FGSV-Nr. FGSV 001/22
Ort Düsseldorf
Datum 08.10.2008
Titel Die neuen Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme – Mehr Sicherheit durch Öffnung des Marktes?
Autoren RDir. Dipl.-Phys. Uwe Ellmers, RDir'in Dipl.-Ing. Janine Kübler
Kategorien Kongress
Einleitung

Fahrzeug-Rückhaltesysteme müssen zukünftig europaweit entsprechend der Europäischen Norm DIN EN 1317 geprüft, überwacht und zertifiziert werden. Ausgehend von den nach DIN EN 1317 in Anprallversuchen zu bestimmenden Leistungsklassen wird der Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland in den neuen „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS) geregelt. Auf Brücken oder im Mittelstreifen von Autobahnen werden nach RPS z. B. Schutzeinrichtungen mit einer höheren Aufhaltefähigkeit gegenüber den jetzigen Systemen gefordert. Darüber hinaus führt die Einführung des Wirkungsbereichs dazu, dass der Abstand zwischen den Schutzeinrichtungen und den Gefahrenstellen gegenüber der bisherigen Situation größer werden muss, um das gewünschte Verhalten im Anprallfall zu ermöglichen. Die RPS stellen die Straßenverkehrsingenieure aufgrund der europäischen Anforderungen an die Systeme vor neue Herausforderungen, ermöglichen es jedoch neue innovative Produkte zu entwickeln und einzusetzen, die zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.

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1 Einleitung

Fahrzeug-Rückhaltesysteme an Straßen, zu denen neben Schutzeinrichtungen auch Anpralldämpfer, Übergangskonstruktionen sowie Anfangs- und Endkonstruktionen gehören, dienen dazu, von der Fahrbahn abkommende Fahrzeuge abzuweisen und aufzuhalten. Diese Systeme müssen zukünftig europaweit entsprechend der harmonisierten Europäischen Norm EN 1317 [1], die die Prüfungen und Anforderungen an Fahrzeug-Rückhaltesysteme beschreibt, geprüft, überwacht und zertifiziert werden. Der Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland wird nun basierend auf den Leistungsklassen aus der Europäischen Norm in den „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS) [2] geregelt. Hier erfolgt die Auswahl der Leistungsklassen für die verschiedenen Einsatzbereiche an deutschen Straßen. Gegenüber den bisherigen „Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen“ (RPS 1989) [3] werden nun keine konkreten Systeme für den Einsatzfall vorgeschrieben, sondern die Anforderungen an das Leistungsvermögen der Fahrzeug-Rückhaltesysteme definiert.

2 Europäische Vorgaben für die RPS 2008

Mit der Einführung der Bauproduktenrichtlinie 1989 und der Umsetzung für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in der DIN EN 1317 wurden die Grundsteine für einen freien europäischen Warenverkehr für Schutzeinrichtungen gelegt. In den Mitgliedsstaaten der EU dürfen nach der Harmonisierung der DIN EN 1317 „Rückhaltesysteme an Straßen“ auf der Grundlage eines EU-Mandats nur noch Fahrzeug-Rückhaltesysteme eingesetzt werden, die den Anforderungen dieser Norm entsprechen. Seit dem 1.1.2008 läuft die sogenannten Koexistenzphase, das heißt Fahrzeug-Rückhaltesysteme können nun nach der DIN EN 1317 zertifiziert werden und ab dem 1. 1. 2011 dürfen in Europa nur noch CE-gekennzeichnete Fahrzeug-Rückhaltesysteme gehandelt und eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund und mit dem Ziel, durch das neue Regelwerk die Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zu verbessern, wurden die neuen „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch FahrzeugRückhaltesysteme“ (RPS 2008) vom heutigen Arbeitsausschuss 3.7 der FGSV erarbeitet. Bereits seit Anfang der 90er Jahre hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) die Leistungsfähigkeit der bisherigen Standard-Schutzeinrichtungen nach den RPS 1989 in Anprallversuchen nach den Entwürfen der Europäischen Norm DIN EN 1317 ermittelt. Die Ergebnisse dieser Versuche [4 bis 6] bildeten eine wichtige Grundlage für die Erstellung der RPS und die darin festgelegten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Fahrzeug-Rückhaltesysteme.

