FGSV-Nr. FGSV 002/98
Ort Köln
Datum 19.10.2011
Titel Ein internationaler Standard für Verortung durch Stationierung: ISO 19148 - Geographic information - Linear referencing
Autoren Dipl.-Phys. Bernd Weidner
Kategorien OKSTRA
Einleitung

Bernd Weidner ist einer der Geschäftsführer der interactive instruments Gesellschaft für Software-Entwicklung mbH, einem seit 1985 bestehenden, in Bonn ansässigen Unternehmen für Geoinformatik. Das Unternehmen ist von Anbeginn in die Standardisierung des OKSTRA® einbezogen und betreut im Auftrag der BASt die OKSTRA®-Pflegestelle. Es ist Gründungsmitglied von KIM-Straße e.V. und betreibt in dessen Auftrag auch die Pflegestelle für den OKSTRA kommunal. Der Autor ist zurzeit Vorsitzender des Vereins.

National und international existieren viele Standardisierungen für Datenmodelle im Straßen- und Verkehrswesen, denen gemeinsam ist, dass Objekte der realen Welt gedacht werden als verortet längs linear erstreckter Elemente von Verkehrsnetzen. Unterschiedliche Umsetzungen dieser Idee erschweren jedoch oftmals die Transformation von Datenbeständen von einem derartigen System in ein anderes. Seit kurzem gibt es nun einen internationalen Standard, der sich mit dieser Verortungsmethode befasst. Sein Ziel ist, einen Rahmen abzugeben, in den sich die unterschiedlichen in Gebrauch befindlichen Methoden als Spezialfälle einfügen.

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Stationierung

Die Beschreibung der Lage von Objekten oder auch Ereignissen längs linearer Strukturen durch Längenmessung, ausgehend von ausgezeichneten Punkten, die auf diesen Strukturen liegen, ist im Verkehrswesen als „Stationierung“ allgemein bekannt. Das Prinzip ist dabei nicht auf Straßen als Verkehrswege beschränkt, sondern wird auch für Bahnen und Flüssen angewendet, es spielt auch nicht nur im Verkehrswesen eine Rolle, sondern auch im Bereich der Energieversorgung, z. B. bei Pipelines.

Viele Datenbestände weltweit sind nach diesem Prinzip organisiert, und es existieren sehr viele Anwendungen, bei denen die Angabe eines Raumbezuges ausschließlich auf diese Weise erfolgt und nicht durch Koordinatenangaben aus einem geodätischen System.

In vielen Fällen ist das Verfahren der Verortung durch Koordinaten sogar überlegen, z. B. wenn es darum geht, eine Unfallstelle möglichst effizient zu erreichen. Hier ist selbst eine potentiell genauere GPS-Position im Nachteil, weil sie etwa auf einer Autobahn nicht zwischen den Fahrbahnen unterscheiden kann.

Die Verwendung von Stationsangaben in Bezug auf lineare Objekte als Lageinformation ist deshalb als gleichberechtigtes Verfahren zur Angabe von Koordinaten anzusehen. 

Die Reihe der ISO-Standards 191XX

Auch wenn die häufig wiedergegebene Schätzung, dass ca. 80% aller Daten einen Raumbezug aufweisen, nicht allzu wörtlich genommen werden sollte, zeigt doch die zunehmende Verbreitung von Navis und anderen GPS-tauglichen Geräten oder einschlägigen Kartendiensten und Routensuchern im Internet, wie wichtig und selbstverständlich für uns alle mittlerweile der Umgang mit raumbezogenen Daten ist.

Diese Entwicklung wäre nicht möglich gewesen, ohne dass sich die IT-Industrie und die Nutzer räumlicher Information (und entsprechender Software) auf offene, international anerkannte Standards geeinigt hätte. Seit 1994 hat sich die internationale Normungsorganisation ISO mit ihrem Arbeitsausschuss TC211 des Themas angenommen und mittlerweile 55 internationale Normen (z. T. noch im Entwurfsstadium) zum Thema „Geographic information“ herausgegeben, zumeist beginnend mit der Ziffernfolge 191.

