FGSV-Nr. FGSV 002/100
Ort Karlsruhe
Datum 13.09.2011
Titel Erkundung der Potenziale von Geothermie in Straßen
Autoren Prof. Dr.-Ing. Rainer Hess
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

Winterliche Fahrbahnverhältnisse führen immer wieder zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit von Straßen und zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit. Mit den verfügbaren Winterdienstfahrzeugen ist es allerdings nicht möglich, auftretende Glätte überall gleichzeitig zu bekämpfen. An besonders gefährdeten Streckenabschnitten wird daher der konventionelle Winterdienst durch Taumittelsprühanlagen ergänzt. Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung galt es zu klären, ob und unter welchen Randbedingungen das Beheizen von Verkehrsflächen mit Erdwärme eine Alternative oder Ergänzung darstellen kann. Hierfür wurden in umfangreichen Variationsrechnungen die betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des Einsatzes von Erdwärme betrachtet und mit Taumittelsprühanlagen und dem konventionellen Winterdienst verglichen. Unter Verwendung der in Deutschland beobachteten geologischen, klimatischen und topografischen Rahmenbedingungen zeigt sich, dass eine ausschließlich zum Beheizen einer Fahrbahn eingerichtete Anlage im Regelfall keine betriebswirtschaftlichen Vorteile gegenüber einer Taumittelsprühanlage aufweist. Eine ganz andere Aussage ergibt sich bei einer Kombination von Heizen im Winter und Kühlen im Sommer. Letzteres erhöht die Lebensdauer der Asphaltdeckschichten und spart in der Folge Ausgaben für die Straßenerhaltung ein.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Winterliche Fahrbahnverhältnisse führen immer wieder zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit von Straßen und zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit. Die Straßenbaulastträger sind gehalten, das Entstehen winterlicher Fahrbahnverhältnisse möglichst zu verhindern oder solche Fahrbahnverhältnisse zumindest schnell zu beseitigen. Mit konventionellem Winterdienst ist es allerdings nicht möglich, auftretende Glätte überall gleichzeitig zu bekämpfen. Infolge besonderer Umfeldbedingungen kommt es an einigen Streckenabschnitten, z. B. auf Brücken, früher zu Glättebildung als im restlichen Streckennetz. Darüber hinaus sind die Auswirkungen winterlicher Fahrbahnverhältnisse an bestimmten Streckenabschnitten, z. B. bei großen Längsneigungen, stärker ausgeprägt als im restlichen Streckennetz. Betroffene Streckenabschnitte erfordern eine vorzeitige Bedienung und verursachen daher unproduktive Leerwege. An besonders gefährdeten Streckenabschnitten wird der konventionelle Winterdienst durch Taumittelsprühanlagen (TMS) ergänzt, mit denen eine zeitnahe Glättebekämpfung besser gewährleistet werden kann. Beide Wege ziehen hohe Betriebskosten nach sich und verursachen u. a. durch den Eintrag von Streusalz eine hohe Umweltbelastung.

Geothermie bzw. Erdwärme stellt eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle dar, die für das Beheizen von Gebäuden bereits genutzt wird. Eine Übertragung der bekannten Verfahren in den Straßenbereich könnte die genannten Herausforderungen für den Winterdienst mindern, indem gefährdete Streckenabschnitte mit Erdwärmeanlagen beheizt werden. Glätte würde auf diesen Abschnitten gar nicht erst entstehen, wodurch die Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit der Straße erhöht sowie zusätzliche Streufahrten und unnötiger Salzeintrag in angrenzende Bodenflächen vermieden werden. Aufgrund der Tatsache, dass Erdwärmeanlagen im Sommer in umgekehrter Richtung auch zum Kühlen der Fahrbahn eingesetzt werden können, verringern sich die Ausgaben für die Straßenerhaltung. Den Einsparungen stehen verhältnismäßig hohe Investitionskosten gegenüber. Weltweit wird Geothermie schon für das Beheizen verschiedenster Verkehrsflächen genutzt. Nicht nur Brücken und Straßen, sondern beispielsweise auch Flugbetriebsflächen, Bahnsteige und Weichenanlagen sind bereits mit Geothermieanlagen ausgestattet worden.

