FGSV-Nr. FGSV 001/27
Ort Erfurt
Datum 12.09.2018
Titel Differenzierte Standards im Radverkehrsnetz
Autoren Dipl.-Geogr. Peter Gwiasda
Kategorien Kongress
Einleitung

In der ERA 2010 wurden Regel- und Mindestmaße definiert. Fragen der Kapazität spielten damals noch keine Rolle. Es war damals das wichtigste Ziel ausreichende Standards zu imple- mentieren. Seit 2010 ist viel passiert. Aus der allgemeinen Forderung den Radverkehr zu för- dern, wurde ein viel höherer Anspruch. Der Radverkehr ist zu einem großen Hoffnungsträger in der Verkehrs- und Umweltpolitik geworden. Längere Wege, insbesondere im Berufsverkehr und zum Teil auch mit elektrischer Unterstützung sollen in stärkerem Maß Verkehr vom Kfz auf den Radverkehr verlagert werden. Das Mittel der Wahl waren zunächst Radschnellverbin- dungen, die seit ca. sieben Jahren das Top-Thema in der Radverkehrsförderung in Deutsch- land sind. Die wesentlichen Anforderungen und Standards für Radschnellverbindungen sind eine Mindestbreite von 4 Metern bei Zweirichtungsverkehr sowie auf Fahrradstraßen und je 3 Meter Breite je Richtungsführung. Bei Knotenpunkten ist die Vielfalt der Entwurfssituationen wesentlich größer. Entsprechend der Zweckbestimmung von Radschnellverbindungen werden vorzugsweise Lösungen mit Vorrang für den Radverkehr eingesetzt, denn es gilt die maximal zulässige Verlustzeit von 15 sek./km außerorts und 30 sek./km innerorts einzuhalten. Die konkrete Gestaltung Knotenpunkte wurde im Rahmen von Machbarkeitsstudien erarbeitet als Musterlösungen aufgearbeitet. Der Radschnellwegstandard erfordert eine Mindestzahl von 2.000 Nutzer am Tag, um eine positive Kosten-Nutzenrelation zu erreichen. Neben dem Radschnellwegstandard, der den aufkommensstarken Verbindungen vorbehalten ist, wird ein zweiter Standard definiert, der zwischen dem Radschnellwegstandard und dem normalen Grundstandard gemäß ERA 2010 liegt. Dieser „mittlere Standard“, die so genannten Radvorrangverbindungen soll dort zum Einsatz kommen, wo die erforderliche 2.000 Radfahrenden im Querschnitt nicht erreichbar sind aber der Bedarf nach schnellen Radverbindungen besteht. Dieser Mittelstandard lässt geringere Breiten zu und macht die Trennung vom Fußgängerverkehr von einer Mindestanzahl Fußgängern abhängig. Hinsichtlich der Knotengestaltung sind ähnliche Formen, wie bei den Radschnellverbindungen entwickelt worden. Der ERA-Standard wird als Grundstandard angesehen und auch künftig für einen großen Teil des Radverkehrsnetzes der verbindliche Standard sein. Die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ werden künftig die Ausprägungen für alle drei Standards definieren. Dabei kann auf die Vorarbeiten einiger Bundesländer zurückgegriffen werden.


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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 ERA 2010: Mindestanforderung durchsetzen

In der ERA 2010 wurden Regel- und Mindestmaße definiert. Fragen der Kapazität spielten damals noch keine Rolle. Es war damals das wichtigste Ziel, ausreichende Standards zu implementieren. Radwegbestände der 1980er- und 1990er-Jahre waren mit Blick auf die erforderlichen Verkehrsräume nicht ausreichend dimensioniert. Die Kritik der Radfahrenden war in weiten Teilen berechtigt. Dauerhafte Konflikte und mangelhafte Verkehrssicherheit waren die Hauptprobleme. In der ERA 2010 stand also das Motiv im Vordergrund, diese Probleme zu lösen und dem Radverkehr seinen erforderlichen Verkehrsraum zur Verfügung zu stellen. 

