FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Verkehrswegebau am Scheideweg?
Autoren Dipl.-Ing. Jürgen Henschel
Kategorien Kongress
Einleitung

Mit der Erweiterung der Europäischen Union wird die Bundesrepublik Deutschland zur Verkehrsdrehscheibe Europas. Die Chancen, die sich aus der Erweiterung ergeben, können nur genutzt werden, wenn die großen Achsen der Fernstraßen, des Schienennetzes und der Wasserstraßen bedarfsgerecht ausgebaut werden. Die 3 Verkehrswege müssen dabei vernetzt werden. Um einen Verkehrsinfarkt zu verhindern, ist es notwendig, eine Investitionsoffensive einzuleiten. Ein Sonderprogramm „Europäische Einheit“, ähnlich den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, könnte den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und den Haupttransitländern Europas unterstützen.

Der Zustand der Verkehrsinfrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland ist Besorgnis erregend. Das volkswirtschaftliche Vermögen von Straße, Schiene und Wasserwegen verringert sich ständig. Dabei gefährdet die permanente Unterfinanzierung den Standort Deutschland. Mehr als 30% der Bundesstraßen in Deutschland haben bereits einen eingeschränkten Gebrauchswert. Die Straße ist das Rückgrat unseres Verkehrssystems und der Garant für die Mobilität in Deutschland. Die steigende und zunehmende Verkehrsnachfrage kann nur von allen Verkehrsträgern gemeinsam bewältigt werden. Auch beim Wachstum wird die Straße die Hauptlast tragen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Pällmann-Kommission ermittelte 12 Mrd. Euro jährlich für die nächsten 15 Jahre für den Ausbau und die Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur. Nach der mittelfristigen Finanzplanung bleibt eine Lücke zwischen dem Bedarf und der Finanzierung offen. Der Umstieg auf Nutzerfinanzierung muss schnellstens eingeleitet werden.

Die Forderungen der Bauwirtschaft sind:

  1. Den wichtigen Beitrag der Straße in einem integrierten Verkehrssystem entsprechend der Verkehrsleistungen stärker gewichten.
  2. Die vollständige Umsetzung des Reformkonzeptes der Pällmann-Kommission muss schnellstens erfolgen.
  3. Die Investitionskraft der Kommunen muss gestärkt werden, um ausreichende Mittel für Erhaltung und Ausbau des kommunalen Straßennetzes bereitstellen zu können.
  4. Die privatwirtschaftliche Realisierung von Verkehrsprojekten (A-Modelle) muss noch im Jahr 2004 beginnen.
  5. Keine Haushaltskonsolidierung zu Lasten von Zukunftsinvestitionen.
PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

„Verkehrswege in Not – Gefahr für die Mobilität“.

Besser kann die derzeitige Situation in der Bundesrepublik Deutschland nicht zusammengefasst werden. Bevor ich auf die Besonderheiten in Deutschland eingehe, möchte ich den Bogen über die Verkehrsinfrastruktur und den Verkehrswegebau des vergrößerten Europas spannen. Ich werde dabei die drei wichtigsten Verkehrswege Straße, Schiene und Wasserstraße gemeinsam betrachten.

1 Die Einflüsse der Erweiterung der Europäischen Union

Mit der Erweiterung der Europäischen Union um 10 auf 25 Mitgliedsstaaten wird die Bundesrepublik Deutschland zur Verkehrsdrehscheibe Europas. Der Austausch von Waren und Dienstleistungen wird sich in dem nahezu 500 Millionen Verbraucher umfassenden Wirtschaftsraum weiter verstärken. Die Chancen, die sich aus der Erweiterung für die EU ergeben, können allerdings nur genutzt werden, wenn sich die Mobilität von Wirtschaft und Gesellschaft entsprechend den Bedürfnissen der Märkte entwickeln. Dazu ist es notwendig, die länderübergreifenden Achsen der Fernstraßen und des Schienennetzes sowie auch der Binnenwasserstraßen bedarfsgerecht auszubauen. Leider sind in der Vergangenheit große Versäumnisse zu beklagen. Bereits 1994 haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Rat von Essen 14 Transeuropäische Verkehrswege (TEN) als vorrangig eingestuft. Bis heute sind nur 3 fertig gestellt. Bei 5 Projekten kann man signifikante Fortschritte feststellen, 2 Projekte wurden nach Angaben der Kommission aber noch nicht einmal begonnen. Gemessen an den Kosten, wurden von den gesamten Baumaßnahmen nur ca. 40 % abgeschlossen. Die größten Verzögerungen betreffen grenzüberschreitende Projekte sowie Schienenprojekte. Die Ursache für die Defizite liegen in der zu geringen Investitionsquote aller EU-Mitgliedsstaaten für die Verkehrsinfrastruktur. Neben der Bundesrepublik sind alle anderen EU-Mitgliedsstaaten und die Europäische Union in der Pflicht, der Verkehrsinfrastruktur einen höheren Stellenwert einzuräumen. Um den Verkehrsinfarkt zu verhindern ist es notwendig, eine Investitionsoffensive einzuleiten.

