FGSV-Nr. FGSV 001/22
Ort Düsseldorf
Datum 08.10.2008
Titel Moderne Bewertung der Straßenlängsebenheit
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Bernhard Steinauer
Kategorien Kongress
Einleitung

Die Längsebenheit von Straßen wird in Deutschland seit Jahrzehnten mit der sogenannten „4-m-Latte“ oder dem Planographen gemessen. Da mit diesem Gerät nur Unebenheiten bis zu 4 m Länge erfasst werden können, ist eine Bewertung der Längsebenheit nicht möglich. Die Bewertung muss auf Grund der Auswirkungen der Straße bei Befahren auf den Fahrkomfort, der Beanspruchung des Ladegutes und der dynamischen Achslasten erfolgen. Hierzu wird zunächst eine Straße in Längsrichtung mittels eines HRM (High Speed Road Monitor) im Abstand von 10 cm aufgenommen. Über diese real aufgenommene Längsebenheit werden im Rechner ein Pkw und ein Lkw geschickt und die Auswirkungen auf Fahrer, Ladegut und dynamische Achslasten berechnet. Aus diesen „Antworten“ der „Schwingungssysteme Fahrzeuge“ kann geschlossen werden, ob eine Straße Mängel aufweist. Dieses LWI-Verfahren (Längsebenheitswirkindex) vergleicht die Auswirkungen der untersuchten Straße mit einer Straße guter Längsebenheit und bestimmt aufgrund der maximalen Auswirkungen (Fahrkomfort, Ladegut, dynamische Achslasten) den Zustand der Längsebenheit. Da das LWI-Verfahren streng genommen nur für die simulierten Fahrzeuge und bei den angenommenen Geschwindigkeiten gilt, wurde das Bewertete Längsprofil entwickelt, das für alle Fahrzeuge und Geschwindigkeiten seine Gültigkeit hat. Hierzu wird das Originalprofil der Straße mittels einer Fouriertransformation in ein Spektrum von Wellenlängen zerlegt. Da unterschiedliche Wellenlängen auf das Fahrzeug unterschiedliche Auswirkungen haben, werden die Wellen des Spektrums mit einer Bewertungsfunktion multipliziert. Diese bewerteten Wellen werden durch eine inverse Fouriertransformation in den Wegbereich zurückgebracht. Zum Schluss werden die Standardabweichung und die Spannweite der bewerteten Straßenlängsebenheit berechnet. Aus diesen beiden Kennwerten kann der Längsebenheitszustand für einen beliebig langen Straßenabschnitt angegeben werden. Mit diesem Verfahren können sowohl stochastische Unebenheiten und auch Periodizitäten oder Einzelhindernisse erfasst und die Straße in allen in der Praxis möglichen Ausprägungen klassifiziert werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Die Straßenlängsebenheit spielt im Hinblick auf Fahrkomfort die entscheidende Rolle. Das mechanische System „Mensch-Fahrzeug“ wird beim Befahren einer Straße immer zu Schwingungen angeregt, die für die Fahrzeuginsassen sehr belastend, ja gesundheitsschädlich sein können. Je nach Länge der Fahrzeit können für einen Verkehrsteilnehmer nach VDI-Richtlinien 2057 entsprechend dem Zustand der Längsebenheit einer Straße die Wohlbefindens-, Leistungs- bzw. Gesundheitsgrenzwerte erreicht werden. Berufskraftfahrer müssen im Durchschnitt nach 19 Jahren berufsunfähig geschrieben werden, da sie durch Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

Darüber hinaus hat die Längsebenheit einen entscheidenden Einfluss auf die dynamischen Achslasten, die den Straßenoberbau zusätzlich beanspruchen. Die immer hochwertigeren Güter auf den Ladepritschen der Lkw werden ebenfalls durch die Längsebenheit belastet (Bild 1).

Bild 1: Bewertungskriterien zur Beurteilung der Längsebenheit

Voraussetzung für die Bewertung von Straßenlängsebenheiten ist, dass die für Fahrkomfort, dynamische Achslasten und Ladegut relevanten Unebenheiten (Wellenlängen) aufgenommen werden. Dies wird derzeit bei der Zustandserfassung (ZEB) praktiziert, nicht aber bei Abnahmen im Rahmen von Bauverträgen. Hier ist es bis heute Praxis, mit der 4-m-Latte bzw. dem Planographen die „Längsebenheit“ zu ermitteln – dies ist aber mit den genannten „berührenden“ Messgeräten nicht möglich.

Um die Auswirkungen einer Längsebenheit auf Fahrkomfort, dynamische Achslast und Ladegut berechnen zu können, müssen Längsunebenheiten bei schnell befahrenen Straßen bis zu 50 m Wellenlänge aufgenommen werden. Dies ist mit dem herkömmlichen Equipment bei bauvertraglicher Abnahme nicht möglich (Bild 2).