Unter der Nummer 19148 findet sich auch das Thema „Linear referencing“ wieder, was insbesondere die genannten Stationierungsverfahren umfasst. Die Arbeit befindet sich im letzten Abstimmungsstadium vor der Publikation, so dass mit einer baldigen Etablierung als „richtige“ Norm zu rechnen ist. 

Kurzbeschreibung

In der kürzlich auf www.okstra.de veröffentlichten Studie „Analyse der Regelwerke und Ordnungssysteme/ Ortsreferenzierungssysteme der Bereiche Straßeninformationssysteme und Verkehrssysteme“ wird die Zielsetzung des Standards wie folgt charakterisiert:

"ISO 19148 (Geographic Information – Location based services – Linear referencing system) definiert einen allgemeinen konzeptionellen Standard für die Verortung von Eigenschaften auf linearen Strukturen. Im Sinne der Modellierung handelt es sich um ein Metamodell, in das sich spezifische Referenzierungsmethoden, wie z. B. die von GDF oder dem OKSTRA, übersetzen lassen.

Zitat aus dem Standard:

„This International Standard proposes a consistent specification for describing linearly referenced locations which also enables translation between different referencing methods and/or linear elements. It also specifies how these position expressions can be used to specify how information which pertains to only a part of a linear element can be specified as linearly located events.

A Linear Referencing System is a set of Linear Referencing Methods (LRM) and the policies, records and procedures for implementing them. There are numerous, seemingly disparate, Linear Referencing Methods in use today. There is no single best method, as each has advantages in certain situations. It is there-fore unreasonable to propose a single standard Linear Referencing Method. The Generalized Model for Linear Referencing has been developed which instead characterizes Linear Referencing Methods into a basic set of common concepts. The additional advantage of this approach is that it also enables a singular method for translating linearly referenced locations into locations specified by another method or along an alternative linear element. This translation method is both closed and transitive, insuring round-tripping and translation chaining.

The Generalized Model standardizes the content of a linearly referenced location as containing three components: that which is being measured (linear element), the method of measurement (Linear Referencing Method) and the measured value (distance expression).“

Der Text beschreibt den Standard also als Spezifikation zur Angabe von Orten längs linearer Strukturen. Er erkennt an, dass es viele solcher Verortungssysteme gibt und setzt daher das Hauptaugenmerk auf ein generelles, übergreifendes Modell aus einem Basisvorrat allgemeiner Konzepte. Spezielle Verortungssysteme sollen sich durch diese allgemeinen Konzepte beschreiben lassen, und damit soll die Grundlage geschaffen werden, Daten aus den speziellen Systemen ineinander übersetzen zu können.

Eine besondere Bedeutung erhält der Standard dadurch, dass die zukünftige Version der Geography Markup Language, 3.3, die Verortung von Features mit den Konstrukten des Standards zulassen soll. Auch für die nächste Version der INSPIRE Data Specifications für Netze ist die Nutzung des Standards angekündigt.“

Ergänzend ist dem noch hinzuzufügen, dass auch DATEX II konform zu ISO 19148 ist. So schreibt der DATEX II User Guide (http://www.datex2.eu/sites/www.datex2.eu/files/DATEXIIv2.0-UserGuide_v1.1_1.pdf):

“(The linear referencing system) …is fully compliant with a draft CEN ISO standard on the same topic (EN ISO 19148) being adopted, with the two following restrictions:

  • Distances are only expressed in metres according to the DATEX II principle on units, unlike the draft standard where it is permissible to express them with different units.
  • The lateral/vertical offset features are not implemented.“ 

Das Modell kurzgefasst

Das Modell gliedert sich in sechs Pakete (Teilmodelle), die hier kurz charakterisiert werden sollen.

