FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel RABT 2010? – Perspektiven für die Sicherheit in Straßentunneln
Autoren Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Baltzer
Kategorien Kongress
Einleitung

Durch neue Ideen und technische Innovationen lässt sich auch unter Beachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses die Sicherheit für die Tunnelnutzer weiter steigern. Es ist zu erwarten, dass sich z.B. erhebliche Änderungen in der Lüftungs- und Entrauchungstechnik, in der Kommunikationstechnik, in der Fluchtwegkennzeichnung, in den Detektionsmöglichkeiten und in der Fahrerbeeinflussung ergeben werden. In mittellangen Tunneln könnten Be- und Entlüftungsanlagen überflüssig werden und für den Brandfall durch automatische Lösch- und Sprühanlagen ersetzt werden. Ebenso lässt die Weiterentwicklung der Videotechnik erwarten, dass zukünftig auf fast alle anderen Detektoren verzichtet werden kann. Mit Hilfe solcher Detektionsmöglichkeiten ist es dann auch denkbar, die Fluchtwegkennzeichnung zu dynamisieren, so dass jederzeit die optimale Fluchtrichtung angezeigt werden könnte. Durch die Weiterentwicklung der Standortkennung von Fahrzeugen und Mobiltelefonen könnte vielleicht auf das herkömmliche Notrufsystem verzichtet werden; teure bauliche Vorkehrungen, wie die begehbaren Notrufnischen, könnten dann entfallen.

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1 Einleitung

In Deutschland sind derzeit ca. 295 Tunnel mit einer Gesamtlänge von ungefähr 230 km in Betrieb. Ca. 60 weitere Kilometer sind im Bau und weitere 100 km sollen demnächst in Angriff genommen werden. Die Zahlen verdeutlichen, dass im Straßennetz bereits eine beträchtliche Anzahl von Tunneln vorhanden ist, die in Zukunft weiter stark ansteigen wird, wobei die Tendenz zu immer längeren Tunneln geht. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach der Sicherheit der Tunnelnutzer und deren mögliche Steigerung immer mehr an Bedeutung, insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes.

Veranlasst durch die letzten schweren Brandkatastrophen und den damit verbundenen nationalen und internationalen Aktivitäten ist im März 2003 eine überarbeitete Fassung der Richtlinie für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT 2003) [1], die im Kontext zur Richtlinie 2004/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestanforderungen an die Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Straßennetz [2] steht, durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen veröffentlicht worden. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat die Obersten Straßenbaubehörden der Länder gebeten, im Bereich der Bundesfernstraßen nach diesen Richtlinien zu verfahren. Die Richtlinien sollen ebenfalls für Veränderungen, Erneuerungen und Instandsetzungen an vorhandenen Straßentunneln gelten.

Die Richtlinien spiegeln grundsätzlich nur die derzeitigen Erkenntnisse wider; trotzdem müssen sie für neue Entwicklungen offen sein, da stets das Ziel vor Augen bleibt, die Sicherheit der Tunnelnutzer zu verbessern. Durch neue Ideen und technische Innovationen lässt sich die Sicherheit für die Tunnelnutzer weiter steigern, was jedoch in der Regel mit steigenden Investitionskosten und höheren laufenden Kosten verbunden ist. Wesentliches Kriterium wird daher in Zukunft auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis sein. Neue Entwicklungen sind vor allem dann interessant, wenn die Sicherheit verbessert werden kann, ohne dass Kostensteigerungen entstehen. Das heißt, dass neue Technik vorhandene ersetzen muss und nicht zusätzlich eingebaut wird.

2 Sicherheit in Straßentunneln

2.1 Sicherheitsphilosophie

Der Betreiber eines Tunnels muss dafür Sorge tragen, dass bei Zwischenfällen, die durch ein liegen gebliebenes Fahrzeug, durch einen Unfall oder durch einen Brand verursacht sind, zum einen den Tunnelnutzern ausreichende Möglichkeiten zur Selbsthilfe bzw. Selbstrettung gegeben sind und zum anderen auch eine Fremdhilfe bzw. eine Fremdrettung ohne nicht einzuschätzende Risiken erfolgen kann. Maßgebend für das Sicherheitskonzept ist der Zeitablauf vom Eintreten bis zum Beheben des Ereignisses. Allgemein kann die Zeitkette folgendermaßen beschrieben werden:

