FGSV-Nr. FGSV 002/120
Ort Karlsruhe
Datum 19.09.2017
Titel aFAS – Entwicklung und Erprobung eines automatisch fahrerlos fahrenden Absicherungsfahrzeugs
Autoren Dipl.-Ing., Prof. Gerd Riegelhuth, Dipl.-Ing. Susanne Schulz
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

Zahlreiche Leistungen des Straßenbetriebsdiensts werden unmittelbar im laufenden Verkehr im Rahmen stationärer und beweglicher Arbeitsstellen erbracht, um die Verfügbarkeit des Autobahnnetzes und die Mobilität der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Allein in Hessen werden pro Jahr knapp 21.000 Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) durchgeführt.

Zur Sicherung des Personals und zur Minimierung von Gefährdungen für den fließenden Verkehr sind umfangreiche Sicherungsmaßnahmen vorgesehen, wofür im Wesentlichen fahrbare Absperrtafeln, separate Absicherungsfahrzeuge und Vorwarneinrichtungen zum Einsatz kommen. Trotz des hiermit verbundenen erheblichen personellen und technischen Aufwands, der insbesondere bei beweglichen Arbeitsstellen oftmals höher als der Aufwand für die Durchführung der eigentlichen Tätigkeit ist, kommt es immer wieder zu schweren Unfällen. Vielfach werden diese durch Lkw des fließenden Verkehrs verursacht, wodurch die überdurchschnittliche Unfallschwere begründet ist. Aus diesem Grund ist die Automatisierung eines Lkw mit Absperrtafel, der fahrerlos betrieben werden kann, ein Mittel, das Unfallrisiko für das an der Arbeitsstelle eingesetzte Personal zu vermindern, da auf den Personaleinsatz im Gefahrenbereich weitgehend verzichtet werden kann. Der fahrerlose Betrieb stellt eine große Herausforderung dar. Aus ihm resultieren besonders hohe Anforderungen an die funktionale Sicherheit des Fahrzeugs sowie die Qualität der Fahrzeugtechnik. Das heißt, dass Lenk- und Bremssystem, Sensorik, Umfeldwahrnehmung, sowie steuernde Softwarekomponenten strengen Kriterien für sicherheitsrelevante Systeme in Kraftfahrzeugen unterliegen. Deshalb stellen der Straßenbetriebsdienst als geschlossener Anwenderkreis sowie die in niedriger Geschwindigkeit durchgeführten Einsätze auf dem Seitenstreifen ideale Bedingungen für die Erprobung eines fahrerlos automatisiert fahrenden Fahrzeugs dar. 

Projektpartner:

BASt – Bundesanstalt für Straßenwesen, Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement, Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, MAN Truck & Bus AG, TU Braunschweig – Institut für Regelungstechnik, ZF TRW, WABCO, Robert Bosch Automotive Steering GmbH.

Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 19S4001 und einer Summe von 3,4 Mio. Euro gefördert.

Webseite und Kontakt: www.afas-online.de

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Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Motivation

Hessen Mobil hat bereits zahlreiche innovative Entwicklungen zur Erhöhung der Sicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD) vollzogen; hierzu zählen die Einführung des hessischen Verkehrszeichenplankatalogs (HE VZP-Katalog, 2013), der Phasenpläne für den Auf- und Abbau von AkD enthält, sowie die Nutzung IT-gestützter Instrumente wie das Slotmanagementsystem zur Planung von Arbeitsstellen.

Das aFAS-Projekt ist ein weiterer bedeutender Schritt zur Erhöhung der Sicherheit des an Arbeitsstellen eingesetzten Personals. Denn im Gegensatz zu stationären Arbeitsstellen, bei denen sich in Hessen kein Personal mehr im Absicherungsfahrzeug befinden darf, ist bei beweglichen Arbeitsstellen immer noch ein Fahrer im Absicherungsfahrzeug notwendig, der einem besonders hohen Risiko ausgesetzt ist. Deutschlandweit ereignen sich pro Jahr ca. 200 bis 250 Unfälle mit Geräten bzw. Personal in AkD (Roos et al., 2008).

Um dieses Risiko weiter zu minimieren, wurde das Projekt zur Entwicklung und zum Test eines fahrerlos fahrenden Absicherungsfahrzeugs (AFA), das dem vorausfahrenden Arbeitsfahrzeug im vorgeschriebenen Abstand automatisch folgt, realisiert. Es dient damit neben der Erhöhung der Sicherheit für das eingesetzte Personal, auch der Weiterentwicklung von Sicherheitskonzepten für AkD.

