FGSV-Nr. FGSV B 35
Ort Bochum
Datum 05.10.2021
Titel Untersuchungen zum Rissverhalten von durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecken
Autoren M. Sc. Martina Bollin
Kategorien Betonstraßen
Einleitung

 

Die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens (IGF-Vorhaben Nr.: 20667N) von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigung sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Das Verbundprojekt wurde in einem Forschungskonsortium mit dem Prüfamt für Verkehrswegebau der Technischen Universität München (TUM), dem Institut für Massivbau der RWTH Aachen und dem Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig durchgeführt.

In den letzten Jahrzehnten stiegen vor allem auf den Bundesautobahnen die Belastungen verursacht vom Schwerlastverkehr stetig an. Für die Zukunft kann eine weitere Zunahme erwartet werden. Folglich erreichen die herkömmlich verwendeten Fahrbahnbeläge schneller das Ende der Nutzungsdauer. Sie nutzen sich in zeitlich kürzer werdenden Intervallen ab. Aufgrund dieser verminderten Zeitabstände stehen höhere notwendige Erhaltungsmaßnahmen und grundhafte Erneuerungen an und damit einhergehend zunehmende Kosten. Dies führt zu immer öfter auftretenden Verkehrsbehinderungen und zu hohen volkswirtschaftlichen Schäden. Eine durchgehend bewehrte Betonfahrbahn könnte einer gesteigerten Verkehrsbeanspruchung in Verbindung mit einer längeren Nutzungsdauer Rechnung tragen.

Derzeit ist die unbewehrte Plattenbauweise als Standardbauweise für Betonstraßen etabliert, die zur Vermeidung von unkontrollierter Rissbildung mit Fugen in Längs- und Querrichtung ausgeführt wird. Nachteilig dabei ist der regelmäßige Unterhalt der Fugenbereiche. Bei der Bauweise durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecken (DBB) kann auf eine Fugenausbildung in Querrichtung verzichtet werden, wodurch sich der Unterhaltungsaufwand deutlich reduziert. Somit sind DBB während ihrer Lebensdauer nahezu wartungsfrei. Zur Steuerung der Rissbildung, die aus Zwangsspannungen infolge der Temperatureinwirkungen und dem Betonschwinden resultieren, wird eine Längsbewehrung kontinuierlich über die Fahrbahnbreite verlegt. Die Längsbewehrung wird zur Sicherstellung einer exakten Höhenlage auf einer Querbewehrung aufgelagert. Während die DBB im Ausland zum Teil schon lange erfolgreich eingesetzt wird, ist diese Bauweise noch nicht im deutschen technischen Regelwerk aufgenommen.

Der Fokus des vorgestellten Verbundforschungsprojektes liegt auf der Untersuchung der zielsicheren Prognose von Rissabständen und -breiten sowie einer wirksamen Risssteuerung zur Optimierung der DBB.

Zur Untersuchung der Rissentwicklung und -zeitpunkte, sowie der Spannungsverläufe in der Längsbewehrung im Rissbereich fanden im Teilprojekt der TUM Untersuchungen auf Basis eines Großversuches statt. Dazu wurde eine Versuchsstrecke mit DBB auf einer Asphaltzwischenschicht in großmaßstäblichen Abmessungen erstellt. Zur gezielten Untersuchung des Rissverhaltens wurden risssteuernde Elemente eingebaut. Beim Großversuch wurde innerhalb des Monitoringzeitraums von sieben Monaten neben dem tages- und jahreszeitlichen Temperaturverlauf und dem zunehmenden Betonalter eine Erhöhung der Rissbreite festgestellt. Die Rissbreiten blieben unter den vorgegebenen maximalen Rissbreiten von 0,5 mm an der Fahrbahnoberseite. Die Ergebnisse sind Grundlage für eine Modellentwicklung sowie zur Verifizierung numerischer Simulationen. Zusätzlich erfolgte in einem weiteren Versuch die Untersuchung einer DBB im Bereich von Unstetigkeitsstellen. Dabei wurden Untersuchungen an einem Probekörper durchgeführt, der unterschiedlich steife Lagerungen aufweist. Dies wurde mittels eines Überrollversuchs unter zyklischen Belastungen realisiert. Die Rissentstehungen sowie die Rissbreitenuntersuchungen fanden kontinuierlich in Abhängigkeit der Lastwechsel statt.