  • Eintritt des Ereignisses
  • Detektion des Ereignisses
  • Meldung an Einsatzkräfte
  • Ankunft der Einsatzkräfte
  • Einsatz der Einsatzkräfte
  • Behebung des Ereignisses

Je nach Ereignis ist die Dauer der Zeitkette unterschiedlich ausgeprägt. Bei einem Brandszenario beträgt die Zeit zwischen Eintritt des Ereignisses und dem Einsatz der Einsatzkräfte in der Regel über 10 Minuten. Da aber gerade die ersten Minuten entscheidend für die Sicherheit der Tunnelnutzer sind, ist die Sicherheitsphilosophie primär auf das Ziel des Personenschutzes in der Selbstrettungsphase auszulegen und erst sekundär auf die Fremdrettungsphase und den Bautenschutz. Um die Sicherheit der Tunnelnutzer vor allem in der Selbstrettungsphase zu gewährleisten, sind umfangreiche technische Einrichtungen sowie bauliche Vorkehrungen im Tunnel erforderlich.

2.2 Risikobetrachtung

Brandkatastrophen, wie sie sich im Jahre 1999 im Mont-Blanc-Tunnel und im Tauerntunnel und im Jahr 2001 im Gotthardtunnel mit Verletzten, Toten und enormen Sachschäden ereignet haben, zeigen, dass es eine 100%ige Sicherheit nicht gibt. Dies gilt auch für Deutschland. Wir akzeptieren bei Straßentunneln, wie auch in allen anderen Lebensbereichen, ein so genanntes Restrisiko. Welche Höhe des Restrisikos nun akzeptiert wird, ist eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz (Bild 1).

Bild 1: Schadenhäufigkeits-/Schadenausmaßdiagramm

Im Fall 1 des Bildes 1 werden mit Hilfe der technischen und baulichen Einrichtungen nur häufige Vorkommnisse mit geringeren Schadenausmaßen abgedeckt; im Fall 2 hingegen auch die sehr seltenen mit sehr hohen Schadenausmaßen. Je weiter man sich nun in Richtung des Falles 2 bewegt, umso höher werden natürlich die Aufwendungen im Investitions- sowie im Unterhaltungsbereich. Das gewünschte Sicherheitsniveau ist nicht definiert. Beurteilungskriterien gibt es bisher nur in der Schweiz und in den Niederlanden bezüglich des Risikos Gefahrguttransporte. So sind z.B. in der schweizerischen Störfallverordnung für Verkehrswege [3] drei Bereiche definiert (Bild 2):

Bild 2: Bewertung der Risiken nach schweizerischen Beurteilungskriterien am Beispiel der BAB A 17 bei Dresden [4]

  • Bereich der tragbaren Risiken: Liegt die Summenkurve vollständig im Bereich links unter der Begrenzungslinie, so werden die Risiken akzeptiert
  • Übergangsbereich: Liegt die Summenkurve teilweise im Übergangsbereich, müssen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit geprüft und gegebenenfalls realisiert werden
  • Bereich der nicht akzeptablen Risiken: Liegt die Summenkurve teilweise im Bereich der nicht akzeptablen Risiken, müssen zwingend zusätzliche Maßnahmen getroffen werden, um die Risiken so weit zu senken, dass die Summenkurve zumindest in dem Übergangsbereich zu liegen kommt.

Obwohl es in Deutschland weder verbindliche Methoden zur Risikoberechnung für Straßentunnel noch Grenzwerte für die Risikoakzeptanz gibt, geht man davon aus, dass durch den in der neuen RABT vorgeschriebenen Mindeststandard der Personenschutz für die Szenarien Verkehrsüberlastung, Liegenbleiber, Unfall und Brand gewährleistet ist, wobei im Brandfall nur das Szenario ein oder zwei Pkw brennen oder ein Lkw ohne besonders gefährliche Ladung, abgedeckt sein werden.

3 Sicherheitsstandard gemäß RABT 2003

3.1 Technische und bauliche Festlegungen

Im Bild 3 sind die technischen und baulichen Einrichtungen, die entsprechend der RABT 2003 in deutschen Straßentunneln eingesetzt werden sollen, zusammengestellt.

