FGSV-Nr. FGSV 002/122
Ort Bergisch Gladbach
Datum 15.05.2018
Titel BIM-Pilotprojekte bei der Deutschen Bahn AG
Autoren Dipl.-Ing. Marco Häußler
Kategorien OKSTRA
Einleitung

Mit Veröffentlichung des „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“ durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Jahr 2015 begann ein Wandlungsprozess in der deutschen Bauindustrie, der mittlerweile stark vorangeschritten, aber keineswegs abgeschlossen ist. Während die Welt des Hochbaus bereits seit Jahren als Vorreiter gilt, wurde lange Zeit gezweifelt, ob die BIM-Methodik bei Infrastrukturprojekten umsetzbar ist. Die Deutsche Bahn AG pilotiert eine Reihe von Projekten und kann derzeit als einer der wichtigsten Treiber der Methodik im Infrastruktursektor bezeichnet werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1          Einleitung

Aufgrund der Komplexität von Bauprojekten ist die Bauplanungsindustrie zunehmend bemüht, moderne Technologien – Stichwort Industrie 4.0 – zu etablieren. Die Digitalisierung in der Bauplanung wird in erster Linie mit Building Information Modeling (BIM) in Zusammenhang gebracht.

Building Information Modeling ist eine Methode, die die Entwicklung, Planung, Ausführung sowie den Betrieb von Bauwerken bis zu deren Rückbau optimiert. BIM ist dabei eng mit modernen Technologien wie parametrisierter Trassen- und Bauwerksplanung, Bauablaufsimulationen und modellbasierter Mengen- und Kostenermittlung verbunden.

Mit Hilfe dieser Methode verspricht sich die Baubranche mehr Informationen über Umwelt, Umfeld und Bestandsbauwerke in Planung, Bau und Betrieb einfließen lassen zu können. Darüber hinaus kann durch das Erstellen integrierter Gesamtmodelle eine höhere Qualität im Projekt erreicht und damit die Kosten gesenkt werden.

Die Deutsche Bahn AG schreibt derzeit im Zusammenhang mit dem Großprojekt Karlsruhe – Basel eine Reihe von Pilotprojekten aus. Obermeyer Planen + Beraten GmbH bearbeitet die BIM-Piloten in den Streckenabschnitten 1 und 7. Während der Streckenabschnitt 1 im Zuge einer Ausführungsplanung pilotiert wird, befindet sich der Streckenabschnitt 7 im Stadium einer Vorplanung.

Die Projekte werden genutzt um die nachfolgenden Themen mit Praxishintergrund darzulegen. Ziel des Artikels ist es, die BIM-Methodik und deren Möglichkeiten aufzuzeigen bzw. darzulegen, wie sie in den Pilotprojekten genutzt werden. Der Artikel stellt keinen Sachstandsbericht der Projekte dar.

 

2          Stufenplan

Im Jahr 2015 wurde durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“ verabschiedet. Dieser sieht drei Stufen zur Umsetzung der BIM-Methodik im täglichen Geschäft des Baugewerbes vor. Derzeit läuft im Rahmen der zweiten Stufe die erweiterte Pilotphase.

Bild 1: Stufenplan des BMVI (abgeändert durch Planen-Bauen 4.0)

Zweifelsohne können die Pilotprojekte der Deutschen Bahn AG auch in diese Phase eingruppiert werden. Die DB Station & Service AG fordert seit Anfang 2017 die vollständige Umsetzung der BIM-Methodik im Projekt und verfolgt damit bereits das Zielniveau der dritten Stufe.

 

3          Ziele in den Projekten

Mit der Umsetzung der BIM-Methodik werden verschiedene Ziele verfolgt, die nachfolgend auszugsweise dargestellt sind.

  • „Erst digital, dann real bauen“,
  • Erhöhung der Planungsqualität, verbunden mit einer Verbesserung der Termin- und Kostensicherheit,
  • Planungskoordination und Kollisionsprüfung anhand von 3D-Modellen,
  • Simulation von Planungsvarianten und Bauzuständen inkl. einer Darstellung von Termin- und Kostenauswirkungen,
  • Aufbau und Anwendung eines modellbasierten Projektsteuerungssystems für die Ausführungsphase,
  • Erstellung eines Bestandsmodells für den Betrieb und die Instandhaltung der Anlage auf Basis der Planungsdaten und der Dokumentation der Ausführungsphase,
  • Partnerschaftliche Projektabwicklung, d.h. verbesserte Kommunikation und Vernetzung aller Projektbeteiligten,
  • Akzeptanzsteigerung durch Visualisierung von Varianten,
  • Effizienzsteigerung in den Projektmanagementprozessen,
  • Erfahrungen mit BIM sammeln – Bewertung von BIM-Anwendungsfällen zur Eignung im Regelprozess.

Die Ziele können allgemeingültig, aber auch projektspezifisch formuliert werden. Da das Ergebnis der Projektbearbeitung nach wie vor die Erstellung eines realen Bauwerks ist, empfiehlt es sich die Ziele analog dem sequentiellen Planungsprozess mit voranschreitendem Projektstand zu präzisieren.

 

4         Anwendungsfälle

Zur Erreichung der vorgenannten Ziele stehen verschiedene sogenannte Anwendungsfälle zur Verfügung, die in der Tabelle 1 aufgelistet und den einzelnen Leistungsphasen gemäß HOAI zugeordnet sind. Die Zuordnung zu den Leistungsphasen ist projektspezifisch gewählt und kann entsprechend variieren.

Tabelle 1: BIM-Anwendungsfälle und mögliche Zuordnung zu Leistungsphasen gemäß HOAI

Ausgewählte BIM-Anwendungsfälle werden in den nachfolgenden Abschnitten näher beschrieben.

 

5         Auftraggeber-Informationsanforderung und BIM-Abwicklungsplan

Als ein wichtiges und in den Pilotprojekten der Deutschen Bahn AG auch gelebtes Ziel wird die partnerschaftliche Projektabwicklung verstanden.

Diese beginnt bereits damit, dass sich die Projektpartner von Beginn an bestmöglich mit der Planungsaufgabe auseinander setzen und die Ergebnisse dieses Prozesses entsprechend dokumentiert werden. So wird seitens des Bauherrn die Aufgabe zunächst in den sogenannten Auftraggeber-Informationsanforderungen festgehalten. Hier wird dargelegt, welche Projektziele verfolgt werden, welche Randbedingungen vorherrschen und welche Forderungen an das Projekt aus Sicht des Bauherrn bestehen.

Die Antwort des Planers wird mit dem BIM-Abwicklungsplan erarbeitet, wobei die geplante Vorgehensweise im Projekt (Projektorganisation, Softwareeinsatz, Modellierungsrichtlinie, Prozesse, Termine etc.) dokumentiert werden.

Diese beiden Bausteine sind nur ein Teil um das Ziel der partnerschaftlichen Projektabwicklung zu erreichen, nichtsdestotrotz sind sie die Grundpfeiler eines BIM-Projektes. Vor allem der BIM-Abwicklungsplan ist ein „lebendiges“ Dokument und muss im Projekt fortgeschrieben werden.

Der Vorbereitungsprozess eines Projektes wird mit diesen Mitteln intensiviert, ist aber auch ohne BIM-Methodik empfehlenswert.

 

6          Software und Austauschformate

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass es nicht eine Software zur Umsetzung eines BIM-Projektes gibt, sondern stets eine Vielzahl von Produkten eingesetzt werden muss. Dies hat zum einen mit dem Funktionsumfang der einzelnen Software zu tun, aber auch mit den Forderungen des Auftraggebers.

Im Bild 2 ist ein möglicher Softwareeinsatz im Bereich der Infrastrukturplanung dargestellt, wie er auch derzeit bei Obermeyer Planen + Beraten GmbH in den Pilotprojekten der Deutschen Bahn AG umgesetzt wird.

Weiterhin sind auf der rechten Seite des Bildes die eingesetzten Datenformate dargestellt. Es werden sowohl proprietäre als auch offene Datenaustauschformate wie IFC verwendet.