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1 Allgemein

International kommt die durchgehend bewehrte Betonfahrbahn (DBB) schon erfolgreich zum Einsatz. In den USA, Belgien und Niederlanden werden diese bereits seit mehreren Dekaden verwendet. Besonders von Vorteil ist die Dauerhaftigkeit der DBB. Durch die nicht vorhandenen Fugen in Querrichtung entfallen aufwendige Wartungs- und Sanierungsmaßnahmen. Das macht die Bauweise beständig und wirtschaftlich.

In den nächsten Jahren wird auf deutschen Straßen der Verkehr weiter stetig zunehmen. Neben den Personenverkehr wächst auch der Güterverkehr stark an. Für das Jahr 2030 wird die Verkehrsleistung des Straßengüterverkehrs im Vergleich zum Jahr 2010 um etwa 40 % steigen (BMVI, 2014). Diese Mehrbelastung führt zu einer schnelleren Schädigung der Fahrbahn. Aus diesem Grund wird eine verkehrssichere, nachhaltige, verformungsbeständige und dauerhafte Bauweise immer wichtiger. Durch die Verkehrszunahme werden deutlich mehr Staus auf Autobahnen gezählt. Diese werden nicht nur durch viel Verkehr verursacht, sondern auch durch die steigende Anzahl an Baustellen. Laut dem ADAC war die häufigste Stauursache während der Sommermonate im Jahr 2021 die Baustellen (ADAC, 2021).

Durch die Erhöhung der Nutzungsdauer des Straßenoberbaus kann ein entscheidender Beitrag zur Nachhaltigkeit erfolgen.

Die Erfahrungen im Ausland zeigen das große Potenzial der DBB-Bauweise. National ist die Bauweise derzeit nur auf ein paar wenigen Versuchsstrecken zum Einsatz gekommen. Die Bauweise der DBB ist noch nicht im deutschen Regelwerk verankert. Es ist lediglich ein Hinweispapier im Jahr 2020 erschienen (H DBB, 2020). Im Rahmen eines Arbeitskreises der FGSV wird derzeit an einem Merkblatt gearbeitet.

2 Einleitung

Entsprechend der „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen“ (RStO 12, 2012) werden Betonstraßen in der Standardbauweise als unbewehrte Betondecken ausgeführt, auch unter „Plattenbauweise“ bekannt. Bei dieser Bauweise werden in den jungen Beton Quer- und Längsscheinfugen geschnitten. Die Querscheinfugen werden in einem Abstand von 5 m hergestellt (siehe Bild 1). Die dadurch entstehenden Fugen sind schadhafte Schwachstellen, die einen hohen Wartungsaufwand haben. Die fugenfreie Alternative dazu ist die DBB. Dabei wird in die Betondecke Längs- und Querbewehrung eingebaut (siehe Bild 2).

Bild 1: Systemskizze, unbewehrte Betondecke, Standardbauweise (eigene Darstellung)

Bild 2: Systemskizze, durchgehend bewehrte Betondecke

Die Risse entstehen entweder frei, ohne eine von außen eingebrachte Rissinduzierung oder mit gesteuerter Rissbildung. Dort wird die Rissentstehung in einem definierten Abstand aktiv erzeugt, das sogenannte „Crack Control“. Bei der freien Rissbildung sollen sich im optimalen Fall die Rissabstände zwischen 0,7 – 1,4 m einstellen (vgl. H DBB, 2020; Dirnhofer, 2015). Bei der DBB treten im Vergleich zur unbewehrten Bauweise die Risse in einem engeren Abstand auf. Dies führt zu geringeren Rissbreiten. Die an der Oberfläche auftretende maximalen Rissbreiten sollen 0,5 mm nicht überschreiten.

