FGSV-Nr. FGSV A 43
Ort Bamberg
Datum 16.05.2017
Titel Ansprache des Kälteverhaltens von Bitumen und Asphaltmörtel mit dem Zugretardationsversuch
Autoren ORR Dipl.-Ing. Franz Bommert
Kategorien Asphaltstraßen
Einleitung

Das Gebrauchsverhalten von Asphalt wird maßgeblich von den verwendeten Bindemitteln bestimmt. Die Asphaltkonstruktionen sind je nach Einsatzort einer großen Temperaturspanne ausgesetzt. Die üblicherweise in der Asphaltprüftechnik eingesetzten Prüfverfahren fokussieren sich in der Regel entweder auf die „kalte“ Seite wie z. B. mit dem Abkühlversuch an Asphaltprismen oder auf die „warme“ Seite mit der Prüfung der Verformungsbeständigkeit mit zyklischen Druckversuchen. Ein Prüfverfahren, das die beiden konkurrierenden Extreme des gesamten Anwendungsbereiches erfasst, ist bisher noch nicht etabliert. Mit der Zugretardation steht ein Prüfverfahren zur Verfügung, dass systembedingt bei niedrigen Temperaturen Bindemittel und Mörtel prüftechnisch anspricht. Mit den dabei ermittelten Ergebnissen kann jedoch unmittelbar auch auf das Verhalten im hohen Gebrauchstemperaturbereich geschlossen werden. In diesem Beitrag werden das Prüfverfahren Zugretardation und Ergebnisse von Bindemittel- und Mörtelprüfungen vorgestellt. Aus diesen Ergebnissen wird der Bezug zu den Asphalteigenschaften Verformungsbeständigkeit und Widerstand gegen kälteinduzierte Rissbildung dargestellt.

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1 Einleitung

Für die prüftechnische Ansprache der Gebrauchseigenschaften von Asphalt stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Auf der „warmen Seite“ wird die Beständigkeit gegen Verformung mit dem Triaxialversuch, dem Druckschwellversuch, dem dynamischen Stempeleindringversuch oder auch dem Spurbildungsversuch angesprochen. Auf der „kalten Seite“ stehen verschiedene Zugversuche zur Verfügung, die in der DIN EN 12697-46 beschrieben sind.

Die Gebrauchseigenschaften von Asphalt werden wesentlich von dem verwendeten Bindemittel bestimmt. Neben der Adhäsion hat insbesondere die Viskosität des Bindemittels großen Einfluss auf die Performance des Asphaltes im Gebrauchstemperaturbereich.

Die bekannten Prüfverfahren zur Beschreibung der Viskosität von Bindemitteln decken den Gebrauchstemperaturbereich nur teilweise oder auch gar nicht ab. Traditionelle Prüfverfahren zur Ansprache der Viskosität, wie das Kugelzieh-Viskosimeter eignen sich zur Prüfung von Viskositäten bis zu 1•108 m Pa s, was mehr den Temperaturbereich der Verarbeitung der Bindemittel als den Gebrauchstemperaturbereich wiederspiegelt.

Beim Bending Beam Rheometer (BBR) werden an balkenförmigen Proben mit vergleichsweise kleinen Abmessungen Drei-Punkt-Biegeversuche durchgeführt. Die kleinen Abmessungen des Probekörpers und der zugleich große Einfluss der Probekörpergeometrie auf das Prüfergebnis sowie die kleinen Kräfte, die auf den Probekörper einwirken und somit auch nur kleine Verformungen bewirken sind bei diesem Prüfverfahren als nachteilig zu bewerten. Für belastbare Ergebnisse muss hier die Probenvorbereitung sehr präzise erfolgen. Es ist zudem eine für die kleinen Kräfte und Verformungen angepasste, sensible Messmimik erforderlich.

Der Anwendungsbereich des Dynamischen Scherrheometers (DSR) ist auf Temperaturen größer 30 °C ausgelegt. Ob das Verhalten von Bindemitteln bei tiefen Temperaturen mit diesem Prüfverfahren direkt angesprochen werden kann, ist Gegenstand von künftigen Forschungsaktivitäten.

