FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Einsatz von Optimierungsverfahren in der Fahrplanerstellung
Autoren Prof. Dr.-Ing. Johannes Schlaich, Dr.-Ing. Daniel Pöhle
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Die DB Netz AG arbeitet im Rahmen des Projekts „Digitale Kapazitätssteigerung“ an der Digitalisierung der Fahrplanerstellung. Durch eine optimierte Trassenvergabe werden Qualität, Kapazität und Effizienz bei der Fahrplanerstellung verbessert. Zuerst wird die dem Optimierungsansatz zugrundliegende „Trennung von Trasse und Zug“ mit Hilfe von Systemtrassen erläutert und die Optimierungsverfahren vorgestellt. Anschließend wird darauf eingegangen, wie diese Optimierungsverfahren im Rahmen der Trassenvergabe konform zu regulatorischen Vorgaben und zum Nutzen des Kunden unter den tatsächlichen Rahmenbedingungen der Netzfahrplanerstellung eingesetzt werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einführung

Jeweils im April startet in der Abteilung Fahrplan der DB Netz AG die Erstellung des Netzfahrplans mit einem Vorlauf von ca. 8 Monaten für das nachfolgende Fahrplanjahr.
Dieser Prozess wird zu großen Teilen manuell ausgeführt: Rund 16.000 Anmeldungen im Güterverkehr und 50.000 Anmeldungen im Personenverkehr werden dann einzeln abgearbeitet. Dabei suchen die Konstrukteure gemäß regulatorischen Vorgaben und mit Hilfe von IT-Konstruktionswerkzeugen eine passende Trasse. Über die Qualität des gesamten Fahrplans entscheiden damit also das Know-how und die Erfahrung eines jeden Konstrukteurs. Die Maxime der Konstrukteure entspricht damit der bestmöglichen Erfüllung der einzelnen Nachfrage. Ob der Fahrplan als Ganzes die Bedürfnisse des Gesamtmarktes optimal erfüllt kann, steht dabei nicht im Vordergrund.

Neben diesen Anfragen im Rahmen der Netzfahrplanerstellung werden im Gelegenheitsverkehr - vor allem im Schienengüterverkehr (SGV) - zusätzlich noch rund eine Millionen Trassen pro Jahr konstruiert.

An der jetzigen Vorgehensweise sind folgende Aspekte zu hinterfragen:

1. Betrachtung Gesamtnetz vs. Einzeltrasse:

Durch die Fokussierung der Konstrukteure auf die Bearbeitung einzelner Trassenanmeldungen können verlorene Kapazitäten im Netz und Wartezeiten für die Züge z.B. durch nicht ideale Zugfolgen entstehen. Dieser Effekt wird durch eine regionale Bearbeitung der Trassenkonstruktion verstärkt.

2. Manueller Aufwand:

Trotz IT-Konstruktionswerkzeugen ist der Aufwand zur Trassenkonstruktion sehr hoch, da es keine automatisierte Konfliktlösung gibt. Daraus ergeben sich auch hohe maximal zulässige Bearbeitungsfristen, z.B. von 48 Stunden für Anmeldungen für kurzfristige Zuweisungen einzelner Zugtrassen [1].

3. Übergenaue Planung:

Die hochexakte Planung ist für den getakteten Personenverkehr nachvollziehbar, da der Fahrgast einen konkreten Fahrplan in Planung und Betrieb erwartet. Im SGV dagegen widerspricht dies der Realität des Betriebs. Verspätungsanalysen haben ergeben, dass im Güterverkehr nur knapp die Hälfte aller Züge in einer Zeitspanne von +/-15 Minuten um die geplante Abfahrzeit startet (z.B. aufgrund verspäteter Bereitstellung). Bei mehr als 10% ist diese Zeitspanne sogar größer als zwei Stunden.

Im Projekt „Digitale Kapazitätssteigerung“ soll die Digitalisierung der Fahrplanerstellung vorangetrieben werden, um bei den o.g. Aspekte Fortschritte zu erreichen. Das Ziel ist es, durch eine Automatisierung der Trassenbildung und die holistische Betrachtung aller Trassenanmeldungen den manuellen Aufwand zu verringern (Aspekt 2) und gleichzeitig die Kapazität und Qualität zu erhöhen (Aspekt 1). Darüber hinaus soll eine App-basierte Trassenanmeldung bis drei Minuten vor der Abfahrt dazu führen, dass die geplante und gebuchte Trasse häufiger der tatsächlich gefahrenen Trasse entspricht. Durch systematisches Freihalten von Systemtrassen guter Qualität sollen frühzeitige Buchungen im Güterverkehr zur alleinigen Reservierung einer Kapazität weniger nötig sein und damit die gebuchte Trasse häufiger der gefahrenen Trasse entsprechen (Aspekt 3).

