FGSV-Nr. FGSV 002/96
Ort Stuttgart
Datum 16.03.2011
Titel Routenwahl in der taktfeinen ÖV-Umlegung
Autoren Dr. Klaus Nökel, Dr. Steffen Wekeck
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Wir vergleichen mehrere Routenwahlmodelle in der taktfeinen Umlegung hinsichtlich der zugrunde liegenden Annahmen über Pünktlichkeit, Fahrgastinformation und Struktur der Alternativenmenge. Numerische Ergebnisse für einige einfache Beispiele zeigen, dass die Aufteilung der Nachfrage auf Routen von diesen Annahmen in starkem Maße abhängt, so dass sich in der Praxis die Frage nach dem angemessenen Modell stellt und es kein Modell gibt, dass in allen Situationen befriedigende Ergebnisse liefert. Ähnlich wichtig ist die Reaktion des Aufteilungsmodells auf kleine Veränderungen der Linienfahrzeit oder des Takts, denn eine stetige Abhängigkeit begünstigt die Konvergenz in Modellen mit Nachfragerückkopplung. Schließlich zeigen wir, dass für die Minimierung der Reisezeit die Wahl der richtigen Umsteigehaltestelle ebenso bedeutsam ist wie die Wahl der benutzten Linie.

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1 Einleitung

Die taktfeine ÖV-Umlegung bildet die Wahlsituation von ÖV-Fahrgästen ab, die ihre Route in Kenntnis der Linienwege, Linienfahrzeiten und Takte wählen, ohne vorab exakte Abfahrzeiten der einzelnen Linien zu wissen. Alle in der Praxis verwendeten Modelle stützen sich auf die zentrale Rationalitätsannahme, dass Fahrgäste dabei ihre erwarteten generalisierten Kosten zu minimieren suchen. Wie Spiess und Florian [1] bereits diskutierten, bestimmt diese Annahme allein jedoch noch nicht die Lösung. Stattdessen hängt sie von einer Reihe von Faktoren ab, u.a.

- Regelmäßigkeit des Betriebs (Pünktlichkeit),

- Fahrgastinformation während der Fahrt,

- Struktur der vom Fahrgast in Betracht gezogenen Alternativen.

Jede Annahme über diese Aspekte induziert ihr eigenes Wahlmodell. Die praktische Bedeutung dieser Modelle ergibt sich aus der Tatsache, dass sie für identische Wahlsituationen deutlich unterschiedliche Aufteilungen prognostizieren. Deshalb ist es gefährlich, ein Modell mit bestimmten Annahmen auf ein Netz anzuwenden, in dem andere Annahmen gelten. Es gibt nicht ein einziges „wahres“ Wahlmodell für alle Situationen, vielmehr sollte der Modellierer stets darauf achten, das Aufteilungsmodell passend zu den Gegebenheiten seines Planungsraums zu wählen.

Zur Untermauerung stellen wir einige alternative Annahmen vor, beschreiben die von ihnen erzeugten Wahlmodelle und vergleichen sie anhand der vorhergesagten Routenaufteilungen, besonders bei Variation des Modellinputs. In Abschnitt 4 untersuchen wir Modelle für die Wahl der Linie an einer Einsteigehaltestelle und in Abschnitt 5 Modelle für die Wahl der Umstiegshaltestelle.

2 Annahmen

Bevor wir die alternativen Ansätze charakterisieren, beschreiben wir kurz die Terminologie und Annahmen, die allen gemein sind.

Wir nehmen an, dass das Fahrplanangebot durch einen Graph G = (V, E) gegeben ist, in dem Knoten für Haltestellen und Kanten für Segmente von Linien zwischen aufeinander folgenden Haltestellen stehen, d.h. jede Linie i korrespondiert zu einer Kantenfolge Ei in G. Fahrten verkehren auf jeder Linie i, mit vorgegebener fester Fahrzeit ce für Kante e in Ei . Jede Linie i verkehrt mit einem Takt hi der wie ce veröffentlicht und den Fahrgästen vor Fahrtantritt bekannt ist. Die Wartezeiten auf verschiedene Linien sind voneinander unabhängig.

Fahrgastankünfte an den Ausgangshaltestellen sind zeitlich gleichverteilt und unabhägig voneinander und von den Abfahrzeiten der Fahrten. Verschiedene Modelle (z.B. [2], [3]) beziehen Überfüllungseffekte bei der Routenwahl explizit ein. Hier beschränken wir uns jedoch auf den Fall, dass Fahrgäste stets in das gewählte Fahrzeug einsteigen können und dass die Fahrzeit vom Füllungsgrad unabhängig ist. Ebenso können alle Modelle neben der Reisezeit weitere Terme in der generalisierten Kostenfunktion berücksichtigen. Sie tragen jedoch nichts zu den hier untersuchten Modelleigenschaften bei, weshalb wir sie ignorieren.

Die wichtigsten Annahmen, die sich zwischen den Modellen unterscheiden, beziehen sich auf die Regelmäßigkeit des Betriebs, den Grad der Fahrgastinformation und die Alternativenmenge.

