FGSV-Nr. FGSV 002/127
Ort online-Konferenz
Datum 13.04.2021
Titel Generierung zweiphasiger anforderungsbasierter Ersatzsteuerungen aus Prozessdaten
Autoren Dipl.-Ing. Tanja Weidemann
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Für den Einsatz in Mikroverkehrssimulationen werden die Steuerungen der Lichtsignalanlagen (LSA) oft mit einem Festzeitverhalten oder stark vereinfacht nachgebildet. In solchen Fällen können unbrauchbare Ergebnisse entstehen. Um qualitativ hochwertige Ersatzsteuerungen zu erstellen und zu validieren, wurde ein neuer Ansatz entwickelt, der die im laufenden Betrieb der LSA anfallenden Prozessdaten verwendet. Mithilfe des entwickelten Verfahrens werden die Daten bezüglich der Steuerungsparameter und Bedingungen unter­sucht. Anschließend wird aus den Ergebnissen ein Algorithmus zusammengestellt. Hierfür wurden Grund­pro­gramme und Zusatzmodule entwickelt. Zuletzt werden die Ersatz­steuerungen validiert. Das Verfahren wurde zunächst für LSA, die mit zwei Phasen gesteuert werden, konzipiert. Es wurde zudem anhand von 16 Kasseler LSA mit guten Ergebnissen getestet.

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1 Einleitung

1.1 Motivation

Für den Einsatz in Mikroverkehrssimulationen von größeren Netzen werden oft Ersatz­steuerungen erstellt, die statt des tatsächlichen Verhaltens ein Festzeitverhalten aufweisen (siehe DANDL 2017, [1] und ERLEMANN 2007, [2]) oder das tatsächliche Verhalten stark vereinfachen. Je nach Simulations­zweck ist dies zulässig und kann ausreichend sein (siehe FGSV 2015, [3]). In vielen Fällen, insbesondere jedoch bei einem hohen Grad der Verkehrs­abhängigkeit der LSA und einer Priorisierung des ÖPNV, sind unabhängig von der Art des Simulationsmodells Ersatz­steuerungen vonnöten, die dem realen Verhalten genauer entsprechen, wie auch in (ROHDE 2016, [4]) erläutert. Wenn bspw. Verkehrsverlagerungen untersucht werden sollen, ist die Lage der Freigabezeiten innerhalb des Umlaufs relevant, wenn der Takt oder die Route des ÖPNV geändert werden, ist die Priorisierung von Bedeutung. Da mit rund zwei Dritteln der Groß­teil aller LSA in Deutschland verkehrsabhängig gesteuert wird (siehe FRIEDRICH 2009, [5]), ist dies umso relevanter. Um eine Ersatz­steuerung zu erstellen, die das reale Verhalten möglichst genau nachbildet, werden üblicher­weise die verkehrs­technischen Unterlagen verwendet, sofern der Steuerungs­algorithmus nicht als kompilierter Quellcode vorliegt. In beiden Fällen muss darauf vertraut werden, dass der Quellcode bzw. die Dokumentation korrekt sind. Zudem kann vorliegender proprietärer Quell­code zumeist nicht eingesehen oder geändert werden, weswegen oft die manuelle Erstellung von Ersatzsteuerungen vorgezogen wird. Die Beschaffbarkeit und Korrektheit sowie insbesondere die Vollständigkeit und Begreifbarkeit der verkehrstechnischen Unterlagen ist dabei erfahrungs­gemäß ein eher schwieriges Thema.

Bereits in (CZOGALLA 1999, [6]) wurde beschrieben, dass präzise Nachmodellierungen verkehrsabhängiger Lichtsignalsteuerungen ineffizient sind. Zudem ist die Anfälligkeit für unentdeckte Anwenderfehler sehr hoch (siehe FGSV 2015, [3]). Die Literaturrecherche (siehe WEIDEMANNN 2018, [7]) bestätigt auch heute noch die These aus (HOYER 2004, [8]), dass die Implementierung bzw. Kalibrierung verkehrsabhängiger Lichtsignalsteuerungen in Mikro­verkehrs­simulationen ein eher vernach­lässigtes Thema ist.

Insgesamt ergibt sich aus der Literaturrecherche, dass ein (teil-)automatisiertes Verfahren zur einfachen Generierung von verkehrsabhängigen Ersatzsteuerungen, die korrekt, begreifbar und editierbar sind, fehlt. Basierend auf dieser Feststellung wurde ein Verfahren entwickelt und getestet, welches die im laufenden Betrieb der LSA entstehenden Prozessdaten verwendet, um hieraus Ersatz­steuerungen zu generieren. Der Vorteil ist hierbei, im Vergleich zu verkehrs­technischen Unterlagen oder proprietärem Quellcode, dass die Prozessdaten in jedem Fall das tatsächliche Verhalten der LSA widerspiegeln und als Teil des Verkehrs­managements in der Regel ohne Probleme beschaffbar sind. Zudem bietet das Verfahren Vorteile im Vergleich zu Festzeitsteuerungen, da Verkehrsabhängigkeiten wie eine Prio­ri­sie­rung des ÖPNV, Freigabezeitanpassungen und Phasenanforderungen berücksichtigt werden.

1.2 Phasenerkennung

Prozessdaten entstehen im laufenden Betrieb von LSA und können über Schnittstellen unter anderem zum Verkehrsmanagementsystem übertragen und archiviert werden. In Kassel wird hierzu die offene Schnitt­stellentechnik „OCIT“ (siehe ODG 2004, [9]) verwendet. Hierüber werden unter anderem die Signalgeberzustände, die Detektionsereignisse, die Umlauf­sekunden und die Meldungen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) übertragen (siehe WEIDEMANN 2017, [10]).

Im ersten Schritt erfolgt eine Konsistenzprüfung der Daten (siehe Weidemann 2019, [11]). Hierbei wird geprüft, ob Störungen aufgezeichnet wurden, die Signalbildfolgen Inkonsistenzen aufweisen, die Umlaufsekunden Datenlücken oder Sprünge aufweisen und ob die Meldeketten des ÖPNV vollständig sind. Wird ein Datensatz als konsistent eingestuft, erfolgt im nächsten Schritt die Phasenerkennung (siehe WEIDEMANN 2018, [12]). Das entwickelte Verfahren kann für LSA mit beliebig vielen Phasen eingesetzt werden. Die Grundidee kann (HOYER 2004, [8]) entnommen werden.

