FGSV-Nr. FGSV 001/23
Ort Mannheim
Datum 15.09.2010
Titel Einsatzbereiche von Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung
Autoren Prof. Dr. Christoph Walther
Kategorien Kongress
Einleitung

Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung stellen den Prozess dar, mit dessen Hilfe Aussagen zur gesamthaften Zielerreichung bei geplanter Umsetzung einer Maßnahme in Bezug auf das gewählte Zielsystem getroffen werden können. Über die Ausgestaltung und die Einsatzbereiche solcher Verfahren ist in der Fachwelt und auch im politischen Raum immer leidenschaftlich diskutiert worden. Der Arbeitskreis „Einsatzbereiche von Bewertungsverfahren“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) hat sich in den letzten drei Jahren intensiv um eine sachliche und ausgewogene Darstellung der Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung und ihre möglichen Einsatzbereiche bemüht. Diese Arbeiten sind in einem Hinweispapier dokumentiert, in dessen Mittelpunkt die Beschreibung der Wertsyntheseverfahren und ihre fallweise Anwendung stehen. Darüber hinaus wird dem Aspekt der „Entscheidungsfindung“ besonderer Nachdruck dadurch verliehen, dass die Ergebnisse der Verfahren als ein Beitrag zur Abwägung bei Planungsprozessen dargestellt werden. Es zeigt sich, dass es nur wenige Kriterien bzw. „Entscheidungskontexte“ gibt, die zwingend in einer gegebenen Bewertungssituation auf ein Wertsyntheseverfahren führen. Vielmehr führt die Beschäftigung mit den Entscheidungskontexten zu einer transparenten Diskussion über jeweils mögliche adäquate Wertsyntheseverfahren und unterstützt damit den gesamten Prozess der Abwägung. Anforderungen und Beispiele aus der Praxis machen deutlich, dass oft Kopplungen von Wertsyntheseverfahren oder mehrere Wertsyntheseverfahren parallel zur Anwendung kommen (können); darüber hinaus aber auch, dass „Dynamische Aspekte bei Investitionsplanung und Projektbewertung im Verkehrssektor“ Weiterentwicklungen der Wertsyntheseverfahren erforderlich machen werden.

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1 Ausgangssituation

Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung stellen den Prozess dar, mit dessen Hilfe Aussagen zur gesamthaften Zielerreichung bei geplanter Umsetzung einer Maßnahme in Bezug auf das gewählte Zielsystem getroffen werden können. In der Regel umfassen diese Verfahren qualitative und quantitative Indikatoren zur Beschreibung bzw. Berechnung der Wirkungen von Maßnahmen oder Maßnahmenbündeln gegenüber einem Bezugsfall (oder mehreren Bezugsfällen) sowie Verfahren zur Wertsynthese der Teilergebnisse der einzelnen Indikatoren zu einem Gesamtergebnis.

Über die Ausgestaltung und die Einsatzbereiche solcher Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung ist in der Fachwelt und auch im politischen Raum immer intensiv diskutiert worden. Dies liegt daran, dass solche Verfahren niemals objektiv sein können, sondern auf allen Stufen subjektive Bewertungen eingehen. Dennoch kann die Anwendung solcher Verfahren auf jeder Ebene wissenschaftlich abgestützt und durch entsprechende Dokumentation der einzelnen Schritte die notwendige Transparenz hergestellt werden.

Der Arbeitskreis „Einsatzbereiche von Bewertungsverfahren“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV hat sich in den letzten drei Jahren intensiv um eine sachliche und ausgewogene Darstellung der Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung und ihre möglichen Einsatzbereiche bemüht. Diese Arbeiten sind in einem Hinweispapier dokumentiert (FGSV 2010)1). Eine erste umfangreiche Publikation zu den Inhalten dieses Hinweispapiers ist in (Walther 2009) erschienen. Der vorliegende Beitrag stellt eine Überarbeitung und Ergänzung der genannten Veröffentlichung dar. In der Abschlussphase der Erstellung des Hinweispapiers wurden einige Begriffe und Definitionen noch einmal angepasst, so dass sich hier verschiedentlich Abweichungen zu (Walther 2009) ergeben.

2 Definitionen und Anforderungen

2.1 Struktur von Entscheidungsverfahren

Während die Indikatoren zur Wirkungsermittlung und die Wertsyntheseverfahren zur Ableitung einer Gesamtbeurteilung unstrittig Elemente der Verfahren zur Entscheidungsfindung, vereinfachend auch als „Bewertungsverfahren“ bezeichnet, darstellen, so gehen die Meinungen auseinander, ob auch das Zielsystem, im Hinblick auf dessen Erfüllung eine Bewertung durchgeführt wird, Bestandteil des Entscheidungsverfahrens ist. Es sprechen gute Gründe dafür, das Zielsystem dem Entscheidungsverfahren zuzurechnen, denn allein schon durch die Aufnahme oder die Nichtaufnahme eines Ziels in das Zielsystem kann die Bewertung einer Maßnahme entscheidend beeinflusst werden.

