FGSV-Nr. FGSV 002/106
Ort Stuttgart
Datum 02.04.2014
Titel Integrierte Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung zur Erhöhung der Fahrerzufriedenheit
Autoren Ralf Borndörfer, Bastian Dittbrenner, Andreas Langenhan, Stephan Seidl, Steffen Weider
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Wir stellen einen mathematischen Optimierungsansatz zur integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung im öffentlichen Nahverkehr vor, mit dem sich bei konstanten Personalkosten die Fahrerzufriedenheit deutlich steigern lässt.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Die Dienst- und Dienstreihentolgeplanung sind die beiden Teilschritte des Planungsprozesses im öffentlichen Nahverkehr, die den Personaleinsatz bestimmen [1]. In der Dienstplanung werden die (aus der vorgelagerten Umlaufplanung resultierenden) Fahrtätigkeiten für einen gegebenen Verkehrstag mit einer Menge an Tagesdiensten für die Fahrer überdeckt. In der Dienstreihentolgeplanung werden daraus Dienstreihenfolgen zusammengestellt, d.h. Abfolgen von Diensten über einen Planungshorizont von mehreren Wochen. Wie die Dienste müssen auch die Dienstreihenfolgen einem umfangreichen Regelwerk genügen, insbesondere den Be­ stimmungen des Arbeitszeitgesetzes.

Aufgrund der hohen Komplexität der Dienst- und der Dienstreihenfolgeplanung werden diese beiden Planungsschritte traditionell sequentiell ausgeführt. Das hat den Nachteil, dass die erzeugten Tagesdienste im Allgemeinen keine optimale Ausgangsbasis für die Dienstreihenfolgeplanung darstellen, d.h. das Problem der integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung wird sequentiell nicht optimal gelöst. Da die deutschen Nahverkehrsbetriebe durchschnittlich etwa 50% ihrer operativen Kosten für Personal aufwenden [10, 11], liegt hier ein großes, noch weitgehend ungenutztes Potenzial.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Ausgleich zwischen der Kostenminimierung, die normalerweise bei der Dienstplanung im Vordergrund steht, und der Fahrerzufriedenheit, die sich in besonderem Maße an der Dienstreihenfolge fest macht. Viele Verkehrsunternehmen kämpfen derzeit mit Nachwuchsproblemen. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben beträgt z.B. das Durchschnittalter der Busfahrer mittlerweile fast 50 Jahre [8]. Da die Spielräume für Gehaltssteigerungen begrenzt sind, wird es umso wichtiger, möglichst gute Arbeitsbedingungen zu bieten, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Damit rückt die Fahrerzufriedenheit als Zielkriterium immer stärker in den Vordergrund. Idealerweise soll ein Dienstreihenfolgeplan bestimmt werden, der die Fahrerzufriedenheit maximiert, ohne wesentliche Zusatzkosten zu verursachen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die eng zusammenhängenden Probleme der Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung integriert gelöst werden.

2 Planungsprozeß im ÖPNV

Der Personalplanungsprozeß im ÖPNV erfolgt je nach Verkehrsunternehmen in verschiedenen Schritten [7]. Im ersten Schritt werden aber immer Fahrdienste geplant. Ein Fahrdienst ist eine Abfolge von Tätigkeiten und Pausen, die ein Fahrer an einem Betriebstag durchführen kann. Ein Fahrdienst muss gesetzlichen Regeln, wie z.B. dem Arbeitszeitgesetz und der Lenkzeitverordnung, tariflichen und betrieblichen Regeln genügen [4].

Die zu verplanenden Tätigkeiten sind die Fahrgast- und Leerfahrten eines Umlaufplans sowie ergänzende Tätigkeiten, die z.B. beim Fahrerwechsel oder am Anfang und Ende eines Umlaufs durchgeführt werden. Ein Betriebstag ist eine Zusammenfassung von Tagen mit denselben zu verplanenden Tätigkeiten und Regeln. Typischerweise gibt es unterschiedliche Betriebstage für Werktage, Wochenenden und Feiertage, da sich an diesen Tagen die Fahrpläne erheblich unterscheiden. Die Fahrdienste müssen am Ende des Planungsprozesses konkreten Fahrern an bestimmten Kalendertagen zugeordnet sein, so dass alle Regeln eingehalten werden.

