FGSV-Nr. FGSV 002/107
Ort Karlsruhe
Datum 17.09.2013
Titel Risikobetrachtungen zur Verkehrssicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer
Autoren Dr.-Ing. Matthias Zimmermann
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

In Deutschland sind pro Jahr durchschnittlich 200 bis 250 Unfälle mit Warneinrichtungen vor Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) auf Autobahnen zu verzeichnen. Im Rahmen eines Projekts zur Erhöhung der Sicherheit durch Vorwarnung mithilfe von On-Board-Informationssystemen wurden die Potenziale zur Reduzierung dieser Unfälle ermittelt. Dazu wurde das Unfallrisiko für verschiedene Konstellationen von Arbeitsstellen kürzerer Dauer untersucht. Um belastbare Unfallkennwerte berechnen zu können, wurden alle Arbeitsstellenunfälle auf hessischen Autobahnen über einen Zeitraum von vier Jahren ausgewertet. Dabei wurden die Arbeitsstellenmerkmale wie z. B. Dauer, Lage im Querschnitt, Anzahl der gesperrten Fahrstreifen mitberücksichtigt. So konnten für relevante Kriterien sowohl Aussagen zum Risiko der Verkehrsteilnehmer (Unfallraten bzw. Unfallkostenraten) als auch für die Gefährdung der Arbeitsstelle (Unfälle bzw. Unfallkosten je Arbeitsstellenstunde) getroffen werden. Insbesondere die getrennte Betrachtung der Fahrzeugarten Pkw und Lkw zeigt erhebliche Unterschiede in den Risikopotenzialen auf. Unter anderem die Gegenüberstellung von Unfalldichten und Unfallkostendichten zur Beurteilung der Gefährdung aus Meistereisicht zeigt aber auch, dass es neben qualitativen Zusammenhängen zwischen Unfallkenngrößen und den Randbedingungen der Arbeitsstellen wie auch beim Unfallgeschehen allgemein eine gewisse Zufälligkeit vor allem auch der Unfallschwere gibt. Lediglich Arbeitsstellen auf dem Seitenstreifen, alle Arbeitsstellen mit einem Auslastungsgrad >1 und entsprechender Stauanfälligkeit und SBA-Bereichen hinsichtlich des direkten Aufpralls auf eine Arbeitsstelle weisen deutlich niedrigere Unfallraten auf, die das Risiko für einen Unfall sehr gering erscheinen lassen. Die Untersuchung zeigt, dass das Risiko eines Unfalls unter bestimmten Randbedingungen abschätzbar ist. Allerdings zeigt sich auch, dass es nur sehr wenige Konstellationen gibt, in denen Unfälle quasi auszuschließen sind. Letztendlich gilt in den betrachteten Arbeitsstellen wie auch im übrigen Straßennetz, dass Unfälle zu einem gewissen Teil auch aus dem allgemeinen Betriebsrisiko herrühren und durch Zufälle begründet sind. Dazu gehören leider auch Situationen, bei denen Unfälle trotz nahezu idealer äußerer Randbedingungen auftreten, z. B. bei unbeeinflusster Fahrt und sehr guter Sichtbedingungen durch Aufprall auf die mit regelkonformer Vorwarnung und Absicherung versehene Arbeitsstellen. Insgesamt ist wie auch bereits in früheren Untersuchungen erkennbar, dass neben geeigneten Warnungen für ankommende Fahrzeuge vor allem die Ausstattung von Lkw mit aktiven Fahrerassistenzsystemen (Abstandsradar, Seitenführungsassistenz) einen besonders hohen Nutzen für die Verkehrssicherheit erwarten lässt.

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Einleitung und Problemstellung

Auf den Bundesautobahnen ist in den letzten Jahren eine stetig wachsende Verkehrsbelastung feststellbar, was sich allerdings nicht negativ auf das gesamte Unfallgeschehen auswirkt. Im Gegenteil, die Anzahl der Unfälle und insbesondere derer mit Todesfolge nimmt ab, wobei dieser positive Trend bei Unfallsituationen im Zusammenhang mit Arbeitsstellen nicht unbedingt zu erkennen ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Arbeitsstellen von längerer Dauer (AlD) und Arbeitsstellen von kürzerer Dauer (AkD). Arbeitsstellen kürzerer Dauer sind „alle Arbeitsstellen, die nur über eine begrenzte Stundenzahl, in der Regel während der Tageshelligkeit eines Kalendertages, bestehen, auch wenn die Arbeiten an den folgenden Tagen fortgesetzt werden“ (RSA, 1995). Diese können entweder stationär (z. B. Reparaturen an Schutzplanken, Beschilderungsarbeiten) oder beweglich (z. B. Grasschnitt, Markierungsarbeiten) sein. Zahlreiche Untersuchungen (u. a. Kemper, 2010) zeigen, dass AkD unfallträchtiger als AlD sind, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Warnung vor einer AkD nur mit wenigen Elementen wie Absperrtafel, Vorwarntafel, Leitkegel etc. erfolgen kann.

In Deutschland sind durchschnittlich 200 bis 250 Unfälle mit Warneinrichtungen vor AkD pro Jahr zu verzeichnen (Roos, Zimmermann et al., 2008). Verschiedene Untersuchungen haben das Vermeidungspotenzial für Unfälle im Zusammenhang mit dem Anprall an Absperrtafeln von AkD aufgezeigt (u. a. in Roos, Zimmermann et al., 2008; Zimmermann, Moritz, 2004). Da sich nach diesen Untersuchungen auf der Basis absoluter Unfallanzahlen deutlich mehr als die Hälfte der Anpralle an AkD unter Hauptbeteiligung von Lkw ereigneten, ist in einer tieferen Marktdurchdringung von Fahrerassistenzsystemen vor allem in Nutzfahrzeugen das größte Vermeidungspotenzial zu sehen. Mit der EU-weiten Verpflichtung für Notbremsassistenten in neuen Lkw ab 2015 sollten zumindest langfristig diese Unfälle deutlich reduziert werden können. Insbesondere zur Reduzierung der Unfallfolgen können allerdings auch verbesserte Sicherheitsausstattungen in den Fahrzeugen des Betriebsdienstes sowie Verhaltensänderungen des Personals beitragen: Insbesondere das systematische Verlassen des Fahrerhauses bei stationären Absicherungen sowie konsequentes Anschnallen in Zugfahrzeugen von Absperrtafeln auch im Stand können dazu beitragen.