Anders als bei den oben genannten Verfahren können mit dem Zugretardationsversuch Zug-Viskositäten von 100 MPa•s bis zu 109 MPa•s prüftechnisch erfasst werden, die sich bei Bindemittel- und Mörtelprüfungen im Temperaturbereich von +5 °C bis zu -25 °C einstellen. Das Prüfprinzip des Retardationsversuches erfordert insbesondere für die Ansprache von Bindemitteln diese Temperaturen. Gleichwohl können mit den dabei erzielten Ergebnissen Aussagen zum Verhalten im Gebrauchstemperaturbereich gemacht werden. Es werden Ergebnisse der Untersuchungen von Straßenbaubitumen, von wachsmodifizierten Straßenbaubitumen, von gummimodifizierten Bindemitteln und von einem rückgewonnenen Bindemittel, das mit Rejuvenatoren und „weichen“ Straßenbaubitumen modifiziert wurde dargestellt. Im Weiteren folgen Ergebnisse von Untersuchungen an Asphaltmörteln und ihr Bezug zum Gebrauchsverhalten von Asphalt. 

2 Prüfverfahren Zugretardation

2.1 Prüfprinzip

Das Prüfprinzip des Zugretardationsversuches entspricht dem Tensile Creep Test (TCT) der DIN EN 12697-46. Im Zugretardationsversuch wird ein prismatischer Probekörper bei konstanter Versuchstemperatur durch eine sprungartig aufgebrachte und dann konstant gehaltene einaxiale Zugspannung statisch belastet. Während des Versuches wird die sich dabei am Probekörper einstellende axiale Dehnung in Abhängigkeit von der Zeit erfasst. Aus der aufgezeichneten Zeit-Dehnungskurve wird, unter Anwendung eines Auswerteverfahrens, die das Fließverhalten der Probe beschreibende Materialkenngröße Zugviskosität bestimmt.

Die Entwicklung und Verifizierung des Prüfverfahrens sowie die Festlegung geeigneter Prüfparameter sind in dem Forschungsbericht [1] beschrieben. 

2.2 Prüfgerät

Die Versuchseinrichtung für den Zugretardationsversuch besteht aus einer Wegmesseinrichtung mit einer Auflösung von 0,1 μm, einer Kraftmessdose mit einer Auflösung von 0,01 N und einer Schrittmotor-Getriebeeinheit, die Längenänderungen mit einer Auflösung von 0,02 μm aufbringen kann (Bild 1). Der Probekörper wird darin liegend, an einer Stirnseite mit einem starren Widerlager und an der anderen Stirnseite mit der Zugeinrichtung verbunden. Die Reibung in der horizontalen Auflagefläche des Probekörpers wird durch eine Teflonschicht und das Aufbringen von Graphitflocken minimiert und ist unter Berücksichtigung der Größe der aufgebrachten Spannung in Zugrichtung vernachlässigbar.

Bild 1: Schematische Darstellung der Versuchsanordnung

Die Prüfeinrichtung ist in einem Temperaturschrank eingebaut, der die Prüftemperatur mit einer Genauigkeit von 0,5 K regelt. Prüfeinrichtung und Temperaturschrank werden über einen Prozessrechner mit Echtzeit-Multitasking-Betriebssystem und einem Programm zur simultanen Messdatenerfassung, Steuerung und Regelung sowie einer Prozessvisualisierung verbunden.

Die Prüfeinrichtung für den Zugretardationsversuch an Bindemitteln und Mörtel kann in die Zug- und Abkühlversuchseinrichtung für Asphaltproben intergiert werden und ist als Zubehör erhältlich.

2.3 Prüfkörper

Die Abmessungen eines Prüfkörpers sind im Bild 2 dargestellt. Durch die Geometrie des Probekörpers mit Schulterstäben und einem kleineren Querschnitt in der Mitte wird erreicht, dass sich die unter Zugbelastung einstellenden Dehnungen auf einen bestimmten Bereich konzentrieren.

Bild 2: Prüfkörper mit Adapterplatten

Der Ausgangsquerschnitt in der Zugzone beträgt 1000 mm². Die Stirnseiten mit einer Fläche von 1600 mm² bieten mehr Kontaktfläche für die Adapterplatten, so dass auch große Zugkräfte in den Probekörper eingeleitet werden können. Die vergleichsweise großen Abmessungen und die damit verbundenen großen Mengen an Probenmaterial führen dazu, dass das Verfahren der Herstellung und der Einbau der Probekörper in die Prüfeinrichtung sehr gut beherrschbar sind, und die erzielten Prüfergebnisse, hier insbesondere unter Berücksichtigung der erforderlichen Regelung der Belastung und des großen Ausgangsquerschnittes der Probe zu sehr belastbaren Prüfergebnissen führen.  