Als Zwischenschritt erzeugen viele Verkehrsunternehmen einen Dienstreihenfolgeplan über einen bestimmten Planungshorizont (z.B. 4 oder 8 Wochen), in dem die Fahrdienste anonymen Fahrern zugeordnet werden. Ein Dienstreihenfolgeplan wird typischerweise tabellarisch als Gantt-Chart dargestellt. Bild 1 zeigt eine Sicht des Systems IVU. plan. Dort werden in jeder Zeile die Dienste eines Fahrers für den betrachteten Planungszeitraum aufgelistet. Die Anzahl der Zeilen entspricht damit der Anzahl der benötigten Fahrer. Die Dienstreihenfolgen sind hier noch anonym, d.h. es werden weder aufgelaufene Arbeitszeitkontostände noch Qualifikationen oder Abwesenheitszeiten berücksichtigt. Den Dienstreihenfolgen müssen im nächsten Planungsschritt konkrete Fahrer zugeordnet werden; dies ist aber nicht Thema dieser Arbeit.

Bei der Dienstreihenfolgeplanung sind Vorschriften über tägliche und wöchentliche Ruhezeiten zu beachten, die in der EU-Verordnung 561/2006 über Lenk- und Ruhezeiten [6] und der "Deutschen Fahrpersonalverordnung" [5] festgelegt sind. Diese besagen vor allem, dass zwischen zwei Fahrdiensten mindestens 11 Stunden Ruhezeit liegen muss. Außerdem muss in jeder Woche mindestens einmal eine zusammenhängende Ruhezeit von 48 Stunden gewährt werden. Diese darf auf 24 Stunden verkürzt werden, die Verkürzung muss dann aber in einem bestimmten Zeitraum ausgeglichen werden.

Bild 1: Tabellarischer Dienstreihenfolgeplan.

Bild 2: Wochenenddienste unzusammenhängend versus zusammenhängend.

Das Ziel der Dienstreihenfolgeplanung ist es, in jeder Woche möglichst wenig von einer vorgegebenen durchschnittlichen bezahlten Arbeitszeit abzuweichen (also möglichst wenige Über­ und Minusstunden zu planen) und die freien Wochenenden günstig zu verteilen. Bild 2 zeigt als Beispiel eine Dienstreihenfolge über 7 Tage mit zusammenhängenden Wochenendiensten (oben) im Vergleich zu einer Lösung, bei der Dienste über mehrere Wochenenden verteilt sind (unten). Die obere Lösung wird meist von den Mitarbeitern favorisiert, die untere von Arbeitsmedizinern. Jeder Betrieb muss für solche Zielkonflikte die für ihn beste Lösung finden. Es gibt über diese Beispiele hinaus natürlich noch viele weitere Ziele wie z.B. die Vermeidung isolierter Dienste wie in Bild 3 illustriert. All diese Ziele und Regeln können und müssen von den Verkehrsbetrieben in detaillierter Form berücksichtigt werden, wir wollen uns aber hier auf die wesentlichen Aspekte beschränken.

In der Praxis treten auch noch andere Varianten der Dienstreihenfolgeplanung als die oben beschriebene auf. So kann z.B. in einem Zwischenschritt die sogenannte Freifolge (Folge der freien Tage) festgelegt werden, bevor auf dieser Basis Dienstreihenfolgen geplant werden. Häufig wird auch ein zyklischer Dienstreihenfolgeplan als sogenanntes Wochenschema gebildet, in dem die Fahrer die Dienste einer Zeile nach der anderen "durch das Schema rotierend" durchführen. Dadurch haben alle Fahrer, nachdem sie einmal den gesamten Plan durchlaufen haben, dieselben Dienste in derselben Reihenfolge durchlaufen, was als gerecht empfunden wird. Außerdem ist auf diese Weise eine kompakte und übersichtliche Darstellung des Dienstreihenfolgeplans möglich. Teilweise wird auch komplett auf Dienstreihenfolgeplanung verzichtet; dann werden die Fahrdienste direkt konkreten Fahrern zugeordnet.

Bild 3: Isolierter Dienst versus zusammenhängende Dienste.

