FGSV-Nr. FGSV 002/134
Ort Weimar
Datum 05.05.2022
Titel § 13 Klimaschutzgesetz bei der Planfeststellung – Praxisbeispiele Teil 2
Autoren Ingmari Mahnke
Kategorien Landschaftstagung
Einleitung

§ 13 Klimaschutzgesetz bei der Planfeststellung – Praxisbeispiele

Teil 2

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5   Bericht aus der Praxis in Mecklenburg-Vorpommern

Das KSG ist mit Einführung und Neufassung/Änderung vom 18. August 2021 nach der wegweisenden Entscheidung des BVerfG 1 BvR 2656/18 ohne Übergangsregelungen, wie sie in anderen Gesetzen üblich sind, anzuwenden. Dies betrifft auch laufende Verfahren, selbst wenn sie kurz vor Abschluss durch einen Planfeststellungsbeschluss stehen. Diese Rechtslage fand im Land Mecklenburg-Vorpommern in dem hier folgenden Praxisbeispiel mit weitreichenden Folgen für das Vorhaben seine erste Anwendung.

Praxisfallbeispiel

Im Jahr 2015 wurde ein Planfeststellungsbeschluss für den ersten Abschnitt eines Neubaus einer Ortsumfahrung, Projekt aus BVWP, planfestgestellt. Der Planfeststellungsbeschluss ist beklagt worden und die sofortige Vollziehbarkeit wurde mittels Eilbeschluss ausgesetzt.

Über ein ergänzendes Verfahren wurden Fehler in der UVP korrigiert; zugleich wurden Planänderungen und Planergänzungen vorgenommen. Die Planänderung nach Planfeststellung betrifft u. a. die Wahl der Gründungstechnologie. In der Variantenwahl zur Herleitung der Vorzugstrasse für die Planfeststellung lagen zwei denkbare Lösungen in der Wertung diverser Aspekte (Streckenlänge, Umweltbelange, Wirtschaftlichkeit usw.) nach Planaufstellung des Vorhabenträgers (VHT) nahezu gleich auf, keine drängt sich auf.

Die vom Vorhabenträger herausgearbeitete und 2015 planfestgestellte Vorzugsvariante durchläuft hochsensibles Niedermoor; die Alternativvariante dagegen streift dieses nur randlich (weil auf am Niedermoor angrenzenden höheren Gelände).

Bautechnologisch sah der Vorhabenträger für die planfestgestellte Vorzugsvariante einen Bodenaustausch des Niedermoorbodens in erheblichen Größenordnungen (Streckenlänge von > 1 km; Kronenbreite 11 m; Moorkörpertiefe bis zu 7 m) vor. Für die Alternativtrasse wäre kein Bodenaustausch erforderlich, weil diese sich außerhalb des Moorbodenkörpers befindet. Durch die mit dem Aushub des nichttragfähigen organischen Bodens unterhalb des Grundwasserspiegels einhergehende Entwässerung des Aushubbodens, die mit der vorhabenträgerseitig dargestellten Lösung zur Herstellung tragfähigen Baugrundes in der Niederung in der Vorzugsvariante vorgestellt wird, wird eine Degradierung des Torfes und die damit verbundene CO2-Emission ausgelöst. Eine CO2-emissionsfreie Moorbodenaushub- und Verwertungstechnologie ist in der Antragsunterlage nicht beschrieben bzw. nicht vorgesehen. Zudem war keine Vermeidungsmaßnahme vorgesehen. Mit diesen Planunterlagen wurde das ergänzende Planänderungs- und ergänzungsverfahren durchgeführt.

Einwendungen wurde hinsichtlich des Schutzgutes Bodens für die planfestgestellte Variante durchaus vorgetragen, allerdings nicht eindeutig bezogen auf den Klimaschutz. Diese Einwendungen wurden allerdings ebenfalls bereits 2019 vorgebracht. Die Planfeststellungsbehörde hat sich in Ermangelung von Vorgaben, Leitfäden, Handreichungen oder Empfehlungen zu Grenzwerten und in einem Raum ohne mathematisch belastbarer Rechtsprechung mit helfenden Ansätzen zum Schutzgut Klima zur Bewertung des Sachverhaltes zunächst auf die Zusammenhänge des Schutzgutes Boden/Schutzgut Fläche in der angetroffenen Form des als hoch wertvoll eingestuften Niedermoorbodens gestützt. Zur Verfügung standen die naturwissenschaftlichen Allgemeingrundsätze zur CO2-Speicherungsfähigkeit von Moorböden und den Effekten der Freisetzung von Klimagasen beim Ausheben von Moorboden. Eine Kopplung auch aus der R UVP Arbeitshilfe stellt Bezüge von Schutzgütern zum Klima her.