2.4 Herstellung der Prüfkörper

Unter Berücksichtigung von Teilungszuschlägen und der notwendigen Überhöhung des Probekörpers bei der Herstellung des Probekörpers sind Portionen von 120 g Bindemittel bzw. 120 ml Asphaltmörtel vorzubereiten.

Das Bindemittel ist dafür schonend zu erwärmen. Die Temperatur ist dabei so zu wählen, dass das Bindemittel gut aufzurühren ist aber sich zugleich beim Gießen der Probekörper keine Blasen bilden. In der Regel werden die Teilproben des Bindemittels zur Herstellung der Prüfkörper aus einem größeren Gebinde gewonnen. Die Homogenität der Teilproben lässt sich gut mit dem Prüfverfahren Erweichungspunkt Ring und Kugel beurteilen.

Für die Mörtelherstellung werden sowohl das Bindemittel als auch die Füllerkomponenten erwärmt. Der Bindemittelanteil wird auf einer Waage in eine Kasserolle vorportioniert. Die Füllerkomponenten werden entsprechend der Rezeptur in die Kasserolle hinzugegeben, mit dem Bindemittel gut durchmischt und für 30 Minuten im Ofen temperiert. Nach nochmaligen durchrühren des Mörtelgemisches werden die Prüfkörper gegossen.

Zuvor ist die mehrteilige Form für den Probekörper mit einem Trennmittel einzustreichen. Nur die Adapterplatten werden gründlich entfettet und in die Probenform eingebaut. Das erwärmte und aufgerührte Bindemittel bzw. der Asphaltmörtel wird mit einem kleinen Überschuss in die Form gegossen. Die gefüllte Probenform kühlt bei Raumtemperatur ab und wird anschließend über eine Nacht bei 5 °C gelagert.

Durch einen über das gesamte Untersuchungsprogramm gleichen Zeitablauf (Takt) der Arbeitsschritte Probenvorbereitung, Probenherstellung, Probenlagerung und der abschließenden Prüfung werden mögliche Einflüsse auf die Prüfergebnisse egalisiert und vergleichbare Ergebnisse erzielt.

2.5 Prüfung

Durch Abziehen, Glätten der Oberseite mit einem heißen Spatel wird der Probekörper auf Maß getrimmt, ausgeformt und mit den Adapterplatten in der Prüfeinrichtung fixiert. Der Probekörper wird dann spannungsfrei für 150 Minuten bei Prüftemperatur temperiert. Nach der Temperierung erfolgt die Belastung. In Abhängigkeit von der Prüftemperatur und Art der Probe erfolgt eine in Spannung und Dauer angepasste Zugbelastung (Tabelle 1).

Tabelle 1: Prüfbedingungen

Durch die aufgebrachte und im Verhältnis zu dem sich in der Zugzone ändernden, verjüngenden Querschnitt konstante Spannung stellt sich eine Dehnung des Prüfkörpers ein. Nach einer Phase der Konsolidierung stellt sich im weiteren Verlauf der Belastung ein linearer Verlauf der Dehnung über die Zeit ein, der für die Auswertung des Versuches betrachtet wird.

2.6 Auswertung des Zugretardationsversuches

Bei einer konstanten Zugspannung und einer konstanten Prüftemperatur kann aus dem Verlauf der Zeit-Dehnungskurve im linearen Bereich vereinfacht über die Steigung der Zeit-Dehnungs-Kurve die Zugviskosität der Bindemittelprobe ermittelt werden.

Formel in PDF

Die einzelnen Versuchsergebnisse werden in ein Diagramm mit einer logarithmischen Skalierung der Ordinate für die Zugviskosität und einer linearen Skalierung der Abszisse für die Prüftemperatur übertragen. Mit dieser Skalierung kann der Verlauf der Zugviskosität über die Prüftemperaturen mit einer Regressionsgeraden der Form

Formel in PDF

Log(λZ) = b (T) + a

angegeben werden, mit:

a     Zugviskosität bei 0°C

b     Steigung der Regressionsgerade T            Prüftemperatur [°C]

Die Steigung b der Regressionsgerade ist ein Indikator für die Temperaturempfindlichkeit des Bindemittels.

