FGSV-Nr. FGSV C 13
Ort Worms
Datum 08.03.2016
Titel Neubau der B 4/B 75 in Hamburg-Wilhelmsburg – Tiefbauarbeiten auf wenig tragfähigem Untergrund unter Berücksichtigung von Bahnbetrieb und Umweltbelangen
Autoren Dipl.-Ing. Georg Breitsprecher, Dipl.-Ing. Thomas Hecht
Kategorien Erd- und Grundbau
Einleitung

Im Streckenverlauf der künftigen B 4/B 75 stehen in weiten Teilen nicht ausreichend tragfähige, organische Böden (Weichschichten) an. Weiterhin sind mehrere Altlastenverdachtsflächen bekannt. Infolge der früheren, bahnbetrieblichen Nutzung der Flächen ist das oberhalb der Weichschichten anstehende Stauwasser durch Schadstoffe belastet. Das unter den Weichschichten teilweise auch gespannt anzutreffende Grundwasser hingegen ist durch die absperrende Wirkung der Weichschichten weitestgehend unbelastet. Für die erforderlichen Baugrundverbesserungen unter der Straße und für die Gründungen der Ingenieurbauwerke sind daher besondere Randbedingungen zu berücksichtigen und Maßnahmen zu ergreifen, um eine Verschleppung von Schadstoffen in das unbelastete Grundwasser unterhalb der Weichschichten zu verhindern. Aufgrund der Komplexität der Randbedingungen beauftragte die DEGES im Projekt Neubau B 4/B 75 neben der Verkehrsplanung sowie der Tragwerks- und Objektplanung der Ingenieurbauwerke eine eigenständige ,,Planung, Untergrundverbesserung und Altlastensanierung". Im vorliegenden Beitrag werden einige wesentliche Grundlagen und Ergebnisse dieser Planung näher erläutert. Um die wasser- bzw. schadstoffabsperrende Wirkung der Weichschichten so weit wie möglich zu erhalten, werden im Projekt B 4/B 75: ­

– keine vollständigen Bodenaustausche der Weichschichten bis zu den Sanden ausgeführt, ­

– Vorkonsolidierungen durch Überschüttung als Vorzugsvariante der Baugrundverbesserung vorgesehen, sofern dies räumlich, logistisch und bauzeitlich möglich ist,

– ­ für die Vorkonsolidierung erforderliche Vertikaldränagen nur maximal bis 1 m über Weichschicht-Unterkante abgeteuft, ­

– Drucksondierungen im Raster von 10 x 10 m zur kleinräumigen Erkundung der Weichschicht-Unterkante ausgeführt und darauf aufbauend die Weichschichtunterkante kartiert.

–­ Im Rüttelstopfverfahren herzustellende Kies-Sand-Säulen im Teufenbereich der Weichschicht mit Plomben aus Beton versehen, sofern sie die Weichschicht vollständig durchörtern.

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1 Projektbeschreibung

Die B 4/B 75 verläuft als sogenannte Wilhelmsburger Reichsstraße (kurz: WBR) in Nord-SüdRichtung durch den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Mit ca. 55.000 Fahrzeugen pro Tag ist sie eine der meistbefahrenen Bundesstraßen in und um Hamburg. Sie ist ein wichtiges Bindeglied zwischen der A 253 im Süden und der A 252 im Norden, jedoch dringend instandsetzungsbedürftig.

Im Rahmen eines städtebaulichen Entwicklungsprojektes plant und realisiert die DEGES gegenwärtig die Verlegung der Bundesstraße B 4/B 75 in Bereiche ehemaliger und bestehender Bahnanlagen. Das derzeit teilweise brachliegende Gelände zwischen Bahntrasse und der bestehenden B 4/B 75 dokumentiert die seit Jahrzehnten bestehende räumliche und soziale Trennung der Elbinsel. Nun werden auf einer Streckenlänge von rund vier Kilometern die Straßen- und die Schienentrasse eng gebündelt. Somit wird wertvoller städtebaulicher Entwicklungsraum im Bereich der alten Straßentrasse neu gewonnen. Durch umfangreiche, flankierende Lärmschutzmaßnahmen wird der Verkehrslärm für die Anwohner erheblich reduziert.