Im Rahmen des hier vorgestellten und durch den Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) geförderten Forschungsprojekts „Erkundung der Potenziale der Geothermie als Beitrag für den Winterdienst“ (FA 4.221/2008/KRB) wurden die Einsatzmöglichkeiten der Erdwärme und die Praxistauglichkeit der Einsatzkonzepte im deutschen Raum untersucht. Dabei galt es in erster Linie zu klären, ob und unter welchen Randbedingungen das Beheizen von Verkehrsflächen mit Erdwärme eine Alternative zu den genannten Anlagen sein und eine Ergänzung des Winterdienstes darstellen kann. Forschungsnehmer waren neben der Durth Roos Consulting GmbH, das Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen und die Geowatt AG aus Zürich (Hes s, Steinhauser 2010). Besonderer Dank gilt den vielen Beteiligten an bestehenden Anlagen, die das Projekt mit ihren Erfahrungen bereichert haben.

2 Erkundung der Potenziale

2.1 Wärmequellen, Anlagearten

„Geothermische Energie ist die in Form von Wärme gespeicherte Energie unterhalb der Oberfläche der festen Erde“ (VDI 2001). Die verschiedenen Verfahren zur Nutzung von Erdwärme lassen sich grundsätzlich in tiefe und oberflächennahe Geothermie unterscheiden. Die tiefe Geothermie wird in Geothermiekraftwerken für die Stromerzeugung genutzt. Für das Beheizen von Verkehrsflächen kommen jedoch in erster Linie Anlagen zur Nutzung der oberflächennahen Geothermie in Betracht. Diese werden weiter in geschlossene und offene Systeme unterteilt. In geschlossenen Systemen wird als Wärmeüberträger eine geeignete Flüssigkeit genutzt, die in Erdsonden zirkuliert. Die Sonden werden entweder vertikal (Erdwärmesonden EWS) oder horizontal (Erdwärmekollektoren EWK) in den Untergrund eingebaut. Offene Systeme nutzen natürliche Grundwasservorkommen, die über Brunnen erschlossen werden.

Der entscheidende Vorteil geschlossener Systeme in der oberflächennahen Geothermie liegt darin, dass sie standortunabhängig sind. Die Anlagen sind im Gegensatz zur tiefen Geothermie oder zu den offenen Systemen der oberflächennahen Geothermie an keine bestimmten geologischen oder hydrogeologischen Voraussetzungen gebunden, unterliegen aber wegen der erforderlichen Bohrungen unter Umständen geologisch bedingten Restriktionen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Erdwärmesonden auch in umgekehrter Richtung für die Einspeicherung von Wärme in den Untergrund genutzt werden können. Dieser Prozess ermöglicht die Kühlung der Fahrbahn im Sommer und kann dadurch die Lebensdauer der Asphaltschichten wesentlich erhöhen.

Eine Anlage zur Fahrbahnbeheizung besteht im Wesentlichen aus Rohrregistern welche in die entsprechende Verkehrsfläche (Straßen, Bahnsteige) integriert werden, einer Umwälzpumpe mit Steuerungsanlage und der Wärmequelle (Bild 1). Die Wärmequelle muss dabei nicht zwangsläufig der Untergrund (Geothermie) sein. In verschiedenen bereits realisierten Projekten werden beispielsweise auch Kraftwerksabwärme, Tunnelwässer oder konventionelle Energie (z. B. die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Propangas) genutzt.

Bild 1: Systemskizze Geothermieanlage Quelle: OSU „smart bridge“ (verändert)

2.2 Winterdienst

2.2.1 Streufahrzeuge

Das Anforderungsniveau an den Winterdienst wird durch das „Leistungsheft für die betriebliche Straßenunterhaltung auf Bundesfernstraßen“ (BMVBW 2004), das „Merkblatt für den Winterdienst auf Straßen“ (FGSV 2010) und den „Maßnahmenkatalog Straßenbetriebsdienst, Teil 6a Optimierung von Einsatzverfahren – Empfehlungen für die Organisation des Winterdienstes bei Autobahn- und Straßenmeistereien“ (BEKORS 2004), festgelegt. In Abhängigkeit der Klassifizierung einer Straße werden der Einsatzzeitraum und das Qualitätsniveau beschrieben. Da die Einsätze nicht im Voraus genau vorhergesagt werden können, ist eine differenzierte Einsatzplanung notwendig. Der Fahrzeugeinsatz im konventionellen Winterdienst erfolgt meist anhand vorgegebener Touren- und Routenpläne für den Räum- und Streudienst. In diesen Plänen sind die zu bedienenden Straßenabschnitte für jedes einzelne Fahrzeug festgelegt. Die Fahrzeuganzahl der meistereieigenen Fahrzeuge wird über die Netzlänge und die zu betreuenden Flächen im Sinne einer Ganzjahresauslastung bemessen. Infolge der angestrebten Umlaufzeiten von bis zu drei Stunden ist bei hoher Winterintensität häufig der Einsatz von Fremdunternehmern erforderlich.

