FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Die Mobilitätsberatung von neuen Beschäftigten als innovative Einzelmaßnahme des betrieblichen Mobilitätsmanagements im Rahmen des Projekts "Gute Wege zur guten Arbeit"
Autoren Mechtild Stiewe, Stefan Haendschke
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Betriebliches Mobilitätsmanagement ist ein effektives Instrument zur Verlagerung von PkwAlleinfahrten auf ÖV, NMIV und Fahrgemeinschaften und kann so einen relevanten Beitrag zur Senkung verkehrsbedingter CO2-Emissionen leisten. Dennoch wird der Ansatz bisher nur vereinzelt genutzt. Mit Förderung des Bundesumweltministeriums führt der ACE das Projekt „Gute Wege zur guten Arbeit“ durch, um das betriebliche Mobilitätsmanagement bundesweit in Betriebe zu tragen. Als innovative Einzelmaßnahme werden dabei individuelle Mobilitätsberatungen für neue Beschäftigte entwickelt, erprobt und evaluiert. Ziel ist es – in Analogie zum kommunalen Neubürgermarketing –, Beschäftigte in einer räumlichen Umbruchsituation zu erreichen, in der sie ihre Wege neu organisieren müssen.

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1 Betriebliches Mobilitätsmanagement

1.1 Ziel und Strategie

Zwei Drittel aller Beschäftigten fahren in Deutschland mit dem Pkw zur Arbeit. Für viele von ihnen bedeutet das: Stress, Bewegungsmangel, hohe Mobilitätskosten. Auch für Betriebe führt der hohe Pkw-Anteil im Berufsverkehr zu spezifischen Belastungen: Kosten und Flächenbedarf für die Bereitstellung von Pkw-Stellflächen, mangelnde Erreichbarkeit und hoher Parkdruck für Kunden, Besucher, Lieferanten etc., erhöhter Krankstand der Beschäftigten, geringe Attraktivität für qualifizierte Fachkräfte. Gesellschaftlich sind vor allem die hohen CO2-Emissionen in Berufsverkehr eine große Herausforderung.

In den letzten Jahren stagnieren Verkehrsaufwand und Verkehrsleistung der Alltagsmobilität auf der individuellen Ebene auf einem hohen Niveau. Zwar bleibt der Pkw mit einem hohen Anteil (aktuell fast 60%) weiterhin eine zentrale Rolle spielt, so scheint sich jedoch langfristig durch die steigende Zahl von flexibel kombinierbaren Mobilitätsalternativen, zunehmenden Regulierungen sowie einem gestiegenen Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein eine langsame Abnahme einzustellen. (siehe ZUMKELLER, D./VORTISCH, P. et al. 2011 [1] und BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR; BAU UND STADTENTWICKLUNG (2010).
Mobilität in Deutschland 2010 – Ergebnisbericht. FE-Nr. 70801/2006, Berlin. [2])

Mit Mobilitätsmanagement steht heute ein Instrument zur Verfügung, das es erlaubt, den Pkw-Anteil im Personenverkehr gezielt zu reduzieren. Die effektive Beeinflussung des Modalsplit zugunsten des „Umweltverbunds“ (öffentliche Verkehrsmittel, nicht motorisierte Verkehrsmittel sowie Fahrgemeinschaften) wird dabei durch ein innovatives Herangehen ermöglicht: Um die gewünschten Verhaltensänderungen der Verkehrsteilnehmer zu erzielen werden entsprechend der spezifischen Mobilitätsbedürfnisse der Zielgruppe v.a.

- die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, nicht motorisierter Verkehrsmittel sowie von Fahrgemeinschaften attraktiver gestaltet und kommuniziert,

- bestehende Hemmnisse und Einschränkungen zur Nutzung des Umweltverbundes gezielt reduziert sowie ggf. auch

- Anreize zur Nutzung des Pkw abgebaut.

Im Vordergrund stehen Maßnahmen aus den Bereichen Information, Kommunikation, Koordination und Service. Das kann die zielgruppengerechtere und attraktivere Information über das ÖV-Angebot sein, aber auch die bessere Beleuchtung des Weges zur Haltestelle. Im Bereich des Berufsverkehrs sind Jobtickets sehr effektiv, besonders dann, wenn sie optimal an die Nachfrage angepasst sind, z.B. auch als Halbjahres-Abonnement für Fahrradfahrer. Anzahl und Sicherheit der Fahrradabstellanlagen an den Haltepunkten des Schienenverkehrs können ebenso entscheidend sein wie die Abstimmung von Fahrplänen und Schichtzeiten. Die Ausweitung des Angebots selbst steht also nicht im Vordergrund, sondern vielmehr seine attraktivere Gestaltung und Vermittlung.