Längsebenheiten müssen in Zukunft nur mit berührungslosen Messgeräten (Beispiel im Bild 3) aufgenommen werden, da nur diese das gesamte relevante Längsebenheitsspektrum aufnehmen und berechnen können. Allerdings ist noch in den nächsten Jahren ein belastbarer Bewertungshintergrund aufzubauen.

Derzeit werden in Deutschland und im benachbarten Ausland Bewertungsverfahren für die Längsebenheit getestet, die an der RWTH Aachen, Lehrstuhl für Straßenwesen, Erd- und Tunnelbau entwickelt worden sind.

Bild 2: Nachteile der 4-m-Latte

Bild 3: Modernes HRM-Gerät zur Aufnahme der Längsebenheit

2 Der Längsebenheitswirkindex

Bei diesem Verfahren wird virtuell ein repräsentativer Pkw und Lkw über das Höhenlängsprofil gefahren und die Systemantworten für die Sitzbeschleunigung des Pkw-Fahrers, die dynamischen Achslasten und die Ladegutbeanspruchung des Lkw berechnet (Bild 4).

Bild 4: Längsebenheitswirkindex

Diese sogenannten 3 Filterantworten werden anschließend normiert in der Weise, dass die drei Filterantworten des Höhenlängsprofils einer Straße geteilt werden durch die Filterantworten der Referenzwerte einer guten Straßenlängsebenheit. Dies ergibt drei normierte Ergebnisse für die Sitzbeschleunigung, die dynamische Achslast und die Ladegutbeanspruchung. Als letzter Schritt wird das Maximum der normierten Filterantworten, das heißt also welcher Einfluss hat die größte Wirkung in dem zu bewertenden Straßenabschnitt (in der Regel 100 m), als Bewertung der Längsebenheit herangezogen.

Das Maximum bestimmt letzten Endes den Zustandswert der Straßenlängsebenheit in dem untersuchten Abschnitt. Hierzu sind allerdings noch die Grenzwerte für Abnahme (LWI = 1), Warn-(LWI = 3) und Schwellenwerte (LWI = 9) für den Effektivwert der Sitzbeschleunigung, der maximalen vertikalen Beschleunigung des Ladegutes und der maximalen Achslasterhöhung zu definieren. Hierbei hat man sich an anerkannten Standards im Versicherungswesen, Transportwesen und in der Medizin orientiert (Bild 5).

Bild 5: Abnahme, Warn- und Schwellenwerte für die jeweilige Beanspruchungsart

Der Vorteil dieses Verfahrens ist die Kenntnis der ausschlaggebenden Gründe für die Ebenheitsbewertung. Nachteil ist allerdings, dass die Bewertung nur für eine vorgegebene Geschwindigkeit und für die repräsentativen Fahrzeuge gültig ist.

3 Das Bewertete Längsprofil

Im Bewerteten Längsprofilverfahren wird zunächst durch eine Fouriertransformation das Straßenlängsprofil in ein Frequenzspektrum zerlegt (Bild 6).

Im Bild 7 ist das Spektrum bzw. die Spektrale Unebenheitsdichte (quadrierte Amplituden als Funktion der Wegekreisfrequenz) einer realen Straße dargestellt. Die Spektrale Dichte einer Straßenlängsebenheit kann in sehr guter Näherung durch eine Gerade linierisiert werden (rote Linie).

Bild 6: Umformung von den Weg- in den Frequenzbereich

Bild 7: Typisches Frequenzspektrum einer Straße mit Ausgleichsgerade

Für eine gute Straße, das heißt eine Straße mit hohem Fahrkomfort, geringen dynamischen Achslasten und geringer Ladegutbeanspruchung, ist die Spektrale Dichte bekannt (Bild 8, blaue Linie). Diese Spektrale Dichte einer guten Straße wird später als Bezugsnormale für die Bewertung der in der Straße vorhandenen Wellenlängen herangezogen (Bilder 9 und 10).

Man kann sehen, dass für kleine Wellenlängen die zulässigen Amplituden gering sein müssen – bei langen Wellen dürfen die Amplituden größer sein (Bild 9). Diese Tatsache wird nun zugrunde gelegt, um die Wellenlängen in einem beliebigen Amplitudenspektrum zu bewerten.

Bild 8: Frequenzspektrum mit Ausgleichsgerade (rot) und Spektrum einer guten Straße (blau)

Bild 9: Darstellung der zulässigen Amplituden als Funktion der Wellenlängen einer guten Straße

Im Bild 10 ist die blau dargestellte Linie die Spiegelung der blauen Linie im Bild 9. Damit ist die Grundlage gelegt, um alle Straßenlängsebenheiten zu bewerten.

