln

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2012): Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS), BMVBS, Berlin, FGSV 3049

H a u g, A.; B u s c h, F. (2016): Umfelddatenerfassung in Streckenbeeinflussungsanlagen, Testfeld ,,Eching Ost" des Bundes, Abschlussbericht der 11. Testphase, BMVI, Berlin

H a u g, A.; G r o s a n i , S. (2016): Usage of Road Weather Sensors for automatic traffic control on motorways, In: Transportation Research Procedia, Volume 15, 537-­ 547

Abschlussberichte zum Umfelddatentestfeld des Bundes ,,Eching Ost": https://zvm .cloud .bayern .de/ public .php?service=files&t=4dbd73b3bcee12f14e51756827562840 (Passwort: d_1v5VAb)