Mit der internationalen Bauausstellung (IBA) und der internationalen Gartenschau (igs) Hamburg im Jahr 2013 wurde die Entwicklung des städtebaulichen Leitprojektes "Sprung über die Elbe" eingeleitet und begonnen umzusetzen.

Bild 1: Visualisierung des mit der Bahntrasse gebündelten Streckenverlaufs B 4/B 75 (DEGES)

Die neue Trasse soll als vierspurige Straße mit Mittelstreifen mit einem Regelquerschnitt von 28 m im Süden an die bestehende A 253 im Bereich der Anschlussstelle HH-WilhelmsburgSüd anschließen. Beginnend bei der Anschlussstelle soll die Trasse Richtung Nordost unter der Kornweide und den Anschlussgleisen der Hafenbahn hindurch nach Osten verschwenken, um dann in Parallellage entlang der bestehenden DB-Hauptstrecke 2200 zu verlaufen. Bei Bau-km 3+300 soll eine neue Anschlussstelle HH-Wilhelmsburg-Mitte entstehen. Nördlich davon überquert die Trasse den Ernst-August-Kanal auf einer neu zu bauenden Brücke, um dann im Norden in einem anzupassenden Trogbauwerk in die Trasse der bestehenden B 4/B 75 bzw. A 252 zu münden.

Bild 2: Übersichtslageplan mit Planungs- und Baustand Dezember 2015 (DEGES 2016)

Die Verlegung der Straße macht auch die Anpassung bestehender Gleisanlagen erforderlich, da die neue Straßentrasse auch Flächen beansprucht, die gegenwärtig noch von in Betrieb befindlichen Gleisen belegt sind. So werden neben der Wiederherstellung oder Beibehaltung der Funktionalität einiger bestehender Gleise auch ein Güterzuggleis vollständig neu verlegt und die Verbindung Hohe Schaar ­ Wilhelmsburg mit einem zweiten Gleis ausgebaut.

Bild 3: Blick auf den künftigen Trassenverlauf der B 4/B 75 im Bereich anzupassender und ehemaliger Bahnanlagen (links Blickrichtung Norden, rechts Blickrichtung Süden)

2 Baugrund

Die Baugrundverhältnisse im Projektgebiet lassen sich wie folgt charakterisieren:

Die oberste Schicht wird aus anthropogenen Auffüllungen gebildet, darunter lagern organische Weichschichten, gefolgt von Sanden.

Die anthropogenen Auffüllungen sind inhomogen zusammengesetzt. Sie bestehen meist aus Sand und Kies und sind mit schluffigen und organischen Bestandteilen sowie mit Fremdmaterial (Bauschutt-, Ziegelreste etc.) durchsetzt. Sie beinhalten infolge der früheren Nutzung des Areals erhebliche Anteile aus Gleisschotter.

Bei den organischen Weichschichten handelt es sich weitgehend um Klei und Torf, teilweise auch um Tone und Schluffe mit schwach organischen Anteilen. Die Ausbildung und Mächtigkeit der organischen Weichschichten unterliegt deutlichen Unterschieden.

Die Sande sind unmittelbar unter den Weichschichten zunächst locker, in größerer Tiefe zunehmend dicht gelagert.

Im Hinblick auf die Planung der erforderlichen Baugrundverbesserungen und Vorkonsolidierungen wurde bei zusätzlichen, ergänzenden Baugrunduntersuchungen ein besonderes Augenmerk auf die Ermittlung der Scherfestigkeit und die Ermittlung des Zeitsetzungsverhaltens der Weichschichten gelegt. Im Ergebnis dieser Untersuchungen konnte die undrainierte Scherfestigkeit mit cu 15 kN/m² definiert werden. Bei einem geringeren Kennwertansatz der undrainierten Scherfestigkeit hätten sich Einschränkungen bei der Wahl der Verfahren für Pfähle und Rüttelstopfsäulen ergeben. Des Weiteren konnten anhand der Ergebnisse aus Kompressionsversuchen Kriechfaktoren abgeleitet werden, die für die Berechnung von Kriechsetzungen benötigt wurden. Materialbedingt sind Kriechsetzungen insbesondere im Torf von großer Relevanz.