Es liegt im Ermessensspielraum des Winterdienstverantwortlichen ob „Späherfahrten“ oder präventive Streueinsätze durchgeführt werden, die besonders sensible Streckenabschnit te überwachen. Diese Kontrollfahrten stellen einen Zusatzaufwand dar und enthalten einen hohen Anteil unproduktiver Leerwege. In diesen Fahrten wird das betriebswirtschaftliche Einsparpotenzial durch Taumittelsprühanlagen oder Geothermieanlagen gesehen. Darüber hinaus weisen solche Anlagen einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen auf, da sie zur Vermeidung von glättebedingten Verkehrsbehinderungen und Verkehrsunfällen beitragen.

2.2.2 Taumittelsprühanlagen

Zur Bekämpfung räumlich begrenzter Glättegefahren, z. B. an Gefällestrecken oder Brücken, werden im Einzelfall Taumittelsprühanlagen (TMS) installiert. Dies sind stationäre, elektronisch gesteuerte Anlagen, die bei Glättegefahr selbsttätig flüssige Auftaumittel ausbringen.

Als Auftaumittel wird eine Salzlösung verwendet, die auf Vorrat gespeichert ist. Sie wird durch Pumpen zu seitlich am Fahrbahnrand oder mittig zwischen den Fahrstreifen angebrachten Sprühdüsen befördert und gleichmäßig auf die Fahrbahn ausgebracht. Der anhand lokaler Sensoren gesteuerte Zeitpunkt und der Sprühvorgang verbessern die Effektivität des Streumitteleinsatzes, minimieren die benötigte Salzmenge und schonen so die Umwelt.

Mit Stand 2005 sind in Deutschland 16 TMS in Betrieb (Wirt z, Moritz et al. 2006). Davon befinden sich zwölf Anlagen auf Stahlbrücken an Bundesfernstraßen, die restlichen Anlagen an Gefälle- und Steigungsstrecken. Die Investitionskosten unterscheiden sich bezogen auf das Jahr 2004 um fast 70 %. Ähnlich groß ist auch die Spanne der jährlichen Betriebskosten. Aus betrieblicher Sicht ergibt sich der Nutzen durch Reduzierung der Kontrollfahrten. Ein volkswirtschaftlicher Nutzen wird durch vermiedene Staus und Unfälle erreicht. Zehn der betrachteten Anlagen erreichen in der Untersuchung einen Wirtschaftlichkeitsfaktor größer als 1, weisen also einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen aus.

2.2.3 Fahrbahnheizungen

Fahrbahnheizungen werden wie Taumittelsprühanlagen (TMS) vornehmlich dort zum Einsatz kommen, wo Streckenabschnitte besonders sensibel auf winterliche Witterungsbedingungen reagieren. Den Kosten für Bau und Betrieb von Geothermieanlagen stehen ähnliche betriebswirtschaftliche Einsparungen wie bei den TMS gegenüber. Geothermieanlagen weisen allerdings Vorteile hinsichtlich ihrer Lebensdauer und der Lebensdauer des Bauwerks sowie hinsichtlich der Belastung für die Umwelt auf.

Eine Analyse der Erfahrungen aus einer Reihe von weltweit betriebenen Anlagen zeigt, dass sich die Investitions- und Betriebskosten der teilweise schon seit über 50 Jahren betriebenen Anlagen deutlich unterscheiden. Nach einer Filterung der Anlagen hinsichtlich geologischer Randbedingungen und Verfahren der Erdwärmenutzung sowie anschließendem Bezug der Kostendaten auf die jeweils beheizten Flächengrößen ergeben sich plausible Verläufe der Kosten. Auf der Grundlage dieser Daten ist eine grobe Abschätzung der erforderlichen Investitionen im Rahmen einer Vergleichsrechnung möglich.

