FGSV-Nr. FGSV C 14
Ort Potsdam
Datum 12.09.2019
Titel Geotechnische Aspekte beim Neubau der BAB A 44 auf einer 190 m tiefen Kippe im Tagebau Garzweiler
Autoren Dr. Martin Back
Kategorien Erd- und Grundbau
Einleitung

RWE Power fördert im Rheinischen Braunkohlenrevier jedes Jahr rund 90 Millionen Tonnen Braunkohle, die größtenteils zur Stromerzeugung genutzt werden. Braunkohle kann in dieser Dimension nur im Tagebau gewonnen werden. Entsprechend tief ist der Eingriff des Bergbaus in die dichtbesiedelte Kulturlandschaft. Die Rheinischen Tagebaue haben bisher rund 330 Quadratkilometer Land in Anspruch genommen. Davon sind bis heute etwa 235 Quadratkilometer in Form von Ackerland, Forstflächen sowie Wasser- und sonstiger Flächen wieder nutzbar gemacht worden und stehen uneingeschränkt der Folgenutzung zur Verfügung.

Im Zuge des planmäßigen Fortschreitens des Tagebaus Garzweiler II wurde die durch das Abbaufeld verlaufende BAB A 44 im Jahr 2006 in Anspruch genommen. Die Verkehre der unterbrochenen Autobahn wurden seit diesem Zeitpunkt über die westlich verlaufende BAB A 61 umgeleitet, die zuvor 6-streifig ausgebaut wurde. Im Zeitraum bis zur aktuell in Anspruch genommenen BAB A 61 war es erforderlich, die BAB A 44 n als Ersatzstrecke wiederherzustellen. Am 29.08.2018 wurde diese nach etwa 10-jähriger Planungs- und Bauzeit zwischen den Autobahnkreuzen Jackerath und Holz als 6-streifige Autobahn termingerecht für den Verkehr freigegeben. Mehr als sieben Kilometer der BAB A 44 n verlaufen auf der Innenkippe des Tagebaus Garzweiler mit Mächtigkeiten von bis zu 190 m. Neben der eigentlichen 6-streifig ausgebauten Autobahn wurden fünf Brückenbauwerke, darunter eine Wildquerung unter der Autobahn, ebenfalls auf verkipptem Gelände hergestellt. Die Herausforderungen des einzigartigen Projektes waren zum einen in der großen Mächtigkeit des verkippten Abraums und zum anderem in dem sehr engen Zeitplan begründet. Die Planung und der Bau der Autobahn wurden in den letzten 10 Jahren umfangreich ingenieurmäßig und wissenschaftlich begleitet. Ziel des für die Baumaßnahme entwickelten geotechnischen Konzeptes war es, den Trassenuntergrund der geplanten Nutzung (Autobahn) im Vorfeld anzupassen, um erforderliche Baugrundverbesserungen zu minimieren und gleichzeitig eine dauerhafte Gebrauchstauglichkeit der Autobahn zu gewährleisten.

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1 Überblick und Aufgabenstellung

Im Zuge des planmäßigen Fortschreitens des Tagebaus Garzweiler II wurde bereits im Jahr 2006 die Autobahn BAB A 44 Aachen – Neuss zwischen den Autobahnkreuzen Titz-Jackerath und Jüchen-Holz auf einer Länge von ca. 8 km bergbaulich in Anspruch genommen und unterbrochen (Bild 1). Die Verkehre der unterbrochenen Bundesfernstraße wurden seit diesem Zeitpunkt über die etwas weiter westlich verlaufende BAB A 61 in Nord-Süd-Richtung und in West-Ost-Richtung über die A 46 umgeleitet (Köther und Reeh, 2001). Aufgrund des planmäßigen Tagebaufortschritts war es erforderlich, im Herbst 2018 die BAB A 61 ihrerseits vom weiter nach Westen fortschreitenden Tagebau in Anspruch zu nehmen. Bis Ende August 2018 musste daher die unterbrochene BAB A 44 als „BAB A 44 n“ als Nord-Süd-Verbindung und als neue Umleitungsstrecke für die dann unterbrochene BAB A 61 wiederhergestellt und für den Verkehr freigegeben werden. Dabei konnte die BAB A 44 n nicht in alter Lage wiedererrichtet werden, da sich dort der Bandsammelpunkt des Tagebaus Garzweiler befindet. Daher musste bereits im 2004 durchgeführten Linienbestimmungsverfahren die BAB A 44 n nach Osten in den Bereich des ausgekohlten, aber noch offenen Tagebaus Garzweiler (verritzter Bereich) verschoben werden, was auch eine Verlegung des Autobahnkreuzes Jackerath bedingte.