Aus den Baugrunduntersuchungen zur Verlegung der B 4/B 75 und früheren Erkundungen der Deutschen Bahn sind in den Bereichen ehemaliger Bahnbetriebsflächen zahlreiche Altlastenverdachtsflächen mit Schadstoffbelastungen des Bodens bekannt. Im Zuge ergänzender Untersuchungen wurde darüber hinaus eine bereichsweise Belastung des Stauwassers über den Weichsichten ermittelt.

Bild 3: Schematischer Baugrundschnitt

Bei der Planung der Erdbau-, Baugrundverbesserungs- und Gründungsmaßnahmen waren infolge dessen stets die möglichen Auswirkungen des gewählten Verfahrens und Systems auf die Weichschichten (Klei und Torf) und das darunter anzutreffende, unbelastete Grundwasser zu beurteilen. Hierbei standen folgende Fragen im Fokus: ­ ­

– Besteht bei der Ausführung der Arbeiten die Gefahr einer Verschleppung von Schadstoffen aus der Auffüllung oberhalb der Weichschicht in das Liegende unterhalb der Weichschicht?

– Besteht durch das jeweils gewählte System die Gefahr eines Wasseraustausches zwischen Stauwasserhorizont und Grundwasserhorizont und somit einer Verschleppung von Schadstoffen aus der Auffüllung oberhalb der Weichschicht in das Liegende unterhalb der Weichschicht?

– Besteht durch das gewählte System die Gefahr einer dauerhaften Entwässerung der Weichschicht?

­3 Maßnahmen bei Baugrundverbesserungen

3.1 Maßnahmen bei Vorkonsolidierungen durch Überschüttung

In allen Streckenbereichen, die einer Baugrundverbesserung bedurften und für die eine lange Bauzeit zur Verfügung stand, wurde eine Vorkonsolidierung der Weichschichten durch Überschüttung vorgesehen. Die Überschüttung zielt auf eine Vorwegnahme der zu erwartenden Baugrundsetzungen noch vor Herstellung des eigentlichen Straßendamms ab. Durch die äußere Belastung wird der Boden zusammengedrückt, der Porenraum verkleinert, Wasser ausgepresst und die Durchlässigkeit verringert. Der für die Konsolidierung der Weichschichten erforderliche Zeitraum der Überschüttung ist maßgeblich beeinflusst von der Durchlässigkeit des zu konsolidierenden Bodens.

Um die Konsolidierung sicher und gezielt in einer planbaren Bauzeit zu erreichen, wurden unterhalb der Damm- bzw. Überschüttungskörper Vertikaldrains aus Geotextilien vorgesehen. Der rasterförmige Einsatz von Vertikaldrains unter dem Überschüttungskörper führt zu einer Verkürzung der Fließwege und somit zu einer Beschleunigung der Konsolidierungssetzungen.

Bild 4: Eingebaute Vertikaldrains aus Geotextil

Dem Grunde nach besteht beim Abteufen der Vertikaldrains die Gefahr einer Verschleppung von gegebenenfalls vorhandenen Schadstoffen aus der Auffüllung oberhalb der Weichschicht in das Liegende bzw. in das Grundwasser unterhalb der Weichschicht, wenn beim Abteufen des Stitchers ein Bodenpfropfen aus dem Bereich der Auffüllung vor der Fußplatte bis durch die Weichschicht hindurch in den Sand getrieben wird.