Von Holldorb et al. (2013) wurde der Bericht „Autonomes Fahren für den Straßenbetriebsdienst“ veröffentlicht. Dort wurden Anwendungs- und Realisierungsmöglichkeiten unbemannter Absicherungsfahrzeuge für AkD auf Autobahnen hinsichtlich ihrer Machbarkeit untersucht. So konnten Angaben zum F&E-Bedarf für eine künftige Realisierung sowohl technisch, rechtlich als auch hinsichtlich zukünftiger Nutzungspotenziale bestimmter Einsatzszenarien ermittelt werden.

AkD stellen aufgrund ihrer Eigenschaften,

– die Arbeiten finden meist über einen langen Streckenzug statt,

– es werden geringe Arbeitsgeschwindigkeiten gefahren,

– die Arbeiten finden überwiegend am rechten oder linken Fahrbahnrand statt und

– es handelt sich um einen geschlossenen Anwenderkreis (Straßenbetriebsdienst)

eine sehr gute Möglichkeit dar, die technische Machbarkeit eines automatischen, fahrerlosen Systems im öffentlichen Straßenverkehr zu erproben. Dem Projekt kann dadurch zusätzlich eine Pilotfunktion im Rahmen der Weiterentwicklung fahrerlos fahrender Fahrzeuge, bezogen auf das funktionale Sicherheitskonzept, zugeschrieben werden.

Durch den Pilotbetrieb wird es zudem erstmals möglich sein, Erkenntnisse und Erfahrungen bzgl. des fahrerlosen Systems im öffentlichen Straßenverkehr zu sammeln. Auswirkungen auf den Verkehr und das Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer können untersucht und in die Bewertung mit aufgenommen werden, was wiederum über den Einsatz anderer automatisierter Systeme im Straßenverkehr Aufschluss geben kann (Stolte et al., 2015a+b). 

2 Funktionsweise des AFA

Für das AFA bestehen neben der Möglichkeit des manuellen Betriebs drei fahrerlose Betriebsmodi, welche über automobiles WLAN (ETSI ITS G5, siehe Kapitel 5) aus dem Arbeitsfahrzeug heraus angefordert werden können (Stolte et al. 2015a+b):

Folgebetrieb

Im Folgebetrieb folgt das AFA im Zuge einer AkD auf dem Seitenstreifen dem Arbeitsfahrzeug automatisch und ohne Fahrer in einem vorgegebenen Abstand. Die Geschwindigkeit des AFA beträgt maximal 12 km/h. Das Steuerungsverhalten des Arbeitsfahrzeugs wird imitiert und dessen Trajektorie gleichermaßen umgesetzt. Dafür nimmt das AFA das Arbeitsfahrzeug, die Fahrbahnbegrenzung und weitere Objekte über die bordeigene Umfeldwahrnehmung wahr.

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Gekoppelter Betrieb

Über eine elektronische Deichsel wird das AFA im Koppelbetrieb an das Arbeitsfahrzeug angekoppelt. Hierfür erhält das AFA Daten zu den Steuer- und Zustandsgrößen des Arbeitsfahrzeugs über eine Funkverbindung. Der Abstand der beiden Fahrzeuge beträgt dabei ca. 10 m, die Geschwindigkeit max. 12 km/h. Dieser Betriebszustand wird genutzt, um Ein- und Ausfädelungsstreifen ohne Fahrer zu queren.

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Sicheres Anhalten

In diesem Betriebszustand erreicht das AFA den sicheren Zustand (Stillstand) bzw. hält diesen. Er kann aus allen anderen Zuständen erreicht werden und wird vom AFA bei Erreichen einer Systemgrenze automatisch ausgelöst.

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Das Bild 1 gibt detailliert wieder, welche Zustandsübergänge (Transitionen) für das AFA, also Wechsel zwischen den einzelnen Betriebsmodi, vorgesehen sind. An jede Transition sind bestimmte Voraussetzungen und Handlungen gekoppelt (aFAS 2017). Die automatischen Betriebsmodi „Folgebetrieb“ und „gekoppelter Betrieb“ können immer durch den manuellen Modus übersteuert werden (T8, T9). Angefordert werden können sie allerdings nur über den Betriebsmodus „Sicheres Anhalten“ (T4, T6).