2 Digitalisierung bei der DB Netz AG

2.1 Einführung

Wie in vielen Branchen kann die Digitalisierung auch bei Planung und Betrieb eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens zu verbesserter Qualität und Effizienz führen. Abbildung 1 verdeutlicht exemplarisch, in welchen Schritten, Fahrplanung und Betrieb optimiert und automatisiert werden können.

Bild 1: Mögliche Digitalisierungsschritte

Wesentliche Bestandteile sind dabei:

1. Datenverfügbarkeit für Infrastruktur und Betrieb

2. Optimierungsverfahren in Fahrplanung und Betrieb

3. (Echtzeit-)Umsetzung der optimierten Entscheidungen

Eine Umsetzung einer solchen Vision der vollständigen Digitalisierung bei Planung und Betrieb muss schrittweise erfolgen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf den Punkt (2) „Digitaler Fahrplan“, der bei der DB Netz AG im Rahmen des Projekts Digitale Kapazitätssteigerung umgesetzt wird.

2.2    Das Projekt „Digitale Kapazitätssteigerung“

2.2.1    Von “make-to-order” hin zu “assemble-to-order”

Ein wichtiger Aspekt des bei der DB Netz AG laufenden Projekts „Digitale Kapazitätssteigerung“ ist wie bei dem Vorgängerprojekt „neXt Industrialisierung Fahrplan“ die Systematisierung des SGV. Diese orientiert sich an modernen Logistikkonzepten der produzierenden Industrie. Klassische „make-to-order“-Prozesse werden hier seit Jahren erfolgreich durch „assemble-to-order“-Prozesse ersetzt. Die Produkte bestehen aus prognosebasierten “made-to-stock”-Modulen, die zu einem fertigen Produkt zusammengesetzt werden (“assemble”), sobald der konkrete Kundenauftrag eintrifft. Zentral ist dabei das sogenannte “postponement”, also das Hinauszögern der Spezifizierung des Produkts auf den konkreten Kunden. Vielmehr werden universell einsetzbare Module vorproduziert, die dann nach der konkreten Kundenbestellung zeitnah zu einem exakt auf den Kunden zugeschnittenen Produkt zusammengestellt werden. Ein bekanntes Beispiel ist der Automobilbau, bei dem Motor, Getriebe, Fahrwerk sowie Innen- und Außenausstattung modular vorproduziert und gemäß Kundenbestellung in wenigen Tagen zusammengesetzt werden.

Bild 2: Grundprinzip: "Trennung von Trasse und Zug" (Quelle: [3], [4])

2.2.2 Systematisierung der Netzes

Übertragen auf den SGV bedeutet der „assemble-to-order“-Prozess, dass die DB Netz AG Systemtrassen auf Zuglaufabschnitten vorkonstruiert. Bei einer konkreten Trassenanmeldung lassen sich diese schnell und effizient aneinanderreihen und ergeben dann eine Gesamttrasse. In der Vorkonstruktion von Systemtrassen kann die Kapazitätsausnutzung der Strecken optimiert werden, da alle Trassen synchron eingelegt und optimiert werden (siehe Abbildung 3). Das Zusammensetzen der Systemtrassen, die sogenannte Belegung, erlaubt eine große Produktvielfalt für die Kunden (genaue/variable Ankunftszeit, fixer/freier Laufweg, etc.), wesentlich schnellere Reaktionszeiten auf die Trassenanmeldung sowie einen weiteren Hebel zur optimalen Kapazitätsausnutzung. Produktvielfalt und schnelle Reaktionszeit steigern die Attraktivität des SGV gegenüber anderen Verkehrsträgern. Die bessere Kapazitätsausnutzung löst heutige Engpässe und senkt mittelfristig die Kostenbasis des Schienenverkehrs.

Bild 3: Grundprinzip: "Standardisierung und Harmonisierung (Quelle: [2])

Die Vorkonstruktion der Systemtrassen erfolgt anhand eines standardisierten, marktgerechten Geschwindigkeitsprofils mit entsprechenden Charakteristika (z.B. Zuglänge). Dabei werden diese Trassen als harmonisches Gesamtgefüge des Fahrplans erstellt. So ergibt sich im Schnitt eine verkürzte Fahrzeit der Trassen und eine deutlich geringere Streuung. Beides hat offensichtlich positive Kapazitätseffekte, die exemplarisch im Zuge der Erstellung der Katalogtrassen im Rahmen der Umsetzung der EU VO 913/2010 [5] auf dem Rheinkorridor quantifiziert worden (vgl. Abbildung 4).