Allen Personalplanungsprozessen gemeinsam ist aber, dass man bessere Ergebnisse erzielen kann, wenn man Anforderungen der Dienstreihenfolgeplanung bei der Dienstplanung antizipiert. In der Praxis versucht man, in der Dienstplanung durch geeignete Dienstmixbedingungen oder Bewertungen eine gute Ausgangsbasis für die nachfolgende Dienstreihenfolgeplanung zu schaffen. Merkt man z.B., dass am Freitag Spätdienste fehlen, begünstigt man deren Bildung ein wenig und/oder gibt eine geschätzte Mindestzahl vor. Man probiert dann diese Einstellungen aus, analysiert das Ergebnis und iteriert gegebenenfalls. Eine der häufigsten Fragen bei der Benutzung von Optimierungssystemen ist dann natürlich, welche Parameter man einstellen sollte oder wie man das am besten herausfindet. Die integrierte Dienst- und Dienstreihenfolge­ planung ist ein Schritt in Richtung auf eine weitgehende Automatisierung und Vereinfachung genau dieses iterativen Parametrisierungsprozesses.

3 Integrierte Dienst- & Dienstreihenfolgeplanung

Die Einzelprobleme der Dienst- und Dienstreihenfolgeoptimierungsind bereits sehr schwierig, ihre integrierte Behandlung ambitioniert. Das ist vermutlich der Grund, warum die Literatur zur integrierten Optimierung der Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung sehr übersichtlich ist. Der einzige uns bekannte Ansatz stammt von Mesquita, Moz, Paias und Pato [12]. Diese Arbeit stellt ein integriertes Modell zur Umlauf-, Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung vor, das als ein ganzzahliges lineares Programm formuliert wird. Dieses Problem wird mit Hilfe einer Benders­Dekomposition in zwei Teilprobleme zerlegt, wobei die Dienstreihenfolgeplanung als Subproblem und die integrierte Umlauf- und Dienstplanung als Masterproblem behandelt wird. Master­ und Subproblem werden immer abwechselnd mit Hilfe der Optimierungs-Software CPLEX 11.0 gelöst. Dieser Prozess wird über 10 Iterationen durchgeführt. Die Autoren berichten von der Lösung realer Instanzen mit vier Fahrzeugdepots und bis zu 238 Fahrplanfahrten pro Woche sowie von Eindepotproblemen mit bis zu 280 Fahrplanfahrten pro Woche, der Planungshorizont beträgt jeweils sieben Wochen. Die Dienstreihenfolgeregeln verlangen im wesentlichen eine zyklische Verteilung freier Tage. Auf diese Weise werden bereits einige Dienstreihenfolgeregeln wie etwa die minimale Anzahl an freien Tagen pro Woche (in diesem Fall ein Tag) erfüllt. Die erzeugten Dienstreihenfolgen sind aber nicht zyklisch.

Wir verfolgen in dieser Arbeit eine ähnliche Idee, die ebenfalls auf einer Benders-Dekomposition der integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung basiert. Abgesehen davon, dass wir keine Optimierung von Fahrzeugumläufen betrachten, unterscheidet sich unser Ansatz vom oben beschriebenen dadurch, dass wir die Dienstreihenfolgeplanung nicht auf Basis von Diensten, sondern auf Basis von Dienstschablonen durchführen.

Dienstschablonen sind Mengen oder Klassen von Diensten, die durch Eigenschaften charakterisiert sind, die für die Dienstreihenfolgeplanung als relevant angesehen werden, siehe auch [3]. Typische Attribute einer Dienstschablone sind die Festlegung von Zeitfenstern für Dienstbeginn, -ende oder Dienstdauer oder eine Überdeckung bestimmter Tätigkeiten. "Frühdienst" ist z.B. eine (sehr grobe) Dienstschablone.