Bild 1: Betriebszustände und Transitionen (Zustandsübergänge) des AFA (aFAS 2017)

Im Projekt ist vorgesehen, dass das AFA wie ein herkömmliches Absicherungsfahrzeug von einem Fahrer manuell zum Einsatzort gebracht wird. Danach wechselt der Fahrer des AFA in das Arbeitsfahrzeug, von wo aus die automatischen Betriebszustände angefordert werden. Die folgenden Bedingungen während des automatischen Betriebs müssen dabei grundsätzlich durch die AFA-Technik sichergestellt werden:

– Das AFA muss die Begrenzungen des Seitenstreifens und das vorausfahrende Arbeitsfahrzeug sensorisch erfassen können.

– Das AFA muss innerhalb der vorgesehenen Trajektorie geführt werden.

– Der erforderliche Abstand zum Arbeitsfahrzeug muss eingehalten werden.

– Der Fahrer des Arbeitsfahrzeugs muss über die Betriebszustände informiert werden.

– Der Fahrer des Arbeitsfahrzeugs muss Steuerbefehle an das fahrerlose AFA übermitteln können.

– Eine Selbstwahrnehmung im AFA muss sicherstellen, dass im laufenden Betrieb drohende Verletzungen von Systemgrenzen rechtzeitig detektiert werden. 

3 Anforderungsanalyse

Wichtiger Bestandteil zu Beginn des Projektes war die Anforderungsanalyse und Umsetzungsplanung, bei der zum einen die Randbedingungen des Straßenbetriebsdiensts, wie z. B. Arbeitsabläufe an AkD, untersucht und ausgewertet sowie die maßgebenden infrastruktur- und umfeldseitigen Randbedingungen für den Einsatz des AFA zusammengestellt wurden.

Um den verschiedenen Anforderungen durch Umfeldeinflüsse, Änderungen im Straßenverlauf oder Einflüsse durch den Verkehr bei AkD auf dem Seitenstreifen gerecht zu werden, wurden für den Einsatz des AFA verschiedene Einsatzszenarien definiert und dazu jeweils Arbeitsabläufe (Prozessketten) erstellt. Diese beschreiben eindeutig, wie in welcher Situation agiert werden muss, das heißt, in welcher Reihenfolge verschiedene Aktionen durch das Bedienpersonal durchgeführt werden müssen und auf welche Signale des AFA dabei geachtet werden muss. Solche Hinweise sind für einen reibungslosen Betrieb des AFA von großer Bedeutung.

Das Einsatzszenario „Standardfall“ beschreibt den Normalfall „bewegliche AkD“, ohne dass äußere Einflüsse den Ablauf der AkD stören würden. Das Bild 2 gibt als Beispiel den Arbeitsablauf dazu wieder. Hellblau hinterlegt sind hierbei alle Aktionen im manuellen Betrieb, wenn zum Beispiel das AFA zum Einsatzort gefahren wird. In orange sind alle Aktionen im Betriebsmodus „Sicheres Anhalten“ gekennzeichnet. Beispielsweise dürfen Mitarbeiter nur das AFA verlassen, wenn es sich im Betriebsmodus „Sicheres Anhalten“ befindet. In grün sind die automatischen Betriebsmodi dargestellt (in diesem Fall der Folgebetrieb).

Bild 2: Arbeitsablauf für den Standardfall „bewegliche AkD“ (aFAS 2017)

Bei allen anderen Einsatzszenarien handelt es sich um Abweichungen vom Standardfall; dort werden verschiedene Einsatz- bzw. Systemgrenzen erreicht. Sie können dann auftreten, wenn das AFA in einem Streckenabschnitt eingesetzt werden sollte, wo die technischen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise eine ausreichende Breite des Seitenstreifens, nicht erfüllt sind. Solche Besonderheiten im Streckenverlauf sind üblicherweise vor Beginn des Einsatzes bekannt, so dass der Einsatz entsprechend geplant werden kann. Für den Pilotversuch wird hierfür ein Streckenhandbuch erstellt, in dem alle Änderungen und zugehörigen Handlungen festgehalten werden. Perspektivisch werden diese streckenspezifischen Besonderheiten im Fahrzeug auf einer im System integrierten digitalen Karte abgelegt sein.