Durchgeführt wird Mobilitätsmanagement stets von lokalen Akteuren: Für viele Betriebe führt ein hohes Pkw-Verkehrsaufkommen von Beschäftigten zu erheblichen Belastungen. Für sie kann Mobilitätsmanagement daher konkrete ökonomische Vorteile bei verhältnismäßig geringen Investitionskosten bieten.

1.2 Wirkung von Mobilitätsmanagement

Wenn es um die Senkung von CO2-Emissionen im Verkehrsbereich geht, bietet eine Verlagerung von Verkehr große Potenziale: Die spezifischen CO2-Emissionen des Pkw, d.h. die Emissionen pro Personenkilometer (bei durchschnittlicher Fahrzeugauslastung), liegen bei 141 g. Beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind dies nur etwa 74 g, im Schienenfernverkehr sogar nur 42 g. Sogar im Luftverkehr sind die spezifischen CO2-Emissionen mit 114 g pro Personenkilometer noch geringer als beim Pkw (siehe UMWELTBUNDESAMT (Hrsg.) (2014). Handbuch für Emissionsfaktoren. Dessau-Roßlau.).

Bild 1: Spezifische CO2-Emissionen im Personenverkehr (Daten: ZUMKELLER, D./VORTISCH, P. et al (2011). Deutsches Mobilitätspanel (MOP) – wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertungen. Bericht 2011: Alltagsmobilität & Tankbuch (FE-Projektnr. 70.0864/2011), Institut für Verkehrswesen. Karlsruhe

[1]    BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR; BAU UND STADTENTWICKLUNG (2010). Mobilität in Deutschland 2010 – Ergebnisbericht. FE-Nr. 70801/2006, Berlin.
UMWELTBUNDESAMT (Hrsg.) (2014). Handbuch für Emissionsfaktoren. Dessau-Roßlau., [2])

Gerade angesichts einer kontinuierlich wachsenden Verkehrsnachfrage ist daher eine effizientere Nutzung des PKWs durch Fahrgemeinschaften und eine Verlagerung von Verkehr vom Pkw auf die öffentlichen Verkehrsmittel – und erst recht auf die emissionsfreien nicht motorisierten Verkehrsmittel – dringend geboten. Für einen solchen Modal Shift, d.h. für eine Beeinflussung des Modalsplit zugunsten des Umweltverbunds, bietet Mobilitätsmanagement eine effektive und angesichts verhältnismäßig geringer Kosten auch effiziente Lösung.

Den Arbeitswegen kommt bei der Senkung verkehrsbedingter CO2-Emissionen eine zentrale Rolle zu. Rund 18 Prozent des Personenverkehrsaufkommens in Deutschland entfallen auf den Berufsverkehr (ohne Ausbildungs- und ohne Geschäftsverkehr). Über 80 Prozent dieses Verkehrs werden mit dem Pkw erbracht.

Wie viel Pendlerverkehr sich an einem konkreten Standort vom Pkw auf den Umweltverbund verlagern lässt, hängt von zahlreichen Bedingungen ab. Dazu gehören etwa die Verteilung der Wohnstandorte, die Qualität des ÖV-Angebots (Fahrtdauer, Taktung, Kosten etc.) oder auch topografische Gegebenheiten, die beispielsweise im Fall großer Höhenunterschiede die Fahrradnutzung erschweren. An den wenigsten Standorten wird der Umweltverbund für alle Pkw-Fahrer in Frage kommen. Von denen, für die der Umweltverbund theoretisch eine gute Alternative bietet, gilt es jedoch, möglichst viele auch tatsächlich zum Umstieg zu motivieren. Dies ist der Ansatzpunkt von Mobilitätsmanagement. Über den Erfolg der Verkehrsverlagerung entscheidet neben den Rahmenbedingungen daher auch die Intensität und Qualität des Mobilitätsmanagements.