Bild 1: Die Standards für die Verkehrsräume des Radverkehrs als Maßstab für die Regelmaße der ERA 

Da Radverkehr vor 2010 in den wenigsten deutschen Städten ein Kapazitätsproblem aufwies, war manch einem der gestellte Flächenanspruch, wie er aus Bild 1 hervorgeht, bereits zu hoch. 

2 Neue Ziele – Neue Zahlen

Seit 2010 ist viel passiert. Aus der allgemeinen Forderung den Radverkehr zu fördern, wurde ein viel höherer Anspruch. Der Radverkehr ist zu einem großen Hoffnungsträger in der Verkehrs- und Umweltpolitik geworden. CO2-Minderung, Stauvermeidung und positive Auswirkungen auf die Gesundheit sind nur einige der angestrebten Effekte. Zudem ist Radverkehrsförderung kein Nischenthema mehr. Tatsächlich weisen regionale Erhebungen und die Studie Mobilität in Deutschland 2017 Zunahmen des Radverkehrs auf.

Kaum hatten die ERA ihre durchaus positive Wirkung auf die Qualität neuere Radverkehrsanlagen entfaltet, waren schon wieder neue Anforderungen in Sicht.

Das alte-Leute-Fahrzeug Pedelec (E-Bike mit 25 km/h Begrenzung der Elektrounterstützung) erreichte regional eine erhebliche Verbreitung.

Schnelle Radverbindungen, insbesondere für Berufspendler, wurden bei den europäischen Nachbarn erprobt. Neben dem bekannten Beispiel der Niederländischen Radschnellwege sind hier auch die Cycle-Superhighways in London zu nennen.

Der Radverkehr boomte, wenn auch nicht überall gleichermaßen, so doch in zahlreichen Großstädten. Insbesondere in denen, die auch als besonders attraktiv gelten und erhebliche Einwohnerzuwächse aufweisen.

So verdeutlichen Radverkehrszählungen, die auch erst in den letzten 10 Jahren an Bedeutung gewonnen haben, dass manche Querschnitte erhebliche Radverkehrsmengen abzuwickeln haben. Weisen die stärksten Querschnitte in Köln um die 10.000 Radfahrende am Tag auf, sind es in Berlin schon 16.000 Radfahrende am Tag (Oberbaumbrücke) mit Spitzen bis 20.000 Radfahrende am gleichen Querschnitt. Die 20.000 Radfahrenden am Tag werden beispielsweise auf der Promenade in Münster übertroffen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass es zunehmend auch um die Bewältigung von hohen Verkehrsmengen geht.

Eindeutig ist der Trend zu längeren Wegen. Endeten 2008 50 % aller Wege im Radverkehr bereits bei 1,5 Kilometern, waren 2017 die Hälfte aller Wege in Radverkehr länger als 2 Kilometer. Offensichtlich gibt es einen (regional differenzierten) Trend zu mehr Radverkehr und auch zu längeren Wegen im Alltagsradverkehr. 

3 Eine neue Qualität muss her: Radschnellverbindungen

Um den Radverkehr für längere Strecken attraktiver zu machen, braucht es entsprechende Infrastrukturangebote. An dieser Stelle kommt der Wunsch nach Radschnellverbindungen ins Spiel. Um die gewünschten Verlagerungsziele zu erreichen, muss auf der Radschnellverbindung zügiges, störungsarmes und nicht zuletzt sicheres Radfahren möglich sein. Damit sind auch schon die wesentlichen Entwurfsanforderungen definiert.