Ad hoc auftretende Ereignisse, die zwischen dem Arbeitsfahrzeug und dem AFA auftreten, müssen vom AFA wahrgenommen werden und führen zum Einleiten des Betriebszustands „Sicheres Anhalten“. Diese Systemgrenzen sind folgend beschrieben:

– Arbeitsfahrzeug kreuzt die linke Begrenzung des Seitenstreifens (= rechte Fahrbahnbegrenzung) im Folgebetrieb,

– Versatz lateral zwischen AFA und Arbeitsfahrzeug,

– Funkverbindung/sensorische Sichtverbindung bricht ab,

– Verfälschte Nachrichten vom Arbeitsfahrzeug werden gesendet,

– Eindeutige Erkennung der Markierung des Seitenstreifens nicht möglich und

– Hindernis zwischen Arbeitsfahrzeug und AFA. 

4 Funktionales Sicherheitskonzept

Obwohl im Projekt aFAS das fahrerlose Absicherungsfahrzeug nur prototypisch aufgebaut wird, dient die Norm ISO 26262 zur funktionalen Sicherheit von Serien-Straßenfahrzeugen im Projekt als Orientierung. Bereits im Rahmen der Projektvorbereitung wurde die funktionale Sicherheit eines fahrerlosen Systems als zentrale Herausforderung für den späteren Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr identifiziert. Für die Entwicklung des Fahrzeugs wurde daher eine weitgehende Verwendung von Serienkomponenten vorgesehen. Zur externen Begutachtung des funktionalen Sicherheitskonzeptes wurde zudem der TÜV Süd mit einbezogen.

Die auf Basis der ISO 26262 erstellte Gefährdungsanalyse und Risikobewertung enthält Gefährdungen in Zusammenhang mit dem Gebrauch des AFA, die hinsichtlich verschiedener Kriterien wie Schwere eines möglichen Schadens (Severity), Häufigkeit der Fahrsituation (Probability of Exposure) und Beherrschbarkeit durch den Fahrer (Controllability) bewertet werden. Darauf basierend wird für jede Gefährdung das ASIL (Automotive Safety Integrity Level QM, A, B, C und D) bestimmt, wobei ASIL D die höchste Klasse darstellt und dementsprechend anspruchsvolle Maßnahmen zur Risikominimierung ergriffen werden müssen.

Im aFAS-Projekt wurden auf diese Weise über 50 Gefährdungen analysiert und bewertet. Zusammengefasst konnten daraus 17 Sicherheitsziele hinsichtlich der Funktion des AFA definiert werden, die der Vermeidung von Risiken und Gefährdungen im funktionellen Sinn dienen (Stolte et al., 2017).

Beispielsweise ist das Verlassen des Seitenstreifens mit geringem Lenkeinschlag in Richtung der Fahrstreifen mit einem ASIL B klassifiziert worden. Dieses Szenario ist insbesondere aufgrund der aktiven Umfeldwahrnehmung im Fahrzeug technisch sehr anspruchsvoll (Bild 3).

Bild 3: Gefährdung „Verlassen des Seitenstreifens“ (ASIL B)

Die Machbarkeit einer Funktion ist demnach erst gegeben, wenn für alle Gefährdungen definiert ist, welche Aktion erfolgen muss und nachgewiesen ist, dass diese auch durchgeführt wird. Bei überwachten Systemen, wie sie es heute bereits gibt, dient immer der Mensch als Rückfallebene. Bei höheren Automatisierungsgraden kann davon nicht mehr ausgegangen werden, was bedeutet, dass eine Funktion sicher ausgeführt werden muss. Die Funktion muss sich dementsprechend selbst überwachen und an den Systemgrenzen muss das System selbständig in den sicheren Zustand übergehen. Im Fall des AFA ist dies der Stillstand auf dem Seitenstreifen. 

5 Konzept Fahrzeugaufbau

Der Aufbau des Arbeits- und des Absicherungsfahrzeugs ist im Bild 4 dargestellt. Im Allgemeinen leistet das zentrale Steuergerät (AFA-Logik) die Entscheidungsfindung, Bewegungsplanung, Regelung und Selbstrepräsentation des AFA-Systems. Zudem werden Nutzereingaben ausgewertet und die Verwaltung der Betriebszustände koordiniert.

Grundlegende Änderungen am AFA waren bei der Aktorik (Bremse, Antrieb und Lenkung) notwendig. Das Bremssystem setzt die Vorgaben der AFA-Logik zur Verzögerung um, der Fahrantrieb die Vorgaben zur Beschleunigung in der Längsführung. Die Vorgaben zur Querführung werden über das Lenksystem realisiert.

