FGSV-Nr. FGSV 001/26
Ort Bremen
Datum 28.09.2016
Titel Bewertung der strukturellen Substanz für die systematische Erhaltungsplanung von Betonfahrbahndecken
Autoren Dr.-Ing. Axel Riwe, Dr.-Ing. Marko Wieland, Dipl.-Ing. Stephan Villaret
Kategorien Kongress
Einleitung

„Mobilität ist zentrale Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben.“ Dieser Leitsatz des BMVI setzt eine intakte und funktionierende Infrastruktur voraus. Im Kontext mit dem Investitionshochlauf in den nächsten Jahren ist für das Bundesfernstraßennetz insbesondere ein netzbezogenes systematisches Vorgehen im Rahmen der Baulichen Erhaltung von Relevanz. Bei der Planung von Erneuerungsmaßnahmen ist dabei die Kenntnis über den Zustand der strukturellen Sub­stanz und deren langfristige Entwicklung von zentraler Bedeutung. Nachfolgend wird ein Ver­fahren vorgestellt, das die mechanisch und statistisch abgesicherte Bewertung und Prognose der strukturellen Substanz von Betonfahrbahndecken ermöglicht. Zudem werden die Anwen­dung und das Vorgehen anhand eines Praxisbeispiels aufgezeigt.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung, Motivation

Bei der Bewältigung des Verkehrsaufkommens im Personen- oder Güterverkehr in Deutschland bildet die Straße die Grundsäule unter den Verkehrsträgern. Mit ca. 13.000 km Bundesautobahnen und ca. 40.000 km Bundesstraßen verfügt Deutschland über eines der dichtesten Fernstraßennetze der Welt. Zudem bildet die Straßeninfrastruktur das Fundament für den Wohlstand der Gesellschaft und gilt zudem als Lebensader der Volkswirtschaft. Folglich besitzen die Verkehrssicherheit sowie die Verfügbarkeit des Straßennetzes einen sehr hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert.

Straßenbefestigungen sind insbesondere verkehrsbedingten als auch klimatischen Einwirkungen ausgesetzt. Hinsichtlich der Verkehrsbelastung wird für die nächsten Jahrzehnte ein erheblicher Anstieg des Schwerverkehrsaufkommens prognostiziert. Zudem sind bereits heute die Auswirkungen der Klimaänderung deutlich erkennbar, woraus sich gesteigerte Anforderungen an die Straßenkonstruktionen ergeben. Hinzu kommen wachsende Ansprüche bezüglich der Bauzeiten, verschiedenster Anforderungen an die funktionellen Eigenschaften der Fahrbahndecke sowie eine zunehmende Alterung der Infrastruktur. Zur künftigen Sicherstellung einer hohen Verfügbarkeit ist daher dem netzbezogenen systematischen Vorgehen bei der Planung und Ausführung der Baulichen Erhaltung eine zunehmende Bedeutung zuzuschreiben. In diesem Kontext bilden dauerhafte und erhaltungsarme Bau- und Instandsetzungsvarianten sowie die Kenntnis über den richtigen Zeitpunkt des Eingreifens eine wichtige Grundlage und ein unerlässliches Hilfsmittel. Derzeit greifen Bund und Länder im Bereich der Erhaltung und Bewertung der Straßeninfrastruktur auf Zustandsinformationen zurück, die basierend auf einer netzweiten messtechnischen Zustandserfassung durch eine entsprechende Datenanalyse generiert werden. Hierbei werden die bewertungsrelevanten Zustandsgrößen über Normierungsfunktionen in Zustandswerte überführt und daraus der Gebrauchswert und der Substanzwert (Oberfläche) gebildet sowie ein Gesamtwert definiert. Da die messtechnische Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) ausschließlich auf oberflächenspezifischen Messdaten und Oberflächenmerkmalen basiert, ist eine direkte Ansprache bzw. Bewertung der Substanz sowie deren Entwicklungsverlauf nur bedingt möglich. Für die systematische Erhaltungsplanung auf Netzebene ­ speziell für den Bereich der grundhaften Erneuerung ­ ist jedoch die genaue Kenntnis über den Zustand sowie die sichere Prognose der Substanzentwicklung von zentraler Bedeutung, da nur so Zeitpunkt und Umfang der baulichen Maßnahmen richtig und mit hinreichendem Vorlauf festgelegt werden können. Faktisch lässt sich daraus folgern, dass künftig für die strukturierte und strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen auf Netz aber auch auf Objektebene die entsprechend notwendigen theoretischen und technischen Grundlagen zu schaffen sind. So sind beispielsweise zusätzliche Eingangsgrößen vonnöten, die eine sichere substanzbezogene Bewertung der vorhandenen Straßeninfrastruktur ­ also die Beantwortung einer multidimensionalen Fragestellung ­ zulassen. Zudem erhöhen sich mit ansteigender Größe des zu betrachtenden Objektes oder Netzes der Schwierigkeitsgrad hinsichtlich der technischen Umsetzung sowie der notwendige finanzielle Rahmen. Daher erfolgt die derzeitige Bewertung der Substanz des Bundesfernstraßennetzes stark vereinfacht auf der Grundlage von ZEB-Daten (siehe oben) und mit Hilfe von Abschreibungsmodellen.

Im Gegensatz dazu bedient man sich in der Statistik sogenannter Ereigniszeitanalysen, um die Zeit bis zum Eintreten bestimmter Ereignisse abschätzen zu können. Bei der Analyse von Lebenszeitdaten technischer Produkte wird dabei häufig auf die Beschreibung der Ausfallrate für den jeweiligen Zeitpunkt zurückgegriffen. Diese weist in der Regel aufgrund von Beanspruchungen, Verschleiß oder Ermüdung über die Lebensdauer eine Zunahme und somit ein zunehmendes Ausfallrisiko auf.

Auf objektspezifischer Ebene ist es bei Bedarf möglich sehr umfassende Untersuchungen durchzuführen, um Kenntnis über den tatsächlichen Zustand der inneren Struktur und der im Kontext stehenden Beanspruchungen und Randbedingungen zu gewinnen. Im Allgemeinen erfolgt hier eine direkte Ansprache des Straßenoberbaus und der Baustoffe mittels Laborprüfungen an Bohrkernen sowie stationär arbeitender Messverfahren. Für die Netzebene ist dieses Vorgehen jedoch aufgrund des hohen Aufwandes ungeeignet. Infolge technischer Weiterentwicklungen haben sich in den letzten Jahren Neuerungen ergeben, die beispielsweise die Ermittlung der Tragfähigkeit oder die Detektion von Schichtdicken mittels schnellfahrender Messsysteme bzw. -verfahren grundsätzlich ermöglichen. Eine netzbezogene Anwendung findet derzeit jedoch noch nicht statt. Aufgrund der hohen Komplexität der Gesamtthematik können im Fachbeitrag nur ausgewählte Themengebiete und Fragestellungen behandelt werden. Zudem werden die Möglichkeit der technisch orientierten Bewertung und Prognose der strukturellen Substanz von Betonfahrbahndecken sowie die systematische Vorgehensweise bei der Erhaltungsplanung am Praxisbeispiel ,,Teilnetz eines Bundeslandes" nur auszugsweise und beispielhaft beleuchtet bzw. dargestellt.