Bild 4: Kapazitätsgewinne durch Fahrzeit-Harmonisierung (Quelle: [2])

2.2.3 Durchgängige Fahrplanerstellung in allen Fahrplanphasen

Der Fahrplan mit seinen Trassen ist das wesentliche Produkt eines Eisenbahninfrastrukturbetreibers wie der DB Netz AG. Daher soll dieser in Zukunft nicht nur während der tatsächlichen Trassenvergabe, sondern währen aller Planungsphasen erstellt werden, die von Einflüssen geprägt sind, die die Kapazität betreffen. Dazu gehören auf Angebotsseite sowohl langfristige Infrastrukturveränderungen (Neu- und Rückbau) als auch Baumaßnahmen mit vorübergehendem Einfluss auf die Kapazität und auf der Nachfrageseite Marktanfragen.

Bild 5: Zielprozess der Fahrplanung

Mit dem Ziel einer durchgängigen und verfahrenstechnisch konsistenten Bewertung der Kapazität des Netzes entlang aller Planungsstufen (vgl. Abbildung 5 ) ist es unabdingbar, eine detaillierte Nachfrageprognose durchzuführen, um eine ausreichende Abbildung der Marktanfragen sicherzustellen. Der Einfluss der Nachfrageprognose kann dabei entlang der Planungsphasen immer weiter abnehmen:

- Bei der Langfristplanung (A) mit einem Prognosehorizont von ca. 15-30 Jahren sind nahezu keine konkreten Marktanfragen vorhanden. Entsprechend kommt hier ein großer Anteil aus der Nachfrageprognose.

- Zur Phase (E) ist dann bereits ein Großteil der Verkehre konkret durch die Kunden benannt (bezogen auf Trassen-Kilometer, nicht auf die Anzahl der Trassenanmeldungen).

- Erst gegen Ende der Restvermarktung (G), in den letzten 4-8 Wochen vor dem Betriebstag, ist eine fast vollständige Nachfrage aus Marktanfragen in Form von konkreten Trassenanmeldungen bekannt. Jedoch geht auch ein beträchtlicher Teil von Trassenanmeldungen erst in den letzten 48 Stunden vor Abfahrt ein.

Der weitere Beitrag beschäftigt sich mit der Netzfahrplanerstellung (Phase E).

3 Optimierungsverfahren

Der zukünftige Fahrplanungsprozess („assemble-to-order“) besteht aus zwei Optimierungsschritten: Zuerst werden die standardisierten Systemtrassen vorkonstruiert und im zweiten Schritt in der simultanen Belegung miteinander von Quelle nach Ziel der Trassenanmeldungen verknüpft. Grundlage für die Systemtrassenkonstruktion sind so genannte Systemtrassenanforderungen (in anderen Quellen auch Zuglaufabschnitte genannt, z.B. [6]).

3.1 Systemtrassenanforderungen

Die Systemtrassenanforderungen können als Zusammenfassung der Konstruktionsaufträge für die Systemtrassenkonstruktion verstanden werden. Sie bestehen aus drei wesentlichen Informationen. Der erste Teil definiert die Streckenabschnitte, auf denen Systemtrassen konstruiert werden sollen. Weiterhin werden die (standardisierten) Zugcharakteristiken für den Streckenabschnitt festgelegt und als dritte Komponente wird mit der Tagesganglinie die Verteilung der zu konstruierenden Systemtrassen je Zeitscheibe festgelegt. Abbildung 6 zeigt beispielhaft für ein Langfristfahrplanszenario die Streckenabschnitte der Systemtrassenanforderungen.

Bild 6: Streckenabschnitte der Systemtrassenanforderungen

Zur Bildung der standardisierten Zugcharakteristiken und der Tagesganglinie für die Systemtrassenanforderungen werden einerseits die eingegangenen Trassenanmeldungen des Netzfahrplans analysiert und statistisch ausgewertet. Andererseits werden auch Prognosen (vgl. Abschnitt 2.2.3) über die Trassenanmeldungen des Gelegenheitsverkehrs, die zu einem späteren Zeitpunkt eingehen, als auch eine Mindestbedienhäufigkeit je Streckenabschnitt berücksichtigt. Die Mindestbedienhäufigkeiten sichern ab, dass die Wartezeiten bei der Verknüpfung von Trassen aufeinanderfolgender Abschnitte nicht zu groß werden. Da sich die Laufwege der Systemtrassenanforderungen im Schienennetz (z.T. mehrfach) überlagern, muss eine geeignete Strategie für die Konstruktion der Systemtrassen angewendet werden, damit für alle Relationen eine ausgewogene Anzahl Trassen zur Verfügung steht (vgl. [7]).