Die entwickelte Methodik beinhaltet zunächst die Ermittlung eines eindeutigen numerischen Zustands­bezeichners für jeden Zustand der Signalisierung. Hierbei wird zunächst einer frei­geben­den Signalgruppe eine „1“ und einer sperrenden Signalgruppe eine „0“ zugewiesen. Die Ergebnisse aller Signalgruppen werden in einem Vektor zusammengestellt. Anschließend wird das Skalarprodukt aus diesem Vektor mit der Länge n und einem Vektor mit den Variablen  gebildet. Innerhalb eines Algorithmus werden die entstehenden Zustandsbezeichner verarbeitet und hieraus der Beginn und das Ende von Phasen erkannt. Den erkannten Phasen werden die während der Phase gleichbleibenden Zustandsbezeichner zugeordnet, woraus abschließend die Anzahl von Phasen ableitbar ist.

Das Verfahren wurde mit 83 LSA in Kassel getestet, deren Daten bei der Prüfung als konsistent eingestuft wurden. Hierbei wurden bei 66 % der LSA die Phasen fehlerfrei erkannt. Bei 22 % der LSA lag eine Teilknotensteuerung vor. Diese LSA wurden aus Aufwandsgründen nicht getestet, es ist jedoch anzunehmen, dass die Erkennung auch hier größtenteils funktioniert hätte. Tatsächliche Probleme bei der Erkennung gab es lediglich bei 12 % der LSA. Es handelte sich hierbei größtenteils um große und unübersichtliche Knotenpunkte. Als mögliche Fehlerquellen kamen hier unerkannte Teilknotensteuerungen sowie die Zuordnung von Teilen von Phasenübergängen als Phasen in Frage. Da es sich jedoch um einen kleinen Anteil handelte, erfolgte zunächst keine Betrachtung dieser Sonderfälle.

2 Methodik zur Erzeugung von Ersatzsteuerungen

2.1 Vorgehen

Basierend auf den erkannten Phasen wurde im nächsten Schritt ein Verfahren entwickelt, mit dem die Parameter eines Ersatzsteuerungsalgorithmus identifiziert und eine Ersatzsteuerung erstellt sowie validiert werden können. Das Ver­fahren wurde zunächst für 2-Phasen-Systeme entwickelt. Hierbei wurden acht verschiedene Steuerungstypen klassifiziert (vgl. Bild 1). Unterschieden wurde, ob die Freigabezeit der Bedarfs- und/oder der Grundphase bemessen wird und ob für die Bedarfsphase ein zeitlich eingeschränkter Erlaubnisbereich innerhalb des Umlaufs existiert. Da in Kassel bei 2-Phasen-Systemen in der Regel eine der beiden Phasen anforderungsbasiert ist, wurden ausschließlich solche Steuerungen betrachtet. Für die definierten acht Steuerungstypen wurde ein dreiteiliges Verfahren erarbeitet, welches auch als Basis für Steuerungen mit mehr als zwei Phasen dienen kann.

Mit dem ersten Teilverfahren können die Parameter und Bedingungen eines Ersatz­steuerungs­­algorithmus bestimmt werden. Hierzu gehören die Bedingungen für Phasen­übergänge wie maximale Wartezeiten, Freigabezeitbemessungen mit Zeitlücken oder dem Belegungsgrad sowie Anmeldungen des ÖPNV oder von Fußgängern. Die abgeleiteten Parameter und Bedingungen können im zweiten Teilverfahren in universelle Ersatz­steuerungs­algorithmen eingefügt werden. Diese bestehen aus einem Basisprogramm und Zusatzmodulen und wurden im Rahmen der Verfahrens­entwicklung als Baukastensystem erarbeitet. Mit dem dritten Teilverfahren können die erstellten Ersatzsteuerungen anhand eigens definierter Fehlermaße kalibriert und validiert werden. Das Verfahren wurde auf 16 reale LSA in Kassel angewendet und basierend auf den Ergebnissen bewertet.

Bild 1: Übersicht der untersuchten acht Steuerungstypen

In den folgenden Abschnitten wird ein grober Überblick über die drei Teilverfahren sowie zu den Ergebnissen der Anwendung auf reale LSA gegeben. Die ausführliche Dokumentation kann (WEIDEMANN 2019, [11]) entnommen werden.

2.2 Festzeitverhalten

Im ersten Schritt des ersten Teilverfahrens zur Feststellung der Parameter und Bedingungen eines Ersatz­steuerungsalgorithmus wird geprüft, ob die Steuerung ein Festzeitverhalten zeigt. Hierbei werden zunächst alle Zustandsbezeichner eines Umlaufs in einem Umlaufvektor zusammen­gefasst (1).

Formel siehe PDF.

Anschließend werden alle Umlaufvektoren eines Signalprogramms miteinander verglichen (2). Ergibt sich dabei der Nullvektor, handelt es sich um ein Festzeitverhalten, da die Abfolge der Zustände in allen Vektoren identisch ist. Andernfalls kann die Annahme getroffen werden, dass die Steuerung mindestens einen verkehrsabhängig ver­änder­baren Parameter aufweist.

Formel siehe PDF.

2.3 Phasenanforderung

Kann ein Festzeitverhalten ausgeschlossen werden, erfolgt im Anschluss die Bestimmung der verkehrs­abhängigen Parameter. Hierbei wird zunächst geprüft, ob eine der beiden Phasen anforderungs­basiert ist (3). Hierzu wird die längste im betrachteten Signalprogramm aufge­tre­tene Phasendauer jeder der beiden Phasen mit der Umlaufzeit verglichen. Eine Bedarfsphase ist in der Regel immer kürzer als die Umlaufzeit. Eine Grundphase kann bei einem 2-Phasen-System auch länger als die festgelegte Umlaufzeit sein, sobald die Bedarfsphase in einem Umlauf nicht angefordert wird. Wird das Vorliegen einer Bedarfsphase erkannt, liegt einer der in Bild 1 definierten acht Fälle vor.

Formel siehe PDF.