Im Rahmen des Aktionsprogramms „effizient mobil“, das die Deutsche Energie-Agentur (dena) mit Zuwendung des Bundesumweltministeriums und Unterstützung des ACE von 2008 bis 2010 durchgeführt hat, wurde diese Wirkungskette gründlich untersucht. Hierzu haben das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) und das Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen (ISB) Erhebungen für 85 betriebliche Standorte durchgeführt. Im Ergebnis wurden folgende Wirkungspotenziale für das betriebliche Mobilitätsmanagement ermittelt (siehe DENA (2010). Effizient mobil. Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement. Berlin. [5]):

- Verlagerung von 20% der Pkw-Fahrten (3% auf den nichtmotorisierten Individualverkehr, 11% auf den ÖV, 6% auf Fahrgemeinschaften)

- Reduktion der Pkw-Verkehrsleistung um durchschnittlich 1.073 km pro Beschäftigtem jährlich

- Minderung der CO2-Emissionen um durchschnittlich 190 kg pro Beschäftigtem jährlich

Bild 2: Verlagerungspotenzial durch Mobilitätsmanagement (Daten: DENA (2010). Effizient mobil. Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement. Berlin. [5])

2 Das Projekt „Gute Wege zur guten Arbeit“

Unter dem Titel „Gute Wege zur guten Arbeit“ führt der ACE Auto Club Europa e.V. seit 1. Mai 2015 ein dreijähriges Projekt zur bundesweiten Verbreitung und Verankerung von Mobilitätsmanagement im betrieblichen Umfeld durch. Das Projekt wird (wie bereits das große Aktionsprogramm „effizient mobil“ von 2008 bis 2010) vom Bundesumweltministerium im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert.

Als gewerkschaftsnaher Verkehrsclub wird der ACE dabei auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund und den meisten seiner Mitgliedgewerkschaften unterstützt. Ein besonderer Fokus liegt außerdem auf Betriebs- und Personalräten als wichtigen Multiplikatoren.

Dreh- und Angelpunkt des betrieblichen Mobilitätsmanagements sind die Beschäftigten selbst. Auf ihre Verkehrsmittelwahl zielt das Instrument ab. Neben der direkten Ansprache von Beschäftigten liegt aber ein großer Hebel für die erfolgreiche Einführung und nachhaltige Verankerung von betrieblichem Mobilitätsmanagement bei den Betriebs- und Personalräten als gewählten Vertretungen der Beschäftigten:

- Sie können als Interessenvertreter der Beschäftigten entscheidend zum Gelingen von Mobilitätsmanagement beitragen, indem sie die Vorteile für die Beschäftigten kommunizieren und so die Unterstützung durch die Belegschaft fördern.

- Sie können die innerbetriebliche Initiative ergreifen und auf die Einführung verbesserter Mobilitätsangebote im Interesse der Beschäftigten hinwirken.

- Sie sind aber andererseits auch in der Lage, die Einführung und Verankerung von Mobilitätsmanagement zu hemmen oder gar zu blockieren, wenn es nicht gelingt, sie von den Vorzügen für die Beschäftigten zu überzeugen.

Das Projekt „Gute Wege zur guten Arbeit“ möchte die Förderung einer nachhaltigen Arbeitnehmermobilität als Standardaufgabe auf den unterschiedlichen Ebenen in den Unternehmen verankern. Neben den gesetzlichen Interessenvertretern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer adressiert der ACE auch andere betriebliche Akteure wie Unternehmensleitungen, Facilitymanagements oder Personalabteilungen.

Gesamtziel des Projektes ist es, verkehrsbedingte CO2-Emissionen zu reduzieren. Um dies zu erreichen, arbeitet das Projekt in folgenden Themenbereichen:

- Eine effektive Platzierung des Themas nachhaltiger Mobilität im betrieblichen Umfeld, durch Veranstaltungen vor Ort, Netzwerkbildung und zentrale kommunikative Maßnahmen.

- Die Gewinnung und Qualifizierung von Betriebsräten und Personalräten als Multiplikatoren und wichtige Akteure für eine erfolgreiche Einführung und nachhaltige Verankerung von betrieblichem Mobilitätsmanagement.

- Analyse der Handlungsmöglichkeiten von zuständigen Fachabteilungen der Unternehmen.

- Die Entwicklung von Mobilitätsberatungen für Mitarbeiter in räumlichen/beruflichen Umbruchsituationen als neues Instrument des betrieblichen Mobilitätsmanagements.

