FGSV-Nr. | FGSV 002/84 |
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Ort | Karlsruhe |
Datum | 27.09.2005 |
Titel | Entstehung und Vorhersage von Industrieschnee |
Autoren | Dr. sc. nat. Olivier Liechti |
Kategorien | Straßenbetrieb, Winterdienst |
Einleitung |
1 EinleitungStraßenbetriebsdienste müssen bei windschwachen und frostigen Nebellagen auf Teilen ihres Verkehrsnetzes Winterdiensteinsätze leisten, wenn es lokal zu Niederschlag in Form von Schneegriesel aus sonst niederschlagsfreiem Nebel kommt. Die lokal auftretende Schneeglätte kann Verkehrsteilnehmende überraschen und birgt ein gewisses Unfallrisiko. In der Regel genügen Streueinsätze zur Bekämpfung der Schneeglätte, nur in ganz seltenen Fällen sind Pflugeinsätze notwendig. Durchgeführte Erhebungen bei Unterhaltsdiensten und beim Wetterdienst MeteoSchweiz erlaubten es, das Phänomen verstärkter Schneegriesel örtlich (Bild 1) und zeitlich einzugrenzen [1, 2]. Lokale Schneeglätte durch Schneegriesel tritt in der unmittelbaren Umgebung von technischen Anlagen auf, die intensiv Wasserdampf und nur beschränkt Wärme abgeben. Als konzentrierte Wasserdampfquellen für Schneegriesel können Anlagen zur Kehrrichtverbrennung (Bild 2) und zur industriellen Produktion (Papier, Stahl, Zellulose, Chemie, Bier, Heizwärme etc.) wirken. Für den lokal auftretenden Schneegriesel sind der Quelle entsprechende Bezeichnungen wie Industrie- und Bierschnee in Gebrauch. Auch im Bereich des Flughafens Zürich tritt lokal verstärkt Schneegriesel auf, der neben dem umliegenden Straßennetz auch abgestellte Flugzeuge und die Landebahnen beeinträchtigt. |
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Volltext | Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.1 EinleitungStraßenbetriebsdienste müssen bei windschwachen und frostigen Nebellagen auf Teilen ihres Verkehrsnetzes Winterdiensteinsätze leisten, wenn es lokal zu Niederschlag in Form von Schneegriesel aus sonst niederschlagsfreiem Nebel kommt. Die lokal auftretende Schneeglätte kann Verkehrsteilnehmende überraschen und birgt ein gewisses Unfallrisiko. In der Regel genügen Streueinsätze zur Bekämpfung der Schneeglätte, nur in ganz seltenen Fällen sind Pflugeinsätze notwendig. Durchgeführte Erhebungen bei Unterhaltsdiensten und beim Wetterdienst MeteoSchweiz erlaubten es, das Phänomen verstärkter Schneegriesel örtlich (Bild 1) und zeitlich einzugrenzen [1, 2]. Lokale Schneeglätte durch Schneegriesel tritt in der unmittelbaren Umgebung von technischen Anlagen auf, die intensiv Wasserdampf und nur beschränkt Wärme abgeben. Als konzentrierte Wasserdampfquellen für Schneegriesel können Anlagen zur Kehrrichtverbrennung (Bild 2) und zur industriellen Produktion (Papier, Stahl, Zellulose, Chemie, Bier, Heizwärme etc.) wirken. Für den lokal auftretenden Schneegriesel sind der Quelle entsprechende Bezeichnungen wie Industrie- und Bierschnee in Gebrauch. Auch im Bereich des Flughafens Zürich tritt lokal verstärkt Schneegriesel auf, der neben dem umliegenden Straßennetz auch abgestellte Flugzeuge und die Landebahnen beeinträchtigt. Bild 1: Wasserdampfquellen für lokal verstärkten Schneegriesel im Schweizerischen Mittelland Bild 2: Kehrrichtverbrennung als Quelle von Industrieschnee 2 Wetterlage bei IndustrieschneeDie meteorologischen Voraussetzungen für das Auftreten von Schneegriesel (Bild 3) sind
Bild 3: Die Windrichtung über dem Nebelmeer bestimmt die Beschneiungsrichtung bei lokalverstärktem Schneegriesel In den vier Wintern 1999/2000 bis 2002/2003 kam es bei diesen Bedingungen in Winterthur (CH) und am Flughafen Zürich (CH) an insgesamt 18 Tagen zu lokal verstärktem Schneegriesel. Die Tageszeiten, an denen Schneegriesel fällt, sind auf die frühen Nachtstunden und die Zeit um den Sonnenaufgang konzentriert. Bei sehr trockenen winterlichen Hochdrucklagen mit Auflösung des Morgennebels im Lauf des Vormittags tritt Schneegriesel nur um Sonnenaufgang auf. Bei feuchteren Kaltluftseen mit später oder ausbleibender Nebelauflösung kann Schneegriesel ein erstes Mal schon in den frühen Nachtstunden auftreten. Um Sonnenaufgang fällt dann meist ein zweites Mal Schneegriesel. Die nächtliche Auskühlung des Nebels ist entscheidend am Phänomen Schneegriesel beteiligt [3]. Die beschneite Fläche beträgt typischerweise 4 km2, wobei diese Fläche ungleichmäßig beschneit wird. Die Lage der beschneiten Fläche hängt vom Wind oberhalb des nebligen Kaltluftsees ab. Im Schweizer Mittelland sinkt die Obergrenze des Nebelmeeres gegen Ende von winterlichen Hochdrucklagen genügend ab, um das Auftreten von Schneegriesel zu ermöglichen. In der Regel weht der Wind über dem Nebelmeer dann aus Südwest, die Beschneiung erfolgt somit nordöstlich der Wasserdampfquelle. In Winterthur wird mit der Kehrrichtverbrennungsanlage als Wasserdampfquelle in der Regel der Stadtteil Oberwinterthur beschneit (Bild 4). Bild 4: Die Beschneiung von Oberwinterthur tritt am häufigsten auf, da der Höhenwind bei niedrigem Nebelmeer in der Regel aus Südwest weht In den vier Gebieten St. Gallen West, Winterthur Grüze, Zürich Flughafen und Bern West tritt lokaler Schneegriesel in der Nordschweiz am häufgsten auf. In drei dieser Gebiete ist eine Kehrrichtverbrennungsanlage an der Beschneiung beteiligt. Das Auftreten von lokalem Schneegriesel in den beiden gleich hoch gelegenen Gebieten Flughafen Zürich und Winterthur Grüze erfolgte in den vier untersuchten Wintern in der Regel an den gleichen Tagen, obwohl die lokalen Feuchtquellen sich deutlich unterscheiden. In der Umgebung des Flughafens Zürich lösen startende und landende Flugzeuge in der Nebeldecke lokal Schneegriesel aus, während in Winterthur die Beschneiung von der Kehrrichtverbrennungsanlage ausgeht. 3 Thermodynamik im NebelmeerEin Nebelmeer kühlt nachts an seiner Oberfläche durch Abstrahlung aus. Die abgekühlten Wolkenteile sinken ab und werden durch aufsteigende Wolkenteile ersetzt. Die auskühlende Schichtwolke wird damit konvektiv durchmischt. Die Durchmischungstiefe erreicht im Lauf der Nacht den Boden, der gesamte Kaltluftsee kühlt somit aus. Durch die Auskühlung kondensiert Wasserdampf, der Wolkenwassergehalt steigt an, die Nebeluntergrenze sinkt ab und erreicht gegebenenfalls den Boden. Die freigesetzte Kondensationswärme reduziert die Abkühlungsrate. Durch die konvektive Durchmischung tragen Wasserdampfquellen in allen Höhen des Kaltluftsees zu dessen Feuchtbilanz bei. Bei frostigen, schnee- und nebelfreien Bedingungen liegt die nächtliche Kühlrate der Lufttemperatur unter Reifbildung um –0,6 °C pro Stunde. Die Abstrahlung wird durch die Abkühlung der bodennahen Luft, durch die Kondensationswärme und durch den Bodenwärmestrom gedeckt. Bei Nebel bis 300 m über Grund beträgt die Kühlrate nur -0,1 °C pro Stunde. Mit Nebel ist das Volumen der an der Auskühlung beteiligten Luft massiv größer, damit wird die Kühlrate bei gleichen Strahlungsverlusten entsprechend geringer. Die Nebel- bzw. Wolkentemperatur ist nachts an der auskühlenden Oberfläche am tiefsten, damit ist dort der Wolkenwassergehalt am größten. Der Nebel besteht auch bei Temperaturen im Frostbereich aus unterkühlten Tröpfchen. Die konvektive Durchmischung durch die oberflächliche Auskühlung schafft günstige Bedingungen für das Zusammenwachsen von einzelnen Tröpfchen, speziell an der kalten Wolkenoberseite. Das Gefrieren von kollidierenden, unterkühlten Tröpfchen erfolgt erst bei genügender Größe oder Kollisionsgeschwindigkeit. Die Randwirbelturbulenzen von schweren Flugzeugen genügen offenbar für das Kristallisieren der unterkühlten Wolkentropfen. Nach fortgesetztem Kristallwachstum fällt mit der Zeit Schneegriesel aus. Der Schneegriesel erreicht den Boden nur, wenn die Untergrenze des Nebelmeeres praktisch am Boden aufliegt. Bei Nebeluntergrenzen von mehr als 100 m über Grund verdunstet der Schneegriesel in der ungesättigten Luft, bevor er am Boden auftrifft. 4 Nummerische Simulation von niedrigem HochnebelDa das Volumen der auskühlenden Luft bei gegebener Nebelobergrenze stark von der Geländehöhe abhängt, ergeben sich nachts topographiebedingt stark unterschiedliche Kühlraten. Aus höhergelegenem Gelände fließt stärker abgekühlte Luft bodennah in die Beckenlagen ab. Zur Simulation der Temperatur- und Feuchtverhältnisse in winterlichen Kaltluftseen ist das topographieabhängige Luftvolumen somit von Bedeutung (Bild 5). Das zweidimensionale topographische Grenzschichtmodell tGM [4, 5] berücksichtigt diesen Volumeneffekt und wurde für Simulationsrechnungen auf den Flusslauf der Glatt (Bild 6) angewendet, an dem der Flughafen Zürich liegt. Über 24 Stunden simulierte Tagesgänge des Nebelmeeres zeigen die topographiebedingten Unterschiede zwischen Quell- und Mündungsgebiet klar auf (Bild 7). Bild 5: Das Nebelmeer ist am Rand des Kaltluftsees seichter als über Beckenlagen Bild 6: Das Einzugsgebiet der Glatt kann topographisch in vier Abschnitte unterteilt werden Bild 7: Das topographische Grenzschichtmodell simuliert die Nebeldichten und den Bedeckungsgrad entlang der Glatt sehr realistisch 5 Nebelvorhersage mit topographischem GrenzschichtmodellDie Nebelvorhersage ist eine der aktuellen Herausforderungen in der Meteorologie [6]. Sowohl der Luft- als auch der Straßenverkehr sind von Sichtbehinderungen betroffen. Es besteht Bedarf an einer zuverlässigen Vorhersage der Sichtverhältnisse über einige Stunden [7]. Da die Start- und Landekapazität von Flughäfen stark von der Sichtweite abhängt, kann betrieblich optimiert werden, wenn Sichtvorhersagen über einen Zeitraum im Bereich der Flugdauer zuverlässig werden. Im Kurz- und Mittelstreckenflugverkehr sind dies einige Stunden. Die erfolgreiche Simulation eines Nebelmeeres in komplexer Topographie (Bild 7) stellt eine Verbesserung der lokalen Nebel- und Sichtvorhersage im Vorhersagebereich bis 12 Stunden in Aussicht. Das topographische Grenzschichtmodell kann die numerische Wettervorhersage in diesem Punkt gezielt ergänzen. Im Rahmen der laufenden COST Action 722 wird das Modell für den Flughafen Zürich versuchsweise für Vorhersagen aufgesetzt. Es darf als Kandidat zur verbesserten Sicht- und Nebelvorhersage betrachtet werden. Eine verbesserte Nebelvorhersage ist auch Voraussetzung für die Vorhersage von lokal verstärktem Schneegriesel. Literaturverzeichnis
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