Die Unsicherheiten dieser Bauweise liegen in den noch nicht ausreichenden Erfahrungen bei der Rissprognose. Aus diesem Grund hat sich eine Forschungsgruppe mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt. Im Zuge des Forschungsprojektes werden Erkenntnisse zu Rissmechanismen und Einflussfaktoren auf die Rissbildung einer DBB tiefgehend betrachtet. Die durchgeführten Forschungen werden als Verbundforschungsprojekt an den beiden Massivbaulehrstühlen der RWTH Aachen (IMB) und der TU Braunschweig (iBMB) sowie dem Lehrstuhl und Prüfamt für Verkehrswegebau (VWB) der TU München durchgeführt. Das Projekt wird von der Industriellen Gemeinschaftsforschung sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und beschäftigt sich mit einer zielsicheren Prognose von Rissabstand und Rissbreite sowie wirksamer Risssteuerung von DBB. Dabei werden Versuche mit verschiedenen Randbedingungen im Hinblick auf Rissbildung und Rissverlauf infolge unterschiedlicher Einwirkungen wie beispielsweise aus Hydratation, variierender Umgebungsbedingungen und Verkehrslasten ausgewertet. Daneben liefern numerische Untersuchungen zum Einfluss der Hydratation in Abhängigkeit des Erhärtungsbeginns zu unterschiedlichen Tageszeiten und variierender Frischbetontemperaturen neue Erkenntnisse (Schmidt; Bollin et al. 2021).

Im Rahmen der Forschungen an der TUM werden numerische Untersuchungen an 3D Finite Elemente Modellen (FEM) sowie umfangreiche Labor- und Feldversuche durchgeführt.

Für die Feldversuche die an der TUM erfolgten, sind an zwei großmaßstäblichen Versuchen, dem Großversuch und dem Überrollversuch Untersuchungen zu diesen Fragestellungen durchgeführt worden. Der Großversuch dient zur Untersuchung von risssteuernden Elementen sowie zur Validierung der FEM der am IMB durchgeführten Simulationen. Für die Untersuchungen von Unstetigkeitsstellen wurde der Überrollversuch realisiert. Hierbei wurde mit Überrollungen eine Verkehrsbelastung aufgebracht. Außerdem wurden die Auflagerbedingungen variiert, um das Verhalten von Rissbereichen bei unterschiedlichen Verhältnissen zu untersuchen.

3 Großversuch

3.1 Allgemein

Die Forschungen zum Großversuch am Prüfamt für Verkehrswegebau fokussieren darauf, eine gesteuerte Rissbildung hinsichtlich Rissabstand und Rissbreite detailliert zu untersuchen. Um realitätsnahe Bedingungen zu schaffen, wurde der Versuch auf dem prüfamtseigenen Freigelände gebaut. Somit wurde der Versuch klimatischen Bedingungen wie Witterung, tages- und jahreszeitlichen schwankenden Temperatur- und Feuchtigkeitsbelastungen ausgesetzt. Es ist somit möglich die Spannungsentwicklung aus Temperaturänderung, Betonschwinden und -kriechen als auch die Rissentstehung unter realitätsnahen Bedingungen abzubilden. Mit den gewonnenen Erkenntnissen können die numerischen Simulationen des IMB validiert werden.

Der Versuchskörper wurde während der Versuchsdurchführung mit umfangreicher Messtechnik versehen. Um die messtechnische Betrachtung im Zuge der experimentellen Untersuchungen zur Rissbildung durchführen zu können, wurde eine Rissinduzierung in Form von eingebrachten risssteuernden Elementen als Sollrissstellen eingebaut.

3.2    Versuchsübersicht und Versuchseinbau

Die Maße des Mitte August 2020 hergestellten Großversuchs betragen 10 m x 3,5 m (Länge x Breite). Der Versuch wurde auf einer bestehenden Betonplatte ausgeführt. Als Aufbau wurde eine 24 cm dicke Betondecke auf einer 5 cm dicken Asphaltzwischenschicht (AZSuB) mit einem AC 11 DN realisiert. Die verwendete Betonrezeptur wurde in Abstimmung mit den Projekt- und Industriepartnern festgelegt und orientiert sich an einem herkömmlichen Straßenbaubeton mit einem Größtkorn von 16 mm. Die Richtrezeptur für den verwendeten Beton kann Tabelle 1 entnommen werden.

Tabelle 1: Richtrezeptur Beton für DBB

Die Endbereiche der DBB wurden zur Idealisierung einer Fortführung der Betonfahrbahn mit einer Verankerung ausgeführt. Der zweibahnige Einbau der AZSuB erfolgte mit einem Straßenfertiger und die Verdichtung im Anschluss mit einer Tandemwalze (siehe Bild 3, links). Nach dem Einbau der Asphaltschicht wurden die risssteuernden Elemente im Abstand von 1,2 m platziert und die Bewehrung eingelegt (siehe Bild 3, rechts). Diese besteht aus gerippten Betonstabstahl B500. Die Querbewehrung (Ø 16 mm, Obergurt) wurde mit einem Abstand von 600 mm und einem Winkel von 60° zur Längsbewehrung verlegt. Der Querbewehrungsgrad beträgt 0,13 %. Die Längsbewehrung (Ø 20 mm) wurde mit einem Abstand von 175 mm auf der Querbewehrung fixiert. Der Längsbewehrungsgrad beträgt 0,72 %.

Bild 3: Einbau Asphalt mit Straßenfertiger (links), Einbau Sollrissstellen und Bewehrung (rechts); (eigene Aufnahmen)

Die Anlieferung des Betons erfolgte mit einem Fahrmischer. Der Einbau erfolgte händisch mit Rüttelflaschen (siehe Bild 4, links). Die Betonoberfläche wurde mit einem herkömmlichen flüssigen Nachbehandlungsmittel nachbehandelt (siehe Bild 4, rechts).

Bild 4: Einbau Beton (links), Nachbehandlung der Oberfläche (rechts); (eigene Aufnahmen)

3.3 Messtechnik

Zum einen wurde Messtechnik in den Versuchskörper integriert (siehe Bild 5). Zum anderen wurde Messtechnik auf den fertig betonierten Versuchskörper appliziert (siehe Bild 7). Für die Ermittlung eines zeitabhängigen Temperaturprofils wurden zwei redundante Temperaturmessstellen (TM 1, TM 2) eingebaut. Dabei wurde mit fünf Temperatursensoren verteilt über die Querschnittshöhe über einen Zeitraum von drei Monaten kontinuierlich die Temperatur gemessen. Die genaue Position der Sensoren kann dem Bild 6 entnommen werden. Des Weiteren wurden Dehnmessstreifen (DMS) auf der Längsbewehrung appliziert, um die Stahldehnungen zu messen. An drei Messstellen wurden jeweils fünf DMS appliziert (M 1 bis M 3) (siehe Bild 5). Zur Messung der Dehnungen im Versuchskörper in Abhängigkeit der Temperatur wurden zwei DMS entkoppelt von Stahl und Beton mit einbetoniert (K 1, K 2). Die Temperaturmessungen und Dehnungsmessungen werden als integrierte Messtechnik zusammengefasst.

Bild 5: Integrierte Messtechnik im Großversuch (eigene Darstellung)

Bild 6: Position der Temperatursensoren TM 1 und TM 2 (eigene Darstellung)

Für die applizierte Messtechnik wurden unter anderem Setzdehnungsmarken, induktive Wegaufnehmer und digitale Mikroskopmessungen verwendet. Die Anordnung und Positionen der applizierten Messtechnik kann dem Bild 7 entnommen werden. Mit induktiven Wegaufnehmern und Setzdehnungsmessungen wurde die Wirksamkeit der Verankerung aufgezeichnet. In einem Zeitraum von sieben Monaten wurde ein detailliertes Rissmonitoring mit visueller Begutachtung, Setzdehnungsmessungen und digitalen Mikroskopmessungen durchgeführt.

Bild 7: Applizierte Messtechnik im Großversuch (eigene Darstellung)

3.4 Auswertung

3.4.1 Temperaturentwicklung

Die Temperaturentwicklung mit den an der TM 2 gemessenen Werten für die ersten sieben Tage nach Betonage kann dem Bild 8 entnommen werden. Die Temperaturbestimmung an der Position 5 (siehe Bild 6) erfolgte direkt über der Betonfahrbahn unter einer Wetterschutzkappe. Die gemessenen Temperaturen ergeben deutlich höhere Temperaturen durch die Solareinstrahlung und die angestaute Wärme. Werden die gemessenen Temperaturen mit den Lufttemperaturen einer nahegelegenen DWD-Wetterstation (Stations-ID 3379) (DWD, 2021) verglichen, wie in Bild 8 dargestellt, zeigen sich deutliche Unterschiede der Temperatur, die aus der solaren Strahlung resultieren. Ebenfalls in die Diagramm Auswertung eingezeichnet ist der Zeitpunkte der zweiten Nullspannungstemperatur T2, dem maximalen Temperaturgradienten Tmax, Grad und des Erstrisses TR (Schmidt, Bollin et al., 2021).

Bild 8: Gemessener Temperaturverlauf der ersten sieben Tage der TM 2 sowie die Lufttemperatur (Schmidt; Bollin et al., 2021)

3.4.2 Rissbild

Durch den hohen Wirkungsgrad der Verankerung in den Endbereichen wurde eine Verformung der Betonplatte verhindert. Es bildete sich innerhalb der ersten Tage der erste Trennriss.

Über einem Zeitraum von sieben Monaten wurden die Rissverläufe und Rissbreiten aufgezeichnet. Das im Monitoringzeitraum entstandene Rissbild ist im Bild 9 abgebildet. In der Tabelle 2 sind die Zeitpunkte und -räume für die Betonage und die Rissentstehungen enthalten. (Schmidt; Bollin et al., 2021)

Bild 9: Rissbild nach sieben Monaten Monitoringzeitraum (Schmidt; Bollin et al., 2021)

Tabelle 2: Zeitpunkte, -räume der Rissbildung und Betonage

Im Bild 9 werden die Lage der Sollrissstellen sowie die Rissverläufe übereinandergelegt dargestellt, dabei wird die fehlende Wirksamkeit der risssteuernden Elemente auf die Erstrissbildung sichtbar. Bei späterer Rissbildung kann jedoch eine Effektivitätssteigerung der Sollrissstellen in beobachtet werden. Der 1. Riss bildet sich zwischen den beiden Sollrissstellen SR 4 und SR 5 aus. Der 2. Riss ist im nördlichen Teil des Versuches auf der SR 6. Der Anriss befindet sich an SR 5. Daraus resultiert, dass Risse nur teilweise steuerbar über die risssteuernden Elemente sind (Schmidt; Bollin et al., 2021). Die Auswertung der Rissbreiten erfolgt in Abhängigkeit der Temperatur und mit dem Fortschritt des Betonalters. Mit einem digitalen Mikroskop erfolgten die Messungen. Es ist zu erkennen, dass die Rissbreiten mit sinkender Temperatur steigen. Die größten Rissbreiten sind bei dem 1. Riss aufgetreten. Bei -12 °C ist eine maximale Rissbreite von 0,3 mm aufgetreten.

3.4.3 Stahlspannungen in den ersten sieben Tagen

Die im Bild 10 dargestellten Stahlspannungen ergeben sich aus den Stahldehnungen, die an der Messstelle M 1 bis M 3 in den ersten sieben Tagen nach der Betonage gemessen wurden. Auf der Sekundärachse ist die Lufttemperatur mit angetragen (Stations-ID 3379) (DWD, 2021). In den ersten 24 h sind die Stahlspannungen noch entkoppelt von der Temperatur, zeigen aber einen einheitlichen Verlauf. Nach 75 h bildete sich der Erstriss (Trennriss TR) aus und wurde visuell an der Betonoberfläche sichtbar. Zum Zeitpunkt des Auftretens des TR ist ein deutlicher Sprung in den Spannungsverläufen M 2 und M 3 zu erkennen.

Die Abkühlung der Platte durch den Abfall der Lufttemperatur sorgt für einen weiteren Anstieg der Stahlspannungen in der Längsbewehrung unabhängig vom Abstand zum Riss (Schmidt, Bollin et al., 2021). Je näher die Messstellen am Riss sind, desto höher sind die Stahlspannungen in der Längsbewehrung.

Bild 10: Stahlspannungen der ersten sieben Tage in Abhängigkeit der Lufttemperatur, mit Angabe des Zeitpunkts des Trennrisses TR, und Angabe des Zeitpunkts der zweiten Nullspannungstemperatur T2  (nach Schmidt; Bollin et al., 2021)

4 Überrollversuch

4.1 Allgemein

Die Forschungen zum Überrollversuch wurden im Labor des Prüfamt für sVerkehrswegebau am Überrollversuchsstand durchgeführt. Die im Labor herrschenden Temperaturen lagen konstant bei 20 °C. Eine Belastung aus Temperaturänderung oder Witterung wurde hier nicht abgebildet. Die Belastung des Probekörpers erfolgte mit der Abbildung einer Verkehrslast, die mit Überrollungen eines Reifens abgebildet wurde. Im Rahmen der experimentellen Untersuchungen sollen Beobachtungen an Unstetigkeitsstellen beispielsweise Brückenbauwerken durchgeführt werden. Dabei sollen das Rissbild sowie die Rissbreiten in Abhängigkeit der Lastwechselzahl im Bereich der Unstetigkeitsstelle untersucht werden. Im Laufe der Versuchsdurchführung sollen die Auflagerbedingungen variiert werden, um das Verhalten des Rissbereiches bei unterschiedlichen Auflagerbedigungen zu untersuchen.

Der Versuchskörper wurde während der Versuchsdurchführung mit umfangreicher Messtechnik versehen.

4.2 Versuchsübersicht und Versuchseinbau

Die Abmessungen für den Versuchskörper des Überrollversuchs betragen 2 m x 0,9 m (Länge x Breite). Der Aufbau besteht aus einer 24 cm dicken DBB. Es wurde Längs- und Querbewehrung in den Versuch eingebaut (siehe Bild 12, links). Die Eigenschaften der Bewehrung entsprechen denen vom Großversuch (siehe Abschnitt 3). Um verschiedene Rand- und Auflagerbedingungen abzubilden, befindet sich die eine Hälfte der DBB auf einem steifen Auf-lagerblock (Bauwerk, Brücke) und die andere Hälfte auf einem höhenverstellbaren Block (freie Strecke, Erdkörper). Die schematische Darstellung des Probekörpers mit der Abbildung der Lasteinwirkung durch einen Reifen kann dem Bild 11 entnommen werden. Die Belastung erfolgte in zwei Stufen. Zu Beginn wurde die Erstrisserzeugung statisch durchgeführt. Im Anschluss wurde die abzubildende Verkehrslast dynamisch mit Überrollungen aufgebracht. Die aufgebrachten Überrollungen auf den Versuchskörper wurden mit einem Lkw-Reifen mit einer Last von 50 kN abgebildet. Es wurden insgesamt über 650.000 Lastwechsel im Laufe der Versuchsdurchführung aufgebracht.

Bild 11: Schematische Darstellung des Probekörpers mit Lkw-Reifen, Längsschnitt, eigene Darstellung

Die Anlieferung des Betons erfolgte in einem Fahrmischer. Der Einbau erfolgte händisch mit Rüttelflasche. Die Nachbehandlung der Betonoberfläche wurde ebenfalls händisch mit einem flüssigen Nachbehandlungsmittel aufgetragen.

Bild 12: Schalung des Probekörpers und Bewehrung (links), Betonage des Probekörpers mit Rüttelflasche (rechts), eigene Aufnahmen

4.3 Messtechnik

Zum einen wurde Messtechnik in den Versuchskörper integriert (siehe Bild 13, links). Zum anderen wurde Messtechnik auf den fertig betonierten Versuchskörper appliziert (siehe Bild 13, rechts). In dem Probekörper wurden DMS auf der Längsbewehrung zum Messen der Stahldehnungen (M 1 bis M 3) appliziert. Zur Messung der Dehnungen im Versuchskörper in Abhängigkeit der Temperatur wurden zwei DMS entkoppelt von Stahl und Beton mit einbetoniert (K 1, K 2). Auf dem Versuchskörper wurden Setzdehnungsmarken und Wegaufnehmer zum monitoren des Übergangsbereiches sowie der Bewegungen des auskragenden Bereiches befestigt. Die Rissbreiten wurden mit dem digitalen Mikroskop gemessen. Neben der integrierten und applizierten Messtechnik wurden Bewegungs- und Dehnungsanalysen mithilfe von 2D und 3D Kameramesssystemen durchgeführt.