Mit Maßnahmen werden, nicht nur in Verkehrsplanung, Ziele verfolgt. Ziele, in ihrer Gesamtheit auch als Zielsystem bezeichnet, definieren die Erwartungen, die die Planer und Entscheidungsträger an die Verkehrsplanung stellen. Das Zielsystem beschreibt damit einen Soll-Zustand. Die Ziele sind ferner die Messlatte für die Erfolgskontrolle der Verkehrsplanung, an der später – nämlich nach der Durchführung der einzelnen Maßnahmen – die Wirksamkeit und Effizienz der Planung insgesamt beurteilt werden kann (Cerwenka et al. 2007). Dabei ist zu konstatieren, dass diese Funktion eines Zielsystems in Form von ex post-Untersuchungen in Deutschland kaum wahrgenommen wird. Denn es könnte sich herausstellen, dass die angestrebten Ziele mit der Maßnahme nicht erreicht wurden oder – selbst wenn sich der gewünschte Erfolg einstellte – die Maßnahme letztlich hierfür gar nicht ursächlich war.

Die Herleitung eines Zielsystems ist ein politischer und damit normativer Prozess, der jedoch wissenschaftlich begleitet werden kann und sollte. Dies betrifft zunächst die Vollständigkeit des Zielsystems, also die Erfassung aller tangierten Wirkungsbereiche, sowie die Vollständigkeit der Präferenzrelationen, d.h. dass zu jedem Ziel eine Beurteilung der besseren oder schlechteren Zielerreichung durch verschiedene Maßnahmen möglich ist. Ferner müssen die Ziele weitgehend widerspruchsfrei und trennscharf sein sowie eine konsistente Zielhierarchie aufweisen: die Summe der Teilziele muss exakt das Oberziel ergeben.

Auch wenn ein Zielsystem den genannten Anforderungen entspricht, so sind im zweiten Schritt eines Bewertungsverfahrens auch Indikatoren zu definieren, die die Erreichung der Ziele nachvollziehbar und mit vertretbarem Aufwand beschreiben. Aufgrund der immer komplexeren Zielsysteme treten dabei Indikatoren in den unterschiedlichsten physischen Messgrößen auf; teilweise können auch nur verbale Einschätzungen gegeben werden. Umso schwieriger wird es, die Einzelergebnisse zu einer Gesamtaussage zusammenzuführen, umso größer sind die Herausforderungen an Wertsyntheseverfahren.

1) Die „Hinweise zu Einsatzbereichen von Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung“ Ausgabe 2010, FGSV 153 sind beim FGSV Verlag, Wesselinger Straße 17, 50999 Köln erhältlich.

Bei vielen Indikatoren, die mit hohem Modellaufwand prognostisch berechnet werden (können), ist darüber hinaus auf die Randbedingungen der verwendeten Daten und Berechnungsalgorithmen und damit die Ungenauigkeiten in der Wirkungsermittlung hinzuweisen, die die Notwendigkeit von Sensitivitätsanalysen begründen.

Dem dritten Baustein der Verfahren zur Entscheidungsfindung, den sogenannten Wertsyntheseverfahren, ist ein eigener, der folgende Abschnitt 3 gewidmet. In der vorgestellten Struktur bzw. Systematik wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass Nutzen-Kosten-Analysen und auch Nutzwertanalysen Wertsyntheseverfahren darstellen, also ausschließlich eine Stufe eines „Bewertungsverfahrens“.

Auch wenn die Wertsyntheseverfahren in der politischen wie in der Fachdiskussion im Fokus der Betrachtung stehen, darf nicht übersehen werden, dass die Wirkungsermittlung erwogener Maßnahmen für ein Verkehrssystem im Rahmen eines Bewertungsverfahrens der aufwendigste und gleichermaßen unverzichtbare Arbeitsschritt ist und die hierbei aufgebrachte Akribie die Qualität der Bewertungsergebnisse erheblich beeinflusst.

2.2 Aufgaben

Der Einsatz von Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung dient der Beurteilung, der Abwägung und der Auswahl von Maßnahmen (Handlungsoptionen) im Bereich der Verkehrssystemgestaltung. Dazu bedarf es einer Ermittlung der Vorteile und Nachteile der jeweiligen Maßnahme, die als positive oder negative Nutzen dargestellt werden können, sowie der Kosten für die Realisierung der jeweiligen Maßnahme.

Im Regelfall sind zur Lösung verkehrsplanerischer Aufgabenstellungen eine Mehrzahl von Maßnahmen (Handlungsoptionen) verfügbar, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile, bestimmte Voraussetzungen für ihre Realisierung, unterschiedliche Wirkrichtungen sowie letztlich verschiedene Begünstigte und Benachteiligte mit sich bringen. Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung dienen auf mehreren Stufen dazu, die zunächst möglichen Maßnahmen durch den Ausschluss der nicht zulässigen Maßnahmen (im Hinblick auf gesetzlich vorgegebene oder selbst gesetzte Standards) sowie durch die Identifikation absolut vorteilhafter Maßnahmen, bei denen die Vorteile die Nachteile eindeutig übersteigen, zu reduzieren. Die Schnittmenge der zulässigen und absolut vorteilhaften Handlungsmöglichkeiten kann dann nach der relativen Vorteilhaftigkeit geordnet werden. Die angewendete absolute Vorteilhaftigkeit, bei der die Vorteile die Nachteile „überwiegen“, ist dabei ein deutlich schwächeres Wohlfahrtskriterium als die Pareto-Optimalität, die die Besserstellung mindestens eines Betroffenen unter Ausschluss der Schlechterstellung auch nur eines einzigen weiteren Betroffenen fordert.