3 Mobilitätsberatungen für neue Beschäftigte

3.1 Ziel der Maßnahme

Die meisten Beschäftigten entscheiden nicht täglich spontan und rational darüber, wie sie zur Arbeit gelangen. Die Verkehrsmittelwahl ist bei einem täglichen Weg wie dem Arbeitsweg stark habitualisiert. Diese Routinen aufzubrechen ist entsprechend schwierig und voraussetzungsreich. Appellative Maßnahmen oder die Distribution allgemeiner Informationen greifen hier zu kurz und sind wenig zielführend. So werden Umwelt- und Klimaschutz als politische Ziele heute zwar mehrheitlich akzeptiert oder mitgetragen, handlungsleitend sind sie dennoch nur unter bestimmten Bedingungen und für bestimmte Zielgruppen.

Mobilitätsmanagement nimmt die Verkehrsmittelwahl daher gezielt als Verhalten in den Blick. Es werden verstärkt Erkenntnisse und Methoden der Verhaltensforschung berücksichtigt. Im Ergebnis führt dies zu einer neuen Strategie zur Förderung nachhaltigen Verhaltens, für die unter anderem folgende Aspekte charakteristisch sind:

- ein weitgehender Verzicht auf appellative Elemente

- die Ausrichtung auf eine oder mehrere konkrete Zielgruppen an einem konkreten Ort mit seinen konkreten Rahmenbedingungen

- die Orientierung an den tatsächlichen, empirisch ermittelten Mobilitätsbedürfnissen dieser Zielgruppe(n)

- die Planung und Umsetzung der Maßnahmen auf lokaler Ebene

- die Berücksichtigung der Vereinbarkeit mit den ökomischen Interessen der Umsetzer

- wenn möglich ein verstärkter Fokus auf solche Zielgruppen und Situationen, bei denen Handlungsroutinen der Verkehrsmittelwahl schwächer ausgeprägt oder im Wandel sind

Als besonders offen für eine Änderung der Verkehrsmittelwahl sind Menschen dann, wenn sie neue Wege bewältigen müssen. Im Rahmen des Projekts USEmobility wurden von 2011 bis 2012 10.000 Menschen in Deutschland sowie fünf weiteren europäischen Staaten nach Gründen für Veränderung ihres Mobilitätsverhaltens gefragt. Diese bisher umfassendste Untersuchung zum Thema hat bestätigt, dass bei einer Veränderung der Lebens- und Arbeitssituation eine erhöhte Bereitschaft besteht, auch Mobilitätsroutinen zu ändern (siehe USEMOBILITY CONSORTIUM (2012). Factors influencing behavioural change towards eco-friendly multimodal mobility. Hamburg. [6]).

Exemplarisch sei hier die im kommunalen Mobilitätsmanagement etablierte Maßnahme „Neubürgerberatung“ genannt: Ziel ist dabei nicht nur eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs, sondern auch das Anbieten einer Orientierungshilfe und die Stärkung des öffentlichen Verkehrs. In einem recht kurzen Zeitfenster von wenigen Wochen bis sich die Wege am neuen Wohnort zu einer Routine gefestigt haben, lassen sich Neubürger erfolgreich in ihrem Mobilitätsverhalten beeinflussen. Hierbei kommen vor allem individuelle Informationsangebote mit Routenvorschlägen, Fahrtzeit- und Kostenvergleichen und sogar kostenlose Schnuppertickets für die öffentlichen Verkehrsmittel zum Einsatz. Hervorgehoben sei hier das Beispiel der Neubürgerberatung der Stadt München, ein zentrales Projekt im Rahmen der Mobilitätsberatung „München – Gscheid Mobil“. Für jährliche 85.000 Neubürger wurde von der Landeshauptstadt München und den Münchner Verkehrsbetrieben ein mehrstufiges Dialogmarketing entwickelt. Die Evaluation des Neubürgermarketings hat gezeigt, dass durch die Informationsmaßnahmen das Verkehrsverhalten nachweisbar beeinflusst werden kann; jährlich können 80 Mio. PKW-km und 12.000 Tonnen CO2 eingespart werden. (siehe SCHREINER 2012 [7])

Dieses Instrument wird im Rahmen des Projekts „Gute Wege zur guten Arbeit“ nun erstmals auf das betriebliche Mobilitätsmanagement übertragen. Ziel ist es, Erfahrungen mit diesem Instrument zu sammeln, es zu optimieren und seine Wirksamkeit zu belegen. Auf dieser Grundlage wird der ACE allgemeine Empfehlungen für die Planung und Durchführung derartiger Mitarbeiterberatungen durch Betriebe entwickeln und allgemein verfügbar machen. Künftig sollen betriebliche Akteure so in die Lage versetzt werden, neue Beschäftigte auch eigenständig zu ihren Arbeitswegen zu beraten. Damit das gelingt, müssen die entsprechenden Beratungen – d.h. auch die individuellen Informationen – einfach und kompakt gehalten werden. Analog zur kommunalen Neubürgerberatung sollen sie sich auf ein individualisiertes Infopaket beschränken, das die Betriebe auf Basis der vorliegenden Mitarbeiterstammdaten auch ohne weitere Befragungen der Beschäftigten zusammenstellen können.

3.2 Die Bratungsempfänger

In insgesamt zehn Pilotbetrieben werden für jeweils zehn Beschäftigte individuelle Mobilitäts-Informationen erstellt. Darüber hinaus wird für die Evaluation eine Kontrollgruppe gebildet: Fünf Beschäftigte erhalten keine Infomappe, werden aber dennoch befragt. Um eine gleichmäßige Auswahl von Beratungsempfängern und Kontrollgruppenmitgliedern zu gewährleisten und z.B. saisonale Effekte zu reduzieren, werden im Wechsel zwei Beschäftigte für die Beratung und dann ein Beschäftigter für die Kontrollgruppe, ausgewählt, anschließend wieder zwei für die Beratung, dann wieder einer für die Kontrollgruppe und so weiter. Bei einer geringen Fluktuation kann sich diese Auswahl von neuen Beratungsempfängern und Kontrollgruppenmitgliedern über mehrere Monate erstrecken.

Inhalt der Mobilität-Informationen

Konkret werden für die Beratungsempfänger auf sie zugeschnittene Informationspakete erarbeitet. Diese enthalten einen Mix aus

- standardisierten Informationen und Empfehlungen zum Thema Mobilität,

- standortspezifischen Informationen zu verkehrlichen Rahmenbedingungen und Leistungen im konkreten Unternehmen sowie

- individuellen Informationen zum konkreten Arbeitsweg.

Bei den standardisierten Informationen handelt es sich um allgemeine Informationen zum Thema Arbeitswege. Die Beschäftigten sollen für das Thema interessiert werden. Die Hintergründe und die Ziele des Informationspakets werden erläutert.

Die standortspezifischen Informationen werden von professionellen Mobilitätsmanagement-Beratern entwickelt, die der ACE beauftragt hat. Hierbei kommt eine einheitliche Checkliste zu verkehrlichen Rahmenbedingungen und zu bestehenden Angeboten am Standort zur Anwendung. Diese Checkliste füllen die Berater gemeinsam mit den zuständigen betrieblichen Akteuren (i.d.R. der Personalabteilung) aus. Aufgabe der Berater ist es auch, die gesammelten Informationen auf Vollständigkeit zu prüfen und zu einem aussagekräftigen Text über die verkehrliche Situation im Betrieb weiter zu verarbeiten. Ziel ist es, den Beschäftigten einen guten Überblick über bestehende Angebote und Leistungen zu geben. Hierzu gehören z.B. folgende Aspekte:

- Jobticket-Angebote

- Möglichkeiten des Fahrrad-Leasings

- Nutzungsbedingungen und Lage von Fahrrad-Abstellanlagen und Duschen

- BahnCard-Angebote und die Möglichkeit ihrer privaten Nutzung

- Leasing-Optionen für Dienstfahrräder

- Hinweise auf mobilitätsrelevante Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen

- Unternehmensweite Teilnahme an Mobilitätswettbewerben

- Geplante Verbesserungen und Angebote zu Arbeits- und Dienstwegen

- Ansprechpartner zu Mobilitätsthemen

- etc.

Von zentraler Bedeutung für die Wirksamkeit der Maßnahme sind schließlich Informationen, die ganz individuell auf die Wege der Beschäftigten in Umbruchsituationen zugeschnitten sind. Auch diese individuellen Informationen werden dezentral von den Mobilitätsmanagement-Beratern entwickelt. Im Kern geht es um das Aufzeigen konkreter Alternativen zur Anfahrt mit dem eigenen Pkw. In Abhängigkeit von Wohnstandort und Arbeitsort sind Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ggf. auch Fahrradrouten zu ermitteln. Dabei werden auch Kosten und Fahrtzeiten angegeben.

Das Ergebnis – eine übersichtliche Aufstellung der Wege- und Verkehrsmittelalternativen für den einzelnen Beschäftigten – wird mit den allgemeinen und standortspezifischen Informationen zu einer Infomappe zusammengeführt. Dieses Mobilitäts-Infopaket überreichen schließlich die Betriebe an ihre neuen Beschäftigten.

