FGSV-Nr. FGSV 001/26
Ort Bremen
Datum 28.09.2016
Titel Fahrzeug-Rückhaltesysteme in der Zukunft
Autoren RDir. Dipl.-Phys. Uwe Ellmers
Kategorien Kongress
Einleitung

Bereits als in den 1990er-Jahren die Fahrzeugsicherheitseinrichtung ,,Elektronisches Stabi litätsprogramm (ESP)" eingeführt worden ist, gab es unter Experten Diskussionen darüber, ob Fahrzeug-Rückhaltesysteme am Fahrbahnrand oder in der Mitte von Autobahnen noch notwendig sind. Insbesondere die im Bereich der Fahrzeugsicherheit Tätigen vertraten die Meinung, dass nun die Anzahl der von der Fahrbahn abkommenden Fahrzeuge gering sein würde. Heute, ca. 20 Jahre später, hat ESP in Deutschland eine Ausstattungsquote von 73 % erreicht und seine Berechtigung und positive Wirkung auf die Fahrzeugsicherheit, respektive allgemeine Verkehrssicherheit, längst unter Beweis gestellt. Allerdings zeigt die amtliche Unfallstatistik, die auch das Merkmal ,,Aufprall auf Schutzplanke1)" enthält, dass die Anzahl der Unfälle unter Beteiligung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen relativ gesehen über die letzten 10 Jahre eher konstant geblieben ist. D. h. die Prognosen bzgl. dieser aktiven Sicherheitseinrichtung im Hinblick auf die Unfallart ,,Abkommen von der Fahrbahn" und Anprall an Schutzeinrichtungen waren zu optimistisch und Schutzeinrichtungen haben zumindest bis heute ihre Daseinsberechtigung gehabt. Ähnliche Diskussionen gibt es jetzt wieder mit Blick auf das Automatisierte Fahren. Wagt man einen ganz weiten Blick in die Zukunft, dann kann davon ausgegangen werden, dass bei einem nahezu vollständigen Automatisierten Fahren wohl tatsächlich nur noch eine geringe Zahl an Unfällen überhaupt zu registrieren sein wird und dann wohl auch Fahrzeug-Rückhaltesysteme für die Verkehrssicherheit keine wesentliche Rolle mehr spielen werden. Wann das allerdings sein wird, vermag keiner zu sagen, denn wie sagte schon Mark Twain: ,,Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen". Legt man die Darstellungen des VDA (s. www.vda.de) zugrunde, kann der Beginn des hochautomatisierten Fahrens auf Auto bahnen im Jahr 2020 liegen, für Landstraßen existiert noch keine veröffentlichte Prognose. Interessant wäre zu wissen, ab welchem Automatisierungsgrad der Nutzen von Fahrzeug- Rückhaltesystemen geringer wird als der Aufwand für deren Einsatz und Erhalt. Es wird einen Zeitpunkt geben, ab dem – ­ unter den Voraussetzungen gleichbleibender Sicherheitsphilosophie und -niveau – ­ ein wirtschaftlicher Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in dem heutigen Umfang nicht mehr sinnvoll sein wird. In einer graphischen Darstellung wäre das der Schnittpunkt der Kurven des Automatisierungsgrades und des Nutzen/Kostenverhältnisses. Sicher werden dann noch vorhandene Systeme nicht rückgebaut, zumindest nicht dort wo sie nicht nachteilig für andere Verkehrsteilnehmer wie z. B. Motorradfahrer sind, aber einen Neu bau wird es dann nicht mehr geben. Dieser Zeitpunkt ist mit den heute vorliegenden Daten und Erkenntnissen jedoch nicht seriös vorhersagbar. Ein deutlich leichter zu treffenderer Blick in die Zukunft von Fahrzeug-Rückhaltesystemen ist für das Themenfeld der Simulation von Anprallvorgängen möglich. Nicht zuletzt weil dieses Thema bereits durch die Automobilindustrie einige Entwicklungsstufen erklommen hat. Gegen wärtig werden Simulationen in erster Linie für die Entwicklung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen eingesetzt. Auch die europäisch harmonisierte Norm DIN EN 13175:2007+A2:2012/AC:2012 ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Beurteilung von Modifikationen an Fahr­zeug-­Rückhaltesystemen auf Basis von Simulationen. Für nicht harmonisierte Bauprodukte (z. B. Übergangskonstruktionen) sind im europäischen Ausland bereits heute Teilzulassungen anstelle von realen Anprallversuchen mit der Methode der Simulation möglich. Die Hinder­nisse auf dem Weg des kompletten Ersatzes von realen Anprallversuchen durch rechnerge­stützte Simulationen sind vielfältig und tiefgreifend und würden diesen Rahmen sprengen. Die zwingend erforderliche aufwändige Validierung der FE-­Modelle im Einzelnen und des Gesamt­systems aus Schutzeinrichtung, anprallendem Fahrzeug und Untergrund sei hier beispielhaft als ein wesentlicher Grund genannt. Es ist jedoch gut vorstellbar und wünschenswert, dass (verlässliche, d. h. validierte) Simulationsergebnisse zukünftig verwendet werden, um die für die Verkehrssicherungspflicht Verantwortlichen bei Fragen für den Einsatz von geeigneten Fahrzeug-­Rückhaltesystemen zu unterstützen. Bislang wurden solche Entscheidungen bei der Erstellung von Regelwerken und bei Fragen im Einzelfall auf Basis von Erfahrungen und Einschätzung von Experten und wenn vorhanden (langwierigen) Forschungen getroffen. Hier können Simulationen in Zukunft wertvolle Unterstützung bieten und Entscheidungen auf eine breitere Basis stellen. Bevor jetzt aber der Blick zu sehr in die Zukunft gerichtet wird, ist es zweckdienlich noch mal sehr stark den Blick auf das Hier und Jetzt zu richten. Wir haben heute im europäischen Ver­gleich einen guten Ausrüstungsstand in Deutschland erreicht, dennoch sind wir noch nicht so gut aufgestellt, dass alle, die für den Bereich der Fahrzeug­Rückhaltesysteme Verantwortung tragen, sich darauf ausruhen könnten. Nach wie vor besteht für alle in der Sache Beteiligten – und hier ist explizit auch die einschlägige Industrie mit aufgerufen – die Aufgabe, die Ver­kehrssicherheit auf deutschen Straßen auf ein möglichst hohes Niveau zu bringen bzw. das existierende hohe Niveau noch zu verbessern. Fahrzeug-­Rückhaltesysteme haben in der Ver­gangenheit hierzu einen beachtlichen Beitrag geliefert und sollen es auch noch weitere Deka­den tun. Dazu müssen aber bereits existierende bzw. absehbare Aufgabenstellungen in Angriff genommen werden. Als Beispiele seien hier der Schutz vor Baumanprall, die Aufhaltestufe in Mittelstreifen, die Absicherung von Brückenrändern, von der Fahrbahn abkommende Busse sowie konstruktiv Anfangs­ und Endkonstruktionen genannt. Übergeordnet besteht allerdings das bedeutendere Problem, dass die Regeln des europäischen Marktes in Verbindung mit unzureichenden Normen und das Verhalten der einschlägigen Industrie einem Nationalstaat nicht erlauben, seine Sicherheitsphilosophie in notwendiger Weise umzusetzen. Hier Lösun­gen zu finden ist nicht einfach, wird aber die vornehmliche Aufgabe in der nahen Zukunft sein.

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