Die Vernetzung der Verkehrswege von Straße, Schiene und Wasser muss mit Hilfe einer grenzüberschreitenden Koordination optimiert werden. Sowohl die alten EU-Mitgliedsstaaten als auch die Beitrittsländer müssen bei der Planung ihrer Verkehrsvorhaben eng zusammenarbeiten.

Die Beseitigung der Kapazitätsengpässe ist eine bedeutende Aufgabe. 10 % des Transeuropäischen Straßennetzes und 20% des Eisenbahnnetzes werden als Engpässe angesehen. In allen Ländern sind der Betrieb der Bahn, die Sicherheitsstandards und die Unterhaltung des Netzes jeweils noch eine nationale Aufgabe. Von einer europäischen, grenzüberschreitenden Lösung sind alle Mitgliedsländer weit entfernt. Es erscheint deshalb dringend geboten, die technischen Standards und Normen im Eisenbahnwesen zu harmonisieren.

Eine Investitionsoffensive kann wegen der prekären Lage der öffentlichen Finanzen in allen Ländern nur unter verstärkter Anwendung von Modellen des Public-Private-Partnership (PPP) umgesetzt werden. Das gilt insbesondere für den Straßenbau. Dort können zur Effizienzsteigerung und Kosteneinsparung bei Planung, Bau und Betrieb diese Modelle Vorteile bieten. Zu Recht hat die von der Europäischen Kommission eingesetzte van Miert-Gruppe im Abschlussbericht Juni 2003 die stärkere Nutzung von PPP-Modellen gefordert.

Ein Sonderprogramm Europäische Einheit, ähnlich den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit, könnte den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und den Haupttransitländern Europas unterstützen, wobei auch Mittel von der EU kommen müssten.

Einige europäische Länder haben bereits langjährige Erfahrungen mit der privaten Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Projektgesellschaften bauen, finanzieren und betreiben Großprojekte des Autobahnnetzes, vor allem im Süden Europas. Mautautobahnen haben dort eine lange Tradition. In Frankreich, Spanien, Italien und Portugal gibt es häufig mehrere Betreibergesellschaften, die im Wettbewerb zueinander stehen. Allerdings führen häufig wirtschaftliche Probleme dazu, dass Strecken vom jeweiligen Staat wieder übernommen werden müssen. Ein negatives Beispiel einer privaten Finanzierung ist der Eurotunnel zwischen Dover und Calais, der auch für die Zukunft kein positives Geschäftsergebnis erwarten lässt. In Deutschland steckt die private Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur noch immer in den Kinderschuhen. Die deutsche Industrie kann bei Akquisitionen nicht auf Referenzen in Deutschland zurückgreifen und ist deshalb internationalen Konkurrenten im Wettbewerb unterlegen.

Vor diesem Hintergrund, aber vor allem zur Realisierung des dringend erforderlichen Ausbaus unseres Autobahnnetzes hoffen wir, dass nun endlich A-Modelle noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. Damit kann am erfolgreichsten das soeben beschriebene Defizit beseitigt werden.

2 Situation in der Bundesrepublik Deutschland

Über eine lange Zeit galt die deutsche Verkehrsinfrastruktur als vorbildlich und stellte einen bedeutenden Standortvorteil dar.