3.3 Evaluation der Maßnahme

In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen und Unterscheidungsmerkmale von Evaluationen. Im Rahmen des Vorhabens wird die folgende Definition der DeGEval – Gesellschaft für Evaluation zugrunde gelegt:

„Evaluation ist die systematische Untersuchung des Nutzens oder Wertes eines Gegenstandes. […] Die erzielten Ergebnisse, Schlussfolgerungen oder Empfehlungen müssen nachvollziehbar auf empirisch gewonnenen qualitativen und/oder quantitativen Daten beruhen.“ (siehe DEGEVAL (2008). Standards für Evaluation. Mainz. [8])

Die Evaluation ist ein integraler Bestandteil des Vorhabens und erfolgt auf zwei Ebenen: der Prozessevaluation der Kommunikationsmaßnahmen und der Wirkungsevaluation insbesondere der Beschäftigtenberatungen. Hierdurch sollen die Kommunikationserfolge (u.a. Erhöhung des Bekanntheitsgrades von betrieblichem Mobilitätsmanagement) sowie Beratungserfolge (bspw. Modal Shift in der Beschäftigtenmobilität) identifiziert, ggf. Nachjustierungen im Projekt „Gute Wege“ eingeleitet und Empfehlungen für künftige Projekte und Maßnahmen abgeleitet werden. Dabei liefert die Prozessevaluation auch für die Wirkungsmessung wichtige Daten und ist daher mit der Wirkungsevaluation abgestimmt. Die Evaluation ist bewusst prozessbegleitend über die gesamte Laufzeit des Projektes „Gute Wege“ angelegt.

3.3.1 Prozessevaluation

Die Prozessevaluation rückt die Gestaltung, Umsetzung und Durchführung der Maßnahmen in den Mittelpunkt und betrachtet die Kommunikationsmaßnahmen die im Rahmen des Projekts „Gute Wege“ in den Jahren 2015 bis 2018 durchgeführt werden. Die Evaluation umfasst die kommunikativen, partizipativen, organisatorischen und institutionellen Aspekte des Prozesses. Dabei werden die verschiedenen „Kommunikations-Arbeitspakete“: Informationstage in Unternehmen, Schulung von Multiplikatoren in Unternehmen sowie verschiedene Workshops und Konferenzen. Es wird untersucht, welche Resonanz und Kommunikationserfolge die diversen umgesetzten Kommunikationsmaßnahmen bei den angesprochenen Zielgruppen erreichen. Im Rahmen der Prozessevaluation sollen folgende Fragen beantwortet werden:

- Welche Zielgruppen werden durch die Maßnahmen des Projekts „Gute Wege“ erreicht?

- Wie ist die qualitative und quantitative Resonanz der erreichten Zielgruppen?

- Welche Kommunikationserfolge können hinsichtlich des Themas Mobilitätsmanagement erzielt werden? Steigen durch die Maßnahmen der Bekanntheitsgrad und die positive Konnotation von Mobilitätsmanagement bei den Zielgruppen?

Im Ergebnis liefert die Prozessevaluation Aufschluss darüber, welche Kommunikationsmaßnahmen sich zur An-sprache und Motivation welcher Akteure eignen und welche weiteren Voraussetzungen und Schritte für eine Steigerung von Bekanntheitsgrad und positiver Belegung des Themas Mobilitätsmanagement erforderlich sind.

3.3.2 Wirkungsevaluation

Aufgabe der Wirkungsevaluation ist es, möglichst zuverlässig festzustellen, ob die geplante und durchgeführte Maßnahme auch die (gemessen an den Zielen) beabsichtigte Wirkung hat. Zu beachten ist, dass dabei möglichst die (Netto-)Wirkungen gemessen einer Maßnahme gemessen werden, dazu ist es wichtig den jeweiligen Kontext zu betrachten und eine Kontrollgruppe heranzuziehen.

Im Rahmen des Projekts „Gute Wege“ bedeutet dies, die genannten Wirkungen der Kommunikationskampagne zu ermitteln. Konkret gilt es, insbesondere das Verkehrsverhalten der ausgewählten neuen Beschäftigten sowohl vor Erhalt des Informationspakets (ex ante), als auch mehrere Monate nach Erhalt des Informationspakets (ex post) zu erheben. Das Delta zeigt dann den Erfolg bzw. die Wirkungen der Intervention an, d. h. es wird auf dieser Basis ermittelt, ob und wie sich das Mobilitätsverhalten der Beratungsempfänger durch die Maßnahme tatsächlich geändert hat.