Im nächsten Schritt werden die Detektoren bestimmt, welche die Bedarfsphase auslösen können (4). Hierbei wird für jeden Phasenübergang in die Bedarfsphase und für jeden Detektor zunächst der Abstand zwischen der ersten die Bedarfsphase anfordernden Detektion und dem Beginn des Phasenübergangs in die Bedarfsphase bestimmt (vgl. WEIDEMANN 2017, [10]). Da eine Anforderung in der Regel innerhalb des aktuellen oder des nächsten Umlaufs berücksichtigt wird, kann über einen Vergleich der ermittelten Abstände mit der Umlaufzeit darauf geschlossen werden, ob ein Detektor ein möglicher Anforderungsdetektor ist.

Formel siehe PDF.

Alle Phasenübergänge von der Grund- in die Bedarfsphase sollten durch die Detektions­ereignisse der möglichen Anforderungsdetektoren abgedeckt sein. Andernfalls kann es sich um Datenlücken handeln und es sollte geprüft werden, ob sich der Datensatz zur Kalibrierung einer Ersatzsteuerung eignet. Es wird zudem eine Prüfung der Konsistenz der Ergebnisse mithilfe des Lageplans empfohlen, falls dieser vorliegt.

2.4 Erlaubnisbereiche

Mithilfe von Erlaubnisbereichen wird der Bereich innerhalb des Umlaufs begrenzt, zu dem Phasenwechsel in die Bedarfsphase erlaubt sind. Diese Bedingung wird häufig dann eingesetzt, wenn Koordinierungen realisiert werden sollen, ohne die Steuerungen von benachbarten LSA über eine Versatzzeit verknüpfen zu müssen.

Der Erlaubnisbereich kann dabei genau eine oder auch mehrere Sekunden umfassen. Die Zulässigkeit eines Phasenwechsels innerhalb des Erlaubnisbereichs kann zudem von einer Freigabezeitbemessung abhängig sein. Eine unveränderliche Erlaubnissekunde liegt vor, wenn immer zur gleichen Umlaufsekunde  ein bestimmter Phasenübergang erfolgt (5).

Formel siehe PDF.

Ist das Ergebnis von (5), dass es sich um eine variable Umlaufsekunde handelt, sind weitere Analysen notwendig. Die Variabilität des Zeitpunkts, zu dem ein Phasenübergang erfolgt, kann hierbei durch einen mehrere Sekunden umfassenden Erlaubnis­bereich begrenzt sein. Ein solcher Erlaubnisbereich kann nachgewiesen werden, indem die Zeitpunkte der Phasen­über­gänge analysiert werden. Hierbei auszuschließen sind Phasenübergänge, die während einer aktiven des ÖPNV wurden oder die im untersuchten Zeitraum die höchste Wartezeit der angeforderten Bedarfsphase aufweisen. Dies ist notwendig, da sonst die Ergebnisse durch Ereig­nisse mit ggf. höherer Priorität als der Einhaltung des Erlaubnis­bereichs verfälscht werden könnten. Die Analyse der vorliegenden Daten aus Kassel ergab, dass Sperrbereiche, aus denen Erlaubnisbereiche resultieren, in der Regel mindestens 30 s lang sind. Anhand dieser Bedingung konnten die Erlaubnisbereiche der Kasseler LSA mit zwei Phasen auto­matisiert erkannt werden. Treten am Anfang und am Ende eines erkannten Erlaubnis­bereichs starke Häufungen auf, ist dies ein Indiz dafür, dass der Erlaubnisbereich vollständig erkannt wurde. Fehlen solche Häufungen, wird empfohlen weitere Datensätze zur Bestimmung der Parameter einer Ersatzsteuerung zu verwenden, da die korrekte Bestimmung der Grenzen von Erlaubnis­bereichen sehr wichtig für die Qualität von Ersatzsteuerungen ist.

2.5 Bemessung der Phasendauer

2.5.1 Variabilität der Phasendauer

Die Dauer von Grund- und Bedarfsphasen kann unveränderlich oder variabel sein. Welcher der beiden Fälle jeweils vorliegt, kann mithilfe der Gleichung (6) bestimmt werden. Hierbei wird die kürzeste mit der längsten Phasendauer verglichen.

Formel siehe PDF.

2.5.2 Wartezeit

Eine variable Dauer von Phasen kann entweder von einer Freigabezeitbemessung verursacht werden oder durch die Überschreitung der Wartezeit von Verkehrsteilnehmern, die eine Bedarfsphase angefordert haben. Maximale Wartezeiten haben dabei oft eine höhere Priorität als andere Bedingungen wie Anforderungen des ÖPNV, Erlaubnisbereiche oder die Freigabe­zeit­bemessung. Insbesondere bei Steuerungen ohne Erlaubnisbereich ist die Warte­zeit­über­wachung relevant, da sonst sehr hohe, sicherheitskritische Wartezeiten entstehen können. Maximale Wartezeiten können anhand der Daten festgelegt werden. Jedoch gilt auch hier, dass der Wert bestenfalls mehrfach auftreten sollte, um die Korrektheit sicherzustellen. Zudem sollten beim Vorliegen einer Priorisierung des ÖPNV diejenigen Wartezeiten, die während einer Anforderung des ÖPNV aufgetreten sind, von den anderen unterschieden werden, da hier unterschiedliche maximale Wartezeiten eingesetzt sein können.

2.5.3 Zeitlücken

Eine Bemessung der Freigabezeit ist ein möglicher Grund für eine Variabilität der Phasen­dauer. Diese kann mittels Zeitlücken, Belegungsgraden oder auch Belegungszeiten realisiert sein. Die Belegungszeit wurde an keiner der untersuchten Kasseler LSA als Parameter ermittelt. Daher wurde sie zunächst nicht weiter betrachtet. In diesem und im nächsten Abschnitt wird daher allein die Methodik für Zeitlücken und den Belegungsgrad als Parameter für Freigabezeitverlängerungen erläutert.