Für die Ermittlung der absoluten und relativen Vorteilhaftigkeit bedarf es wiederum entsprechender Wertsyntheseverfahren, um die originalskalierten Einzelwirkungen bezüglich einer Maßnahme oder eines Maßnahmenbündels in eine vergleichbare Gesamtaussage zu überführen. Die Prüfung der Zulässigkeit und der absoluten Vorteilhaftigkeit ist zwingende Voraussetzung der nach Haushaltsrecht geforderten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und gehört damit zu den elementaren Aufgaben der Verfahren zur Entscheidungsfindung. Sie ist ebenso für den Nachweis der zur verwaltungsgerichtlichen Bestandsfähigkeit notwendigen Abwägung der verschiedenen Belange von Begünstigten und Benachteiligten erforderlich.

2.3 Entscheidungsverfahren im Kontext des Abwägungsprozesses

Unter einer Abwägung wird die vergleichende Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen mehrerer konkurrierender Handlungsoptionen verstanden. Im Rahmen von Planungsprozessen finden bis zu einer endgültigen Entscheidung über die zu realisierende Maßnahme Abwägungen auf drei Ebenen statt:

  1. Abwägungen in politischen Entscheidungsprozessen,
  2. Gegenüberstellungen von vorteilhaften und nachteiligen Einzelwirkungen im Rahmen der Anwendung von Verfahren zur Entscheidungsfindung,
  3. Abwägung der Belange aller Begünstigten und Benachteiligten im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Prüfung.

Abwägung schließt per se eine frühzeitige Verrechnung von Vor- und Nachteilen, von Begünstigungen und Benachteiligungen aus. Es muss vielmehr sichergestellt werden, dass

  • Wirkungen aufgezeigt werden (können),
  • Bewertungen offen gelegt werden (können) und
  • eine diskursive Behandlung der Vorteile und Nachteile möglich ist.

Wertsyntheseverfahren sind also auch dahingehend zu beurteilen, inwieweit sie die genannten Anforderungen unterstützen. Eine Abwägung wird dann als fehlerfrei konstatiert, wenn

  • eine (verbal-argumentative und nachvollziehbare) Abwägung überhaupt stattgefunden hat; ansonsten ist ein „Abwägungsausfall“ festzustellen,
  • bei der Abwägung die nach der Sachlage angemessenen Sachverhalte/Belange berücksichtigt worden sind; ansonsten ist ein „Abwägungsdefizit“ festzustellen und
  • bei der Abwägung die notwendigen Belange in den ihnen nachvollziehbar zukommenden Gewichten berücksichtigt worden sind; was zur Vermeidung von „Abwägungsfehlgewichtungen“ erforderlich ist.

Die Abwägung verschiedener Belange ist in Planungsprozessen zwingend erforderlich und stellt eine grundsätzliche Voraussetzung für die Genehmigung von Vorhaben, die unter Genehmigungsvorbehalt stehen, sowie für die Bestandskraft von Planfeststellungen oder von Bebauungsplänen dar.

3 Wertsyntheseverfahren

Wertsyntheseverfahren können in drei Klassen eingeteilt werden:

  • Nichtformalisierte Verfahren,
  • Teilformalisierte Verfahren und
  • Formalisierte Verfahren.

Diese Begrifflichkeit ist sprachlich nicht präzise und wird in der Fachdiskussion auch nicht einheitlich verwendet. Alle Wertsyntheseverfahren sind in ihrem Verfahrensablauf eindeutig festgelegt. Ansonsten könnten beliebige Prozesse initiiert und Ergebnisse erzielt werden. Der Aspekt der Formalisierung bezieht sich vielmehr auf den Grad der numerischen Fundierung der Wertsynthese.

Die Einsatzbereiche von nichtformalisierten Wertsyntheseverfahren beschränken sich auf Situationen,

  • in denen keine hinreichend umfängliche Wirkungsermittlung durchgeführt werden kann oder solche,
  • in denen argumentative Aufbereitungen („Abwägungen“) dominieren,
  • in denen wesentliche Wirkungsaspekte nicht quantifiziert oder monetarisiert vorliegen,
  • in denen die Ergebnisse von teilformalisierten oder formalisierten Verfahren verbalargumentativ aufbereitet oder qualitativ ergänzt werden sollen.

Zu den nichtformalisierten Verfahren zählen:

  • „Intuitive Verfahren“ mit Beurteilung, Abwägung und Auswahl in Form eines Gesamturteils durch Einzelpersonen,
  • „Common sense-begründete Verfahren“ als Beurteilung, Abwägung und Auswahl in Form eines Gesamturteils durch Einzelexperten oder Expertengruppen,
  • Verfahren der „Expertenurteile“, wie z. B. die bekannte „Delphi-Methode“, als Beurteilung, Abwägung und Auswahl in Form einer iterativen Urteilsfindung durch eine mehrfache Expertenbefragung und
  • Verfahren der „öffentlichen Diskussion und Abstimmung“.

Teilformalisierte Wertsyntheseverfahren setzen bereits eine umfangreiche, in der Regel quantitative Wirkungsermittlung voraus. Die multikriterielle Wirkungsanalyse bzw. -darstellung stellt nur eine Aufbereitung der originalskalierten Wirkungen dar. Sie ist somit ein Grenzgänger zwischen nichtformalisierten und teilformalisierten Verfahren. Hierbei sind jedoch paarweise Vergleiche oder Stärken-Schwächen-Profile geeignete Methoden der Visualisierung. Im Sinne einer möglichst hohen Transparenz von Verfahren zur Entscheidungsfindung sollte eine multikriterielle Wirkungsdarstellung möglichst Teil einer jeden Verfahrensanwendung sein.