Im Einzelnen sind beim Verfahren des Bewerteten Längsprofils die hier folgenden Schritte notwendig (Bild 11):

  • Die Straßenlängsebenheit wird B. mit einem HRM-Gerät aufgenommen.
  • Mit einer Fouriertransformation wird die Längsebenheit in ein Amplitudenspektrum zerlegt (oben rechts).
  • Dieses Amplitudenspektrum wird mit der Bewertungsfunktion aus Bild 10 multipliziert (das heißt jede Amplitude einer bestimmten Wellenlänge mit dem Wert der Bewertungsfunktion an der gleichen Wellenlänge).

Bild 10: Bewertungsfunktion der Wellenlänge

Bild 11: Ablaufschritte des Verfahrens „Bewertetes Längsprofil“

  • Als Ergebnis wird ein bewertetes Amplitudenspektrum ermittelt (unten rechts).
  • Dieses bewertete Amplitudenspektrum wird nun in den Wegbereich durch eine inverse Fouriertransformation zurück transformiert. Man erhält damit das „Bewertete Längsprofil“ (unten links).
  • Als letzter Schritt werden von dem Bewerteten Längsprofil die Standardabweichung und die Spannweite ermittelt (unten links). Mit diesen zwei Parametern kann man die Längsebenheit einer Straße bewerten.

Während die Standardabweichung s überwiegend die stochastischen und harmonischen Unebenheiten bewertet, ist die Spannweite Δ schwerpunktmäßig für Einzelhindernisse und kantige Unebenheiten wie z. B. Betonplattenversätze der Indikator.

Schließlich wird für die Bewertung eines Straßenabschnittes der Parameter (s oder Δ) herangezogen, der die schlechtere Beurteilung des Abschnittes ergibt. An Hand von drei Beispielen soll die Bewertung von Straßenabschnitten aufgezeigt werden.

Im Bild 12 ist eine Straße dargestellt mit kurzwelligen Unebenheiten (siehe bewertetes Profil, unten). Die kurzen, nahezu periodischen Wellen sind im Bewerteten Längsprofil gut erkennbar. Die Straße wurde, gemäß dem AUN (Allgemeinen Unebenheitsmaß entsprechend der Bewertung im Rahmen der ZEB) als noch akzeptabel bewertet. Die Bewertung nach der neuen Methode ergibt s bew = 14, 7 mm (Balken rechts) und liegt damit im roten Bereich, das heißt der Schwellenwert ist überschritten. Die Grenzwerte für Abnahme-, Warn- und Schwellenwerte sind für s rechts im senkrechten Balken und für Δ links neben dem Bewerteten Längsprofil angegeben.

Bild 12: Bewertungsbeispiel 1 – Straße mit Periodizitäten

Im Bild 13 ist eine Fahrbahn mit Betonplattenversätzen zu sehen. Hier liegen die Standardabweichung und die Spannweite jeweils weit im roten Bereich. Die Periodizitäten sind im Bewerten Längsprofil sehr gut zu erkennen und auch zu lokalisieren. Die Straße genügt auf keinen Fall mehr den Anforderungen einer modernen Straße.

Bild 13: Bewertungsbeispiel 2 – Straße mit Betonplattenversätzen

Im letzten Beispiel (Bild 14) ist ein 50 m langer Straßenabschnitt mit zwei Einzelhindernissen dargestellt. Hier liegt die Bewertung (blauer Punkt, links unten) im gelben Bereich, also zwischen Warn- und Schwellenwert. Maßgebend für die Bewertung ist hier – wie zu sehen – die Spannweite.

Bild 14: Bewertungsbeispiel 3 – Straße mit Einzelhindernissen

Mit dem Bewerteten Längsprofil ist ein starkes Werkzeug geschaffen worden, das die Längsebenheit von Straßen in allen Ausprägungen bewerten kann.

Es bewertet:

  • Die Allgemeinen Unebenheiten,
  • Einzelhindernisse und
  • Periodizitäten.

Weitere Vorteile sind:

  • es bewertet das gesamte Spektrum,
  • es lokalisiert die Problembereiche und
  • es handelt sich um geometrische Indikatoren, die die Längsebenheit beschreiben und bewerten.

Derzeit wird in Deutschland ein Bewertungshintergrund erarbeitet; es ist beabsichtigt, das Verfahren in Zukunft für die ZEB-Aufnahmen und in bauvertraglichen Verfahren anzuwenden.

Damit ist erstmals ein Werkzeug vorhanden, das die Straßenlängsebenheit nachvollziehbar und objektiv bewertet. Auf jeden Fall muss die 4-m-Latte, bei Abnahmen von Längsebenheiten, zumindest von Außerortsstraßen, möglichst schnell verschwinden, da mit diesem Werkzeug keine brauchbare Aussage über die Qualität einer Längsebenheit getroffen werden kann.