Üblicherweise werden Vertikaldrains durch eine Weichschicht hindurch bis in darunter anstehende, durchlässigere Schichten abgeteuft, um das bei der Konsolidierung ausgepresste Wasser nach oben wie nach unten abführen zu können. Im Projekt B 4/B 75 jedoch soll eine mögliche Verbindung des oberhalb der Weichschicht vorhandenen, bereichsweise belasteten Stauwassers mit dem Grundwasser unterhalb der Weichschicht weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Vertikaldrains werden daher nicht durch die gesamte Weichschicht hindurch abgeteuft, sondern enden ca. 1 m über deren Unterkante.

Bild 5: Vertikaldrainagen enden 1 m über UK Weichschicht

Hierfür ist eine sehr genaue Kenntnis der Topografie der Weichschichtunterkante erforderlich, welche im Projekt durch eine zuvor rasterförmig ausgeführte Baugrunderkundung mittels Drucksondierungen erlangt wurde. Erst auf Grundlage dieser kleinräumigen Erkundung wurden die tatsächlichen Teufen der Vertikaldrains definiert.

Bild 6: Beispielhafte Darstellung von Topografie unterschiedlicher Schichtgrenzen

3.2 Maßnahmen bei Kies-Sand-Säulen

In einigen Streckenbereichen, wo keine lange Bauzeit für die Baugrundverbesserung mittels Vorkonsolidierung zur Verfügung stand bzw. Überschüttungen wegen hoher Damm-querschnitte nicht realisiert werden konnten, wurden Kies-Sand-Säulen im Rüttelstopf-verfahren geplant.

Bild 7: Herstellung Kies-Sand-Säulen, hier Verfahren mit Aufsatzrüttler, Rohr und Fußklappe

Das Abteufen eines Tiefenrüttlers oder eines Rohres mit Aufsatzrüttler zur Herstellung von Kies-Sand-Säulen erfolgt "vollverdrängend". Dem Grunde nach besteht somit die Gefahr einer Verschleppung von gegebenenfalls vorhandenen Schadstoffen aus der Auffüllung oberhalb der Weichschicht in das Liegende, bzw. das Grundwasser unterhalb der Weichschicht, wenn beim Abteufen des Rüttlers/des Rohres ein Bodenpfropfen aus dem Bereich der Auffüllung vor der Spitze/Fußklappe bis durch die Weichschicht hindurch in den Sand getrieben wird.

Bild 8: Kies-Sand-Säulen mit wasserabsperrender Plombe innerhalb der Weichschicht

Dort, wo eine Belastung des Stauwassers nicht auszuschließen war, mussten die Kies-SandSäulen innerhalb der Weichschicht mit einer "Dichtplombe" aus Beton oder einer Ton-Zement-Suspension versehen werden.

3.3 Maßnahmen bei Pfahlgründungen

Im Bereich der Rampen zur Brücke über den Ernst-August-Kanal reichte eine Baugrundverbesserung mittels Rüttelstopfsäulen aus Gründen der Dammhöhe und der daraus resultierenden Setzungen nicht aus. Hier sah die Planung eine Gründung des Dammes im auf einem geogitterbewehrten Bodenpolster auf Fertigteilrammpfählen vor.

Das Rammen eines Fertigteilrammpfahles erfolgt "vollverdrängend". Grundsätzlich besteht somit beim Abteufen von Fertigteilrammpfählen die Gefahr einer Verschleppung von ggf. vorhandenen Schadstoffen aus der Auffüllung oberhalb der Weichschicht in das Liegende bzw. das Grundwasser unterhalb der Weichschicht, wenn beim Rammen ein Bodenpfropfen aus dem Bereich der Auffüllung vor dem Rammschuh bis durch die Weichschicht hindurch in den Sand getrieben wird.

Das "Merkblatt für Pfahlgründungen auf kontaminierten Standorten in Hamburger Marschgebieten" (Umweltbehörde Hamburg, 1998) ist zwar aktuell nicht mehr gültig, enthält aber dennoch zahlreiche Hinweise auf notwendige und mögliche Maßnahmen, mit denen eine Verschleppung von Schadstoffen bei Herstellung von Pfahlgründungen vermieden werden können. Im Falle von Fertigteilrammpfählen sieht das Merkblatt unter bestimmten Belastungssituationen beispielsweise die Verwendung von speziellen Rammschuhen mit einer 60 °-Spitze vor, die das Vorantreiben eines Pfropfens ausschließen soll.

