FGSV-Nr. FGSV 002/109
Ort Bergisch Gladbach
Datum 04.03.2015
Titel Luftqualität in größerem Rahmen: Wie und warum der Dieselauto-Boom Luftqualität und Strahlungsbilanz der Atmosphäre beeinflusst
Autoren Prof. Dr. Eckard Helmers
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Solange Elektrofahrzeuge noch nicht im innerörtlichen Verkehr dominieren, wird die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion über die aktuelle Luftqualität wohl weiter von Verkehrsthemen geprägt sein wie seit etwa 20 Jahren: In der Rückschau ist die seit den 1990er Jahren thematisierte Reduktion der treibhausrelevanten Emissionen von Fahrzeugen zu nennen (zusammengefasst in Cames & Helmers, 2013). Zu Beginn der 2000er Jahre fand in Deutschland eine öffentliche Diskussion über Feinstaubemissionen aus Diesel-PKW ohne Partikelfilter statt (z.B. Wichmann, 2004). Seit den 2010er Jahren diskutieren Fachleute über die entgegen manchen Vorhersagen nicht eingetroffene Reduktion der NOx-Immission in deutschen Städten (z.B. Scholz, 2011).

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Einleitung

Solange Elektrofahrzeuge noch nicht im innerörtlichen Verkehr dominieren, wird die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion über die aktuelle Luftqualität wohl weiter von Verkehrsthemen geprägt sein wie seit etwa 20 Jahren: In der Rückschau ist die seit den 1990er Jahren thematisierte Reduktion der treibhausrelevanten Emissionen von Fahrzeugen zu nennen (zusammengefasst in Cames & Helmers, 2013). Zu Beginn der 2000er Jahre fand in Deutschland eine öffentliche Diskussion über Feinstaubemissionen aus Diesel-PKW ohne Partikelfilter statt (z.B. Wichmann, 2004). Seit den 2010er Jahren diskutieren Fachleute über die entgegen manchen Vorhersagen nicht eingetroffene Reduktion der NOx-Immission in deutschen Städten (z.B. Scholz, 2011).

Diese Entwicklungen hängen eng zusammen. Während Diesel-PKW in Japan weitgehend vom Markt genommen wurden und in den USA seit jeher minimale Marktanteile besitzen (Abb. 1), haben EU-Kommission, EU-Mineralölindustrie und europäische Autoindustrie seit den 1990er Jahren effizient das Ziel verfolgt, den Anteil der Diesel-PKW am Neuwagenverkauf zu erhöhen. Dennoch hatte jedes EU-Mitgliedsland die Möglichkeit, durch entsprechende Konfiguration der Steuergesetzgebung diese Entwicklung zu fördern oder zu unterbinden, woraus eine sehr uneinheitliche Verteilung von Diesel-PKW in Europa resultiert (Cames & Helmers, 2013). Deutschland nimmt in der Rückschau eine mittlere Position in der „Dieselisierung“ Europas ein (zusammengefasst in Cames und Helmers, 2013). Zum 1.1.2014 befanden sich allerdings schon sieben Millionen Diesel-PKW mehr auf deutschen Straßen, als es wohl ohne die Vorzugsbehandlung von EU-Kommission und deutsche Mineralölsteuer gewesen wären (Basis: langjähriger Flottenanteil von 14 % Diesel-PKW), siehe Abb. 2.

Abb. 1: Diesel PKW-Zulassungen und –Bestand in Europa, USA und Japan (Cames & Helmers, 2013)

Diesel-PKW-Boom und Strahlungsbilanz der Atmosphäre

Die Hintergründe des Diesel-PKW-Booms sind das eine; die Auswirkungen auf die aktuelle Luftqualität sowie die Strahlungsbilanz der Atmosphäre dauern jedoch fort und sind zu quantifizieren, was teilweise möglich ist. CO2 ist kein Luftqualitätsparameter i.e.S., jedoch ein primäres Minderungsziel aufgrund des Treibhauseffektes. Offensichtlich verursacht durch die selektive Stoffauswahl des Kyoto-Protokolls hat Europa (und damit auch Deutschland) mit dem Dieselauto-Boom versucht, CO2–Emissionen zu reduzieren (Helmers, 2006), während die Strahlungsbilanz aufgrund der Rußemissionen von Diesel-PKW ohne Partikelfilter bis in die Mitte der 2000er Jahre insgesamt deutlich negativ (erwärmend) ausfiel, ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannter Zusammenhang (Abb. 3). „Black carbon“ (BC), ein Bestandteil der Rußemissionen, hat ein bis zu mehrtausendfaches Erwärmungspotential verglichen mit CO2, weswegen sich 100 mg Ruß/km (Euro 2) unter Berücksichtigung des BC-Anteils in 76 g CO2-Äquivalente/km umrechnen lassen (Abb. 3). Diese Zahlen

Abb. 2. Diesel-PKW-Zulassungen und -Bestand in Deutschland. Datenquellen: Kraftfahrtbundesamt. (Neuzulassungen 2009-2011 aus ACEA Pocket Guides)

sind der direkten CO2-Emission von Diesel-PKW hinzuzurechnen. Ohne Partikelfilter waren und sind Diesel-PKW wesentlich klimaschädlicher als vergleichbare mit Benzin betriebene PKW (Abb. 3). Dieser Nachteil wird durch Partikelfilter kompensiert (siehe Cames & Helmers, 2013). Allerdings hat der europäische Diesel-PKW-Boom zu erheblichen Umstellungen in den Raffinerien zugunsten von höherem Mitteldestillat-Ausstoß geführt sowie zu weltweiten Umschichtungen im Treibstoffmarkt. Die Datenlage ist heterogen, aller Wahrscheinlichkeit nach zieht dies jedoch höhere CO2-Kosten innerhalb der Bereitstellungskette nach sich, die die vermeintlichen CO2-Vorteile heutiger Diesel-PKW im europäischen Markt (Abb. 3) weiterhin kompensieren (siehe Cames & Helmers, 2013).

Abb. 3: Direkte CO2-Emissionen von neu zugelassenen PKW zwischen 1995 und 2011 sowie CO2-äquivalente Emissionen durch Ruß (Cames & Helmers, 2013).

Hinzu kommt, dass Partikelfilter nicht über ein ganzes Autoleben hinweg (in Deutschland: 240.000 km) funktionieren. Der Anteil von Fahrzeugen mit Motordefekten im Straßenverkehr ist hoch: Drei Viertel von in Frankreich zufällig aus dem Verkehr gezogenen 168 Diesel-PKW im Alter von 4-12 Jahren wiesen mindestens einen Motordefekt auf (Pillot et al., 2014). Im Falle von Motordefekten eines Diesel-PKWs ist die Funktion des Partikelfilters nicht gesichert, höhere Rußemissionen sind die Folge.

Insgesamt ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der europäische Diesel-PKW-Boom die Atmosphäre nicht abgekühlt hat (Cames & Helmers, 2013).

Diesel-PKW-Boom und Luftqualität (NOx)

Diesel-PKW haben auf die Luftqualität (NOx, Feinstaub) trotz Weiterentwicklung der Abgasreinigung weiterhin erhebliche Auswirkungen. Dies liegt einerseits an der Diskrepanz der EU-Emissionsstandards der verschiedenen Motortechniken (Diesel-PKW sind auch unter Euro 6 noch höhere NOx-Emissionen als Benzin-PKW gestattet), vor allem aber an Diskrepanz zwischen laborgestützten (NEFZ) und Real-Emissionen, die aktuell von der ICCT (2014) abgeschätzt wurde: Von 15 untersuchten Fahrzeugen mit Euro 6-Zulassung hielt nur eines den Euro 6-Grenzwert auch im Praxisbetrieb ein, durchschnittlich wurden 7,1fach höhere NOx-Emissionen als nach Euro 6 erlaubt gemessen (ICCT, 2014). Die Abweichungen gegenüber Euro 6 betrugen bis zum 25,4fachen (ICCT, 2014). Cames & Helmers (2013) kommen ebenfalls zum Schluss, dass NOx-Emissionen von Diesel-PKW bis zum Faktor 20 unterschätzt werden. Die bisher umfangreichste publizierte Studie von Carslaw et al. (2011) berücksichtigt über 80.000 Messdaten aus dem Londoner Verkehr und kommen nach ICCT (2014) zum Schluss, dass die effektiven Emissionen von 1 g NOx/km (gemessen zur Zeit der Euro 3-Grenzwerte) lediglich auf 0,6 g NOx/km gesunken sind, 3x höher als nach dem Euro 5-Grenzwert erlaubt. Dagegen unterschreiten Benzin-PKW nach Carslaw et al. (2011) ihre erlaubten NOx-Emissionen. Aktuelle Daten von Carslaw (2014) zeigen, dass Diesel-PKW-Emissionen in den Jahren 2012/2013 mit durchschnittlich 4,6 g NO2/kg Treibstoff ein Maximum erreicht haben und um den Faktor 18-20 höher als parallel gemessene NO2-Emissionen von Benzin-PKW waren. Während die zugelassenen Emissionen von Diesel-PKW (in g NOx/kg Treibstoff) seit 1992 fünfmal von der EU-Kommission gesenkt wurden, stiegen sie in der Realität von 1992 bis zum Jahr 2000 an, sanken sodann bis zum Jahr 2005 und stagnieren seitdem auf einem Niveau, dass noch über dem von 1992 liegt (Carslaw, 2014).

Die öffentliche Wahrnehmung der NOx-Emissionen ist jedoch, jedenfalls in Deutschland, eine andere. Sie wird geprägt durch zahllose von Behörden veröffentlichte Graphiken, die einen fortlaufenden Rückgang der NOx-Emissionen seit 1990 zeigen. Offensichtlich basieren diese primär auf den wesentlich niedrigeren Zulassungsdaten (s.o.) bzw. den Euro-Grenzwerten. Messwerte werden auch veröffentlicht; oft ist jedoch in nichtwissenschaftlichen Publikationen kaum oder gar nicht erkennbar, ob es sich jeweils um Modelldaten oder um Messwerte handelt. Die Entwickler von Modellen geben selber oft eine Unterschätzung ihrer Modelle für Emissionsdaten an, so die Betreiber von TREMOVE 17-19 % Unterschätzung von NOx-Emissionen (siehe Cames & Helmers, 2013). Ehlers (2014) nennt 2-3fache Unterschätzung der NOx-Hintergrundkonzentrationen in ländlichen Gebieten durch das Modell EURAD-IM, bestätigt tw. für GAINS von Kiesewetter et al. (2014). Aus Literaturangaben ergab sich eine Unterschätzung der deutschen verkehrlichen NOx-Emissionen durch das nationale TREMOD-Modell von 36 % für das Jahr 2007 (Helmers, 2010).

Zur von etlichen Autoren beklagten Unterschätzung der Modelldaten tritt in der Wirkung möglicherweise noch die Diskrepanz zwischen NEFZ- und realen NOx-Emissionen (s.o.).

Insgesamt emittiert offenbar jeder Diesel-PKW bis zu 20mal mehr NOx als ein benzinbetriebenes Fahrzeug. Der millionenfache Austausch von benzinbetriebenen PKW durch Dieselfahrzeuge in Deutschland und Europa muss daher zu einer erheblichen zusätzlichen NOx-Anreicherung in der Umwelt führen.

Allein die 4,4 Millionen Diesel-PKW, die zum 1.1.2008 bereits gegenüber dem langjährigen Mittel (Maßstab: bis 1995) zusätzlich auf die deutschen Straßen gebracht wurden, waren im Jahr 2007 für etwa 4 % der gesamten verkehrlichen NOx-Emissionen oder, anders gerechnet, für rund 1,5 % der gesamten NOx-Emissionen Deutschlands verantwortlich (Helmers, 2010). Diese zusätzlichen Emissionen konzentrieren sich in der Wirkung auf die stark befahrenen Straßen.

Zitierte Literatur

M. Cames, E. Helmers (2013). Critical evaluation of the European diesel car boom - global comparison, environmental effects and various national strategies. Environmental Sciences Europe (ESEU) 25:15 (22 pages); http://www.enveurope.com/content/pdf/2190-4715-25-15.pdf

D. Carslaw (2014). NOx and NO2 emissions from European vehicles – Current and future impacts. Vortrag auf dem VDI-Expert Forum: Atmospheric Chemistry – NMVOCs, NOx, O3, and the EU Thematic Strategy on Air Pollution. Bonn, 19. + 20.11.2014

C. Ehlers (2014). Mobile measurements of NO and NO2 levels – results from tunnel studies and comparison with results of EURAD-IM. Vortrag auf dem VDI-Expert Forum: Atmospheric Chemistry – NMVOCs, NOx, O3, and the EU Thematic Strategy on Air Pollution. Bonn, 19.+20.11.2014

E. Helmers (2006). Hintergründe des Dieselbooms - Folgen einer 'CO2-First'-Politik. UWSF - Z. Umweltchem Ökotox 18(1) 3-4

E. Helmers (2010). Bewertung der Umwelteffizienz moderner Autoantriebe - auf dem Weg vom Diesel-PKW-Boom zu Elektroautos. Umweltwiss. Schadst. Forsch. 22: 564-578

ICCT (Intern. Council on Clean Transportation), 2014. Real-world exhaust emissions from modern diesel cars. A meta-analysis of PEMS emission data from EU (Euro 6) and US diesel passenger cars.
http://www.theicct.org/ sites/default/files/publications/ICCT_PEMS-study_diesel-cars_20141010.pdf

G. Kiesewetter, J. Borken-Kleefeld, W. Schöpp, C. Heyes, P. Thunis, B. Bessagnet, E. Terrenoire, A. Gsella, and M. Amann (2014). Modelling NO 2 concentrations at the street level in the GAINS integrated assessment model: projections under current legislation. Atmos. Chem. Phys., 14, 813–829

D. Pillot, A. Legrand-Tiger, E. Thirapounho, P. Tassel, P. Perret (2014). Impacts of inadequate engine maintenance on diesel exhaust emissions. Transport Research Arena 2014, Paris.
http://trid.trb.org/view.aspx?id=1327854

W. Scholz (2011). Emissionen und Minderungspotenziale im Verkehrsbereich. Was bringt Tempo 30 und wie stark wird Euro 6 die NO 2 -Emissionen im Realbetrieb senken? Fachgespräch Verkehrsemissionen am 21.7.2011. State of Baden-Wuerttemberg: Environmental Protection Agency. 2011.
http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/207995/Vortrag_
SCHOLZ_Thematische_Einfuehrung_21072011  .

H.-E. Wichmann (2004): Positive gesundheitliche Auswirkungen des Einsatzes von Partikelfiltern bei Dieselfahrzeugen - Risikoabschätzung für die Mortalität in Deutschland. Umweltmed Forsch Prax 9 2004(2):85 – 99.