Da derzeit für Infrastrukturanlagen noch kein IFC-Standard existiert, wird in den Projekten das IFC-Schema 2 x 3 verwendet, welches originär für Hochbauobjekte spezifiziert ist. Die noch weit verbreitete Meinung, dass aus diesem Grund BIM in der Infrastrukturplanung nicht funktionieren kann, kann mit der Projekterfahrung widerlegt werden

Bild 2: Möglicher BIM-Softwareworkflow

 

7          3D-Bestandsaufnahme und -modellierung

Zu Beginn eines technischen Projekts steht die Bestandsaufnahme, die mit der Vermessung und Baugrunderkundung gleichgestellt wird. Das klassische Vermessungsverfahren sieht die Begehung der Strecke mit einem Messrad sowie die händische Erstellung einer Hindernisliste und Fotodokumentation vor. Dieses Vorgehen bedeutet einen hohen Begehungsaufwand inklusive damit verbundener Behinderungen im Bahnbetrieb.

Neue, leistungsfähige Geräte wie Scanner oder Drohnen ermöglichen eine digitale Erfassung der Strecke. Im Bild 3 ist das Ergebnis eines Scans dargestellt, der im Zuge einer Befahrung erzeugt wurde. Der Einfluss der Fahrgeschwindigkeit des Zuges beim aktiven Scannen ist besonders im linken Gleis gut ersichtlich. Die rasterförmige Darstellung resultiert aus einer Fahrt mit 80 km/h, während das rechte Gleis bei einer Geschwindigkeit von maximal 20 km/h vermessen wurde.

Bild 3: Punktwolke entlang einer Strecke mit unterschiedlichen Auflösungen

Mit Hilfe der entsprechenden Software können die erzeugten Punktwolken virtuell „begangen“ bzw. „befahren“ werden. Die kosten- und zeitintensiven Ortsbegehungen finden digital statt und Einschränkungen im Betrieb, z. B. durch Streckensperrung, können auf ein Minimum reduziert werden. Gleichzeitig stehen die Daten als Planungsgrundlage zur Verfügung.

Das reine Abbild der Oberfläche bietet eine sehr detaillierte Datengrundlage und einen guten optischen Eindruck. Dennoch liegen die für die Planung notwendigen Informationen nur in einem quasi-Bildformat mit Georeferenz vor. Derzeit ist durch den Projektbearbeiter aus diesen Informationen ein für die Planung verwertbares 3D-Bestandsmodell zu erzeugen (siehe Bild 4).

Hier bietet sich die Chance für Softwareentwickler ihre Systeme so zu verbessern, dass einerseits die immensen Datenmengen beherrschbar werden und andererseits eine teilautomatisierte Objekterkennung ermöglicht wird.

Neben der Oberflächenaufnahme sind Kenntnisse über den Baugrund unerlässlich. Klassische Baugrunderkundungen, wie Bohrprofile und geologische Längsschnitte sind zwar hilfreich, können beim digitalen Bauen aber nur bedingt verwendet werden. Hier bedarf es vorzugsweise eines dreidimensionalen flächenhaften Baugrundmodells.

Bild 4: 3D-Bestandsmodellierung

 

8          3D-Modellierung

Je nach Anwendungsfall bzw. Gewerk eignen sich unterschiedliche Softwaresysteme für die parametrisierte Modellierung von Infrastrukturprojekten. Eine davon wird bei der Obermeyer Planen + Beraten GmbH für die Trassenplanung entlang von Straßen- und Schienenverkehrsanlagen entwickelt. Das Programmsystem für Verkehrs- und Infrastrukturplanung (ProVI) ist dabei mehr als eine einfache Trassierungssoftware. Sie dient vielmehr als Projektplattform mit Funktionen zur Speicherung digitaler Daten, als Modellierungswerkzeug für Verkehrsanlagenplaner im Tief- und Oberbau, aber auch für einzelne Fachdisziplinen, wie z. B. dem Konstruktiven Ingenieurbau. Das oberste Ziel von BIM – zentrale Datenhaltung des Modells – unterstützt ProVI mühelos.

Dem klassischen Planungsansatz folgend wird das Modell in der 3-Tafel-Projektion (Lageplan, Längsschnitt und Querprofil) dargestellt. Es handelt sich hierbei um ein implizites Datenmodell, das nur die Relationen und Parameter der einzelnen Bauteile speichert (siehe Bild 5). In der Fachwelt wird dieser Ansatz auch oft als 2,5D bezeichnet.

Da sämtliche Modellinformationen bezüglich Lage, Höhe und geometrischer Gestaltung in einer Datenbank gespeichert sind, bedurfte es lediglich einiger weiterer Funktionen, diese Daten in ein Volumenmodell zu übersetzen (siehe Bild 6) und die Software somit in die BIM-Methodik zu integrieren.

Der Einsatz von Software wie Siemens NX oder Autodesk Revit, die explizite Volumenmodelle verwalten, ist ebenso möglich. Konstruktive Ingenieurbauwerke entlang von Eisenbahnstre cken und Straßen werden bei Obermeyer Planen + Beraten GmbH vorzugsweise mit Siemens NX erstellt. Ähnlich wie bei ProVI wird das 3D-Modell auch hier durch parametrisch angelegte Querschnitte erzeugt.

Bild 5: 3-Tafel-Projektion in ProVI (2,5D)

Bild 6: Übersetzung des impliziten Datenmodells in ein volumetrisches Modell

 

9          4D- und 5D-Modellierung

Neben dem reinen volumetrischen Modell sind Informationen zu den einzelnen Bauteilen unabdingbar für die weiteren Planungsphasen. Die Informationen werden den Bauteilen in Form von Attributen zugeordnet und können sowohl geometrische Eigenschaften als auch andere semantische Informationen, wie z. B. Stationierungsangaben, beinhalten (siehe Bild 7).

Mit Hilfe verschiedener Softwareprogramme können die erstellten dreidimensionalen Bauteile Vorgängen innerhalb eines Terminplans zugeordnet werden. Im Zuge einer Simulation des Zeitstrahls werden die Bauabläufe (4D) auf den korrekten logischen Zusammenhang und damit ihre Ausführbarkeit geprüft.

Bild 7: Beispielhafter Attributsatz eines Lärmschutzwandelementes

Neben diesem klassischen Ansatz – Zuordnung von Objekten zu vorhandenem Terminplan – sind aber auch intelligente Automatismen möglich, um einen Terminplan nach einer vordefinierten Logik aus dem 3D-Modell abzuleiten.

Ebenso können aus dem 3D-Modell Mengen (5D) abgeleitet werden, die die Planer sonst aufwendig mit Lineal und Taschenrechner ermitteln müssen. Dynamische Filtergruppen, die auf Attribute ausgerichtet sind, reagieren auf Änderungen im geometrischen Modell genauso wie auf Änderungen am Informationsmodell automatisch, wodurch das Fehlerpotenzial der Planung sinkt.

Im Ergebnis werden die klassischen Dokumente wie Kostenschätzung, -berechnung bzw. Leistungsverzeichnis erzeugt.

BIM ermöglicht damit einen durchgängigen Informationsfluss über alle Planungsgewerke und alle Projektphasen hinweg.

 

10          Visualisierung

Während 2D-Planungen selbst für Experten oft nur schwer verständlich sind, sind 3D- und 4D-Modelle visuell einfach zu greifen. Somit können sie beispielsweise im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden. Neben fotorealistischen Darstellungen verschiedener Bauphasen in Form von Bildern und Videos können die Modelle auch mit Hilfe entsprechender Technik virtuell begangen werden.

Virtual Reality erzielt bereits heute ein echtes Raumgefühl, wodurch ein Projekt so digital wie noch nie zuvor erlebbar gemacht wird.

Bild 8: Visualisierung

 

11         Fazit

Die Frage, ob BIM im Tagesgeschäft umgesetzt werden kann, ist mit ja zu beantworten. Nun liegt es an den Projektbeteiligten, die veränderten Methoden auch fest in den Projektablauf zu integrieren und die zahlreichen Vorteile zu nutzen.

 

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Berlin, 2015.