Als Instrument kommt ein Fragebogen zum Einsatz. Wir beschränken uns auf Fragen zum Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, da die Mobilitäts-Beratungen sich konkret auf diese Wege beziehen. Einbezogen werden jedoch auch die einzelnen Etappen (z. B. Wohnort-Kindergarten-Arbeitsplatz), die weitere Hinweise auf ein intermodales Verkehrsverhalten liefern können.

Die Validität dieser Ergebnisse hängt auch davon ab, inwiefern es gelingt, externe Faktoren und sich ändernde Rahmenbedingungen zu identifizieren, zu berücksichtigen und ihren Einfluss auf die Ergebnisse zu minimieren.

Im Sinne der von Stockmann (2006) definierten vier allgemeinen Aufgaben von Evaluationen (Lernen, Entwicklung, Legitimierung, Kontrolle) dient diese Wirkungsevaluation der Legitimation und der Kontrolle (siehe STOCKMANN, R. (2006): Evaluation und Qualitätsentwicklung. Eine Grundlage für wirkungsorientiertes Qualitätsmanagement. Münster. [9]).

Die Evaluation bezieht sich auf die Wirkung der arbeitswegbezogenen Mobilitätsberatungen, die in zehn Pilotbetrieben für die Beschäftigen in Umbruchsituationen durchgeführt werden. Untersucht wird, wie die Beratungen mit einem Angebotsmix aus allgemeinen Mobilitätsinformationen, standortspezifischen Informationen (Jobticket, Fahrradabstellanlagen, Duschmöglichkeiten, etc.), individuellen Informationen (z. B. auf den Wohnstandort bezogene Fahrradrouten oder Fahrpläne) sich auf die Verkehrsmittelwahl der zu beratenen Beschäftigten auswirken. Vorrangiges Ziel der Evaluation ist es, die Wirkungen der neuentwickelten Beratung für Beschäftigte in Umbruchsituationen zu dokumentieren und zu analysieren. Im Ergebnis können dann die Verhaltensänderungen der Beschäftigten aufgezeigt und mögliche Auswirkungen auf das Verkehrssystem bzw. Verminderungen von CO2-Emissionen identifiziert.

Die Wirkungsevaluation soll Antworten auf folgende Fragen liefern:

Inwieweit beeinflussen die durchgeführten Beratungen das Verkehrsverhalten der adressierten Beschäftigten?

- Welche verkehrlichen und klimarelevanten Wirkungen lassen sich daraus für die Maßnahme ableiten (Modal Split hinsichtlich Verkehrsaufkommen und Verkehrsleistung, CO2-Emissionen)?

- Wie ist die Resonanz der Beschäftigten auf die Maßnahme?

- Wie ist die Resonanz der eingebundenen betrieblichen Akteure (v.a. Personalabteilungen) auf die Maßnahme?

- Wie wirken sich Unterschiede im Herangehen verschiedener Mobilitätsmanagement- Berater in den zehn Pilotbetrieben auf den Erfolg der Maßnahme aus?

- Wie wirken sich Unterschiede in der Durchführung der Beratungen durch die betrieblichen Akteure (v.a. Personalabteilungen) in den zehn Pilotbetrieben auf den Erfolg der Maßnahme aus?

- Lassen sich weitere Faktoren ausmachen, die den Erfolg der Maßnahme beeinflussen?

- Welche Empfehlungen für die Konzeption und Durchführung künftiger Beratungen von Beschäftigten in räumlichen Umbruchsituationen lassen sich daraus ableiten?

Ein wesentlicher Bestandteil ist die Definition von Indikatoren, die für eine Evaluation der Wirkung der Beratungsmaßnahmen erforderlich sind. Erstens werden Indikatoren für die Evaluation der verkehrlichen und klimarelevanten Wirkungen der Beratungen gebildet. Sie erlauben eine Messung der Beratungswirkung auf das Verkehrsverhalten der zu beratenen Beschäftigten. Solche Indikatoren bilden das Verkehrsverhalten vor sowie mit gewissem zeitlichem Abstand nach der Beratung ab. Zweitens werden Indikatoren entwickelt die Resonanz der Beschäftigten abbilden. Drittens über Indikatoren auch die Rahmenbedingungen des Verkehrsverhaltens der Beschäftigten abgebildet, etwa die Situation im Betrieb und die individuelle Situation der Person. Diese Rahmenindikatoren sind bedeutsam für eine realistische Abschätzung der Wirkung der Beratungen, da beispielsweise auch Umbrüche im privaten Umfeld die Veränderung des Verkehrsverhaltens nach sich ziehen können oder erst zu der räumlichen Umbruchsituation im beruflichen Bereich führten. Tabelle 1 zeigt Beispiele, die im Laufe der Projektbearbeitung überprüft werden und ggf. vervollständigt und konkretisiert werden müssen.

Tabelle 1: Indikatoren für die Wirkungsevaluation

Eine Schwierigkeit der Evaluation besteht darin, dass die Beratung möglichst umgehend erfolgen soll, nachdem ein neuer Beschäftigter seinen neuen Arbeitsweg antritt. Nur so ist eine effektive Wirkung zu erwarten. Was für die Maßnahme selbst gewünscht ist, ist für die Evaluation ein „Nachteil“: Für den neuen Arbeitsweg hat sich noch keine Verkehrsmittelwahl etabliert und verfestigt, d.h. sie kann auch nicht als Vergleichswert für ein Verkehrsverhalten ohne Intervention heran gezogen werden. Im Rahmen der Evaluation muss daher abgeschätzt werden, welche Verkehrsmittel die Beschäftigten für ihre neuen Arbeitswege ohne die Intervention wahrscheinlich wählen würden.

Eine weitere Herausforderung bringt in diesem Zusammenhang die Gewährleistung des Datenschutzes mit sich: Insbesondere dürfen die Pilotunternehmen selbst keinen Zugang zu den persönlichen Angaben aus den Fragebögen erhalten. Sie dürfen lediglich aggregierte und/oder anonymisierte Daten einsehen. Gleichzeitig erfordert die angestrebte ex-post-Evaluierung mehrere Monate nach der Intervention eine eindeutige Zuordnung der Fragebögen zu den beratenen Beschäftigten. Daher werden die Fragebögen und die Namen der Beratungsempfänger im gesamten Verfahren zwar strikt voneinander getrennt, sind jedoch vom ILS über eine entsprechende Liste eindeutig zuzuordnen.

Das folgende Schema gibt einen Überblick über den Ablauf der Datenerhebung:

Bild 3: Datenerhebung und -transfer zur Evaluation der Pilot-Beratungen

Wenn Betriebe das Verfahren künftig eigenständig nutzen und ihre neuen Beschäftigten individuell zu ihren Arbeitswegen beraten, dann sollen sie dies – zumindest in einer Basisvariante – allein auf Basis der Wohnadressen leisten können. Die umfangreiche Befragung – und mit ihr die Datenschutzproblematik – ist den Anforderungen der Evaluation im Rahmen des Projekts „Gute Wege zur guten Arbeit“ geschuldet und für die Ermittlung individueller Arbeitswege-Informationen und -Empfehlungen selbst nicht erforderlich. Dennoch steigt freilich die Qualität der Empfehlungen, wenn sie über die Wohnadresse hinaus auch individuelle Präferenzen und Rahmenbedingungen berücksichtigt.

4 Literatur

[2]    ZUMKELLER, D./VORTISCH, P. et al (2011). Deutsches Mobilitätspanel (MOP) – wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertungen. Bericht 2011: Alltagsmobilität & Tankbuch (FE-Projektnr. 70.0864/2011), Institut für Verkehrswesen. Karlsruhe.

[3]    BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR; BAU UND STADTENTWICKLUNG (2010). Mobilität in Deutschland 2010 – Ergebnisbericht. FE-Nr. 70801/2006, Berlin.

[4]    UMWELTBUNDESAMT (Hrsg.) (2014). Handbuch für Emissionsfaktoren. Dessau-Roßlau.

[5]    DENA (2010). Effizient mobil. Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement. Berlin.

[6]    USEMOBILITY CONSORTIUM (2012). Factors influencing behavioural change towards eco-friendly multimodal mobility. Hamburg.

[7]    SCHREINER, M. (2012). München – Gscheid Mobil. Aktionsprogramm Mobilitätsmanagement in der Landeshauptstadt München in: Stiewe, M./Reutter, U. (Hrsg.). Mobilitätsmanagment. Wissenschaftliche Grundlagen und Wirkungen in der Praxis. Essen. S. 231-232.

[8]    DEGEVAL (2008). Standards für Evaluation. Mainz.

[9]    STOCKMANN, R. (2006): Evaluation und Qualitätsentwicklung. Eine Grundlage für wirkungsorientiertes Qualitätsmanagement. Münster.