Bild 9: Fertigteilrammpfähle mit 60 °-Spitze als Rammschuh

4 Umgang mit Setzungen und Schwingungen

4.1 Dimensionierung der Mindeststärke Schüttkörper und Straßenaufbau

Gemäß "Merkblatt über Straßenbau auf wenig tragfähigem Untergrund" (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 2010) hätte bei der Planung der neuen B 4/B 75-Trasse eine Mindeststärke des Schüttkörpers und des Straßenaufbaus von 2,50 m berücksichtigt werden sollen, damit dynamische Einwirkungen (Verkehrslast) auf den Untergrund untergeordnet sind. Aufgrund des sehr geringen Flurabstands der Gradiente zum Grundwasser hätte die Einhaltung dieser Empfehlung zu erheblichen Bodenaustauschmaßnahmen mit Eingriffen ins Grundwasser geführt. Tiefreichende Bodenaustausche unter Wasser sollten jedoch aus den oben genannten Gründen des Grundwasserschutzes vermieden werden.

In Abwägung der unterschiedlichen Zwangspunkte, unter Berücksichtigung der konsolidierungsunterstützenden Wirkung der vorgesehenen Vertikaldrains und nicht zuletzt aus Kostengründen wurde ein Aufbau von mindestens 1,50 m gewählt.

Bild 10: Typischer Aufbau aus Vertikaldrains, Straßendamm und Überschüttung Vertikaldrains

4.2 Dimensionierung der Überschüttungen für die Straßentrasse

Die Dimensionierung der Überschüttungshöhen in den einzelnen Abschnitten mit Vorkonsolidierung erfolgte anhand von geotechnischen Berechnungen nach der Methode der Finiten Elemente. Zur Ermittlung von Verformungen und der Verfestigung des Baugrundes durch Konsolidierung wurden undrainierte Berechnungen auf der Basis von effektiven Spannungen und effektiven Steifigkeits- und Scherfestigkeitsparametern durchgeführt. Um dabei die Abhängigkeit der undrainierten Scherfestigkeit von der Spannung, vom Spannungspfad und vom volumetrischen Verhalten wirklichkeitsnah abzubilden, wurden höherwertige Stoffmodelle verwendet. Aufgrund der zu erwartenden großen Verformungen wurden geometrisch nicht-lineare Berechnungen durchgeführt (Berechnung des Spannungs-Verformungszustands im verformten Zustand).

Für den Nachweis der Gebrauchstauglichkeit wurden die Verformungen aus Konsolidierung und Kriechen berechnet, welche innerhalb eines Instandhaltungszyklus von 30 Jahren auftreten. Der Nachweis wurde unter der Maßgabe geführt, dass die Setzungen innerhalb des Instandhaltungszyklus nicht mehr als 50 mm betragen sollen.

Bild 11: Beispiel Setzungen [x 10-3 m] nach 30 Jahren bei 180 d Liegezeit der Überschüttung

4.3 Dimensionierung der Kies-Sand-Säulen

Die Dimensionierung der Säulenraster und -tiefen in den Abschnitten mit Kies-Sand-Säulen erfolgte ebenfalls anhand von geotechnischen Berechnungen nach der Methode der Finiten Elemente. Um diese Berechnungen und die zugrunde gelegten Kennwertansätze der Baugrundparameter zu verifizieren, und um das Raster und die Tiefen der im Rüttelstopfverfahren herzustellenden Kies-Sand-Säulen abschließend festlegen zu können, wurde vorab ein Probefeld hergestellt und messtechnisch überwacht.

Das Probefeld lag im Bereich der Anschlussstelle HH-Wilhelmsburg-Süd (Kornweide). Es war Teil eines späteren Straßendammes, erstreckte sich über die gesamte Dammbreite und hatte eine Länge von etwa 45 m. Es sollten Kies-Sand-Säulen mit folgenden Eigenschaften hergestellt werden: ­

– Durchmesser: d = 60 cm, Einbindetiefe: t = 5 bis 15 m ­

– Dreiecksraster: a = 1,60 m, a = 60 ° (Einbindehorizont S1: locker gelagerter Sand) ­

– Dreiecksraster: a = 3,20 m, a = 60 ° (Einbindehorizont S2: mitteldicht gelagerter Sand)

–­ Material gemäß Bodengruppe GW nach DIN 18196, 35 °, Es 120 MPa

Im Rahmen der Herstellung wurde festgestellt, dass eine große Anzahl der Säulen, die bis in den S2-Sand abgeteuft werden sollten, nicht die geplante Tiefe erreichten. Es lag demnach keine durchgehende Baugrundverbesserung bis in den S2-Sand vor. Jedoch war der in weiten Bereichen als locker gelagert erwartete (S1)-Sand in situ mitteldicht gelagert und daher bereichsweise dem S2-Sand zuzuordnen. Diese teilweise auch nur schichtweise höhere Lagerungsdichte bereitete für die vom Bauunternehmen eingesetzte Technologie (Herstellung von Kies-Sand-Säulen mit Rohr und Aufsatzrüttler) erhebliche Schwierigkeiten. So konnten die oben genannten Raster nur dann bis auf die geplante Tiefe abgeteuft werden, wenn zunächst alle langen Säulen des Grobrasters und anschließend alle kurzen Säulen des Zwischenrasters hergestellt wurden.

Nach Abschluss der Baugrundverbesserung wurde die Oberfläche planiert, eine ca. 0,10 m mächtige Ausgleichsschicht aufgebracht, ein Geogitter Rd 500 kN/m (quer) verlegt und darauf ein Gründungspolster mit einer Stärke von 1 m aufgebaut. Anschließend erfolgte die messtechnische Ausrüstung des Probefeldes mit Horizontal-Inklinometern, Vertikal-Inklinometern, Vertikal-Extensometern, Setzungspegeln und Porenwasserdruckmessgebern.

Bild 12: Einbau der PWD-Messgeber mittels Drucksonde und Aufbau des Dammes

Nach Installation der Messtechnik folgte der Aufbau des Straßendamms auf seine endgültige Höhe von ca. 8,5 m ü. NHN mit einem grobkörnigen Boden in einem Zeitraum von 5 Tagen. Die Verformungen und die Entwicklung des Porenwasserdruckes wurden anschließend noch ca. 2 Monate fortgesetzt.

Bild 13: Setzungsverläufe der Horizontal-Inklinometer an der UK der Dammschüttung

Die Gesamtsetzung im Bereich des Dammkörpers betrug ca. 30 cm. Der Anteil der Sofortsetzung während der Aufschüttung des Dammes lag bei ca. 50 % der Gesamtsetzung. Nach vollständiger Aufschüttung des Dammes erfolgte innerhalb der Weichschicht noch ein erheblicher Abbau des Porenwasserdruckes über die als Drains wirkenden Kies-Sand-Säulen verbunden mit einer erheblichen Konsolidierungssetzung.

Die Setzungen resultierten überwiegend aus der Konsolidierung der Weichschicht. Die Sofortsetzung in den wechselnd locker bis mitteldicht gelagerten Sanden unterhalb der Weichschicht betrug lediglich 2 cm, die Restsetzung wurde hier mit 1 cm ermittelt.

Nach Ausführung und Auswertung des Probefeldes konnten die Stoffparameter der FE-Berechnungen durch Nachrechnungen kalibriert werden.