Bild 13: Integrierte Messtechnik (links), applizierte Messtechnik (rechts) des Überrollversuchs eigene Darstellung

4.4 Auswertung

4.4.1 Rissbild

Das Bild 14 zeigt das entstandene Rissbild nach der statischen Belastung. Dabei sind zwei Risse entstanden von denen Riss Ost als erstes hervortrat. Im Zuge der dynamischen Belastung der 650.000 aufgebrachten Lastwechsel blieb das Rissbild unverändert.

Bei unverändertem Unterbau liegen die Rissbreiten bei maximal 0,25 mm. Wird der Unterbau variiert, können Rissbreiten bis zu 0,3 mm entstehen. Die Rissbreiten unterhalb der Lauffläche des Reifens sind am größten.

Bild 14: Rissbild nach statischer und dynamischer Belastung des Überrollversuches

5 Fazit

Das globale Rissbild sowie die gemessenen und dokumentierten Ergebnisse zur Rissentwicklung sowie zu den Rissbreiten des Großversuches in Abhängigkeit der Temperatur wurden mit den FE-Untersuchungen der RWTH Aachen verglichen. Die Anzahl der aufgetretenen Risse sowie die Rissbreiten stimmen mit den Ergebnissen aus der Numerik überein. Vor der Betonage eingebaute risssteuernde Elemente, die als Sollrissstellen für das Rissmonitoring fungieren sollten, zeigten nur teilweise eine rissinduzierende Funktion. Gerade im noch sehr jungen Beton, wo das Materialverhalten noch im teilplastischen Bereich ist, kann die Wirksamkeit der im Versuch verbauten Elemente nicht garantiert werden.

Beim Überrollversuch konnte mit dem Aufbau von unterschiedlichen Auflagersteifigkeiten der Übergangsbereich zu einem Bauwerk abgebildet werden. Im Bereich der freien Strecke sind zwei Risse entstanden. Die Rissbreiten sind im Rahmen der Versuchsdurchführung an der Oberfläche nicht größer als 0,5 mm. Selbst innerhalb der Untersuchungen während der Bewässerung des Übergansbereiches und der Variation des Unterbaus wurde die angestrebten Rissbreiten von 0,5 mm an der Oberfläche nicht überschritten. Auch die Auswertung der Dehnungen in der Längsbewehrung im Übergangsbereich hat gezeigt, dass die Stahlspannungen unterhalb der Fließgrenze von Bewehrungsstahl bleiben.

Literaturverzeichnis

ADAC (2021): https://www.adac.de/verkehr/verkehrsinformationen/staubilanz/, zuletzt geprüft am 13.10.2021

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030 Schlussbericht. Forschungsbericht FE-Nr.: 96.0981/2011

Deutscher Wetterdienst: CDC – Climate data Center, 2021, https://cdc.dwd.de/portal/

Dirnhofer, H. (2015): Theoretische und experimentelle Untersuchungen dünner Asphaltdeckschichten auf durchgehend bewehrten Betondecken, Dissertation, Technische Universität München, Ingenieur-fakultät Bau Geo Umwelt

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2020): Hinweise zur durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke (H DBB), Köln (FGSV 815)

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2012): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12), Köln (FGSV 499)

Schmidt, C.; Bollin, M.; Cramer, J.; Chudoba, R.; Freudenstein, S.; Empelmann, M.; Hegger, J. (2021): Untersuchungen zur Rissbildung in durchgehend bewehrten Betonfahrbahnen. Bauingenieur, 96, 10, VDI Fachmedien, 358 – 375, DOI 10.37544//0005-6650-2021-10-56