3 Untersuchungen

3.1 Untersuchungen an Straßenbaubitumen

Im Bild 3 sind die Untersuchungsergebnisse von fünf Sorten Straßenbaubitumen des gleichen Herstellers dargestellt. Die Erweichungspunkte Ring und Kugel der Straßenbaubitumen sind mit angegeben.

Die grafische Darstellung der Ergebnisse zeigt plausible Ergebnisse. Die Viskositäten der Bindemittel werden durch den Zugretardationsversuch differenziert dargestellt. Jeder Punkt stellt das Ergebnis eines Retardationsversuches dar. Die Regressionsgeraden verlaufen leicht aufgefächert, was an den Steigungen der Regressionsgraden zu erkennen ist. Auf unterschiedlichem Niveau zeigen alle vier Sorten ein ähnliches Verhalten über die Temperaturspanne. Alle Regressionsgeraden zeigen ein sehr hohes Bestimmtheitsmaß (R2 > 0,999). Die Differenzen der Temperaturen gleicher Viskosität zeigen sich auch in den Temperaturen der Erweichungspunkte der Bitumen wieder.

Bild 3: Straßenbaubitumen

3.2 Untersuchungen an wachsmodifizierten Straßenbaubitumen

Für die Modifikationen mit Wachs wurden ein Fettsäurederivat (FAD) und ein Fischer-TropschParaffin (FTP) ausgewählt. Beide Modifikationen werden zur Absenkung der Herstellungs- und Verarbeitungstemperaturen von Asphalt eingesetzt. Ein „weiches“ Straßenbaubitumen (70/100) und ein „hartes“ Straßenbaubitumen (20/30) wurden mit jeweils 2 M.-% der Zusätze modifiziert. Die mit dem Zugretardationsversuch ermittelten Viskositäten sind im Bild 4 dargestellt. Die Zugaben von FTP und FAD verändern die Viskosität der Bindemittel. Der Erweichungspunkt Ring und Kugel gibt hier, anders als bei den Straßenbaubitumen, keine zutreffende Charakterisierung der Viskosität der Bindemittel wieder.

Bild 4: Straßenbaubitumen wachsmodifiziert

Die Veränderungen der Viskosität durch Zugabe der Additive stellt sich bei dem Bindemittel 70/100 sowohl hinsichtlich der Zunahme der Viskosität als auch hinsichtlich der Änderung der Temperaturempfindlichkeit deutlicher dar.

Aus der Gleichung für die Regressionsgeraden errechnet sich für den Bereich von 50 °C für alle Modifikationen eine höhere Zugviskosität. Dies geht einher mit der Beobachtung, dass

„wachsmodifizierte“ Bindemittel eine höhere Beständigkeit gegen Verformungen zeigen.

Die Veränderung der Viskosität kann auch über die äquiviskose Temperatur ausgedrückt werden. Für das Straßenbaubitumen 20/30 wird durch die Modifikationen für den Temperaturbereich um die 0 °C die Viskosität um 3 K bis 6 K verschoben. Das mit FTP modifizierte Straßenbaubitumen 20/30 weist bei 6°C die gleiche Viskosität auf wie das unmodifizierte Bitumen bei 0 °C. Für die Bewertung dieser Veränderung der Viskosität hinsichtlich der Gebrauchseigenschaften der damit hergestellten Asphaltkonstruktionen sind die klimatischen Bedingungen am Einbauort und auch die Belastung durch Verkehr mit zu berücksichtigen. Die Modifikation von „harten“ Bindemitteln durch Wachse und Paraffine ist in Einsatzbereichen mit häufigen Temperaturen um die 0 °C kritisch zu sehen.

3.3 Untersuchungen an gummimodifizierten Bindemitteln

Gummimodifizierte Bindemittel stellen eine Alternative zu polymermodifizierten Bindemitteln dar, die auch zunehmend für die Anwendung in Splittmastixasphalten angeboten werden. Im Bild 5 sind die Ergebnisse der Zugretardationsversuche von drei Bindemitteln dargestellt. Ein Straßenbaubitumen 50/70, ein gummimodifiziertes Bindemittel, das durch Modifikation des Straßenbaubitumens 50/70 mit Gummimehl hergestellt wurde. Dieses Bindemittel ist nach den

„Empfehlungen zu Gummimodifizierten Bitumen und Asphalten“ (E GmBA) der Sorte GmB 25/55-55 zuzuordnen. Zum Vergleich ist in diesem Bild auch ein konventionelles polymermodifiziertes Bindemittel 25/55-55 A wiedergegeben. Die Regressionsgeraden zu den Bindemitteln zeigen, dass das gummimodifizierte Bindemittel weniger temperaturempfindlich ist und bei hohen Gebrauchstemperaturen eine höhere Zugviskosität aufweist.