2.1 Grundlagen der DIN EN 1317

Die DIN EN 1317 „Rückhaltesysteme an Straßen“ besteht zurzeit aus folgenden Teilen: Teil 1: Terminologie und allgemeine Kriterien für Prüfverfahren,

Teil 2: Leistungsklassen, Abnahmekriterien für Anprallprüfungen und Prüfverfahren für Schutzeinrichtungen,

Teil 3: Leistungsklassen, Abnahmekriterien für Anprallprüfungen und Prüfverfahren für Anpralldämpfer,

Teil 4: Leistungsklassen, Abnahmekriterien für Anprallprüfungen und Prüfverfahren für Anfangs-, End- und Übergangskonstruktionen von Schutzeinrichtungen,

Teil 5: Kriterien für Dauerhaftigkeit und Konformitätsbewertung,

Teil 6: Fußgänger-Rückhaltesysteme, Brückengeländer (Entwurf).

Die Teile 1 bis 3 und 5 liegen als DIN EN vor, der Teil 4 als Vornorm DINV ENV und der Teil 6 als Entwurf. Die DIN EN 1317 beschreibt die Prüfungen und die Anforderungen an die Fahrzeug-Rückhaltesysteme und ordnet den Systemen anhand der Prüfergebnisse verschiedenen Leistungsklassen zu. Die Definition dieser Leistungsklassen für Schutzeinrichtungen, Anfangs- und Endkonstruktionen, für Anpralldämpfer und Übergangskonstruktionen ist im Bild 1 dargestellt.

Für Schutzeinrichtungen wird in den Anprallprüfungen die Aufhaltestufe, die Wirkungsbereichsklasse und die Anprallheftigkeitsstufe ermittelt. Die Aufhaltestufe beschreibt die Rückhaltefähigkeit von Schutzeinrichtungen und wird durch die Einleitung unterschiedlich hoher Anprallenergien mit verschiedenen Fahrzeugen (vom kleinen Pkw bis zum 38-Tonner-Lkw) im Anprallversuch ermittelt. Die nach der Europäischen Prüfnorm zu ermittelnden Leitungsklassen der Fahrzeug-Rückhaltesysteme finden sich in den RPS wieder. Es werden jedoch in den RPS nicht alle Aufhaltestufen der DIN EN 1317 verwendet. Die niedrigste Aufhaltestufe, die eine Schutzeinrichtung am Fahrbahnrand nach RPS aufweisen muss, ist die Stufe N2, in der DIN EN 1317 gibt es auch die noch niedrigere Stufe N1. Die Auswahl von Leistungsklassen in den RPS basiert auf dem Leitungsvermögen der bisher eingesetzten Schutzeinrichtungen und der Einschätzung des in Zukunft benötigten Sicherheitsniveaus. Am Fahrbahnrand findet man nach RPS 1989 heute vorwiegend Schutzeinrichtungen wie Einfache Schutzplanke (ESP) oder Einfache Distanzschutzplanke (EDSP), wobei die schwächste Schutzeinrichtung (ESP) bereits die Anforderungen der Aufhaltestufe N2 nach DIN EN 1317 erfüllt. Auch die Aufhaltestufe H3 aus der Europäischen Norm wird in den neuen RPS beispielsweise nicht gefordert.

Bild 1: Leistungsklassen gemäß DIN EN 1317 [2]

Die für die RPS relevanten Aufhaltestufen von Schutzeinrichtungen und die Parameter der Anprallprüfungen sind in der Tabelle 1 zusammengestellt. Für die Klassifizierung einer Schutzeinrichtung sind zwei Anprallprüfungen erforderlich. Eine Prüfung mit einem leichten Fahrzeug (Prüfung TB 11) dient der Bestimmung der Belastung der Insassen von Pkw beim Anprall (Bestimmung der Anprallheftigkeit) und die Prüfung mit schwerem Fahrzeug (Prüfung TB 32 bis TB 81) dient zum Nachweis der entsprechenden Aufhaltestufe.