2 Ziele und Nutzen

Das Hauptziel besteht in der Entwicklung eines Verfahrens zur mechanisch und statistisch abgesicherten Bewertung der strukturellen Substanz von Betonfahrbahndecken, das als zentrales Werkzeug für die wirtschaftliche Entscheidungsfindung im Rahmen der systematischen Erhaltungsplanung im Teil- oder Gesamtnetz der Bundesfernstraßen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus ist denkbar, dass derartige Ansätze eine verbesserte Restwertbetrachtung im Rahmen von Funktionsbauverträgen und Öffentlich Privater Partnerschaften ermöglichen.

Zudem soll das Bewertungsverfahren für die strukturelle Substanz eine Prognose der Ausfallrate für den jeweiligen Zeitpunkt (Versagenswahrscheinlichkeiten) ermöglichen, um beispielsweise den wirtschaftlichen Wendepunkt (break even point) von Streckenabschnitten ­ mit einem hinreichenden Objektbezug ­ ermitteln zu können. Die Kenntnisse hierüber sind bei der Aufstellung von Netzerhaltungskonzepten von strategischer Bedeutung, da sie kombinierte Überlegungen, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Sanierung von Bauwerken oder der Netzverfügbarkeit, zulassen und somit gut fundierte wirtschaftliche Entscheidungen ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist auch die Bestimmung des sogenannten „Nutzungsausfallzeitpunktes“ (Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer) der Oberbaukonstruktion, insbesondere der Betondecke, anzuführen. Dieser beschreibt jenen Zeitpunkt, bei dem notwendige Maßnahmen zur Erhaltung im Verhältnis zum Neubau nicht mehr wirtschaftlich sind. Dies ist insofern nicht trivial aber von wirtschaftlicher Bedeutung, da der ermittelte Zeitpunkt nur den Beginn des Handelns anzeigt (Planungs- und Bauphase sind gesondert zu berücksichtigen).

Ein künftiges Ziel stellt die grundlegende Einbindung der messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) dar, die turnusmäßig im Bundesfernstraßennetz durchgeführt wird. Hier ist der möglichen Anknüpfung an bestehende messtechnische Erfassungssysteme sowie die Nutzung bereits zyklisch und systematisch erfasster Daten eine hohe wirtschaftliche Bedeutung zuzuschreiben.

3 Vorgehen

Die grundlegende Vorgehensweise kann in die nachfolgend angeführten Hauptpunkte unterteilt werden.

a. Untersuchung des Lebenszyklus einer Betonfahrbahndecke hinsichtlich relevanter Zeitpunkte, die im Kontext mit der Erhaltungsplanung von Bedeutung sind. Erarbeitung notwendiger Begriffsdefinitionen.

b. Empirische Betrachtung der allgemeinen Schadensentwicklung von Betonfahrbahndecken zur qualitativen Formulierung der Versagenswahrscheinlichkeit mittels Hazard-Funktion über die Zeit.

c. Formulierung von relevanten Einflussgrößen, die bei der Bewertung und Prognose der strukturellen Substanz Beachtung finden sollen.

d. Erstellung eines Verfahrens für die Zuverlässigkeitsanalyse am fertigen Produkt ,,Betonfahrbahndecke" unter Berücksichtigung folgender Punkte:

  • ­Nutzung von Hazard-Funktionen zur Beschreibung von Ausfallraten für den jeweiligen Zeitpunkt
  • ­objektbezogene Anpassung der Funktion (Zugrundelegen unterschiedlicher Verteilungsmodelle und entsprechender Formparameter)
  • ­Modifikation vorhandener Rechenmodelle zur theoretischen Ermittlung von Versagenszuständen unter Berücksichtigung der Schadensakkumulation
  • ­Durchführung von Rechnungen auf der Grundlage von realen Bestands- und Materialkenndaten sowie die Kalibrierung und Präzisierung des Modells anhand in situ ermittelter Ausfallraten
  • ­Ableitung und Formulierung der Grenzen des Rechenverfahrens

e. Anwendung des Verfahrens an einem praktischen Fallbeispiel im BAB-Netz mit folgenden Aufgabenstellungen:

  • ­intensive Analyse des Teilnetzes (z. B. Bestimmung relevanter Materialkennwerte, Dokumentation des Deckenzustandes, Bestimmung der tatsächlichen Ausfallrate durch kombinierte Begehung und Befahrung)
  • ­abschnittsbezogene Prognose der Entwicklung der Ausfallrate sowie der Restnutzungsdauer
  • ­strategische Ableitung notwendiger Erhaltungsmaßnahmen und streckenbezogene Priorisierung der grundhaften Erneuerung im Teilnetz.

4 Status quo und Grundansatz zur Berechnung

4.1 Grundlagen und Definitionen

Die im Rahmen einer Substanzbewertung auftretenden wichtigen Betrachtungszeitpunkte bzw. Zeiträume sind den Bildern 1 und 2 zu entnehmen. Dabei ist zu beachten, dass die normative Nutzungsdauer, die der Planung und Baudurchführung vorangehenden Dimensionierung für den Zeitraum bis zur Erreichung einer definierten Ausfallrate zugrunde gelegt wird, nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Nutzungsdauer im Sinne dieser Betrachtung ist. Vielmehr sind für letztere neben Ausführungsfehlern oder einer veränderten Verkehrsbelastung erhaltungstechnische Aspekte und nicht zuletzt auch wirtschaftliche Entscheidungskriterien maßgebend.

Bezogen auf einen gewählten Bewertungszeitpunkt, zu dem der Status quo bestimmt wird, kann jedoch eine qualifizierte Einschätzung der Restnutzungsdauer in Abhängigkeit von künftigen Maßnahmen erfolgen.