In manchen Netzen schwanken die Fahrzeugfolgezeiten innerhalb einer Linie beträchtlich und der Fahrgast kann allein deshalb keine exakten Abfahrtzeiten kennen. Dieser Fall tritt typischerweise in Busnetzen mit starker IV-Auslastung aus. Oft wird bei Betriebsbeginn eine gewisse Anzahl von Fahrzeugen in Umlauf gebracht, die sich im Tagesverlauf je nach Verkehrssituation entlang des Linienwegs verteilen. Da die Anzahl der Fahrzeuge fest ist, ist die mittlere Fahrzeugfolgezeit konstant, individuelle Folgezeiten können durch Pulkbildung jedoch stark abweichen. Im anderen Extrem verkehren die Fahrten in konstantem Abstand, so dass exakte Abfahrzeiten im Prinzip existieren – sie sind dem Fahrgast nur nicht vor Fahrtantritt bekannt.
 
Eine zweite Unterscheidung betrifft die Information, die ein Fahrgast bei Ankunft an einer Umsteigehaltestelle erhält. Im Minimalfall wartet der Fahrgast an der Haltestelle und beobachtet sequentiell die Ankünfte der dort verkehrenden Linien. In moderneren Netzen zeigen dynamische Fahrgastinformationssysteme dagegen die Wartezeit bis zu den nächsten Abfahrten aller Linien. Bei pünktlicher Betriebsabwicklung kann der Fahrgast ebenso die Aushangfahrpläne an der Haltestelle studieren (die ihm gemäß Grundannahme bei der Planung der Fahrt noch nicht zugänglich waren). Selbst wenn es keine veröffentlichten Fahrpläne gibt, weiß der Fahrgast, wie lange er bereits wartet und kann daraus Rückschlüsse auf die verbleibende Wartezeit ziehen – der Wert dieser Information hängt selbstverständlich von der Pünktlichkeit des Betriebs ab.

Schließlich hängt jedes Wahlmodell von den Alternativen ab, auf die sich die Nachfrage verteilt. Spiess und Florian [1] beschreiben Strategien unterschiedlicher Komplexität. Die existierende Literatur beschäftigt sich überwiegend mit der Entscheidung, in welche Linie der wartende Fahrgast einsteigen sollte. Die Entscheidung, wo er wieder aussteigen und von welcher Haltestelle er die Fahrt fortsetzen sollte, ist jedoch gleichermaßen abhängig von der verfügbaren Information. Im einfachsten Fall, der Standardannahme in allen klassischen Modellen, haben Fahrgäste keinerlei dynamische Information über Umsteigegelegenheiten, solange sie sich im ankommenden Fahrzeug befinden. Sie müssen sich deshalb deterministisch zwischen dem Verbleib an Bord und Aussteigen entscheiden, und in letzterem Fall haben Sie danach die Wahl zwischen allen anderen Linien ab der Umsteigehaltestelle. Beide Annahmen sind der Realität oft verletzt. Erstens können Fahrgäste aus dem Fahrzeug heraus unter Umständen die dynamische Fahrgastinformation sehen (indem sie aus dem Fenster schauen) und die angezeigten Wartezeiten in ihre Entscheidung einbeziehen. Zweitens kann die Wahl der besten Fortsetzung in Wirklichkeit mehrstufig sein, z.B. wenn die Umsteigehaltestelle selbst von mehreren Linien bedient wird, die Fahrt aber auch nach einem Fußweg mit anderen Linien von anderen Haltestellen aus fortgesetzt werden kann. In solchen Fällen sieht der Fahrgast beim Aussteigen möglicher- weise Wartezeiten für die lokalen, jedoch nicht die entfernten Linien.

In manchen Modellen ist der Aufbau der Alternativenmengen stärker durch den Algorithmus als durch Verhaltenshypothesen motiviert. Deshalb möchten wir in dieser Arbeit die Definition der Alternativen so explizit wie möglich heraus stellen, und zwar sowohl für Einstieg als auch für Ausstieg.

3 Einsteigen

Alle Modelle konstruieren eine Menge von attraktiven Linien für jeden Graph-Knoten und weisen den Linien in dieser Menge Anteile der Nachfrage zu. Meist ist die Konstruktion sukzessive organisiert, beginnt am Ziel und arbeitet sich von dort entgegen der Fahrtrichtung zu den Quellen vor. Ein Knoten kann erst nach all seinen Nachfolgern im Graph bearbeitet werden. Dann ist die Restreisezeit über eine ausgehende Kante zum Ziel gegeben als die Summe aus der Kantenreisezeit und der Restreisezeit des Nachfolgeknoten. (Diese Vorschrift setzt einen zykelfreien Graphen voraus, was in realen Netzen oft nicht erfüllt ist. Die konsistente Behandlung von Zyklen im Graph wird hier nicht behandelt.)

Wir setzen voraus, dass Graphknoten grundsätzlich auf diese Weise sukzessive abgearbeitet werden, und betrachten die Entscheidungssituation an einem beliebigen einzelnen Zwischenknoten.

Die Menge der wählbaren Linien am Knoten sei mit  L : = {l,..., n}  bezeichnet. Jede Linie i ϵ L hat eine erwartete Restreisezeit si ≥ 0 (die per Konstruktion nicht nur die reine Fahrzeit, sondern auch die Gehzeiten und erwarteten Umsteigewartezeiten stromabwärts umfasst). hi ist der Takt der Linie i und i und λ1 = 1/h1 ihre Frequenz. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass die wählbaren Linien nach erwarteter Restreisezeit sortiert, also: s1 ≤ s2 ≤ ... ≤ sn.

Die Analyse der verschiedenen Wahlmodelle konzentriert sich dann auf die Fragen:
 
a)    Wie definiert ein Modell die Menge L* c L der attraktiven Linien?
 
b)    Wie berechnet ein Modell Anteile πi für die Linien i ϵ L* ?

Es ist offensichtlich, das seine Linie nicht aus L* ausgeschlossen werden kann, wenn sie eine niedrigere Restreisezeit als eine andere Linie in L* besitzt. Weil die Linien nach Restereisezeit sortiert sind, kommen als attraktive Mengen nur Betracht. Frage a) reduziert sich damit auf: Li := {1,K,i} für i = 1,...,n in
 
a’) Wie bestimmt ein Modell i* so dass L* = Li* ?
 
Die Antwort auf b) ist immer die gleiche, wenn das Modell so konstruiert ist, das Fahrgäste die erste eintreffende Linie aus L* besteigen. Dies gilt jedoch nur bei eingeschränkter Fahrgastinformation. Fall B4 unten ist ein Beispiel für eine völlig andere Strategie.

Formel siehe PDF.

3.1 Fall B1: Nicht-konstante Fahrzeugfolgezeit, sequenzielle Beobachtung

Wir beginnen mit dem Fall, in dem der Fahrgast die geringste Information über den Betriebsablauf besitzt. Im allgemeinen Fall folgt die Verteilung der Fahrzeugfolgezeit einer beliebigen Verteilung, aber häufig wird – u.a. wegen der mathematischen Konsequenzen – eine exponentielle Verteilung mit Erwartungswert λi = 1/hi der Frequenz der Linie i,angenommen. Fahrgäste können lediglich die nächste Ankunft eines Fahrzeugs an der Haltestelle beobachten.

Für diese Situation entwickelten Spiess and Florian das Optimal Strategy-Modell. In ihrem grundlegenden Papier [1] führten sie das Konzept der attraktiven Linienmenge ein und zeigten, dass ein Fahrgast seine erwartete Restreisezeit reduzieren kann, wenn er sich an jeder Haltestelle für eine Linie aus der attraktiven Menge statt für eine feste Route zum Ziel entscheidet. Der Fahrgast besteigt das erste eintreffende Fahrzeug einer der attraktiven Linien und steigt an einer vorher bestimmten Haltestelle wieder aus. Nguyen und Pallottino [4] beschreiben die Alternativen äquivalent als gerichtete, azyklische Subgraphen (hyperpaths) des Netzgraphs.

Die attraktiven Mengen für jede Haltestelle ergeben sich als Lösung eines nicht-linearen Optimierungsproblems. Die Nachfrage verteilt sich proportional zur Frequenz auf die attraktiven Linien.

Konstruktion der attraktiven Mengen

Die Linien werden in Reihenfolge wachsender Restreisezeit ab der aktuellen Haltestelle abgearbeitet.

Formel siehe PDF.

Mit anderen Worten: eine Linie i gehört der attraktiven Menge L* genau dann an, wenn ihre Restreisezeit (ohne Wartezeit) die erwartete Restreisezeit (inkl. Wartezeit) der Kombination Li-1 = {1,K, i - 1} nicht übersteigt. ui-1 repräsentiert also die Kombination der Linien in Li-1 . Sie verhält sich wie eine einzige Linie, deren Frequenz die Summe der Frequenzen der einzelnen Linien und deren Restreisezeit das gewichtete Mittel der Restreisezeiten der einzelnen Linien ist.
 
Linie i wird also nicht mit den einzelnen Linien in Li-1 verglichen, sondern mit dem ganzen “Bündel”. Die Differenz liegt in der Koordination: obwohl die Linien in Li-1 beliebige Takte aufweisen können, werden sie behandelt, als wären sie perfekt koordiniert. Dies ist eine weitere Konsequenz der exponentiellen Verteilung der Fahrzeugfolgezeit.

Anteile und erwartete Reisezeit

Da der Fahrgast stets das erste ankommende Fahrzeug unter allen attraktiven Linien L* besteigt, ergibt sich

Formel siehe PDF.

Bemerkenswerterweise kommt die Fahrzeit in der Definition von πi nicht vor! Sobald eine Linie in die attraktive Menge aufgenommen wird, hängt ihr Nachfraganteil nur noch von der Frequenz ab. In Beispiel 4 werden wir eine kritische Konsequenz dieser Eigenschaft zeigen.

3.2 Fall B2: Konstante Fahrzeugfolgezeit, sequenzielle Beobachtung

Exponentiell verteilte Fahrzeugfolgezeiten stellen einen Extremfall dar, weil die Zeiten völlig unabhängig voneinander sind. Daraus ergeben sich angenehme mathematische Eigenschaften, die für das schlichte Optimal Strategy-Modell ausschlaggebend sind. Wie Gentile et al. [5] erklären, sind Fahrzeugfolgezeiten im allgemeineren Fall Erlang-verteilt, wobei der Parameter m die Regelmäßigkeit des Betriebs abbildet:

Formel siehe PDF.