2.3 Kühlen

Die Lebensdauer einer Asphaltschicht wird durch die großen Temperaturbeanspruchungen, denen die Konstruktion über einen Jahreszeitraum ausgesetzt ist, erheblich reduziert. Unter Einwirkung des Verkehrs, insbesondere durch Fahrzeuge des Güterverkehrs, entstehen mit jedem Sommer tiefer werdende Spurrinnen, die wiederum ab einer gewissen Ausprägung Instandsetzungsmaßnahmen erfordern. Die im Fahrbahnaufbau installierten Rohrregister einer Anlage zum Beheizen der Fahrbahn lassen sich im Sommer auch zum Kühlen der Fahrbahnoberfläche nutzen. Hierdurch wird es möglich, die Spitzentemperaturen in den Sommermonaten zu reduzieren und so der Bildung von Spurrinnen entgegenzuwirken.

Um den Effekt der Fahrbahnkühlung auf die Lebensdauer der Asphaltbefestigung zu untersuchen, wurden im Rahmen des Forschungsprojektes Druckschwellversuche an zwei verschiedenen Walzasphalten und Stempeleindringversuche an einem Gussasphalt durchgeführt. Die Dehnungsrate bei 10.000 Lastwechseln wurde über die unterschiedlichen Prüftemperaturen aufgetragen (Bild 2).

Bild 2: Fahrbahnkühlung: Dehnungsrate bei 10.000 Lastwechseln

Erwartungsgemäß zeigt sich, dass niedrigere Versuchstemperaturen die Lebensdauer der Asphalte erheblich verlängern. Durch den Energieentzug im Sommer wird der Belag gekühlt, sodass die Spurrinnenbildung erheblich reduziert werden kann. Dies wiederum wirkt sich direkt positiv auf die Lebensdauer der Fahrbahn und die damit zusammenhängenden Kosten für die Straßenerhaltung aus. Erfahrungen – z. B. an der niederländischen Haringvliet Brücke –  bestätigen diese Erwartungen. Der gekühlte Asphalt verhält sich dort bedeutend stabiler als der ungekühlte (Würtel e, Sprinke et al. 2005).

Der Verlauf der Kurven lässt außerdem vermuten, dass es eine materialspezifische, wirtschaftlich optimale Zieltemperatur für die Kühlung gibt. Vermutlich wirkt sich die Beheizung des Belags ebenfalls positiv auf die Lebensdauer der Straße aus. Sie reduziert temperaturinduzierte Spannungen und die dadurch begünstigte Rissbildung. Darüber hinaus beugt sie der Ausbreitung von Schäden vor, da an schadhaften Stellen eingedrungenes Wasser durch die Eisfreihaltung nicht gefriert. Bei ganzjähriger Nutzung der geothermischen Anlage, das heißt bei saisonal abwechselndem Beheizen und Kühlen, können also die Erhaltungsmaßnahmen aufgrund von temperaturbedingten Straßenschäden reduziert werden.

2.4 Nutzender Eisfreihaltung

Der volkswirtschaftliche Nutzen beim Einsatz von Geothermie zur Beheizung von Straßenabschnitten wird sowohl im Bereich des Verkehrsablaufs als auch in der Verkehrssicherheit gesehen. Die Temperierung sensibler Streckenabschnitte (z. B. Brücken und Abschnitte in Damm- oder Schattenlagen) trägt zur Vermeidung von Unfällen infolge von Straßenglätte bei. Auf beheizten Streckenabschnitten entsteht Glätte gar nicht erst. Dadurch können die besonders risikoreichen Überraschungseffekte für den Verkehrsteilnehmer infolge einzelner glatter Abschnitte minimiert und die Unfallkosten deutlich gesenkt werden.

Gegenüber dem konventionellen Winterdienst und den Taumittelsprühanlagen zeigen Geothermieanlagen auch eine vergleichsweise geringe Umweltbelastung. Schädliche Umwelteinwirkungen entstehen einerseits durch den CO2-Ausstoß der Winterdienstfahrzeuge bzw. der Stromerzeugung für die Taumittelsprüh- und Geothermieanlagen und andererseits durch den eingebrachten Streustoff. Salz ist zwar nicht grundsätzlich schädlich für die Umwelt, die im Winterdienst ausgebrachten Konzentrationen übersteigen die natürlichen Vorkommen jedoch deutlich.