Bild 3: Ausstattungselemente für den Personenschutz

Die Be- und Entlüftungsanlagen sorgen für ausreichende Luftverhältnisse. Sie müssen in der Lage sein, Rauch, Wärme und toxische Gase aus den Tunneln abzuführen, ohne den Nutzer zu gefährden. Die Beleuchtungsanlage soll dazu dienen, ausreichende Sichtverhältnisse für die Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten und im Brandfall möglichst lange eine Orientierung für die Nutzer und die Einsatzkräfte der Ereignisdienste zu ermöglichen. Über die Verkehrsbeeinflussungseinrichtung werden dem Autofahrer durch Ver- und Gebotszeichen Verhaltensvorschriften angezeigt, die zum einen eine sichere Tunneldurchfahrt gewährleisten und zum anderen im Katastrophenfall mit Hilfe einer Sperranlage die Nutzung unterbinden. Kommunikationseinrichtungen wie Notrufstationen, Funkanlagen, Videoüberwachung und Lautsprecheranlagen haben die Aufgabe, sowohl eine Verständigung zwischen dem Nutzer und dem Betreiber zu ermöglichen als auch schnelle Lagebeurteilungen und Optimierung von Einsätzen durchführen zu können. Der wesentliche Zweck der baulichen Einrichtungen ist in der Bereitstellung ausreichender Flucht- und Rettungswege für die Phase der Selbstrettung zu sehen.

Damit ergeben sich gegenüber der RABT 1994 folgende wesentliche Änderungen, die der Erfüllung der Zielformulierung dienen:

  • Erhöhung des Tunnelbeleuchtungsniveaus bei größerem Unfallrisiko
  • Anordnung und Verkürzung der Abstände der Notausgänge für alle Tunnel unabhängig vom Lüftungssystem
  • Kapazitätserweiterung der Lüftungsanlage durch Erhöhung der anzusetzenden Brandlast und Rauchgasmenge
  • Steigerung der Effizienz des Rauchabzugs durch steuerbare Klappen
  • Einschränkung des Einsatzbereiches für die Längslüftung
  • Verdichtung der Kommunikationseinrichtungen
  • Einrichtung einer lückenlosen Videoüberwachung für alle Tunnel ab 400 m Länge
  • Gewährleistung des Funkverkehrs für alle Ereignisdienste in allen Tunneln
  • Verbesserung der Orientierungsbeleuchtung und der Fluchtwegkennzeichnung im Brandfall
  • Vorsehen von Löscheinrichtungen für Tunnel ab 400 m Länge
  • Erweiterung der verkehrstechnischen Ausstattung, insbesondere für die Sperrmöglichkeit der Tunnel
  • Aufstellen verbindlicher Einsatz- und Sicherheitskonzepte
  • Betriebsdienst über 24 Stunden.

3.2 Kosten der betriebstechnischen Ausstattung

Ingenieurbauwerke im Verkehrsnetz und dort insbesondere Tunnel sind mit hohen Investitionskosten verbunden. Für einen zweistreifigen Tunnel in bergmännischer Bauweise mit mittlerem Schwierigkeitsgrad muss mit Gesamtbaukosten von ca. 20.000,– €/m gerechnet werden. Ein nicht unerheblicher Anteil entfällt davon auf die technische Ausstattung, der mit ca. 15 bis 20 % der Gesamtkosten anzusetzen ist. Im Bild 4 sind die Kosten der technischen Ausstattung eines ca. 1000 m langen Gegenverkehrstunnel entsprechend der einzelnen Gewerke zusammengestellt. Die Gesamtsumme beläuft sich auf 4,2 Mio €. Hiervon entfallen als wesentliche Anteile ca. 23 % auf die Belüftungsanlagen, 16 % auf die Energieversorgung, 14 % auf die Beleuchtungsanlage, 13 % auf den Tunnelfunk, 8 % auf die Verkehrsbeeinflussungsanlagen und 5 % auf die Videoüberwachung.

Bild 4: Investitionskosten der technischen Ausstattung für einen 1000 m langen Gegenverkehrstunnel

Neben den Investitionskosten fallen auch Betriebs- sowie Unterhaltungs- und Erhaltungskosten an. Als mittlerer Wert kann hier ein Betrag von 180.000,– €/km und Tunnelröhre angesetzt werden, die die öffentlichen Haushalte jährlich belasten.

4 Fortentwicklung der sicherheitstechnischen Ausstattung

Anhand von Entwicklungen, die im Rahmen von derzeit laufenden oder vor der Vergabe stehenden Forschungsvorhaben erarbeitet werden, soll im Folgenden an einigen Beispielen die Innovation in der Sicherheitstechnik dargestellt und die Auswirkungen auf die technische Ausstattung der Straßentunnel aufgezeigt werden.