3.2 Konstruktion von Systemtrassen

Die gewünschte Anzahl von Systemtrassen aus der Systemtrassenanforderung soll in ein vorhandenes Gerüst von Personenverkehrstrassen konfliktfrei eingefügt und optimiert werden. Dazu werden in einem ersten Schritt so genannte Schnipsel zwischen allen Überholungsmöglichkeiten auf dem Streckenabschnitt zwischen Quelle und Ziel der Systemtrassenanforderung erzeugt. Abbildung 7 zeigt für den dritten Teilabschnitt die erzeugten Schnipsel für die Optimierung.

Bild 7: Automatisierte Konstruktion von Systemtrassen mit Schnipseln

Zwischen den Überholungsmöglichkeiten wird jeweils ein Schnipsel erzeugt, der in beiden Bahnhöfen hält. Ein zweiter Schnipsel fährt in beiden Bahnhöfen durch. Die beiden weiteren Schnipsel ergeben sich aus der Kombination Halt-Durchfahrt und Durchfahrt-Halt. Das mathematische Optimierungsmodell fügt zwischen Quelle und Ziel die Schnipsel geeignet aneinander, sodass ein zusammenhängender und konfliktfreier Laufweg entsteht. Im Beispiel von Abbildung 7 ist eine Überholung mit Wartezeit der Systemtrasse durch den Personenverkehr (rote und grüne Linie) in Bahnhof Ü2 und Ü5 erforderlich. Dementsprechend wurden für diese Bahnhöfe die Schnipsel Durchfahrt-Halt und Halt-Durchfahrt miteinander kombiniert. Die Schnipsel werden durch die Optimierung so miteinander verknüpft, dass eine möglichst geringe Beförderungszeit der Systemtrasse erreicht wird. Das mathematische Optimierungsmodell ist in [8] beschrieben und wird hier nicht weiter vertieft.

3.3 Belegung

Bei der Belegung werden die zuvor konstruierten Systemtrassen miteinander von der Quelle zum Ziel der Trassenanmeldung verknüpft und belegt (vgl. [9]). Im Netzfahrplan werden dabei alle (systematisierbaren) Trassenanmeldungen simultan und diskriminierungsfrei belegt (vgl. Abschnitt 4.3). Der Pfad für eine Trassenanfrage besteht aus der Folge von Systemtrassen und ggf. einem Vor- und Nachlauf auf dem nicht systematisierten Netz. Kern der simultanen Belegung ist, dass mit dem Optimierungsmodell gleichzeitig für alle Trassenanmeldungen aus einer Menge potentieller Pfade geeignet ausgewählt wird, sodass die Trassenanmeldungen optimal, also mit möglichst geringer Beförderungszeit erfüllt, werden.

Bild 8: Simultane Belegung von Systemtrassen

Das Grundmodell der simultanen Belegung ist in Abbildung 8 dargestellt. Die binäre Variable gibt an, ob der Pfad T für die Trassenanmeldung e ausgewählt wird. Die erste Nebenbedingung stellt sicher, dass für alle Trassenanmeldungen e genau ein Pfad ausgewählt wird. Mit der zweiten Nebenbedingung wird erreicht, dass jede Systemtrassen von maximal einem ausgewählten Pfad genutzt wird. Die dritte Nebenbedingung sichert, dass die Kapazität der Wartegleise durch wartende Züge in den Verknüpfungsknoten nicht überschritten wird. Durch die exponentiell hohe Anzahl der potentiellen Pfade je Trassenanfrage wird Spaltengenerierung als iteratives Verbesserungsverfahren für die simultane Belegung eingesetzt.

3.4 Besondere Aspekte der praktischen Umsetzung der Optimierung

Besondere Herausforderungen bei der simultanen Belegung und Verknüpfung der Systemtrassen, die über das in den vorherigen Abschnitten beschriebene Grundmodell hinausgehen, aber für die Nutzung im produktiven Fahrplanungsprozess vorausgesetzt werden, sind:

- Ermittlung einer passenden mikroskopisch konfliktfreien Trasse zwischen den miteinander verknüpften Systemtrassen in größeren Knoten

- Sicherstellung der technischen Eignung der belegten Systemtrassen für die Trassenanmeldung bei der Ermittlung der Pfade in der Belegung

- Erzeugung einer zeitlich möglichst homogenen Belegung für den in der Trassenanmeldung bestellten Zeitraum

Im systematisierten Netz stoßen die Grenzen der Systemtrassenanforderungen in einigen Knoten nicht direkt aneinander, sodass bei der Verknüpfung eine Trasse zur Verbindung der beiden Systemtrasse ermittelt werden muss. Dafür muss einerseits ein möglicher Weg zwischen den Systemtrassen gesucht und gleichzeitig die Mindestzugfolgezeiten zu anderen Trassen eingehalten sowie gegebenenfalls eine Wartezeit zur Synchronisation in einem freien Wartegleis verbracht werden.

Bei der Ermittlung eines potentiellen Pfades muss sichergestellt werden, dass die belegten Systemtrassen technisch für die Zugcharakteristik der Trassenanmeldung geeignet ist.

Beispielsweise darf hierfür die Gesamtlänge oder Gesamtlast der vorkonstruierten Systemtrassen nicht überschritten werden. Weiterhin muss sichergestellt werden, dass die fahrdynamischen Eigenschaften der Anmeldung mindestens die konstruierten Fahrzeiten der Systemtrassen erreichen kann. Da eine vollständige fahrdynamische Berechnung parallel zur Suche des potentiellen Pfades eine zu hohe Rechenzeit bedeuten würde, musste eine spezialisierte Prüflogik entwickelt werden, die ohne eine explizite Berechnung der Fahrzeit auskommt. In dem entwickelten Verfahren wird beispielsweise das Beschleunigungs- und Bremsvermögen, sowie Einschränkungen der Höchstgeschwindigkeit beispielsweise durch zu geringe Bremshundertstel zwischen den Systemtrassen und der Trassenanmeldung verglichen. Auch ohne explizite Berechnung der Fahrzeiten wird damit sichergestellt, dass die angemeldete Trasse die vorkonstruierte Fahrzeit der belegten Systemtrassen erreichen kann.

Im Netzfahrplan werden die Trassen üblicherweise für mehrere Tage über einen längeren Verkehrszeitraum bestellt, beispielsweise eine Trasse von Montag bis Mittwoch von April bis September. Das Trassenangebot für diese Anmeldung soll für den bestellten Zeitraum möglichst homogen sein. Homogenität bedeutet dabei einen möglichst identischen Laufweg und eine möglichst ähnliche zeitliche Fahrplanlage an allen Tagen. Durch Verfügbarkeitseinschränkungen der Infrastruktur und konkurrierende Trassenanmeldungen ist es jedoch meist vorteilhafter, wenn unterschiedliche Trassen an verschiedenen Tagen belegt werden. Wird dagegen eine identische Belegung an allen bestellten Tagen erzwungen, dann ergeben sich nicht nutzbare Lücken in der Kapazität. Es muss daher eine Balance zwischen optimaler Ausnutzung der Kapazität und einer markfähigen akzeptierten Homogenität gefunden werden.

4 Rolle der Optimierungsverfahren bei der Netzfahrplanerstellung

Mit der Erstellung des Netzfahrplans entsteht die grundsätzliche Fahrplanstruktur für das Fahrplanjahr und die Eisenbahnverkehrsunternehmen können sich die Kapazität für das gesamte Jahr sichern. Alle bis zu einem definierten Stichtag im April eingehenden Trassenanmeldungen sind zunächst gleichberechtigt bei der Kapazitätszuweisung und weisen je nach Verkehrsart eine zeitliche und oder räumliche Flexibilität auf (Konstruktionsspielraum). Der Gesamtablauf der Netzfahrplanerstellung ist in Abbildung 9 oben dargestellt. Bis zum Stichtag gehen die Trassenanmeldungen ein und werden dabei formal und technisch geprüft und müssen bei Bedarf durch den Kunden korrigiert werden. Einzig die Belegungen aus den sogenannten PaPs (pre-arranged path; [5]) gehen später ein und es müssen die sich anschließenden Vor- und Nachläufe konfliktfrei angefügt werden. Zunächst wird im ersten Netzfahrplanentwurf unter Ausnutzung der Konstruktionsspielräume versucht eine konfliktfreie Trasse für alle Trassenanmeldungen zu ermitteln. Ist dies innerhalb der Spielräume nicht möglich, dann wird mit den Konfliktbeteiligten im Koordinierungsverfahren eine einvernehmliche Lösung durch Erweiterung der Konstruktionsspielräume gesucht. Für Trassenkonflikte, die sich nicht einvernehmlich lösen lassen, muss anschließend das Streitbeilegungsverfahren durchgeführt werden, in dem klare Vorrangregeln zwischen konkurrierenden Trassenanmeldungen definiert sind. Alle Eisenbahnverkehrsunternehmen erhalten zum vorläufigen Netzfahrplan (VNP) das Angebot für die abgegebenen Trassenanmeldungen und prüfen das Ergebnis. Sollte es berechtigte Beanstandungen geben, dann werden sie bis zum endgültigen Netzfahrplan behoben und anschließend die Fahrplaninformationen bereitgestellt.

Bild 9: Prozess der Netzfahrplan-Erstellung (oben: Gesamtprozess; unten: Zusammenspiel manuelle und automatische Konstruktion für den VNP)

Durch den Einsatz der automatisierten Konstruktion und Belegung im Güterverkehr ergeben sich gegenüber der vollständig manuellen Fahrplankonstruktion einige Änderungen im Netzfahrplanprozess. So muss beispielsweise eine Interaktion und Synchronisierung der Planungen von Mensch und Maschine erfolgen, damit die Ergebnisse zu einem gemeinsamen und aufeinander abgestimmten konfliktfreien Fahrplan verschmelzen. Um die Synchronisierung zu erreichen, wird das in Abbildung 9 unten dargestellte iterative Zusammenspiel zwischen manueller Trassenkonstruktion des Personenverkehrs und automatisierter Optimierung des Güterverkehrs eingeführt.

4.1 Phase 1: Manuelle Konstruktion SPV & Konstruktion + Belegung SGV

Jeder Iterationsschritt dauert in dieser Phase 24 Stunden (siehe Abbildung 10): Tagsüber konstruieren die Fahrplanbearbeiter den Personenverkehr sowie den nicht systematisierbaren SGV und nachts werden auf dem aktuellen Stand des Fahrplangerüsts zuerst Systemtrassen konstruiert und dann belegt. Abschließend erfolgt eine Auswertung sowie Bereitstellung von Analysen und Kennzahlen, sodass die Fahrplanbearbeiter am nächsten Morgen auf Basis der nächtlichen Optimierung die weitere Fahrplankonstruktion unter Ausnutzung der Spielräume steuern können. So können beispielsweise die Trassen von Personenverkehrszügen zueinander verschoben werden, sodass eine geeignete zusätzliche Lücke für eine Systemtrasse entsteht. Nach der folgenden nächtlichen Optimierung wird der Erfolg der manuellen Anpassungen für die Kapazität des Güterverkehrs messbar und die Planungen nähern sich schrittweise dem gewünschten Ergebnis.

Bild 10: Prozess der Netzfahrplan-Erstellung (Detail Phase 1)

Lassen sich die Trassenanmeldungen nicht innerhalb des Konstruktionsspielraums konfliktfrei einplanen, dann wird im Koordinierungsverfahren eine einvernehmliche Lösung zwischen den Konfliktpartnern gesucht, beispielsweise durch Aufweitung der Spielräume. Dabei ist es durch die automatisierte Konstruktion und Belegung möglich mehrere Szenarien zur Lösung durchzuspielen und die Varianten transparent zu vergleichen.

4.2 Phase 2: Finale Konstruktion & Belegung Systemtrassen

Kommt es nicht zu einer Einigung, so wird das Streitbeilegungsverfahren angewendet, das klare Regeln zur Trassenzuweisung vorgibt und die mehrfach beanspruchte Kapazität zuteilt. Dazu wird nach Abschluss der manuellen Bearbeitung eine finale Konstruktion und Belegung der Systemtrassen durchgeführt und anschließend anhand der rechtlichen Vorgaben entschieden. Abschließend werden die Trassenangebote an die Eisenbahnverkehrsunternehmen kommuniziert und die Fahrplanunterlagen veröffentlicht.