Bild 1: Bewertungszeitpunkt und Restnutzungsdauer

Bild 2: Normative Nutzungsdauer

Grundlegend findet die Bewertung zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Nutzungsdauer der Strecke statt, das heißt innerhalb der Betriebs- und Erhaltungsphase. Die letztlich zu ermittelnde Restnutzungsdauer ergibt sich demnach aus der noch ertragbaren Verkehrsbelastung (siehe Bild 2) ­ die auf einer prognostizierten Verkehrsbelastung für den jeweiligen Streckenabschnitt basiert ­ in eine „Zeitspanne“ umgerechnet. Das Eintreffen dieser Verkehrsbelastung ist demzufolge ein wichtiger Faktor im Kontext mit der Bestimmung der Restnutzungsdauer.

Für die Bewertung eines Abschnitts sind unterschiedliche Nutzungsausfallzeitpunkte zu definieren. Hierbei wird die Ausfallrate für einen Bewertungszeitpunkt als der prozentuale Anteil von Platten mit Tragfähigkeitsversagen, also Platten mit Einzelrissen oder mit signifikanten Netzrissen definiert.

Während bei einer Dimensionierung gemäß den RDO Beton 09 für Bundesautobahnen bei dem Lastfall „Ermüdung“ eine Ausfallrate von 5 % unterstellt wird, ist das Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer (wirtschaftlicher Nutzungsausfallzeitpunkt) derzeit bei einer Ausfallrate von ca. 10 % zu sehen. Der wirtschaftliche Nutzungsausfallzeitpunkt spiegelt dabei den Zeitpunkt wider, bei dem notwendige Maßnahmen zur Erhaltung im Verhältnis zum Neubau nicht mehr wirtschaftlich sind, folglich eine Erneuerung der Fahrbahn wirtschaftlich günstiger ist als fortwährende Sanierungsmaßnahmen.

Die wirtschaftliche Nutzungsdauer ist definiert als die Zeitspanne zwischen Fertigstellung eines Oberbaus und dem Zeitpunkt, zu dem aus wirtschaftlichen Gründen eine grundhafte Erneuerungsmaßnahme vorgenommen werden sollte.

Das Ende der technischen Nutzungsdauer (technischer Nutzungsausfallzeitpunkt) einer Strecke beschreibt den Zeitpunkt, bei dem die Funktion für die vorgesehene Nutzungsart nicht mehr gegeben ist. Dieser Nutzungsausfallzeitpunkt ist abhängig von der Straßenkategorie/ Straßenklasse und liegt bei Bundesautobahnen ohne größere Funktionseinschränkungen bei einer Ausfallrate von ca. 20 % und mit großen Funktionseinschränkungen in etwa bei ca. 40 bis 50 %. Diese Werte wurden anhand erster empirischer Erfahrungen ermittelt. Die technische Nutzungsdauer ist definiert als Zeitspanne zwischen Fertigstellung des Oberbaus von Verkehrsflächen und dem Zeitpunkt, an dem dieser durch die erfahrenen Beanspruchungen substanziell in der Form geschädigt ist, dass der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) erreicht ist.

4.2 Allgemeine Zusammenhänge bei der Schadensentwicklung

Die Notwendigkeit für eine Prognose der Restnutzungsdauer ergibt sich aus der Tatsache, dass die Lebensdauer der Fahrbahnen begrenzt ist. Die Betonplatten sind nach ihrer Herstellung ständig äußeren Einflüssen ausgesetzt, die zu einer allmählichen Veränderung insbesondere der mechanischen und physikalischen Eigenschaften und schließlich zu einer Zerstörung der Platten führen können. Um diesen Prozess besser zu verstehen, ist es hilfreich, einige allgemeine Zusammenhänge zu betrachten, welche erfahrungsgemäß für die Alterung und allmähliche Schädigung technischer Bauteile gelten.

Mit den aus der Zuverlässigkeitstheorie bekannten Zusammenhängen über den allgemeinen Verlauf der Alterung technischer Bauteile oder Produkte lässt sich beispielsweise auch die Entwicklung von Ausfallraten mathematisch beschreiben. Hierfür wird die sogenannte Hazardfunktion genutzt, um die Entwicklung von Ausfallraten über die Zeit darstellen zu können. Die Funktion stellt die Wahrscheinlichkeit dar, mit der ein Ereignis (z. B. Versagen des Bauteils) zum Zeitpunkt T eintritt unter der Voraussetzung, dass es bis zum Zeitpunkt t noch nicht eingetreten ist (t < T). Im Bild 3 sind der Kurvenverlauf ­ der allgemein als Badewannenkurve bezeichnet wird ­ sowie die drei kennzeichnenden Phasen schematisch dargestellt.

Erfahrungen aus dem Bau und der Erhaltung von Betonstraßen zeigen, dass bei dem technischen Produkt „Betonfahrbahndecke“ die über den Lebenszeitraum hinweg betrachteten Ausfälle von einzelnen Fahrbahnplatten der oben angeführten Funktion qualitativ folgen. Das heißt, nach dem Ausfall der schon aus der Herstellung fehlerhaften Platten (Phase 1) folgt eine längere Phase (Phase 2), in der nur ein sporadisches Versagen von Platten stattfindet. Anschließend folgt die Phase 3, in der aufgrund von Alterungserscheinungen sowohl in der Betondecke als auch ihrer Unterlage eine langsam akkumulierende sowie sich gegenseitig verstärkende Schädigung einsetzt, die einen progressiven Anstieg der Ausfallrate bewirkt.

Bild 3: Schematische Darstellung der Ausfallfunktion (Badewannenkurve mit überhöhter Darstellung)

Bild 4: Verlauf der Hazardfunktion bei sehr günstiger Schadensentwicklung (siehe auch rote Kurve im Bild 5)

Der typische Verlauf der Hazardfunktion (Rack 2006) beschreibt einen anfänglichen Abfall, gefolgt von einem längeren konstanten Verlauf und schließlich einem allmählich steiler werdenden Anstieg (Bild 4). Darin spiegeln sich die oben angeführten Phasen, anfängliche Ausfälle durch Herstellungsfehler, sporadische Ausfälle (z. B. durch punktuelle Überlastungen) und schließlich das zahlreiche Versagen durch allgemeine Degradation wider.

Mit entsprechender Wahl der Parameter lassen sich typische Kurvenverläufe erzeugen. Im Bild 5 sind exemplarisch verschiedene Entwicklungsszenarien für die Ausfallrate an Betonfahrbahndecken angeführt. Die äußere rechte Kurve stellt dabei einen sehr günstigen und die äußere linke einen sehr ungünstigen Verlauf dar. Das heißt, bei einem günstigeren Verlauf sind die Ausfallraten über den gesamten Lebenszyklus der Fahrbahn geringer als bei ungünstigem Verlauf. Die Grundlagen hierfür wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes [FE 04.433/2009/DGB] erarbeitet.