Bild 1: Neutrassierung der Autobahn A 44 n im Bereich des Tagebaus Garzweiler

Auf einer Strecke von ca. 7 km Länge führt die neue Autobahn BAB A 44 n über verkipptes wieder aufgefülltes Gelände innerhalb des Tagebaus Garzweiler (so genannte „Innenkippe“). Bei Kippen kommt es aufgrund der geringeren Lagerungsdichten zu einer zeitabhängigen Umlagerung der Einzelkörner und damit zu einer durch das Eigengewicht bedingten Setzung des Kippenkörpers. Da diese Setzungen im logarithmischen Zeitverlauf abklingen, wird mit der Bebauung von Kippenoberflächen im Regelfall solange gewartet, bis diese Setzungen weitgehend abgeklungen sind. Im Falle der Wiederherstellung der BAB A 44 n war diese Vorgehensweise jedoch nicht möglich, da sich aufgrund der räumlichen Enge zwischen der bestehenden BAB A 61 und der BAB A 44 n eine vergleichsweise geringe Liegezeit der Kippe bis zum Beginn des Straßenbaus ergab. So musste der Trassenuntergrund im nördlichen Teilabschnitt (ca. 3 km) im Absetzerbetrieb innerhalb von nur 3 Jahren rechtzeitig und vollständig vor Beginn der Straßenbaumaßnahmen in 2017 aufgebaut werden. Zur erforderlichen Inbetriebnahme der Autobahn BAB A 44 n in Mitte 2018 verblieben hier nur 1,5 Jahre Bauzeit, die eine synchrone Planung von Bergbau und Straßenbau zwingend erforderlich machten. Aufgrund dieser Terminlage standen Baugrunduntersuchungen aus diesem Bereich für die planerische Dimensionierung nicht zur Verfügung. Die Aufgabenstellung war es daher, dass Verformungsverhalten der Kippenböden auf Basis umfangreicher Untersuchungen in bereits bestehenden Trassenbereichen zutreffend zu beschreiben, um darauf aufbauend anforderungsgerechte Maßnahmen in Trassenbereichen mit kurzer Liegezeit entwickeln zu können. 

2 Verkippungs- und Gesamtkonzept

Da die Trassenlage der neuen BAB A 44 n bereits frühzeitig in einem Linienbestimmungsverfahren in 2004 festgelegt wurde, konnte ein planmäßiger Aufbau des Kippenkörpers unterhalb der Autobahnrasse umgesetzt werden. Erfahrungen des Autobahnbaus auf bereits vorhandenen, aber nicht mit Bezug auf diese Folgenutzung hergestellten Kippenuntergrund zeigten die Erfordernis umfangreicher geotechnischer Maßnahmen (Galiläer und Bennewitz, 2008). Bei der Planung der BAB A 44 n stand daher die Idee im Vordergrund, einen tragfähigen und standsicheren Untergrund für den Autobahnbau im normalen Tagebaubetrieb mittels Absetzer zu erstellen und Verbesserungsmaßnahmen für den Untergrund auf Sonderbereiche wie die Gründung von Brücken oder Bereiche mit geringer Liegezeit zu begrenzen. Gleichermaßen war es Ziel, die Größe von Gesamt- sowie möglicher Differenzsetzungen zu minimieren und eine gute Versickerungsleistung für das anfallende Oberflächenwasser zu erreichen. Als Sonderfall zur Entwässerung der Autobahn wurden Versickerungsmulden im überbreit geplanten Mittelstreifen (10 m Breite) vorgesehen, um Setzungsschäden zu vermeiden, wie sie für die üblicherweise verwendeten Rohrleitungen zu besorgen gewesen wären.