Im Vergleich den Regressionsgeraden zeigt sich bei sehr tiefen Temperaturen für alle drei Bindemittel ein ähnliches Verhalten.

Bild 5: Straßenbaubitumen gummimodifiziert

3.4 Untersuchungen an rückgewonnenen Bindemitteln und Rejuvenatoren

Das rückgewonnene Bindemittel wurde aus einem Asphaltgranulat einer Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt gewonnen. Genauere Angaben zu dem Asphaltgranulat liegen nicht vor. In Regelfall wird jedoch für Splittmastixasphalt ein polymermodifiziertes Bindemittel 25/55-55 A verwendet. Durch Extraktionen wurde eine ausreichende Menge des Bindemittels aus dem Asphaltgranulat zurückgewonnen. Für die Modifikationen des rückgewonnenen Bindemittels wurden zwei Rejuvenatoren eingesetzt. Rejuvenator 1 (R1) wird vom Hersteller als ein aus Kiefern und anderen Hölzern gewonnenes erneuerbares Rohmaterial, einem Nebenprodukt der Papierindustrie beschrieben. Zu dem Rejuvenator 2 (R2) liegt vom Hersteller keine Beschreibung zur Charakterisierung vor. Die für das rückgewonnene Bindemittel (rB) ermittelten Viskositäten erfassen die Summe mehrerer Einflüsse. Die thermische Beanspruchung des Bindemittels während der Herstellung des Asphaltmischgutes, die Alterung des Bindemittels über die Nutzungszeit der Asphaltkonstruktion, Wechselwirkungen mit den Gesteinen des Asphaltes und die Beanspruchung durch das Lösemittel Trichlorethylen während der Extraktion und der abschließenden Homogenisation der Teilproben, die für die Gewinnung einer ausreichenden Probenmasse erforderlich waren.

Die zugegebenen Mengen der Rejuvenatoren R1 und R2 wurden mit dem Erweichungspunkt Ring und Kugel des Bindemittel-Rejuvenatorengemisches abgeschätzt. Zielgröße für die erforderliche Zugabemenge der Rejuvenatoren war ein Erweichungspunkt Ring und Kugel von 57 °C, der zugleich auch dem EP RuK eines untersuchten Bindemittels 25/55-55 A entspricht. Dabei ergaben sich Zugabemengen von 7,5 % für den Rejuvenator R1 und von 6,0 % für den Rejuvenator R2.

Die mit dem Zugretardationsversuch ermittelten Viskositäten sind im Bild 6 dargestellt.

Zur Orientierung sind in dem Bild 6 auch die Zugviskositäten eines Bindemittels 25/55-55 A dargestellt. Es zeigt sich, dass die Abschätzung der erforderlichen Zugabemengen an Rejuvenatoren mit dem Kriterium Erweichungspunkt Ring und Kugel nur mäßig gelungen ist. Für den Rejuvenator R2 reicht eine geringere Zugabemenge, um die Viskosität des rückgewonnenen Bindemittels in dem Bereich eines Bindemittels 25/55-55 zu „verjüngen“

Bild 6: Rejuvenatoren

Die Temperaturempfindlichkeit beider Varianten des verjüngten rückgewonnenen Bindemittels, ausgedrückt durch die Steigung der Regressionsgraden, ist im Vergleich zu dem Bindemittel 25/55-55 A geringer. Die Steigung der Regressionsgeraden zeigt, das im hohen Gebrauchstemperaturbereich (ca. 50 °C) die Zugviskositäten der Varianten des verjüngten rückgewonnenen Bindemittels größer sind, was eine höhere Verformungsbeständigkeit der damit hergestellten Asphalte bewirkt. Die hier gezeigten Modifikationen stellen den Fall eines 100 % Recycling dar, bei dem eine vollständige Durchmischung des Bindemittels aus dem Aphaltgranulat mit den Rejuvenatoren vorliegt.