3 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

3.1 Modellbildung

Auf der Grundlage bestehender Erfahrungen aus weltweit vorhandenen Pilotanlagen, ergänzender Datenerhebungen von betriebswirtschaftlichen und verkehrstechnischen Daten sowie Laboruntersuchungen an Straßenbaustoffen wurden Variationsrechnungen durchgeführt, um die Betreuung von Gefahrenstellen mit konventionellem Winterdienst, Taumittelsprühanlagen und Geothermieanlagen zu vergleichen. Das Ziel war letztendlich eine betriebswirtschaftliche Rechtfertigung für den Einsatz von Geothermieanlagen im Straßenbau zu finden. Für die Variationsrechnung wurden zunächst unabhängige Mikromodelle zur Beschreibung der einzelnen Einflüsse bzw. Komponenten erarbeitet, deren Ergebnisse anschließend in einem Makromodell überlagert und ausgewertet wurden.

3.2 Mikromodelle

3.2.1 Automatische Anlagen

Für das Mikromodell „Anlage“ wurde mithilfe der verfügbaren Daten aus bestehenden Geothermieanlagen im Ausland Regressionsrechnungen zur Bestimmung der Investitions- und Betriebskosten in Abhängigkeit der Größe der beheizten Verkehrsfläche durchgeführt. Dadurch konnten flächenabhängige und flächenunabhängige Anteile der Kosten abgeschätzt werden. Ebenfalls anhand der verfügbaren Daten wurde die minimale, mittlere und maximale Lebensdauer von Geothermieanlagen abgeschätzt. Für Taumittelsprühanlagen erfolgte die Analyse nach dem gleichen Prinzip, wobei aufgrund der größeren Anzahl der bekannten Anlagen hier auf die Erfahrungen im Inland zurückgegriffen werden konnte.

3.2.2 Konventioneller Winterdienst

Die Grundlage für das Mikromodell „Winterdienst“ bilden Daten aus den Einsatzprotokollen der Meistereien bzw. der automatischen Einsatzdatenerfassung über Fahrten, bei denen nur besondere Gefahrenstellen gestreut wurden. Daraus konnten pro Gefahrenstelle minimale, mittlere und maximale Leerwegestrecken sowie die minimale, mittlere und maximale Streustrecke pro Einsatz errechnet werden. Über die Auswertung von automatisch erfassten Einsatzdaten erfolgt die Hochrechnung zur Bestimmung der Anzahl von Sondereinsätzen pro Jahr. Auf dieser Grundlage wurden die zugehörigen jährlichen Kosten bezogen auf eine Gefahrenstelle und auf die Fläche aller Gefahrenstellen berechnet. Diese Kosten setzen sich aus Personalkosten, Fahrzeugkosten und Streustoffkosten zusammen.

3.2.3 Verkehrsablauf und -sicherheit

Im Mikromodell „Verkehr“ werden anhand erhobener Verkehrs- und Witterungsdaten die Auswirkungen der winterlichen Fahrbahnbedingungen auf den Verkehrsablauf ermittelt. Es wurde davon ausgegangen, dass die witterungsbedingten Zeitverluste bei Gefahrenstellen, die mit Geothermie- oder Taumittelsprühanlagen (TMS) ausgestattet sind, vernachlässigt werden dürfen. Daher kommen nur die Zeitverlustkosten, die an konventionell betreuten Gefahrenstellen auftreten, zum Ansatz. Darüber hinaus wurden die Auswirkungen der Ausstattung von Gefahrenstellen mit stationären Anlagen auf die Verkehrssicherheit betrachtet. Hierfür erfolgt die Auswertung der Unfallzahlen von Messquerschnitten mit und ohne TMS. Mangels genauerer Daten wird davon ausgegangen, dass die Ausstattung einer Gefahrenstelle mit einer Geothermieanlage näherungsweise die gleiche verkehrliche Wirkung zeigt wie der Einsatz einer TMS. Auf diese Weise lassen sich die volkswirtschaftlichen Aspekte des Beheizens von Verkehrsflächen in der Untersuchung berücksichtigen, obwohl in Deutschland bisher keine Erfahrungen mit Geothermieanlagen für Straßen vorliegen.

3.2.4  Fahrbahnaufbau

Im Sommer führt die Kühlung der oberen Asphaltschichten zu einer geringeren Spurrinnenbildung und damit zu einer Verlängerung der Lebensdauer. Die Kosten für den Bau und die Erhaltung von Deckschichten können daher bei Gefahrenstellen, die mit einer Geothermieanlage beheizt und gekühlt werden, auf einen längeren Zeitraum abgeschrieben werden als bei den anderen Gefahrenstellen. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Gefahrenstelle mit fahrzeugbasiertem Winterdienst betreut wird oder mit einer TMS ausgestattet ist. Die dadurch entstehenden unterschiedlichen jährlichen Abschreibungen für die Straßenerhaltung werden im Mikromodell „Bauwerk“ abgeschätzt.