Dazu wurde ein spezielles angepasstes Verkippungskonzept mit gestuftem Materialaufbau entwickelt (Bild 2), das den Aufbau des Kippenuntergrundes unterhalb der Trasse der Autobahn vorgab. Hierbei wurden die im Tagebau anstehenden feinkörnigen und rolligen Böden zu sog. Mischbodenklassen zusammengefasst. Der Kippenaufbau von unten nach oben ist durch eine deutliche Reduzierung bindiger Anteile bzw. wassergesättigter Materialien charakterisiert.

Bild 2: Qualitätsgestuftes Verkippungskonzept für Trasse A 44 n (sog. „Ampelkonzept“)

Die Verkippung der obersten 10 m mit einer Mischung aus Sand und Kies (sog. „stabilisierbare Schwarte“) ermöglichte die Verdichtung von Trassenabschnitten mit kurzer Liegezeit unter gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Versickerungsleistung.

Unter der Schwarte bis zu einer Tiefe von 90 m unterhalb der Kippenoberfläche durften nur grob- und gemischtkörnige Böden mit einem Feinkornanteil < 20 M.-% verkippt werden. Im sich daran anschließenden Bereich bis zur Tagebausohle war auch die Verkippung von Böden mit einem Feinkornanteil von maximal 30 M.-% (sog. „Mischboden 1“) möglich. Die Ablagerung durch Absetzerverkippung von sog. „Mischboden 2“, der einen Feinkornanteil von über 30 M.-% aufweist, war in diesem tieferen Bereich nach Möglichkeit zu vermeiden.

Das entwickelte Gesamtkonzept und die Baumaßnahme wurde in einem Sonderbetriebsplanverfahren sowohl bergbehördlich als auch wissenschaftlich-gutachterlich durch die frühe Einbindung der TU München (TUM, Zentrum Geotechnik) geprüft und während der gesamten Bauphase kontinuierlich begleitet.

Zusätzlich wurde in enger Abstimmung mit der Straßenbauverwaltung eine sog. „Vorsorgegradiente“ entwickelt, die Setzungen nach Autobahnfertigstellung durch eine Überhöhung berücksichtigt und jederzeit richtlinienkonforme Gradienten gewährleistet. Zahlreiche Ergebnisse aus Setzungsbeobachtungen und Versuchsfeldern (z. B. Versickerung, Verdichtbarkeit) in Bereichen mit längerer Liegedauer konnten zudem für die Prognose von Bereichen mit geringer Liegezeit genutzt werden (sog. „Beobachtungsmethode“). Der Umfang von Baugrundverbesserungen für einzelne Trassenabschnitte unterschiedlicher Liegezeit wurden auf Basis von Laboruntersuchungen, Setzungsmessungen sowie Prognoseberechnungen der TU München festgelegt. Maßgebend dabei waren die Bewertungskriterien des „bewerteten Längsprofil“ für die turnusmäßige Zustandserfassung auf Bundesfernstraßen (ZEB). 

3 Beobachtungsmethode und Versuchsfelder

Zur Festlegung von Maßnahmen in einzelnen Streckenbereichen war eine permanente geotechnische und markscheiderische Begleitung sowie die Kontrolle und Dokumentation der durchgeführten Verkippungs- und Baumaßnahmen auf bereits hergestellten Trassenbereichen und sukzessiv neu erstellten Trassenbereichen erforderlich.