4.1 Detektion

Um einen sicheren Verkehrsablauf in einem Straßentunnel gewährleisten zu können, sind zur Überwachung und Steuerung der technischen Ausstattung und des Verkehrs die Erhebung einer Vielzahl von Messgrößen erforderlich. Zu diesem Zweck werden zurzeit verschiedene Detektoren eingesetzt. So sind zum Beispiel für die Lüftersteuerung alleine fünf unterschiedliche Messgeräte im Einsatz mit denen die erforderlichen Messwerte erhoben werden. Hierzu zählen die CO- und NOx-Messung, die Sichttrübungsbestimmung, die Ermittlung der Tunnelluftlängsgeschwindigkeit und der Luftrichtung sowie die Überprüfung der absoluten Lufttemperatur und des Temperaturanstieges.

Eine erhebliche Verbesserung der Detektion wird durch den Einsatz der digitalen Bildauswertung mit Hilfe der Videoüberwachung erwartet. Diese Methodik erlaubt derzeit die Detektion verschiedener Verkehrszustände wie z.B. Langsamfahrer, Falschfahrer, liegen gebliebene Fahrzeuge, Belegung von Seitenstreifen und Pannenbuchten oder von Personen auf der Fahrbahn. Über eine Bewertung und Auswertung der Verkehrszustände ist es möglich, zeitnah verkehrsregelnd über die Verkehrsbeeinflussungsanlagen in den Verkehr einzugreifen sowie über Einsprechmöglichkeiten in den Verkehrsfunk und über die Durchsageanlage gezielt Verhaltenshinweise an die Tunnelnutzer zu geben und so das Gefährdungspotenzial zu reduzieren.

Neben der Detektion der Verkehrszustände ist mit der digitalen Bildauswertung auch die Brand- und Raucherkennung möglich, die in [5] im Vergleich zu herkömmlichen Brandmeldesystemen getestet worden sind. Auf Grund der Auswertung dieser Versuchsreihen kann als Ergebnis festgehalten werden, dass in den untersuchten Fällen die digitale Bildauswertung gegenüber den bisherigen Systemen Vorteile in der Schnelligkeit der Situationserkennung aufweisen. Die Zeiten bis zur definitiven Erkennung von Rauch oder Feuer sind in den meisten Fällen kürzer als bei den Linienmeldern aber in keinem Fall länger. Brände können so in der Frühphase erkannt werden, ehe der Vollbrand erreicht wird. Damit verlängert sich die Zeitspanne für die Selbstrettung und auch der Eingriffszeitpunkt der Rettungskräfte für die Fremdrettung und die Brandbekämpfung kann vorverlegt werden. Durch diese beiden Aspekte wird die Sicherheit der Tunnelnutzer gesteigert.

Bei Einsatz der digitalen Bildauswertung könnte letztlich auf den Linienmelder verzichtet werden. Ebenso scheint es möglich zu sein, über die erhobenen Verkehrsdaten durch Analogieschlüsse die Qualität der Luft abschätzen zu können, so dass auf CO- und Sichttrübungsmessgeräte verzichtet bzw. zumindest ihre Anzahl erheblich reduziert werden könnte. Bis zu dieser Entscheidung sind jedoch einige Punkte genauer abzuklären. Hierzu zählen z.B. die Definition der Anforderung an die Fehlergenauigkeit des gesamten Systems (Kamera, Auswertung, Übertragung), die Frage der allenfalls erforderlichen Redundanz der Anlage sowie die Angabe zur erforderlichen Anzahl der Kameras in Abhängigkeit von den Montagemöglichkeiten und der Betriebsart des Tunnels (Richtungsverkehr oder Gegenverkehr), um z.B. Verschattungsprobleme weitestgehend auszuschließen.