Bild 5: Entwicklung der Ausfallrate bei unterschiedlicher Fahrbahnqualität

Die Hazardfunktion eines Streckenabschnittes ist normalerweise nicht bekannt und kann aus diesem Grund nicht für die direkte Berechnung der Lebensdauer verwendet werden.

Zur Verwendung idealisierter Hazardfunktionen werden folgende Annahmen getroffen: Die Entwicklung der Ausfallrate folgt stets einem qualitativ ähnlichen Kurvenverlauf, wobei sich die einzelnen Kurven nicht schneiden. Auf der Basis empirischer Erhebungen ist es somit möglich, jeder Betonfahrbahndecke einen typischen abschnittsbezogenen Kurvenverlauf zuzuordnen und so die weitere Entwicklung der Ausfallrate einzuschätzen.

Im Bild 6 ist die Entwicklung der Ausfallrate bezogen auf einen dimensionierungsrelevanten Zeitraum von 30 Jahren dargestellt.

Nach Skalierung ist den Grafiken deutlich zu entnehmen, dass in diesem Bereich signifikante Unterschiede zwischen Betonfahrbahndecken mit günstiger und ungünstiger Schadensentwicklung auftreten. Als ein gewichtiges Merkmal ist hier der Beginn der progressiven Schadensentwicklung einzuschätzen. Das Bild 7 zeigt die gleiche Entwicklung der Ausfallrate wie das Bild 6, jedoch bei einer weiter veränderten Skalierung der y-Achse. Durch die andere Skalierung der y-Achse werden auch die Unterschiede zwischen den unteren Kurven deutlich, welche für einen günstigen Schadensverlauf stehen.

Bild 6: Entwicklung der Ausfallrate im dimensionierungsrelevanten Zeitraum

Bild 7: Entwicklung der Ausfallrate im dimensionierungsrelevanten Zeitraum (Darstellung bis 20 % Ausfallrate)

4.3 Grundansatz zur Berechnung

Für die Bewertung der strukturellen Substanz und deren Prognose ist von Bedeutung, welche Randbedingungen einen Einfluss auf das Langzeitverhalten und die Dauerhaftigkeit von Betonfahrbahndecken besitzen. Im Bild 8 sind jene Einflussfaktoren angeführt, denen aus empirischer Sicht eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird.

Bild 8: Einflussfaktoren auf die strukturelle Substanz

5 Verfahren zur Berechnung der strukturellen Substanz

5.1 Grundlagen

Der prinzipielle Ablauf des Verfahrens zur Substanzbewertung ist im Bild 9 dargestellt. In einem ersten Schritt werden alle relevanten Daten für den zu bewertenden Fahrbahnabschnitt gesammelt bzw. ermittelt. Die hieraus entstehende Datenbasis bildet dann die Grundlage für die weiteren Berechnungen. Ferner ist vor Ort oder durch Auswertung bestehender Oberflächendaten der Anteil ausgefallener Platten (Istzustand zum Zeitpunkt x) zu ermitteln. Dieser Wert dient der Erstkalibrierung des Berechnungsverfahrens. Mit dem Verfahren können dann die Ausfallraten für beliebige Prognosezeiträume berechnet werden.

Die Bestandsdaten können aus unterschiedlichen Quellen gewonnen werden. Prinzipiell ist es notwendig, vorhandene Daten aus Planungs- und Bestandsunterlagen durch Messungen/Prüfungen auf Richtigkeit zu prüfen und bei Bedarf zu ergänzen. Art und Umfang der ergänzenden Untersuchungen sind jeweils für den konkreten Fall festzulegen. Für die korrekte Synthese der Informationen aus den vorhandenen Daten und den ergänzenden Untersuchungen kann die Bayes-Statistik genutzt werden.

Bild 9: Prinzipieller Ablauf der Substanzbewertung

Als Verfahren zur Berechnung der strukturellen Substanz kann im Grundsatz das Berechnungsmodell genutzt werden, das für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen genutzt wird (RDO Beton 09). Dabei wird allein der Nachweis gegen Ermüdung an Quer- und Längsfuge herangezogen.

Für eine langfristige Prognose der Ausfallraten ist es erforderlich, die im Zuge der Nutzung auftretende Erhöhung der Plattenbeanspruchung zu erfassen. Dies wird mit zeitlichen Verlaufsfunktionen für bestimmte Einflussfaktoren realisiert. Für die Kombination der unterschiedlichen Belastungsniveaus wird die Hypothese der linearen Schadensakkumulation (Miner-Regel, siehe Abschnitt 5.6) verwendet.

5.2 Annahmen für die zeitlichen Verlaufsfunktionen

Eine zeitliche Entwicklung kann für die folgenden im Berechnungsmodell der RDO Beton 09 berücksichtigten Einflüsse unterstellt werden:

  • ­dynamische Wirkung der Radlast (Stoßfaktor)
  • ­Querkraftübertragung in Quer- und Längsfuge (Dübelfaktor)
  • ­Homogenität und Steifigkeit der Lagerung (Lagerungsfaktor)
  • Betonfestigkeit (Ermüdung/Nacherhärtung).

Die zeitliche Entwicklung der Betonfestigkeit ist sowohl für die Prognose der Restnutzungsdauer als auch für die Dimensionierung von Betondecken von besonderer Bedeutung. Entsprechend gibt es eine umfangreiche Forschungstätigkeit auf nationaler wie auch internationaler Ebene zu dieser Thematik. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass die zugrundeliegenden Zusammenhänge noch nicht hinreichend erforscht sind und besonders im Hinblick auf hohe Lastwechselzahlen keine ausreichend gesicherten Ergebnisse vorliegen. Der aktuelle Erkenntnisstand bietet allerdings die Möglichkeit, fundierte Annahmen für die Ermüdungs- und Nacherhärtungsverläufe zu treffen.

Für den Ansatz der zeitlichen Verlaufsfunktionen der anderen oben genannten relevanten Einflussfaktoren fehlt hingegen die empirische Grundlage. Für die bisher durchgeführten Berechnungen wurden aus diesem Grund plausible Annahmen getroffen. Für die Minimal- und zum Teil auch die Maximalwerte konnten die Angaben aus den RDO Beton 09 verwendet werden. Ferner wurde angenommen, dass es einerseits zu einer wechselseitigen Verstärkung kommt, die im Ergebnis zu einer progressiven Erhöhung führt. Andererseits können die Werte für diese Faktoren bestimmte Grenzen nicht überschreiten, so dass wieder eine Umkehr zu einem degressiven Anstieg und eine asymptotische Annäherung an den Maximalwert erfolgt. Die Funktionen müssen also einen s-förmigen Verlauf aufweisen.