4.3 Regulatorische Aspekte – Diskriminierungsfreie Trassenplanung

Die DB Netz AG ist im Eisenbahnregulierungsgesetz [10] verpflichtet einen diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur für alle Zugangsberechtigten zu gewährleisten. Das bedeutet für die Fahrplanung und Trassenzuweisung im Netzfahrplan, dass alle Trassenanmeldungen gleichrangig einzuplanen sind. Es darf beispielsweise nicht dazu kommen, dass die Bearbeitungsreihenfolge bei der Trassenkonstruktion einen Einfluss auf die Erfüllung oder Güte der angemeldeten Trasse hat. Der zweite Aspekt umfasst die korrekte  Anwendung der Trassenzuweisungsregeln im Konfliktfall. Wenn im Koordinierungsverfahren keine gütliche Einigung erzielbar ist, müssen die Trassenzuweisungsregeln des Eisenbahnregulierungsgesetzes im Streitbeilegungsverfahren angewendet werden. Dabei gibt es die folgenden Prioritätsregeln:

- Getaktete oder ins Netz eingebundene Verkehre haben Vorrang vor grenzüberschreiten- den Verkehren. Dabei ist der Verkehr getaktet, wenn er mindestens viermal täglich mit einem zeitlichen Abstand von maximal zwei Stunden verkehrt. Dies trifft beispielsweise für die meisten Trassenanmeldungen im Personenfern- und -regionalverkehr zu.

- Grenzüberschreitende Verkehre haben Vorrang vor nationalem Güterverkehr

- Güterverkehr hat Vorrang vor sonstigem Verkehr, der nicht in die vorgenannten Regeln fällt. In die letzte Kategorie fallen beispielsweise Trassenanmeldungen von einzelnen Verstärkerzügen im Personenverkehr, die in der Hauptverkehrszeit eingesetzt werden oder Linien, die seltener als im Zweistundentakt verkehren.

- Stehen Trassenanmeldungen der gleichen Priorität in Konflikt, dann wird mit dem Entgeltvergleich entschieden (höheres Trassenentgelt gewinnt)

- Sind auch die Trassenentgelte identisch gilt das Höchstpreisverfahren, bei der die Konfliktbeteiligten um die Trasse steigern

Die überwiegende Mehrheit der Trassenkonflikte lässt sich im Koordinierungsverfahren lösen und es kommt nur selten zum Streitbelegungsverfahren, noch seltener zum Entgeltvergleich und praktisch nie zum Höchstpreisverfahren. Nichtsdestotrotz muss das mathematische Optimierungsmodell die vorgegebenen Prioritätsregeln einhalten, falls sich keine einvernehmliche Lösung finden lässt. Zur Abbildung bei der Optimierung werden so genannte Prioritätsgruppen eingeführt, die jede Trassenanmeldung in eine von acht Gruppen eindeutig einteilt (siehe Abbildung 11).

Bild 11: Prioritätsbaum Streitbeilegungsverfahren

Anhand der drei Kategorien mit Entscheidung ja/nein wird die Trassenanmeldung in eine Gruppe eingeordnet. Liegt eine Trassenanmeldung in einer höheren Prioritätsgruppe, dann darf sie nicht von Trassenmeldungen niedrigerer Prioritätsgruppen verdrängt werden. So dürfen auch drei Trassenanmeldungen der Gruppe 001 nicht eine Anmeldung der höheren Gruppe 100 verdrängen. Die Prioritätsregeln betreffen jedoch ausschließlich die Erfüllung der Trassenanmeldung, nicht die Güte des Trassenangebots (z.B. geringe Beförderungszeit, wenige Überholungen). Die höher gruppierte Trassenanmeldung darf also bei der Qualität nicht bevorzugt werden.

Die Trassenzuweisung im Optimierungsmodell wird über die Zielfunktion gesteuert. Zur Erfüllung der Vorgaben aus dem Eisenbahnregulierungsgesetz besteht sie aus zwei Komponenten, die unabhängig voneinander wirken. Die höher gewichtete Regulierungskomponente der Zielfunktion beeinflusst ausschließlich die Entscheidung über Erfüllung oder Nichterfüllung der Trassenanmeldung und die Priorisierung gemäß Gruppenhierarchie und Trassenentgelt. Die nachrangige Qualitätskomponente der Zielfunktion beeinflusst ausschließlich die Güte der erfüllten Trassenanmeldungen und sucht ein Gesamtoptimum für die Beförderungszeit aller Trassen. Dabei stellt die Gewichtung der beiden Komponenten zueinander sicher, dass es keine Ablehnungen von Trassenanmeldungen zugunsten einer Steigerung der Qualität geben darf. Somit wird sichergestellt, dass die Trassenzuweisung im Netzfahrplan diskriminierungsfrei und mit Ermittlung eines Gesamtoptimums erfolgt.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Die DB Netz AG geht mit der Systematisierung des Netzes und der Automatisierung der Fahrplankonstruktion wichtige Schritte im Rahmen der Digitalisierung von Fahrplan und Betrieb. Der erste Fokus liegt dabei auf dem systematisierbaren Schienengüterverkehr (SGV), für den sowohl in der Netzfahrplanerstellung als auch im Gelegenheitsverkehr vollautomatisch Trassen konstruiert werden sollen.
Durch Einsatz von Optimierungsverfahren wird dabei die durchschnittliche Fahrzeit verringert und gleichzeitig die Kapazität des gesamten Netzes gesteigert werden. Zudem führt eine schnellere Bearbeitung zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und zu mehr Effizienz bei der Fahrplanerstellung der DB Netz AG.