4.2 Kommunikationstechnik

Die Sicherheit für den Tunnelnutzer hängt im Wesentlichen von der schnellen Lagebeurteilung durch das überwachende Personal und die rechtzeitige Einleitung von Steuerungsmaßnahmen ab. Um keine Zeit und keine Informationen zu verlieren sind gerade im Brandfall die Daten- und Videobildübertragung in Echtzeit erforderlich. Insbesondere für die Videobildübertragung müssen Netzwerke mit sehr hoher Netzkapazität zur Verfügung stehen. Die erforderliche Datenmenge wird durch den gewünschten Detaillierungsgrad und die durch die Kamera zur Verfügung gestellte Auflösung bestimmt. Je nach Übertragungsverfahren ergeben sich Bandbreiten von 19,8 Mbit/s beim CIF-Bildformat bis zu 259,2 Mbit/s beim PAL-Bildformat unter der Voraussetzung, dass 25 Bilder je Sekunde zu übertragen sind. Die Übertragung dieser Datenmengen lässt sich nicht mehr wirtschaftlich ohne Kompressionsverfahren bewältigen. Bei den Kompressionsverfahren ist jedoch zwischen verlustfreien und verlustbehafteten Systemen zu unterscheiden, wobei für die Tunnelsteuerung nur verlustfreie Verfahren zum Einsatz kommen können. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass bei dem gewählten Netzwerk jederzeit unabhängig von anderen Nutzungen die erforderliche Bandbreite zur Verfügung steht. Ansonsten könnte es zu Verlusten von Datenpaketen kommen und Fehler in der Darstellung auftreten. Zur Erfüllung der gestellten Anforderungen hinsichtlich zu übertragender Datenmenge und Echtzeit scheint derzeit im öffentlichen Datennetz die ATM-Kommunikation ein zweckmäßiger Kompromiss zu sein (Bild 5), da sie eine Bandbreite im Megabitbereich mit einer Verzögerung von bis zu einer Sekunde gewährleistet.

Bild 5: Einordnung verschiedener Übertragungsstandards über die Bandbreite und deren zeitliche Verzögerung [6]

Wie der Aufbau einer Fernübertragung von Videosequenzen über ein öffentliches Breitbandnetz zwischen einer Betriebszentrale eines Tunnels und einer Tunnelleitzentrale aussehen könnte, zeigt das Bild 6.

Bild 6: Fernübertragung von Videosequenzen mit Breitbandkommunikationsnetz [6]

4.3 Fluchtwegkennzeichnung

Die Fluchtwegkennzeichnung soll dem Tunnelnutzer im Ereignisfall die erforderlichen Informationen zur Selbstrettung übermitteln. Sie muss daher begreifbar, verständlich und eindeutig sein. Unter diesen Voraussetzungen und den derzeit gegebenen Möglichkeiten einer Brandortung und einer Abschätzung der Brandentwicklung werden Fluchtwegpiktogramme im Abstand von maximal 25 m in ca. 1 m Höhe an der Tunnelwand angeordnet. Auf dem Piktogramm sind das fliehende Männchen sowie Richtungs- und Entfernungsangaben zu den nächstgelegenen Notausgängen rechts und links des Piktogramms dargestellt [7].

Eine flüchtende Person muss während des Erkennungsprozesses des Hinweisschildes eine eigenständige Entscheidung treffen, welche Fluchtrichtung denn nun die richtige Richtung darstellt; die kürzere (100 m) nach rechts, die vielleicht zum Brand führt oder die längere (200 m) nach links, die vielleicht die Rettung bedeutet.

Ziel einer Weiterentwicklung ist es daher, diesen Entscheidungsprozess dem Flüchtenden abzunehmen, das heißt, dass ihm die richtige Richtung angezeigt wird. Die Fluchtwegkennzeichnung muss dynamisiert werden. Dies sollte in Zusammenhang mit einer genauen Detektion, wie sie im Abschnitt 4.1 beschrieben ist, möglich sein. In Abhängigkeit von der genauen Lokalisierung des Brandherdes sowie einer Feststellung der Ausbreitungsrichtung des Rauches, ist auf dem Piktogramm und allenfalls einer ergänzenden Leiteinrichtung die optimale Fluchtrichtung anzuzeigen. Eine mögliche ergänzende Fluchtwegmarkierung zeigt das Bild 7. Durch die wegfallende Entscheidung durch den Nutzer werden wertvolle Sekunden für die Flucht gewonnen.

Bild 7: Dynamische ergänzende Fluchtwegmarkierung (Beispiel)

4.4 Brandbekämpfung

Hohe Temperaturen und dichter Rauch behindern in der Regel bei einem Brand in einem Tunnel zum einen die Flucht in der Selbstrettungsphase und zum anderen die Einsatzmöglichkeiten für die Rettungskräfte. Brandbekämpfungsanlagen müssen daher das Ziel verfolgen, diese Randbedingungen zu verbessern. Vielversprechend scheinen hier die in letzter Zeit für den Tunneleinsatz spezifizierten Wassernebelsprühanlagen zu sein. Bei diesen Verfahren werden durch Druck feinste Wassertröpfchen erzeugt, über deren große Oberfläche die Temperatur der Luft reduziert, die Rauchgase gebunden und ausgewaschen und die Brandleistung vermindert werden können. Je nach Tröpfchengröße stehen die Temperaturreduzierung und Rauchgasbindung oder die Reduzierung der Brandleistung im Vordergrund. Alle Verfahren befinden sich in der Phase der Weiterentwicklung, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz bei höheren Brandleistungen im Bereich von 100 MW und größer.

Beispielhaft für diese Systeme wird hier ein Verfahren erläutert, dessen Priorität in der Rauchgasbindung und -auswaschung sowie der Temperaturreduzierung liegt. Bei diesem System sind Sprühbögen [8] mit einem speziellen System von Wasservernebelungsdüsen bestückt. Diese sind in gleichmäßigen Abständen über den Tunnelquerschnitt installiert und an die vorhandene Löschwasserversorgung angeschlossen (Bild 8). Das System arbeitet im Niederdruckbereich mit feinsten Wassertröpfchen. Die Auslösung dieser Anlage kann automatisch oder von Hand über eine vorhandene Brandmeldetechnik und auch durch eine Gasanalyse der über die Sprühbögen angesaugten Tunnelluft erfolgen. Die einzelnen Bauteile lassen sich wie folgt beschreiben:

Bild 8: Wassernebelanlage mit Sprühbögen [8]

  • Sprühbögen Abstand ca. 25 bis 30 m
  • Durchmesser der Sprühbögen 2 Zoll
  • Leitungsdruck 6 bis 8 bar
  • Wassermenge ca. 400 Liter pro Minute je Bogen
  • Düsen etwa alle 30 cm in unterschiedlicher Ausrichtung
  • Größe der Wassertröpfchen 100 bis 150 cm.

Am Selzthaltunnel in Österreich wurde im Mai 2000 das System für kleine Brandleistungen geprüft [9]. Bei der Detektion des Brandes sind drei Sprühbögen aktiviert worden; einer in Windrichtung gesehen vor, die anderen beiden direkt hinter dem Brandort. Durch den Sprühnebel sind folgende Ergebnisse erzielt worden:

  • Sichtbarkeit der Rauchzone zwischen 40 und 60 m
  • keine Reizung der Atemwege
  • Senkung der Temperaturen in 5 Entfernungen von 100 auf 20 Grad C°
  • Gleich bleibender Sauerstoffgehalt
  • Senkung des CO-Gehaltes infolge verbesserter Verbrennung
  • CO2-Reduzierung um ca. 25 %.

In zusätzlichen Versuchen ist bei diesem System wie auch bei den anderen Verfahren, die mit Wassernebel arbeiten, auszutesten, ob auch größere Brandleistungen bis hin zum Lkw-Brand beherrschbar sind. Des Weiteren ist auch zurzeit die Frage der Toxizität der Tunnelluft in Abhängigkeit von der Art des abbrennenden Materials noch nicht geklärt.

Funktionieren diese Anlagen auch bei größeren Bränden (Atembarkeit der Luft, ausreichende Sichtbarkeit im Rauch), könnte der Einsatz dazu führen, dass die Tunnellüftungsanlagen auf einen wesentlich kleineren Volumenstrom bemessen werden könnten und auch die Frage nach Fluchtausgängen bzw. zumindest deren Abstand neu überdacht werden müsste. Eine Kostenneutralität der Anlage bei wesentlicher Steigerung der Sicherheit könnte erreicht werden.

4.5 Gefahrenabwehrplan

Erstmals ist in den RABT 2003 [1] im Abschnitt 0.4 ein Gesamtsicherheitskonzept und im Abschnitt 3.2 die Erstellung eines Gefahrenabwehrplanes gefordert. Sieht man sich die vorliegenden Ausarbeitungen hierzu an und erkennt man die Vielfalt der möglichen Interpretationen, was unter einem Gesamtsicherheitssystem und einem Gefahrenabwehrplan verstanden werden kann, so wird deutlich, dass hier Handlungsbedarf besteht, um einheitliche Unterlagen für die Beteiligten, insbesondere im Hinblick auf die Tunnelleitzentralen, zu erhalten. Nordrhein-Westfalen ist einen vorbildlichen Weg gegangen. Über eine Projektgruppe NW-Tunnel werden für sämtliche Bundesfern- und Landestraßentunnel in NRW einheitliche Vorgaben zur Tunnelsicherheit erarbeitet und Musterpläne aufgestellt, die eine einheitliche Handhabung durch alle für die Sicherheit der Nutzer Zuständigen ermöglichen. Für die RABT 2010 werden die Anforderungen näher spezifiziert werden, um einheitliche Unterlagen entsprechend den Beispielen in den Bildern 9 und 10 zu erhalten.