Die Verträglichkeitsanalyse und das Eliminationsverfahren stellen Ansätze dar, um den Entscheidungsraum zu verkleinern. Die Verträglichkeitsanalyse schließt alle Maßnahmen aus, die gesetzte oder vorgegebene Grenzwerte nicht einhalten. Das Eliminationsverfahren schließt weitere Kandidaten aus dem Entscheidungsraum durch Verschärfung der Grenzwerte aus. Diese beiden teilformalisierten Verfahren bieten sich also als Vorstufe zu einem formalisierten Verfahren an. Das Eliminationsverfahren kann darüber hinaus über die Verschärfung von Grenzwerten, die eine indirekte Gewichtung darstellt, zur Identifizierung einer „besten“ Variante führen.

Im Übergang zu den formalisierten Verfahren führt das Abwägungs- und Rangordnungsverfahren als teilformalisiertes Verfahren über den paarweisen Vergleich von Varianten und ihren Teilwirkungen zu einer unmittelbaren Reihung der Varianten. Allerdings ist bereits ab wenigen Varianten und Indikatoren aufgrund der Vielzahl der paarweisen Vergleiche die Transparenz der Entscheidungsfindung erschwert.

Formalisierte Verfahren haben ihren entscheidenden Vorteil darin, auch bei einer großen Anzahl von Varianten oder Maßnahmen zu einer Prioritätenreihung bei multikriterieller Betrachtung zu gelangen, wobei hierfür eine Überführung der originalskalierten Wirkungsbeiträge in Nutzenpunkte oder monetäre Einheiten erfolgen muss. Die bekanntesten Repräsentanten sind die Nutzen-Kosten-Analyse, die Nutzwertanalyse und die Wirksamkeits-Kosten-Analyse.

4 Einsatzbereiche von Verfahren zur Entscheidungsfindung

Vom methodischen Grundgerüst her unterscheiden sich Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Verkehrsplanung nicht in ihren Anforderungen an Zielsystem und Indikatoren zur Beschreibung der Zielerreichung, wohl aber in der Art des Wertsyntheseverfahrens. Deren Spektrum wurde im vorangehenden Abschnitt 3 vorgestellt. Somit ergibt sich die Frage, welches Verfahren zur Entscheidungsfindung bzw. welches Wertsyntheseverfahren in welcher Situation bzw. in welchem Einsatzbereich sinnvoller Weise zur Anwendung kommt. Dabei sind die Angemessenheit der Methodik sowie die Effizienz des Verfahrens im Hinblick auf die zu untersuchende Bewertungssituation sicherzustellen. Es liegt nahe zu überprüfen, welche Kriterien bzw. „Entscheidungskontexte“ für eine solche Auswahlentscheidung in Frage kommen.

Es wird damit von einer Situation abstrahiert, in der vom Auftraggeber das zu verwendende Verfahren vorgeschrieben wird. Dies geschieht immer wieder, wenn Wirtschaftlichkeitsnachweise im Zusammenhang mit der Bundeshaushaltsordnung erbracht werden müssen, für die der Auftraggeber häufig eine Nutzen-Kosten-Analyse präferiert, oder auch im Bereich der Bundesverkehrswegeplanung (BVWP), für die das verantwortliche Bundesministerium eine eigene Methodik über viele Jahre hinweg hat entwickeln lassen. Die Methodik der BVWP kann dabei als hybrides Verfahren bezeichnet werden, da sie neben die Nutzen-Kosten-Analyse noch eine Raumwirksamkeitsanalyse und eine Umweltrisikoeinschätzung stellt (BMVBW 2003). Auch die Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen im ÖPNV bietet neben der zentralen Nutzen-Kosten-Analyse einen nutzwertanalytischen Teil, einen verbal-argumentativen Teil und eine betriebswirtschaftliche Folgekostenrechnung für die Jahre der Einführung des geplanten Systems (BMVBS 2007).

In einer bezüglich des Wertsyntheseverfahrens wahlfreien Situation können – intuitiv und nicht abschließend – folgende Entscheidungskontexte als relevant erachtet werden:

  1. Zielsystem und Indikatoren
    • Intersektoralität des Zielsystems
    • Anzahl der Indikatoren (Wirkungskriterien)
    • Komplexität der Indikatoren bzw. der zu beschreibenden Wirkungen
    • Mess-/Abbildbarkeit der Wirkungsbereiche.
  2. Umfang der Bewertungsaufgabe
    • Anzahl der Maßnahmen
    • Anzahl der Varianten/Alternativen
    • Verhältnis Aufwand zu Planung/Investition
  3. Zeitpunkt und -rahmen der Bewertungsaufgabe
    • Fristen der Entscheidungserfordernisse
    • Planungsphase/Bearbeitungstiefe
    • Langfristigkeit der Wirkungen.
  4. Allgemeine Vorgaben
    • Gerichtsfestigkeit
    • Existenz von Mindeststandards
    • Notwendigkeit eines Wirtschaftlichkeitsnachweises
    • Transparenz der Ergebnisse.