Das Basispaket LR beschreibt die Verfahren, Positionen auf linear erstreckten Objekten angeben zu können. Eine Positionsangabe (LR_PositionExpression; die Begriffe aus der Norm sind im Folgenden immer kursiv in Klammern angegeben) setzt sich demzufolge aus drei Teilen zusammen:

  • das Linearobjekt, auf dem verortet wird (LR_LinearElement)
  • das Entfernungsmaß (LR_DistanceExpression), das die Position bestimmt
  • die Messmethode (LR_LinearReferencingMethod)

Ein stationsbasiertes Referenzsystem (linear referencing system, LRS) ist gegeben durch alle Objektarten, die so vermessbar sind, und den hierbei zulässigen Messmethoden.

Eine Messmethode ist bestimmt durch

  • einen Namen zur Identifikation,
  • einen Typ: absolute: fortlaufende Messung längs des gesamten Objektes; relativ: in Bezug auf eine Referenzposition auf dem Linearobjekt (z. B. die einer Kilometertafel); interpolative: durch Interpolation bezüglich eines konstanten Intervalls. Üblich sind hierfür %-Werte oder Normalisierung zwischen 0 und 1, beides bezogen auf die Länge des Linearobjektes.
  • die Einheit, in der gemessen wird,
  • Einschränkungen, z. B. dass relative Messung immer in Bezug auf Kilometertafeln zu erfolgen hat.

Ein Entfernungsmaß enthält

  • einen Zahlenwert für die Entfernung,
  • im Falle einer Relativmessung den Verweis auf einen Bezugspunkt (LR_Referent). Bezugspunkte können geometrisch (per Koordinate) oder selbst linear verortet sein (auch über andere Arten von Linearobjekten, als die in der Positionsangabe verwendet werden, zu der das Entfernungsmaß gehört). Als Bezugspunkte sind nur wenige Arten zulässig: Markierungen (z. B. Kilometertafeln), Kreuzungen, Schnittpunkte mit Grenzziehungen (z. B. Landesgrenzen), Landmarken.

Als Linearobjekte kommen in Frage:

  • Features im Sinne des konzeptionellen Modells ISO 19101 (Abstraktionen von Realweltobjekten),
  • „nackte“ Liniengeometrien (GM_Curve) im Sinne des räumlichen Modells ISO 19107
  • „nackte“ gerichtete Graphenkanten (TP_DirectedEdge) nach ISO 19107 Diese müssen aber bestimmte Anforderungen erfüllen:
  • Einen Anfangswert für Positionsangaben auf dem Element
  • Angabe einer Maßeinheit, in der Positionen gemessen werden
  • Angabe einer Default-Messmethode, mit der gemessen wird
  • Die Möglichkeit der Umreferenzierung von Positionsangaben auf äquivalente Positionsangaben, die sich auf andere Objektarten beziehen.

Sie werden dann in der Norm als LR_Feature, LR_Curve und LR_DirectedEdge bezeichnet, wobei für LR_Curve zusätzlich gefordert ist, dass Positionsangaben in Punktkoordinaten umrechenbar und umgekehrt sein müssen.

Dies alles ist so zu verstehen, dass alle Objektarten in Frage kommen, die aus den im letzten Satz genannten durch Vererbung hervorgehen.

Beispiel: Im OKSTRA®-Modell sind Objekte der Klasse „Abschnitt_oder_Ast“ (AoA) Features und es gibt für die Stationierung 0 als Startwert und Meter als Maßeinheit, die übliche Messmethode ist absolute. Solange keine weiteren LRS im OKSTRA® modelliert sind, ist die einzige mögliche Umreferenzierung die auf andere AoA. (Dies wird im Allgemeinen nicht möglich sein, es sind aber Fälle denkbar, wo das geht, z. B. bei Straßenüberführungen ohne Verkehrsverbindung). Damit der AoA zu einem LR_Feature wird, müsste der OKSTRA® in seinem Referenzmodell eindeutig spezifizieren, wie die Umreferenzierung vorzunehmen ist.