Als allgemeine Formel für den zeitlichen Verlauf von Dübel-, Stoß- und Lagerungsfaktor wurde definiert:

Formel siehe PDF.

Für den Lagerungsfaktor wird die volle B-Zahl (Summe der gewichteten äquivalenten 10-t-Achsübergänge, die bis zum Ende des vorgesehenen Nutzungszeitraums in dem Fahrstreifen mit der höchsten Verkehrsbeanspruchung zu erwarten sind.) und FF=0,5 angesetzt.

Bild 10: Typischer Verlauf des Dübelfaktors für die Querfuge

Bild 11: Verlauf des Alterungsfaktors

Die Erfahrung zeigt, dass auch Betonstrecken ohne Verkehrsbeanspruchung einer bestimmten Alterung unterliegen. Außerdem ist anzumerken, dass es eine Reihe von Einflüssen gibt, welche im Berechnungsmodell nicht enthalten sind (z. B. chemische Treibreaktionen). Um derartige Einflüsse/Effekte pauschal berücksichtigen zu können, wurde ein Alterungsfaktor definiert, welcher unabhängig von der Verkehrsbelastung zwischen 1 und 1,1 verläuft:

Formel siehe PDF.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Ansatz eines pauschalen Alterungsfaktors nur in Verbindung mit einer objektkonkreten Kalibrierung erfolgen darf (siehe Bild 11 und Abschnitt 5.5).

5.3 Einflüsse aus Überlagerungen

Beobachtungen an real auftretenden Schädigungsverläufen haben gezeigt, dass bereits vorhandene Schäden weitere Schädigungen induzieren und/oder den Schädigungsverlauf signifikant intensivieren. Folglich ist davon auszugehen, dass sich die unterschiedlichen Schädigungen überlagern und gegenseitig verstärken. Zur Abbildung derartiger Effekte im Berechnungsmodell, wird ein spannungsverstärkender Faktor definiert.

Formel siehe PDF.

Zur besseren Anpassung der Kurve an mehrere Kalibrierungspunkte kann zusätzlich der Spannungskoeffizient verwendet werden. Wird nur ein Kalibrierungspunkt verwendet, ist dieser mit 0,1 anzusetzen.

5.4 Berücksichtigung des Verbundes

Einige der bisher untersuchten Fahrbahnen wurden als Verbundquerschnitte (Verbundbauweise: Beton auf hydraulisch gebundener Schicht) konzipiert. Die praktischen Erfahrungen und die Ergebnisse aus laufenden Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigen jedoch, dass der Verbund in keinem Fall vollflächig dauerhaft erhalten bleibt und somit nicht immer vollständig angesetzt werden darf.

Die Berechnungen werden demzufolge für den gesamten Betrachtungszeitraum für zwei Varianten durchgeführt:

­ – Variante 1: Platten mit vollem Verbund

­ – Variante 2: Platten ohne Verbund

Für die erste Variante wurden die Spannungen nach dem Verfahren von Eisenmann berechnet.

Der Zeitraum, in dem die Verbundlösung stattfindet, lässt sich nur an Hand der jeweils für die den Streckenabschnitt vorliegenden Untersuchungsergebnisse abschätzen. Für die Jahre vor dem Beginn der Verbundlösung werden allein die Ergebnisse berücksichtigt, welche sich nach Variante 1 ergeben. Nach Abschluss der Verbundlösung werden allein die Ergebnisse nach Variante 2 berücksichtigt. In den Jahren dazwischen werden die Berechnungsergebnisse aus beiden Varianten entsprechend dem Anteil der Verbundlösung gewichtet.

Formel siehe PDF.

Aufgrund fehlender Kenntnisse über den genauen Verlauf der Verbundauflösung wird diesem Prozess ein linearer Verlauf unterstellt. Diese Annahme ist stark vereinfacht und führt im Funktionsverlauf der Lebensdauer sporadisch zu einem Knick. Da keinerlei Erkenntnisse zum tatsächlichen Verlauf der Verbundauflösung vorliegen, ist jede andere Modellierung reine Spekulation.

5.5 Kalibrierung

Aufgrund der Komplexität und Langfristigkeit der zu untersuchenden Sachverhalte ist es nur dann möglich, hinreichend sichere Berechnungsergebnisse zu erhalten, wenn die Berechnung objektbezogen kalibriert wird. Die Kalibrierung kann an der Ausfallrate erfolgen, welche zum Bewertungszeitpunkt vorliegt.

Im Berechnungsverfahren wird der Kalibrierungsfaktor jeweils mit den berechneten Spannungen multipliziert. Dies hat sich in der bisherigen Anwendung als zielführend herausgestellt. So ergibt sich eine hinreichend große und kaum verzerrende Beeinflussung des Endergebnisses.

Gemäß dem derzeitigen Kenntnisstand ergeben sich für den Kalibrierungsfaktor Werte zwischen 0,9 und 1,1.

5.6 Berechnung der Schadensakkumulation

Zur Beurteilung des Einflusses einer Belastung bzw. eines Lastkollektivs auf die Lebensdauer eines Bauteils bedient man sich in der Ingenieurtechnik der linearen Schadensakkumulation. Die Regel nach Milton Miner besagt, dass jede Belastung eine abstrakte Teilschädigung D im Bauteil/Baustoff hervorruft. Diese Einzelschädigungen werden linear akkumuliert und ergeben die Gesamtschädigung D. Die Größe der Schädigung entspricht dem Quotienten aus vorhandener Lastwechselzahl und der ertragbaren Lastwechselzahl. Weil die ertragbare Lastwechselzahl vom Belastungsniveau abhängt, ist für jedes Lastniveau ein separater Quotient zu bilden. Es ergibt sich:

Formel siehe PDF.

Versagen tritt ein, wenn D=1 erreicht ist.

Im Dimensionierungsmodell gemäß den RDO Beton 09 wird das Lastkollektiv in eine äquivalente Lastwechselzahl (B-Zahl) umgerechnet, welche ein bestimmtes Spannungsniveau erzeugt (). Durch die zeitliche Veränderung verschiedener Einflussfaktoren entsteht in jedem Jahr ein anderes Spannungsniveau beim äquivalenten Achsübergang, welches eine spezifische Schädigung erzeugt. Die Schädigungsanteile aus den einzelnen Jahren können entsprechend der Miner-Regel addiert werden. Es gilt:

Formel siehe PDF.