Der heutige Zustand der deutschen Verkehrsinfrastruktur ist leider Besorgnis erregend. Das volkswirtschaftliche Vermögen von Straße, Schiene und Wasserwegen nimmt wegen der unterlassenen Erhaltung und zu geringem Ausbau stetig ab. Die seit Jahren anhaltende Unterfinanzierung gefährdet somit den Standort Deutschland. Als Folge sind auf den deutschen Straßen Staus in hohem Ausmaß zu verzeichnen. In den Ballungsgebieten werden deshalb in den Verkehrsmeldungen nur noch Staus länger als 3 Kilometer genannt. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“, nach ihrem Vorsitzenden Pällmann-Kommission genannt, sieht für alle 3 Infrastrukturbereiche eine akute Instandhaltungskrise. Nach dieser Feststellung beträgt das Investitionsdefizit der Schienenwege 1,5 Milliarden 3 p.a. und für die Bundeswasserstraßen 0,25 Milliarden 3. Der für die Bundesfernstraßen ermittelte jährliche Fehlbetrag von 2 Milliarden 3 wird heute von Experten schon auf 2,5 Milliarden 3 geschätzt. Die fehlenden Sanierungs- und Unterhaltungsinvestitionen werden künftige Haushalte zusätzlich belasten. Das Verschieben von Instandhaltungsmaßnahmen beschleunigt den Verschleiß der Infrastruktur und führt besonders bei Kunstbauwerken, d.h. bei Tunneln und Brücken zu erheblich höheren Reparaturkosten.

Durch unterlassene Unterhaltungsmaßnahmen und aufgeschobene Instandhaltungsinvestitionen ist die Gebrauchsfähigkeit der Verkehrsnetze dramatisch eingebrochen.

Mehr als 30 % der Fahrbahnen auf den deutschen Bundesstraßen haben bereits jetzt einen leicht eingeschränkten bzw. eingeschränkten Gebrauchswert. In den alten Bundesländern sind es 28 %, in den neuen Bundesländern sogar 40 %.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ermittelte für jede achte Brücke an Bundesfernstraßen einen kritischen bis ungenügenden Bauwerkszustand. Bezieht man die Brücken mit einem „befriedigenden Bauzustand“ mit in die Betrachtung ein – bei diesen müssen kurzfristig Schadensbehebungen und mittelfristig Instandhaltungen erfolgen – so sind zwei Fünftel dieser Brücken in Stand zu setzen (Bild 1). Etwa jede fünfte der 32 000 Brücken im Schienennetz der Deutschen Bahn AG ist älter als 100 Jahre, fast jede zweite älter als 75 Jahre (Bild 2).

Bild 1: Zustandsbewertung der Brückenbauwerke im Zuge von Bundesfernstraßen (Hochrechnung, Stand 31.12.2001) (Quelle: Straßenbaubericht 2003)

Bild 2: Altersstruktur der Brückenbauwerke der DB AG

Die Entwicklung ist dramatisch.

Die Straßenbauverwaltungen müssen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Straßen und Autobahnen wegen schadhafter Fahrbahnoberflächen einrichten, Brücken werden für den Schwerlastverkehr wegen Einsturzgefahr gesperrt.

Von den 600 Tunnelbauwerken der Deutschen Bahn AG ist die Hälfte älter als 127 Jahre, zwei Drittel sind älter als 100 Jahre (Bild 3).

Bild 3: Altersstruktur der Tunnelbauwerke der DB AG (Quelle: DB Netz AG 12/2000)

Im Netz der Bundeswasserstraßen bestehen bereits erhebliche Engpässe wegen ungenügender Kanalabmessungen, nicht ausreichender Wassertiefen und unzureichender Schleusenkapazitäten.

Die Bilder zur Altersstruktur, zur Zustandsbewertung und zum Modernitätsgrad (Bild 4) unserer Verkehrsinfrastruktur machen den akuten Handlungsbedarf deutlich. Eine weitere Verschleppung von Ausbau und Erhaltung führt zu fatalen Folgen.

Bild 4: Modernitätsgrad der Verkehrsinfrastruktur (1970–2002) (Quelle: Verkehr in Zahlen 2003/2004)

Ganz entschieden müssen wir uns daher gegen die Forderung „Bildung statt Beton“ wenden. Bildung darf nicht gegen den Verkehr und gegen die Verkehrsinfrastruktur ausgespielt werden. Deutschland braucht im internationalen Standortwettbewerb beides. Wir brauchen mehr Bildung und Innovation. Wir brauchen aber auch leistungsfähige Verkehrswege Straße, Schiene und Wasserstraße. Bildung und Beton sind keine Alternativen, zusammen bilden sie die Basis für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft und sind zugleich auch die Basis für weitere Erfolge.