Tabelle 1: Schutzeinrichtungen – Kriterien für Anprallprüfungen

Der Wirkungsbereich einer Schutzeinrichtung ist der Abstand zwischen der ursprünglichen Vorderkante der Schutzeinrichtung und der maximalen dynamischen seitlichen Position der Schutzeinrichtung während des Anprallversuchs. Diese Abstände sind für Schutzeinrichtungen nach DIN EN 1317 in verschiedene Stufen eingeteilt, die in der Tabelle 2 dargestellt sind.

Tabelle 2: Stufen des Wirkungsbereichs und Anwendung nach RPS (aus [2])

Die Anprallheftigkeitsstufe wird durch die drei Indizes ASI (Index für die Schwere der Beschleunigung), THIV (theoretische Anprallgeschwindigkeit des Kopfes) und PHD (Kopfverzögerung nach dem Anprall) bestimmt. Sie wird in drei Stufen A (geringste Anprallheftigkeit), B (höhere Anprallheftigkeit) und C (höchste Anprallheftigkeit) gemäß der Tabelle 3 unterteilt und basiert auf Messung der Fahrzeugverzögerung beim Anprall.

Tabelle 3: Schutzeinrichtungen – Anprallheftigkeitsstufen

3 Die RPS

Die RPS 2008 regeln den Einsatz von dauerhaft eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen (Schutzeinrichtungen, Anfangs- und Endkonstruktionen, Übergangskonstruktionen und Anpralldämpfer). Für alle Systeme gilt der Grundsatz, dass nur positiv nach DIN EN 1317 geprüfte Systeme eingesetzt werden sollen.

Während in den RPS 1989 für die unterschiedlichen Einsatzfälle konkrete Lösungen, wie beispielsweise Einfache Schutzplanke (ESP) und Einfache Distanzschutzplanke (EDSP) am Fahrbahnrand oder Doppelte Distanzschutzplanke (DDSP) im Mittelstreifen angegeben sind, werden in den RPS keine konkreten Systeme benannt, sondern Anforderungen an die Leistungsklassen der Fahrzeug-Rückhaltesysteme gestellt. Anhand der Leistungsklassen können dann die passenden positiv geprüften Produkte ausgewählt und eingesetzt werden.

Für den Einsatz der Fahrzeug-Rückhaltesysteme an Straßen spielen aber auch noch andere Kriterien als die in der Anprallprüfung ermittelten Leistungsklassen eine wichtige Rolle. Dies können beispielsweise Entwässerungseinrichtungen, Anforderungen an die Haltesichtweite oder den Blendschutz sein. Diese und andere Kriterien sind bei der Auswahl geeigneter Systeme ebenfalls zu berücksichtigen.

Ein wichtiges Element in diesem Zusammenhang stellen Übergangskonstruktionen dar. Die RPS fordern die Verwendung positiv nach DIN EN 1317 geprüfter Übergangskonstruktionen. Das bedeutet, dass die Auswahl einer Schutzeinrichtung auch davon abhängt, ob für sie eine geprüfte Übergangskonstruktion an die weiterführende vorhandene Schutzeinrichtung zur Verfügung steht. Diese Kriterien müssen im Einzelfall vom Anwender berücksichtigt werden.