Zwischen dem Lastniveau und der ertragbaren Lastwechselzahl besteht nach den RDO Beton 09 der Zusammenhang:

Diese Gleichung enthält als alleinige unbekannte Größe die Betonfestigkeit. Die Lösung der Gleichung liefert also für jedes Jahr die Betonfestigkeit, die mindestens notwendig ist, um ein Versagen (Bruch) zu vermeiden. Aus der Verteilungsfunktion für die Betonfestigkeit lässt sich ermitteln, wie groß der Anteil der Platten ist, die diese Mindestfestigkeit nicht aufweisen. Damit ist die gesuchte Ausfallrate ermittelt. Nach derzeitigem Stand wird also nur die Streuung der Betonfestigkeit zur Berechnung der Ausfallrate herangezogen.

Die Berechnung wird getrennt für die Längsfuge und die Querfuge durchgeführt. Die berechneten Ausfallraten werden addiert.

Formel siehe PDF.

5.7 Grenzen des Verfahrens

Die strukturelle Substanz von Betonfahrbahnplatten ist von multiplen Einflüssen abhängig, welche zum großen Teil nur unzureichend bekannt sind. Darüber hinaus sind die Berechnungsmodelle zur Beschreibung des mechanischen Verhaltens der Platten stark idealisiert. Aus diesem Grund ist es derzeit nicht möglich, ein Berechnungsmodell zu etablieren, welches den komplexen Prozess der allmählichen Alterung und Schädigung einer Betondecke mit hinreichender Genauigkeit beschreibt. Es kann deshalb nicht der Anspruch erhoben werden, zielgenaue Prognosen für lange Zeiträume zu liefern. Das Ziel besteht vielmehr darin, aus der Gesamtheit der verfügbaren Informationen mit einem transparenten und rational begründeten Verfahren eine statistisch abgesicherte Prognose zu generieren.

6 Praxisbeispiel für die Substanzbewertung

6.1 Ausgangssituation-Datengrundlage

Im Rahmen einer Untersuchungskampagne der BASt wurden/werden im deutschen BAB-Netz zahlreiche Fahrbahndecken in Betonbauweise intensiv untersucht. Neben der systematischen Entnahme von Bohrkernen werden hier zudem der allgemeine Deckenzustand sowie sonstige Randbedingungen erfasst. In diesem Zusammenhang wurden 2013 im Bereich der Autobahndirektion Südbayern ca. 600 Kilometer Richtungsfahrbahn intensiv untersucht. Zudem wurden über 1.000 Bohrkerne entnommen und im Labor die tatsächlich vorliegenden physikalischen sowie mechanischen Kennwerte in über 1.500 Einzelprüfungen bestimmt. Die untersuchten Fahrbahndecken weisen zum Teil ein hohes Alter auf. Die Grafik im Bild 12 zeigt eine Zusammenstellung der Strecken in Bezug auf Alter und Längenausprägung. Hieraus ist erkennbar, dass ein Großteil der Decken zum Bewertungszeitpunkt bereits älter als 29 Jahre war. Die Angaben wurden basierend auf einem Datenbankauszug aus dem Jahr 2013 erstellt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die zum Zeitpunkt der Planung und des Baus der ältesten Strecken jeweils gültigen Regelwerke keinen direkten oder einen deutlich kürzeren Nutzungszeitraum im Vergleich zu den jetzigen RStO 12 vorsahen. Das heißt, der größte Anteil der aufgeführten Fahrbahndecken hat den vorgesehenen Nutzungszeitraum deutlich überschritten. Anhand der vorliegenden Ergebnisse ist anzunehmen, dass sich die hohe Lebensdauer unter anderem auf die hohen Festigkeiten (sowohl Spaltzug- als auch Druckfestigkeit) zurückführen lässt.

Bild 12: Alter der Streckenabschnitte im Jahr 2015 (basierend auf Datenbankauszug 2013)

Trotz hoher Festigkeitswerte weisen bereits mehrere Streckenabschnitte ­ mit „alten“ Betondecken ­ hohe Ausfallraten auf bzw. lassen solche in nächster Zeit erwarten. Ursächlich ist hierfür beispielsweise die geringe Betondeckendicke zu nennen, die in Kombination mit einer fortschreitenden Verbundlösung zur hydraulisch gebundenen Unterlage nicht mehr ausreicht, die Belastungen aus Verkehr und Witterung zu ertragen.

Insgesamt existierten rund 400 km Richtungsfahrbahn mit einer „alten“ Betondecke. Geht man davon aus, dass im betrachteten Bundesland innerhalb eines Jahres durchschnittlich ca. 30 km Richtungsfahrbahn erneuert werden, ist die gänzliche Erneuerung aller „alten“ Betondecken erst nach etwa 15 Jahren abgeschlossen. Folglich lässt sich daraus ableiten, dass das durchschnittliche Deckenalter zum Sanierungszeitpunkt zwischen 40 und 45 Jahren liegen wird.

Aufbauend auf den ermittelten Bestands- und Zustandsdaten sowie der labortechnisch ermittelten Materialkennwerte wurden Substanzbewertungen gemäß dem zuvor dargestellten Verfahren vorgenommen, um die möglichen wirtschaftlichen und technischen Nutzungsausfallzeitpunkte der Strecken zu ermitteln. Im nachfolgenden Kapitel werden die verwendeten Eingangsdaten und erzielten Ergebnisse auszugsweise vorgestellt.

In einem weiteren Schritt konnte hieraus eine Prioritätenreihung entwickelt werden, um insbesondere Sanierungsausgaben vor der anvisierten Erneuerung zu minimieren.

6.2 Prognose der Restnutzungsdauer

Wie in den vorangegangenen Kapiteln erläutert werden sowohl für die Berechnung der strukturellen Substanz als auch für die Prognose von Ausfallraten ­ unter Verwendung des vorgestellten Berechnungsverfahrens ­ zahlreiche Eingangsdaten benötigt. In der Tabelle 1 sind exemplarisch die relevanten Eingangsgrößen für das Rechenbeispiel der A93N, RF München abgebildet.

Tabelle 1: Relevante Eingangsgrößen für die Substanzbewertung A93, RF München

Die Bilder 13 und 14 zeigen die jeweils im Feld ermittelte Ausfallrate zum Bewertungszeitpunkt 2013 sowie den mathematisch prognostizierten Verlauf. Deutlich erkennbar ist, dass bei beiden Abschnitten der wirtschaftlich kritische Zeitpunkt (Ausfallrate = 10 %) in den nächsten Jahren eintritt.