Für m=1 reduziert sich die Erlang-Verteilung auf die Exponential-Verteilung. Die Regelmäßigkeit des Betriebs steigt mit m, und für Fahrzeugfolgezeiten, der andere Extremfall.

Für letzteren Fall erhalten wir

Formel siehe PDF.

Konstruktion der attraktiven Menge

Anders als in den anderen Fällen können wir keine geschlossene Vorschrift für die Bestimmung der attraktiven Menge L* angeben. Da wir uns auf die Teilmengen Li , l ≤ i ≤ n, beschränken dürfen, berechnen wir (…) für alle i und wählen L* := Li*, wobei i* durch i* := arg mini {ETLi} festgelegt ist. Anders als in Fall B1 können wir die Berechnung nicht abkürzen, in dem wir ETLi für wachsende i berechnen und abbrechen, sobald zum ersten Mal ET < ETLi+1, denn es kann mehr als ein lokales Optimum in der Folge (ETLi)i geben.

Anteile und erwartete Reisezeit

Formel siehe PDF.

denn Linie i wird nach Wartezeit wdann und nur dann gewählt, wenn keine der anderen attraktiven Linien jbereits vorher eintrafen. Im Fall konstanter Fahrzeugfolgezeiten reduziert sich dies auf

Formel siehe PDF.

3.3 Fall B3: Konstante Fahrzeugfolgezeit, sequenzielle Beobachtung, verstrichene Wartezeit

Intuitiv bedeutet konstante Fahrzeugfolgezeit eine zusätzliche Information, aus der Fahrgäste Nutzen ziehen sollten. Regelmäßige Abfahrten führen aber nicht von selbst zu kürzeren Reisezeiten. Vielmehr muss der Fahrgast mehr als nur die sequenziellen Abfahrten beobachten, um systematisch zu profitieren.

Eine zusätzliche Information kann der Fahrgast ohne technische Unterstützung ausnutzen: die verstrichene Wartezeit. Bei exponentiell verteilten Fahrzeugfolgezeiten ist diese Information wegen der Gedächtnislosigkeit des stochastischen Prozesses wertlos, aber mit zunehmender Regelmäßigkeit des Betriebs kann der Fahrgast seine Erwartung der Wartezeit, und damit der Restreisezeit, fortlaufend aktualisieren, während er wartet. Bei konstanten Fahrzeugfolgezeiten wird der Effekt am stärksten: Wenn eine Linie alle 20 Minuten bedient wird, beträgt die erwartete Wartezeit zu Beginn 10 Minuten. Nach x Minuten Warten fällt sie jedoch auf (20-x) / 2 Minuten, bis nach maximal 20 Minuten ein Fahrzeug sicher eingetroffen sein muss.

Billi et al. [6] und die Autoren untersuchten diese Situation unabhängig voneinander und verallgemeinerten die attraktive Linienmenge. Diese Menge ist nicht mehr konstant pro Haltestelle gegeben, sondern verändert sich mit fortschreitender Wartezeit.

Die “dynamische Menge” (D(τ) c L)τ≥0 bildet die attraktive Menge nach Wartezeit τ. UD (τ) bezeichne die erwartete Restreisezeit (inkl. Wartezeit) nach Wartezeit τ, wenn Menge D ist verwendet wird. Die entscheidende Eigenschaft einer „guten“ dynamischen Menge D ist

Formel siehe PDF.
 

Mit anderen Worten: Linie i wird ignoriert, sobald es günstiger ist, auf eine der i-1 schnelleren Linien zu warten als ein unmittelbar eintreffendes Fahrzeug von i zu besteigen. Wir nennen diese Eigenschaft globale Attraktivität.

Billi et al. zeigen, dass es eine eindeutige global attraktive Menge D* = D gibt. Obendrein folgt aus der Monotonie der Restwartezeit, dass jede Linie i in einem Zeitintervall [0, ti], ti ≥ 0, attraktiv ist - oder aber nie. Da die Linien nach Restreisezeit geordnet sind, bedeutet dies, dass es ein eindeutig bestimmtes i* gibt, so dass D* (ti) = Li für i = l,…, i* und D*(0) = Li.

Während die Wartezeit verstreicht, fallen die Linien also in absteigender Reihenfolge der Restreisezeit aus der attraktiven Menge. Linien i > i* sind nie attraktiv.
 
Konstruktion der attraktiven Menge

Die Konstruktion von D* erfordert also die Bestimmung von i* und der Zeiten 0 ≥ ti* ≥ ti*-1 ≥ ... ≥ t1   zu denen sich die attraktive Menge ändert.

Am einfachsten beginnt man dazu mit dem Zeitpunkt t1 = h1 , zu dem spätestens ein Fahrzeug der schnellsten Linie eintrifft, und bewegt sich von dort rückwärts in der Zeit.

Um den Zeitpunkt t2 zu bestimmen, an dem die zweitschnellste Linie aus der attraktiven Menge ausscheidet, lösen wir entsprechend (*) die Gleichung (…) nach τ auf.