Gegenüber den bisherigen RPS 1989 stellen die RPS zum Teil höhere Anforderungen an die einzusetzenden Fahrzeug-Rückhaltesysteme. Allerdings ist auch der Verzicht auf Schutzeinrichtungen in bestimmten Situationen explizit in den neuen RPS geregelt. Die Erhöhung der Anforderungen ist beispielsweise an der Forderung der höchsten Aufhaltestufe H4b auf Brücken für bestimmte Fälle leicht zu erkennen. Ein weiteres Bespiel ist der Mittelstreifen von zweibahnigen Straßen. Bislang sind dort hauptsächlich Schutzeinrichtungen vorhanden (EDSP oder DDSP), die höchstens die Anforderungen der Aufhaltestufe H1 nach DIN EN 1317 erfüllen, nach den RPS werden Systeme mit mindestens der Aufhaltestufe H2 gefordert. Darüber hinaus sollen nicht nur positiv geprüfte Schutzeinrichtungen sondern auch positiv nach DIN EN 1317 geprüfte Übergangskonstruktionen, Anfangs- und Endkonstruktionen sowie Anpralldämpfer eingesetzt werden. Da eine Umrüstung der vorhandenen Schutzeinrichtungen weder technisch noch finanziell mit der Einführung der neuen RPS realisierbar ist, wurde bei der Erstellung der RPS ein Geltungsbereich festgelegt, der im Wesentlichen die Absicherung von Gefahrenstellen bei Neu-, Um- oder Ausbau von Straßen, die Absicherung neuer Gefahrenstellen an vorhandenen Straßen und sonstige unfallauffällige Bereiche umfasst.

3.1 Schutzeinrichtungen am Fahrbahnrand

Die erforderliche Aufhaltestufe am Fahrbahnrand richtet sich zum einen nach der Art der Gefahrenstelle, aber auch nach der zulässigen Geschwindigkeit, dem DTV, DTV (SV) und der Abkommenswahrscheinlichkeit. Die Gefahrenstellen am Fahrbahnrand werden nach den RPS in vier Stufen unterteilt:

  • Gefährdungsstufe 1: schutzbedürftige Bereiche mit besonderer Gefährdung Dritter (z. B. explosionsgefährdete Chemieanlagen, intensiv genutzte Aufenthaltsbereiche, nebenliegende Schnellbahnstrecken mit zugelassenen Geschwindigkeiten > 160 km/h, einsturzgefährdete Bauwerke),
  • Gefährdungsstufe 2: schutzbedürftige Bereiche mit Gefährdung Dritter (z. B. nebenliegende stark frequentierte Geh- und Radwege, nebenliegende Schienenwege mit mehr als 30 Zügen/24 h, nebenliegende Straßen mit DTV > 500Kfz/24 h),
  • Gefährdungsstufe 3: Hindernisse mit besonderer Gefährdung von Fahrzeuginsassen (z. B. nicht verformbare flächenhafte Hindernisse senkrecht zur Fahrtrichtung, nicht verformbare punktuelle Einzelhindernisse, Lärmschutzwände),
  • Gefährdungsstufe 4: Hindernisse mit Gefährdung von Fahrzeuginsassen (z. B. noch verformbare, aber nicht umfahrbare/abscherbare punktuelle Einzelhindernisse, kreuzende Gräben, aufsteigende Böschungen (Neigung > 1 : 3), fallende Böschungen (Höhe > 3 m und Neigung > 1 : 3), Gewässer mit einer Tiefe > 1 m, Wildwasser).

Bei der Entscheidung, ob eine Schutzeinrichtung erforderlich ist und welche Aufhaltestufe sie aufweisen muss, ist darüber hinaus die Abkommenswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Eine erhöhte Abkommenswahrscheinlichkeit nach RPS liegt vor bei:

  • Streckenabschnitten mit Radienrelationen außerhalb des brauchbaren Bereiches nach den RAS-L,
  • Streckenabschnitten mit mehreren aufeinanderfolgenden Kurven mit Radien kleiner als das 1,5-fache des zulässigen Mindestradius nach den RAS-L,
  • Strecken mit untypisch großen Richtungsänderungen,
  • Bereichen von vorhandenen Straßen mit Unfallhäufungen nach den Kriterien der 3-Jahres-Karte gemäß dem „Merkblatt für die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen – Teil 1: Führen und Auswerten von Unfalltypen-Steckkarten“, bei denen die Unfallart „Abkommen von der Fahrbahn“ überwiegt,
  • Bereichen von vorhandenen Straßen, in denen sonstige Unfallauffälligkeiten vorliegen.