Daneben verspricht auch die Einbindung entsprechender Informationen in On-Board-Informationssystemen eine Erhöhung der Verkehrssicherheit an diesen Gefährdungspunkten im Straßennetz. In diesem Zusammenhang hat Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement in Kooperation mit der BMW AG das Projekt „DIANA2 Dynamic Information an Navigation Assistance“ erfolgreich durchgeführt mit dem Ziel, mittels der Bordsysteme im Fahrzeug die Verkehrsteilnehmer gezielt vor AkD zu warnen. Basis dafür sind die Ortungs- und Mobilfunkeinheiten, die von den mit DORA (dynamische Ortung von Arbeitsstellen) ausgestatteten Absperrtafeln der hessischen Autobahnmeistereien in die Verkehrszentrale Hessen (VZH) übertragen werden. Im Zuge von Testfahrten wurden die für die Warnung relevanten Informationen ins Fahrzeug übertragen, um die Fahrer im Zulauf auf AkD entsprechend zu warnen. Um die Potenziale bzw. Grenzen solcher Informationsbereitstellungen aufzuzeigen, wurde das ISE mit einer wissenschaftlichen Begleituntersuchung beauftragt (Zimmermann, Cindric-Middendorf, 2011). Hintergrund war unter anderem die Befürchtung der BMW AG, dass sich durch zu häufiges Melden einer Gefahr diese besondere Information beim Fahrer „abnutzt“ und die Meldung in der Folge entweder nicht mehr hinreichend beachtet oder sogar als Belästigung empfunden wird. Ferner wurde vermutet, dass die kollektiven Warnanzeigen der Warnanhänger/Baustellenfahrzeuge bei guter Sichtbarkeit und geringer Verkehrsdichte vom Fahrer erkannt werden und er rechtzeitig das richtige Fahrmanöver einleiten kann. Unter dieser Annahme wäre es nicht erforderlich, alle Baustellenpositionen als Gefahrenwarnung zu übertragen.

Daher stand im Vordergrund der ursprünglichen wissenschaftlichen Begleituntersuchung, abgesicherte Erkenntnisse darüber zu erlangen, für welche AkD welche Dringlichkeit einer Warnung ausgegeben werden soll. Dabei war zum einen zu berücksichtigen, dass es bereits aus der unterschiedlichen Nutzung von Fahrstreifen Unterschiede in den Unfallraten für Pkwund Lkw-Fahrer gibt, das heißt möglicherweise auch in Zeiten höherer Risiken für die eine Gruppe eventuell besonders niedrige Risiken für die andere Gruppe auftreten. Gleichwohl wird in den nachfolgenden Ausführungen besonders darauf Rücksicht genommen, dass es räumliche und zeitliche Konstellationen von Arbeitsstellen kürzerer Dauer gibt, bei denen zwar das Risiko eines Unfalls relativ gering ist, die Unfallfolgen z. B. aus hohen zu erwartenden Geschwindigkeiten heraus allerdings erheblich sind.

Für die seitens der BMW AG im Vordergrund stehende Betrachtung der Risiken für den Pkw-Fahrer ist die relevante Bezugsgröße die Pkw-Verkehrsleistung. Um die sehr detailliert vorliegenden Auswertemöglichkeiten auch für die Fragestellung der Risiken für die Arbeitsstelle selbst nutzen zu können, wurden alle Auswertungen auch jeweils für die Bezugsgröße Arbeitsstellenstunde durchgeführt.

2 Methodisches Vorgehen

2.1 Hintergrund des Regelwerkes, Abgrenzung der Untersuchungsinhalte

Im Fokus der Untersuchung standen nur AkD auf der Hauptfahrbahn, das heißt AkD in Verteilerfahrbahnen oder in Rampen von Autobahnkreuzen und Anschlussstellen wurden nicht betrachtet. Daher konnte davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der betrachteten AkD Standardsituationen entspricht und gemäß Regelplänen nach RSA (1995) abgesichert wurden. Die sieben für AkD vorhandenen Regelpläne unterscheiden sich unter anderem in der Anzahl der zu sperrenden Fahrstreifen, der Lage der AkD (links, rechts oder Seitenstreifen) sowie der gegebenen Sichtweite.

2.2  Basisdaten für die Untersuchung

Der Untersuchung lagen folgende Datenquellen der hessischen Straßenbauverwaltung zugrunde:

–    Baustellenmanagementsystem (BMS) 01.04.2004 bis 31.10.2009

–    Dynamische Ortung von Arbeitsstellen (DORA) 01.01.2008 bis 31.10.2010

–    Unfallprotokolle aller Unfälle auf hessischen Autobahnen 2006, 2007, 2008, 2009.

Da es für die weiteren Auswerteschritte von großer Bedeutung ist, die relevanten Randbedingungen bei Unfällen wie auch bei der Betrachtung der zugehörigen Verkehrsleistung möglichst genau den betroffenen Arbeitsstellen zuordnen zu können, musste eine Verschneidung der o. a. Daten untereinander und zusätzlich noch mit den relevanten Verkehrsinformationen sowie Trassierungsrandbedingungen vorgenommen werden.

Dazu wurden die Informationen aus dem BMS mit den Unfalldatensätzen der Unfallprotokolle verschnitten und dem jeweiligen Unfall die Bezugsgrößen (Dauer der AkD, Verkehrsführung vor und während der AkD, Verkehrsbelastung) für die Unfallanalyse zugeordnet. Damit sollte sichergestellt werden, dass jedem betrachteten Unfall die tatsächlichen Gegebenheiten bei der Durchführung der Arbeitsstelle zugrundeliegen. Für die belastbare Berechnung von Bezugsgrößen – das heißt vor allem die Anzahl der Fahrzeuge, die in einem bestimmten Zeitraum von z. B. einem Jahr Arbeitsstellen mit bestimmten Bedingungen passieren – war zumindest notwendig, dass vor allem die Dauer und die Lage der dokumentierten Randbedingungen der tatsächlichen Ausführung entsprach, um die verkehrlichen Aspekte abbilden zu können.

Als erstes Bundesland hat Hessen die Sicherungsanhänger der Autobahnmeistereien (AM) seit 2007 mit GPS ausgestattet, so dass über Mobilfunk Informationen über den tatsächlichen Zeitraum (Datum und Uhrzeit) und Standort sowie über die Pfeilstellung der Absperrtafel zum Zeitpunkt der AkD an die Verkehrszentrale Hessen (VZH) gesendet werden. Mit diesen DORA-Daten konnten die BMS-Daten verschnitten werden, so dass mit einer großen Aussagesicherheit Informationen zu jeder Arbeitsstelle im Auswertezeitraum zur Verfügung standen. So konnten gut 80 % der DORA-Ereignisse plausible BMS-Ereignisse zugeordnet werden, um die vorgesehenen Randbedingungen der AkD-Absicherungen den tatsächlichen Baustellenzeiten zuordnen zu können.

Die Absperrtafeln der im Auftrag des Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement tätigen Fremdfirmen sind im untersuchten Zeitraum allerdings mit den erforderlichen DORA-Komponenten noch nicht ausgestattet gewesen, so dass dementsprechend ausschließlich Informationen zur Absicherung der AkD durch hessische Autobahnmeistereien vorlagen. Dies ist insbesondere bei Nachtbaustellen zu berücksichtigen, da zu diesen Zeiten der Anteil an Fremdfirmen-AkD üblicherweise besonders hoch ist.

Die Verschneidung mit den Verkehrsdaten (Ganglinien) erfolgte ebenfalls über DORA-Daten.

2.3 Methodik der Auswertung

Hauptauslöser dieser Untersuchung war die Frage, ob und wenn ja, welche Arbeitsstellenkonstellationen ein signifikant niedrigeres Unfallrisiko für potenzielle Nutzer eines On-Board-Informationssystems an Arbeitsstellen kürzerer Dauer mit sich bringen. Diese Frage konnte aus Sicht des Forschungsnehmers belastbar nur dann beantwortet werden, wenn eine Betrachtung von Unfall(kosten)raten möglich wäre, das heißt für jede zu analysierende Konstellation sowohl mindestens die Anzahl der zuzuordnenden Unfälle als auch die zugehörige Verkehrsleistung zu ermitteln wäre.

Ein Nebenprodukt war bei dieser Analyse, dass parallel zur Bezugsgröße Verkehrsleistung auch die Bezugsgröße Arbeitsstellenstunde herangezogen werden konnte. Das Ergebnis dieser Auswertung markiert letztlich das Risiko für eine Arbeitsstelle, dass in ihrem Vorfeld ein Unfall geschieht. Die so ermittelten „Unfalldichten“ (Unfall je Arbeitsstellenstunde) ermöglichen es den Straßenbauverwaltungen, das Gefährdungspotenzial ihrer Mitarbeiter in Abhängigkeit von verkehrlichen, trassierungstechnischen und anderen Randbedingungen einzuschätzen.

Daher werden im Folgenden Einschätzungen häufig unter beiden Aspekten von Fahrerrisiko und Arbeitsstellenrisiko wiedergegeben, die sich nicht unbedingt decken.

2.4  Klassifizierung von Arbeitsstellen und von Unfällen

Die Ergebnisse der Untersuchung sollten möglichst zielgerichtet auf die im späteren Realbetrieb verfügbaren Attribute der Arbeitsstellen ausgerichtet werden.

Letztendlich wurden die AkD nach folgenden Kriterien unterschieden:

–    Anzahl der Fahrstreifen im „Ist-Zustand“,

–    Anzahl der befahrbaren Fahrstreifen während der AkD (Fahrstreifenreduzierung),

–    Ort der Absperrung im Querschnitt (links, rechts oder Seitenstreifen).

Zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Verkehrssicherheit werden in Hessen auf Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) eingesetzt. Über Wechselverkehrszeichen können unter anderem im Vorfeld einer Arbeitsstelle verkehrsregelnde Anzeigen dargestellt werden und z. B. auch durch Überkopfsignalisierung Fahrstreifenreduzierungen frühzeitig angezeigt werden. Weil eine positive Auswirkung der SBA auf das Unfallgeschehen im Zusammenhang mit AkD zu erwarten war, wurde im Rahmen der Untersuchung auch dieses Kriterium berücksichtigt.

Der Untersuchung lagen die Unfallprotokolle der Jahre 2006 bis 2009 zugrunde. Im Fokus der Untersuchung befanden sich nur die Unfälle, die im Zusammenhang mit einer AkD bzw. im Vorfeld einer AkD geschehen sind. Unfälle, die innerhalb einer AkD passiert sind, das heißt nach dem Vorbeifahren an der Absperrtafel, wurden nicht untersucht.

Für die Auswahl der relevanten Unfälle aus der Unfalldatenbank aller BAB-Unfälle im Analysezeitraum in Hessen wurden die Unfalldaten sowohl nach der Besonderheit „Arbeitsstelle (6)“ als auch nach weiteren textlichen Inhalten, die z. B. eine Abgrenzung nach AkD und AlD ermöglichten, gefiltert. Bei diesem manuellen Vorgang wurde wegen der großen Unterschiede in der Verkehrs- und Unfallbeteiligung außerdem die Verkehrsbeteiligung des mutmaßlichen – das heißt aus den polizeilichen Unterlagen ableitbaren – Hauptverursachers vermerkt.

So konnten aus allen 51.463 BAB-Unfällen insgesamt 368 (Pkw: 227, Lkw: 141) Unfälle im Vorfeld einer AkD herausgefiltert werden, die die Grundlage der Untersuchung darstellen.

Die Analyse der Unfallprotokolle hat gezeigt, dass das Unfallgeschehen vor der Absperrung der AkD nach drei Unfallmustern abläuft, denen alle Unfälle zugeordnet werden können.

Unfallmuster 1 (UM 1) Aufprall auf Absperrung der AkD - (106 Unfälle; davon Pkw: 45, Lkw: 61)

Die Sperrung des Fahrstreifens wird trotz anzunehmender regelkonformer Vorankündigung so spät erkannt, dass nicht rechtzeitig reagiert werden kann und auf die Absperrtafel aufgefahren wird.

Unfallmuster 2 (UM 2) Zusammenprall bei Verflechtung im Vorfeld der AkD - (144 Unfälle; davon Pkw: 90, Lkw: 54)

Beim Fahrstreifenwechsel im Vorfeld der Absperrung kommt es zu einer Kollision mit parallel fahrenden Fahrzeugen.

Unfallmuster 3 (UM 3) Auffahren auf andere Fahrzeuge im Vorfeld der AkD - (118 Unfälle; davon Pkw: 92, Lkw: 26).

Im Vorfeld der AkD kommt es aufgrund des hohen Auslastungsgrades zu stockendem Verkehr oder Stau mit einem Auffahrunfall als Folge.

Die Längen für den jeweiligen betrachteten Bereich der Durchfahrt durch diesen besonderen Bereich von Arbeitsstellen sind kaum definierbar und könnten nur geschätzt werden, was gegebenenfalls das Ergebnis stark beeinflussen würde. Deshalb wurden die Unfallkenngrößen in Anlehnung an die Berechnung von Unfallkenngrößen an Knotenpunkten berechnet (ISK-GDV, 2003), das heißt die Bezugsgröße der Fahrleistung ist die Vorbeifahrt eines Fahrzeuges an der entsprechenden Arbeitsstelle. Die Unfallrate wurde dementsprechend folgendermaßen berechnet:

Formel in der PDF

qAkD = Anzahl der Kfz-Überfahrten während der Dauer aller AkD mit der jeweiligen Konstellation der AkD

UAkD = Anzahl der Unfälle mit jeweiligem Unfallmuster (UM 1, UM 2 oder UM 3)

Für die Berechnung von qAkD musste für die jeweilige Arbeitsstellenkonstellation die Anzahl aller (das heißt sowohl in AkD, in denen während der Dauer ein Unfall geschehen ist, als auch in AkD ohne Unfallgeschehen) Kfz-Überfahrten berechnet werden.

Dafür wurde im ersten Schritt durch die Verschneidung der DORA-Zeiten mit Tagesganglinien die Anzahl der Überfahrten im Zeitraum der Verfügbarkeit von DORA-Daten bestimmt. Zur späteren Nutzung der Bezugsgröße Fahrleistung und den anderen damit zusammenhängenden verkehrlichen Kenngrößen Auslastungsgrad und SV-Anteil wurden die Arbeitsstellenzeiten stundenweise mit den entsprechenden Fahrleistungen verknüpft, so dass eine deutlich genauere Zuordnung der relevanten Verkehrsinformationen zu den Unfällen möglich gewesen ist, als wenn eine pauschale Betrachtung jeder Arbeitsstelle vorgenommen gewesen wäre.

Der Begriff der Dichte wird in diesem Zusammenhang ebenfalls etwas anders berechnet als in üblichen Streckenbetrachtungen: Bezugsgröße ist hierbei die kumulierte Dauer der entsprechenden Arbeitsstellen im Verkehrsraum. Gegenüber der ursprünglich verwendeten Bezugsgröße Arbeitsstellenanzahl ergeben sich so deutlich realistischere Unfalldichten, da die Abweichungen der Arbeitsstellendauern vom Mittelwert (ca. 1 ¼ h) insbesondere in den Nachtstunden erheblich sind.

Die AkD werden kurzzeitig eingerichtet, z. B. für Reparaturen an Schutzplanken oder Arbeiten an Ver- und Entsorgungseinrichtungen. Diese Arbeiten fallen üblicherweise jahresbedingt in einem bestimmten Turnus an, so dass angenommen werden kann, dass die Verteilung der AkD im Straßennetz jedes Jahr im Mittel gleich verteilt sein dürfte. Mit dieser Annahme wurde die aus den DORA-Daten ermittelte AkD-Anzahl und die daraus anschließend berechnete Anzahl der Kfz-Überfahrten auf den betrachteten Unfallzeitraum von vier Jahren (48 Monate) hochgerechnet.

Einen Unsicherheitsfaktor stellt die Tatsache dar, dass im Untersuchungszeitraum die DORA-Ereignisse keine durch Fremdfirmen abgesicherten AkD beinhalten. Es ist aber davon auszugehen, dass deren Anteil jedes Jahr ebenfalls in etwa konstant ist. In Absprache mit Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement wurde geschätzt, dass etwa 30 % der Arbeitsstellen durch Fremdfirmen durchgeführt werden. Eine Hochrechnung der Ergebnisse mit einem solchen Faktor (1,3-fache Summe der Arbeitsstellenstunden und relevanten Fahrleistungen; entsprechende Reduzierung der Unfallraten und Unfalldichten) hat bewusst nicht stattgefunden, weil keinerlei belastbare Erkenntnisse darüber vorliegen, inwieweit die Kollektive der Arbeitsstellen der Meistereien und der Fremdfirmen vergleichbar sind. Allerdings ist anzumerken, dass eine Untersuchung in dieser Detailtiefe bundesweit überhaupt nur mit den in Hessen vorliegenden DORA-Daten möglich ist, daher sind insbesondere die relativen Bewertungen wertvoll. Mittlerweile werden unter anderem vor diesem Hintergrund auf hessischen Autobahnen auch Fremdfirmen nur noch mit einem entsprechenden Sender zugelassen.

Schließlich wurden für die relevanten AkD-Konstellationen die Unfallkenngrößen berechnet und miteinander verglichen. Damit sollte überprüft werden, ob an Arbeitsstellen mit bestimmten Randbedingungen überproportional viele Unfälle zu verzeichnen sind.

3 Ergebnisse der Untersuchung

3.1 Allgemeine Unterscheidungen

Im Fokus der Untersuchung lagen vor allem die Unfälle des Unfallmusters 1 (UM 1). Allerdings ist zu bedenken, dass sich unmittelbar aus der Einrichtung von Arbeitsstellen im Verkehrsraum, das heißt mit Reduzierung der ursprünglich vorhandenen Fahrstreifenanzahl, auch verkehrliche Konsequenzen ergeben, die ebenfalls Sicherheitsrisiken mit sich bringen. Diese zeigen sich insbesondere durch Unfälle des Unfallmusters 2 und – insbesondere bei höheren Auslastungsgraden des reduzierten Querschnitts – des Unfallmusters 3. Daher werden für grundlegende Betrachtungen im Folgenden häufig alle Unfallmuster zusammen betrachtet. Mit steigenden Auslastungsgraden ist die Bewegungsfreiheit der Fahrzeuge eingeschränkt, so dass es zu Konfliktsituationen zwischen Fahrzeugen schon im Vorfeld der AkD kommt (UM 2 und UM 3), bevor sich die Fahrzeuge direkt vor der Absperrung befinden, das heißt mit unterschiedlichen Auslastungsgraden verlagern sich meist lediglich die Unfallmuster, aber das Unfallpotenzial, das durch die Arbeitsstelle hervorgerufen wird, bleibt bestehen.

Grundsätzliche Unterschiede im Unfallgeschehen ergeben sich regelmäßig auch aus der Lage der Arbeitsstellen im Querschnitt. Insbesondere im Zusammenhang mit der Verkehrsbeteiligung – Pkw bzw. Lkw – zeigen sich deutliche Auffälligkeiten, die nicht nur damit zusammenhängen, dass der Lkw-Verkehr tendenziell auf dem rechten Fahrstreifen abgewickelt wird. Wie bereits methodisch dargelegt, lassen sich die Unterschiede im persönlichen Risiko als Verkehrsteilnehmer nur darüber ermitteln, dass die entsprechenden Unfallzahlen in Bezug zur Verkehrsleistung betrachtet werden.

Zur Einordnung des Unfallgeschehens und der zugehörigen Arbeitsstellendauern werden im Folgenden zunächst einige Absolutzahlen dieser Vergleichsgrößen herangezogen. Wie bereits erwähnt, sind diese alleine nicht für eine Beurteilung des persönlichen Risikos eines Straßennutzers geeignet, da die wesentliche Bezugsgröße Verkehrsleistung fehlt.

Das Bild 1 zeigt die Verteilung der Unfälle im Tagesverlauf.

Bild 1: Anzahl Unfälle in Abhängigkeit von der Tageszeit

Im Bild 2 ist die Verteilung der Arbeitsstellenstunden über den Tagesverlauf aufgetragen, die qualitativ dem Verlauf der Arbeitsstellenunfälle ähnelt. Dabei ist zu erkennen, dass zwischen 8 und 10 Uhr noch relativ wenige Arbeitsstellen aktiv sind, da sie in der Regel erst nach der morgendlichen Spitzenstunde starten. Insbesondere in den Nachtstunden zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass die Anzahl der zugeordneten Arbeitsstellenstunden eher niedriger liegt als zu erwarten gewesen wäre. Ein möglicher Grund dafür ist in der fehlenden DORA-Ausstattung der Fremdfirmen zu sehen.

Bild 2: Anzahl Arbeitsstellenstunden, Hochrechnung auf 4 Jahre

Unter anderem aus (Kemper, 2010), wo mit einer vergleichbaren Auswertemethodik die Arbeitsstellen aus dem Raum Köln ausgewertet wurden, liegen Stundenanteile nachts von ca. 2 % der Tagessumme vor, die hessischen Daten weisen nachts zwischen 0,3 und 0,5 % auf. Eine Erklärung dieser Diskrepanz könnte neben grundsätzlich anderer Arbeitsstellenplanungen in Hessen weiterhin sein, dass in den Nachtstunden in den Systemen nicht oder unzureichend implementierte private Absperreinrichtungen einen überproportionalen Fehler verursachen. In dieser Untersuchung steht nicht die Frage im Fokus, inwieweit es unterschiedliche Sicherheitsauswirkungen für die Absicherung selbst gibt, anhand des betrachteten Kollektives konkret für die beteiligten Meistereien der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung. Dafür maßgebend sind jedoch nicht die später hauptsächlich betrachteten Unfallraten, sondern die Unfall-„Dichten“, die wie bereits angeführt bei dieser Untersuchung die Bezugsgröße Arbeitsstellenstunden beinhalten.

Das Bild 3 zeigt die Unfalldichten ausschließlich für das baustellenrelevante Unfallmuster 1, da nur diese Unfälle eine Gefahr für die Sicherheit des Betriebsdienstpersonals darstellen. Erkennbar sind die überdurchschnittlich hohen Unfalldichten in der morgendlichen Spitzenstunde, wobei zwischen 8 und 10 Uhr insbesondere die Unfälle mit Sperrung des linken Fahrstreifens auffallen. Außerdem sind sehr auffällige Maximalwerte zwischen 22 Uhr und Mitternacht zu verzeichnen sowie auf niedrigerem Niveau überdurchschnittliche Werte in den übrigen Nachtstunden.

Insbesondere bei den Nachtwerten liegen relativ geringe Fallzahlen vor, so dass ein Unfall mitunter sehr starke statistische Auswirkungen hat.

Bild 3: Unfalldichten Unfallmuster 1 in Abhängigkeit von der Tageszeit

Bild 4: Unfallkostendichten Unfallmuster 1 in Abhängigkeit von der Tageszeit

Betrachtet man jedoch die im Bild 4 dargestellten Unfallkostendichten, das heißt unter Einbeziehung der Unfallschwere, so zeigt sich ein deutlich nivelliertes Bild, das in den Nachtstunden nur um ca. 50 % höhere Unfallkostendichten ausweist. Ausnahme bleibt hier die Zeit zwischen 22 und 24 Uhr. Zwar gibt die Betrachtung der Unfallkostendichte aus Meistereisicht kein eindeutiges Bild der Eigengefährdung wider. Allerdings ist unter anderem aus (Roos, Zimmermann et al., 2008) bekannt, dass zumindest bei Lkw-Beteiligung ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Unfallschwere des Unfallverursachers und des Personals besteht.

An dieser Stelle ist auf eine Besonderheit in den Diagrammen hinzuweisen, die farblich unterschiedlich die verschiedenen Sperrseiten ausweisen: Die Anzahl aller AkD (grün) ist zum Teil größer als die Summe der jeweiligen AkD-Konstellationen (rot, orange, gelb), da aus den Unfallbeschreibungen einzelner Unfälle die Lage der AkD im Querschnitt nicht eindeutig hervorging bzw. ableitbar war. Diese Unfälle sind dann nur der Gesamtsumme an Unfällen (grün) zugeordnet.

3.2 Lage der Arbeitsstelle im Querschnitt

In der Untersuchung von (Roos, Zimmermann et al., 2008) konnte eine Abhängigkeit zwischen dem Unfallverursacher und der Lage der AkD im Querschnitt gezeigt werden. Auf dem Seitenstreifen und auf dem rechten Fahrstreifen werden die Unfälle überwiegend durch Lkw verursacht, auf dem linken Fahrstreifen hingegen durch Pkw. Allerdings konnten bei dieser Untersuchung keine Anzahl und Verkehrsleistungen an den zugehörigen Arbeitsstellen zugeordnet werden.

Auch im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen der Lage der Sperrung im Querschnitt und dem Unfallgeschehen hinterfragt. Allgemein ergibt sich schon alleine aus der Tatsache, dass im Vorfeld der Arbeitsstellen ein Lkw-Überholverbot die Regel ist – die Lkw fahren bis zur Absperrung rechts – rechts eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen durch Lkw verursachten Unfall. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings nicht, dass das Unfallpotenzial für Pkw rechts geringer ist als links.

Im Bild 5 sind für die relevanten Fahrzeugbeteiligungen die Unfallkostenraten für das jeweilige Unfallmuster (UM 1, UM 2 und UM 3) in Abhängigkeit von der Lage der Arbeitsstelle im Querschnitt (links, rechts oder Seitenstreifen) dargestellt. Die Unfallkenngrößen auf dem Seitenstreifen sind bei allen drei UM deutlich geringer als rechts oder links. Arbeitsstellen auf dem Seitenstreifen zeigen sich auch bei allen weiteren Betrachtungen als weniger gefährlich. Unter der originären Fragestellung der Festlegung von Warnszenarien erscheint es daher naheliegend, auf eine Warnung vor diesen Arbeitsstellen zu verzichten.

Bild 5: Unfallkostenraten für Unfallmuster 1 bis 3 in Abhängigkeit von der Lage der AkD im Querschnitt (links, rechts oder Seitenstreifen)

Eine Differenzierung zwischen den Sperrseiten links und rechts zeigt bei den meisten Konstellationen nur geringe Unterschiede in den Unfallkenngrößen auf. Betrachtet man allerdings die Unfälle des Unfallmusters 1 getrennt nach den beiden Fahrzeugarten Pkw und Lkw, so zeigen sich deutliche physikalisch erklärbare Unterschiede in den Auswirkungen.

Stellt man diesen Unfallkostenraten die reinen Unfallzahlen gegenüber, so wird besonders deutlich, dass in der Regel Unfälle der Unfallmuster 1 und 3 die größte Unfallschwere aufweisen, die Unfälle des Unfallmusters zwei dagegen erwartungsgemäß die geringste Unfallschwere.

3.3 Fahrstreifenanzahl und Fahrstreifenreduzierung

Um starke Behinderungen im Verkehrsablauf zu vermeiden, wird üblicherweise angestrebt, Arbeitsstellen außerhalb von Spitzenzeiten einzurichten. Allerdings können häufig auch außerhalb von Spitzenzeiten Verkehrsbehinderungen nicht ausgeschlossen werden. Es stellt sich die Frage, wie sich die Anzahl der gesperrten Fahrstreifen auf das Unfallgeschehen auswirkt.

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde für alle AkD ausgewertet, wie viele Fahrstreifen im „Ist-Zustand“ und wie viele im „Arbeitsstellenzustand“ für den Verkehr zur Verfügung standen, die Differenz aus den beiden Werten ergibt die Anzahl der Fahrstreifen, um die der Querschnitt reduziert wurde (Bild 6).

Auch nach dieser Auswertung können nur die AkD auf dem Seitenstreifen aufgrund der vergleichsweise niedrigen Unfallraten als weniger kritisch bezeichnet werden. Interessant allerdings sind die besonders auffällig hohen Unfallraten bei den Reduzierungen um zwei Fahrstreifen. Bei dieser Absperrung muss zumindest ein Teil der Verkehrsteilnehmer vor der Absicherung einen Wechsel um zwei Fahrstreifen vornehmen, was auch mehr Konfliktsituationen mit sich bringt. Hierfür ist vor allem das Unfallmuster 2 mit Konflikten parallel fahrender Fahrzeuge maßgebend.

Insgesamt zeigt sich eine deutliche Tendenz: Das grundsätzliche Niveau der Unfallkostenraten wird durch die Anzahl der gesperrten Fahrstreifen bestimmt (Reduzierung um 0 bis 2 Fahrstreifen). Innerhalb dieser Niveaus ergeben sich jeweils deutlich höhere Werte, je weniger Fahrstreifen nach der genannten Reduzierung verbleiben. Diese Aussage gilt prinzipiell für alle Fahrzeugbeteiligungen. Betrachtet man aber nur die Pkw-Beteiligungen, so zeigt sich, dass der Anteil von Unfällen auf dem rechten Fahrstreifen z. B. bei der Reduzierung von 2 auf 1 Fahrstreifen höher ist als allgemein. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass in diesem Fall gegenüber dem Fall dreistreifiger Querschnitte der Pkw-Anteil auf dem rechten Fahrstreifen deutlich höher ist. Die relativ geringen Unfallraten bei der Konstellation Sperrseite links in Verbindung mit zwei Fahrstreifen ohne FS-Reduzierung (Verschwenkung mit Seitenstreifennutzung) zeigt, dass dieser Regelplan – auch wenn die Fallzahlen relativ gering sind – für mehr Verkehrssicherheit sorgt gegenüber einer Fahrstreifenreduzierung.

Bild 6: Unfallraten bei Pkw-Beteiligung für alle Unfallmuster in Abhängigkeit von der Anzahl der Fahrstreifen im „Ist-Zustand“ und „Arbeitsstellenzustand“ und von der Lage der AkD im Querschnitt (links, rechts, Seitenstreifen)

Die Betrachtung nach dem Kriterium der Fahrstreifenreduzierung deutet insgesamt darauf hin, dass neben der Lage der AkD im Querschnitt auch der Verkehrszustand, der sich aufgrund der Absperrung verändert, eine wesentliche Rolle spielt.

3.4 Auslastungsgrad

Der aus der Analyse der Unfalldaten hinsichtlich der Fahrstreifenreduzierung angedeutete Zusammenhang zwischen der Verkehrsbelastung im verbleibenden Querschnitt und dem Unfallgeschehen lässt sich an der konkreten Betrachtung der Auslastungsgrade nachweisen. Deswegen wurde für verschiedene AkD-Konstellationen (links, rechts und Seitenstreifen) auch eine Auswertung der Unfälle in Abhängigkeit vom Auslastungsgrad im verbleibenden Querschnitt vorgenommen.

Die Häufigkeit der einzelnen Unfallmuster (UM 1, UM 2 und UM 3) verschiebt sich deutlich. Insbesondere das Unfallmuster 1 weist bei geringen Auslastungsgraden deutlich höhere Anteile am Unfallgeschehen auf, nämlich dann, wenn aufgrund der niedrigen Verkehrsbelastungen kaum Konfliktsituationen mit anderen Verkehrsteilnehmern zu erwarten sind. Bei höheren Auslastungen verlagert sich das relevante Unfallmuster von Unfallmuster 1 vor allem zu Unfallmuster 2, das Unfallpotenzial insgesamt bleibt aber durchgehend bestehen.

3.5 Schwerverkehrsanteil

In den Spitzenzeiten stellt der Berufsverkehr (Pkw) den größten Teil der Fahrzeuge, so dass zu diesen Zeiten der Anteil des Schwerverkehrs (SV-Anteil) üblicherweise gering ist. Nachts wiederum ist der SV-Anteil sehr hoch, das heißt bei geringeren Auslastungsgraden ist in der Regel ein höherer SV-Anteil zu erwarten.

Dabei wird deutlich, dass bei sehr hohen SV-Anteilen oberhalb von 25 % deutlich höhere Unfallraten zu erkennen sind. Auch wenn diese Zusammenhänge mit mindestens 10-fach erhöhten Unfallraten sehr deutlich sind, ist allerdings erneut zu berücksichtigen, dass sich diese Zahlen durch vergleichsweise wenige AkD und eine geringe Anzahl von Fahrzeugüberfahrten ergeben, so dass sich ein einziger Unfall sehr stark auf die Unfallrate auswirkt. Betrachtet man in den Zeiten hoher SV-Anteile allerdings gesondert die Unfälle mit Pkw-Beteiligung, so wird deutlich, dass die Auffälligkeiten bei hohen SV-Anteilen nicht alleine aus der dann zwangsläufig höheren Lkw-Belastung folgen, sondern auch aus den dann in der Regel sehr geringen Verkehrsdichten.

3.6 Tageszeit

Die zum Teil nicht ganz eindeutigen Erkenntnisse zu den Unfallraten in Abhängigkeit von den SV-Anteilen sollten sich klarer abzeichnen, wenn die Unfallraten gegenüber den tatsächlichen Uhrzeiten der Arbeitsstellen und Unfälle dargestellt werden.

Wie im Bild 7 zu erkennen, treten Unfälle mit Pkw-Beteiligung vor allem in den frühen Morgenstunden vor 5 Uhr quasi nicht auf, in diesen Zeiten wie in den übrigen Nachtstunden sind (fast) ausschließlich Unfälle mit Lkw-Beteiligung dokumentiert. Im Tagesverlauf zeigen sich zwei Auffälligkeiten: Zwischen 8 und 10 Uhr sind – auch mit einer relativ großen Anzahl an Unfällen hinterlegt – relativ hohe Unfallraten bei Pkw-Beteiligung festzustellen. Eventuell erklärt sich dies daraus, dass zu dieser Zeit relativ viele Arbeitsstellen neu eingerichtet werden und daher besondere Gefahren auftreten. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass in Hessen AkD in der Regel erst nach der morgendlichen Spitzenstunde eingerichtet werden und daher Verkehrsteilnehmer in dieser Zeit eventuell weniger aufmerksam gegenüber Arbeitsstellen sind. Der einzige Zeitraum innerhalb der Tageshelligkeit mit deutlich niedrigeren Unfallraten ist zwischen 16 und 19 Uhr festzustellen. Die Morgen- und Nachmittagsspitzen haben also erkennbar unterschiedliche Auswirkungen auf das Unfallgeschehen.

Bild 7: Unfallraten in Abhängigkeit von der Uhrzeit, Fahrzeugbeteiligung Pkw

3.7 Vorhandensein von SBA bzw. Begrenzungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

Im Kontext verschiedener verkehrlicher Hintergründe stellt sich auch die Frage, ob es bei bestimmten Randbedingungen verkehrsrechtlicher Art Auffälligkeiten bei den Unfallraten gibt. Daher wurden die Daten zu Streckenbeeinflussungsanlagen und allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzungen – das heißt die zulässige Höchstgeschwindigkeit ohne Arbeitsstelle – ausgewertet.

Diese Auswertung zeigt zwei zunächst nicht unbedingt zu erwartende Befunde: Zum einen machen die Bereiche ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen die einzigen Bereiche aus, die in der Summe ein unterdurchschnittliches Unfallgeschehen aufweisen. Ansonsten ergibt sich ein Bild deutlich erhöhter Unfallraten bei den gängigen Geschwindigkeitsbegrenzungen von 100 und 120 km/h. Allerdings konnte im Rahmen der Untersuchung nicht verifiziert werden, ob in diesen geschwindigkeitsbeschränkten Bereichen, die häufig auf ungünstige Trassierungen und schlechte Sichtverhältnisse zurückzuführen sind, auch im Unfallgeschehen ohne Arbeitsstellen Auffälligkeiten vorliegen. Zumindest hinsichtlich der Unfälle in Arbeitsstellen lässt sich erkennen, dass zunehmende Lageplankrümmungen auch zu höheren Unfallausprägungen führen.

Darüber hinaus zeigt sich, dass an Arbeitsstellen im Bereich von SBA – insbesondere links – zu bestimmten Zeiten auffällig hohe Unfallzahlen bestimmter Unfallmuster auftreten. Betrachtet man die Pkw-Unfälle in SBA-Bereichen nach Uhrzeiten und Unfallmustern, so ist zu erkennen, dass quasi nur in den hochbelasteten Zeiten und nur Unfälle der Unfallmuster 2 und 3 auftreten. Das heißt, dass Unfälle mit Anprall an die Absperrtafel tatsächlich durch SBA zumindest hinsichtlich Pkw-Beteiligung quasi ausgeschlossen werden. Daher ergibt sich zumindest für dieses Unfallmuster an dieser Stelle tatsächlich ein deutlich unterdurchschnittliches Unfallgeschehen.

4 Fazit

Insbesondere die getrennte Betrachtung der Fahrzeugarten Pkw und Lkw zeigt erhebliche Unterschiede in den Risikopotenzialen auf.

Unter anderem die Gegenüberstellung von Unfalldichten und Unfallkostendichten zur Beurteilung der Gefährdung aus Meistereisicht zeigt aber auch, dass es neben qualitativen Zusammenhängen zwischen Unfallkenngrößen und den Randbedingungen der Arbeitsstellen wie auch beim Unfallgeschehen allgemein eine gewisse Zufälligkeit vor allem auch der Unfallschwere gibt. Wie in den vorangegangenen Betrachtungen ausgewiesen, gibt es nahezu keine Konstellation, bei der die zunächst erhoffte Gefahrlosigkeit – z. B. bei sehr guten Sichtweiten und geringen Verkehrsdichten – nachweisbar ist und dementsprechend für eine geringe Warnstufe genutzt werden kann. Unter anderem diese Konstellation zeigt sich bei der Gegenüberstellung von Unfallraten und Auslastungsgraden als überdurchschnittlich riskant, was letztendlich zeigt, dass nicht unbedingt nachvollziehbare Unaufmerksamkeiten eine der Hauptursache für Unfälle in Zusammenhang mit eigentlich sehr gut erkennbaren Absperrtafeln darstellen.

Auch wenn sich in vielen räumlich und zeitlich abgegrenzten Bereichen zeigt, dass das Unfallgeschehen mit Beteiligung von Lkw deutlich auffälliger ist als das mit Pkw, so gibt es doch auch bei detaillierter Analyse kaum Bereiche, die ein so signifikant niedrigeres Unfallrisiko für Pkw-Fahrer aufweisen, dass man Unfälle ausschließen könnte.

So weisen lediglich Arbeitsstellen allgemein auf dem Seitenstreifen, alle mit einem Auslastungsgrad >1 und solche in SBA-Bereichen (mit der Einschränkung auf das Unfallmuster 1) deutlich niedrigere (und auf diesem Niveau erklärbare) Unfallraten auf, die das Risiko für einen Unfall sehr gering erscheinen lassen. In allen anderen Bereichen ergeben sich in der Regel gegenseitige Verschiebungen in den Unfallraten zwischen den einzelnen Unfallmustern, so dass auch dann ein erhebliches Unfallrisiko für einen Unfall in unmittelbarer Folge der Arbeitsstelle besteht. In diesen Situationen ist davon auszugehen, dass der Nutzer eines Fahrerassistenzsystems die Information über eine nahende Arbeitsstelle kürzerer Dauer nicht als störend empfunden hätte, auch wenn sie ihn „nur“ vor einem Auffahrunfall, nicht aber vor einem Anprall auf eine Absperrtafel bewahrt hätte.

Allgemein ist anzumerken, dass die Frage, inwieweit ein Nutzer eines warnenden Fahrerassistenzsystems wegen einer eventuell zu häufigen Warnung vor AkD diese Informationen als nicht zielführend ansehen könnte, objektiv nicht beurteilt werden kann. Allerdings kann ein Anhalt dazu eine Betrachtung der Häufigkeit bieten, mit der ein an einem beliebigen Tag hessische Autobahnen nutzender Fahrer überhaupt mit Arbeitsstellen kürzerer Dauer konfrontiert würde. Es ist erkennbar, dass die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Weg eine Anzahl von mehr als zwei Arbeitsstellen zu passieren, relativ gering ist.

Die Untersuchung zeigt insgesamt, dass eine Vielzahl belastbarer Erkenntnisse gewonnen werden konnte, so dass das Risiko eines Unfalls unter bestimmten Randbedingungen abschätzbar ist. Allerdings zeigt sich auch, dass es nur sehr wenige Konstellationen gibt, in denen Unfälle quasi auszuschließen sind. Letztendlich gilt in den betrachteten Arbeitsstellen wie auch im übrigen Straßennetz, dass Unfälle zu einem gewissen Teil auch aus dem allgemeinen Betriebsrisiko herrühren und durch Zufälle begründet sind. Dazu gehören leider auch Situationen, bei denen Unfälle trotz nahezu idealer äußerer Randbedingungen auftreten, z. B. bei unbeeinflusster Fahrt und sehr guter Sichtbedingungen durch Aufprall auf die mit regelkonformer Vorwarnung und Absicherung versehene Arbeitsstelle.

Insgesamt ist erkennbar, dass es ein großes Potenzial für kooperative Systeme auch zur Warnung vor Arbeitsstellen gibt. Daher ist abgesehen von Arbeitsstellen auf Seitenstreifen eine Warnung in entsprechend verfügbaren Systemen grundsätzlich zu empfehlen.

Wie in quasi allen früheren Untersuchungen wird aber auch in dieser Betrachtung deutlich, dass hinsichtlich des Risikos für Personal und Verkehrsteilnehmer der Lkw weiterhin eine besonders große Bedeutung hat. Daher lässt die Ausstattung dieser Fahrzeuge sowohl mit aktiven Fahrerassistenzsystemen (Abstandsradar, Seitenführungsassistenz) als auch mit entsprechenden Warneinrichtungen einen besonders hohen Nutzen für die Verkehrssicherheit erwarten.

Da die zugrundeliegende Untersuchung im Auftrag der BMW AG mit Unterstützung von Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement durchgeführt wurde, konnten etliche der darin erarbeiteten Erkenntnisse aus Sicht des Straßenbaulastträgers bereits in entsprechende Festlegungen umgesetzt werden, die über die Regelungen der RSA hinaus gehen.

Insbesondere wurden im Baustellenmanagementhandbuch von Hessen Mobil einige sicherheitsrelevante Aspekte besonders betont:

So wird die Nutzung eines ausreichend schweren Zugfahrzeuges für fahrbare Absperrtafeln verpflichtend vorgeschrieben, insbesondere ist die Abkopplung vom Zugfahrzeug ausgeschlossen sowie der Einsatz des Zugfahrzeugs als Arbeitsfahrzeug. Prinzipiell soll darüber hinaus der Aufenthalt von Arbeitsstellenpersonal in unmittelbarer Nähe von Absperreinrichtungen minimiert werden.

Die Verpflichtung zum Aussteigen aus dem Zugfahrzeug bei stationären Arbeitsstellen ist ebenso verankert wie die Festlegung, dass sich kein Arbeitsstellenpersonal im Verkehrsraum ohne Absicherung bewegen darf. Unter anderem um dies zu gewährleisten, sind seit September 2013 auch verkehrsrechtliche Anordnungen von Phasenplänen vorgesehen, das heißt die Darstellung abgeschlossener Arbeitsschritte (Phasen) mit jeweils verkehrssicheren Zwischenschritten z. B. für die Aufstellung von Vorwarneinrichtungen und Beschilderungen am Mittelstreifen. Dieses Sicherheitskonzept für Tagesbaustellen ist als ein Baustein des Baustellenmanagements von Hessen Mobil auch im Internet frei verfügbar.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Verkehr: Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA), Bonn, 1995, FGSV 370

ISK-GDV: Auswertung von Straßenverkehrsunfällen Teil 1, Führen und Auswerten von Unfalltypen-Steckkarten, Sicherung des Verkehrs auf Straßen – SVS –, Institut für Straßenverkehr (ISK), Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. – GDV, Köln, 2003

Kemper, D.: Vergleichende Betrachtung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Autobahnen bei Tag und Nacht, Aachener Mitteilungen Straßenwesen Nr. 52, Erd- und Tunnelbau, Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen, Aachen 2010

Roos, R.; Zimmerman n, M.; Riffel, S.; Cypra, T.: Verbesserung der Sicherheit des Betriebsdienstpersonals in Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Bundesautobahnen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe Verkehrstechnik, Heft V 170, Bergisch Gladbach, 2008

Zimmermann, M., Cindric-Middendorf, D.: Implementierung von Informationen zu Arbeitsstellen kürzerer Dauer zur Gefahrenwarnung in On-Board-Informationssystemen, Untersuchung im Auftrag der BMW AG in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Landesamt für Straßen und Verkehrswesen, Karlsruhe, 2011, unveröffentlicht

Zimmermann, M.; Moritz, K.: Erhöhung des Schutzes von Straßenbetriebsdienstpersonal an Arbeitsstellen kürzerer Dauer, Straßenverkehrstechnik, 10/2004, S. 499–507