Radschnellverbindungen sind seit ca. sechs Jahren das Top-Thema in der Radverkehrsförderung in Deutschland. In den Niederlanden sind die ersten interkommunalen Radschnellwege bereits in den 2000er-Jahren angelegt worden. Beweggrund war hier die Entlastung des Verkehrssystems unter dem Stichwort „fiets filevrij“ also „Fahrrad staufrei“. Während die Niederländer sehr pragmatisch vorgingen, wurden in Deutschland zunächst Qualitätsstandards definiert. Pionierarbeit haben das Land Nordrhein-Westfalen und die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen geleistet. Im Arbeitspapier „Einsatz und Gestaltung von Radschnellverbindungen“ (Ausgabe 2014) der FGSV sind bereits Musterquerschnitte dargestellt, die als Grundlage für die Planung dienen sollten. Zurzeit wird das Arbeitspapier zu einem Hinweispapier weiterentwickelt. Zu diesem Zweck werden die Erfahrungen der letzten vier Jahre sowie die Ergebnisse des laufenden Forschungsvorhabens ausgewertet (siehe Literaturverzeichnis). Hinsichtlich der Breitenmaße und der Einsatzgrenzen wird es hier voraussichtlich keine wesentlichen Änderungen mehr geben. Hier hat sich ein klar definierter Radschnellwegstandard etabliert. Die wesentlichen Anforderungen und Standards für Radschnellverbindungen sind unstrittig. So wird bei den meisten Projekten der Anspruch einer Trennung vom Fußgängerverkehr und einer Mindestbreite von 4 Metern bei Zweirichtungsverkehr eingehalten. Neben diesen Zweirichtungsführungen für Außerortsverbindungen gibt es auch Richtungsführungen mit je 3 Metern Breite je Richtung oder die Führung der Radschnellverbindung über Fahrradstraßen, was die Führung bis ins Zentrum der Städte ermöglicht. Bei Knotenpunkten ist die Vielfalt der Entwurfssituationen wesentlich größer. Entsprechend der Zweckbestimmung von Radschnellverbindungen werden vorzugsweise Lösungen mit Vorrang für den Radverkehr eingesetzt. Da dies nicht immer möglich ist, gilt in deutschen Empfehlungen eine maximal zulässige Verlustzeit von 15 Sekunden je Kilometer außerorts bzw. 30 Sekunden je Kilometer innerorts. 

4 Exkurs Potenzialermittlung

Ein Blick auf die Anforderungen der Radschnellverbindungen macht deutlich, dass es sich hier – verglichen mit der bisher üblichen Radverkehrsinfrastruktur – um eine kostspielige Infrastruktur handelt. Diese Infrastruktur erfordert eine solide Begründung, daher sind für Radschnellverbindungen Nutzen-Kosten-Analysen obligatorisch. Dies hatte zur Folge, dass Kostenschätzung und Potenzialermittlung zu den üblichen Instrumenten der Machbarkeitsstudien von Radschnellverbindungen gehören.

Für Radschnellverbindungen hat sich die Mindestanforderung von 2.000 Fahrten je Werktag aus dem Arbeitspapier bundesweit durchgesetzt. Um die Nachfrage verlässlich abschätzen zu können, werden Verfahren untersucht, die auf einem Verkehrsmodell basieren. Unbeachtlich des laufenden Forschungs- und Entwicklungsvorhabens werden derzeit Verfahren verwendet, die folgende Parameter aufweisen:

Veränderung der Verkehrsmittelwahl,

Verkehrsmittelwahl nach Wegelänge,

Zeitgewinn durch die Radschnellverbindung.

Die Veränderung der Verkehrsmittelwahl basiert entweder auf gesetzten Zielwerten oder auf Trendfortschreibungen. Die Verkehrsmittelwahl nach Wegelänge ist zunächst einmal gegeben. Entweder als Ergebnis einer regionalen Mobilitätstudie oder (wenn diese fehlt) auf Grundlage der MiD. Der Zeitgewinn der Radschnellverbindung wir von Ausgangswert 15/16 km/h auf 20/22 km/h berechnet. Dabei handelt es sich um derzeit übliche Werte. Ein standardisiertes Verfahren wird angestrebt. 