Für die Gefährdungsstufe 1 (z. B. nebenliegendes einsturzgefährdetes Bauwerk) ist nach RPS bei Vzul > 50 km/h und einem DTV(SV) > 3000 Kfz/24h eine Schutzeinrichtung der Aufhaltestufe H2 erforderlich. Sind zusätzlich die Kriterien für eine erhöhte Abkommenswahrscheinlichkeit erfüllt, sogar die nach DIN EN 1317 höchste Aufhaltestufe H4b. Dieses Aufhaltevermögen erfüllen zurzeit nur sehr wenige der bisher verwendeten Schutzeinrichtungen. Weitere Neuentwicklungen der Industrie sind wünschenswert bzw. sogar erforderlich.

Bei der Gefährdungsstufe 4 (Hindernisse mit Gefährdung von Fahrzeuginsassen) hingegen, besteht der Unterschied zu den RPS 1989 weniger in den Anforderungen an die Aufhaltestufe, sondern eher beim frei zu haltenden Wirkungsbereich. Sofern bei Gefährdungsstufe 4 nach RPS überhaupt Schutzeinrichtungen erforderlich sind, müssen sie die Anforderungen der Aufhaltestufe N2 erfüllen. Diese Aufhaltestufe wird von den meisten der bislang verwendeten Standard-Schutzeinrichtungen erreicht, wobei die Systeme jedoch oft einen recht großen Wirkungsbereich in der Anprallprüfung gezeigt haben [4, 5], so dass für deren zukünftigen Einsatz nach RPS ausreichend Platz zur Verfügung stehen muss. Das Bild 2 zeigt eine Einfache Schutzplanke mit der Wirkungsbereichsklasse W4 (≤ 1,3 m) nach dem TB 32-Anprallversuch. Die bisherigen Standard-Systeme benötigen also deutlich mehr Platz, um zu funktionieren und Fahrzeuge sicher umzulenken, als ihnen bislang zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass gegenüber der bisherigen Aufstellung vor allem bei den bislang verwendeten StandardSchutzeinrichtungen wie EDSP oder ESP deutlich mehr Platz zwischen Gefahrenstelle und Schutzeinrichtung zur Verfügung stehen muss als bislang, um die Systeme gemäß den Anforderungen der RPS einsetzen zu können. Das Beispiel im Bild 3 zeigt eine Standard- Schutzeinrichtung am Fahrbahnrand, die nach RPS 1989 eingebaut wurde. Nach RPS und den Ergebnissen der N2-Anprallversuche an diesem System (ESP) müsste mindestens 1,3 m Platz zwischen Vorderkante der Schutzeinrichtung und Vorderkante der Gefahrenstelle zur Verfügung stehen und im Bereich des Wirkungsbereichs dürfen sich keine Hindernisse befinden.

Bild 2: Einfache Schutzplanke (ESP 2,0) nach dem Anprallversuch TB 32 (N2, W4, A)                      

Bild 3: Einfache Schutzplanke mit einem Hindernis im Wirkungsbereich

Am Fahrbahnrand aber auch im Mittelstreifen bedeuten die Regelungen zum Wirkungsbereich in den RPS, dass entweder ein größerer Abstand zwischen Schutzeinrichtung und Gefahrenstelle eingehalten werden muss oder neue und weniger stark verformbare Systeme eingesetzt werden müssen.

3.2 Schutzeinrichtungen im Mittelstreifen

Im Mittelstreifen von zweibahnigen Straßen werden nach RPS Schutzeinrichtungen gefordert, die mindestens die Aufhaltestufe H2 nach DIN EN 1317 erfüllen. Hierdurch soll die Gefahr eines Durchbruchs und die damit verbundene Gefährdung des Gegenverkehrs verringert werden. Systeme der Aufhaltestufe H2 haben in den Anprallversuchen gezeigt, dass sie in der Lage sind, einen 13-t-Bus sicher aufzuhalten und umzulenken. Diese Aufhaltestufe wird sowohl von Schutzeinrichtungen aus Stahl als auch aus Beton erfüllt (Bild 4).