Eine stichprobenartige Kontrolle der verkippten Materialien fand seit Anwendung des Verkippungskonzeptes (Mitte Dezember 2008) betriebsbegleitend durch das akkreditierte Gebirgs- und Bodenmechanische Prüflabor von RWE Power statt (Bild 3). Die Beurteilung der Proben erfolgte überwiegend makroskopisch. Zur Überprüfung der makroskopischen Ansprachen wurden ergänzende Siebanalysen im Gebirgs- und Bodenmechanischen Prüflabor von RWE Power und am Zentrum Geotechnik der TU München (TUM - ZG) durchgeführt. Die ermittelten Kornverteilungen bestätigen eine sehr konsequente betriebliche Umsetzung der Materialvorgaben durch den Tagebau.

Zur Analyse des Verformungsverhaltens der Kippenböden wurden als Grundlage zur Erstellung eines bodenmechanischen Berechenungsmodells am TUM – ZG seit 2008 zahlreiche Laborversuche (z.B. Ödometerversuche) durchgeführt (Vogt et al., 2016).

In den älteren, bereits vor Anwendung des Verkippungskonzeptes hergestellten Trassenbereichen, wurden zusätzlich Drucksondierungen bis max. 100 m Teufe durchgeführt (Bild 3).

Bild 3: Probennahme und Drucksondierungen im Trassenbereich seit 2008

Ergänzend zum regulären Kippenaufmaß (Befliegung) wurden im Trassenbereich der BAB A 44 n jeweils unmittelbar nach Abschluss der Verkippung der oberen Kiesschicht Höhenbeobachtungspunkte vermarkt, die in regelmäßigen Intervallen markscheiderisch beobachtet wurden. Die Messpunkte wurden auf Querprofilen im Abstand von 10 – 50 m entlang der Trasse angeordnet.

Zur Bewertung von kleinräumigen Setzungsdifferenzen wurden mehrere hydrostatische Linienmesssysteme bis zu einer maximalen Länge von 500 m auf der Unterkante der stabilisierbaren Kiesschwarte und unterhalb des Straßenoberbaus installiert (vgl. Bild 4). Die Nachrechnung der ermittelten Setzungen erfolgte zur Parameterkalibrierung mithilfe des bodenmechanischen Modells (Plaxis 2D) an der TU München (Vogt et al. 2016).

Bild 4: Messtechnische Setzungsbeobachtungen im Trassenbereich durch hydrostatisches Linienmesssystem im Messfeld 1 (Messbeginn seit 2010)

Es zeigte sich, dass sowohl die Größe der unmittelbar nach Verkippung eintretenden Sofortsetzungen, als auch die sich zeitabhängig über mehrere Jahre nach Ende der Verkippung einstellenden Setzungen sehr gut mit den angewendeten Stoffmodellen abgebildet werden können. Im Gesamtergebnis der Setzungsbeobachtung wurde im Vergleich zu langjährigen Erfahrungen im Tagebau Garzweiler eine signifikante Reduzierung der Gesamt- und Differenzsetzungen im Trassenbereich sowie ein schnelleres Abklingen der Setzungen beobachtet.

Zur Überprüfung der Verdichtbarkeit der Kiesschwarte und zur Versickerung wurde Ende 2011 ein weiteres Versuchsfeld (Messfeld 2) neben der Trasse hergestellt. Die Versuche bestätigten die gute Verdichtbarkeit der Kiesschwarte bei gleichzeitig hoher Versickerungsfähigkeit.

Auf Basis der Versuchsergebnisse aus Messfeld 2 wurde im Jahr 2013 über die vorzeitige Anlage einer „Teststrecke“ (Vorwegmaßnahme) im Streckenbereich 4+700 km und 7.250 km in Fahrtrichtung Aachen gemeinsam mit Straßen NRW entschieden, um weitere Erfahrungen zur Auswirkung möglicher kleinräumiger Setzungsdifferenzen und dynamischer Verkehrslasten auf die Ebenheit des Fahrbahnoberbaus zu sammeln. Die „Teststrecke“ wurde als vorgezogene Baumaßnahme soweit fertiggestellt, dass im Rahmen des späteren Autobahnbaus nur noch die obersten Asphaltschichten aufgebracht werden mussten.

Im Bereich der Vorwegmaßnahme wurde bei Streckenkilometer 6+550 ein weiteres Versuchsfeld (Messfeld 3) zur Erfassung der dynamischen Einwirkungen und Setzungen, sowohl durch die Verdichtungsmaßnahmen selber (Bild 5 b), als auch durch spätere Verkehrslasten (Lkw-Überfahrversuche, vgl. Bild 5 c) angelegt. In unterschiedlichen Teufenlagen wurden dort hydrostatische Messlinien, Erddruckgeber sowie 3-D-Geophone in verrohrten Bohrungen installiert (Bild 5 c). Hierfür wurden Überfahrversuche mit vierachsigen Lkw (max. Gesamtlast ca. 36 t) durchgeführt. Die Lkw überfuhren dabei eine Unebenheit (Bodenschwelle) mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h. Im Vorfeld der Versuche wurden seismische Crosshole-Messungen und Drucksondierungen zur Ermittlung der dynamischen Bodenparameter durchgeführt. Die in den Versuchen gemessenen Scherdehnungen lagen entsprechend der Bewertung der TU München dabei signifikant unter dem Niveau, bei dem bleibende Verformungen bzw. eine Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit für die Fahrbahn langfristig zu erwarten wären.

Bei Überprüfung der Ebenheit der Asphaltstrecke im Bereich der Vorwegmaßnahme konnten durch ein bei RWE Power hierfür speziell entwickeltes präzises Messverfahren im Betrachtungszeitraum von etwa einem Jahr keine signifikanten Unebenheiten in Bezug zur Nullmessung festgestellt werden.

Bild 5: Messfeld 3 bei Streckenkilometer 6+550 zur Erfassung dynamischer Verdichtungs- und Verkehrslasten. a) Querschnitt des Messfeldes, b) Messung Überfahrten mit schwerer Polygonbandagenwalze BOMAG BW 332-DI, c) Überfahrversuche mit 4-achsigen Lkw

4 Geotechnische Umsetzung der Baumaßnahmen

Zur Bewertung der Gebrauchstauglichkeit der Autobahn sind insbesondere die Anforderungen an die Längsebenheit und die Trassierungsparameter (Längsneigung und Querneigung), d. h. die Größe der sich zeitabhängig einstellenden kleinräumigen Differenzsetzungen relevant. Dabei ist zu beachten, dass die im Bereich der Strecke zu erwartenden Setzungen bei fachgerechter Ausführung des Straßenoberbaus ausschließlich aus den Eigensetzungen des Kippenuntergrundes resultieren, da die über den Straßenoberbau und die Fahrbahn in den Kippenuntergrund eingetragenen Lasten vergleichsweise gering sind.

Bei den Brückenbauwerken dagegen waren insbesondere im Bereich der Widerlager und der daran anschließenden Hinterfüllungen signifikante Bauwerkslasten zu berücksichtigen, die in Abhängigkeit von der Lastfläche in größere Tiefen in den Kippenuntergrund eingetragen werden. Ziel war es daher, entsprechende Maßnahmen zur Baugrundverbesserung bzw. zur Bauwerksdimensionierung abzuleiten.

4.1 Strecke

Wie vorangehend beschrieben, waren im Trassenbereich zeitabhängige mögliche Setzungsdifferenzen zu betrachten, die aus einem lokal unterschiedlichen Verformungshalten des Kippenkörpers resultieren können. Je größer die Liegezeit ist, umso geringer sind solche möglichen Differenzsetzungen. Zur Gewährleistung eines möglichst homogenen Verformungsverhaltens des Kippenkörpers wurde frühzeitig das oben beschriebene Verkippungskonzept („Ampelkonzept“) entwickelt. Der Kiesschwarte kommt dabei die zentrale Funktion zu, auftretende Setzungen bedarfsweise zu vergleichmäßigen, indem durch entsprechende Verdichtungsmaßnahmen eine hohe Steifigkeit und Scherfestigkeit realisierbar ist.

Zur Dimensionierung entsprechender Verdichtungsmaßnahmen in einzelnen Trassenabschnitten wurde das Prognosemodell der TU München unter Verwendung der gewonnenen Setzungsmessdaten eingesetzt. Der Effekt zahlreicher Varianten der Schwartenverdichtung hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung von Längs- und Querebenheit der Fahrbahn wurde unter Annahmen ungünstiger Szenarien, wie beispielsweise räumlich begrenzter Inhomogenitäten im Kippenkörperaufbau (z. B. bindige Bestandteile), analysiert. Bewertet wurden die Prognoseergebnisse unter Verwendung der o. g. Richtlinien zur Zustandserfassung von Fahrbahnoberflächen (ZEB).

Für die Bereiche längerer Liegezeit, für die eine ausreichende Setzungsbeobachtung bis zum Beginn des Straßenbaus möglich war, wurde eine Verdichtung der mit Absetzer hergestellten Kippenoberfläche (sog. Kippenrohplanum) mit schwerer Polygonwalze (BOMAG BW-332 DI) festgelegt (Wirktiefe nach Voruntersuchungen ca. 1,5 m). Trassenbereiche in Dammlage gegenüber der umliegenden Rekultivierungsflächen wurden gemäß den ZTV E-StB 09 lagenweise aufgebaut und verdichtet. Die Überprüfung der Dammaufstandsfläche sowie des Trassenrohplanums erfolgte mittels flächendeckender dynamischer Messverfahren (FDVK) anhand der Prüfmethode M2 gemäß ZTV E-StB 09.

Für die Bereiche kürzerer Liegezeit im nördlichen Trassenbereich (ca. 3 km) wurden die im Bild 6 dargestellten Baugrundverbesserungen festgelegt. Der Einbau mittels Absetzer erfolgte bis 4 m unter Sollhöhe der Kippenoberfläche. Danach wurde diese Ebene mit schwerer FDVK-Polygonwalze (BOMAG BW 332 DI) verdichtet. Der Einbau bis zur Sollhöhe der Kippenoberfläche erfolgt anschließend lagenweise aus einem längs der Trasse angelegten Kiesdepot mittels konventioneller Erdbaugeräte. Bei der Kontrolle des Verdichtungserfolges mittels Rammsondierungen (DPH) konnte eine hochgradige Verdichtung (dichte Lagerung) in einem Teufenbereich zwischen 6 und 8 m im gesamten Trassenbereich nachgewiesen werden. Ungleichmäßige Setzungen können damit langfristig ausgeschlossen werden.

Bild 6: Festgelegte Bodenverbesserungsmaßnahmen in Trassenbereichen geringer Liegezeit

4.2 Brückenbauwerke

Ein besonderer Sachverhalt ergab sich bei den Brückenbauwerken. Hier werden im Bereich der Widerlager und Hinterfüllungen signifikante Bauwerkslasten in den Kippenuntergrund eingetragen, die Kornumlagerungen und Setzungen hervorrufen können. Neben den zeitabhängigen Setzungen waren deshalb ebenfalls lastabhängige Sofortsetzungen zu berücksichtigen. Es wurden daher unterschiedliche Maßnahmen zur Bodenverbesserung im Einflussbereich dieser lastabhängigen Zusatzspannungen bewertet und durchgeführt, um Setzungsdifferenzen zwischen einzelnen Gründungselementen zu reduzieren.