Zeitlücken werden an Detektoren gemessen, die mindestens 15 m von der Haltlinie entfernt sind (siehe FGSV 2015, [3]). Anhand dieser Bedingung wurden die Detektoren für die Analyse der Zeitlücken und des Belegungsgrads ausgewählt. Für die ausgewählten Detektoren wurde für jede Sekunde aus den Detektionsereignissen die aktuelle Zeitlücke berechnet. Die Zuord­nung zu den Phasen wurde über die Signalgruppen mithilfe des Lageplans vorgenommen. Zu einer Phase gehörende und im gleichen Abstand zur Haltlinie angeordnete Detektoren bilden hierbei eine Detektorengruppe. Die an den Detektoren bestimmten Zeitlücken werden mit Zeitlückenwerten, hier als Zeitlückenschwellenwerte bezeichnet, verglichen. Sind an allen Detektoren einer Phase die jeweiligen Zeitlückenschwellenwerte überschritten, kann eine Phase bereits vor dem spätesten Ende abgebrochen werden. Eine Detektorengruppe ist in der Regel mit demselben Zeitlückenschwellenwert belegt. Haben die Detektoren einer Phase unterschiedliche Abstände oder liegen sie in verschiedenen Zu­fahrten, können die Zeitlücken­schwellenwerte verschieden groß sein. Theoretisch kommen gemäß (FGSV 2015, [3]) als potenzielle Zeitlückenschwellenwerte alle Werte von 2,0 s bis 5,0 s in Frage. In Kassel sind dabei Zeitschrittweiten von 0,5 s üblich.

Zur Bestimmung der Zeitlückenschwellenwerte aus den Prozessdaten war es notwendig, zwischen LSA mit und ohne Erlaubnisbereich zu unterscheiden. Ist kein Erlaubnisbereich vorhanden, ist unter Einhaltung der minimalen Phasendauer der Grundphase theoretisch zu jedem Zeitpunkt im Umlauf ein Phasenwechsel möglich. Die minimale Phasendauer der Grundphase kann bestimmt werden, wenn im Datensatz zwei Bedarfsphasen so dicht aufeinander folgen, dass trotz großer Zeitlücken kein sofortiger Phasenübergang durchgeführt wurde. Zur Bestimmung der Zeitlückenschwellenwerte sollte jeder Datensatz geteilt werden. Hierbei ist das Kriterium, ob zeitgleich mit der Anforderung der Bedarfsphase auch eine Anforderung des ÖPNV vorliegt, da der ÖPNV eine höhere Priorität als die Bemessung der Freigabezeit haben kann und sich somit ein anderes Verhalten ergibt.

Die Bestimmung der Zeitlückenschwellenwerte wird anhand des Datensatzes ohne Konflikte mit dem ÖPNV, vermindert um diejenigen Phasenübergänge, die aufgrund der maximalen Wartezeit der Bedarfsphase oder der minimalen Phasendauer der Grundphase eingetreten sind, vorgenommen. Für jede Detektorengruppe einer Phase wird die kleinste Zeitlücke zum Zeitpunkt des Beginns des Phasenübergangs bestimmt. Sollten die Detektorengruppen mit dem gleichen Zeitlückenschwellenwert belegt sein, sollte bei jedem Phasenübergang die kleinste Zeitlücke aller Detektorengruppen identisch sein (unter Berücksichtigung von etwaigen Ausreißern). Ergibt sich hierbei kein identischer Wert oder haben die Detektoren (‑gruppen) unterschiedliche Abstände zu den Haltlinien, ist die kleinste Zeitlücke nicht zwingend die letzte, die überschritten werden musste. Daher werden in diesem Fall zunächst diejenigen Phasenübergänge ausgewertet, bei denen alle Detektorengruppen bis auf eine, eine höhere Zeitlücke aufweisen als der nach (FGSV 2015, [3]) höchstmögliche Zeit­lücken­schwellenwert von 5,0 Sekunden. Hieraus ergibt sich bestenfalls für jede Detektorengruppe der jeweilige Zeitlückenschwellenwert. Anhand der nicht verwendeten Phasenübergänge können die identifizierten Werte verifiziert werden.

Liegt ein Erlaubnisbereich vor, werden zunächst diejenigen Phasenübergänge aus­gewertet, die nicht am Anfang oder am Ende des Erlaubnisbereichs stattfanden, sondern dazwischen. Auch hier werden diejenigen Phasenübergänge für die Analyse verwendet, die keinen Konflikt mit dem ÖPNV aufweisen und die nicht aus der maximalen Wartezeit resultieren. Die anschließende Vorgehensweise entspricht der bereits beschriebenen Methodik, wenn kein Erlaubnisbereich vorliegt. Die Phasenübergänge die am Anfang oder Ende des Erlaubnis­bereichs stattfanden, können hier verwendet werden, um die Ergebnisse zu verifizieren.

2.5.4 Belegungsgrad

Auch der Belegungsgrad kann zur Freigabezeitbemessung verwendet werden. Dieser ergibt sich als prozentualer Anteil der Belegung eines Detektors an einer Sekunde. Der jeweilige Wert geht üblicherweise in ein Ausgleichsverfahren ein. In Kassel wird hierbei ein hersteller­spezifisches BA-Wert-Verfahren eingesetzt (7), es handelt sich hierbei um eine übliche exponentielle Glättung. In anderen Städten können auch andere Verfahren verwendet werden.

Formel siehe PDF.

Zur Bemessung mittels des BA-Wertes sind in der Regel Schwellenwerte für die Stau­erkennung definiert. Liegt der BA-Wert für eine bestimmte Zeit (bspw. 10 s) über dem Einschaltwert für die Stauerkennung (bspw. 70 %), wird der Staumerker aktiviert und die Freigabe beibehalten. Fällt der BA-Wert für eine bestimmte Zeit (bspw. 5 s) unter den Ausschaltwert für die Stauerkennung (bspw. 40 %), wird der Staumerker deaktiviert und eine Freigabe kann beendet werden. Die BA-Werte konnten aus den vorliegenden Detektions­ereignissen berechnet werden. Die genannten Schwellenwerte sind grundsätzlich individuell einstellbar. Die in Klammern angegebenen Werte beruhen auf einer Auswertung verkehrs­technischer Unterlagen aus Kassel und wurden als Initialwerte für die Analysen verwendet. Die Bestimmung der Schwellenwerte könnte ggf. auch durch einen Algorithmus erfolgen, dies bleibt jedoch anderen Arbeiten vorbehalten.