Die Einbindung der Optimierungsverfahren baut auf dem aktuellen Prozess der Netzfahrplanerstellung auf und berücksichtigt auch die Konstruktion von aktuell nicht automatisch konstruierbare Trassenanmeldungen (vor allem Personenverkehr). Zudem werden die regulatorischen Vorgaben des Eisenbahnregulierungsgesetzes durch einen Prioritätsbaum in der Zielfunktion beachtet.
Mit dem Abschluss des Projektes „Digitale Kapazitätssteigerung“ ist die Digitalisierung der Fahrplanerstellung bei der DB Netz AG nicht abgeschlossen. Im Fokus für die weitere Forschung und die anschließende Implementierung im Regelbetrieb sind aktuell vor allem die folgenden zwei Themen:

- Automatisierte Konstruktion und Optimierung von Fahrplankonzepten im Personenverkehr. Die automatisierte Planung von Fahrplankonzepten des Personenverkehrs ist aufwändiger und komplexer als in Güterverkehr, da eine Vielzahl von Prämissen und Restriktionen (beispielsweise bezüglich der Haltekonzeption, Anschlüssen und überlagerten Streckentakten) eingehalten werden müssen. Da nicht alle initialen Ansprüche an das Fahrplankonzept erfüllbar sind, müssen sie im Laufe der Optimierung gezielt relaxiert werden.

- Automatisierte Anpassung („Re-Konstruktion“) von Trassen im Personen- und Güterverkehr aufgrund von Verfügbarkeitseinschränkungen der Infrastruktur, z.B. durch Bau. Der Lösungsraum zur Ausregelung besteht neben der automatisierten Ermittlung einer neuen Trasse auf einem veränderten Laufweg auch im Ausfall auf einem Teillaufweg oder der Planung eines reduzierten Konzepts im Gleiswechselbetrieb. Es muss also möglichst automatisiert ein (diskriminierungsfreies) fahrplanerisches Gesamtkonzept für den Bauzu- stand entwickelt werden.

6 Literatur

[1]    Butzbach, V. (2014): Richtlinie Trassenanmeldung der DB Netz AG, gültig ab 15.04.2014 (402.0202).

[2]    Pöhle, D., Nachtigall, K., Noll, O. (2014): Ein innovatives Belegungsverfahren für den zukünftigen industrialisierten Fahrplanprozess, ETR - Eisenbahntechnische Rundschau 12/2014, S. 28-33.

[3]    Beck, M. (2013): Industrialisierung der Fahrplanung bei der DB Netz AG, Vortrag IT.13 Rail, Zürich, 17.01.2013

[4]    Feil, M., Pöhle, D. (2014): Why Does a Railway Infrastructure Company Need an Optimized Train Path Assignment for Industrialized Timetabling, Operations Research Proceedings 2014: Selected Papers of the Annual International Conference of the German Operations Research Society (GOR), Springer, S. 137-142

[5]    Europäische Union (2010): Verordnung Nr. 913/2010 des europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr, 22. September 2010.

[6]    Pöhle, D., Feil, M. (2016): Optimierte Belegung von Systemtrassen im industrialisierten Fahrplan: Herausforderungen und erfolgreiche Ansätze, Tagungsband der 25.
Verkehrswissenschaftliche Tage 2016

[7]    Pöhle, D. (2016): Strategische Planung und Optimierung der Kapazität in Eisenbahnnetzen unter Nutzung von automatischer Taktfahrplanung, disserta Verlag Hamburg

[8]    Großmann, P., Labinsky, A., Opitz, J., Weiß, R. (2013): Capacity-utilized Integration and Optimization of Rail Freight Train Paths into 24 Hours Timetables, Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems (MT-ITS) 2013, S. 389–396

[9]    Nachtigall, K., Opitz, J. (2014): Modelling and Solving a Train Path Assignment Model. International Conference on Operations Research, Aachen

[10]    Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz (2016): Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG), 29. August 2016.