Bild 4: Überblick Fahrzeugaufbau

Das Wahrnehmungsmodul zur Umfeldwahrnehmung im AFA besteht aus einem vorwärts und zwei seitwärts gerichteten Radaren zur Fahrzeug- und Objekterkennung sowie einer vorwärts gerichteten Kamera zur Identifikation der Längsmarkierung (Bild 5). Zudem ist eine zentra le Recheneinheit zur Datenfusion, Freiraumerkennung, Datenplausibilisierung und somit zur Bestimmung des befahrbaren Fahrbahnabschnitts erforderlich. Die Überlagerung von Daten zur Fahrstreifenerkennung und -klassifikation sowie zur Trajektorie des Arbeitsfahrzeugs und zusätzlich mit Hilfe der Daten zur Freiraumbestimmung aus der Gridfusion erlaubt somit die mehrfach abgesicherte Ermittlung des für das AFA sicher befahrbaren Bereichs.

Bild 5: Anordnung und Funktionsprinzip der Umfeldwahrnehmung

Bei der Funkverbindung handelt es sich um eine standardisierte ETSI ITS G5 WLAN-Verbindung, wie sie heute bei kooperativen Fahrzeugsystemen bereits eingesetzt wird. Die Bedienelemente im Arbeitsfahrzeug ermöglichen dem Fahrer, alle Betriebszustände des AFA über die Funkverbindung anzufordern. Ein Wechsel des Betriebszustands ist jedoch nur dann möglich, wenn die zentrale AFA-Logik eine Freigabe dafür erteilt. Das heißt, alle Voraussetzungen (verkehrlich, technisch…) müssen erfüllt sein und Systemgrenzen eingehalten werden. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der (weitere) fahrerlose Betrieb verhindert und der Mitarbeiter im Arbeitsfahrzeug erhält Informationen und Anweisungen über das weitere Vorgehen.

Der Informationsaustausch erfolgt dabei über Displays (Bild 6), die in beiden Fahrzeugen verbaut sind. Diese Displays zeigen u. a. den aktuellen Betriebszustand und Statusinformationen über die Verarbeitung von Bedienbefehlen.

Bild 6: Moduswahltaster und Display im Arbeitsfahrzeug

6 Pilotbetrieb und Bewertung

Der unter realen Verkehrsbedingungen vorgesehene Pilotbetrieb in Hessen bedarf einer umfassenden technischen Erprobung. Diese findet derzeit noch auf abgesperrtem Testgelände statt und beinhaltet die Tests der einzelnen Komponenten und deren Funktionen, aber auch des Bedienungskonzepts der Fahrzeuge für die späteren Nutzer. Hierfür wurde bereits Personal der Autobahnmeisterei Rüsselsheim eingebunden, um den Anforderungen des Betriebsdienstes gerecht zu werden (Bild 7).

Darüber hinaus finden ab Herbst 2017 Tests im Bereich des DRIVE-Testfelds in Hessen statt. Nach erfolgreicher Erprobung und Anpassung der dort gewonnenen Erkenntnisse sind Probefahrten auf dem Seitenstreifen in Bereichen mit temporärer Seitenstreifenfreigabe und Streckenbeeinflussungsanlagen mit Fahrer im AFA vorgesehen, um die Einwirkungen des Verkehrs auf die Sensorik zu testen. Im letzten Schritt, dem Pilotbetrieb, erfolgt dann der Einsatz ohne Fahrer im AFA. Das heißt, es finden Tests im öffentlichen Straßenraum unter den Bedingungen eines Regeleinsatzes (AkD) statt. Hierfür ist insbesondere die Erarbeitung der Voraussetzungen für eine projektbezogene Genehmigung wichtig. Zudem wird ein spezielles Schulungskonzept für die späteren Anwender erarbeitet.

Die erstmalige Erprobung eines fahrerlosen Fahrzeugs unter realen Bedingungen wird insgesamt wertvolle Erkenntnisse für die Bewertung des Einsatzes des AFA liefern durch:

– Analyse der Wirkung auf Verkehrsteilnehmer,

– Abschätzung des potenziellen Sicherheitsgewinns für das eingesetzte Personal,

Rechtliche Bewertung der Betriebsmodi,

– Abgleich der neuen fahrerlosen Situation mit gesetzlichen Bestimmungen,

Informationsbedarf zur neuartigen Fahrzeugbedienung und

– Anerkennung eigenständiger Steuerungsfunktion des Fahrzeugs.

