FGSV-Nr. FGSV 002/131
Ort online-Konferenz
Datum 24.03.2021
Titel Einfluss des HBEFA 4.1 auf die Modellierung der NO2-Immissionen – Stand und Möglichkeiten der Verbesserung
Autoren Dr. rer. nat. Ingo Düring, Wolfram Schmidt, Uwe Friedrich
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Einführung

Das HBEFA4.1 (UBA 2019) beruht gegenüber dem HBEFA3.3 auf zusätzlichen Messdaten und Erkenntnissen und stellt aus Sicht der Entwickler eine deutliche Verbesserung der Emissionen dar. Ein wesentliches Ziel bei der Überarbeitung des Handbuchs zur Version 4.1 war es, die bisherige Unterschätzung der NOx-Emissionen (in Version 3.3 und frühere) nunmehr durch Berücksichtigung des Temperatureinflusses und einer Verbesserung der Modellierung von Alterungseinflüssen zu beseitigen.

Modellrechnungen im Rahmen der Luftreinhalteplanungen, in denen die Emissionen aus dem HBEFA 4.1 in bestehende, bisher mit HBEFA 3.3 betriebene Modelle eingefügt wurden, ohne andere Modellparameter anzupassen, ergaben häufig Überschätzungen der NO2-Immissionen. Dies ist an Belastungsschwerpunkten besonders ausgeprägt. Die Ursache dieser Überschätzungen kann in der gesamten Modellkette zu finden sein. Neben der sachgerechten Festlegung der Verkehrssituationen nach HBEFA4.1 und den NOx-Emissionsfaktoren sind hier u. a. auch die NO-zu-NOx-Umwandlung in den Modellen, aber auch die NO-zu- NO2-Emissionsverhältnisse zu nennen.

Deshalb sollten im Rahmen eines Gutachtens im Auftrag des Umweltbundesamtes (Forschungskennzahl 146606) anhand von detaillierten mikroskaligen Modellrechnungen sowie im Vergleich dazu mit Screeningberechnungen an einer exemplarischen Straße NOx- und  NO2-Berechnungen auf Basis des HBEFA4.1 durchgeführt und mit Messdaten verglichen werden. Die Untersuchungen sollten zur Überprüfung und zur Verbesserung der NO2-Immissionsmodellierung auf Basis der Emissionen aus HBEFA4.1 im Nahbereich von Straßen beitragen.

Die Modellierungen wurden für die Zeppelinstraße in Potsdam für die Bezugsjahre 2015, 2018 und 2019 durchgeführt, weil hier eine sehr gute Datenlage insbesondere hinsichtlich des Verkehrsflusses (mobile Messfahrten), der Verkehrsstärken (Verkehrszählungen) und der KFZ-Flottenzusammensetzung (Kennzeichenerfassungen) sowie meteorologischer Daten vorlag.

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Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

Untersuchungsgebiet

Das Untersuchungsgebiet bildet die Zeppelinstraße in der Landeshauptstadt Potsdam. Diese war im Jahr 2015 eine vierstreifige Hauptverkehrsstraße mit hohem Verkehrsaufkommen (DTV ca. 26000 Kfz/d; SV inkl. Busse ca. 4%) sowie dichter beidseitiger Blockrandbebauung und keinem separaten Radweg (siehe Abbildung 1). Der Standort des Messcontainers befindet sich auf der nördlichen Straßenseite im Bereich des Hauseingangs Nr. 30 zwischen Geschwister-Scholl-Straße und Nansenstraße (siehe Abbildung 2).

Wegen der anhaltenden Überschreitung des Jahresmittelgrenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) wurde der Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt Potsdam in den Jahren 2015/16 fortgeschrieben. Zentrales Maßnahmenbündel war die verkehrliche Umgestaltung der bisher vierstreifigen Zeppelinstraße. In stadtauswärtiger Richtung fiel ein Fahrstreifen zu Gunsten eines eigenen Radfahrstreifens weg. In stadteinwärtiger Richtung erfolgt nun die Führung des Verkehrs teilweise auf einem gemeinsamen Fahrstreifen für Tram, Bus und Kfz (siehe Abbildung 3). Es wurde zusätzlich eine T30-Regelung für die Zeppelinstraße wirksam.