Unsere Idee ist, die Dienstreihenfolgeplanung auf Basis von Dienstschablonen durchzuführen, d.h. unsere Dienstreihenfolgen sind Reihenfolgen von Dienstschablonen. Dies hat den Vorteil, dass wir durch die Zusammenfassung von Diensten in Schablonen in der Dienstreihenfolgeplanung auf die für diesen Planungsschritt relevante Information fokussieren. Wir erreichen dadurch eine wesentliche Verkleinerung des Optimierungsmodells, da zum einen die Anzahl der möglichen Dienstreihenfolgen wesentlich geringer ist und zum anderen die Anzahl der Kopplungsbedingungen von der Anzahl der Dienste auf die Anzahl der Dienstschablonen reduziert wird. Das erlaubt die Lösung von größeren und komplexeren Szenarien. Dieser Vorteil wird natürlich durch eine gewisse Unschärfe in der Planung und durch eine Abhängigkeit des Ergebnisses von der Konstruktion der Schablonen erkauft. Insbesondere müssen die Dienstreihenfolgen in einem nachgelagerten Schritt noch mit konkreten Diensten unterlegt werden. Je nachdem, wie die Schablonen konstruiert werden, verhält sich das Modell dabei eher optimistisch oder eher konservativ. Wir verwenden in diesem Artikel zur Repräsentation einer Schablone einen konkreten Dienst, der die Eigenschaften der Dienste in der Schablone "möglichst gut repräsentiert". Es hat sich gezeigt, dass die Unterlegung dieser Durchschnittsdienste mit konkreten Diensten in der Praxis unkritisch ist.

Die eigentliche Lösung des integrierten Modells zur Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung erfolgt mit Hilfe einer Benders-Dekomposition. Dabei werden die beiden Teilprobleme des Modell abwechselnd mehrmals hintereinander gelöst:

•    für einen gegebenen Dienstplan wird das (duale) Problem der Dienstreihenfolgeplanung auf Basis von Schablonen als sogenanntes Subproblem gelöst; es liefert Bedingungen, sogenannte Benders-Schnittebenen, für den nächsten zu berechnenden Dienstplan,

•    das Dienstplanungsproblem, ergänzt um die berechneten Benders-Schnittebenen zur Antizipation der Anforderungen aus der Dienstreihenfolgeplanung, wird als sogenanntes Masterproblem gelöst.

Dieser Prozess wird im Gesamtverfahren iteriert. Durch die Benders-Schnittebenen wird Information von der Dienstreihenfolgeplanung zur Dienstplanung transportiert, mit der die Lösungen der beiden Planungsprobleme zu einer optimalen Gesamtlösung synchronisiert werden. Diese Benders-Schnittebenen kann man als auf numerische Weise systematisch bestimmte Dienstmixbedingungen sehen, wie sie prinzipiell auch bei der manuellen Abstimmung verwendet werden.

Als Solver für das Master- und das Subproblem verwenden wir zwei Optimierungskomponenten aus der IVU.plan-Familie [13]. Die Dienstreihenfolgeplanung wird von dem Wochenschema-Optimierer WS-OPT gelöst, genauer gesagt mit einer Spezialversion für azyklische Planung, die auch zulässige Dualvariablen erzeugt. Das Masterproblem der Dienstplanoptimierung wird mit dem Optimierer DS-OPT gelöst [2]. Dieses System behandelt allgemeine Senders-Schnittebenen mit Hilfe einer Lagrange-Relaxierung. Wir müssen in unserem Verfahren daher (unabhängig von anderen Problemen) mit dem Auftreten einer Dualitätslücke rechnen. Dafür dekomponiert das Dienstplanungsproblem bei unserem Ansatz nach Betriebstagen und kann parallel gelöst werden.

4 Mathematisches Modell

Wir schlagen folgende Formulierung des Problems der integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeproblems als ganzzahliges Programm auf Basis von Dienstschablonen vor:

Formel (1) siehe PDF.

Dabei bezeichnet T die Menge der zu verplanenden Tätigkeiten, D die Menge der zulässigen Dienste und M eine Menge von sogenannten Dienstmixbedingungen. Mit Binärvariablen xd für die Verwendung von Dienst d ED stellt (ISP) (1,2,7) zusammen mit den Dienstkosten c in der Zielfunktion ein Standard-Set-Partitioning-Modell (DSP) zur Dienstplanoptimierung dar. Die Bedingungen (ISP) (1) garantieren, dass jede Tätigkeiten genau einmal durchgeführt wird, mit den Mixbedingungen (ISP) (2) kann man die Verteilung der Dienstarten, gewünschte durchschnittliche bezahlte Zeiten etc. steuern.