Bild 14: Nachrechnung Probefeld zur Kalibrierung der Stoffparameter

4.4 Dimensionierung des Erdkörpers der Bahnanlagen

Der Erdkörper einer Bahnanlage ist gemäß Richtlinie Ril 836 (DB Netz 2014), welche Bestandteil des durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) bauaufsichtlich eingeführten Regelwerks ist, zu bemessen. Die im Rahmen der Verlegung B 4/B 75 neu zu errichtenden bzw. anzupassenden Gleisanlagen befinden sich weitestgehend im Bereich von vorhandenen oder zurückgebauten Gleisen. Die Achsen der neuen Gleise entsprechen jedoch nicht exakt den alten Gleisachsen. Somit sind die überwiegenden Abschnitte der neuen Bahnanlagen als "Neubau" zu betrachten, nur wenige Abschnitte als "Ertüchtigung".

Bei schwingungsempfindlichen, setzungsempfindlichen und nicht ausreichend tragfähigen Böden verlangt die Ril 836 unabhängig von Regelprofilen rechnerische Nachweise der Tragfähigkeit, der Gebrauchstauglichkeit und der dynamischen Gebrauchstauglichkeit.

4.5 Nachweise zur Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Bahnanlagen

Nach Ril 836 werden Setzungsdifferenzen als hinnehmbar erachtet, die innerhalb eines Instandhaltungszyklus von 6 bis 10 Jahren die im Bild 1 des Moduls 3001 (s. Bild 15) dargestellten längenbezogenen Setzungsdifferenzen nicht überschreiten. Die Gesamtsetzungen nach Inbetriebnahme sollen die 3-fachen Werte der hinnehmbaren Setzungsdifferenzen für eine Bezugslänge von 40 m nicht überschreiten.

Bild 15: Hinnehmbare Setzungsdifferenzen bei Schottergleisen (DB Netz AG, 2014), mit Eintragung der im Projekt zulässigen Setzungsdifferenzen

Die vorhandenen Gleisanlagen im Bereich HH-Wilhelmsburg erfordern einen erheblich kürzeren Instandhaltungszyklus. Regelmäßig werden die Gleise gestopft um untergrundbedingte Setzungen auszugleichen. Ursache hierfür ist, dass die im gesamten Projektgebiet unterhalb der Auffüllung anstehenden organischen Weichschichten ein sehr langfristiges Setzungspotenzial aufweisen.

Hätte für die neuen Gleisanlagen ein Instandhaltungsintervall > 6 bis 10 Jahre gem. Ril 836 gewährleistet werden sollen, wären ersten Berechnungen zufolge umfangreiche Baugrundverbesserungen erforderlich geworden, die aus Gründen der Bauzeit und der Baukosten und um Mitnahmesetzungen benachbarter Bestandsgleise zu vermeiden, ausgeschlossen werden sollten. Mit dem Ziel, bei allen neu zu bauenden Gleisen auf eine Baugrundverbesserung verzichten und den "abgesicherten Tragbereich" (Schienenoberkante bis UK Schüttkörper) auf 1,50 m Mächtigkeit beschränken zu können, erfolgte eine weitreichende Optimierung der Planung auf Grundlage folgender ergänzender Maßnahmen: ­

– Beantragung einer Abweichung von Ril 836.3001 dahingehend, dass das Instandhaltungsintervall auf 4 Jahre ausgelegt werden darf. ­

– Umfangreiche Nacherkundung des Baugrundes im unmittelbaren Bahnbereich durch Bohrungen, Drucksondierungen, Cross-Hole-Messungen, Geoelektrik, Scher- und Ödometerversuche).

– ­ Ableitung "verbesserter" charakteristischer Kennwerte. ­

– Ausführung eines Belastungsversuchs zur Verifizierung der Berechnungen.

Die Berechnungen erfolgten mit Hilfe der Methode der Finiten Elemente (FEM) unter Anwendung geeigneter Stoffgesetze. Die verwendeten Stoffparameter wurden auf Grundlage der in den geotechnischen Gutachten angegebenen Parameter und aus den Ergebnissen der nachträglich durchgeführten Feld- und Laborversuche abgeleitet.