Auch bei der Analyse des Belegungsgrads muss zwischen Systemen mit und ohne Erlaubnis­bereich unterschieden werden. Liegt kein Erlaubnisbereich vor, können alle Phasenübergänge ausgewertet werden, außer diejenigen, welche nach der kleinsten Phasendauer auftreten, die maximale Wartezeit aufweisen oder einen Konflikt mit dem ÖPNV haben. Bei einer korrekten Kombination der Schwellenwerte sollte der Phasenübergang nach einer Anforderung

· direkt erfolgen, wenn der Staumerker deaktiviert ist,

· direkt nach dem Wechsel des Staumerkers von aktiviert auf deaktiviert erfolgen,

· trotz aktiviertem Staumerker erfolgen, wenn die maximale Wartezeit erreicht ist.

Liegt ein Erlaubnisbereich vor, werden alle Phasenübergänge innerhalb des Erlaubnisbereichs ausgewertet, die keinen Konflikt mit dem ÖPNV oder die höchste Wartezeit der Bedarfsphase aufweisen. Der jeweilige Phasenübergang sollte nach einer Anforderung

· am Anfang des Erlaubnisbereichs erfolgen, wenn zu diesem Zeitpunkt der Staumerker deaktiviert ist,

· mitten im Erlaubnisbereich erfolgen, wenn ein Wechsel des Staumerkers von aktiviert auf deaktiviert erfolgt,

· am Ende des Erlaubnisbereichs erfolgen, wenn während des gesamten Erlaubnisbereichs der Staumerker aktiviert war.

2.6 Priorisierung des ÖPNV

Bei Priorisierungen des ÖPNV werden in Kassel erweitere R09-Telegramme archiviert. Diese enthalten An- und Abmeldungen des ÖPNV inklusive weiterer Informationen wie der Fahrzeit bis zur nächsten Haltlinie, aus der zu jedem Zeitpunkt die Restfahrzeit berechnet werden kann. Alle zu einem Fahrzeug gehörenden Meldungen für eine LSA bilden eine Meldekette. Diese besteht in der Regel aus einer oder mehreren Voranmeldungen, einer Hauptanmeldung und einer Abmeldung. Aus der Kombination der Informationen zu Linie, Kurs und Route können die Meldepunktnummern zu Meldeketten zusammengestellt werden. Beim zeitlich letzten Meldepunkt einer Meldekette handelt es sich gewöhnlich um die Abmeldung, beim vorletzten um eine Hauptanmeldung und bei allen anderen um Voranmeldungen. Bei den Vor- und Hauptanmeldungen wird zudem immer die gleiche Fahrzeit abgespeichert, während bei der Abmeldung ein berechneter Wert, der jedes Mal anders sein kann, gespeichert wird. Anhand dieses Merkmals können Abmeldungen verifiziert werden. Manuelle Handanmeldungen können durch das Verfahren nicht erkannt werden.

Zur Analyse der Priorisierungsbedingungen des ÖPNV werden allein diejenigen Phasen­übergänge betrachtet, die während einer aktiven Anmeldung des ÖPNV erfolgten. Die Möglichkeiten den ÖPNV an LSA zu priorisieren sind vielfältig. In der Regel wird hierzu auch die im Steuergerät für jeden Meldepunkt hinterlegte Fahrzeit, gemessen vom Meldepunkt bis zur Haltlinie, ver­wen­det. Zur Bestimmung, ob die Restfahrzeit bei der Priorisierung eine Rolle spielt, ist zunächst für jeden Phasenwechsel die maßgebende Restfahrzeit festzulegen. Welche Rest­fahr­zeit bei mehreren Anforderungen maßgebend ist, wird anhand der Hierarchie­ebene fest­gelegt. Hierbei haben Hauptanmeldungen immer eine höhere Priorität als Vor­an­meldungen. Innerhalb derselben Hierarchieebene kann bspw. die geringste Restfahrzeit oder die zeitlich erste Anmeldung maß­gebend sein. Die Restfahrzeit kann bei einer mit dem ÖPNV konkurrierenden Anforderung mit derjenigen Zeit verglichen werden, die sich als Summe aus dem Phasenübergang in die Bedarfsphase, der Dauer der Bedarfsphase selbst und dem Phasenübergang zurück in die Grundphase ergibt. Kann die Bedarfsphase bedient werden, bevor der ÖPNV eintrifft, wird diese in vielen Steuerungen sofort und ohne die Beachtung anderer Bedingungen wie bspw. eines Erlaubnisbereichs geschaltet. Dies dient der Mini­mierung der Wartezeit und somit der Erhöhung der Sicherheit. Trifft der ÖPNV voraus­sichtlich ein, bevor die Bedarfsphase bedient werden kann, wird die Grundphase gehalten und die Bedarfsphase blockiert. In solchen Fällen können abweichende maximale Wartezeiten gelten. In vielen Fällen wird eine Bedarfsphase nach einer solchen Blockierung bedient, sobald sich der ÖPNV abgemeldet hat. Ob eine Bedarfsphase bei einem Konflikt mit dem ÖPNV sofort bedient oder blockiert wird, kann auch von weiteren Bedingungen abhängen wie bspw.

·      den Grenzen von Erlaubnisbereichen/Rahmenplänen,

·      den Wartezeiten auf die Bedarfsphase,

·      der minimalen Phasendauer der Grundphase oder

·      der Art der Meldung (Vor- oder Hauptanmeldung).

Es ist zudem möglich, dass eine Blockierung nur solange gehalten wird, bis die Restfahrzeit den Wert von Null erreicht. Ebenso kann eine Blockierung über diesen Zeitpunkt hinaus als negative Restfahrzeit aufrechterhalten werden, bis die Löschzeit oder eine definierte Wartezeit erreicht ist. Die Blockierung kann auch aufgehoben werden, wenn nach der Voranmeldung innerhalb einer definierten Zeit keine Hauptanmeldung erfolgt. Es kann außerdem spezielle Erlaubnisbereiche für den ÖPNV geben, die von den Erlaubnisbereichen des Individual­verkehrs abweichen.

Da die Möglichkeiten, den ÖPNV zu priorisieren so vielfältig sind, wurde hierfür keine automa­tisierte Methodik entwickelt. Es bietet sich grundsätzlich an, zunächst die Priorisierung aufgrund von Restfahrzeiten zu prüfen. Anschließend sind die oben genannten möglichen Bedingungen zu untersuchen. Um alle Priorisierungsbedingungen korrekt zusammenstellen zu können, muss oft eine große Menge von Daten analysiert werden. Eine Automatisierung scheint an dieser Stelle schwer vorstellbar. Inwieweit die korrekte Nachbildung der ÖPNV-Priorisierung relevant ist, ist von der Frequentierung der LSA durch den ÖPNV abhängig.