Das dreifeldrige Brückenbauwerk 6 überführt mit einer Gesamtweite von 108 m die Förderbandanlagen des Tagebaus (Bild 1) mit zwei Überbauten getrennt für beide Richtungsfahrbahnen. Dabei ruhen beide Überbaukonstruktionen neben Stützenreihen auf zwei über 50 m langen und gut 12 m hohen Widerlagerwänden. Das Brückenbauwerk 8 (Bilder 1 und 7) ist Teil des Autobahnkreuzes Holz und stellt die Verbindung zwischen der von Süden aus Richtung Aachen kommenden BAB A 44 und der nach Westen Richtung Heinsberg führenden BAB A 46 her. Die als Einfeldträger hergestellte Brücke hat dabei eine Spannweite von 62,4 m. Die beiden Wirtschaftswegebrücken BW 17 und BW 18 überführen die BAB A 44 n und wurden als zweifeldrige Brücken mit einer Gesamtweite von 54 m ausgeführt. Das Brückenbauwerk BW 7 dient zur Wildquerung unter der BAB A 44 und wurde als einfeldrige Brücke mit einer Spannweite von 5,5 m und einer Breite von ca. 43 m realisiert.

Zur Ermittlung detaillierter Setzungsprognosen wurden durch die TU München separate 2D/3D-FE-Modelle für die einzelnen Brückenbauwerke erstellt, um innerhalb sowie zwischen den jeweiligen Bauwerksachsen die zu erwartenden Setzungsdifferenzen zu ermitteln und kompensierende Maßnahmen zur Bodenverbesserung aus einer Kombination von Vorbelastungen, Bodenaustausch sowie tiefgründiger Rüttelstopfverdichtung abzuleiten. Ein erweitertes Bauwerks-Monitoring fand neben der regulären Bauwerksvermessung durch Installation von hydrostatischen Messlinien (Fa. Lhotzky) und sog. Gleitmikrometer-Messstellen (Fa. Solexperts) unterhalb der Unterbauten statt (vgl. Bild 7). Damit konnte die Boden-Bauwerks-Interaktion vor und während des Bauablaufs zu diskreten Lastzuständen abgebildet und für die Kalibrierung der Modellprognosen durch die TU München verwendet werden. Während des Bauablaufs wurde nach signifikanten Lastzuständen ein iterativer Abgleich der Mess- und Modell-ergebnisse zur Dimensionierung einzelner Bauteile innerhalb vorher festgelegter Bandbreiten durchgeführt.

Zur tiefreichenden Verdichtung und Homogenisierung der vorliegenden überwiegend sandigen Kippenböden wurde das Rüttelstopfverfahren angewendet. Durch ein verbessertes Setzungs- und Tragverhalten können gegenüber dem unvergüteten Zustand damit höhere Bodenpressungen zugelassen werden. Gleichzeitig konnte die Rate der Kippeneigensetzungen nachweislich signifikant reduziert werden. Das Raster und die Tiefe der eingebrachten Rüttelstopfsäulen wurden so dimensioniert, dass Setzungsunterschiede zwischen den Fundamenten und im Übergang zu den anschließenden Verkehrsdämmen möglichst gering waren. Die Länge der installierten Rüttelstopfsäulen variierte bei den Bauwerken je Liegezeit und Kippenmächtigkeit von 10,0 m (z. B. Brückenbauwerk 6) bis max. 36,0 m (z. B. Brückenbauwerk 8, vgl. Bild 7) unterhalb der Fundamentsohle. Aufgrund der gerätetechnischen Limitierung war im letzteren Fall eine Herstellung ausgehend von zwei Verkippungsebenen erforderlich. Der besonderen Anforderung der Lage oberhalb der ehemaligen Randböschung wurde mit Rüttelstopfsäulen in unterschiedlichem Raster und Teufe Rechnung getragen.

Die anschließende Aufbringung von Vorbelastungen diente der Vorwegnahme von Setzungen im Bereich der Brückenfundamente und wurde vorwiegend durch einen vorzeitigen Aufbau sowie eine Verlängerung der Anschlussdämme (Verkehrsrampen) realisiert.

Infolge der durchgeführten Maßnahmen konnten die aufgetretenen Bauwerkssetzungen erfolgreich minimiert werden. Ein langfristiges Bauwerksmonitoring ist mithilfe der installierten Messsysteme möglich. Auf Grundlage der für die einzelnen Brückenbauwerke festgelegten Grenzwerte können eventuell notwendige und hierfür vorgesehene Korrekturmaßnahmen (z. B. Herausnahme von Futterplatten im Bereich der Brückenlager) bei Bedarf auch nach einer Verkehrsfreigabe durchgeführt werden.

Bild 7: Längsschnitt des Brückenbauwerks 8 im Bereich der nördlichen Randböschung des Tgb. Garzweiler (AK Holz) 

5 Fazit und Zusammenfassung

Die Herstellung des Untergrundes für die BAB A 44 n erfolgte gemäß dem im Hinblick auf die spätere Nutzung erarbeiteten Verkippungskonzept. Dank der konsequenten betrieblichen Umsetzung des Verkippungskonzeptes konnte der Trassenuntergrund der Autobahn BAB A 44 n qualitäts- und zeitgerecht hergestellt werden. Die wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte Gebrauchstauglichkeit der Autobahn wurde damit geschaffen.

Für die Bereiche geringer Liegezeit konnte nach Ausführung der festgelegten Verdichtungsmaßnahmen eine hohe Verdichtung in der „Kiesschwarte“ bis ca. 6 bis 8 m realisiert werden. Mit diesen Maßnahmen können ungleichmäßige Setzungen der Autobahntrasse langfristig sicher ausgeschlossen werden. Setzungsbeobachtungen sind nach erfolgter Verkehrsfreigabe durch die installierten Höhenmesspunkte und Linienmesssysteme langfristig möglich.

Die Wirksamkeit der angewendeten Gründungsmaßnahmen der Brückenbauwerke bestehend aus einer Rüttelstopfverdichtung, Vorbelastung und Flachgründung (inkl. Kiespolster) sowie der Auslegung der Brückenkonstruktion (z. B. Futterplatten, Brückenlager, Fahrbahnübergänge) konnte im Zuge der baubegleitenden Setzungsmessungen ebenfalls bestätigt werden.

Die erfolgreiche Umsetzung des Projektes ist insbesondere durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Straßen- und Brückenbau, Bergbau, Behörden und Wissenschaft gelungen. Die frühzeitige und im Bauablauf iterative Abstimmung der Maßnahmen zur Bauwerkskonstruktion und zur Baugrundverbesserung waren dabei die wesentlichen Voraussetzungen, um den besonderen Aspekten des Baugrunds für die BAB A 44 n Rechnung zu tragen. 

Literaturverzeichnis

Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (2009): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau, Ausgabe 2009 (ZTV E-StB 09), FGSV Verlag, Köln

Galiläer, P. und Bennewitz, T. (2008): Autobahnbau auf Tagebaukippen im Südraum Leipzig. Straßen und Autobahn, 7/2008, FGSV Verlag, S. 394 – 402

Köther, M und Reeh, F. (2011): Neue Autobahn durch einen aktiven Tagebau. World of Mining – Surface & Underground, 63, No. 6, GDMB Verlag, S. 334 – 342

Vogt, S., Birle, E. und Vinzelberg, G. (2014): Zeitabhängige Setzungen von Sand und FE-Simulationen einer Tagebaukippe. Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der Technischen Universität Dresden, Heft 19, Vorträge zum Ohde-Kolloquium 2014, BAW, S. 93 – 108

Vogt, S., Birle, E., Levin, F., Vogt, N., Back, M. (2016): Autobahnbau auf der Innenkippe des Tagebaus Garzweiler. 34. Baugrundtagung Bielefeld, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik, e.V., S. 223 – 230