Bei einer genaueren Diskussion der Entscheidungskontexte zeigt sich, dass bei weitem nicht jeder eine eindeutige Entscheidungshilfe für ein adäquates Wertsyntheseverfahren liefert. Verschiedene Entscheidungskontexte führen auch auf gleiche Argumentationsstränge. Die Berücksichtigung der genannten Entscheidungskontexte hilft jedoch in jedem Fall, sehr viele bewertungsrelevante Aspekte zu bedenken sowie forciert und strukturiert eine Begründung des dann gewählten Wertsyntheseverfahrens zu geben. Im Folgenden werden einige Argumentationslinien aufgezeigt.

Intersektorale Zielsysteme können sehr umfangreich sein und somit eine Vielzahl von Indikatoren mit sich bringen. Hier können formalisierte Verfahren von Vorteil sein, um zu vergleichenden Aussagen über mehrere Maßnahmen hinweg zu gelangen. Es kann allerdings auch argumentiert werden, dass die Indikatoren aus unterschiedlichsten Bereichen (Verkehrsplanung, Raumplanung, Gender Aspekte etc.) gerade nicht miteinander verrechenbar sind und daher teilformalisierten Verfahren der Vorzug zu geben ist. Mit der Komplexität von Indikatoren lässt sich kein optimales Wertsyntheseverfahren begründen, aber sicher die Frage stellen, ob die Komplexität der Indikatoren notwendig ist, um die Zielerreichung hinreichend genau zu erfassen. Sind Wirkungsbereiche nicht quantifizierbar, so ist der Einsatz von nichtformalisierten Verfahren naheliegend.

Auch aus der Anzahl der Maßnahmen lässt sich der Einsatz von formalisierten Verfahren ableiten, zumal wenn die Maßnahmen in eine Prioritätenliste bzw. Investitionsplan überführt werden sollen. Umgekehrt kann es für Kommunen bei einer Vielzahl von Varianten einer Maßnahme viel zu aufwendig sein, für jede Variante ein formalisiertes Verfahren durchzuführen. Hier wäre dann das Verhältnis zwischen Planungskosten und Investitionsvolumen der dominierende Entscheidungskontext.

Planungsphase und Bearbeitungstiefe sind häufig miteinander korreliert. In frühen Planungsphasen werden selten quantitative Wirkungsermittlungen durchgeführt, weshalb überwiegend nicht formalisierte Verfahren zur Anwendung kommen. Ebenso machen sehr kurze Untersuchungsfristen quantitative Wirkungsermittlungen nur in sehr geringem Umfang möglich, so dass ebenfalls nur nichtformalisierte Verfahren möglich sind. Aus der Langfristigkeit von Maßnahmen lässt sich prinzipiell kein Wertsyntheseverfahren ableiten. Eher führt die Vielzahl der quantifizierten Wirkungen über einen langen „Bewertungszeitraum“ auf formalisierte Verfahren, die „überschaubare“ Aggregate von Einzelwirkungen bereitstellen.

Die vierte Gruppe der Entscheidungskontexte „Allgemeine Vorgaben“ führt auf prinzipielle Anforderungen an Verfahren zur Entscheidungsfindung, die teilweise unabhängig vom zu wählenden Wertsyntheseverfahren sind. Die Gerichtsfestigkeit von Beurteilungen oder Abwägungen ist gegeben, wenn keine Abwägungsausfälle, -defizite oder -fehlgewichtungen vorliegen. Gerichtsfestigkeit kann also bereits mit nichtformalisierten Verfahren hergestellt werden. Abwägungsausfälle können z. B. durch die Nichtberücksichtigung von relevanten Entscheidungskriterien im Zielsystem verursacht werden. Die Forderung nach einer transparenten Darstellung der erfassten Wirkungen wird durch eine frühzeitige Verrechnung von Beiträgen einzelner (Teil-) Ziele nicht unbedingt unterstützt. Daher werden heute bei der Anwendung formalisierter Verfahren häufig auch ergänzend die Einzelergebnisse in einem Stärken-Schwächen-Profil angeführt. Ebenso werden geforderten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen (z. B. Nutzen-Kosten-Analyse oder Wirksamkeits-Kosten-Analyse) zunehmend Stärken-Schwächen-Profile oder „Checklisten“ von umzusetzenden Begleitmaßnahmen, einzuhaltenden Standards oder nicht monetarisierbaren Wirkungen beigefügt (s. Abschnitt 5.1).

Die Existenz von Mindeststandards führt auf die Kopplung von Wertsyntheseverfahren. Zunächst werden unzulässige Maßnahmen im Sinne der Minimalstandards ausgeschieden, danach die verbleibenden Maßnahmen nach ihrer relativen Vorteilhaftigkeit sortiert. Da die Wirkungsermittlung der eigentlich aufwendige Arbeitsschritt ist, sollte das Verhältnis von Planungsaufwand zu geplanter Investition auch einer mehrstufigen „Bewertung“ nicht im Wege stehen. Insgesamt ergibt sich damit der Hinweis auf eine sehr transparente Bewertung durch eine Kaskade von Wertsyntheseverfahren, nämlich:

  1. Multikriterielle Wirkungsdarstellung (Visualisierung der originalskalierten Wirkungen bzw. Wirkungsveränderungen),
  2. Verträglichkeitsanalyse oder Eliminationsverfahren (als begründete Verkleinerung des Entscheidungs- bzw. Lösungsraums),
  3. Formalisiertes Verfahren (z. B. im Hinblick auf geforderte Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen),
  4. Verbal-argumentative Gesamtschau (Abwägung).