Analog bezeichnet S eine Menge von (Dienst-)Schablonen zur Bildung von Dienstreihenfolgen, die Menge der zulässigen Dienstreihenfolgen und eine Menge von Mixbedingungen für Dienstreihenfolgen. Mit ganzzahligen Variablen y, für die Anzahl der Verwendungen der Dienstreihenfolge und den zugehörigen Kosten f stellt (ISP) (3-6) ein Modell (RSP) zur Dienstreihenfolgeplanung dar, das abgesehen von Schablonen ebenfalls Standard ist. Die Schablonen werden in den Kopplungsbedingungen (ISP) (4) eingesetzt, um mit Hilfe eines Dienstrepräsentanten d(s) sicherzustellen, dass die richtige Anzahl an Dienstreihenfolgen gebildet wird, um alle Dienste aus Schablone s abzudecken. Dazu wird ein Repräsentant ggf. mehrfach verwendet. Damit dies funktioniert, muss die Menge der Schablonen die Menge der Dienste partitionieren, d.h. jeder Dienst muss in genau einer Schablone enthalten sein.

Wählt man für jeden Dienst eine eigene Schablone, d.h. S = D, dann stellt (ISP)(S = D) ein exaktes Modell zur integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung, das dem Ansatz von Mesquita, Moz, Paias und Pato [12) ohne den dort noch zusätzlich betrachteten Umlaufplanungsteil entspricht. Das Hauptproblem an diesem Ansatz ist die große Anzahl an Kopplungsbedingungen (ISP) (4). Von diesen gibt es eine Gleichung je möglichem Dienst. Da die Anzahl der Dienste asymptotisch exponentiell mit der Anzahl der zu verplanenden Tätigkeiten wächst, entstehen bei Problemen üblicher Größe schnell Millionen oder Milliarden von Ungleichungen. In Kombination mit der ebenfalls exponentiell wachsenden Anzahl an Variablen heißt das, dass dieses Modell in der Praxis nur für kleine Instanzen lösbar ist.

Die Verwendung von Dienstschablonen kann die Anzahl der Kopplungsbedingungen im Vergleich zum exakten Modell erheblich reduzieren. Anstelle von einer Gleichung je Dienst wird nur noch eine Gleichung je Schablone benötigt. Der Preis für diese Komplexitätsreduktion ist natürlich, das die Qualität des Modells stark von der Wahl der Schablonen und ihrer Repräsentanten abhängt.

5 Senders-Dekomposition

Zur Lösung des Modells (ISP) bietet sich eine Dekomposition nach Senders an. Damit lässt sich ein integriertes Optimierungsproblem lösen, indem man es in seine Teilprobleme zerlegt und diese in geeignet modifizierter Form abwechselnd mehrfach hintereinander löst. Im lterationsprozess werden die Lösungen der Teilmodelle durch den Austausch von Informationen synchronisiert. In unserem Fall wird das Ergebnis einer Dienstplanoptimierung in das Teilm­ odell zur Dienstreihenfolgeplanung eingespeist, um dort sogenannte Senders-Schnittebenen abzuleiten. Diese Senders-Schnittebenen steuern das Dienstplanungsmodell als numerische Dienstmixbedingungen. Damit wird ein neuer Dienstplan berechnet usw., bis das Modell konvergiert.

Zur Ableitung der Senders-Schnittebenen wird die LP-Relaxierung des Untermodells (RSP) zur Dienstreihenfolgeplanung in dualisierter Form als Benders-Subproblem betrachtet:

Formel (2) siehe PDF.

Dieses LP ist äquivalent zu

Formel (3) siehe PDF.

wobei J die Menge der Ecken des polyedrischen Zulässigkeitsbereiches von (DRSP) ist. Man beachte, dass in unserem Fall der Zielfunktionswert von (DRSP) beschränkt ist, da das Modell (RSP) so konstruiert wird, dass es immer eine zulässige Lösung hat.

Einsetzen von z in (ISP) liefert das Benders-Masterproblem

Formel (4) siehe PDF.

mit den Benders-Schnittebenen (BDSP) (3). Wenn man diese alle auf einen Schlag berechnen könnte, bräuchte man nur eine Iteration, um einen optimal auf die Dienstreihenfolgeplanung (genauer: deren LP-Relaxierung) abgestimmten Dienstplan zu berechnen.

Effizienter als eine vollständige Enumeration aller Ecken ist eine iterative Bestimmung der relevanten Benders-Schnittebenen mit Hilfe eines Schnittebenenverfahrens. Dazu arbeitet man mit einer Teilmenge der Benders-Schnittebenen, initial mit der leeren Menge. Die Lösung des Subproblems (DRSP) für diese Teilmenge J ist dann eine untere Schranke für den optimalen Zielfunktionswert, und (BDSP) bzgl. J eine Relaxierung des Masterproblems. Durch die Lösung des Subproblems wird in jeder Iteration festgestellt, ob es noch verbesserende Benders-Schnittebenen gibt; falls ja, werden diese hinzugefügt.

Die Benders-Schnittebenen haben fast die gleiche Form wie Mixbedingungen, so dass man grundsätzlich ein Verfahren zur Dienstplanoptimierung direkt zur Lösung des Masterproblems verwenden kann. Aus technischen Gründen ist unser Dienstoptimierungsalgorithmus aber derzeit nicht zur Behandlung beliebiger Mengen von Benders-Schnittebenen geeignet. Wir verwenden daher eine Lagrange-Relaxierung der Benders-Schnittebenen [9]:

Formel (5) siehe PDF.

Durch eine Berechnung der optimalen Lagrange-Multiplikatoren vereinfacht sich dieses Problem zu einem Modell, das genau die Form eines Dienstplanungsproblems (DSP) hat:

Formel (6) siehe PDF.

Hierbei ist

Formel (7) siehe PDF.

Die optimalen Lagrange-Multiplikatoren lassen sich mit verschiedenen Verfahren bestimmen, z.B. mit einem Bündel- oder Subgradientenverfahren. Dies erfordert allerdings einigen Rechenaufwand. Brauchbare Näherungslösungen lassen sich aber auch einfach erraten. Wir verwenden in diesem Artikel eine einfache Durchschnittsgewichtung, siehe auch Abschnitt 6.

Damit sind alle Komponenten unseres Algorithmus beschrieben. Am Ende der Benders-lteration muss natürlich noch der aus Schablonen gebildete Dienstreihenfolgeplan mit den bei der letzten Dienstplanoptimierung bestimmten Diensten unterlegt werden (was hoffentlich klappt). Insgesamt schlagen wir den folgenden Algorithmus 1 zur näherungsweisen Lösung des Modells (ISP) mit Hilfe des beschriebenen Benders-Dekompositions-Verfahren vor:

6 Rechenergebnisse

Wir testen unser Verfahren an zwei realen Planungsszenarien eines großen städtischen deutschen Verkehrsbetriebes. Diese Szenarien enthalten jeweils drei verschiedene Betriebstage: Einen Betriebstag, der für die Wochentage Montag bis Freitag gültig ist, den Betriebstag Samstag und den Betriebstag Sonntag. Tabelle 1 enthält einige Kennzahlen zu den Szenarien: Die Anzahl Dienstelemente je Betriebstag, die Anzahl der jeweils benötigten Dienste in der sequentiellen Lösung und die Rechenzeit in Minuten:Sekunden für die Lösung des zugehörigen Dienstplanungsproblems (ohne Senders-Schnittebenen).

Tabelle 1: Planungsszenarien klein und groß.

Wir führen in unseren Rechnungen jeweils 30 Senders-Iterationen durch, d.h. es werden für jedes Szenario jeweils 30 Dienstplanoptimierungen und 30 Dienstreihenfolgeoptimierungen ausgeführt. Die Dienstplanungsprobleme werden voneinander unabhängig für die einzelnen Wochentage gelöst. Der Planungszeitraum für die Dienstreihenfolgeplanung beträgt 3 Wochen, d.h. jeder Dienst muss 3 mal verplant werden. Die Lagrange-Multiplikatoren für die Senders-Schnittebenen im Masterproblem werden so gewählt, dass alle Senders-Cuts das­ selbe Gewicht erhalten. Das hat in unseren Tests die besten Ergebnisse erzielt.

Unsere Szenarien beinhalten für das Teilproblem der Dienstreihenfolgeplanung folgende wesentliche Kostenfaktoren:

•    Kosten pro Zeile: Jede Zeile (d.h. jeder Mitarbeiter) hat einen Kostenfaktor von 2 Einheiten.

•    Unterschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit: Es soll jede Woche 39 Stunden gearbeitet werden. Überschreitungen werden mit 0,7 Einheiten pro Stunde, Unterschreitungen mit 1,5 Einheiten je Stunde bestraft.