Bild 7: HMI-Workshop auf MAN-Teststrecke mit Mitarbeitern der AM Rüsselsheim 

7 Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse des Projektes aFAS werden grundlegende Erkenntnisse liefern. Mit dem Projekt kann ein weiterer Baustein in Bezug auf die Erhöhung der Sicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer entwickelt werden und die Sicherheitsphilosophie von Hessen Mobil unterstützen: So wenig wie möglich Mitarbeiter/-innen in Arbeitsstellen im unmittelbaren Gefahrenbereich zum Straßenverkehr einzusetzen. Des Weiteren wird am Ende des Projekts eine Bewertung des Fahrzeugs aus unmittelbarer Anwendersicht vorliegen, die neue Erkenntnisse über zukünftige Einsätze des AFA im Straßenbetriebsdienst und die damit verbundene technische Weiterentwicklung mit sich bringen wird.

Aus technischer Sicht werden entscheidende Grundlagen für das hoch- und vollautomatisierte Fahren geschaffen. Durch den vermeintlich einfachen Einsatzfall „bewegliche AkD auf dem Seitenstreifen“ können detaillierte technische Fragestellungen in Bezug auf eine spätere Vollautomatisierung aufgegriffen und die Komplexität eines solchen Systems sichtbar gemacht werden. Dies spiegelt sich auch in der Erarbeitung des funktionalen Sicherheitskonzepts wider, das im Projekt erstmals auf ein automatisiertes Gesamtsystem angewendet wird und Aufschluss über die generellen Verfahren der ISO 26262 und deren Nutzen zur Erreichung der funktionalen Sicherheit hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge gibt.

Das Projekt bietet zudem durch den realen Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr auf Autobahnen in Hessen einen idealen Rahmen, um Zulassungsmodalitäten bzw. rechtliche Rahmenbedingungen zu diskutieren.

Somit wird das Projekt aFAS nicht nur das Potenzial eines automatisch fahrerlos fahrenden Absicherungsfahrzeugs zur Erhöhung der Sicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer aufgezeigt, sondern auch neue Impulse und Erkenntnisse für die Entwicklung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge und deren Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr erbracht haben. 

Literaturverzeichnis

aFAS (2017), AFA-Logik Item Definition, Version 10, nicht veröffentlicht

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) (1995): Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA-95), Ausgabe 1995, 5. überarbeitete Auflage 2014, Köln, FGSV 370

Hessen Mobil, Straßen- und Verkehrsmanagement (2016): Handbuch zum Baustellenmanagement.
https://mobil.hessen.de/verkehr/intelligenter-verkehr/baustellenshymanagement/sicherheitskonzept-f%C3%BCr-baustellen

Hessen Mobil, Straßen- und Verkehrsmanagement (2013): Hessischer Verkehrszeichenplan-Katalog für Arbeitsstellen kürzerer Dauer (HE VZP-Katalog).
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Roos, R.; Zimmermann, M.; Riffel, S.; Cypra T. (2008): Verbesserung der Sicherheit des Betriebspersonals in Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Bundesautobahnen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe Verkehrstechnik, Heft V 170, Bergisch Gladbach

Holldorb, C.; Häusler, K.; Träger, D. (2013): Neue Technik für den Straßenbetriebsdienst. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe Verkehrstechnik, Heft V 225, Bergisch Gladbach

Stolte, T.; Bagschik, G.; Reschka, A.; Maurer, M. (2015a): Automatisch Fahrerlos Fahrendes Absicherungsfahrzeug Für Arbeitsstellen Auf Autobahnen (aFAS). AAET2015 – Automatisierungssysteme, Assistenzsysteme Und Eingebettete Systeme Für Transportmittel, S. 371–390, Braunschweig

Stolte, T.; Reschka, A.; Bagschik, G.; Maurer, M. (2015b): Towards Automated Driving: Unmanned Protective Vehicle for Highway Hard Shoulder Road Works. IEEE 18th International Conference on Intelligent Transportation Systems, S. 672–677, doi:10.1109/ITSC.2015.115.

Stolte, T.; Bagschik, G.; Reschka, A.; Maurer, M. (2017): Hazard Analysis and Risk Assessment for an Automated Unmanned Protective Vehicle. IEEE 2017 Intelligent Vehicles Symposium, Redondo Beach, USA

Zimmermann, M.; Cindric-Middendorf, D. (2013): Verkehrssicherheit an Arbeitsstellen kürzerer Dauer in Bezug zu Verkehrsleistung und Arbeitsstellendauer, Straßenverkehrstechnik, Heft 9/2013, S. 566–576