Daraus ergibt sich τ = h1-2(s2-s1). Falls τ ≤ 0, i* = 1 und wir brechen ab. Falls τ > 0, i* > 1 und t2 = h1-2(s2-s1).
 
Sind t1 ,.., ti bereits berechnet, ergibt sich ti+1 als das eindeutige τ ≤ ti, das si+1 = UD*(τ) erfüllt. (…)

Der erste Term ist die erwartete Restreisezeit nach Wartezeit τ mit den Linien, deren nächste Abfahrt vor ti erfolgt, der zweite Term ist die erwartete Restreisezeit auf den restlichen Linien. Für diesen Term ergibt sich eine kompakte Form, weil nach Konstruktion gilt: si = UD*(ti).

Falls τ ≤ 0, brechen wir wieder ab und setzen i* = i. Falls τ > 0, i* > i und setzen Konstruktion fort.
 
L* : = D*(0) enthält alle Linien, deren Restreisezeit (ohne Warten) die erwartete Restreisezeit (mit Warten) der schnelleren Linien nicht übersteigt, so dass es sich stets lohnt eine attractive Linie zu besteigen, sofern sie sofort eintrifft.

Linie i ist stets attraktiv, falls ti ≥ h, d.h. falls ti nach dem Zeitpunkt liegt, zu dem ein Fahrzeug der Linie mit dichtestem Takt sicher eingetroffen ist. Zur Vereinfachung der nächsten Formeln setzen wir ti := min{ti, h} für alle i.

Anteile und erwartete Reisezeit

Formel siehe PDF.

Hier summieren wir über alle Intervalle Ij = (t j+1,tj] , in denen Linie i bestiegen werden kann. Für ein festes Intervall Ij geht die Wahrscheinlichkeit ein, dass keine schon bei tj +1 dominierte Linie k > i zuvor eintraf, sowie die Dichtefunktion der Wartezeit auf Linie i, unter der Bedingung, dass keine Linie k < i vor i eintrifft. Auf analoge Weise ergibt sich die erwartete Restreisezeit.

Zusammengefasst: ein Fahrgast kann B2 mit einer dynamischen Strategie schlagen. Er wählt dazu i* ≤ n sowie eine geordnete Menge von Zeitpunkten (ti*,...,t1) und verwendet Lj als lokal attraktive Menge im Intervall Ij = (tj+1,tj]. Falls also nach Wartezeit τ ϵ (tj+1,tj] eine der Linien aus Lj eintrifft, besteigt er sie. Andere Linien ignoriert er.

3.4 Fall B4: Konstante Fahrzeugfolgezeiten, parallele Beobachtung

In B3 nehmen wir noch immer an, dass Fahrgäste nur die nächste eintreffende Linie beobachten können. Dies schien lange natürlich, ist aber heutzutage dort unrealistisch, wo dynamische Fahrgastinformationssysteme die Abfahrtzeiten aller Linien an der Haltestelle zeigen. Alternativ kann der Fahrgast gedruckte Aushangfahrpläne an der Haltestelle einsehen, die ihm vor Fahrtbeginn nicht zur Verfügung standen. In beiden Fällen kennt der Fahrgast an der Haltestelle die exakten Wartezeiten auf alle Linien i.

Gentile et al. [5] und VISUM [7] entwickelten unabhängig voneinander einen Label-Setting- Algorithmus zur Berechnung erwarteter Restreisezeiten von jeder Haltestelle zu einem gegebenen Ziel.

Anders als zuvor wählt der Fahrgast dabei keine Linie aus einer Menge gemäß zufälliger Ankunft. Steht er erst einmal an der Haltestelle, sind alle Linienwartezeiten wi bekannt und es gibt keinen Zufall mehr. Vielmehr wählt der Fahrgast einfach die Linie i mit minimalem wi + si .

Konstruktion der attraktiven Menge

L* enthält alle Linien i die für mindestens eine Abfahrtzeitbelegung optimal sind, d.h.

Formel siehe PDF.
 
Anders ausgedrückt enthält L* diejenigen Linien, die zumindest in dem Extremfall optimal sind, in dem ein Fahrzeug dieser Linie sofort eintrifft, während die Wartezeit auf alle anderen Linien maximal ist, also ihrem vollen Takt entspricht.

Anteile und erwartete Reisezeit

Wie gesagt entspricht der Anteil jeder Linie der Wahrscheinlichkeit der Abfahrtzeit- belegungen, für die sie die optimale Reisezeit bietet.

Formel siehe PDF.

Die Formel ähnelt der in B2 sehr. Der einzige Unterschied liegt in der Bedingung für die konkurrierenden Linien j ≠ i wenn ein Fahrzeug von Linie i nach Wartezeit w eintrifft: wir fordern nicht einfach, dass j nicht vor w eintrifft. Falls j < i eine schnellere Linie ist, darf j nicht einmal vor  w + (si - sj) eintreffen. Wäre dies der Fall, lohnte es sich nämlich, auf j zu warten und i zu ignorieren. Analog könnte eine langsamere Linie j > i nach eintreffen, ohne i überlegen zu sein.

Formel siehe PDF.

Die Strategie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Fahrgast beobachtet an einer Haltestelle die Wartezeiten wi  auf  alle Linien i. Daraus berechnet er die aktuelle Restreisezeit mit jeder möglichen Linie i: ti := wi + si .

Dann besteigt er Linie i = arg mini{ti} und steigt an der dafür vorbestimmten Haltestelle wieder aus.

3.5 Vergleich

Wir vergleichen nun die verschiedenen Modelle anhand einfacher numerischer Beispiele. In jedem Beispiel geht es um die Entscheidung zwischen zwei Linien i=1, 2 an derselben Haltestelle mit Takten hi und Fahrzeiten (ohne Warten) si. Für jedes Modell geben wir die Linienanteile und die erwarteten Gesamtreisezeiten (inkl. Warten) ET an.

Im ersten Beispiel haben beide Linien den gleichen Takt, aber Linie 2 ist langsamer als Linie 1.

Tabelle 1: Beispiel 1

In B1 und B2 sind beide Linien attraktiv, denn die erwartete Reisezeit inkl. Warten nur mit Linie ist größer als die Reisezeit ohne Warten mit Linie 2. Also wird Linie 2 nicht dominiert. Weil h1 = h2 , kommen beide Linien mit gleicher Wahrscheinlichkeit als erste, haben also gleichen Anteil. Die Restreisezeiten si gehen nur in die Bestimmung der attraktiven Menge und der Restreisezeit ET ein, nicht jedoch in πi . In B2 sind die Anteile ebenfalls identisch, weil die Wahl der Linie wieder nur von der Reihenfolge der Ankünfte abhängt.

In B3 und B4 zieht die schnellere Linie einen höheren Fahrgastanteil auf sich. Das ist eine unmittelbare Folge der zusätzlichen Fahrgastinformation: es gibt Situationen, in denen der Fahrgast die langsamere Linie fahren lässt, weil er weiß, dass die schnellere kurze Zeit später eintreffen wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür hängt sowohl von der Differenz der Restreisezeiten und vom Takt ab. In B4 weiß der Fahrgast mehr als in B3, so dass der Effekt ausgeprägter ist. Umgekehrt sinkt die erwartete Gesamtreisezeit von B2 über B3 nach B4. Dieser Zeitgewinn kann als Nutzen der zusätzlich verfügbaren Information interpretiert werden.

Die erwartete Gesamtreisezeit für B2-B4 ist höher als für B1, doch deutet das nicht auf eine bessere Informationsverwertung in B1 hin. Vielmehr sind die Fahrzeugfolgezeiten in B1 unabhängig exponential-verteilt. Das entspricht perfekter Koordinierung, da die Frequenzen aller attraktiven Linien addiert werden. Diese Annahme machen wir bei B2-B4 nicht automatisch. Nehmen wir sie jedoch hinzu, ergeben sich für B2-B4 in der Tat niedrigere Gesamtreisezeiten als für B1.

Im zweiten Beispiel haben beide Linien gleiche Fahrzeit, aber verschiedene Takte.

Tabelle 2: Beispiel 2

Hier ergeben sich für B2-B4 gleiche Linienanteile und Restreisezeiten, weil beide Linien gleiche Fahrzeit haben, so dass sich nichts durch einen Wechsel auf die schnellere Linie gewinnen lässt. Beide Linien sind gleichermaßen attraktiv – wenn sie eintreffen, und die unterschiedlichen Anteile spiegeln lediglich die unterschiedliche Wahrscheinlichkeit, als erste Linie einzutreffen. Die Anteile für B1 unterscheiden sich von den anderen, überwiegend wieder wegen der angenommenen Koordinierung. In Beispiel 2 muss das als pathologisch eingestuft werden, denn die beiden Takte lassen sich gar nicht koordinieren

In den nächsten beiden Beispielen untersuchen wir die Sensitivität der Ergebnisse gegenüber einer Variation von Takt bzw. Fahrzeit. Wir beschränken und auf B1, B3 und B4, da es sich um die interessantesten Situationen handelt. Beispiel 3 führt Beispiel 1 weiter: wir variieren h1 zwischen 2 und 20, alles andere bleibt gleich.

Tabelle 3: Beispiel 3

Bild 1: Beispiel 3

Für h1 < 10  ist die erwartete Gesamtreisezeit nur mit Linie 1 geringer als die Fahrzeit von Linie 2, so dass Linie 2 in B1 nicht zur attraktiven Menge gehört. Bei h1 = 10 ändert sich das abrupt: π1 fällt auf 2/3, da nun beide Linien attraktiv sind und die Linienanteile nur von den Takten abhängen. Für größere h1 fällt π1 stetig weiter. Die Unstetigkeit tritt bei B3 nicht auf, denn für h1 knapp über 10 ist es fast immer vorteilhaft, Linie 2 fahren zu lassen, selbst wenn sie zuerst eintrifft, weil Linie 1 kurz darauf folgen muss. In B4 ist die Abhängigkeit ebenfalls stetig. Man beachte, dass π1 bereits ab h ≥ 5 abfällt. Oberhalb dieser Schwelle ist es möglich, dass für eine gegebene Fahrplankonstellation Linie 2 eine geringere Gesamtreisezeit bietet. Die Wahrscheinlichkeit dafür ergibt den Anteil von Linie 2.
 
Beispiel 4 verallgemeinert Beispiel 2 und variiert die Fahrzeit unverändert.