Bei der Wiederverwendung von Asphaltgranulat kann durch den Einsatz von „weichen“ Zugabebindemitteln ein ähnlicher Effekt im resultierenden Bindemittel erzielt werden wie bei der Verwendung von Rejuvenatoren. Für die Zugretardationsversuche wurde das rückgewonnene Bindemittel (rB) mit den Straßenbaubitumina der Sorten 70/100 und 160/220 vermischt. Zielgröße für das Mischungsverhältnis von rB und Zugabebindemittel ist hier eine Zugviskosität, die einem Straßenbaubitumens 30/45 entspricht, das aufgrund der erwarteten hohen Zugabemengen hier als Vergleichsgröße zugrunde gelegt wird.

Anders als bei der Verwendung der Rejuvenatoren R1 und R2 liegen hier nicht nur zum rückgewonnenen Bindemittel und der Zielgröße aus vorangegangenen Zugretardationsversuchen Regressionsgleichungen vor, sondern auch zu den zwei Zugabebindemitteln. Das erforderliche Mischungsverhältnis von rückgewonnenen Bindemittel und Zugabebindemittel lässt sich somit sehr gut aus den Zugviskositätswerten bei 0 °C errechnen. (Gleichung mit zwei Variablen und einer Nebenbedingung)

Für eine Zugviskosität von 3,8 M Pa•s bei 0 °C werden die folgenden Mischungsverhältnisse berechnet:

60 % Zugabebindemittel 70/100 + 40 % rückgewonnenes Bindemittel

40 % Zugabebindemittel 160/220 + 60 % rückgewonnenes Bindemittel

Mit diesen Mischungsverhältnissen wurden Zugabebindemittel und rückgewonnenes Bindemittel vermischt und Prüfkörper für die Zugretardationsversuche hergestellt. Die Ergebnisse der Versuche sind im Bild 7 dargestellt.

Bild 7: „Weiche“ Bindemittel als Rejuvenatoren

Es zeigt sich, dass aus bekannten Viskositätskennlinnen sehr gut auf Viskositätskennlinien geschlossen werden kann, die Mischungsverhältnisse wiedergeben. Die Regressionsgerade des Straßenbaubitumens 30/45 wurde sehr gut durch die verschiedenen Anteile der unterschiedlichen Zugabebindemittel wiedergegeben. Die Regressionsgerade zu der Variante 60 % rB + 40 % 160/220 verläuft nahezu deckungsgleich zu der Regressionsgraden des Straßenbaubitumens 30/45.

Durch die Zugabe von weichen Bindemitteln werden eine Absenkung der Zugviskosität und auch eine Änderung der Temperaturempfindlichkeit erreicht. Die hier gezeigten Modifikationen stellen den Fall einer üblichen Wiederverwendungsrate dar, bei dem eine vollständige Durchmischung des Zugabebindemittels mit dem Bindemittel aus dem Aphaltgranulat vorliegt.

3.5 Untersuchungen an Asphaltmörteln

Das Prüfverfahren ist ebenso sehr gut zur Ansprache der Zugviskosität von Asphaltmörteln geeignet. Aufgrund der versteifenden Wirkung der Füller im Asphaltmörtel werden hier höhere Zugspannungen aufgebracht. Zudem besteht die Möglichkeit für sehr füllerreiche und somit steife Asphaltmörtel die Prüftemperatur anzuheben. Mit der üblichen Auswertung und Darstellung des Zugretardationsversuches können auch Prüfergebnisse im warmen Gebrauchstemperaturbereich problemlos in der Regressionsgeraden berücksichtigt werden, ohne dass die Aussagekraft der Ergebnisse davon beeinträchtigt wird.

In den Forschungsprojekten zum Einfluss von Qualitätsunterschieden polymermodifizierter bitumenhaltiger Bindemittel gleicher Sorte FE 07.225 [2] und FE 07.0235 [3] wurde untersucht, ob aus den rheologischen Eigenschaften von Bindemitteln auf das Verformungsverhalten und das Kälteverhalten der daraus hergestellten Asphalte geschlossen werden kann. Beide Forschungsprojekte waren breit angelegt und berücksichtigten jeweils drei polymermodifizierte Bindemittel gleicher Sorte von vier Herstellern, die in drei bzw. vier Asphaltsorten verwendet wurden. In beiden Forschungsprojekten wurden identische Bindemittel und Gesteinskörnungen verwendet.

Nach den Projektabschlüssen waren von einigen Bindemitteln noch ausreichende Mengen für Bindemittel- und Mörteluntersuchungen mit dem Zugretardationsversuch verfügbar.

Im Folgenden sind die Ergebnisse dargestellt, die einen Vergleich eines Bindemittels über verschiedene Asphalt- bzw. Mörtelarten (Bild 8) und einen Vergleich verschiedener Bindemittel über eine Asphalt- bzw. Mörtelart zulassen (Bild 9). Die Bezeichnung der Hersteller der Bindemittel entspricht der Bezeichnung aus den zwei zuvor genannten Forschungsprojekten.

Anhand der in den Schlussberichten dokumentierten Erstprüfungen zu den Asphaltrezepturen wurden die Mörtelrezepturen für die Zugretardationsversuche erstellt. Als Fremdfüller wurde dafür ebenfalls Kalksteinmehl und als Brechsand ebenfalls ein Diabas verwendet. Für die Herstellung der Asphaltmörtel wurden mit Bezug zu den Asphaltuntersuchungen der zwei Forschungsprojekte FE 07.225 und FE 07.0235 somit identische Bindemittel und vergleichbare Gesteinskörnungen verwendet.

Bild 8: Retardation Asphaltmörtel

Die Darstellung der Zugviskositäten der verschiedenen Asphaltmörtel mit einem Bindemittel zeigt, dass die Mörtelviskositäten um die Faktoren 9- bis 12-mal größer sind als die Zugviskositäten des Bindemittels. In der Reihung der Regressionsgeraden zeigt sich auch das Füller-Bindemittel-Verhältnis der zugehörigen Asphaltarten. Die trotz gleichem Füller-Bindemittel-Verhältnis unterschiedlichen Regressionsgeraden der Mörtel des AC 22 T S und des SMA 11 S zeigen, dass das Prüfverfahren auch auf die unterschiedlichen Anteile aus dem Eigenfüller Diabas und dem Fremdfüller Kalksteinmehl anspricht.

Das Bild 9 zeigt die Zugviskositäten an einer Mörtelrezeptur für einen AC 16 B S mit verschiedenen Bindemitteln. Drei dieser Bindemittel sind von der gleichen Sorte (10/40-65 A) jedoch von unterschiedlichen Herstellern.

In dem FE 07.225 wurde das Asphaltmischgut AC 16 B S hinsichtlich der Verformungsbeständigkeit unter anderem mit dem Einaxialen Druckschwellversuch an Marshallprobekörpern geprüft. Für die Beurteilung wurden dabei die folgenden Parameter als maßgeblich festgelegt:

nw = Lastimpulsanzahl im Wendepunkt [-]

εw = Dehnung im Wendepunkt [‰]

ε*w = Dehnungsrate im Wendepunkt [‰ /104 n]

In dem Forschungsprojekt FE 07.0235 wurde  das  Kälteverhalten  des  Asphaltmischguts AC 16 B S unter anderem mit Abkühlversuchen untersucht. Ermittelter Kennwert ist hier die Bruchtemperatur TBr [°C].

Bild 9: Retardation Asphaltmörtel AC 16 B S

In der Tabelle 2 sind die ausgewählten Kennwerte zur Beschreibung des Verformungsverhaltens und des Kälteverhaltens für einen AC 16 B S zusammengestellt.

Tabelle 2: Kennwerte AC 16 B S (Tabelle in PDF)

Aus dem Verlauf der Regressionsgeraden der Asphaltmörtel lässt sich eine sehr gute Übereinstimmung mit den Kennwerten der Druckschwellversuche an den Asphalten erkennen. Die deutlichen Unterschiede in den Steigungen der Regressionsgeraden bei den Mörteln mit dem Bindemittel 10/40-65 A von Hersteller 1 und Hersteller 2 erklären die sehr guten bzw. sehr schlechten Kennwerte der Verformungsbeständigkeit. Für die Prüftemperatur des Druckschwellversuches von 50 °C kann mit den Regressionsgleichungen aus den Asphaltmörtelprüfungen eine Mörtelviskosität errechnet werden, die die Reihung der Verformungsbeständigkeit der Marshallprobekörper im Druckschwellversuch wiedergibt.

Im Abkühlversuch wurden an den Asphaltprismen Bruchtemperaturen von -18,1 °C bis -24,0 °C ermittelt. Die über die Regressionsgleichungen der Mörtelprüfungen errechneten zugehörigen Zugviskositäten weisen alle einen Wert von ca. 107,5 MPa•s auf, wobei die Zugviskositätswerte der Mörtel für die drei Bindemittel 10/40-65 A sich nur sehr geringfügig unterscheiden. Dies lässt den Schluss zu, dass für Bindemittel einer Sorte und für gleiche Füller-Bindemittel-Verhältnisse mit gleichen Füllerzusammensetzungen eine „Grenzzugviskosität“ ermittelt werden kann, aus der eine Bruchtemperatur für den Asphalt hergeleitet werden kann.

4 Zusammenfassung

Mit dem Prüfverfahren Zugretardation können die Viskositäten von Bindemitteln und Asphaltmörteln bei tiefen Temperaturen direkt angesprochen werden. Das Prüfverfahren ist sehr robust und zugleich sehr sensitiv. Bindemittelmodifikationen können mit dem Prüfverfahren sehr anschaulich dargestellt werden. Die versteifende Wirkung unterschiedlicher Füller in Art und Anteil im Mörtel können sehr differenziert dargestellt werden.

Die Regressionsgerade gibt ein Maß für die Temperaturempfindlichkeit der Bindemittel und Asphaltmörtel wieder.

Mit der Prüfung von Asphaltmörteln kann aus dem Verlauf der Regressionsgeraden eine Beurteilung des Gebrauchsverhaltens der Asphalte über den gesamten Gebrauchstemperaturbereich vorgenommen werden.

Mit der Zugviskosität des Asphaltmörtels, die in ihrem Wert wesentlich über das Füller-Bindemittel-Verhältnis beeinflusst wird, wird vor allem von der Neigung der Regressionsgeraden, die bindemittelspezifisch ist, bestimmt, ob ein Asphalt sowohl ein günstiges Kälteverhalten als auch eine hohe Verformungsbeständigkeit aufweist.

Das Prüfverfahren ist somit ein sehr effektives Werkzeug bei der Konzeption von dauerhaften Asphaltrezepturen.

Durch Zugretardationsversuche am Bindemittel wird über die Neigung der Regressionsgeraden ein gutes Bindemittel ausgewählt. Mit Zugretardationsversuchen am Asphaltmörtel kann dann das Füller-Bindemittel-Verhältnis der Asphaltrezeptur für den vorgesehenen Verwendungszweck optimiert werden. Da das Prüfverfahren auch auf die unterschiedliche versteifende Wirkung unterschiedlicher Füller anspricht, kann bei der Asphaltmischgutkonzeption das Verhältnis von Eigenfüller zu Fremdfüller so optimiert werden, dass sehr verformungsbeständige Mörtelrezepturen entstehen und sich dabei zugleich ein für das Kälteverhalten der Asphalte günstiges Füller-Bindemittel-Verhältniss einstellt. Es ist dabei aber immer abzuwägen, in welchem Maße die konkurrierenden Asphalteigenschaften Verformungsbeständigkeit und Resistenz gegen kälteinduzierte Rissbildung für den vorgesehenen Verwendungszweck priorisiert werden bzw. in welchem Verhältnis hier ein dem Anwendungszweck angemessener Ausgleich erfolgt.

Literaturverzeichnis

1 Schellenber g, K.; Eulit z, H.-J.: Ansprache des Fließverhaltens von Bitumen und polymermodifizierten Bitumen bei tiefen Temperaturen. Schriftenreihe Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Hrsg: Bundesministerium für Verkehr, Bonn, Heft 695, 1995

2 H a s e, M.: Einfluss von Qualitätsunterschieden polymermodifizierter bitumenhaltiger Bindemittel gleicher Sorte auf das mechanische Verhalten von Asphalt, Teil 1: Verformungsverhalten bei Wärme. Schlussbericht zum FE 07.225/2008/BGB

3 H a s e, M.: Einfluss von Qualitätsunterschieden polymermodifizierter bitumenhaltiger Bindemittel gleicher Sorte auf das mechanische Verhalten von Asphalt, Teil: Kälte-, Ermüdungs- und Steifigkeitsverhalten. Schlussbericht zum FE 07.0235/2009/BGB