Bilder 13 und 14: Entwicklung der Ausfallrate und die in 2013 ermittelte Ausfallrate der BAB A93, RF München, Abschnitt 1 (links), Abschnitt 2 (rechts)

Das nächste Rechenbeispiel bezieht sich auf zwei Abschnitte der BAB A92, RF Deggendorf. Die relevanten Eingangsgrößen hierfür sind in der Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2: Relevante Eingangsgrößen für die Substanzbewertung A92, RF Deggendorf

Wie den Bildern 15 und 16 zu entnehmen ist, weisen beide Streckenabschnitte schon zum Zeitpunkt der Bewertung eine sehr hohe Ausfallrate auf. Das bedeutet, der Bewertungszeitpunkt und der prognostizierte Zeitraum liegen im Bereich der progressiven Schadensentwicklung. Zudem ist der im Kapitel 5.4 beschriebene Knick in der Schädigungskurve erkennbar, der den Zeitpunkt der vollständigen Verbundauflösung markiert.

Bilder 15 und 16: Entwicklung der Ausfallrate und die in 2013 ermittelte Ausfallrate der BAB A92, RF Deggendorf, Abschnitt 1 (links), Abschnitt 4 (rechts)

Insgesamt wurde die strukturelle Substanz für 36 Streckenabschnitte berechnet und jeweils eine Prognose der Ausfallrate vorgenommen. Hierauf basierend wurden eine ausfallratenbezogene Reihung und eine Prioritätenliste für eine grundhafte Erneuerung aufgestellt. Hierzu wurde der Zeitpunkt bzw. das Jahr des Eintretens einer 10 %-igen, 20 %-igen bzw. 40 %-igen Ausfallrate bestimmt. Da ein Teil der Streckenabschnitte schon eine hohe Schädigung und eine damit verbundene hohe Ausfallrate aufwies, wurde in diesem speziellen Fall das unwirtschaftlichere 20 %-Ausfallratenkriterium für die Prioritätenreihung angesetzt. Dieses Vorgehen liegt im Wesentlichen darin begründet, dass bei Ansatz des 10 %-Kriteriums die Umsetzung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen (grundhafte Erneuerung) zeitlich nicht realisierbar gewesen wäre.

Die Tabelle 3 zeigt einen Auszug aus der erstellten Prioritätenliste.

Tabelle 3: Auszug aus der Prioritätenliste

Für die strategische Planung der grundhaften Erneuerung wurde basierend auf der Prioritätenliste eine Klasseneinteilung vorgenommen, um eine Zusammenfassung von Streckenabschnitten im betroffenen Netz und deren Zuweisung in den entsprechenden Umsetzungszeitraum vornehmen zu können. Im vorliegenden Fall umfasst die Zeitspanne eines Umsetzungsintervalls fünf Jahre.

Die Bilder 17 und 18 zeigen die entsprechende Darstellung des Gesamtnetzes (links) sowie einen exemplarischen Ausschnitt der BAB A92 (rechts).

Bilder 17 und 18: Kartografische Darstellung des Gesamtnetzes (links), Streckenband der A92 mit Darstellung der Abschnittsbildung und den zugehörigen Umsetzungsintervallen (rechts)

7 Kalibrierung der Funktion und Präzisierung der Prognose

Der zum ersten Bewertungszeitpunkt (2013) festgestellte strukturelle Zustand bildet im Kontext mit dem jeweiligen Herstellungszeitpunkt der Betondecke die Basis für die Festlegung relevanter Verhaltensfunktionen (zeitlicher Verlauf der Ausfallrate). Diese weisen auch Unterschiede hinsichtlich regionaler, konstruktiver oder baustofflicher Randbedingungen auf und müssen daher für den jeweiligen Betrachtungsfall aufgestellt und kalibriert werden.

Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln angeführt, erfährt die Verhaltensfunktion durch die Bestimmung zusätzlich fixierender Punkte eine Korrektur. Durch die erneute Kalibrierung wird zum einen die Prognose präzisiert und zum anderen die Objektschärfe erhöht. Im Zusammenhang mit der Bestimmung des wirtschaftlichen Nutzungsausfallzeitpunktes sowie seiner Toleranzgrenzen ist anzumerken, dass dieser in Abhängigkeit von der grundsätzlichen konstruktiven Lösung zu bestimmen ist. Die Grafiken in den Bildern 19 und 20 zeigen die korrigierende bzw. präzisierende Wirkung durch eine erneute Kalibrierung der Funktion. So wird insbesondere durch die explizite Festlegung der maßgebenden Funktion die Präzision der Prognose erhöht. Zudem ergibt sich hierdurch in der Prognose ein konkretes Wertepaar (Zeit/ Ausfallrate), das durch weitere Kalibriervorgänge fortlaufend präzisiert werden kann. Im Vergleich zu herkömmlichen Vorgehensweisen, bei denen Bau- und Erhaltungsprogramme allein aus den Oberflächeneigenschaften abgeleitet werden, ergibt sich nunmehr der Vorteil, einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren betrachten zu können. Für das angeführte Praxisbeispiel ist die zweite Kalibrierung in 2016 vorgesehen, so dass auf Basis der neuen Berechnungsergebnisse eine Aktualisierung bzw. Justierung der Umsetzungsplanung vorgenommen werden kann.

Bild 19: Festlegung relevanter Prognosefunktionen (erste Bewertung)

Bild 20: Kalibrierung der maßgebenden Prognosefunktion (zweite Bewertung)

Bei der Ermittlung der tatsächlichen Ausfallrate in situ ist zu beachten, dass ausgefallene Fahrbahnplatten im Allgemeinen zeitnah fachgerecht saniert werden. Das heißt theoretisch, die zum Betrachtungszeitpunkt (x+1) ermittelte Ausfallrate könnte im Vergleich zu einer zuvor ermittelten Ausfallrate abnehmen. Da eine fachgerechte Sanierung nicht mit einer grundhaften Erneuerung hinsichtlich der Nutzungsdauer (hier Restnutzungsdauer) zu vergleichen ist, werden derartige Fälle gesondert betrachtet und gewertet.