Bild 4: Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe H2 nach RPS im Mittelstreifen von zweibahnigen Straßen (links: Stahlschutzeinrichtung, rechts: Betonschutzwand)

 

Auch hier spielt neben der Aufhaltestufe die Einhaltung des Wirkungsbereichs eine wichtige Rolle bei der Auswahl der passenden Schutzeinrichtung, denn die Breite des Mittestreifens und gegebenenfalls darin befindliche Hindernisse wie beispielsweise Brückenpfeiler bestimmen die maximal zulässigen Wirkungsbereiche. Das Beispiel im Bild 5 zeigt eine Standard-Schutzeinrichtung im Mittelstreifen, die nach RPS 1989 eingebaut wurde. Ein solcher Einsatz der EDSP, bei dem sich ein Hindernis im Wirkungsbereich der Schutzeinrichtung befindet, ist nach RPS nicht mehr zulässig.

In einem hindernisfreien Mittelstreifen bestimmt die Mittelstreifenbreite sowie gegebenenfalls die Systembreite die mögliche Wirkungsbereichsklasse (Bild 6).

Bild 5: Einfache Distanzschutzplanke nach RPS 1989 mit Hindernis im Mittelstreifen

Bild 6: Wirkungsbereich im hindernisfreien Mittelstreifen bei zwei einseitigen Schutzeinrichtungen [2]

3.3 Schutzeinrichtungen auf Bauwerken

Auch auf Bauwerken sind die Anforderungen an neue Schutzeinrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen höher als bislang. Dies ist ebenso wie im Mittelstreifen zum einen dem gestiegenen Schwerverkehrsaufkommen und zum anderen der besonderen Gefährdung bei Bauwerken geschuldet. Sofern sich unter einem Bauwerk ein Bereich mit besonderer Gefährdung Dritter (z. B. ein intensiv genutzter Aufenthaltsbereich) befindet, sollen auf dem Bauwerk bei Autobahnen und autobahnähnlichen Straßen Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe H4b am Fahrbahnrand installiert werden (Bild 7).

Bild 7: Schutzeinrichtung der Aufhaltestufe H4b auf einer Autobahn über bebautem Gebiet

 

Die bislang nach den RPS 1989 und den Richtzeichnungen für Ingenieurbauten [7] eingesetzten Einfachen Distanzschutzplanken mit Geländer erreichen diese Aufhaltestufe nicht. In den Anprallversuchen hat sich gezeigt, dass dieses bisherige Standard-System in Kombination mit dem Geländer am Gesimsrand gerade noch die Aufhaltesufe H2 erfüllt. In dem Anprallversuch erreichte die Schutzeinrichtung aber ihre Grenzen der Aufhaltefähigkeit und das Geländer hat maßgeblich beim Aufhalten des Fahrzeugs mitgewirkt, wodurch der Wirkungsbereich mit der Klasse W 7 deutlich über den Brückenrand einer 2-m-Brückenkappe hinausreichte (Bild 8). Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe H4b für den Einsatz auf Brücken wurden inzwischen von mehreren Herstellern entwickelt und erfolgreich nach DIN EN 1317 geprüft [8]. Bei diesen Prüfungen wurden zusätzlich auch die beim Anprall des 38-Tonner-Lkw in die Brückenkonstruktion eingeleiteten Kräfte ermittelt. Diese können dann als Eingangsgröße für die Bemessung der Brückenkonstruktion dienen [9]. Brücken sind besondere Stellen im Straßennetz. Daher muss zumindest bei bestehenden Brücken bei einer Ausstattung mit Schutzeinrichtungen im Rahmen der neuen RPS neben dem Sicherheitsaspekt sicher auch die Frage des Aufwandes und der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden. In vielen Fällen wird es auf bestehenden Brücken aufgrund der zu verarbeitenden Kräfte beim Anprall nicht ohne weiteres möglich sein, ein H4b-System einzusetzen.

Bild 8: Einfache Distanzschutzplanke (EDSP 1,33) mit Geländer für Bauwerke im TB51-Anprallversuch [4]

Eine weitere Neuerung in den RPS ist die Anforderung an die Weiterführung der auf der Brücke installierten Schutzeinrichtung bzw. der geforderten Aufhaltestufe über die Brückenenden hinaus. Während nach RPS 1989 die Schutzeinrichtung vor dem Bauwerk meist als Einfache Schutzplanke (ESP) beginnt, als Einfache Distanzschutzplanke (EDSP) weitergeführt wird und dann auf der Brücke in eine einfache Distanzschutzplanke mit Geländer auf dem Bauwerk (EDSP BW mit Geländer) übergeht, ist es nach RPS erforderlich, die auf dem Bauwerk befindliche Schutzeinrichtung über die Brückenenden hinaus fortzuführen. Diese Anforderung wurde vom Arbeitsauschuss festgeschrieben, da sich bei Unfällen auf Brücken in der Vergangenheit gezeigt hatte, dass die Fahrzeuge schon vor Beginn der Brücke von der Fahrbahn abgekommen sind, die Schutzeinrichtung überquert haben bzw. dort noch gar keine Schutzeinrichtung vorhanden war und dann in der Folge von der Brücke gestürzt sind. Im Fall der EDSP müsste nach RPS das Geländer über die Brückenenden hinaus verlängert werden, da die EDSP nur in Kombination mit dem Geländer die Aufhaltestufe H2 erfüllt. Alternativ könnte eine andere Schutzeinrichtung der Aufhaltestufe H2 im gerammten Bereich angeschlossen werden. In diesem Fall wäre dann aber auch eine positiv geprüfte Übergangskonstruktion zwischen den beiden Systemen erforderlich. Auch für diese Fälle stehen inzwischen geprüfte neue Schutzeinrichtungen zur Verfügung.

4 Fazit: Mehr Sicherheit durch die RPS

Die Beispiele machen deutlich, dass die RPS gegenüber den RPS 1989 zahlreiche Veränderungen beim Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen mit sich bringen. Durch die Erhöhung der Anforderungen an die Rückhaltefähigkeit der Fahrzeug-Rückhaltesysteme kann eine schrittweise Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht werden. Da jedoch noch nicht für alle Anforderungen ausreichend positiv geprüfte Systeme zur Verfügung stehen, bedeuten die RPS auch eine Herausforderung an die Industrie zur Entwicklung neuer Produkte, die die Anforderungen z. B. an einen geringen Wirkungsbereich bei gleichzeitig möglichst geringer Anprallheftigkeit erfüllen. Die RPS bedeuten aber auch eine Herausforderung an die Straßenverkehrsingenieure bei der Umsetzung der neuen Regelungen in der Planung, Ausschreibung und beim Bau. Die Weiterführung von Schutzeinrichtungen auf Brücken auch über die Brückenenden hinaus beispielsweise bedeutet, dass bereits bei der Planung eine enge Abstimmung zwischen Streckenplanern und Brückenplanern erforderlich wird.

Die Regelungen in den RPS werden für einige Bereiche, wie z. B. auf Brücken oder im Mittelstreifen von Autobahnen, dazu beitragen, dass zukünftig Systeme mit einer höheren Aufhaltefähigkeit gegenüber den jetzigen Fahrzeug-Rückhaltesystemen eingesetzt werden. Darüber hinaus bestimmen weitere Größen aus der Europäischen Norm die Einsatzgrenzen und -möglichkeiten von Schutzeinrichtungen. So führt beispielsweise die Einführung des Wirkungsbereichs dazu, dass die Systeme gegenüber der bisherigen Situation oft weiter von den Gefahrenstellen entfernt errichtet werden, um das gewünschte Verhalten der Schutzeinrichtung im Anprallfall zu ermöglichen.