Tabelle 4: Beispiel 4

Bild 2: Beispiel 4

In B1 beobachten wir ein auffälliges Verhalten: π1 ist eine Treppenfunktion von si mit Unstetigkeiten, wo die attraktive Menge von {1} erst zu {1, 2} und dann zu {2} wechselt. Die anderen beiden Modelle stimmen mit B1 nur dort überein, wo eine der beiden Linien dominiert. Dazwischen fällt π1 stetig von 1 auf 0. Das Diagramm zeigt deutlich, dass der Anteil der schnelleren Linie mit der verfügbaren Information wächst. Jansson und Ridderstolpe [8] berichten ähnliche Ergebnisse im Vergleich von B1 mit dem Umlegungsverfahren in VIPS.

4 Aus- und Umsteigen

Alle bisher beschriebenen Modelle beantworten die Frage, welche Linien von wartenden Fahrgästen bestiegen werden und hängen davon ab, was ein Fahrgast weiß, während er an einer einzelnen Haltestelle steht. Was aber, wenn ein Fahrgast nicht an einer Haltestelle wartet, sondern es mehrere Haltestellen gibt, von denen die Fahrt begonnen oder nach einem Umstieg fortgesetzt werden kann? Dann hängt die Entscheidung über den Ausstieg und die weitere Route davon ab, welche Information der Fahrgast wann erhält.

4.1 Fall A1: Keine Information über verfügbare Anschlüsse

Nehmen wir zunächst an, es werde keinerlei Information angeboten. Der klassische Optimal Strategy-Ansatz modelliert diesen Fall als Entscheidung zwischen zwei Alternativen, die jeweils Kosten tragen und keine Wartezeit. Die Entscheidung ist deterministisch, weil die Fahrgäste keine Ankünfte anderer Linien beobachten können, solange sie noch an Bord sind. Sie treffen ihre Entscheidung stattdessen auf Basis der erwarteten Restreisezeit nach dem hypothetischen Umstieg. Zwei Fragen stellen sich:

- Ist es vernünftig, die Entscheidung für oder gegen den Umstieg von der Wahl der anschließenden Linie zu trennen?

- Sollte die Alternativenmenge separate Optionen für jede Haltestelle enthalten, von der die Fahrt fortgesetzt werden kann, oder nur eine pauschale für den Umstieg an sich?

Die erste Frage zielt auf die “vorbestimmte Ausstiegshaltestelle“, die wir in vielen Modellen finden. Bekanntlich wählen in der Realität durchaus nicht alle Fahrgäste mit gleichem Ziel auch die gleiche Ausstiegshaltestelle aus einer gegebenen Linie. Das lässt sich teilweise mit einer unspezifischen Unschärfe im Verhalten, Präferenzunterschieden, ungenauen Schätzungen der Restreisezeit etc. erklären. Aus Berechnungssicht vereinfacht die Annahme einer eindeutigen Ausstiegshaltestelle die Routensuche immens und beschleunigt die Umlegung deutlich. Solch ein Ansatz ist für eine schnelle, erste Umlegung vertretbar, führt aber in der Detailplanung abermals zu unerwünschten sprunghaften Veränderungen der Routenwahl, wenn sich Fahrzeiten und Takte geringfügig ändern.

4.2 Fall A2: Information über lokale Anschlüsse schon an Bord

Hier nehmen wir alternativ an, dass Fahrgäste an der Haltestelle über volle Wartezeitinformation verfügen (Fall B4). Falls diese Information erst nach dem Ausstieg sichtbar ist, wählt der Fahrgast zweistufig: zunächst entscheidet er, ob er aussteigt (wie in A1), danach über die Anschlusslinie (wie in B4). Oft kann der Fahrgast aber aus dem Fenster schauen und die dynamische Fahrgastinformation schon vor dem Ausstieg einsehen. Dann kann er besser einschätzen, ob und wie viel Vorteil ein Umstieg brächte. Selbst ohne technische Informationssysteme sind Fahrgäste nicht völlig uninformiert. Sie können beispielsweise aus ihrem Fahrzeug heraus vorausfahrende (= entgangene) oder folgende (= sichere, wartezeitarme) Anschlusslinien sehen. Das beeinflusst die Schätzung der Restreisezeit ab der Umstiegshaltestelle und damit die Entscheidung über den Umstieg an sich. In diesem Fall wären Verbleib an Bord und Weiterfahrt mit jeder der möglichen Anschlusslinien gleichberechtigte Alternativen im Sinne von B4.

Falls die Fahrt alternative von einer anderen, nicht einsehbaren Haltestelle fortgesetzt werden könnte, ist die Wahl wieder zweistufig: zunächst wählt der Fahrgast gemäß A1 zwischen dem Fußweg zur entfernten Haltestelle und allen lokalen Optionen (inkl. Verbleib an Bord), danach gemäß B4 zwischen allen lokalen Optionen.

4.3 Fall A3: Information über alle Anschlüsse bereits an Bord

Um abzuschätzen, wie viel Nutzen der Fahrgast aus noch weiter gehender Information ziehen kann, nehmen wir nun noch an, dass selbst die Anschlüsse von benachbarten Haltestellen an der Ausstiegshaltestelle gezeigt werden. Gelegentlich wird so etwas schon heute an ausgedehnten Netzknoten praktiziert, doch könnte dies schon in naher Zukunft auf Basis mobiler Geräte zur Normalität werden. So kann ein Smartphone mit einer entsprechenden Applikation alle Routenalternativen zum Ziel mit Ist-Abfahrtzeiten zeigen – auch wenn sie von einer benachbarten Haltestelle abfahren.

In solch einer Situation würde der Fahrgast eine einstufige Wahl zwischen Verbleib an Bord und allen Anschlusslinien von der lokalen oder benachbarten Umstiegshaltestellen treffen.

4.4 Vergleich

Zum Vergleich dient ein Beispiel aus der Region Coventry, UK. Das Netz ist recht klein (3914 Strecken, 725 Haltestellen, 151 Linien), aber es gibt zahlreiche Umstiegsgelegenheiten in der Stadtmitte, weil viele Haltestellen durch kurze Fußwege verbunden sind. Wir benutzen als Kostenfunktion

Kosten = 1 * Fahrzeit + 1.75 * Gehzeit + 2 * Wartezeit + 5min * Anzahl Umstiege

Selbst wenn wir die maximale Umsteigegehzeit in unserem Experiment auf 5 Minuten begrenzen, hat die Information über Anschlüsse einen starken Effekt:

Tabelle 5: Beispiel Coventry

Offensichtlich kann nur ein Teil der Modellkombinationen in der Realität vorkommen, weil Fahrgäste nach dem Umstieg nie weniger Informationen besitzen als vorher.

Die ersten drei Zeilen zeigen, wie zusätzliche Information an der Haltestelle die Reisezeit verbessert, genau wie in den künstlichen Beispielen aus Abschnitt 4. Interessanterweise sinkt nicht nur die Reisezeit, sondern auch die Zahl der Umstiege und die Umsteigewartezeit. Zumindest in diesem Beispiel führt das komplexere Wahlmodell also nicht zu komplizierteren Routen. In B4/A2 und B4/A3 untersuchen wir, was passiert, wenn Information bereits vor dem Ausstieg verfügbar ist. Verglichen mit B4/A1 sparen Fahrgäste 2 min, wenn sie lokale dynamische Abfahrtanzeiger schon aus dem Fahrzeug beobachten und weitere 2.5 min, wenn die Information auch benachbarte Haltestellen einschließt. Die zusätzliche Verbesserung liegt somit in der gleichen Größenordnung wie allein bei Information an der Haltestelle.

Mit zusätzlicher Information werden mehr Routen attraktiv, was der Realität näher kommt und stabiler gegenüber Variationen des Inputs sein sollte. Allerdings haben wir diesen Aspekt nicht systematisch untersucht.

5 Schlussfolgerungen

Aus den Vergleichen lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Vor allem unterscheiden sich die Ergebnisse der Zustiegsmodelle deutlich voneinander. Besonders die Beispiele 3 und 4 demonstrieren, dass kein Modell für sich beanspruchen kann, alle anderen gut zu approximieren.

Jedes Zustiegsmodell ist mit Annahmen über Pünktlichkeit, Fahrgastinformation und Fahrgastverhalten verknüpft und diese Parameter sollten die Wahl des richtigen Modells bestimmen. Fall B1 mag das erste gut ausgearbeitete Wahlmodell gewesen sein und sein Lösungsalgorithmus ist bestechend einfach. Seitdem sind aber auch die alternativen Modelle bis zur Praxisreife entwickelt worden, und ihre komplexere Mathematik ist angesichts heute verfügbarer Rechenkapazität kein Hinderungsgrund mehr. Wir glauben, dass es deshalb einen Trend weg von B1 und hin zu B3 und B4 geben sollte, weil damit die unrealistische Annahme perfekter Koordinierung vermieden und die Wirkung der zunehmend vorhandenen dynamischen Fahrgastinformationssysteme überzeugend abgebildet wird.

Ein sekundärer Gesichtspunkt ist die Stetigkeit der neueren Modelle gegenüber Variation der Eingangsdaten. Oft ist die ÖV-Umlegung Teil eines größeren rückgekoppelten Nachfragemodells, das iterativ gelöst wird. Wenn das Modell multi-modal ist, werden die ÖV-Fahrzeiten oft aus den IV-Fahrzeiten abgeleitet und schwanken damit leicht zwischen den Iterationen. Andere Modelle passen die Takte der Linien als Reaktion auf deren Auslastung an. Jedes Modell, das in solchen Fällen sprunghaft reagiert, leidet unter schlechter Konvergenz und kann sogar oszillieren.

Schließlich zeigt die Diskussion der Umstiegsmodelle, dass unterschiedlich weit gehende Anschlussinformation an Bord einen ebenso markanten Einfluss auf Linienanteile besitzt wie an der Haltestelle. Das ist umso überraschender, als dieser Aspekt in der Literatur vernachlässigt wurde und die Information – zumindest in der moderaten Form von A2 – schon heute vielerorts verfügbar ist.

6 Literatur

[1]    SPIESS, H., FLORIAN, M. (1989) Optimal strategies: A new assignment model for transit networks, Transportation Research B 23 (2), 83-102.

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