Bild 2: RadNETZ Baden-Württemberg (linkes Bild) und die Korridore, welche als Radschnellverbindungen in Betracht kommen 

5 Die große Lücke: ERA und Radschnellverbindungen

Mit den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ und dem Arbeitspapier „Einsatz und Gestaltung von Radschnellverbindungen“ liegen seit 2014 zwei konkrete Entwurfsstandards vor. Ein Vergleich beider Standards macht sofort deutlich, dass zwischen den beiden Standards eine große Lücke klafft. Besonders eklatant ist dies bei den selbstständig geführten Verbindungen im Zweirichtungsverkehr. Der Radschnellweg mit 4 Metern zuzüglich 2,50 Metern Gehweg steht hier dem gemeinsamen Geh- und Radweg mit 2,50 Metern Breite gegenüber,

Bild 3: Die Standards für Radschnellverbindungen und der ERA-Standard im Vergleich

Bei der richtungsbezogenen Führung um Zuge von Hauptverkehrsstraßen ist der Unterschied ebenfalls erheblich. Einem Radweg von 1,60 Metern bzw. einem Radfahrtreifen von 1,85 Metern stehen Führungen von 3,00 Metern Breite gegenüber. Am geringsten sind die Differenzen bei Fahrradstraßen. Hier kennt die ERA bislang kein Mindestmaß, faktisch werden durch den in der Regel zulässigen Kfz-Verkehr 3,00 bis 3,50 Meter Breite zuzüglich Sicherheitsraum zu den parkenden Fahrzeugen notwendig sein. Die Radschnellverbindungen erfordern 4,00 Meter in der Fahrgasse zuzüglich Sicherheitsräumen von 0,75 Metern zu parkenden Fahrzeugen.

Insbesondere die Führungen zwischen den Ortslagen führten und führen oft zu Diskussionen. So stellt sich oft die Frage, ob getrennte Gehwege außerorts überhaupt erforderlich sind bzw. ab welcher Fußgängermenge eine separate Führung erforderlich ist. Auch stellt sich die Frage, ob bei mittleren Belastungen (um 2.000 Radfahrer/Tag) nicht auch 3,00 Meter Breite ausreichen, die gemäß dem Handbuch zur Bemessung von Straßen in diesem Bereich noch mit sehr guter Verkehrsqualität abzuwickeln sind. Sind die hohen Anforderungen unter den Voraussetzungen überhaupt gegenüber den Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes zu rechtfertigen?

Ein wichtiges Argument ist aber auch die Frage, wie mit schnellen Radverkehrsverbindungen außerhalb der Ballungsräume umzugehen ist. Im ländlichen Raum aber auch an den Rändern der Ballungsräume werden die 2.000 Radfahrer bzw. ein positiver Nutzen-Kosten-Faktor nicht erreicht. Sind diese Räume, wo hinsichtlich der Verkehrsverlagerung hin zum Umweltverbund, besonderer Handlungsbedarf besteht, also auf Dauer von dieser Form der Radverkehrsförderung ausgeschlossen. 

6 Planungsphilosophie im Wandel – die drei Standards

Diese Situation ist so natürlich nicht vermittelbar und so waren es dann die Flächenländer, insbesondere Bayern und Baden-Württemberg, die einen mittleren Standard mit in ihre Qualitätsstandards für Radschnellverbindungen aufgenommen haben. Andere Länder, z. B. Rheinland-Pfalz, hatten bereits im Vorfeld dieser Diskussion einen „mittleren Standard“ für ihre Radschnellverbindungen festgelegt. Einen Überblick zum Stand in ausgewählten Bundesländern gibt der Abschnitt 9.

Innerhalb der FGSV im Arbeitsausschuss 2.5. wurde aus dieser Situation die Konsequenz gezogen, zwischen dem Radschnellwegstandard und dem normalen Grundstandard der ERA einen mittleren Standard zu definieren. Dieser „mittlere Standard“, die sogenannten Radvorrangrouten, soll dort zum Einsatz kommen, wo die erforderliche 2.000 Radfahrenden im Querschnitt nicht erreichbar sind, gleichwohl der Bedarf nach schnellen Radverbindungen besteht.

Die Konsequenzen dieser Vorgehensweise sind erheblich und haben Auswirkungen bis in die Netzplanung. Potenzialabschätzungen und für einen Teil des Netzes Nutzen-Kosten-Analysen werden Teil der Radverkehrsplanung sein. Damit bekommen auch die RIN eine größere Bedeutung in der Radverkehrsplanung; so ist doch neben dem Potenzial auch die übergemeindliche Verbindungsbedeutung eine Voraussetzung für die Einrichtung einer Radschnellverbindung.

Die folgende Darstellung verdeutlicht die Anwendungsbereiche der drei Standards. 

Bild 4: Gliederung des Radverkehrsnetzes 

Hinsichtlich der Standards ist der mittlere „Radvorrangstandard“ noch nicht abschließend definiert. In den einzelnen Bundesländern bzw. auf regionaler Ebene gibt es in Nuancen Unterschiede. Damit wird im Zusammenhang mit der Aufnahme in die ERA umzugehen sein. Voraussichtlich wird es hier auch Spannbreiten geben, um den örtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen zu können. Beispielsweise werden außerorts in vielen Beispielen gemeinsame Führungen mit dem Fußverkehr zugelassen, wobei hier hinsichtlich der Verträglichkeit von Radverkehr und Fußverkehr unterschiedliche Grenzwerte gelten. Die gemeinsamen Führungen haben im Radvorrangnetz Breiten zwischen 3,00 und 4,00 Metern.

Recht einheitlich sind in den unterschiedlichen Regionen die Führungen von Richtungsführungen und Zweirichtungsführungen bei Trennung vom Fußverkehr, die in den Bildern 5 und 6 dargestellt sind.

Bild 5: Mittlerer Standard bei Zweirichtungsführung und Trennung von Fuß- und Radverkehr

Bild 6: Mittlerer Standard bei Richtungsführung und Trennung von Fuß- und Radverkehr

7 Verkehrsqualität an Knotenpunkten und Strecken

Ein wesentlicher Qualitätsgewinn der schnellen Radverkehrsverbindungen (Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten) wird durch die Führung an den Knotenpunkten entstehen, die ohne oder nur mit geringen Zeitverlusten für den Radverkehr gestaltet werden. Hier werden auch keine Unterschiede gemacht. Beide Qualitätsstufen (Radschnellverbindung und Radvorrandnetz) sollen hinsichtlich der Zeitverluste den gleichen Anforderungen unterliegen. Das bedeutet 15 Sekunden Verlustzeit außerorts und 30 Sekunden Verlustzeit innerorts.

Bislang sind die Verlustzeiten pauschal geschätzte Werte. Mit 30 Sekunden werden signalisierte Knotenpunkte gewertet, während Minikreisel und Kleine Kreisverkehre mit 10 bzw. 15 Sekunden zu Buche schlagen. Querungsstellen an Hauptverkehrsstraßen schlagen mit 20 Sekunden zu Buche.

Künftig sollen für alle Knotenpunktformen Einsatzbereiche definiert werden. Für Knotenpunkte mit Wartepflicht für den Radverkehr werden die pauschalen Werte für die Verlustzeiten überprüft und Verfahren zur Ermittlung der Verkehrsqualität entwickelt. 

Bild 7: Knotenpunkttypen und ihre Verlustzeiten

8 Musterlösungen als Planungshilfsmittel

Auf Basis dieser Erfahrungen und der Abstimmungsprozesse mit den zuständigen Bauämtern und Anordnungsbehörden konnte ein Kanon von Maßnahmen entwickelt werden, die als Musterlösungen für die weitere Planung zur Verfügung stehen. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg die landesweiten Standards und Musterlösungen auf der Internetseite www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/radschnellverbindungen-1/vom/28/8/2017/veröffentlicht. Ende des Jahres 2018 wird das Land Nordrhein-Westfalen einen entsprechenden Leitfaden veröffentlichen und das Land Hessen wird voraussichtlich Anfang 2019 folgen. Das Vorhaben in Hessen hat erstmals den Anspruch, alle Musterlösungen in den drei Standards darzustellen. Damit werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich sichtbar.

Die besondere Bedeutung der Musterlösungen liegt in der Visualisierung der Knotenpunktformen, die teilweise noch ungewöhnlich sind. Die Darstellung wird durch Hinweise zur verkehrsrechtlichen Einordnung ergänzt. Gerade in dieser frühen Phase sind die Musterlösungen nicht alle ausgereift. Im Einzelnen werden durch die intensivere Anwendung in der Praxis in Verbindung mit der Begleitforschung noch punktuell Veränderungen bei einzelnen Musterlösungen sattfinden. 

Bild 8: Beispiel für eine Musterlösung (links), umgesetztes Beispiel (rechtes Bild) 

9 Beispiele aus den Bundesländern

Sowohl in der Förderung der schnellen Radverbindungen als auch in der Erstellung von Standards und Musterlösungen sind zuzeit die Bundesländer und Regionen führend. Das bezieht sich auch zunehmend auf alle drei Standards. Dabei weicht insbesondere der mittlere Standard von Land zu Land und von Region zu Region ab.

Die Länder Bremen und Rheinland-Pfalz sind von Anfang an mit einem reduzierten Standard in die Umsetzung gegangen. Wichtige Kennwerte sind der Tabelle im Bild 9 zu entnehmen.

Auch der Regionalverband FrankfurtRheinMain ist zunächst mit einem reduzierten Standard gestartet. Mittlerweile umfassen die in Hessen gültigen Standards neben den Raddirektrouten auch den klassischen Standard für Radschnellverbindungen. Es gilt also künftig ein dreistufiges System.

Baden-Württemberg hat ebenfalls ein dreistufiges System mit einem Mittelstandard eingeführt. In welchem Zusammenhang der mittlere Standard eingesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Nordrhein-Westfalen hatte eine Schrittmacherfunktion bei der Etablierung des Radschnellwegstandards. Die Festlegungen des Landes Nordrhein-Westfalen waren auch Vorbild für das Arbeitspapier der FGSV. Die Übernahme der Baulast von Radschnellverbindungen durch das Land Nordrhein-Westfalen ist an diese Standards gekoppelt. Trotzdem hat sich ein mittlerer Standard in Nordrhein-Westfalen etabliert. Einmal in der Stadtregion Münster, wo die Velorouten zwischen Münster und seinen Umlandgemeinden in einem mittleren Standard ausgebaut werden. Für den Regionalverband Ruhrgebiet wurde ein dreistufiges Netz entwickelt, das neben Radschellverbindungen und dem Radgrundnetz auch ein Radhauptnetz (Radvorrangnetz) enthält. Der vorgesehene Ausbaustandard orientiert sich an den Ergebnissen der Potenzialberechnung.

Bild 9: Der mittlere Standard in ausgewählten Bundesländern und Regionen im Vergleich 

Derzeit befindet sich die Radverkehrsplanung in einer Umbruchsituation. Wurde noch vor wenigen Jahren ein Grundstandard als Angebotsplanung realisiert, orientiert sich die aktuelle Radverkehrsplanung zunehmend an den Radverkehrspotenzialen, sodass differenzierte Standards realisiert werden.

Netzplanungen, denen die drei differenzierten Standards zugrunde liegen, sind noch die Ausnahme. Konkret umgesetzt sind derzeit aber schon einige Abschnitte im Standard von Radschnellverbindungen und Radvorrangverbindungen, z. B. in Göttingen, Wuppertal, Kiel, Friedrichshafen und Teile des RS 1 im Ruhrgebiet. Im Herbst 2018 ist Baubeginn der „Raddirektverbindung Frankfurt – Darmstadt“. Auch in anderen Bundesländern laufen zurzeit Baumaßnahmen oder die Vorbereitungen dazu.

10 Wo liegen die aktuellen Herausforderungen?

Das Anpassung der Fahrradinfrastruktur und die Umsetzung des differenzierten Netzes erfordern natürlich Zeit. Aufgabe der Macher des Regelwerkes ist es, die Weichen so zu stellen, dass die Fahrradinfrastruktur, die heute gebaut wird in zwei oder drei Jahrzehnten noch den Anforderungen gerecht wird. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Erneuerung der Fahrradinfrastruktur sehr lange Zeit beansprucht.

Manches, was zurzeit als Musterlösung definiert wird, bedarf noch der Überprüfung. Daher laufen zurzeit noch Forschungsvorhaben, welche die bestehenden Wissenslücken noch schließen helfen. Die wichtigsten Leitfragen in diesem Zusammenhang sind:

Welchen Einfluss haben die neuen Breitenmaße auf die Verkehrsqualität?

Wie verträglich sind Fußgänger und Radverkehr auf gemeinsamen Flächen, bei welchen Breiten?

Wie verträglich sind der Kfz- und Radverkehr auf Fahrradstraßen?

Welche Einsatzbereiche haben die einzelnen Knotenpunktformen? Folgende wichtige Projekte seien hier beispielhaft genannt:

Projekte der BASt

FE 82.0680/2016: Einsatzbereiche und Entwurfselemente von Radschnellverbindungen

FE 70.0925/2015 Verkehrsablauf an signalisierten Knotenpunkten mit hohem Radverkehrsaufkommen (FF V1)

FE 03.0539/2015 Empfehlungen zur Breite von hochfrequentierten Radverkehrsanlagen unter Berücksichtigung der Verkehrsqualität (ab 04/2018)

NRVP-Projekte

Forschungsprojekt „Verträglichkeit von Radfahrenden und Zu Fuß Gehenden auf gemeinsamen und getrennten Wegen“: Entwicklung von Einsatzgrenzen.

RASCH – RAdSCHnellwege: Erkenntnisse zu verkehrlichen Eigenschaften von heterogenen Radverkehrsströmen auf Radschnellwegen

Aktivitäten in der FGSV

AK 3.13 Qualität des Verkehrsablaufs: nimmt die Weiterentwicklung des HBS zum Fuß- und Radverkehr in Angriff.

Der AK 2.4 befasst sich zurzeit mit der Erstellung der Hinweise zu Einsatz und Gestaltung von Radschnellverbindungen.

Ein wichtiges Ziel der laufenden Untersuchungen sind konkrete Entwurfshinweise im Regelwerk abhängig von der (Rad-)Verkehrsstärke. Beispielhaft sind dies:

Verfahren zur Quantifizierung des Einflusses des Fußverkehrs auf Radverkehrsverbindungen wünschenswert.

Verfahren zur Quantifizierung des Einflusses des Kfz-Verkehrs im Zuge von Fahrradstraßen wünschenswert.

Merkmale, z. B. Verlustzeiten, sind zu spezifizieren, um Verkehrsqualitäten einschließlich Zwischenknoten benennen zu können.

Spezifische Anforderungen des Radverkehrs an (signalisierten) Knotenpunkten herausarbeiten.

Konkrete Hinweise zur Dimensionierung und Gestaltung von Aufstellflächen erarbeiten.

Aus den Ergebnissen der Berechnungsverfahren sollten Richtwerte und Empfehlungen für Einsatzbereiche erarbeitet werden.