3 Die Entwicklung der Verkehrsleistungen

Der Garant für die Mobilität in Deutschland ist das Straßennetz. 91 % der Personenverkehrsleistungen (mot. Individualverkehr und Omnibusverkehr) sowie 70 % des Güterverkehrs werden auf der Straße abgewickelt, während die Bahn nur einen Anteil von 8 % des Personenverkehrs und knapp 15 % des Güterverkehrs trägt (Bilder 5 und 6).

Bild 5: Personenverkehrsleistung in Deutschland [Mrd. Pers. km] (Quelle: BMVBW „Verkehr in Zahlen“, eigene Berechnungen)

Bild 6: Güterverkehrsleistung in Deutschland [Mrd. tkm] (Quelle: BMVBW „Verkehr in Zahlen“, eigene Berechnungen)

Einmal mehr wird deutlich: die Straße ist das Rückgrat unseres Verkehrssystems. Das trifft insbesondere auf die Bundesfernstraßen zu; diese übernehmen bei einem Längenanteil von nur 23% aller Außerortsstraßen

  • 52 % der Fahrleistungen aller Kraftfahrzeuge
  • 72 % der Güterverkehrsleistung
  • 56 % der

Die EU-Osterweiterung, das Wirtschaftswachstum, der steigende Außenhandel, die Veränderungen in den Produktions-, Logistik und Transportprozessen sowie der wachsende Motorisierungsgrad der Bevölkerung, zusammen mit dem zunehmenden Mobilitätsbedürfnis der Menschen, führen zu einem erheblichen Wachstum der Verkehrsleistungen. Dieses Wachstum wird im Zeitrahmen zwischen 1997 und 2015 für den Güterverkehr mit 64 % und für den Personenverkehr mit 20 % errechnet, wie aus einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsprognose hervorgeht.

Der Transitverkehr wird hierbei um 110 % wachsen und das trifft Deutschland in der Mitte Europas im besonderen Maße.

Die steigende Verkehrsnachfrage muss von allen Verkehrsträgern gemeinsam bewältigt werden. Selbst wenn die Bahn – wie im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen – die derzeitigen Leistungen verdoppelt, muss die Hauptlast des zukünftigen Wachstums von der Straße abgedeckt werden. Vieles spricht allerdings gegen eine wesentliche Steigerung oder gar Verdoppelung der Güterverkehrsleistung auf der Schiene.

4 Finanzen, Finanzplanung, Investitionen

Das Chaos um die Maut und Horrormeldungen über gekürzte Verkehrswegeinvestitionen hielten die Bauunternehmen seit Anfang November 2003 bis April diesen Jahres in Atem. Das hat übrigens auch zum Titel dieses Beitrags geführt. Auf massiven politischen Druck der Wirtschaft wurde durch die Bundesregierung beschlossen, die Investitionen für Verkehrswege im Jahr 2004 dann doch annähernd auf Vorjahresniveau zu halten. Damit war das Horrorszenario abgewendet. Dennoch müssen 670 Millionen 3 zur Rentensicherung und wegen der verfehlten Subventionsdefinition des Koch-Steinbrück-Papiers eingespart werden.

Mit den Beschlüssen des Bundeskabinetts am 23.6.2004 konnte für das Jahr 2005 ein Gleichstand der Verkehrswegeinvestitionen auf der Höhe des Jahres 2004 erreicht werden (Bild 7).

Bild 7: Verkehrsinvestitionen des Bundes (Kabinettsbeschluss der Bundesregierung am 23.6.2004)

Damit ist das Schlimmste erst einmal abgewendet. Angesichts der allgemeinen Haushaltssituation verdient das Ergebnis Anerkennung. Nun bleibt zu hoffen, dass in den Haushaltsberatungen des Bundestages dieser Betrag für 2005 auch bestätigt wird. In 2004 stehen vom Bund nunmehr 8,88 Milliarden 3 und 2005 voraussichtlich 8,97 Milliarden 3 für Verkehrswegeinvestitionen (Bau und Erhaltung) zur Verfügung.

Angesichts des tatsächlichen Bedarfs für Ausbau und Erhaltung von Straßen, Schienen und Wasserwegen des Bundes darf dieser positive Schritt nicht den Blick für die Realitäten verstellen. Die Mittelfristplanung sieht nämlich für den Zeitraum 2006 bis 2008 weitere Rückgänge dieser Investitionen auf 8,2 bzw. 7,4 Milliarden 3 vor.

Die Pällmann-Kommission hat demgegenüber einen unbestrittenen Bedarf von mindestens 12 Milliarden 3 jährlich, davon allein 6,3 Milliarden 3 für Bundesfernstraßen, jeweils für die nächsten 15 Jahre, ermittelt. Auch der Bundesverkehrswegeplan 2003, der jetzt mit der fünften Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes und der ersten Änderung des Schienenwegeausbaugesetzes Gesetzeskraft erlangt hat, erfordert jährlich 10 Milliarden 3 Investitionsmittel bis 2015. Damit wird deutlich, dass eine gewaltige Lücke zwischen Bedarf und Finanzierung offenbleibt. Die Höhe der Investitionen muss sich ausschließlich am nachgewiesenen Bedarf unserer Verkehrswege orientieren und nicht an der Verfügbarkeit von Finanzmitteln. Weil der Staat allein nicht in der Lage sein wird, die Mittel für die Infrastruktur aufzubringen, wird es höchste Zeit, auf eine echte Nutzerfinanzierung, zumindest bei den Bundesfernstraßen, umzusteigen. Auch hier liegen von der Pällmann-Kommission seit 1999 gute Vorschläge auf dem Tisch der Bundesregierung.

Worauf wird eigentlich noch gewartet?

Nach den Berechnungen des ADAC beläuft sich der Neubaubedarf von Bundesautobahnen bis zum Jahr 2020 bezogen auf die Basis 2003 auf 2 400 km. Außerdem müssen insgesamt 2 700 km Autobahnen ausgebaut und modernisiert werden. Dem steht gegenüber, dass nach dem vordringlichen Bedarf, so wie es der Bundesverkehrswegeplan 2003 vorsieht, für den Autobahnneubau nur noch 1 600 km und für die Modernisierung und Erweiterung 2 250 km vorgesehen sind.

Der BDI fordert in seinen Vorschlägen für Nachhaltige Mobilität, Wachstum und Beschäftigung

  • in europäischen Dimensionen zu denken und zu handeln
  • die Instandhaltungskrise zu überwinden
  • die Nachfrageentwicklung endlich zum Maßstab des Handelns zu machen und
  • eine Investitionsoffensive

Die Finanzplanung 2006 bis 2008 bleibt hinter solchen berechtigten Forderungen weit zurück. In der Finanzplanung sind 2006 nur noch 4,19 Milliarden 3, für 2007 4,34 Milliarden 3 und 2008 schließlich 4,39 Milliarden 3 für Investitionen in Bundesfernstraßen eingestellt. Diese Plandaten erschweren es dem BMVBW in 2004 und 2005 laufende und neu zu beginnende Projekte finanziell kontinuierlich fortzuführen. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, die derzeitig unstete, eher auf Kürzung zielende Investitionspolitik, durch einen langfristig angelegten Kurs auf einem stabilen, höheren Investitionsniveau abzulösen.

Die Finanzplanung 2006 bis 2008 weist auch für die Schiene den falschen Weg. Investitionen gehen von 3,7 Milliarden 3 in 2004 auf 2,2 Milliarden 3 in 2008 zurück. Damit wird das verkehrspolitische Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, verfehlt. Schon heute ist mit großer Besorgnis zu beobachten, dass die Bahn Planungen für Ausbau- und Neubaustrecke erheblich reduziert und damit verbunden Personal abbaut. Planfeststellungsverfahren werden nicht weiter vorangebracht, Bauaufträge werden gekündigt und nicht fortgesetzt. Die Modernisierung des zum Teil überalterten Netzes rückt in weite Ferne. Die Bahn wird den Neubau und Ausbau des Streckennetzes beenden müssen; die bereitgestellten Mittel werden kaum ausreichen, um das vorhandene Netz in einem betriebsfähigen, sicheren Zustand zu erhalten.

Es bestehen berechtigte Zweifel, ob die gegenwärtige Diskussion über die materielle Privatisierung der DB AG und der Börsengang eine Besserung der Situation erwarten lassen. Wenn der Bund den Erlös aus einer materiellen Privatisierung der Deutschen Bahn zusätzlich zu den bisherigen Infrastrukturmitteln in den Ausbau des Gleisnetzes investieren würde, d.h. dass die Privatisierungserlöse on top kommen, dann könnte der Weg in die richtige Richtung führen. Berechtige Zweifel bleiben in diesem Zusammenhang nach wie vor bestehen.

In einer gemeinsamen Erklärung „Deutschland braucht Mobilität statt Stillstand“ haben 45 Verbände die Bundesregierung aufgefordert, Investitionen in die Verkehrswege deutlich zu erhöhen. In seltener Übereinstimmung haben Nutzer und Fahrzeughersteller aller Verkehrsträger, die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Bauindustrie gemeinsam auf die Bedeutung der Mobilität für die Gesellschaft und auf die Risiken einer weiteren Verschlechterung der Verkehrsinfrastruktur hingewiesen. Die Projekte des Bundesverkehrswegeplanes 2003 müssen bis 2015 zeitnah und vollständig umgesetzt werden.

Der Erklärung haben sich die Allianz pro Schiene und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen nicht angeschlossen, weil sie trotz der Investitionskrise aus ideologischen Motiven die Investitionen für Straße und Schiene auf gleichem Niveau fordern. Hier wird einmal mehr deutlich, dass eine Diskussion Straße gegen Schiene oder Schiene gegen Straße in der gegenwärtigen Situation kontraproduktiv wirkt. Es geht vordringlich darum, den Substanzverlust der Infrastruktur zu stoppen um künftig ein funktionsfähiges Verkehrssystem aus Straße, Schiene und Wasserstraße zur Verfügung zu haben.

Die Erklärung ist als massiver Aufschrei gegen die Investitionspolitik und den Verzicht auf langfristige Wachstumsimpulse einer guten Infrastruktur zu sehen.

5 Situation der Bauindustrie

Der Rückgang der Finanzmittel für die Verkehrsinfrastruktur verschärft die Situation der Bauindustrie. Seit mehr als 8 Jahren ist die Bauindustrie in einer erheblichen Krise; dabei hat sich die Anzahl der Beschäftigten von 1,5 Millionen Mitte der 90er Jahre bis heute nahezu halbiert. Die Bauindustrie wurde von der Lokomotive der Konjunktur zum Bremsklotz. Die Ursachen dafür liegen neben dem Wohnungs- und Wirtschaftsbau auch in der geringeren Baunachfrage im „öffentlichen Bau“. Auf die Finanznot beim Bund für Bundesfernstraßen und Schienen – bin ich bereits eingegangen. Zusätzlich belastet das Maut-Dilemma. Seit September 2003 sollte die Lkw-Maut in den Bundeshaushalt fließen. Davon waren 2004 2,1 Milliarden 3 Mauteinnahmen für die Verkehrsinfrastruktur vorgesehen, für die der Bundeshaushalt einspringen musste. Der Mautausfall ist deshalb eine wesentliche Ursache für die gegenwärtige Finanzkrise der Verkehrsinfrastruktur.

Darüber hinaus wird in diesem Jahr das Vergabeverhalten der DB AG zu einer schweren Belastung. Die DB AG hält in Größenordnungen Ausschreibungen zurück, mit der Folge, dass per Ende August erst knapp ein Drittel der Bundesmittel für die Schiene ausgegeben sind (bei der Straße sind es 56%).

Die Finanznot der Länder und Kommunen belastet die Verkehrswegeinvestitionen zusätzlich und verschlechtert die Chancen auf ein stetiges Wachstum und Beschäftigung. Dabei ist zu beachten, dass mehr als 50 Prozent der Straßenbauinvestitionen von den Ländern und Kommunen getragen werden. Es wäre besser, wir könnten mehr über die Verwirklichung von Investitionen und die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und das damit verbundene Wachstum der Volkswirtschaft diskutieren als über den Anstieg der Arbeitslosigkeit und andere soziale Probleme.

Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den Ländern Osteuropas bietet auch der deutschen Bauindustrie, dabei besonders auch den Mittelständischen Firmen, gute Chancen. Wenn die deutschen Firmen in der Vergangenheit nur den lokalen Markt beobachteten, so wird es in Zukunft notwendig sein, europäisch zu denken und zu handeln. Die Unterstützung des Bundes mit Bürgschaften und Garantien bildet eine wesentliche Voraussetzung, um auch im internationalen Wettbewerb wettbewerbsfähig zu sein.

6 Fazit und Forderungen der Bauwirtschaft

Feststellung:
Die seit langem bestehende Unterfinanzierung für die Erhaltung und den Ausbau des Straßennetzes wird von Tag zu Tag deutlicher.

Forderung:
Den wichtigen Beitrag der Straße in einem integrierten Verkehrssystem entsprechend der Verkehrsleitung stärker gewichten.

Feststellung:
Für die Entwicklung der Verkehrsinfrastrukturen wird ein langfristig angelegtes Finanzierungskonzept gebraucht. Dies ist notwendig, um die Substanz der Verkehrswege zu sichern und rechtzeitig für Kapazitätssteigerungen zu sorgen.

Forderung:
Vollständige Umsetzung des Reformkonzeptes der Pällmann-Kommission.
Volle Zweckbindung der Einnahmen aus der Lkw-Maut und deren Bereitstellung zusätzlich zu öffentlichen Investitionsmitteln auf bedarfsgerechtem Niveau.

Feststellung:
Das Kommunale Straßennetz umfasst 52 5000 km. Die Qualität dieses Netzes ist in höchstem Maße gefährdet. Die Investitionskraft der Kommunen ist stark geschwächt, der Ersatzbedarf im kommunalen Straßennetz der Jahre 2001 bis 2009 beläuft sich auf 42 Milliarden 3.

Forderung:
Die Investitionskraft der Kommunen muss gestärkt werden, um diesen Spielraum für Investitionen zu verschaffen. Der Investitionsstau in der kommunalen Verkehrsinfrastruktur ist zügig abzubauen. Dem zunehmenden Verfall kommunaler Straßen ist wirksam zu begegnen.

7 Ausblick

Das Thema des Vortrages ist auf die Frage gerichtet, ob der Verkehrswegebau am Scheideweg angelangt ist.

Der Autor will versuchen zu beantworten, wie diese Frage verneint oder zumindest deutlich entschärft werden kann. Dazu nennt er abschließend die Hauptpfeiler für die überfällige Wende in der Verkehrs- und Investitionspolitik:

  • Keine Haushaltskonsolidierung zu Lasten von Zukunftsinvestitionen. Wiederanhebung und Verstetigung der Verkehrsinvestitionen auf ein langfristig bedarfsdeckendes Niveau mindestens 12 Milliarden 3 jährlich
  • Subventionsabbau ja, Investitionsabbau nein: Koch-Steinbrück-Subventionsabbauliste investitionssicher machen
  • Spielräume für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) nutzen Das bedeutet:
    • Mehr Flexibilität bei der Verteilung der Mautmittel auf die Verkehrsträger. Verkehrsübergreifender Mittelausgleich eröffnet neue Spielräume!
    • Mehr Planungssicherheit für mehrjährige Investitionsvorhaben: Übertragbarkeit von Mautmitteln nutzen!
    • Keine Ausgabereste zulassen: Finanzmanagement als Warnsystem zur frühzeitigen Identifizierung von Abflussproblemen installieren!
    • Weniger Investitionshemmnisse bei Schienenprojekten: DB-Mitfinanzierungsanteil sicherstellen!
    • Rahmen von Projektförderungsverträgen sichern!
    • Investitionspolitik verstärken: Qualifizierte Kreditaufnahme der VIFG für eine verstetigte Investitionstätigkeit ermöglichen!
  • Mehr Mut zur privatwirtschaftlichen Realisierung von Verkehrsprojekten!

Das bedeutet:

  • Alle Verkehrsprojekte auf privatwirtschaftliche Realisierbarkeit überprüfen!
  • Ausschreibungsbeginn für die Projekte nach dem privatwirtschaftlichen Ausbauprogramm der Bundesregierung (A-Modell) noch in diesem Jahr!
  • Möglichkeiten des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes (F-Modell) besser ausschöpfen: Anwendungsbereich auf Autobahnstrecken erweitern!
  • Anreize für weitere F-Modelle schaffen: PPP-Fördertopf außerhalb der Länderquote einrichten!
  • PPP-Verkehrskompetenzzentrum in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) ausbauen!
  • Sofortige Klärung sämtlicher steuerlicher Zweifelsfragen!
  • Investitionskraft der Kommunen stärken, ausreichende Mittel für Erhaltung und Ausbau des kommunalen Straßennetzes