5 Anwendungsbeispiele

5.1 Nutzen-Kosten-Analyse für Radinfrastrukturen

Viele Fachleute aus Planung und Verwaltung schätzen die Mitteleffizienz im Radverkehr als sehr hoch ein. Die Bedeutung des Radverkehrs für eine umweltfreundliche und stadtverträgliche Mobilität ist unbestritten. Es werden jedoch quantifizierbare Wirkungen benötigt, um gesamtwirtschaftliche Beurteilungen durchführen zu können. Es existierte lange Zeit kein „standardisiertes“ Bewertungsverfahren, das die Kommunen dabei unterstützt hätte, die Wirkungen und Effizienz von Radverkehrsmaßnahmen mit vertretbarem Aufwand und annähernd „vergleichbar“ zu anderen Verkehrsträgern zu ermitteln. Insofern hatte es der Radverkehr bei planerischen Abwägungsprozessen in der kommunalen Verkehrsplanung immer schwer, ausreichend berücksichtigt zu werden.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wurde nun vor drei Jahren ein gesamtwirtschaftlich ausgerichtetes, formalisiertes Bewertungsverfahren entwickelt, das die positiven Wirkungen und die Mitteleffizienz von unterschiedlichen Radverkehrsmaßnahmen eindeutig belegen kann (Burg et al. 2008). Neben einer Priorisierung von Maßnahmen des Radverkehrs untereinander kann damit in mittelfristiger Perspektive auch der unmittelbare Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Rentabilität von Radverkehrsmaßnahmen mit der von Maßnahmen des Straßenverkehrs oder des ÖPNV geleistet werden. Damit ist eine neue Ausgangssituation für die kommunale Radverkehrsförderung geschaffen.

Bild 1: Bewertungsverfahren für Maßnahmen im Radverkehr

Das Verfahren besteht aus zwei Säulen: einer Nutzen-Kosten-Analyse (NKA) und einer Checkliste mit deskriptiven Indikatoren, wobei letztere zu Wirkungspunkten zusammengefasst werden können (Bild 1). Ein großer Teil der positiven Wirkungen, die durch Radverkehrsmaßnahmen ausgelöst werden, ergeben sich aus den Verlagerungen vom motorisierten Individualverkehr auf den Fahrradverkehr. Darunter fallen insbesondere die Reduktion von Treibhausgasemissionen und Luftschadstoffen, Unfallkosten sowie Betriebskosten. Diese Wirkungen bilden den Kern der Nutzen-Kosten-Analyse und werden durch Indikatoren aus den eingeführten Verfahren erfasst. Darüber hinaus wird die NKA allerdings auch um Indikatoren zur Erfassung der gesundheitsfördernden Wirkungen des Radverkehrs und Einsparungen bei den Kosten des ruhenden Verkehrs ergänzt. Die deskriptiven Indikatoren berücksichtigen wesentlich die Stadt als Lebensraum und die Sicherstellung persönlicher Mobilität. Da auch dieses „Bewertungsverfahren“ ein Verfahren zur Entscheidungsfindung darstellt, erfordert es eine abschließende verbale Gesamteinschätzung, die die beiden Säulen „NKA“ und „Checkliste“ zusammenführt.

5.2 Integrierte Gesamtverkehrsplanung Nordrhein-Westfalen (IGVP-NRW)

Die IGVP NRW wurde in den Jahren 2002 bis 2006 erarbeitet. Unter Berücksichtigung der Oberziele und Planungsbelange des IGVP-Gesetzes gliedert sich das Zielsystem in die drei Wirkungsbereiche (Röhling, Walther 2007):

  • Individuelle und gesellschaftliche Belange,
  • Wirtschaft und
  • Umwelt.

Diese drei Wirkungsbereiche sind in 10 Zielbereiche unterteilt, die wiederum in 35 Teilzielen ausformuliert sind. Für alle Teilziele sind die entsprechenden Indikatoren und Messgrößen definiert.

Das Zielsystem der IGVP NRW ist als Gesamtschau konzipiert, das heißt die verschiedenen Teilziele kommen in verschiedenen Zusammenhängen zur Anwendung, werden jedoch alle gesamthaft dargestellt, um die politische Zielsetzung insgesamt zu illustrieren. Für die Teilziele kann unterschieden werden, ob sie bei

  • Szenarien und Vorhaben,
  • ausschließlich bei Szenarien,
  • ausschließlich bei Vorhaben oder
  • nur als Aufforderung an die Verkehrspolitik (ohne weitere Auswertung)

berücksichtigt werden. Ferner können Teilziele auch nur für ausgewählte Verkehrsträger zur Anwendung kommen und ebenso kann der Indikator eines Teilziels für verschiedene Verkehrsträger auch verschiedene Ausprägungen haben.

Das aus dem IGVP-Gesetz abgeleitete Zielsystem enthält, um alle geforderten Zielbereiche adäquat abzudecken, sehr viele Indikatoren, die teilweise monetarisierbar, ausschließlich quantifizierbar oder auch nur qualitativ beschreibbar sind. Da in eine Nutzwertanalyse (NWA) Indikatoren sämtlicher Ausprägungen (monetarisierbar, quantifizierbar, qualitativ) Eingang finden können, sollte sie ursprünglich das zentrale Wertsyntheseverfahren des Bewertungssystems für die IGVP NRW sein und sowohl bei den Vorhaben als auch bei den Szenarienbewertungen zur Anwendung kommen. Gemäß den Haushaltsordnungen von Bund und Land NRW sind bei „Maßnahmen mit erheblicher finanzieller Bedeutung“ Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. Deshalb wurde bei den disponiblen Vorhaben auch eine Nutzen-Kosten-Analyse durchgeführt.

Bild 2: Grundstruktur des IGVP-Bewertungssystems

Bewertungsgegenstand waren 700 sogenannte Vorhaben in der zumindest anteiligen Baulast des Landes Nordrhein-Westfalens, also disponible Infrastrukturprojekte in den Bereichen Straße und Schiene, wobei ca. 70 % der Vorhaben auf den Bereich Straße entfielen. Darüber hinaus waren drei Szenarien und ein Analysefall zu bewerten. Das bewertete Vorzugsszenario bildete dann den Bezugsfall für die Bewertung der Vorhaben. Die Berechnung und Bewertung der Szenarien wurde in Berichtsform dargestellt; die Bewertung der Vorhaben in automatisch generierten Projektdossiers, die Kartengrundlagen, Netzbelastungen im Ohne- und Mit-Fall, die einzelnen Indikatorenwerte sowie deren Wertsynthese in Form von Stärken-Schwächen-Profilen, Nutzen-Kosten-Analyse und Nutzwertanalyse enthalten. Das Bewertungssystem der IGVP NRW ist zusammenfassend im Bild 2 dargestellt.

Bei den quantifizierbaren Indikatoren wird die Differenz ihrer Quantitäten im Plan- und Bezugsfall als Veränderung des Indikators angesetzt. Die Differenzbildung bei den in drei Stufen qualitativ bewerteten Indikatoren führte zu sieben möglichen Differenzstufen. Für die quantifizierbaren Indikatoren des Bewertungssystems kam für die Nutzwertanalyse insgesamt eine lineare, symmetrische Nutzenfunktion im Bereich von –100 bis +100 Punkten zur Anwendung. Die den Skalengrenzen von +/–100 Punkten entsprechenden Indikatorenwerte wurden endogen ermittelt. Für qualitativ bewertete Indikatoren wurden die sieben möglichen Qualitätsstufen mit Hilfe einer diskreten Nutzenfunktion in entsprechende Nutzenpunkte auf die gleiche Skala von –100 bis +100 Nutzenpunkte transformiert.

Im Rahmen der IGVP NRW wurde keine spezielle Gewichtung einzelner Teilziele vorgegeben, sondern die Gewichtung daraus abgeleitet, dass gemäß dem Anspruch der IGVP NRW alle drei Wirkungsbereiche des Zielsystems, also gesellschaftliche und individuelle Belange, Wirtschaft und Umwelt, gleich zu gewichten sind. Da die Anzahl der die Wirkungsbereiche repräsentierenden Teilziele und damit Indikatoren in jedem Wirkungsbereich verschieden war, wurden die Nutzenpunkte der Indikatoren mit einem Faktor multipliziert, der das Verhältnis der mittleren Anzahl von Indikatoren pro Wirkungsbereich zur tatsächlichen Anzahl der Indikatoren im jeweiligen Wirkungsbereich darstellte.

Durch eine sehr weitgehende Anpassung der Indikatoren für die Bereiche Straße und öffentlicher Verkehr ließen sich auch die Effekte modaler Verlagerungen in der Bewertung erfassen. Verschiedene Maßnahmen des schienengebundenen ÖV kamen erst durch die Anrechnung der Entlastungen im motorisierten Individualverkehr zu einer positiven Bewertung (NKV > 1). Da in der Nutzwertanalyse ein weitaus umfangreicheres Indikatorenset berücksichtigt werden konnte als im Rahmen der Nutzen-Kosten-Analyse, waren die Bewertungsergebnisse für ein und dasselbe Projekt je nach Anwendung der NKA oder der NWA sehr unterschiedlich. Zu den zusätzlichen Indikatoren der NWA gehörten zahlreiche Indikatoren aus dem Wirkungsbereich Umwelt, die auch negative Nutzenbeiträge lieferten.

6 Künftige Entwicklungen

Während in der Vergangenheit bei Verfahren zur Entscheidungsfindung im Verkehrssektor die „klassische“, gesamtwirtschaftlich ausgerichtete Nutzen-Kosten-Analyse für Infrastrukturvorhaben getrennt nach Verkehrsträgern im Vordergrund stand, werden nun sehr viel weiter gefasste Bewertungs-/Beurteilungsprozesse erforderlich. Hierfür werden im Folgenden einige Beispiele genannt.

  1. Verkehrsträgerübergreifende Bewertungen von umfassenden Szenarien und Handlungsprogrammen, inklusive
    • Maßnahmen zum Umweltschutz,
    • Maßnahmen zum Verkehrsmanagement,
    • „Soft policies“,
    • Berücksichtigung sozialer und ethischer Aspekte verkehrsplanerischen Handelns.
  1. Fragen und Aufgabenstellungen aus der Verkehrsplanungspraxis, die sowohl einer gesamtwirtschaftlichen als auch einer betriebswirtschaftlichen Bewertung zugeführt werden müssen:
    • Programmbeurteilungen (Investitionsprogramme, Betriebs- und Managementprogramme, Programme der Anreizgestaltung etc.),
    • Förderanträge auf europäischer Ebene (z. B. EFRE-Anträge),
    • Beurteilungen von PPP-Modellen (A- und F-Projekte).

  2. Fragen und Aufgabenstellungen aus der Verkehrsplanungspraxis, die einer umfassenden Betrachtung von räumlichen und zeitlichen Wirkungsbereichen, von Begünstigungen und Benachteiligungen zugeführt werden müssen:
    • Verkehrsentwicklungsplanungen (auf unterschiedlichen Planungsebenen von Bund, Ländern, Regionen oder Gemeinden),
    • Umweltverträglichkeitsanalysen für Programme oder Einzelprojekte,
    • sektorale Umweltwirkungsprüfungen (z. B. gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie (Europäische Union 2002)),
    • Raumverträglichkeitsprüfungen.
  3. Qualitätsmanagement bei Programmvorbereitung und -realisierung, ebenso bei Projektentwürfen und -realisierungen.
  4. Investitionen zugunsten von Rad- und Fußverkehr.
  5. Prozess- und Wirkungs-Evaluationen.

Im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele treten dabei in den Bereichen „Ökologie“, „Gesellschaft“ und „Lebensraum“, wobei letztgenannter auch kulturelle Werte und physische sowie psychisch-emotionale Befindlichkeiten der Menschen umfasst, Wirkungsaspekte auf, die sich zum Teil einer Quantifizierung, vor allem aber einer Monetarisierung entziehen, dennoch aber in einer Gesamtbeurteilung von Maßnahmenbündeln oder Einzelmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.

Außerdem finden neue Maßnahmenklassen in der Verkehrsplanung vermehrt Berücksichtigung. Dies sind beispielsweise Erhaltungsmaßnahmen (Beurteilung und Reihung), Maßnahmen des Verkehrs- oder Mobilitätsmanagements, finanzielle oder andere Anreize setzende Maßnahmen (Incentives, Mobility Pricing) sowie informatorische und beratende Maßnahmen („soft policies“).

Gerade die Erhaltungsplanung macht klar, dass mit verbesserten Algorithmen und Rechnerkapazitäten die dynamische Investitionsplanung weiter entwickelt werden muss. Hier sind insbesondere Fragen des optimalen Eingreifzeitpunktes zu klären, da bei nicht behobenen Schäden häufig der Schadensumfang mit der Zeit zunimmt und je nach Schadensumfang auch andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Aber auch für den in seinem Anteil an den Investitionsausgaben stark zurückgehenden Neu- und Ausbau ist es durchaus nicht ohne Bedeutung, wann und vor welcher Netzkonstellation eine Maßnahme realisiert wird.

Durch eine dynamische Investitionsplanung würden die Bewertungsergebnisse von Maßnahmenbündeln auch wieder mit den finanziellen Möglichkeiten der Baulastträger unmittelbar gekoppelt. Dabei ist für einen Bewertungszeitraum für jedes Jahr zu entscheiden, welche Maßnahmen innerhalb der jährlichen Budgetgrenzen realisiert werden sollen, so dass der Nutzen über den gesamten Betrachtungszeitraum maximiert wird. Die derzeit komparativ statische Betrachtungsweise (Vergleich von Mit- und Ohne-Fall für ein repräsentatives Referenzjahr) wird zunehmend durch eine dynamische Betrachtung von Maßnahmen im Verlauf des vereinbarten Bewertungszeitraums ersetzt werden. Dies entspricht auch internationalen Standards (HDM-4, 2009). Damit ergeben sich aber auch erweiterte Anforderungen an die Wertsyntheseverfahren.

Darüber hinaus erfordern die genannten erweiterten Einsatzbereiche von Entscheidungsverfahren in der Verkehrsplanung auch erhebliche Ausweitungen der Anforderungen an die Wirkungsmengengerüste. Dies betrifft unter anderen

  • die kleinräumige Wirkungsermittlung, wie sie z. B. für die Bewertung von Maßnahmen im Bereich des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs benötigt wird,
  • die langfristigen Wirkungen im Hinblick auf Lebenszykluskosten,
  • die Dynamisierung von Verkehrsangebot und -nachfrage und
  • das mangelnde Erfahrungswissen im Bereich des Verkehrsmanagements bezüglich der Reaktionen der Verkehrsteilnehmer auf Verkehrsinformationen oder Managementstrategien.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.) (2003): Bundesverkehrswegeplan 2003 – Grundzüge der gesamtwirtschaftlichen Bewertungsmethodik

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.) (2007), Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs

Burg, R.; Röhling, W.; Schäfer, T.; Walther, C. (2008): Nutzen-Kosten-Analyse: Bewertung der Effizienz von Radverkehrsmaßnahmen – Leitfaden. FE-Projekt 70.785/2006 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Cerwenka, P.; Hauger, G.; Hörl, B.; Klamer, M. (2007): Handbuch der Verkehrssystemplanung, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, Wien

Europäische Union (2002): Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm („Umgebungslärmrichtlinie“). In: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 18. 7. 2002, L189/12-25, deutsche Fassung (DE)

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