Das Klimaschutzziel wurde im Beispielsfall in der UVP zunächst im Kontext mit dem Moorbodenschutz bewertet. Der geplante Bodenaustausch mit Herausnehmen des Niedermoorbodens steht dem Erhaltungsgrundsatz der Nationalen Moorschutzstrategie und des Moorschutzkonzeptes MV, das in der Projektion bzw. im Mit-Maßnahmen-Szenario des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung als „Sowieso“-Maßnahme enthalten ist, entgegen.

Die Annäherung fand also quasi über die Wechselwirkung mit dem Schutzgut Boden statt. Die Planfeststellungsbehörde kommt schon auf diesem Wege im Zuge der Durchführung der UVP zum Schluss, dass die gewählte Gründungsart mittels Bodenaustausch (statt möglicher, in frühere Planungsphase auch gewählter und planfestgestellter Vorlastschüttung zur Konsolidierung des Baugrundes) zur Gründung des Straßenkörpers als erhebliche nachteilige Auswirkung des Vorhabens auf die Schutzgüter Boden und Klima verbleibt. Die UVP hinterlässt somit ein schwierig zu bewältigendes Problem für die Zulassung des Vorhabens; es bleiben erheblich nachteilige Umweltauswirkungen des Vorhabens. Die Vorzugsvariante des Vorhabenträgers, die nahezu gleichauf mit der genannten anderen Variante, die ohne Niedermoorbodenaustausch ausgekommen wäre, liegt, drängte sich nach dieser Erkenntnis wegen des Gesichtspunktes in der UVP nicht mehr auf.

Mit der hinzugekommenen o. g. BVerfG-Entscheidung und der danach in den Fokus gerückten Beachtung des KSG mit der Neuformulierung im Sommer 2021 und der ausgebliebenen Übergangsregelung trat für die Planfeststellungsbehörde ein „neues“ Instrument auf den Plan. Das Vorhaben wurde der Prüfung des KSG unmittelbar unterworfen.

Die Planfeststellungsbehörde befand nach Prüfung der Gründungstechnologie im unmittelbaren Kontext des § 13 KSG, dass die vorgestellte Vorzugsvariante nicht zulassungsfähig ist.

§ 13 KSG ist auch im Land MV unmittelbar anzuwenden. Die Ziele des KSG sind zu berücksichtigen.

Die Vorbildfunktion gilt für alle Träger von öffentlichen Aufgaben (§ 13 Abs. 1 KSG). Das ist bundesrechtlich so vorgesehen, vergl. Amtliche Begründung KSG BT-Drucksache 19/14337.

Dem Land MV fehlt es an einem eigenen Klimaschutzgesetz. Über die gesetzlich vorgegebene Vorbildfunktion ist es in der Anwendung der Ziele und Vorgaben des KSG gehalten, entsprechend zu handeln.

Eine Maßgabe des KSG, wenn auch zunächst direkt adressiert an den Bund, ergibt sich (u. a.) aus § 13 Abs. 2 KSG. Diese Maßgabe kann in Ermangelung anderslautender landesrechtlicher Vorgaben über die Vorbildfunktion für das Land herangezogen und als Maßstab des eigenen Handelns genutzt werden. Bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen ist in Anwendung des KSG also zu prüfen, wie damit zum Erreichen der nationalen Klimaschutzziele nach § 3 KSG beigetragen werden kann. Kommen mehrere Realisierungsmöglichkeiten in Frage, dann ist in Abwägung mit anderen relevanten Kriterien derjenigen Maßnahme der Vorzug zu geben, mit der das Ziel der Minderung von Treibhausgasemissionen (über den gesamten Lebenszyklus der Maßnahme zu den geringsten Kosten) erreicht werden kann.

In einem dieser Maßgabe entsprechenden Sachverhalt befand sich das Verfahren für das berichtete Praxisbeispiel.

Die sich abzeichnende Situation, dass die vorgestellte Planlösung des geänderten Vorhabens einen Rückweisungsbeschluss erhalten könnte, wurde dem Vorhabenträger in Aussicht gestellt, da der Planfeststellungsbehörde eine andere, zumutbare und bereits planfestgestellte Baugründungstechnologie bekannt war. Die bereits in früherem Verfahrensstadium geplante (und planfestgestellte) Vorlastschüttung stellte eine Gründungsvariante ohne Erhöhung der Treibhausgasemission dar. Sie ist also geeignete Gründungsvariante.

Nach Ansicht der Planfeststellungsbehörde würde außerdem die Erteilung einer Auflage zur Änderung der Baugründungstechnologie nicht den Anforderungen an die Anwendung des § 13 Abs. 2 KSG gerecht werden. Die Ausübung des Ermessens in der Abwägung ist n. A. der Planfeststellungsbehörde reduziert, wenn das Ziel der Minderung der Treibhausgasemissionen mit einer zumutbaren Realisierungsmöglichkeit erreichbar ist (§ 13 Abs. 2 S. 2 KSG).

Das hatte im Verfahren die Konsequenz, dass der VHT für die Baugründung seiner Vorzugsvariante eine den Zielen des Klimaschutzes angepasste Lösung in Form einer Umplanung

„zurück“ zur Gründungsvariante mit Vorlastschüttung ankündigte und aktuell eine Planänderung betreibt.

6  Praxisüberlegungen zur Aufbereitung des Klimaschutzes in der Vorhabenzulassung

6.1  Fragen zur Ermittlungspflicht und praktischer Möglichkeit auf planerischer Ebene

Die Auswirkungen eines Vorhabens und seiner Genehmigungsentscheidung (Planfeststellungsbeschluss) auf den Klimaschutz sind zu ermitteln.

Die Planunterlage als Grundlage im gesamten Zulassungsverfahren muss dem Auftrag gerecht werden, natürlich mit ihren ganzen Vorplanungsphasen. Als erster ist also der Vorhabenträger in der Planungsphase gefragt.

Die gedankliche Zielstellung des Vorhabenträgers sollte dabei sein, nachzuweisen, dass das Vorhaben den Vorgaben des KSG entspricht. Die Anforderungen dafür sind mehrstufig.

6.1.1 Grundsätzliche Klimaverträglichkeit des Vorhabens

Es ist in der ersten Stufe darzustellen, ob es überhaupt Auswirkungen auf den Klimaschutz geben könnte (Klimaverträglichkeit/Klimaneutralität). Bei Verkehrsinfrastrukturvorhaben wie Straßen(neu)bau ist hier mit größter Sicherheit immer ein Nein zur Klimaneutralität zu erwarten, so dass es zur detaillierteren Analyse kommen wird.

Genauer werden muss es also bei der Frage, wie wahrscheinlich es zum Klimarisiko durch Erhöhung von Treibhausgasen kommen kann, und was zur Verringerung von Emissionen beitragen kann.

Der Vorhabenträger sollte daher zuerst die für die Umsetzung des Vorhabens in Ansatz zu bringenden CO2-Emissionen nennen und summieren.

6.1.2 Treibhausgasemissionen des Lebenszyklus

Hier sind zum einen die Treibhausgasemissionen des Verkehrs relevant – dazu später mehr – , aber auch die den Treibhausgasemissionen zuzuordnenden Emissionen, die für den Bau der Straße (und ihrer zugehörigen Anlagen) sowie der Anlage als solcher und deren Unterhaltung als weitere Bestandteile des Lebenszyklus des Vorhabens zu betrachten. Eine Art Definition des sogenannten Lebenszyklus findet man bei Mottschall und Bergmann (UBA, 2015).

Auch die jeweils mittelbaren Effekte des Vorhabens sind nach meinem Dafürhalten einzubeziehen, also solche Fragen wie Auswirkungen des Transports oder der Erneuerbarkeit von eingesetzten Ressourcen oder deren Entsorgung nach Ende der Nutzungsdauer oder bei Instandsetzungsmaßnahmen (vergl. Schink „Das Berücksichtigungsgebot des § 13 KSG“). Alles zusammen bildet erst den Lebenszyklus des Vorhabens ab.

Diese Angaben gehen über das hinaus, was ein Vorhabenträger in seine Planunterlagen üblicherweise aufnimmt; die Auswahl etwa der Deckschicht einer Straße wird gerade nicht kommuniziert, allerdings deswegen nicht, weil es im Zuge des Vergabeverfahrens eventuelle auf andere Materialien hinausläuft, deren Anwendung dann grundsätzlich ein Planänderungsverfahren bedeuten würde. Der Vorhabenträger sollte für die Vergaben grundsätzlich frei sein.

An dieser Gemengelage zwischen Entwurfsplanung für den Planfeststellungsbeschluss und Ausführungsplanung/Vergabeverfahren stoßen Fragen aufeinander, die im KSG miteinander verwoben sind und bei denen sich die Grenzziehung sicherlich noch durch Praxis und mit fortgeschrittener Zeit auch Rechtsprechung herausstellen wird. Es stehen sich hier die Fragen für die Planung klimaschonendster Lösung in der Planfeststellungsunterlage, die nach dem KSG für den gesamten Lebenszyklus gerecht werden muss, sowie die Vergabeentscheidung nach der Zulassung, die einem gesonderten Verfahren und ebenfalls dem KSG und seinen Zielen unterworfen ist, gegenüber. Wer nun die letztendliche Hoheit für klimarelevante Vorgaben hat, ist zu beobachten. Die Fallkonstellation liegt sicherlich sehr nahe, dass eine Vorhabenzulassung möglich ist, wenn, wie vom VHT zuvor ermittelt (und dann von der Planfeststellungsbehörde als zutreffend erkannt) wird, bestimmte Vorgaben zur Erreichung der klimagünstigsten Lösung beachtet werden, die aber im Grunde erst im Vergabeverfahren garantiert werden können. Als Beispiel dient die Möglichkeit, vorzugeben, dass kein Beton als Baustoff für die Deckschicht zulässig ist. Das wird in der Regel den Bietern überlassen.

6.1.3  Landnutzungsänderung

Auch die Klimarelevanz durch Veränderung des Bodens durch das Vorhaben ist in der Unterlage darzustellen, da sich mit dem Überbauen und Versiegeln zwangsläufig Veränderungen einstellen, die Auswirkungen auf das Klima haben.

Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die Klimabilanz über die reine Flächenbilanz hinaus ausgeweitet werden darf (und wieder in Vergabeverfahren hineinreichen können).

Zum Beispiel die Überlegung, auch im o. g. Praxisfall, dass beim Bodenausbau des Niedermoorbodens nur eine Verwertung des Aushubmaterials durch sofortigen unmittelbaren Wiedereinbau im nassen Bereich erfolgt. Üblicherweise wird in der Vergabe die Verwertung des Bodens dem Auftragnehmer anheimgestellt, gegebenenfalls mit Entsorgungsnachweis als Maximalforderung.

Oder die Frage der CO2-Bilanz eines für das Vorhaben notwendigen Waldeinschlags gewonnenes Holz nur in einer Form weiterverwendet werden darf, in der die CO2-Speicherung garantiert ist (also es keiner Verbrennung zugeführt werden darf).

6.1.4  Umfang der Auswirkungen des Vorhabens

In der weiteren Stufe ist der Umfang der Auswirkungen des Vorhabens mit den eingestellten Arten der möglichen Auslöser und deren Parametern zu ermitteln, um das Klimarisiko bewerten zu können. Darzustellen sind relevante geeignete Anpassungs- bzw. Gegenmaßnahmen (i. S. v. Vermeidungsmaßnahmen) über Kompensationsmaßnahmen bis hin zu Aussagen zum Erfordernis der regelmäßigen Überwachung und Weiterverfolgung kritischer Annahmen bzgl. des (zukünftigen) Klimawandels und der Haltbarkeit der Maßnahmen mit dem der unionsweiten und nationalen (auch regionalen) Strategie zur Anpassung an den Klimawandel.

Das ist schwer exakt berechenbar. Als Berechnungshilfe gibt es die CO2-Orientierungswerte des BMVI 2016 für die Lebenszyklusemissionen (allerdings nur für Vorhaben des BVWP), damit etwas in Zahlen fassbar wird. Zusätzlich lassen sich für die Änderung der Landnutzung Orientierungswerte bezogen auf Bodenqualitäten und darauf befindlichen Biotoptypen beim UBA finden.

6.1.5  Unterlagen für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)

Neben der unmittelbaren Anwendung des KSG für die Erstellung der Unterlage greift für das Klima zusätzlich das UVPG.

Seit 2017 ist das globale Klima als Schutzgut im UVP-Bericht zu betrachten. Eine Dokumentation muss bei den Vorhaben erfolgen, bei denen das neue UVPG Anwendung findet.

Wie die Belange des KSG in die Planunterlage i. ü. Eingang finden, wurde oben bereits überlegt; eine Vorgabe zur Erstellung eines Klimaschutzfachbeitrages ist nicht zwingend notwendig und hat sich jedenfalls in MV auch noch nicht etabliert. Die Planfeststellungsbehörde gibt aktuell im Einzelfall Empfehlungen zur Aufbereitung der Unterlagen.

6.1.6  Leitlinien, Hilfestellungen

Die EU-Kommission hat mit den „Technischen Leitlinien für die Sicherung der Klimaverträglichkeit von Infrastrukturen im Zeitraum 2021 bis 2027“ Hilfen herausgegeben. Die Leitlinien richten sich in erster Linie an Projektträger und Fachleute bei der Ausarbeitung von Infrastrukturprojekten. Sie werden aber auch als „nützliches Referenzdokument für die Planfeststellungsbehörde“ herangezogen.

Dort finden sich u. a. die Anforderungen an die Erarbeitung der genannten Stufen zur Sicherung der Klimaverträglichkeit des Vorhabens.

Im Anhang B finden sich Empfehlungen für die Dokumentation der Sicherung der Klimaverträglichkeit; im Anhang D sind Ausführungen zur Sicherung der Klimaverträglichkeit in der UVP ausgeführt.

Die Beispiele für Schlüsselfragen zum Klimaschutz in der UVP sind z. B. Orientierungshilfe für die Planfeststellungsbehörde bei der Zulassung des Vorhabens.

Zur Bewältigung der daraus resultierenden Anforderungen in der Praxis wurde bereits in Mecklenburg-Vorpommern die Erstellung einer Arbeitshilfe für Vorhabenträger zur Erstellung eines Fachbeitrags Klimaschutz für Straßenbauvorhaben in Mecklenburg-Vorpommern in Auftrag gegeben sowie der Arbeitskreis 2.9.9 der FGSV „Klimaschutz in der UVP“ gegründet. In letzterem sollen auch rechtliche Fragen und das methodische Vorgehen zum § 13 KSG Inhalte sein.

Außerdem haben einige Länder für die Vorhabenträger Mustertexte für die Aufbereitung der Klimaschutzbelange herausgegeben.

Allen diesen Papieren ist gemein, dass sie sich in der Rechtsprechung sicher noch werden bewähren müssen.

6.2  Fragen zur Regelungsmöglichkeit in der Planfeststellung den gesamten Lebenszyklus des Straßenbauvorhabens betreffend

6.2.1  Bau und Anlage als solche

Mit Bau der Strecke und etwaiger Bauwerke und Nebenanlagen des Projektes werden klimarelevante Fragen zur Entscheidungsfindung eröffnet. Sie sind in den Lebenszyklus des Vorhabens und in die Änderung der Landnutzung zu subsumieren.

§ 13 KSG begründet für die Planfeststellungsbehörde das Gebot, Klimaschutzbelange in die Abwägung mit einzubeziehen.

6.2.1.1  Planrechtfertigung

Die Klimaverträglichkeit des Vorhabens spielt in die Planrechtfertigungsprüfung, die Variantenwahl und die Abwägung im Einzelnen hinein.

Die Planrechtfertigung dürfte hinsichtlich der Aspekte Bau und Anlage im Kontext zur Klimaverträglichkeit kaum vertieft betroffen sein, da die Anteile der THG-Emissionen aus Bau und Anlage im Lebenszyklus nur untergeordnete prozentuale Anteile ausmachen (etwa 10 bis 20 % der THG eines Vorhabens).

Die Faktoren für die THG sind schon im Zusammenhang mit der Erstellung der Planunterlage durch den Vorhabenträger genannt.

6.2.1.2  Variantenwahl

In der Variantenwahl kann über § 13 KSG die Vorzugsvariante deutlich und entscheidend begründet werden, siehe Beispielsfall aus der Praxis.

6.2.1.3 Abwägung, Auflagen

Im Abwägungsprozess kommt das schon mehrfach angesprochene Grenzthema der Klimaschutzfragen als Teil der Planung und seiner Zulassung oder/und als Teil der Ausschreibung/ Vergabe.

Diese Grenzfrage ereilt erst recht die Planfeststellungsbehörde, da diese dann in der Regel mittels Auflagen dem Vorhabenträger in der Planunterlage fehlende Regelungen zum Schutz des Klimas oder zur möglichen Minderungen erheblicher Klimanachteile aufgeben könnte. Außerdem ist vor allem sie als Entscheidungsbehörde gemäß § 13 Abs. 1 KSG gefragt und zum vorbildlichen Handeln aufgefordert. Sie muss sich vom KSG erst recht leiten lassen, da es ihr Planfeststellungsbeschluss ist, der der Öffentlichkeit vorgelegt wird.

Es ist für die Zulassungsbehörde also ein wichtiger Prüfungspunkt, inwieweit sie für den Klimaschutz in das Vorhaben „eingreifen“ darf, indem sie Lösungsansätze aus wahrscheinlich dem Vergabeverfahren üblicherweise zugeordneten Fragen/Vorgaben in die Abwägung mit einstellt und etwa mittels Auflagen beeinflusst.

Bis dato die Planfeststellung Vorgaben zum Baustoff, etwa bestimmter Asphalte mit erhöhter Lärmminderungswirkung, festlegen, um so artenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, beispielweise zur Verkleinerung von Effektdistanzen für lärmempfindliche Vogelarten auf der Straße angrenzenden Flächen.

Darf sie das auch wegen der günstigen CO2-Bilanz des Baustoffs Asphalt im Vergleich zu etwa Beton etwas mit in die Zulassungsentscheidung aufnehmen?

Darf vorgegeben werden, wie weit maximal die Anlieferungsstrecken (und Abfuhrstrecken für aufgenommenes Bodenmaterial) sein dürfen bzw. werden diese Bauandienungsstrecken analog des Betriebs der Anlage dem Lebenszyklus zugerechnet?

Sind Vorgaben zur Weiterverwendung von eingeschlagenem Holz bei Waldinanspruchnahmen rechtmäßig? (Landnutzungsänderung)

Wie weit darf in solchen Fragen die Zulassungsbehörde gehen? Werden über den Begriff des Lebenszyklus des Vorhabens und seiner Veränderung der Landnutzung die Entscheidungsräume der Planfeststellungsbehörde erweitert?

Da der Klimaschutz als Umweltbelang ein abwägungsrelevanter Aspekt in der Planfeststellung ist, und die Vorgaben über § 13 KSG eindeutig sind, halte ich den erweiterten Vorgriff in Regelungsbereiche, die man üblicherweise in andere Verfahren schiebt, für zwingend erforderlich und gerechtfertigt. Das wird durch das KSG insofern gestärkt, als dieses zum einen ohne jeder noch so kurzer Übergangsregelung unmittelbar in jeder Entscheidung anzuwenden ist. Damit hat der Gesetzgeber dem Klimaschutz hohe Bedeutung zugewiesen. Zum anderen, dass § 13 Abs. 2 S. 2 KSG für alle Fälle, in denen Möglichkeiten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zumutbar möglich sind, das Ermessen reduziert. Es sind die greifbaren Möglichkeiten einer jeden Behördenentscheidung (zwingend anzuwenden durch Bundesbehörden, über die Vorbildvorgabe im Grunde für alle übrigen Behörden als Orientierung für die Auslegung) den gesamten Lebenszyklus betreffend gemeint.

In jedem Einzelfall ist der Abwägungsvorgang durch die Planfeststellungsbehörde also gefragt.

Wie weit sich jeweils ein Planfeststellungsbeschluss rechtssicher hervorwagen kann, um mit solchen Mitteln wie Auflagen zur Holzverwertung oder zum Baumaterial das Vorhaben im Kontext des KSG mit meistmöglichen Mitteln der Reduktion von Treibhausgasemission das Vorhaben klimaverträglich zulässig zu machen, wird zukünftig v. a. durch die Rechtsprechung zu entwickeln sein. Erst daran wird sich bemessen lassen, ob die aktuell in Aufstellung befindlichen diversen Arbeitshilfen und Musterpapiere belastbar sind.

Da jedoch häufig lange auf Rechtsprechung gewartet werden muss, wäre es weitaus wirksamer, wenn sich die Politik mit klaren Vorgaben zu den Instrumenten äußert, um die jeweils handelnden Stellen nicht so allein zu lassen!

Auch der Politik sind mit den Politischen Papieren („Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung“) der Teilberichte des Weltklimarates die Vorgaben in die Hand gegeben worden und sie ist als erste voran zum Handeln verpflichtet.

6.2.2  Verkehr/Betrieb der Anlage

Betrieb auf der Straße, also der Verkehr, ist das Klimathema, das sich bezüglich Straßenbau stets als erstes aufdrängt und als das größte Problem der Anlage betrachtet wird. Das spiegelt sich auch in den Zuweisungen der Budgets in den Verkehrssektor – in Abgrenzung zu den klimarelevanten Anteilen einer Anlage durch ihren Bau und ihrer Anlage als solcher – wieder.

Die Budgets sind in Anlage 2 zu § 4 KSG jahresmengengenau festgelegt.

Die Emissionen sind im Verhältnis zur Streckenlänge zurechenbar; einbezogen werden hier auch geographische Bedingungen wie Steigungen (Handbuch für Emissionsfaktoren; HBEFA).

Diese Vorgabe ist dem Vorhabenträger und der Planfeststellungsbehörde also zugänglich und somit in der Abwägungsbetrachtung als messbare Größe einstellbar. Anhand solcher Daten lassen sich streckenbezogen schnell treibhausgasemissionsgünstigste Varianten auswerfen.

Die Treibhausgasemissionen des Verkehrs spielen genau wie die Fragen der Klimaverträglichkeit des Baus und der Anlage in die genannten Prüfschritte in der Planfeststellung hinein.

6.2.2.1  Planrechtfertigung

Vorhaben des BVWP sind von Gesetzes wegen über das FStrAbÄndG plangerechtfertigt.

Grundsätzlich darf sich die Planfeststellungsbehörde für solche Vorhaben auf die gesetzlich vorgegebene Planrechtfertigung verlassen und es darauf beruhen lassen, dass das dort geführte Vorhaben nach allen Belangen dem übergeordneten öffentlichen Interesse entspricht, damit also die Klimaverträglichkeit betreffend inbegriffen.

Es stellt sich dennoch die nicht klar beantwortbare Frage, inwieweit die dort eingestellten Vorhaben Vorgaben des KSG tatsächlich als eingepreist mitbringen können, wie gerne behauptet wird. Der BVWP ist 2016 aufgestellt, als es das KSG noch gar nicht gegeben hat.

Inwieweit über das Methodenhandbuch wirklich eindeutig die für ein Vorhaben berechneten Emissionen aus Betrieb errechnet sind, bleibt nebulös.

Über das HBEFA sind Emissionskenngrößen jedoch nachrechenbar und insofern sollte auch ein Projekt des BVWP danach gegengeprüft werden, um die Klimawirkung und somit die Abzüge aus dem vorhandenen Budget benennen und bewerten zu können.

Die betriebsbedingten Emissionen auf allen übrigen Straßenbauvorhaben außer denen des BVWP sind damit noch nicht erfasst. Hier müsste aus Gründen der Konsistenz methodisch gleich wie an die Vorhaben des BVWP herangegangen werden.

6.2.2.2  Variantenwahl

Wie sich die klimagünstigste Variante im Übrigen wegen der Wichtung im Kontext mit anderen Aspekten des Vorhabens und im Kontext zur Planrechtfertigung auswirkt, ist dann im Fortlaufen unserer Zeit sicher dynamisch zu bewerten Die Wichtung des Klimaschutzes verändert sich mit immer größerem Gewicht zu Gunsten dieses Aspektes, je knapper das zugestandene Budget der Anlage des KSG wird und je deutlicher und enger die den Rahmen bestimmenden Grundlagen werden sowie der Klimawandel voranschreitet.

Der erst kürzlich herausgegebene Sechste IPCC-Sachstandsbericht (AR6) Beitrag von Arbeitsgruppe III „Minderung des Klimawandels“ (Internationaler Klimaschutzrat) im Februar 2022 stellt im Fazit fest, dass ein das Klima überhaupt noch erfolgreich rettendes Handeln JETZT erforderlich ist und in maximal den nächsten zehn Jahren in allen Lebensbereichen – auch im Fachplanungsrecht – noch überhaupt Handlungsmöglichkeiten bestehen.

Auf Planfeststellungsdeutsch heißt das nach meinem Verständnis, dass ab in zehn Jahren das Ermessen auf Null reduziert ist und allein der Belang Klimaschutz alle anderen Belange überwiegen könnte.

Eine gegenteilige Auffassung lässt sich nicht finden, der Teilbericht 3 des Weltklimarates ist nicht angezweifelt, sondern vielmehr durch die Regierungen angenommen worden.

Es dürfte auch zu erwarten sein, dass die Budgets des KSG angepasst werden und zwar in Form niedriger angesetzter Verbrauchszahlen, wie es bereits mit der ersten Änderung des KSG von 2019 zu 2021 geschehen ist.

Mit dieser Beobachtung darf sich die Planfeststellungsbehörde auch nur bedingt auf die Budgetzahlen für den Verkehr auf der von ihr zuzulassenden Straße zurückziehen.

6.2.2.3  Abwägung und Auflagen

Im Abwägungsprozess zwischen diversen Belangen entstehen häufig Fallkonstellationen, die mittels eine Auflage durch die Planfeststellungsbehörde im Beschluss Konflikten regelnd begegnen.

Auch schon vor dem aktuellen „neuen“ Thema Klimaschutz gab es verkehrsbedingte Aspekte, die für die Vorhabenzulassung relevant waren, aber einem nachfolgenden von der Planfeststellung getrennten Verfahren vorbehalten sind, etwa notwendig erscheinenden Anordnungen von verkehrsrechtlichen Regelungen. Hier darf der Planfeststellungsbeschluss nur regelnd etwas „vorweg“ nehmen, wenn das Vorhaben ohne diese Regelung nicht rechtmäßig zulässig wäre, etwa Geschwindigkeitsreduktion wegen nächtlicher Lärmgrenzwertüberschreitungen oder zur Sicherstellung artenschutzrechtlicher Belange.

Darf sie das im Planfeststellungsbeschluss ab sofort auch zur Erreichung einer besseren Klimabilanz des Verkehrs auf dem Vorhaben?

6.2.3  Umweltverträglichkeitsprüfung

In der UVP als in die Planfeststellungsentscheidung eingebettete Prüfung wird im Zuge der Bewertung der Angaben aus dem Umweltbericht festgestellt, ob und inwieweit das Schutzgut Klima auch im globalen Kontext erheblich nachteilige Auswirkungen erfährt.

Verbleibende nachteilige Umweltauswirkungen sind planerisch und in der Zulassungsentscheidung zu lösen. Hier wird auf das zuvor Gesagte verwiesen.

7  Resumee

Fest steht, dass die Zulassung diverser Vorhaben sehr streng zu betrachten ist, damit nicht in Kürze folgendes Szenario entsteht, das i. Ü. eine steile These eines erst kürzlich emeritierten sehr aktiven BVerwG-Richters aus einem Verkehrsinfrastruktursenat darstellt, das an prominenter Stelle platziert wurde:

„Wir brauchen Fachplanung FÜR Klimaschutz, nicht Klimaschutz IN DER Fachplanung“.

Die Quintessenz dieser eindrucksvollen These wäre genaugenommen, dass nichts mehr zugelassen werden darf, weil immer klimaschädliche Immissionen entstehen. Man darf angesichts der mit dem aktuellsten Teilbericht des IPCC als Zulassungsbehörde sicherlich schon seit Frühjahr 2022 dem Klimaschutz höhere Wichtung zuordnen, auch wenn es schwierig erscheint.

Da keine Orientierung aus der Rechtsprechung vorhanden ist, die sich individuellen Lösungen für die Erreichung der Klimaschutzzielvorgaben entgegenstellen, sollte hier im Grunde Mut bewiesen werden, ausführliche Argumentationslinien müssen intensiv gesucht und gefunden werden, um für die späteren Generationen zumutbare Zulassungen zu schaffen.

So manches Wagnis z. B. bei Auflagen, darf, ja muss vielleicht sogar eingegangen werden. Denn jeder Vertreter der öffentlichen Verwaltung ist über die gesetzlich aufgegebene Vorbildfunktion des § 13 KSG dazu verpflichtet.

Hier geht der klare Appell an die Politik und die Entscheidungsträger in den zuständigen Ressorts der Bundesregierung, den Aufträgen aus dem Handout für die Politik des 3. Teilberichtes des Weltklimarates wie dort gemeinsam festgestellt und beschlossen, SOFORT zu handeln und konkret für die Infrastrukturvorhaben u.s. als erstes den BVWP unter den neuen Vorgaben und Erkenntnissen zu überprüfen. Auch weiterführende Vorschriften zur rechtssicheren und effizienten Umsetzung der Vorgaben des KSG sind dringend erwünscht. Nicht nur die Bundesebene ist gefragt, auch etliche Länder haben sich noch kein eigenes KSG gegeben.

Bis regelnde Vorgaben vorliegen, ist die Planfeststellungsbehörde also auf der Stufe der konkreten Vorhabenzulassung gehalten, die Instrumente spielen lassen, die das Vorhaben konkret-individuell so klimaschonend wie möglich macht.

Aber auch hier gilt, dass die Kreativität, so sehr sie auch gefordert ist, der Rechtsprechung standhalten muss.

Es gilt die Maxime:

JETZT und ALLE

Literaturverzeichnis

Deutscher Bundestag, Berlin 2019; BRatDrs. 19/14337 und 19/30230

Europäische Kommission Bekanntmachung, Brüssel 2021 „Technische Leitlinien für die Sicherung der Klimaverträglichkeit von Infrastrukturen im Zeitraum 2021 – 2027“

Frau Dr. Franziska Heß, Vortrag 24. Speyer Planungsrechtstage „Die Belange des Klimaschutzes in der Fachplanung“

Prof. Dr. Alexander Schink, NuR 2021,43, 4 „Das Berücksichtigungsgebot des § 13 KSG“

Frau Prof. Dr. Sabine Schlacke/ Dominik Römling, DVBl 2021, 144 „Neue Herausforderungen der gerichtlichen Kontrolle von Plänen unter besonderer Berücksichtigung des KSG“

Expertengruppe Planfeststellung und Umweltrecht 2021, Protokoll 36. Sitzung

Landesamt für Straßenbau und Verkehr MV, Dez 27, Rostock 2021, Entwurf Ad-hoc-Arbeitshilfe Klimaschutz

Mottschall & Bergmann, UBA 2015 AK THG durch Infrastruktur und Fahrzeuge des Straßen-, Schienen- und Luftverkehrs und Binnenschifffahrt in Deutschland, Arbeitspapier 4 „Weiterentwicklung des Analyseinstrumentes renewability,“

Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle | DLR Projektträger 4.4.2022 Sechster IPCC-Sachstandsbericht (AR6); Beitrag von Arbeitsgruppe III: „Minderung des Klimawandels“;

HBEFA 4.2, Januar 2022, Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs