FGSV-Nr. FGSV 001/21
Ort Karlsruhe
Datum 11.10.2006
Titel Von der RAS-N zur RIN – Neue Regeln für die Netzgestaltung und -bewertung
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach
Kategorien Kongress
Einleitung

Die derzeit von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in der Bearbeitung befindlichen „Richtlinien für integrierte Netzgestaltung“ (RIN) [1] sollen die aus dem Jahr 1988 stammenden „Richtlinien für Anlage von Straßen, Teil: Leitfaden für die funktionale Gliederung des Straßennetzes“ (RAS-N) [2] ersetzen und sie auf die integrierte Betrachtung aller Verkehrsteilsysteme ausdehnen. Die RIN greifen die Ziele der Landesplanung und Raumordnung für die Erreichbarkeit der Zentralen Orte auf und leiten die funktionale Gliederung der Verkehrsnetze aus der zentralörtlichen Gliederung ab. Sie ermöglichen eine verkehrsträgerspezifische und -übergreifende Betrachtung des Verkehrsnetzes und liefern bundesweit einheitliche Verfahren und Standards für Systemanalysen und -vergleiche. Die neuen Regeln zur Bewertung und Gestaltung bieten Planern und Entscheidungsträgern hilfreiche Grundlagen zur Koordination, Kooperation und Funktionsergänzung der einzelnen Verkehrsteilsysteme.

 

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1 Einführung

Schon die aus dem Jahr 1988 stammenden „Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil: Leitfaden für die funktionale Gliederung des Straßennetzes“ (RAS-N) greifen die Ziele der Landesplanung und Raumordnung für die Erreichbarkeit der Zentralen Orte auf und leiten die funktionale Gliederung des Straßenverkehrsnetzes aus der zentralörtlichen Gliederung ab. Die derzeit vom Arbeitsausschuss „Netzgestaltung“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) in der Bearbeitung befindlichen „Richtlinien für integrierte Netzgestaltung“ (RIN) übernehmen diesen Ansatz, aktualisieren die Regeln zur Netzgestaltung und erweitern diese um eine integrierte Betrachtung aller Verkehrsteilsysteme und um Hilfestellungen zur Netzbewertung. Mit diesem Ansatz wird in den RIN das Verkehrsangebot als Ganzes, insbesondere mit der Einbeziehung des Öffentlichen Verkehrs, aber auch des Rad- und Fußgängerverkehrs, behandelt. Die Ziele der RIN sind insofern

  • die strategische Entwicklung des Verkehrsnetzes in Abstimmung mit der übergeordneten räumlichen Planung,
  • die Sicherung der Erreichbarkeit von Metropolregionen und Zentralen Orten,
  • die funktionale Gliederung des Verkehrsnetzes,
  • die Bewertung der verbindungsbezogenen Angebotsqualität,
  • die integrierte Planung aller Verkehrsteilsysteme,
  • die Vorgabe abgestufter Qualitäten von Verkehrsnetzen und Netzelementen,
  • die Vorgabe abgestufter Qualitäten für Verknüpfungspunkte,
  • die Definition der Geltungsbereiche von Entwurfsregelwerken und
  • die Unterstützung bei

Mit den RIN können bestehende Verkehrsangebote analysiert und bewertet sowie Netzkonzepte für zukünftige Verkehrsangebote entwickelt werden. Diese Arbeitsschritte sind in der Verkehrsplanung als Schwachstellenanalyse und Entwicklung von Maßnahmenkonzepten zu verstehen. Sie finden Eingang in Bedarfspläne des Bundes und der Länder, in kommunale Verkehrsentwicklungspläne, in Einzelverkehrspläne wie Nahverkehrspläne sowie in Raumordnungs- und Landesentwicklungsprogramme. Im Bereich des Straßennetzes bildet die funktionale Gliederung der RIN eine Grundlage für den Entwurf und den Betrieb von Straßen, die entsprechend den jeweils gültigen Entwurfsrichtlinien zu gestalten sind. Dabei bieten die RIN eine optimale Verknüpfung zu den neuen Entwurfsregelwerken für Autobahnen, Landstraßen und Stadtstraßen.

Der Aufbau der RIN ist dem Bild 1 zu entnehmen. In diesem Beitrag wird schwerpunktmäßig die funktionale Gliederung des Verkehrsnetzes mit der Konzentration auf das Straßenverkehrsangebot behandelt, während die Bewertung der verbindungsbezogenen Angebotsqualität und die Qualitätsvorgaben zur Gestaltung von Verkehrsnetzen und Netzelementen nur kurz aufgegriffen sowie die Qualitätsvorgaben für die Gestaltung der Verknüpfungspunkte nicht angesprochen sind.

Bild 1: Aufbau der Richtlinien für die Netzgestaltung

 

2              Funktionale Gliederung des Verkehrsnetzes

Die funktionale Gliederung des Verkehrsnetzes ermöglicht eine aufgabengerechte Bündelung der Verkehrsströme. Sie wird im Wesentlichen durch die Siedlungsstruktur, den Städtebau und den Umweltschutz bestimmt. Die funktionale Gliederung des Verkehrsnetzes, verbunden mit einer Stärkung des Systems Zentraler Orte, unterstützt die Entwicklung von Siedlungsachsen und Verdichtungsräumen. Sie schafft die Rahmenbedingungen für eine verkehrs- und stadtgerechte sowie landschaftsschonende und verkehrssichere Netzgestaltung. Sie liefert damit einen Beitrag für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung.

Aufgabe der funktionalen Gliederung ist es, die für Planung, Entwurf und Betrieb der Verkehrsinfrastruktur maßgebenden Verkehrswegekategorien zu ermitteln bzw. festzulegen. Die funktionale Gliederung ermöglicht es, einzelne Netzelemente abhängig von der verkehrlichen Bedeutung und dem städtebaulichen sowie natürlichen Umfeld zu standardisieren und dementsprechend funktionsgerecht zu dimensionieren und zu gestalten.

Ausgangspunkt der funktionalen Gliederung bildet das System der Zentralen Orte. Je nach Bedeutung der zentralen Versorgungsfunktionen und der Größe des Versorgungsbereiches/Ausstrahlungsbereiches unterscheiden die RIN Zentren verschiedener Stufen:

  • Metropolregionen (MR) mit internationaler bzw. nationaler Ausstrahlung,
  • Oberzentren (OZ) als Verwaltungs-, Versorgungs-, Kultur- und Wirtschaftszentren für die höhere spezialisierte Versorgung,
  • Mittelzentren (MZ) als Zentren zur Deckung des gehobenen Bedarfs bzw. des selteneren spezialisierten Bedarfs und als Schwerpunkte für Gewerbe, Industrie und Dienstleistungen,
  • Grundzentren (GZ) als Zentren der Grundversorgung zur Deckung des täglichen Bedarfs für den jeweiligen

In einem allmählichen Veränderungsprozess haben sich in den letzten Jahrzehnten Metropolregionen neu herausgebildet, die aufbauend auf dem historisch gewachsenen polyzentralen Städtesystem durch verstärkte globale ökonomische, soziale und kulturelle Einbindung einen Wandel in der Raumnutzung markieren und zu einer Veränderung der Raumstruktur führen. Diese Metropolregionen, von der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) seit 1995 als raumordnerische Kategorie etabliert, sind europäisch und global/kontinental bedeutsame Wirtschafts- und Bevölkerungskonzentrationen, die mit ihren Kernen sowohl metropolitane Netze fördern als auch Entwicklungsimpulse zwischen Kern, Umland und Peripherie in einer großräumigen Verantwortungsgemeinschaft auslösen sollen. Von besonderer Bedeutung für den internationalen Verkehr sind daher die Verbindungen zwischen in- und ausländischen Metropolregionen zur Vernetzung der Metropolregionen. Gegenüber den RAS-N aus dem Jahr 1988 wurden daher in den RIN diese Verbindungen mit einer neuen, herausragenden Verbindungsbedeutung belegt. Die Raumstruktur unter Darstellung der Metropolregionen ist im Bild 2 wiedergegeben.

Mit der Berücksichtigung des Systems Zentraler Orte als Ausgangspunkt zur Ableitung der Verbindungsbedeutung von Netzelementen verfolgen die RIN die Ziele

  • der Sicherung der Versorgungsfunktionen für die Bevölkerung in den Einzugsbereichen Zentraler Orte,
  • der Sicherung der Austauschfunktionen zwischen Zentralen Orten,
  • der Unterstützung der Konzentration der Siedlungstätigkeit auf ein System leistungsfähiger Zentraler Orte,
  • der Unterstützung der herausragenden Bedeutung von Verbindungen zwischen in- und ausländischen

Bild 2: Raumstruktur mit Metropolregionen (linke Seite) sowie oberzentrale und mittelzentrale Standorträume (rechte Seite) [3]

Das Raumordnungsgesetz (ROG) benennt als eine Leitvorstellung die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen. Im Bild 3 sind aus darauf basierenden Vorgaben der MKRO konkrete Vorgaben für die Erreichbarkeit Zentraler Orte von den Wohnstandorten aus abgeleitet worden. Dabei wird zwischen dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr differenziert. Das Bild 4 benennt Zielvorgaben für die Erreichbarkeit Zentraler Orte untereinander. Zu beachten ist, dass die Zielgrößen Zu- und Abgangszeiten enthalten. Durch die Einhaltung dieser Zielgrößen soll die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit zentralen Einrichtungen sichergestellt werden. Sie bilden eine Grundlage für die Festlegung von geschwindigkeitsbasierten Anspruchsniveaus im Rahmen der Bewertung der verbindungsbezogenen Angebotsqualität sowie die daraus abgeleiteten Qualitätsvorgaben zur Gestaltung von Verkehrsnetzen und Netzelementen. Sie bilden selbst im Rahmen der Netzgestaltung gemäß dem Konzept der RIN kein eigenständiges Qualitätskriterium, geben aber Hinweise auf mögliche raumordnerische Defizite.

Bild 3: Zielgrößen für die Erreichbarkeit Zentraler Orte von den Wohnstandorten

Bild 4: Zielgrößen für die Reisedauer zwischen Zentralen Orten

Das System Zentraler Orte dient als Grundlage zur Festlegung der Verbindungsbedeutung, die ausgedrückt in Verbindungsfunktionsstufen in Luftliniennetzen zusammengestellt werden. Diese Vorgehensweise ist mit der Systematik der RAS-N vergleichbar, wobei die RIN zusätzlich die Verbindungsfunktionsstufe 0 als Verbindung zwischen Metropolregionen einführen und die in der Vergangenheit kaum angewandte Verbindungsfunktionsstufe VI der RAS-N nicht weiter aufführen. Das Bild 5 enthält die neuen Verbindungsfunktionsstufen.

Bild 5: Verbindungsfunktionsstufen für Verbindungen

Für die Zusammenstellung der Luftliniennetze sind zunächst die Verbindungen von einem Zentrum einer Stufe zu seinen nächst und übernächst benachbarten Zentrum der gleichen Stufe zu betrachten (Austauschfunktion). Dieses Vorgehen gewährleistet den Netzzusammenhang, in dem z. B. Ortsumgehungen in die funktionalen Verbindungen derselben Funktionsstufe einbezogen werden. Als benachbart gelten danach Orte, die mit ihren Verflechtungsbereichen aneinander angrenzen („erster Kranz“); übernächst benachbart sind diejenigen Orte, die einen gemeinsamen dazwischen liegenden Nachbarort aufweisen („zweiter Kranz“). Fehlende Verbindungen von Zentren der benachbarten Stufen zu den benachbarten Zentren der nächst höheren Stufe sind gegebenenfalls noch zu ergänzen. Das Bild 6 enthält als Beispiel eine Zusammenstellung des Luftliniennetzes der Verbindungsfunktionsstufe I mit Verbindungen zwischen Oberzentren.

Bild 6: Luftliniennetz von Verbindungen zwischen Oberzentren (Verbindungsfunktionsstufe I) (Quelle: IVV, Aachen)

Aufbauend auf den Luftliniennetzen werden die Verbindungsfunktionsstufen je Verkehrssystem auf die Verkehrswege übertragen. Dies kann auch für geeignete Verkehrsmittelkombinationen durchgeführt werden. Die Übertragung erfolgt nach den Kriterien

  • der Direktheit,
  • der Reisegeschwindigkeit,
  • der Verkehrssicherheit,
  • der Entlastung bebauter und schützenswerter Gebiete,
  • der Bündelung von Verkehrsströmen.

Mit einer geeigneten Übertragung der Verbindungsfunktionsstufen in die Verkehrsnetze können auch die Entwicklungsmöglichkeiten eines Verkehrssystems besonders unterstützt werden. Dabei kann die Verbindungsfunktionsstufe einer Verbindung in einem Verkehrssystem gegenüber einem anderen Verkehrssystem aufgewertet oder abgestuft werden. Zur Förderung der durchgängigen Nutzung mehrerer Verkehrssysteme sollten darüber hinaus die Verbindungsfunktionsstufen über ein systematisch aufgebautes System von Verknüpfungspunkten geführt werden.

Neu ist in den RIN auch die Vorgabe, dass bei der Zuordnung der Luftlinienverbindungen des Radverkehrs zu Netzabschnitten die Luftlinienverbindungen jeweils zwei verschiedenen Routen zugeordnet werden sollen. Eine der beiden Routen sollte dabei für den Alltagsverkehr möglichst umwegfrei, die andere für den freizeitbezogenen Radverkehr unabhängig vom Straßenverkehr möglichst attraktiv geführt werden (Bild 7).

Bild 7: Zuordnung der Luftlinienverbindungen des Radverkehrs zu zwei Routen (1: umwegfrei, 2: attraktiv) (Karte: www.stadtplan.net)

Im Vergleich der RAS-N mit den RIN haben sich grundlegende Änderungen im Bereich der Definition von Kategorien für Straßennetzelemente ergeben. Im Bild 8 sind die Kategoriengruppen nach RAS-N und RIN vergleichend wiedergegeben.

Bild 8: Kategoriengruppen bei Straßen nach RAS-N (Oben) und RIN (Unten

In den RAS-N wurden die Straßen abschnittsweise nach den Kriterien

  • Lage außerhalb oder innerhalb bebauter Gebiete
  • Nutzungsart des Straßenumfeldes (anbaufrei/angebaut bzw. anbaufähig) und
  • planerisch maßgebende Funktion (Ergebnis der Abwägung der Nutzungsansprüche aus den drei Funktionsbereichen Verbindung, Erschließung und Aufenthalt)

unterschieden. Die RIN enthalten demgegenüber die Kriterien

  • Straßentyp (Autobahn/Landstraße/Stadtstraße)
  • Lage (außerhalb, im Vorfeld und innerhalb bebauter Gebiete),
  • Straßenumfeld (anbaufrei/angebaut) und
  • Stadtstraßenart (Hauptverkehrs-/Erschließungsstraße).

Mit dieser neuen Definition wird dem bisher aufgetretenen Problem Rechnung getragen, dass abschnittsweise eine planerisch maßgebende Funktion bestimmt werden musste. Bei Straßenabschnitten im Zuge höherer Verbindungsfunktionsstufen hat dies dazu geführt, dass Erschließung und/oder Aufenthalt meist als nachrangig eingestuft wurden, obwohl die Sensibilität derartiger innerstädtischer Hauptverkehrsstraßenabschnitte eine Gestaltung erforderte, die eher den Vorgaben an Erschließungsstraßen als an Hauptverkehrsstraßen entsprach. Hinzu kommt, dass die Qualitätsvorgaben für anbaufreie Straßen außerhalb bebauter Gebiete große Margen aufwiesen, so dass die Zielgrößen für Reisegeschwindigkeiten in diesem Bereich große Gestaltungsspielräume offen ließen. Durch die neue Definition von Kategorien für Straßennetzelemente nach RIN ist nun eine eindeutigere Differenzierung von Hauptverkehrs- und Erschließungsstraßen sowie von Qualitätsvorgaben für Autobahnen und Landstraßen möglich.

Die Straßenkategorie ergibt sich, wie schon bei der RAS-N, durch Verknüpfung der Verbindungsfunktionsstufe mit der Kategoriengruppe. Im Bild 9 sind diejenigen Straßenkategorien bezeichnet, die befriedigende Lösungen in baulicher und betrieblicher Hinsicht erwarten lassen. Zwar kommen in der Praxis auch andere Straßenkategorien vor, jedoch bestehen bei diesen zwischen den verkehrslichen und den nicht-verkehrlichen Nutzungsansprüchen häufig scherwiegende Konflikte, die durch gestalterische Maßnahmen nur schwer gelöst werden können.

Bild 9: Verknüpfungsmatrix zur Ableitung von Straßenkategorien

Entsprechend der Systematik der funktionalen Gliederung des Straßennetzes werden die Netze des Öffentlichen Personenverkehrs, des Radverkehrs und des Fußgängerverkehrs in den RIN funktional gegliedert. Dabei wird die Charakteristik der Verkehrswege des Öffentlichen Personenverkehrs im Wesentlichen von der Betriebsform bestimmt, die von der Art des Fahrwegs geprägt wird. Unabhängige Fahrwege bzw. Bahnkörper sind aufgrund ihrer Lage oder ihrer Bauart vom übrigen Verkehr getrennt geführt. Besondere Fahrwege bzw. Bahnkörper liegen im Verkehrsraum öffentlicher Straßen, sind jedoch vom übrigen Verkehr getrennt. Straßenbündige Fahrwege bzw. Bahnkörper zeichnen sich durch eine gemeinsame Führung mit dem Kfz-Verkehr oder in Fußgängerzonen aus. Diese Charakteristik bestimmt die Definition der Verkehrswegekategorien für den Öffentlichen Personenverkehr unter zusätzlicher Berücksichtigung der Verkehrsart (Fern- oder Nahverkehr) und der Lage (außerhalb bebauter Gebiete oder innerhalb bebauter Gebiete einschließlich Übergangsbereiche). Die so entstehenden Verkehrswegekategorien sind im Bild 10 dargestellt.

Bild 10: Verknüpfungsmatrix zur Ableitung der Verkehrswegekategorien des Öffentlichen Personenverkehrs

Radverkehrsanlagen werden nach ihrer Lage kategorisiert (außerhalb oder innerhalb bebauter Gebiete); Fußgängerverkehrsanlagen werden nach ihrer Lage, aber auch nach ihrer Funktion mit Ansprüchen vorrangig aus dem freizeitbezogenen Fußgängerverkehr (Wandern) oder vorrangig aus dem alltäglichen Fußgängerverkehr differenziert.

 

3              Qualitätsvorgaben zur Gestaltung von Verkehrsnetzen und Netzelementen

Verkehrsteilnehmer benutzen für eine Ortsveränderung eine Folge von Netzelementen (Verkehrswegeabschnitte). Ansprüche an die Angebotsqualität von Luftlinienverbindungen sind deshalb Vorgaben für die Ausbauqualität der Netzelemente. Die Angebotsqualität einer Luftlinienverbindung lässt sich nur durch Maßnahmen an Netzelementen verbessern.

Im Bereich des Straßenverkehrs sollen zur Entlastung der bebauten Umwelt und auch aus Sicherheitsgründen Straßen der Verbindungsfunktionsstufen 0 und I frei von Ortsdurchfahrten sein. Bei den Straßen der Verbindungsfunktionsstufen II bis III ist in Abhängigkeit der örtlichen Situation zu prüfen, ob die ortslagenfreie Führung angezeigt ist oder alternative Maßnahmen möglich sind. Spezielle verbindungsbezogene Qualitätsvorgaben werden in den RIN für die Luftliniengeschwindigkeiten zwischen Zentralen Orten ausgedrückt in Pkw-Fahrgeschwindigkeiten für die einzelnen Straßenabschnitte aufgestellt. Die mittlere Pkw-Fahrgeschwindigkeit ergibt sich dabei aus dem Quotienten der Länge des Netzelementes und dem mittleren Zeitaufwand für das Befahren des Netzelementes mit einem Pkw. Das Bild 11 enthält Zielgrößen für die angestrebten mittleren Pkw-Fahrgeschwindigkeiten auf zwischengemeindlichen Verbindungen. Die angestrebten Pkw-Fahrgeschwindigkeiten bilden Vorgaben für den Ausbauzustand einer Straße nach den Entwurfsrichtlinien, insbesondere für die Linienführung, die Querschnittsausbildung und Knotenpunktgestaltung. Sie sind zugleich Zielvorgaben für die verkehrstechnische Bemessung nach dem „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS) [5], da die Fahrgeschwindigkeiten auch in Zeiten mit hohem Verkehrsaufkommen erreichbar sein sollen.

Bild 11: Zielgrößen für die angestrebten mittleren Pkw-Fahrgeschwindigkeiten auf zwischengemeindlichen Verbindungen

Die RIN enthalten ebenso für den Öffentlichen Personenverkehr, den Radverkehr und den Fußgängerverkehr Qualitätsvorgaben, die sich auf angestrebte Fahrgeschwindigkeiten, Umwegfaktoren, Beleuchtung, Wegweisung, Unterstellmöglichkeiten für den Radverkehr und qualitative Angaben zur Ausstattung von Fußgängerverkehrsnetzen beziehen.

 

4              Bewertung der verbindungsbezogenen Angebotsqualität

Die RIN enthalten erstmals Kriterien und Kenngrößen zur Bewertung der verbindungsbezogenen Angebotsqualität. Als relevante Kriterien der Angebotsqualität für Verbindungen sind Zeitaufwand, Kosten, Direktheit, zeitliche Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Komfort zu nennen. Obwohl die Verwendung aller Kriterien wünschenswert ist, konnten nicht alle in den RIN berücksichtigt werden. Das Bild 12 zeigt die Kriterien und Kenngrößen, für die in den RIN Angaben zu Qualitätsstufen und Anhaltswerten enthalten sind.

Bild 12: Kriterien und Kenngrößen zur Bewertung der Angebotsqualität nach den RIN

Anhaltswerte für die Kriterien Kosten, Zuverlässigkeit und Komfort fehlen, da hierfür keine ausreichenden Grundlagen vorhanden sind. Eine Aufgabe der Zukunft wird es vor allem sein, das Kriterium Zuverlässigkeit näher zu definieren. Es beschreibt die Möglichkeit, ein Reiseziel planmäßig zu erreichen. Es könnte z. B. durch die Summe der Verspätungsminuten oder durch die Verteilung der Reisedauer einer Verbindung in einem Beobachtungszeitraum quantifiziert werden. Dies erfordert jedoch die Verfügbarkeit kontinuierlicher Reisedauermessungen, die derzeit noch nicht allgemein zur Verfügung stehen.

Nicht berücksichtigt werden konnten ferner Bewertungskriterien für den Bereich des öffentlichen Verkehrs, bei dem die Fragen der zeitlichen Verfügbarkeit (Bedienungshäufigkeit, zumutbare Einzugsbereiche von Haltestellen, Betriebsdauer), der Zuverlässigkeit und des Komforts noch nicht in die Bewertung einbezogen sind.

Exemplarisch dargestellt wird in diesem Beitrag die Bewertung des Kriteriums „Zeitaufwand“ mit der Kenngröße „Luftliniengeschwindigkeit“. Prinzipiell sollen die berechneten Kenngrößen jeder Verbindung Anhaltswerten gegenüber gestellt werden, wobei die in Anlehnung an das HBS [5] nach 6 Stufen der Angebotsqualität (SAQ) unterschieden sind. Dieses Vorgehen verbessert durch eine einheitliche Bewertungsskala die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Beurteilungsgesichtspunkte, macht so die Relevanz der Bewertung deutlich und führt zu einer leichteren und überprüfbareren Abwägung bei den Entscheidungsträgern. Durch einen Vergleich der berechneten Kenngrößen mit den Anhaltswerten ist es möglich, für einzelne Verkehrssysteme oder Kombinationen von Verkehrssystemen Relationen mit guter und schlechter Angebotsqualität zu erkennen. Diese relationsfeine Bewertung ist Grundlage für eine Mängelanalyse, bei der Ursachen von Mängeln lokalisiert werden. Ziel der Mängelanalyse ist es, Netzelemente zu identifizieren, deren Veränderung für viele, insbesondere mangelhafte Relationen eine bessere Angebotsqualität bewirkt.

Die Bewertung des Zeitaufwandes erfolgt unter anderem anhand der Luftliniengeschwindigkeit zwischen Quelle und Ziel als Quotient von Luftlinienentfernung und Reisedauer. Die Reisedauer beinhaltet dabei die Zugangs-, Warte-, Beförderungs- und Abgangsdauer. Sie berücksichtigt implizit die zurückgelegte Entfernung und eignet sich damit für den Vergleich des Zeitaufwandes zwischen Verbindungen unterschiedlicher Entfernung. Bundesweite Analysen von zahlreichen Verbindungen haben zur Ableitung von Stufen der Angebotsqualität für die Luftliniengeschwindigkeit geführt, die Eingang in die RIN, sowohl getrennt für den Pkw und den Öffentlichen Verkehr als auch für eine vergleichende Bewertung der Luftliniengeschwindigkeit von Pkw und ÖV gefunden haben. Die im Bild 13 dargestellten Qualitätsstufen für die Luftliniengeschwindigkeit für eine vergleichende Bewertung zwischen Pkw-Verkehr und Öffentlichem Verkehr ermöglichen in Abhängigkeit von der Luftlinienentfernung eine Einstufung der Qualität von Verbindungen, wobei die Auswahl relevanter Verbindungen dem Anwender vorbehalten bleibt. Dabei haben Analysen gezeigt, dass keine Differenzierung nach Verbindungsfunktionsstufen oder Kategoriengruppen notwendig ist, da die Luftlinienentfernung die Verbindungsbedeutung aufgrund der unterschiedlichen Standardentfernungsbereiche zwischen Zentralen Orten hinreichend beschreibt.

Bild 13: Qualitätsstufen für die Luftliniengeschwindigkeit für eine vergleichende Bewertung zwischen Pkw-Verkehr und ÖV

In der hier dargestellten Systematik sind weitere Kriterien und Kenngrößen entsprechend dem Bild 12 in den RIN aufgeführt. So erfolgt beispielsweise die Beurteilung der Verkehrssicherheit einer Ortsveränderung durch die Bestimmung des Fahrtweitenanteils, den ein Nutzer auf vergleichsweise sicheren Verkehrswegen bzw. geeigneten Verkehrswegen erbringt. Im Motorisierten Individualverkehr gelten dabei

  • alle Autobahnen,
  • bei Landstraßen und Stadtstraßen solche Abschnitte, die aufgrund des realen Unfallgeschehens gemäß ESN [6] kein Sicherheitspotenzial aufweisen

als vergleichsweise sicher.

 

5             Ausblick

Die neuen Regeln für die Netzgestaltung und -bewertung werden sich nach einer Einführungsphase in der Praxis etablieren und bewähren müssen. Gerade im Bereich des Öffentlichen Verkehrs sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs wird hiermit Neuland beschritten, so dass – wie auch nach der Veröffentlichung der RAS-N im Jahr 1988 – zunächst eine Gewöhnung an neue verbindungsbezogene Gliederungen, Bewertungen und Qualitätsvorgaben erfolgen muss. Im Bereich des Straßenverkehrs werden durch die Einführung der neuen Entwurfsrichtlinien ebenfalls Veränderungen im Planungsprozess notwendig, wobei hier die Systematik der funktionalen Gliederung bereits bekannt ist und die Einführung leichter sein wird.

Auch nach Veröffentlichung der RIN werden weitere Aspekte der Netzgestaltung und -bewertung offenbleiben, wissenschaftlich zu hinterfragen und zu erforschen sein. Eine Forschungsarbeit mit dem Titel „Auswirkungen von Überlastungen an Einzelanlagen des Straßenverkehrs auf die Verbindungsqualität in Straßennetzen“ [7] befasst sich beispielsweise derzeit mit der Verknüpfung der Qualitätsvorgaben des HBS mit denen der RIN. In diesem Rahmen wird ein Verfahren entwickelt, das die Rückkopplung von Qualitätsstufen (QSV) der Einzelanlagen auf die Angebotsqualität von Verkehrsnetzen (SAQ) quantifizieren kann. Dabei wird ermittelt, wie sich individuelle Störungen an einzelnen Elementen einer Streckenfolge auf die Gesamtreisedauer auswirken.

 

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2006): Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN), Entwurf April 2006, unveröff.
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (1988): Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil: Leitfaden für die funktionale Gliederung des Straßennetzes (RAS-N), Ausgabe 1988, Köln
  3. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2005): Raumordnungsbericht 2005, Berichte Band 21, BBR 2005
  4. Gesellschaft für Verkehrsberatung und Systemplanung mbH (GVS) (1997): Grundlagen und Aufstellung eines Leitfadens für die integrierte Netzgestaltung, im Auftrag der
  5. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2005): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2001/Fassung 2005, Köln
  6. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2003): Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen (ESN), Ausgabe 2003, Köln
  7. Friedrich, B. et al. (2006): Auswirkungen von Überlastungen an Einzelanlagen des Straßenverkehrs auf die Verbindungsqualität in Straßennetzen, 3. Zwischenbericht zum FA 1.162, Hannover