3 Konzeption universeller Ersatzsteuerungsalgorithmen

3.1 Vorgehen

Um aus den Parametern und Bedingungen, die sich aus der Analyse ergeben, eine funktions­fähige Ersatzsteuerung zu erstellen, sollten diese in einem Ersatzsteuerungs­algo­rithmus umgesetzt werden. Hierbei schien es sinnvoll, universell einsetzbare Algorithmen zu entwerfen, die als Baukastensystem fungieren. Dieses System sollte auf einer regalbasierten Umsetzung, wie sie in (FGSV 2015, [3])  beschrieben ist, basieren. Diese setzt sich aus Aktions- und Entscheidungs­elementen zusammen, in denen zeitliche und logische Bedingungen geprüft werden. Zunächst wurde ein Programm für Festzeitverhalten entworfen. Verkehrsabhängige Ersatz­steuerungen wurden in ein Basisprogramm und Zusatzmodule aufgeteilt, die beliebig kombi­niert werden können. Im Folgenden werden Festzeitverhalten und das Basisprogramm erläutert sowie eine Auswahl der Zusatzmodule aufgezeigt.

3.2 Festzeitverhalten

Festzeitverhalten kann über Signalzeitenpläne oder über Steuerungsalgorithmen umgesetzt werden. Bei der hier durchgeführten Umsetzung mit einem Algorithmus wird geprüft, ob eine bestimmte Phase aktiv ist. In diesem Fall wird die aktuelle Umlauf­sekunde mit einer fest­gelegten Umlaufsekunde für den Phasenübergang verglichen. Sind diese identisch, erfolgt der Phasenübergang in die nächste Phase. Das Programm ist für beliebig viele Phasen erweiter­bar sowie allgemeingültig, da nur die Anzahl der Phasen und die Zeitpunkte, zu denen ein Phasenwechsel erfolgt, variieren können, jedoch nicht die Elemente an sich.

Bild 2: Basisprogramm für verkehrsabhängige Ersatzsteuerungen

3.3 Basisprogramm

Für verkehrsabhängige Ersatzsteuerungen wurde ein Basisprogramm zusammengestellt (siehe Bild 2). In diesem ist zunächst ein Platzhalter für Zusatzmodule für die Bemessung <1> (bspw. von Wartezeiten oder Freigabezeiten) enthalten. Ist die Grundphase <2> aktiv <3> und liegt eine Anforderung der Bedarfsphase vor <4>, wird in einem Zusatzmodul „Pue-Erlaubnis GP“ <5> geprüft, ob ein Phasenübergang zulässig ist oder nicht. Liegt die Erlaubnis für einen Phasenübergang vor <6>, erfolgt dieser im Anschluss. Ist die Bedarfsphase <7> aktiv <8>, wird auch hier geprüft <9>, ob eine Erlaubnis vorliegt <10> und ein Phasenübergang erfolgen kann. Im einfachsten Fall, wenn die Bedarfsphase eine unveränderliche Dauer aufweist, handelt es sich bei der Erlaubnisprüfung um einen Vergleich der aktuellen Phasendauer mit einem festgelegten Wert und es ist kein Zusatzmodul notwendig.

3.4 Zusatzmodule

Zusatzmodule wurden für die Bemessung der Wartezeit, die Bemessung von Freigabezeiten mit Zeitlücken und dem Belegungsgrad, die Ermittlung der Phasenübergangs-Erlaubnis, zur Bemessung der Restfahrzeit des ÖPNV und für die Priorisierung des ÖPNV entworfen.

Die Wartezeit wird in einem Zusatzmodul im Element „Bemessung“ des Basisprogramms berechnet. Die Wartezeit wird ab einer Anforderung der Bedarfsphase hochgezählt. Hierbei erfolgt die Berechnung oft erst dann, wenn die Grundphase aktiv ist, falls die Bedarfsphase bereits während des Phasenübergangs in die Grundphase angefordert wurde.

Die Bemessung der Freigabezeit mit Zeitlücken erfolgt ebenfalls im Element „Bemessung“ des Basisprogramms. Es muss zwischen Systemen mit und ohne Erlaubnisbereich unterschieden werden, daher wurde für beide Fälle ein Zusatzmodul erarbeitet. Liegt kein Erlaubnisbereich vor, ergibt sich das Zusatzmodul wie in Bild 3 dargestellt. Liegt eine Anforderung <1> der Bedarfs­phase vor <2>, erfolgt ein Vergleich zwischen den aktuell gemessenen Zeitlücken und den definierten Zeitlücken­schwellen­werten (<4>, <6>). Ist eine Zeitlücke größer als der Schwellen­wert (<3>, <5> oder <7>), wird der jeweilige Merker auf TRUE gesetzt. Liegt keine Anforderung vor, werden die Merker auf FALSE gesetzt (<8>, <9> und <10>). Die Verarbeitung der Merker erfolgt im Zusatzmodul „Pue-Erlaubnis“ des Basisprogramms. Im Fall mit Erlaubnisbereich erfolgt das Zurücksetzen der Merker, wenn die Bedarfsphase aktiv ist oder wenn das Ende des Erlaubnisbereichs erreicht ist. Der Vergleich mit den Schwellen­werten wird nur innerhalb des Erlaubnisbereichs durchgeführt.

Bild 3: Zusatzmodule zur Freigabezeitbemessung mit Zeitlücken ohne Erlaubnisbereich

Zur Bemessung der Freigabezeit mit dem Belegungsgrad wurden zwei Zusatzmodule erstellt. Im ersten Zusatzmodul erfolgt die Berechnung des aktuellen geglätteten Belegungsgrads und im zweiten Zusatzmodul die Bemessung des Staumerkers.