•    Isolierte Dienste: Es sollen mindestens zwei Tage mit Diensten aufeinanderfolgen, jede Unterschreitung, d.h. jeder Tag mit einem Dienst, vor und nach dem ein Tag frei ist, wird mit 1 Einheit bestraft.

•    Zusammenhängende Wochenenden: Ein Wochenende soll entweder komplett frei sein oder beiden Tagen sollen Dienste zugewiesen sein. Eine Verletzung dieser Regel kostet 2,5 Einheiten.

Die Anzahl der benötigten Zeilen in einem Dienstreihenfolgeplan ist im wesentlichen durch die Arbeitszeit in den zu verplanenden Diensten und die Vorgabe der wöchentlichen Arbeitszeit festgelegt. Es kann natürlich passieren, dass die wöchentliche Arbeitszeit aus planerischen Gründen nicht erreicht werden kann, dann werden mehr Zeilen benötigt. Ein Reduzierung des Zielfunktionswertes der Dienstreihenfolgeplanung kann daher hauptsächlich durch Reduktion der anderen Kostenfaktoren erreicht werden.

Tabelle 2: Ergebnisse keines und großes Szenario.

Tabelle 2 stellt die Ergebnisse dar. Die Spalten 2 bis 4 sind für das kleine Szenario. Die Spalte "sequentiell" enthält die Resultate einer klassischen sequentiellen Planung: Es wurde erst eine Dienstplanung und dann eine Dienstreihenfolgeplanung durchgeführt. Die Spalte "exak1" enthält die Ergebnisse für eine exakte Kopplung, d.h. es wurde nicht auf Basis von Schablonen, sondern auf Basis einzelner Dienste gekoppelt. Die Spalte "Schablonen" enthält die Resultate unseres Benders-Dekompositions-Algorithmus 1 auf Basis von Schablonen. Als Schablonen wurden dabei Dienstmengen gewählt, die durch ein gemeinsames Start- und Endzeitfenster charakterisiert sind. Dazu wurde der zu planende Betriebstag in Zeitfenster von 2 Stunden Länge unterteilt. Eine Schablone s wird dann definiert durch ihr Startzeitintervall i1 (s) und ihr Endzeitintervall i2(s), d.h. es gehören alle Dienste zur Schablone s, die im Intervall i1 (s) beginnen und im Intervall i2(s) enden. Es gibt damit maximal 66 verschiedene Schablonen je Tag, maximal 462 Schablonen für eine Woche und maximal 1.386 Schablonen für den Planungshorizont von 3 Wochen. Als Repräsentanten d(s) für eine Schablone s wählen wir einen Dienst, der in der Mitte des Intervalls i1(s) beginnt und in der Mitte des Intervalls i2(s) endet. Schablonen, die nur die Startzeit eines Dienstes berücksichtigen, haben sich nicht bewährt.

Die Zeile "Zielfunktionswert" enthält die Summe der Zielfunktionswerte des Dienstplanungs­ und des Dienstreihenfolgeteils des Gesamtproblems. Die folgenden zwei Zeilen enthalten die Zielfunktionswerte der Teilprobleme. Dann folgen vier Zeilen mit charakteristischen Kennzahlen der Dienstreihenfolgepläne entsprechend den beschriebenen Kostenbestandteilen. Die Zeile "Laufzeit" enthält die Gesamtlaufzeit in Stunden:Minuten.

Es ist deutlich zu erkennen, dass die integrierte Planung bei praktisch unveränderten Dienstplanungskosten deutlich bessere Ergebnisse in der Dienstreihenfolgeplanung liefert als die sequentielle Planung, wobei der größte Teil der Verbesserung aus der Reduktion der nicht zusammenhängenden Wochenenddienste stammt. Die exakte Kopplung liefert etwas bessere Ergebnisse als die schwächere Kopplung der Teilprobleme über Schablonen. Dies wird leider mit erheblich höheren Rechenzeiten erkauft.
Die Ergebnisse für das große Szenario sind vergleichbar mit dem kleineren. Wir haben jedoch die Rechnungen für die exakte Kopplung nicht durchgeführt, da die erwartete Laufzeit (ca. 30mal die Laufzeit des sequentiellen Problems) mit ca. 25 Tagen zu groß war.