Bild 9: Brandfallszenario Tiergartentunnel Berlin, Lüftungsteuerung [11]

Bild 10: Meldewege der Beteiligten bei Schadenstufe 3 (Unfall) – Tiergartentunnel Berlin [11]

5 Ausblick

Im Rahmen der Innovationen auf den technischen Gebieten werden sich auch Weiterentwicklungen für die „Technische Ausstattung“ in Straßentunneln ergeben, die zu einer Steigerung der Sicherheit für den Tunnelnutzer und das Personal der Betriebs- und Rettungsdienste führen werden. Da die Straßentunnel in Deutschland allgemein einen hohen Sicherheitsstandard aufweisen, sind weitere Steigerungen des Niveaus mit erheblichen Aufwendungen verbunden. Auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage der öffentlichen Haushalte ist daher ein besonderer Abwägungsprozesses geboten. Neue Techniken sollten daher nur dann Verwendung finden, wenn deren Eignung für alle Belange nachgewiesen ist (z. B. Funktionalität, Dauerfestigkeit) und ein „Quantensprung“ im Sicherheitsstandard erreicht wird. Des Weiteren sollten durch innovative Techniken bisherige Festlegungen revidiert werden können, um so eine weit gehende Kostenneutralität der Sicherheitssteigerung zu erreichen. Für die betroffenen Bürger ist es besser, einen Tunnel mit hohem Sicherheitsstandard zu erhalten als auf einen Tunnel mit sehr hohem Sicherheitsstandard ein Leben lang zu warten. Die im Abschnitt 4 aufgezeigten Möglichkeiten weisen den mittelfristigen Weg in die Zukunft; der langfristige Weg wird aber in der Fahrerbeeinflussung mit direkter Information des Nutzers und bei Bedarf auch direktem Eingriff in das Fahrzeugmanagement liegen.

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln, Ausgabe 2003 (RABT 2003), Köln 2003
  2. Richtlinie 2004/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestanforderungen an die Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Straßennetz, Brüssel, 4.2004
  3. Schweizerisches Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft: Beurteilungskriterien II zur Störfallverordnung: StFV: Richtlinien für Verkehrswege, August 2001
  4. Baltzer; Riepe; Locher; Zulauf: Risikoanalyse zum Transport gefährlicher Güter auf der BAB A 17, Autobahnamt Sachsen, September 2004
  5. STUVA: Vergleichende Untersuchung herkömmlicher Störfall- und Brandmeldesysteme mit neuen digitalen Auswertesystemen auf ihre Eignung zur schnelleren und sicheren Detektion von Stör- und Brandfällen in Straßentunneln (FA 3.344)
  6. Mayer: Videodetektion – Stand der Anwendung; Fachvorträge zum Kolloquium Sicherheitsanforderungen an Planung, Bau und Betrieb von Straßentunneln, Bundesanstalt für Straßenwesen, 5.10.2004
  7. Baltzer; Riepe; Barleon; Steinnauer; Mayer; Zimmermann; Becher: Ausgestaltung von Brand-Notbeleuchtung und Leitsystemen zur Fluchtwegkennzeichnung in Straßentunneln, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 892, Juni 2004
  8. Kretschmar: Brandschutz-Technologiezentrum GmbH, Firmenprospekt „Sprühbögen“
  9. Pischinger; Pucher; Sturm: Brandversuche Selzthaltunnel, Unveröffentlichter Bericht zu Feldversuchen im Mai 2000, 19.12.2000
  10. Projektgruppe NW-Tunnel: Arbeitspapiere und Dokumentation zur Tunnelnachrüstung in Nordrhein-Westfalen, MVEL NRW, 2002 ff
  11. Baltzer; Riepe: Gefahrenabwehrplan Tiergartentunnel Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin, Mai 2003