Im Zusatzmodul „Pue-Erlaubnis“ erfolgt die Prüfung, ob die Variable „Erlaubnis“ aus dem Basisprogramm auf TRUE oder FALSE zu setzen ist. Hierbei werden die Prioritäten berück­sichtigt, die sich in Kassel im Rahmen der Analysen wie folgt ergaben:

·      Unterschreitung der minimalen Phasendauer (Erlaubnis := FALSE)

·      Überschreitung der maximalen Wartezeit der Bedarfsphase (Erlaubnis := TRUE)

·      Priorisierung des ÖPNV

·      Blockierungsende oder Erlaubnisende (Erlaubnis := TRUE)

·      Erlaubnisbereich: Bemessung (Erlaubnis := TRUE oder FALSE)

Die Priorisierung des ÖPNV erfolgt dabei in gesonderten Zusatzmodulen. Hierbei wurde ein Zusatzmodul für die Berechnung der Restfahrzeit und ein Zusatzmodul zur Bestimmung der Priorisierung des ÖPNV entwickelt. Letzteres ist dabei nur ein Ansatz, der auf der Berück­sichtigung der Restfahrzeiten beruht. Aus bereits erläuterten Gründen wurde für die ÖPNV-Priorisierung kein universelles Zusatzmodul entwickelt.

4 Kalibrierung und Validierung von Ersatzsteuerungen

4.1 Methodik

Die Kalibrierung und Validierung von Ersatzsteuerungen kann, ebenso wie die Erstellung von Ersatzsteuerungen, auf der Basis von Prozessdaten erfolgen. Hierzu wird mithilfe der Methodik aus einem oder mehreren Datensätzen eine Ersatzsteuerung entworfen. Die Meldungen des ÖPNV sowie die Detektionsereignisse eines weiteren Daten­satzes und die erzeugte Ersatz­steuerung werden in ein Simulationsmodell der LSA eingespeist. Nach der Simulation werden die entstandenen Signalisierungsdaten mit den Signalisierungsdaten aus den Prozess­daten desjenigen Datensatzes, aus dem auch die ÖPNV-Meldungen und die Detektions­ereignisse entnommen wurden, verglichen.

4.2 Fehlermaße

Als Fehlermaße für die Kalibrierung und die Validierung wurden für die hier betrachteten 2‑Phasen-Systeme die prozentuale Überdeckung der simulierten Bedarfsphase mit der jeweiligen Bedarfsphase aus den Prozessdaten sowie die absoluten positiven und negativen Abweichungen von der originalen Lage gewählt. Zudem wird die Anzahl der Bedarfsphasen betrachtet, die zu oft auftreten oder gänzlich fehlen.

Die Berechnung der prozentualen Überdeckung ergibt sich je nachdem, ob die Dauer der Bedarfsphase unveränderlich oder variabel ist. Für beide Fälle wurde eine Gleichung zur Berechnung entwickelt (siehe WEIDEMANN 2019, [11]). Grundsätzlich ist bei einem Wert der Überdeckung von über 80 % von einer guten Ersatzsteuerung auszugehen. Liegt der Wert über 90 %, wird die Ersatzsteuerung als sehr gut eingestuft. Die Betrachtung der Fehlermaße der Abweichungen können bei der Kalibrierung eingesetzt werden, um einseitige und syste­matische Abweichungen zu erkennen und zu beheben. Systematische Fehler können bspw. aus falschen Grenzen von Erlaubnisbereichen, falschen Zeitlückenschwellenwerten oder falschen Parametern bei der ÖPNV-Priorisierung entstehen und meistens durch die Analyse weiterer Datensätze behoben werden. Ergeben sich bei der Fehleranalyse nur noch (mutmaßlich) zufällige Fehler, ist keine weitere Kalibrierung möglich und es ist eine Entscheidung zu treffen, ob die Qualität der Ersatzsteuerung, die bei der Validierung erreicht wurde, als ausreichend angesehen wird.

5 Bewertung

Die entwickelte Methodik wurde anhand von 16 LSA in Kassel getestet. Es ergab sich hierbei, dass der Einsatz der Methodik zu qualitativ hochwertigen Ersatzsteuerungen führen kann.

Hierbei ergaben sich für das Fehlermaß „Überdeckung“ für die definierten Steuerungstypen (vgl. Bild 1) zumeist Werte von über 50 % sowie auch gute Werte von über 80 % und sehr gute Werte von über 90 % (vgl. Bild 4). Für die Steuerungstypen 2, 5 und 6 (vgl. Bild 1) konnten in Kassel keine (konsistenten) Beispiele gefunden werden.

Bild 4: Ergebnisse des Fehlermaß Überdeckung der Bedarfsphase

Die Werte des Fehlermaßes „Überdeckung“ scheinen teilweise auf den ersten Blick nicht absolut überzeugend zu sein. Die Fehleranalyse ergab jedoch, dass ein Großteil der Abweichungen aus einem Problem mit der gewählten Software, die für die Validierung eingesetzt wurde, entstand und nicht aus der Methodik an sich. Bei diesem Problem handelte es sich um den Zeitpunkt, zu dem der Algorithmus durchlaufen wird. Durch das verwendete Softwarewerkzeug liegt dieser Zeitpunkt immer am Anfang einer Sekunde, während der Durchlauf in der Realität auch zu einem anderen Zeitpunkt in der Sekunde stattfinden kann. Hieraus ergaben sich oft Fehler bezüglich der Überschreitung von Zeitlückenschwellenwerten, was teilweise zu großen Abweichungen führte. Es konnte anhand einer manuellen Korrektur nachgewiesen werden, dass die Ergebnisse von LSA mit dieser Problematik unter Verwendung eines anderen (ggf. selbst geschriebenen) Programms besser ausgefallen wären. Die Ergebnisse der Validierung sind somit pessimistischer als möglich gewesen wäre und dennoch belastbar, da sie unter Verwendung einer anderen Software tendenziell noch besser ausgefallen wären. Zudem wurden für die Kalibrierung nur ein bis zwei Datensätze verwendet. Auf­grund der ausführlichen Fehleranalyse besteht die Annahme, dass sich bei der Auswertung von mehr Datensätzen bessere Ergebnisse ergeben hätten. Dass die Steuerungs­typen 1, 2 und 4 besser ab­schneiden als die Typen 7 und 8 kann damit begründet werden, dass bei den Typen 7 und 8 die Dauer der Bedarfsphase variabel ist. Weiterhin ergeben sich bei Typen mit Erlaubnis­bereich bessere Werte als bei den Typen ohne Erlaubnisbereich, da auch hier die Variabilität eine Rolle spielt. Auch die Komplexität der Bedingungen zur Priorisierung des ÖPNV ist ein wichtiger Faktor für die Qualität von Ersatzsteuerungen.

Grundsätzlich können einzelne analysierte Werte mithilfe der verkehrstechnischen Unterlagen verifiziert oder verbessert werden, wenn diese vorliegen und korrekt sind. Ergeben sich bei der Analyse nach der hier beschriebenen Methodik andere Parameter oder Bedingungen als in den Unterlagen, kann die Methode auch zur Qualitätsanalyse der verkehrstechnischen Unterlagen dienen. Die Validierungsmethodik kann zudem eingesetzt werden, um die Korrekt­heit proprietärer Steuerungen zu testen. Daneben ist auch eine Vereinfachung komplexer Steuerungen oder eine Verbesserung der Qualität von Steuerungen anhand der Ergebnisse dieser Methodik denkbar. Auch eine Qualitätsanalyse der Priorisierung des ÖPNV ist mithilfe der Methodik möglich. Dies könnte bspw. für einen Vergleich von herkömmlicher Priorisierung über Funk und ortsfeste Baken mit neuen Strategien, die auf C-ITS basieren und bspw. im Projekt (VERONIKA 2019, [13])  erprobt wurden, interessant sein. Die Funktions­fähigkeit des entwickelten Verfahrens konnte für Signalprogramme mit regelbasierter Steuerung nachgewiesen werden. Die Beantwortung der Frage, ob auch andere Steuerungen wie bspw. modellbasierte Steuerungen mit guten Ergebnissen regelbasiert nachgebildet werden können, bleibt zukünftigen Arbeiten vorbehalten. Ob die Methodik zudem auch bei neuartigen Verfahren wie VITAL (siehe OERTEL 2018, [14]), welches auf kooperativ gewonnenen Verlustzeiten basiert, funktioniert, ist fraglich. Es wäre jedoch interessant, den Nutzen solcher Verfahren im Vergleich zu herkömmlichen verkehrs­abhängigen Steuerungen zu untersuchen.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass bereits die Modellierung von Ersatz­steuerungen für 2-Phasen-Systeme komplex ist. Daher bleibt die Weiterentwicklung der Methodik für mehr als zwei Phasen weiterer Forschung vorbehalten. Es wird angenommen, dass der vorgestellte Ansatz ab einem gewissen Punkt nicht mehr zielführend sein wird. Hier ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz denkbar, der jedoch mit starken Einbußen in der Trans­pa­renz einhergeht. Der große Vorteil der Methodik ist, dass die Daten größtenteils automatisiert analysiert werden und dennoch am Ende eine transparente Ersatzsteuerung entsteht und keine Black Box. Bis zu welcher Komplexität von Verkehrsabhängigkeiten die Methodik weitergeführt werden kann, bleibt noch offen.

Die Autorin dankt abschließend dem Straßenverkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Kassel herzlich für die gute Zusammenarbeit und die zur Verfügung gestellten Daten sowie dem BMVI für die Förderung des Projekts VERONIKA (Förderkennzeichen 16AVF1016A), in dessen Rahmen Teile der hier beschriebenen Forschung durchgeführt wurden.

6 Literatur

[1]    DANDL, F./BRACHER, B./BOGENBERGER, K. (2017). Mikrosimulation elektrischer Robotertaxis in München. Straßenverkehrstechnik Nr. 10, Kirschbaum Verlag GmbH.

[2]    ERLEMANN, K. (2007). Objektorientierte mikroskopische Verkehrsflusssimulation. Dissertation, Bochum.

[3]    FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). (2015). Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA). Köln.

[4]    ROHDE, J. (2018). Modellerweiterungen des Cell Transmission Model (CTM) für städtische Hauptstraßennetze, Dissertation an der TU Braunschweig.

[5]    FRIEDRICH, M. (2009) (Hrsg.: DVWG). Das Projekt AMONES, Präsentation im Rahmen des AMONES Symposiums zu Modellbasierten LSA-Netzsteuerungsverfahren.

[6]    CZOGALLA, O./HOYER, R. (1999): Model based approximation of traffic actuated signal control for mesoscopic traffic simulation. In 6th World Congress on Intelligent Transport Systems.

[7]    WEIDEMANN, T./HOYER, R. (2018). Improving the Quality of Results of Microscopic Traffic Flow Models by using Process Data of Traffic Signal Systems. In Proceedings of the 25th ITSWC, Copenhagen, Denmark.

[8]    HOYER, R./HERRMANN, A./SCHÖNROCK, R. (2004). Modelling of vehicle actuated traffic lights. In: Schulze, Th. et al. (Hrsg.): Simulation und Visualisierung. Society for Modeling and Simulation International SCS-European Publishing House, Erlangen, San Diego, S. 359-369; ISBN 3-936150-30-3.

[9]    OCIT-DEVELOPER GROUP (ODG). (2004). OCIT-Outstations Lichtsignalsteuergeräte Version 1.1 Funktionsspiegel. URL: www.ocit.org, Abruf: 08/2014.

[10]  WEIDEMANN, T./HOYER, R. (2017) Lichtsignalsteuerungen - Phasenerkennung und Analyse von Phasenwechselbedingungen mittels LSA-Prozessdaten. In Veröffentlichungen zur HEUREKA ’17, B3: Lichtsignalsteuerung.

[11]  WEIDEMANN, T. (2019). Prozessdatenanalyse verkehrsabhängiger Lichtsignal­steuerungen zur Modellierung von Ersatzsteuerungen für 2-Phasen-Systeme. Dissertation, Universität Kassel, unveröffentlicht.

[12]  WEIDEMANN, T./HOYER, R. (2018). Prozessdaten verkehrsabhängiger Lichtsignal­steuerungen: Erkennung von Phasen und Ansatz für eine Verhaltensanalyse. Straßen­verkehrstechnik, Nr. 9, Seite 695–702.

[13]  VERONIKA (2019). URL der Projekthomepage:

https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/AVF-projekte/veronika.html,

Zugriff: 2019-05-02.

[14]  OERTEL, R. et al.: VITAL (2018): Verkehrsabhängig intelligente Steuerung von Licht­signal­anlagen. Straßenverkehrstechnik, Nr. 9, Seite 631–638.