8 Fazit und Ausblick

8.1 Theoretische Ansätze und deren Fortschreibung

Im Zuge der Berechnung und Prognose von Ausfallraten muss der zeitliche Verlauf verschiedener im Berechnungsmodell enthaltener Parameter berücksichtigt werden. Aufgrund fehlender empirisch basierender Ansätze für die Formulierung zutreffender Verlaufsfunktionen wurden diese aus theoretischen Überlegungen heraus formuliert. Dabei entsprechen die gewählten funktionalen Ansätze den allgemeinen nationalen Erfahrungen. Im Ergebnis stimmt der Verlauf im Ansatz mit jenen aus Untersuchungsergebnissen ­ die in der internationalen Fachliteratur publiziert wurden ­ überein. Eine Validierung mit statistisch ausgewerteten Daten des deutschen Autobahnnetzes steht noch aus.

Bei der Interpretation der Berechnungsergebnisse ist zu beachten, dass das Beanspruchungsverhalten von Betonfahrbahnen sehr komplex ist. So wird dieses Verhalten neben den planmäßigen Belastungen aus Verkehr und Klima beispielsweise auch durch Kriech- und Schwindprozesse im Beton beeinflusst. Darüber hinaus ist im Laufe der Nutzungsdauer mit Einflüssen zu rechnen, welche nicht oder nur schwierig prognostiziert werden können. Dies betrifft z. B. die Verschmutzung der Fugen, Schädigungen durch chemische Treibreaktionen oder längerfristige Fahrspureinengungen, die zu einer Befahrung der Längsfuge führen. Solche Effekte können mit einem allgemeingültigen Berechnungsmodell nicht abgebildet werden und sind daher objektkonkret zu berücksichtigen.

Um präzise Ergebnisse für die Bewertung und Prognose mit dem Berechnungsverfahren zu erzielen, ist eine Mehrfachkalibrierung für jeden zu bewertenden Abschnitt von Bedeutung. In den Berechnungen des Praxisbeispiels wurde bisher nur eine Kalibrierung mit den im Bewertungsjahr ermittelten Ausfallraten durchgeführt. Wie erwartet konnte hiermit eine Zuweisung maßgebender Funktionenverläufe vorgenommen werden. Naturgemäß nimmt die Sicherheit der prognostizierten Werte mit wachsender zeitlicher Entfernung vom Kalibrierungspunkt ab. Für die weitere Präzisierung des Modells ist daher eine weitere Kalibrierung und Validierung in 2016 vorgesehen. Aus derzeitiger Sicht wird ein zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Erhebungen von zwei bis vier Jahren als angemessen betrachtet.

Durch die BASt wurden verschiedene Forschungsprojekte initiiert, deren Ergebnisse zur weiteren Optimierung des Berechnungsverfahrens herangezogen werden können. Es wird eine Verbesserung des Verfahrens in folgenden Punkten angestrebt:

  • ­Einführung empirisch abgesicherter Verlaufsfunktionen für relevante zeitlich veränderliche Parameter
  • ­Berücksichtigung der Streuung mehrerer Zufallsgrößen durch die Anwendung probabilistischer Methoden
  • ­Verbesserung der Berechnungsmethodik für die Plattenbeanspruchung durch Nutzung der Finite-Elemente-Methode.

Auch bei einer weiteren Steigerung der Qualität des Rechenverfahrens sind aufgrund der multidimensionalen Zusammenhänge und der interessierenden langen Prognosezeiträume die Berechnungen objektkonkret zu kalibrieren.

8.2 Praktische Konsequenz

Das hier vorgestellte Bewertungsverfahren für die strukturelle Substanz kann im Grundsatz zur wirtschaftlichen Entscheidungsfindung im Rahmen der systematischen Erhaltungsplanung von Bundesfernstraßen angewendet werden. So lassen sich über die Prognose der Ausfallrate zum Beispiel der wirtschaftliche Wendepunkt (break even point) sowie der wirtschaftliche Nutzungsausfallzeitpunkt von Streckenabschnitten ermitteln.

Für Autobahnen ist gemäß der rechnerischen Dimensionierung von einer 5 %-igen Ausfallrate bei einer 30-jährigen normativen Nutzungsdauer auszugehen. Da dieser empirische Ansatz ebenfalls auf Prognosen beruht (z. B. Verkehrsprognose), wird der eigentliche Grenzwert bei einer Ausfallrate von 10 % angesetzt. Im Rahmen der Substanzbewertung stellt die 10 %-ige Ausfallrate zudem den Zeitpunkt dar, der den wirtschaftlichsten Punkt des Eingreifens im Kontext mit der Erhaltungsplanung (wirtschaftlicher Nutzungsausfallzeitpunkt) angibt. Ab diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass bei einer wirtschaftlichen Betrachtung die grundhafte Erneuerung einer Instandhaltung/Instandsetzung aus monetären Gründen vorzuziehen ist. Für eine objektbezogene Entscheidung ist jedoch auch der jeweilige Funktionsverlauf in die Betrachtung einzubeziehen.

Für die Praxis ­ insbesondere bei alten Betonfahrbahnen ­ hat sich jedoch bewährt, eine Betrachtung der Ausfallrate bei 10 %, 20 % und 40 % vorzunehmen, da unter Umständen zum Bewertungszeitpunkt schon eine Ausfallrate >10 % vorliegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass Ausfallraten über 20 % nicht nur hohe Erhaltungsaufwendungen nach sich ziehen, sondern auch zu Einschränkungen der Funktion (z. B. der Ebenheit) oder der Verfügbarkeit (z. B. durch Baustellen) führen können. Bei Ausfallraten über 40 % sind in den meisten Fällen neben Primärschäden auch Sekundärschäden zu verzeichnen. Das heißt, die Fahrbahnplatten weisen beispielsweise nicht nur Längsrisse, sondern gleichermaßen Quer- und Schrägrisse auf. Beim Erreichen einer Ausfallrate von 50 % ist aus heutiger Sicht jener Punkt erreicht, der das Ende der technischen Nutzungsdauer darstellt.

Für das aufgezeigte Praxisbeispiel war es aus planungstechnischen Gründen erforderlich, die vorhandenen Betonstrecken noch bis zu 15 Jahre lang zu erhalten, da die Maßnahmen der grundhaften Erneuerung nur sukzessive erfolgen können.

Grundsätzlich konnte durch die praktische Anwendung des Verfahrens aufgezeigt werden, dass insbesondere die langfristige Prognose der Ausfallrate ein entscheidendes Hilfsmittel für die systematische Erhaltungsplanung darstellt. Im Vergleich zu den herkömmlichen Bewertungsverfahren kann mit diesem Verfahren eine mechanisch statistisch abgesicherte Substanzbewertung erfolgen.

Literaturverzeichnis

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