Die Abbildungen 4 und 5 visualisieren die finalen Dienstreihenfolgepläne für das kleine Szenario. Die blauen Kästchen stellen die verplanten Dienste dar. Die gelben Balken sind die Wochenruhezeiten. Rote Balken sind Wochenruhezeiten für Wochenenden, an denen ein Tag gearbeitet wird. Jede Zeile entspricht dem Einsatz eines Mitarbeiters über drei Wochen. Man erkennt eine deutliche Reduktion dieser unzusammenhängenden Wochenenden in der inte­ grierten Lösung im Vergleich zur sequentiellen Lösung. Das ist genau das Resultat, das man erreichen möchte.

7 Fazit

Bei Einsatz entsprechender Rechenresourcen ist es möglich, bestehende Optimierungskomponenten zur Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung durch intelligente iterierte Anwendung automatisch so aufeinander abzustimmen, dass ein insgesamt wesentlich besseres Planungsergebnis erzielt werden kann und eine manuelle Abstimmung entfällt. Im hier betrachteten Fall der integrierten Dienst- und Dienstreihenfolgeplanung konnte die Fahrerzufriedenheit deutlich erhöht werden, ohne dass Mehrkosten in der Dienstplanung anfallen. Wir hoffen, dass sich diese Ergebnisse auf weitere Probleme in der Planungskette übertragen lassen. Auf diese Weise können nochmals erhebliche Verbesserungspotenziale im ÖPNV gehoben werden.

Bild 4: Dienstreihenfolgeplan bei sequentieller Planung.

Bild 5: Dienstreihenfolgeplan bei integrierter Planung.

Literatur

[1] Borndörfer, R.; Grötschel, M.; Jaeger, U. Planungsprobleme im öffentlichen Verkehr. In Grötschel, M.; Lucas, K.; Mehrmann, V. (Hrsg.), PRODUKTIONSFAKTOR MATHEMATIK – Wie Mathematik Technik und Wirtschaft bewegt, acatech DISKUTIERT, S.127-153. aca­tech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Springer, 2008. ZIB Report 08-20.

[2] Borndörfer, R.; Grötschel, M.; Löbel, A. Duty scheduling in public transit. In Jäger, W.; Krebs, H.-J. (Hrsg.), MATHEMATICS- Key Technology for the Future, S.653-674. Springer Verlag, Berlin, 2003. ZIB Report 01-02.

[3] Borndörfer, R.; Langenhan, A.; Löbel, A.; Schulz, C.; Weider, S. Duty scheduling templates. Public Transport, 2013. DOl 10.1007/s12469-013-0064-x.

[4] Borndörfer, R.; Löbel, A.; Strubbe, U.; Völker, M. Zielorientierte Dienstplanoptimierung. In Heureka '99: Optimierung in Verkehr und Transport, S.171-194, Köln, 1999. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. ZIB Preprint SC-98-41.

[5] Bundesministerium der Justiz. Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonalverordnung – FPersV). Zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 6 G v. 19.12.11.

[6] Europäisches Parlament und Rat. Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates.

[7] Fengler, W.; Kolonko, M. Entwicklung von Fahrplänen unter mehrfacher Zielsetzung. Der Nahverkehr, 11/97:45–48, 1997.

[8] Kurpjuweit, K. BVG-Chefin Nikutta im Interview: Für eine Preiserhöhung ist es zu spät. Der Tagesspiegel vom 03.08.2011, 2011.

[9] Lemarechal, C. Lagrangian relaxation. In Jünger, M.; Naddef, D. (Hrsg.), Computational Combinatorial Optimization, Band 2241 von Lecture Notes in Computer Science, S.112-156. Springer, 2001.

[1O] Leuthardt, H. Kostenstrukturen von Stadt-, Oberland- und Reisebussen. Der Nahverkehr, 6:19--23, Juni 1998.

[11] Leuthardt, H. Betriebskosten von Stadtbahnen. Der Nahverkehr, 10:14--17, 2000.

[12] Mesquita, M.; Moz, M.; Paias, A.; Pato, M. A decomposition approach for the integrated vehicle-crew-roster problem with days-off pattern. Universidade de Lisboa – Centro de lnvestigao Operacional – CIO – Working paper n 212012, 2012.

[13] Scholz, G. IT-Systeme für Verkehrsunternehmen. dpunkt, 2011.