Die Berechnung der Querschnitte diente vorrangig zum Nachweis der Standsicherheit, die Berechnung der Längsschnitte zum Nachweis der Gebrauchstauglichkeit. Anhand der Berechnungen konnte eine ausreichende Standsicherheit nachgewiesen werden. Die Verformungsberechnungen an den Längsschnitten ergaben, dass die zulässigen Setzungsdifferenzen und die Gesamtsetzungen auch in einem Zeitraum von 4 Jahren nicht überschritten werden.

Gemäß einer Vereinbarung mit dem zuständigen, vom Eisenbahnbundesamt anerkannten Gutachter Sachgebiet Geotechnik sollten die Berechnungsergebnisse zur Gebrauchstauglichkeit anhand einer Probebelastung mittels Totlasten und bei Messung des Zeit-Setzungsverhaltens verifiziert werden.

Die Probebelastung erfolgte mit einem Belastungskörper (H/L/B = 2,4 m/6,5 m/2,6 m) aus insgesamt 40 Betonquadern (H/L/B = 0,6 m/1,3 m/1,3 m). Die Belastung (Sohlspannung 57,6 kN/m²) wurde innerhalb eines Tages aufgebracht und über eine Konsolidierungszeit von mindestens 3 Monaten (90 Tagen) konstant gehalten. Die Messung der vertikalen Verschiebungen (Setzungen) erfolgte geodätisch über Messbolzen an der unteren Reihe des Belastungskörpers sowie geotechnisch über Vertikal-Extensometer. Horizontale Verschiebungen im Boden wurden Vertikal-Inklinometer erfasst, die Porenwasserdruckentwicklung über Porenwasserdruckgeber in der Weichschicht.

In den geotechnischen Berechnungen zur Baugrundverbesserung waren nur 50 % der veränderlichen Einwirkungen aus Bahnverkehr als setzungsrelevant berücksichtigt worden. Um Sicherheit in der Planung zu erhalten, wurde die Probebelastung auf ca. 100 % der veränderlichen Einwirkungen ausgelegt.

Bild 16: Probebelastungskörper zum Nachweis der Gebrauchstauglichkeit der Bahnanlage

4.6 Nachweise zur dynamischen Gebrauchstauglichkeit der Bahnanlagen

Ril 836 fordert des Weiteren eine Beurteilung der dynamischen Gebrauchstauglichkeit des Unterbaus/Untergrundes. Im Rahmen des ergänzenden Erkundungsprogramms wurden hierfür an zwei Messprofilen im Gleisbereich auch Schwingungsmessungen bei repräsentativen Zugüberfahrten und seismische Messungen (Crosshole-Messungen) zur Bestimmung der bodendynamischen Eigenschaften durchgeführt. Im Ergebnis von Berechnungen zur dynamischen Gebrauchstauglichkeit musste in einigen Teilabschnitten der neu zu bauenden Gleise der "abgesicherte Tragbereich" auf 1,60 m unter SOK vergrößert und ein Geogitter eingebaut werden.

Bild 17: Aufbau des Erdkörpers für neue Bahnanlagen

Literaturverzeichnis

DEGES (2016): Webseite http://www.deges.de/Projekte/Bundesfern-und-Landesstrassenprojekte/ in-Hamburg/B-4/B-75-Wilhelmsburger-Reichsstrasse/B-4/B-75-Wilhelmsburger-Reichsstrasse-in-Hamburg-K230.htm (abgerufen am 1. 2. 2016)

Umweltbehörde Hamburg, Amt für Umweltschutz ­ Gewässer- und Bodenschutz-W22 ­ (1998): Merkblatt zu den Anforderungen an Pfahlgründungen auf kontaminierten Standorten in Hamburger Marschgebieten aus der Sicht des Gewässerschutzes", Dezember 1998 (nicht mehr gültig/verfügbar)

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2010): Merkblatt über Straßenbau auf wenig tragfähigem Untergrund, Ausgabe 2010, Köln, FGSV 542

DB Netz AG (2014): Richtlinie 836 ­ Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten, Fassung vom 20. 12. 1999a mit 3. Aktualisierung, gültig ab 1. 3. 2014, Ril 836, DB Kommunikationstechnik GmbH, Karlsruhe