Noch interessanter wird es, wenn im OKSTRA® weitere LRS Eingang finden, zum Beispiel das der Location Codes von RDS/TMC. Es müssten dann sowohl die Umrechnungsregeln von AoA auf Locations als auch umgekehrt im Modell verankert sein, wenn sowohl AoA als auch RDS/TMC Locations zu ISO 19148 konform sein sollen.

Neben dem Basismodell sind in der Norm folgende Erweiterungspakete vorhanden:

LRTR: Hierbei wird die Möglichkeit eingeschlossen, eine Position nicht nur ab einem Bezugspunkt angeben zu können, sondern alternativ auch in Richtung auf einen. Das Verfahren wird z. B. in RDS/TMC genutzt.

LRO: Hierbei können auch abseits eines Linearobjekts liegende Positionen erfasst werden, und zwar durch Angabe von orthogonalen Abständen (Offsets) zusätzlich zum Entfernungsmaß.

LROV: An Knickstellen in einem linearen Verlauf ist eine Lageangabe abseits durch einen Offset nicht eindeutig bestimmt. Verwendet man statt eines Offset jedoch einen Vektor, der an einem Punkt auf dem Linearobjekt angeheftet ist, entfällt diese Schwierigkeit.

Der Standard definiert noch zwei weitere Pakete, LE und LS. Sie definieren einen Mechanismus, der in etwa das leistet wie die Punkt- und Streckenobjekte des OKSTRA®. Auch die segmentierten Attribute aus GDF lassen sich damit abbilden.

Ein LE_Event ist gegeben durch eine Menge von Lageangaben, die ihrerseits durch Entfernungsmaße und Messmethoden gegeben sind. LE_Events tragen zudem einen Attributwert. Die Verwendung von LE_Event ist im einfachsten Falle nun so, dass ein Feature ein Attribut vom Typ LE_Event definiert. Eine Instanz X dieses Features hat nun den Wert, der in dem LE_Event steckt, an den Stellen, die durch die Lageangaben bezogen auf X gegeben sind.

OKSTRA®, OKSTRA kommunal und ISO 19148

Die Norm ISO 19148 erhebt den Anspruch, ein generelles Rahmenwerk für stationsbasierte Referenzsysteme zu sein. Es ist daher verlockend, zu untersuchen, ob sich Konzepte des OKSTRA® und OKSTRA kommunal so in die Sprache der Norm übersetzen lassen, dass der fachliche Gehalt (gegeben z. B. über die ASB) erhalten bleibt. Konkret könnte das etwa so aussehen: ein „Straßenpunkt“ ist eine Spezialisierung einer LR_PositionExpression, die der Einschränkung unterliegt, dass das darin vorkommende LR_LinearElement ein AoA sein muss, d.h. AoA selbst wird eine Spezialisierung von LR_LinearElement sein.

Der Knackpunkt bei einer solchen Unternehmung sind die in der Norm geforderten Umreferenzierungsmethoden. Diese müssten konzeptionell beschrieben werden, eine Einzelanweisung aus einer solchen Beschreibung könnte z. B. lauten „Suche alle Location Codes auf dem vorgegebenen AoA.“ Es wird also nur aufgezählt, was getan werden muss, nicht wie es zu machen ist. Die einleitend genannte „Analyse der Regelwerke…“ hat für ein solches Vorgehen wichtige Vorarbeit geleistet.

Der Vorteil einer Anpassung der nationalen Regelwerke OKSTRA® und OKSTRA kommunal an ISO 19148 läge darin, dass das immer wiederkehrende, komplizierte und leidige Problem der Transformation von Daten von einem Netz in ein anderes konzeptionell auf der Schemaebene auf eine standardisierte Weise gelöst werden könnte.