Ziel war die wirksame Verringerung des Kfz-Verkehrsaufkommens und der -Emissionen in der Zeppelinstraße einschließlich der Breiten Straße sowie in weiteren kritischen Straßenabschnitten innerhalb der Landeshauptstadt Potsdam. Die Maßnahme wurde 2017 umgesetzt. Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg (MLUL) und die Landeshauptstadt Potsdam führten zusammen mit den Ingenieurbüros SVU Dresden und der Lohmeyer GmbH unter fachlicher Koordinierung des LfU Brandenburg ein umfassendes, verkehrsträgerübergreifendes Evaluierungsprojekt durch, in dem die Maßnahmenwirkungen detailliert quantifiziert und bewertet wurden (Lohmeyer 2020). Aus diesem Projekt wurden mit Genehmigung des MLUL die Datengrundlagen übernommen und für das vorliegende Projekt verwendet.

Abbildung 1: Luftbild der Zeppelinstraße im Bereich des Messcontainers am Standort Zeppelinstraße 30. Der Pfeil kennzeichnet die Lage der Messstation. Quelle: google earth

Abbildung 2: Foto der Situation am Messcontainer Zeppelinstraße in Potsdam im September 2015, Quelle: Lohmeyer GmbH

Abbildung 3: Fotos und Ansichten der Situation am Messcontainer Zeppelinstraße vor sowie nach der Umgestaltung, Quelle: Landeshauptstadt Potsdam, Lohmeyer GmbH

Eingangsdaten

Für die Emissions- bzw. Immissionsberechnungen sind als Eingangsgrößen die Lage des Straßennetzes im zu betrachtenden Untersuchungsgebiet, verkehrsspezifische Informationen sowie dreidimensionale Bebauungsdaten von Bedeutung. Weitere Grundlagen der Immissionsberechnungen sind die basierend auf den Verkehrsdaten berechneten Schadstoffemissionen, die meteorologischen Daten und die Schadstoffhintergrundbelastung. Folgende Untersuchungen und Daten lagen vor:

  • Fahrspurfeine Verkehrsmengen aus automatischen und manuellen Zählungen (DTV, SV, Busse)
  • Kfz-Kennzeichenerfassung 2015, 2017 und Fortschreibungen auf 2018 und 2019 an der Zeppelinstraße für die Ableitung der lokalen Kfz-Flotte
  • Mobile Messfahrten als Grundlage für PHEM-Modellierungen1) für die genaue Ableitung der Emissionen und Verkehrssituationen.
  • Kontinuierliche Immissionsmessdaten Zeppelinstraße (NO2, NOx)
  • Kontinuierliche Immissionsmessdaten für den städtischen Hintergrund Potsdam-Zentrum (NO2, NOx, Ozon)
  • NO2-Passivsammlermessungenim Umfeld der Zeppelinstraße, um die Repräsentativität der Hintergrundmessung abzugleichen
  • Meteorologische Daten (Wind, Temperatur, Strahlung) an der Station Grunewald, die als repräsentativ für Potsdam bewertet sind.
  • Digitales Gebäudemodell

1) PHEM (Passenger car and Heavy duty Emission Model), Hausberger et.al., Technische Universität Graz, Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik

Untersuchungsmethodik

MISKAM (Dreidimensionales prognostisches Strömungs- und Ausbreitungsmodell)

Es wurden Detailrechnungen mit MISKAM unter Berücksichtigung der Richtlinie VDI 3783 Blatt 9 (2017; Prognostische mikroskalige Windfeldmodelle) durchgeführt. Mit MISKAM werden Windfelder berechnet, die die Umströmung der im Untersuchungsgebiet vorhandenen Gebäudekonfiguration modellieren.

Auf der Grundlage der Aktivitätsdaten und Verkehrsmengen wurden für die Prognosejahre die von den Kraftfahrzeugen emittierten Schadstoffmengen und -immissionen ermittelt. Die mittleren spezifischen Emissionen der Fahrzeuge einer Fahrzeugkategorie (Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Busse etc.) werden mit Hilfe des „Handbuchs für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs HBEFA“ Version 4.1 (UBA, 2019) bestimmt. Die Vorgehensweise zur Emissionsbestimmung entspricht dem Stand der Technik. Sie basiert auf der Richtlinie VDI 3782 Blatt 7 (2020).

Die Immissionsberechnungen erfolgen mit dem Strömungs- und Ausbreitungsmodell MISKAM (Eichhorn, 2014). MISKAM gehört zu den prognostischen Modellen vom Eulertyp. Es besteht aus zwei Teilen, einem Strömungsteil für die Modellierung der Umströmungsverhältnisse der Gebäude und einem Ausbreitungsteil zur Berechnung des Immissionsfeldes. Bei den Berechnungen wurden die Hinweise aus Eichhorn (2005) sowie der Richtlinie VDI 3783 Blatt 9 (2017) für prognostische Modelle beachtet. Die Einhaltung des Kriteriums von Richtlinie VDI 3783 Blatt 9 (2017) wurde dahingehend berücksichtigt, dass das Rechengebiet (1200 m * 1 200 m) deutlich größer als die Fläche des Untersuchungsgebietes gewählt wurde.

Das Rechengebiet wurde mit einem nichtäquidistanten Netz überzogen, dessen horizontale Auflösung zwischen 1 m im Zentrum des Untersuchungsgebietes und ca. 15 m am Gebietsrand variiert. Höhe des Rechengebietes betrug 500 m. Für jeden Schadstoff wurden aus den jeweiligen Immissionsfeldern mit der Programmoberfläche WinMISKAM (Lohmeyer, 2017) unter Verwendung der Windstatistik und der Schadstoffhintergrundbelastung flächendeckend die Jahresmittelwerte (JM) als Gesamtbelastung berechnet.

PROKAS (Screeningmodell)

Für die Berechnung der Schadstoffimmission in Screeningqualität kam das Berechnungsverfahren PROKAS zur Anwendung. Es besteht aus dem Basismodul PROKAS_V (Gaußfahnenmodell) und dem integrierten Bebauungsmodul PROKAS_B, das für die Berechnung der Immissionen in Straßen mit dichter Randbebauung, wie im vorliegenden Fall, eingesetzt wird. Mit den berechneten Konzentrationen wurde auf der Grundlage der Emissionen und einer repräsentativen Ausbreitungsklassenstatistik der Jahresmittelwert ermittelt.

Im Falle von teilweise oder vollständig geschlossener Randbebauung wird das ergänzende Bebauungsmodul PROKAS_B verwendet. Es basiert auf Modellrechnungen mit dem mikroskaligen Ausbreitungsmodell MISKAM für idealisierte Bebauungstypen. Dabei wurden für 20 Bebauungstypen und jeweils 36 Anströmrichtungen die dimensionslosen Abgaskonzentrationen c* in 1.5 m Höhe und 1 m Abstand zum nächsten Gebäude bestimmt. Die Bebauungstypen werden unterschieden in Straßenschluchten mit ein- oder beidseitiger Randbebauung mit verschiedenen Gebäudehöhe-zu-Straßenschluchtbreite-Verhältnissen und unterschiedlichen Lückenanteilen in der Randbebauung.

NO-NO2-Konversion

Für die Berechnung der NO-NO2-Umwandlung wurde zunächst sowohl das vereinfachte Chemiemodell nach Düring et al. (2011) als auch statistische Umwandlungsmodelle verwendet und deren Ergebnisse im Vergleich zu den Messdaten diskutiert.

Berücksichtigte Einflüsse

Betrachtet wurden die Bezugsjahre 2015, 2018 und 2019. Dabei wurden in den Luftschadstoffberechnungen folgende bezugsjahrabhängige Effekte detailliert berücksichtigt:

  • Modernisierung der Fahrzeugflotte
  • Änderung der Verkehrsmenge (DTV)
  • Änderung in Verkehrszusammensetzung (Anteil LKW und Busse)
  • Änderung des Verkehrsflusses/ der Verkehrssituation und damit des Emissionsfaktors
  • Änderung der Ausbreitungsverhältnisse (Abstand Emission vom Immissionsort durch Straßenraumumgestaltung nach 2017)
  • Änderung von Windrichtung, Windgeschwindigkeit
  • Änderungen der Außentemperaturen (Veränderung der Kfz-Emissionen wegen temperaturabhängiger Abgasreinigung)
  • Änderungen in der Hintergrundbelastung (NOX, NO2)
  • Änderung in der Photochemie (O3, Strahlung)

Ergebnis der Verkehrsflussanalysen mit PHEM im Vergleich zu HBEFA4.1

Neben den Verkehrsmengen- und -zusammensetzungen sind für die Emissionsberechnung auch Angaben über den Verkehrsfluss (sogenannte Verkehrssituationen und level of service (LOS)) nötig. In der Gutachtenpraxis werden dabei, je nach Datenlage, mehrere verschiedene Möglichkeiten angewendet:

  1. Falls nur Tempolimit und Einordnung der Straße im Straßennetz bekannt: Qualitative Einschätzung der Situation anhand der beschreibenden Kriterien des HBEFA durch den Gutachter
  2. Falls auch stündliche Verkehrsdaten vorliegen: Anwendung eines Kapazitätsmodells, welches die stündliche Verkehrsstärke mit Schwellwerten vergleicht und LOS-Stufen zuordnet
  3. Falls lokal gemessene stündliche Kfz-Geschwindigkeitsdaten und -verkehrsdaten vorliegen: Auswertung des Fundamentaldiagramms des Verkehrs (Fzg-Geschwindigkeit über Kfz-Dichte) und Zuordnung zu LOS
  4. Falls lokal gemessene stündliche Kfz-Geschwindigkeitsdaten und Fahrprofile vorliegen: Einsatz von sogenannten Regressionsmodellen. Hierbei werden statistische Parameter des lokalen Verkehrsflusses mit den Ansätzen der LOS aus HBEFA verglichen und entsprechend zugeordnet
  5. Beim Vorliegen von lokalen Fahrprofilen: Emissionsberechnung mit PHEM und Anpassung der Verkehrssituationen und LOS so, dass die Ergebnisse der Emissionsberechnung aus PHEM mit 1-Emissionsfaktoren reproduziert werden.

Die Variante e. stellt die bestmöglich ortsangepasste Methodik für die LOS- und Emissionsberechnung dar und wurde hier wegen der entsprechenden Datenlage angewendet. Aus dieser Analyse konnten, neben der Berechnung der fahrspurfeinen Emissionsdichten auf dem gesamten untersuchten Straßenzug, folgende Erkenntnisse gezogen werden:

  • Der Fahrzyklus HVS50 LOS1 im HBEFA4.1 ist zur Beschreibung der Emissionsverhältnisse auf mehreren Streckenabschnitten der Zeppelinstraße zu ungünstig. Dies betrifft hier einen gut LSA-koordinierten Straßenzug bei ausreichender Kapazität der Straße.
  • Da ein adäquater Fahrzyklus (LOS) in HBEFA4.1 („besser als flüssig“) fehlt, muss hier mit Reduktionsfaktoren auf LOS1 gearbeitet werden (Anteil kleiner als 100%)
  • Bei Einsatz eines Kapazitätsmodells oder des Fundamentaldiagramms oder qualitativer Einschätzungen der Verkehrssituationen würde das nicht auffallen.

Es sollte bei der Festlegung der LOS deshalb immer beachtet werden, ob der lokale Verkehrsfluss tatsächlich durch die in HBEFA4.1 hinterlegten Fahrzyklen repräsentativ abgebildet werden kann. Da dies nicht immer der Fall ist, ergibt sich ein Vorschlag für zukünftige HBEFA-Updates: Es sollten zusätzliche Verkehrssituationen (Fahrzyklen), z. B. LOS 0 (ohne Halte), LOS (Kreuzung) etc., eingeführt werden (Baukastenprinzip). Das Baukastenprinzip könnte man sich wie folgt vorstellen:

Es werden ergänzend zu den Emissionsfaktoren der derzeitigen Fahrzyklen Emissionsfaktoren für typische Einzelsegmente eines Fahrverlaufes – für so genannte „Verkehrssituationssegmente“ - ausgewiesen, mit deren Hilfe das Fahrverhalten nutzerdefiniert zusammengesetzt werden kann. Diese Verkehrssituationssegmente würden das typische Fahrverhalten abbilden, z. B.

  • bei Halte- und Beschleunigungsvorgängen im Bereich von Verkehrsknoten unter Berücksichtigung verschiedener Tempolimits und evtl. Geschwindigkeitsüberwachungen,
  • bei Beschleunigungsvorgängen im Zufluss zu Knotenpunkten vs. derer im Abfluss aus den Knotenpunkten heraus und
  • im Bereich außerhalb bzw. zwischen der Verkehrsknoten mit verschiedenen Störungsgraden.

Die Fahrzyklen dafür könnten aus Teilsegmenten aus den vorliegenden Standardzyklen des HBEFA bestehen und durch Fahrzyklen aus anderweitig vorliegenden Untersuchungen ergänzt bzw. auch neu aufgenommen werden.

Ergebnisse der MISKAM-Immissionsberechnungen für NOx

Mit MISKAM wurden für die Lage und die Ansaughöhe (2.6 m über Grund) des Messcontainers Zeppelinstraße die Jahresmittelwerte der NOx-Zusatzbelastungen berechnet und den NOx-Zusatzbelastungen (Differenz zwischen NOx-Messwert Zeppelinstraße und Potsdam-Zentrum) gegenübergestellt. Bei Anwendung von HBEFA4.1 ergab sich folgendes Ergebnis:

  • Für 2015 ergab sich eine Unterschätzung von 16%;
  • Für 2018 ergab sich eine Überschätzung von 16%;
  • Für 2019 ergab sich eine Überschätzung von 29%.

D. h., während für das Bezugsjahr 2015 noch eine Unterschätzung von 16% abgeleitet wurde, ist für 2018 eine Überschätzung von 16% festzustellen. Diese Überschätzung steigt 2019 auf 29%. Eine Ursache könnte ggf. in der im HBEFA4.1 nicht vorhandenen Berücksichtigung der Wirkung der freiwilligen Softwareupdates und/oder höherer Wirkungen der verpflichtenden Softwareupdates zu finden sein.

Es sei darauf zu verweisen, dass diese aufgezeigten Abweichungen flottenspezifisch und wahrscheinlich sensitiv auf den PKW-Dieselanteil sind. Die Situation in anderen Regionen mit deutlich anderen Flottenzusammensetzungen, wie z. B. im Westen und Süden der Bundesrepublik, kann/wird ggf. anders aussehen.

Auswertung der Immissionsdaten bzgl. NO2-Direktanteil

Es erfolgte eine Auswertung der vorhandenen Zeitreihen der Immissionsdaten (NO2, NOx und O3) an der Messstation Potsdam-Zeppelinstraße sowie an der Hintergrundstation Potsdam-Zentrum derart, dass daraus der direkt emittierte NO2- Anteil an der Zeppelinstraße abgeschätzt werden kann. Hierbei wurden die Stundenwerte der NO2- sowie NOx-Zusatzbelastung bei niedrigen O3-Konzentrationen (Schwelle 10 µg O3/m³, bei der die photochemische Bildung von NO2 sehr stark unterdrückt ist) korreliert. Dieses Verfahren wurde bereits bei Düring et al. (2011) verwendet. Der daraus abgeleitete NO2-Direktanteil am NOx wird mit den aus HBEFA4.1 berechneten Werten verglichen (siehe Tabelle 1).

Es zeigt sich, dass in den hier vorliegenden Fällen der aus den Immissionsmessdaten abgeleitete NO2-Direktanteil deutlich niedriger liegt, als in HBEFA4.1 angegeben. Die Abweichung beträgt ca. 40% bis 50%. Andere Untersuchungen aus Projekten im Land Brandenburg, Hamburg und Berlin kommen zu ähnlichen Abweichungen (Diegmann 2020).

Tabelle 1: NO2-Direktanteil aus Immissionsmessdaten abgeleitet sowie aus HBEFA4.1

Einfluss des verwendeten NO-NO2-Konversionsmodells

Zur Modellierung der NO-NO2-Konversion wird häufig das vereinfachte Chemiemodell entsprechend Düring et al. (2011) verwendet. Fachliche Diskussionen in den letzten Monaten lassen vermuten, dass dieser Ansatz in Zusammenhang mit HBEFA4.1 zu deutlichen Überschätzungen der NO2-Belastungen führt. Deswegen werden in Abbildung 4 auch die NO2-Gesamtbelastungen beim Einsatz statistischer Konversionsmodelle, hier der Ansatz nach Romberg et al. (1996) sowie nach Bächlin et al. (2008), dargestellt.

Abbildung 4: Mit MISKAM berechnete NO2-Jahresmittelwerte unter Verwendung des Chemiemodells nach Düring et al. (2011) sowie der statistischen Ansätze nach Romberg et. al (1996) sowie Bächlin et al. (2008) für 2015, 2018 und 2019 in 2.6 m über Grund im Vergleich zu den Messwerten. Werte in µg/m³. Quelle: eigene Darstellung

Es zeigt sich, dass:

  • Im Bezugsjahr 2015 zwar die NOx-ZB / NOx-Emission unterschätzt wird (16%), mit dem Chemiemodell der NO2-Messwert aber (leicht) überschätzt wird (4%). Statistische Konversionsmodelle zeigen tendenziell eine NO2-Unterschätzung.
  • In den Bezugsjahren 2018 und 2019 werden mit dem vereinfachten Chemiemodell deutliche Überschätzungen der NO2-Messwerte berechnet, weil die NOx-ZB (NOx-Emission) zu hoch ist (16% bzw. 29%). Die NO-NO2-Konversion im vereinfachten Chemiemodell führt zusätzlich zu einer weiteren Überschätzung in der Gesamtbelastung. Auch die statistischen Konversionsmodelle (Romberg, Bächlin) zeigen NO2-Überschätzungen der Gesamtbelastung, die aber geringer sind als mit dem Chemiemodell

Die Auswertung der NO2-Direktanteile wies darauf hin, dass die wirksamen NO2-Direktanteile des HBEFA4.1 etwa um den Faktor 2 höher sind, als aus Immissionsdaten ableitbar (siehe oben). In der Abbildung 5 werden deshalb für die Messstelle Potsdam Zeppelinstraße die modellierten NO2-Gesamtbelastungen den Messdaten gegenübergestellt, nachdem die NO2-Direktemissionen aus HBEFA4.1 jeweils halbiert werden. Die Tabelle 2 zeigt die sich daraus ergebenden Unterschiede zu den Messdaten.

Es zeigt sich, dass die mit diesem Ansatz im Chemiemodell berechneten NO2-Gesamtbelastungen deutlich näher am Messwert liegen, als wenn die NO2-Direktanteile aus HBEFA4.1 verwendet werden. Die Abweichungen liegen zwischen -7% (2015) und +13% (2019). Die Abweichungen entsprechen etwa denen, wenn man die statistischen Ansätze nach Romberg et al. (1996) oder Bächlin et al (2008) ansetzen würde (Abbildung 5). Die NOx-Konzentrationen sind davon unabhängig.

Abbildung 5: Mit MISKAM berechnete NO2-Jahresmittelwerte unter Verwendung des Chemiemodells nach Düring et al. (2011) mit halbierten NO2-Direktanteile sowie der statistischen Ansätze nach Romberg et al. (1996) sowie Bächlin et al. (2008) für 2015, 2018 und 2019 in 2.6 m über Grund im Vergleich zu den Messwerten. Werte in µg/m³. Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 2: Relative Abweichungen des MISKAM-Rechenwertes nach HBEFA4.1 und NO-NO2-Konversion nach Düring et al. (2011) mit halbierten NO2-Direktanteile von den Messwerten an der Messstelle Potsdam Zeppelinstraße (2.6 m über Grund)

Berechnungsergebnisse Screening versus Detailmodell

Für das Bezugsjahr 2015 ist die Abweichung zwischen Modellrechnung (PRO-KAS/PROKAS_B) und den Messwerten moderat (Überschätzung beim NOx bzw. NO2 um 10% bzw. 23%). Für 2018 liefert die Screeningberechnung deutliche Überschätzungen (ca. +40% in der Gesamtbelastung). Diese Überschätzungen steigern sich 2019 auf ca. +50% in der Gesamtbelastung und liegen damit deutlich höher als in den MISKAM-Berechnungen. Hier ist zu beachten, dass ,,naturgemäß“ Screeningmodelle die Messdaten überschätzen, weil

  • Nicht alle lokalen Einflüsse durch die Vereinfachungen abgebildet werden können und A. die Parametrisierung konservative Ergebnisse liefert.
  • Im vorliegenden Fall der Zeppelinstraße auch die Lage des Messcontainers und Messeinlasses nicht mit dem Immissionsort im Screeningmodell übereinstimmt. So wird in 2.6 m Höhe über Grund gemessen, ausgewertet wird in 5m über Grund. Weiterhin ist z. B. 2018 die der Messstelle gegenüberliegende Fassade höher belastet als die Messstelle. Dieser höhere Wert wird durch PROKAS/PROKAS_B ausgewiesen. Verglichen wird aber mit dem (niedrigeren) Messwert ,,auf der anderen Seite“.

Sollten also Screeningmodelle eingesetzt werden, um die Güte von Emissionsberechnungen zu bewerten, sind diese Unterschiede in der Ergebnisinterpretation zu berücksichtigen.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse der Modellrechnungen zeigten für die Zeppelinstraße in Potsdam auf, dass bei optimaler Datenlage und Anwendung des dreidimensionalen prognostischen Strömungs- und Ausbreitungsmodells MISKAM mit HBEFA4.1 die NOx-Zusatzbelastung für das Jahr 2015 um 16% unterschätzt und für die Jahre 2018 und 2019 um 16% bzw. 29% überschätzt werden. In der NOx-Gesamtbelastung ergab dies Abweichungen zwischen -12% (2015) und +19% (2019). Eine Ursache für die Überschätzungen 2018 und 2019 könnte ggf. in der im HBEFA4.1 nicht vorhandenen Berücksichtigung der Wirkung der freiwilligen Softwareupdates und/oder höherer Wirkungen der verpflichtenden Softwareupdates zu finden sein.

Verwendet man zur Berücksichtigung der NO-NO2-Konversion das vereinfachte Chemiemodell nach Düring et al. (2011) in seinen Standardeinstellungen und unter Nutzung der NO2-Direktemissionsanteile aus HBEFA4.1, dann wird 2015 der NO2-Messwert (leicht) überschätzt (4%). Statistische Konversionsmodelle nach Romberg et al. (1996) bzw. Bächlin et al. (2008) zeigen tendenziell eine NO2-Unterschätzung. In den Bezugsjahren 2018 und 2019 werden mit dem vereinfachten Chemiemodell deutliche Überschätzungen der NO2-Messwerte berechnet, weil die NOx-ZB (NOx-Emission) zu hoch ist (16% bzw. 29%). Die NO-NO2-Konversion im vereinfachten Chemiemodell führt zusätzlich zu einer weiteren Überschätzung in der Gesamtbelastung. Auch die statistischen Konversionsmodelle zeigen NO2-Überschätzungen der Gesamtbelastung, die aber geringer sind als mit dem Chemiemodell berechnet. Es zeigt sich, dass mit einer Halbierung der NO2-Direktemissionsanteile des HBEFA4.1, wie aus Analysen der Immissionsdaten ableitbar, die mit dem Chemiemodell berechneten NO2-Gesamtbelastungen deutlich näher am Messwert liegen. Die Abweichungen liegen bei -7% (2015) und +13% (2019). Die Abweichungen entsprechen etwa denen, wenn man die statistischen Ansätze nach Romberg et al. (1996) oder Bächlin et al. (2008) ansetzen würde. Die NOx-Konzentrationen sind davon unabhängig.

Abschließend wird empfohlen, analoge Betrachtungen an anderen ,,Modellstraßen“ durchzuführen. Insbesondere sollte hier der Fokus auf Fahrzeugflotten mit höheren Diesel-PKW-Anteilen bzw. höheren LKW-Anteilen gelegt werden.

Literatur

Bächlin et al. (2008): Untersuchungen zu Stickstoffdioxid-Konzentrationen, Los 1 Überprüfung der Rombergformel. Ingenieurbüro Lohmeyer GmbH & Co. KG, Karlsruhe. Projekt 60976-04-01. Gutachten im Auftrag von: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen.

Diegmann (2020): Vortrag V. Diegmann zu HBEFA4.1 auf IVU Workshop Luftqualität 2020.

Düring, I., Bächlin, W., Ketzel, M., Baum, A., Friedrich, U., Wurzler, S. (2011): A new simplified NO/NO2 conversion model under consideration of direct NO2-emissions. Meteorologische Zeitschrift, Vol. 20 067-073 (February 2011).

Eichhorn, J. (2005): MISKAM Handbuch zu Version 5.01. Giese-Eichhorn Umweltmeteorologische Software. Wackersheim.

Eichhorn, J. (2014): MISKAM Handbuch zu Version 6.3. Giese-Eichhorn Umweltmeteorologische Software. Wackersheim, April 2014.

Lohmeyer (2017): Handbuch WinMiskam ab Version 2017.5.4. Ingenieurbüro Lohmeyer GmbH & Co. KG, Stand: 01.08.2017.

Lohmeyer (2020): Begleitende Untersuchung zur Maßnahmenumsetzung im Rahmen des Luftreinhalteplans für die Landeshauptstadt Potsdam Ingenieurbüro Lohmeyer GmbH & Co. KG, Radebeul. Projekt 71549-18-10, August 2020. Gutachten im Auftrag von: Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg.

Romberg, E., Bösinger, R., Lohmeyer, A., Ruhnke, R., Röth, E. (1996): NO-NO2-Umwandlungsmodell für die Anwendung bei Immissionsprognosen für Kfz-Abgase. Hrsg.: Gefahrstoffe-Reinhaltung der Luft, Band 56, Heft 6, S. 215-218.

UBA (2019): Handbuch Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs, Version 4.1. (HBEFA 4.1) (aktualisierte Version vom 03.11.2019). Dokumentation zur Version Deutschland erarbeitet durch INFRAS Bern/Schweiz in Zusammenarbeit mit MKC Consulting GmbH und IVT/TU Graz. Hrsg.: Umweltbundesamt Dessau-Roßlau.

VDI (2017): Umweltmeteorologie. Prognostische mikroskalige Windfeldmodelle. Evaluierung für Gebäude- und Hindernisströmung. Richtlinie VDI 3783, Blatt 9. Hrsg.: Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) im VDI und DIN - Normenausschuss, Düsseldorf, Mai 2017.

VDI (2020): Umweltmeteorologie. Kfz-Emissionsbestimmung - Luftbeimengungen. Richtlinie VDI 3782 Blatt 7. Hrsg.: Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) im VDI und DIN - Normenausschuss, Düsseldorf, Mai 2020.