Eine weitere Verbesserung des Sicherheitsniveaus kann durch geforderte Einhaltung des Wirkungsbereichs der Schutzeinrichtungen erreicht werden. In den Anprallversuchen hat sich gezeigt, welchen Raum die Systeme benötigen, um bei einem Fahrzeuganprall gut zu funktionieren. Da aber nicht überall ausreichend viel Platz für die Schutzeinrichtung und ihren Wirkungsbereich zur Verfügung steht, besteht hier noch starker Entwicklungsbedarf für neue innovative Schutzeinrichtungen, die bei einem Pkw-Anprall eine geringe Anprallheftigkeit aufweisen aber gleichzeitig auch bei beengten Verhältnissen oder beispielsweise auf schmalen Banketten eingesetzt werden können.

Diese Anforderungen bieten zum einen für die Industrie die Möglichkeit, neue innovative Fahrzeug-Rückhaltesysteme zu entwickeln, diese nach der Europäischen Norm zu qualifizieren und dann entsprechend den RPS anzubieten. Die bislang verwendeten Systeme entsprechen in vielen Situationen aufgrund der neuen Anforderungen an den Wirkungsbereich und die Aufhaltestufe nicht den neuen RPS entsprechen und können daher beim Neubau nicht mehr verwendet werden. Stattdessen werden neue zum Teil auch patentgeschützte Systeme einzelner Hersteller zum Einsatz kommen. Das bedeutet für die Auftragsverwaltungen eine grundlegende Änderung gegenüber der bisherigen Vorgehensweise bei der Planung, Ausschreibung und dem Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen.

Die RPS stellen die Straßenverkehrsingenieure vor neue Herausforderungen, ermöglichen es jedoch neue innovative und sichere Fahrzeug-Rückhaltesysteme zu entwickeln und einzusetzen, die zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen und dem steigenden Verkehrsaufkommen und der Veränderung der Fahrzeuge Rechnung tragen. Um die neuen RPS flächendeckend umsetzen zu können, ist die Industrie gefordert, entsprechende Produkte zu entwickeln und prüfen zu lassen. Dabei wären Fahrzeug-Rückhaltesysteme wünschenswert, die an die vorhandenen Standardsysteme angeschlossen werden können (positiv geprüfte Übergangskonstruktionen), die für verschiedene Aufhaltestufen und Einsatzbereiche (z. B. Brücke und Strecke) positiv geprüft sind und damit möglichst durchgehend eingesetzt werden können. Die Systeme sollten von mehreren Herstellern angeboten werden, ein gutes Preis-Leistungsverhältnis aufweisen, die Sicherheit von Zweiradfahrern berücksichtigen und eine lange Dauerhaftigkeit aufweisen.

Literaturverzeichnis

  1. DIN EN 1317: Rückhaltesysteme an Straßen, Berlin
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS), Ausgabe 2009, Köln (FGSV 343)
  3. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (1989): Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen an Straßen, Ausgabe 1989, Köln
  4. Ellmers, et al. (2003): Eignung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen gemäß den Anforderungen nach DIN EN 1317, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V106
  5. Klöckner, et al. (2007): V 157 Prüfung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen an Straßen durch Anprallversuche gemäß DIN EN 1317, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V 157
  6. Ellmers (2006): Die Entwicklung der passiven Schutzeinrichtungen in Deutschland, Straßenverkehrstechnik (50), Nr. 6 S. 332–339
  7. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtzeichnungen für Ingenieurbauten, RiZ-ING, Bonn
  8. Kübler (2008): “Improvement of safety barriers on German bridges – Results of impact test with heavy lorries” Tagungsband International Conference on Heavy Vehicles HV, Paris 2008“
  9. Bergerhausen al. (2005): Rückhaltesysteme mit hohem Aufhaltevermögen auf Brücken, Bundesanstalt für Straßenwesen, Schlussbericht (unveröffentlicht)