3.2.5 Einwirkungen auf die Umwelt

Im Mikromodell „Umwelt“ wurden die entstehenden CO2-Emissionen, der Salzeintrag und die externen Umweltkosten der drei Möglichkeiten zur Winterdienstbetreuung von Gefahrenstellen verglichen. Beim konventionellen Winterdienst setzt sich der CO2-Ausstoß aus den Emissionen der Streufahrzeuge sowie den Emissionen zusammen, die von den Verkehrsteilnehmern ausgehen, die aufgrund winterlicher Fahrbahnverhältnisse im Stau stehen. Der von Geothermieanlagen und TMS verursachte CO2-Ausstoß geht auf die Stromerzeugung für den Anlagenbetrieb zurück. Entsprechend der Annahmen im Mikromodell „Verkehr“ wird davon ausgegangen, dass bei Ausstattung einer Gefahrenstelle mit einer automatischen Anlage (Geothermie oder TMS) kein CO2-Ausstoß infolge winterlich bedingter Staus auftritt.

Beim fahrzeugbezogenen Winterdienst wurde der jährliche Salzeintrag pro Flächeneinheit aus den im Mikromodell „Winterdienst“ ermittelten Daten errechnet. Der Salzeintrag aus TMS wurde aus der Literatur (Wirt z, Moritz et al. 2006) übernommen.

3.3 Variationsrechnung

Die aus den Mikromodellen gewonnen Daten wurden schließlich im Makromodell betriebswirtschaftlich, volkswirtschaftlich und ökologisch bilanziert. Durch diese konsequente Aufteilung der Variationsrechnung in Mikro- und Makromodelle wird eine sehr umfassende Betrachtung des Einsatzes von Erdwärme ermöglicht. Die Versorgung von Gefahrenstellen mit Geothermieanlagen, TMS bzw. konventionellem Winterdienst kann so in Abhängigkeit der Anzahl der Gefahrenstellen und deren Fläche im Netz einer Meisterei verglichen werden.

Zur Interpretation der sehr komplexen Zusammenhänge werden die Ergebnisse über die Variation der Anzahl und der Gesamtfläche der Gefahrenstellen innerhalb eines Streckennetzes aufgetragen. Die betrachteten Streckennetze orientieren sich am Zuständigkeitsbereich einer Meisterei. Darüber hinaus wird jeweils eine Spannbreite der Ergebnisse infolge der im Rahmen der Untersuchung festgestellten Spannbreite der auftretenden Randbedingungen dargestellt. Auf diese Weise wirken sich die in den Mikromodellen ermittelten Spannbreiten auf die Ergebnisse des Makromodells aus.

4 Ergebnisse

4.1 Auswertung

Unter Verwendung der in der Realität beobachteten Spannbreite der Eingangswerte ergibt sich in Abhängigkeit der Anzahl und der Gesamtfläche der zu betreuenden Gefahrenstellen eine sehr breite Streuung der Ergebnisse. Bei einer Betrachtung der betriebswirtschaftlichen Kosten inklusive der Abschreibung der Erhaltungsmaßnahmen der Deckschicht zeigt sich, dass die Kosten eines durchschnittlichen konventionellen Winterdienstes in aller Regel geringer sind als die Kosten für Geothermie- und Taumittelsprühanlagen.

Wird die gesamte Spannbreite der Eingangswerte betrachtet, ergeben sich jedoch Überschneidungspunkte. Bei wenigen, im Netz verteilten Gefahrenstellen überschneiden sich die Kosten der Ausstattung mit Geothermieanlagen mit den Kosten des konventionellen Winterdienstes. Dies bedeutet, dass unter bestimmten Bedingungen (insbesondere Lage der Gefahrenstellen im zu betreuenden Netz, Größe der Gefahrenstellen, topografische und klimatische Rahmenbedingungen, Lebensdauer der Anlagen u.s.w.) der Einsatz von Geothermieanlagen aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll sein kann.

4.2 Schlussfolgerungen

Aus der Streuung der erhaltenen Ergebnisse folgt, dass sich eine grundsätzliche Aussage zum Potenzial der Geothermie in Fahrbahnen nicht treffen lässt. Eine sehr detaillierte Betrachtung des Einzelfalles bleibt weiterhin erforderlich. Unter Verwendung der in Deutschland beobachteten geologischen, klimatischen und topografischen Randbedingungen zeigt sich, dass die vergleichsweise hohen Investitionskosten dazu führen, dass sich eine ausschließlich zum Beheizen einer Fahrbahn eingerichtete Anlage nicht alleine über mögliche Einsparungen im Winterdienst rechtfertigen lässt und in der Regel keinen betriebswirtschaftlichen Vorteil gegenüber einer Taumittelsprühanlage aufweist.

Ein anderes Fazit ergibt sich aus der Kombination von Heizen im Winter und Kühlen des Fahrbahnaufbaus in den Sommermonaten. Auch ohne volkswirtschaftliche Aspekte kann sich solch eine Anlage als wirtschaftlich erweisen. Die Anlage kann darüber hinaus in der Regel so dimensioniert werden, dass ein erheblicher Energieüberschuss erzeugt wird, der anderen Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden kann.

Bei einer netzbezogenen Betrachtung scheint der Einsatz von Geothermie immer dann sinnvoll, wenn einzelne Gefahrenstellen ausgestattet werden sollen. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Gefahrenstellen eine zeitlich vorgezogene Bedienung erfordern und die Fahrt für diese Bedienung durch eine Geothermieanlage vollständig entfallen kann, also nicht weiterhin benachbarte Gefahrenstellen bedient werden müssen.

5 Ausblick

Nun müssen die gewonnenen Erkenntnisse in der praktischen Anwendung verifiziert werden. Ein entsprechendes Pilotprojekt zur Erprobung ist in Schleswig-Holstein realisiert worden und im Sommer 2011 in Betrieb gegangen. In Berkenthin wurde die Kanalbrücke im Zuge der Bundesstraße B 208 über den Elbe-Lübeck-Kanal mit einer Flächenheizung ausgestattet (Mackert 2010). In einem anderen Beitrag zu der vorliegenden Veranstaltung berichtet Herr Mackert über diese Anlage.

Es hat sich bereits in den theoretischen Untersuchungen gezeigt, dass bei einer Kombination von Heizen und Kühlen unter den in Deutschland vorherrschenden geologischen und klimatischen Randbedingungen ein Energieüberschuss entsteht. Weitere Untersuchungen sollten darauf ausgerichtet sein, diesen Überschuss zu nutzen. Insbesondere durch die Kopplung mit anderen Verbrauchern könnte die Straßenoberfläche zu einem Lieferanten regenerativer Energie werden.

6 Literaturverzeichnis

  1. BEKORS – Bund-/Länder-Arbeitskreis BEKORS (2004): Maßnahmenkatalog für den Straßenbetriebsdienst, Teil 6a Optimierung von Einsatzverfahren – Empfehlungen für die Organisation des Winterdienstes bei Autobahn- und Straßenmeistereien, Bonn
  2. BMVBW – Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (2004): Leistungsheft für die betriebliche Straßenunterhaltung auf Bundesfernstraßen, Ausgaben 2001 und 2004. Bonn
  3. FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2010): Merkblatt für den Winterdienst auf Straßen, Ausgabe 2010, Köln, FGSV 416
  4. Hess, R.; Steinhauser, B.; Schulz, T.; Steinauer, B.; Kemper, D.; Petry, I.; Wagner, R. (2010): Erkundung der Potenziale der Geothermie als Beitrag für den Winterdienst. FA 4.221/2008/KRB der Durth Roos Consulting GmbH (DRC) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen und der Geowatt AG, Zürich, gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach. (unveröffentlicht)
  5. Mackert, K.-U. (2010): Geothermisches Brückenheizungssystem. Straßenverkehrstechnik Heft 02.2010, Seite 102, Kirschbaum Verlag, Bonn
  6. VDI – Verein Deutscher Ingenieure (2001): Thermische Nutzung des Untergrundes, Ausgabe 2001. VDI-Richtlinie 4640, Beuth-Verlag, Berlin
  7. Wirtz, H.; Moritz, K.; Thesenvitz, U. (2006): Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Taumittelsprühanlagen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Reihe Verkehrstechnik Heft V 139, Bergisch Gladbach
  8. Würtele, M.; Sprinke, P.; Eugster, W. (2005): Geothermie sorgt für Verkehrssicherheit (GeoVerSi). Studie im Auftrag des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf