FGSV-Nr. FGSV 001/27
Ort Erfurt
Datum 12.09.2018
Titel Zuverlässiger öffentlicher Verkehr
Autoren Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer, Dr.-Ing. Volker Deutsch, Tim Dahlmann-Resing, Andreas Schmidt
Kategorien Kongress
Einleitung

Der öffentliche Verkehr ist das Rückgrat und wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Mobilität. Umwelt- und klimapolitische Ziele sowie die Sicherstellung sozialer Teilhabe von Personen ohne privaten Pkw können ohne öffentliche Verkehrsdienstleistungen nicht erreicht werden. Die Verkehrsmittelwahl hängt von vielen Faktoren ab, wobei dabei eine an den Anforderungen der Menschen orientierte Verlässlichkeit der verfügbaren Verkehrsmittel eine wesentliche Rolle spielt. Im folgenden Beitrag werden Hinweise und Empfehlungen gegeben, wie ein verlässlicher öffentlicher Verkehr geplant und umgesetzt werden sollte. Grundlage ist dabei ein ganzheitliches und am Kunden orientiertes Verständnis von Verlässlichkeit. Der öffentliche Verkehr ist verlässlich, wenn der Kunde bei der Erfüllung seiner Erwartungen auf planbare Verbindungen vertrauen kann und ihn die Dienstleistung insgesamt überzeugt. Diese Definition geht weit über die Definition der Zuverlässigkeit hinaus, die sich in der Regel auf die Reisezeit bezieht und als Varianz der Reisezeit beschrieben werden kann. Demzufolge lässt sich die Verlässlichkeit auf sämtliche Prozesse beziehen, die bei der Erstellung einer öffentlichen Verkehrsdienstleistung relevant sind (inkl. vor- und nachgelagerter Prozesse). Entsprechend dieser unterschiedlichen Prozesse lassen sich die genannten Empfehlungen und Hinweise zur Verlässlichkeit nach

Rahmenbedingungen (u. a. Rechtsrahmen, Finanzierung, Kooperationen),

Planung,

Infrastruktur und Fahrzeuge,

Betrieb und

Information

strukturieren. Der Beitrag fasst die Ergebnisse der Anfang 2018 erschienenen „Empfehlungen für einen verlässlichen öffentlichen Verkehr“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) zusammen, die im FGSV-Arbeitskreis 1.6.6 durch eine interdisziplinär besetzte Gruppe von Experten erarbeitet wurden. Die Empfehlungen haben das Ziel, Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und Politiker bei einer Umsetzung eines verlässlichen öffentlichen Verkehrs unterstützen.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

In den letzten Jahren hat der öffentliche Verkehr (ÖV) eine erhebliche Weiterentwicklung erfahren. Der Fahrgast wird stärker als zuvor als Kunde betrachtet und von der Planung bis zur Durchführung seines Weges unterstützt und begleitet. Von großer Bedeutung sind dabei neue Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten. Neben der Bedienungshäufigkeit zählen insbesondere die Reisezeit, die Verbindungen und Anschlüsse sowie die Verlässlichkeit der Dienstleistung insgesamt zu den maßgebenden Qualitätskriterien im ÖV, vgl. (I-GES 2008) und (Freitag, Krietemeyer et al., 2017).

Zugleich hat die Bedeutung des ÖV im Rahmen regionaler und kommunaler Verkehrsplanung zugenommen. Ihm kommt eine zentrale Funktion bei der Erreichung klima- und umweltpolitischer Ziele, bei der Senkung verkehrsbedingter Kosten von Nutzern und Gebietskörperschaften sowie bei der Steigerung der Lebensqualität der Bewohner in der Stadt und auf dem Land zu. Neben dem Angebotsausbau können insbesondere passende rechtliche Rahmenbedingungen, abgestimmte organisatorische, planerische, betriebliche und tarifliche Maßnahmen, robuste (Informations-, Kommunikations- und Vertriebs)Technik sowie eine kundenorientierte Kommunikation die Verkehrs- und Wettbewerbsverhältnisse für den ÖV nachhaltig verbessern.

Für eine nachhaltige Verkehrsverlagerung und ÖV-Nutzung sind neben den o. g. Faktoren die Akzeptanz und das Vertrauen der Nutzer in ihren ÖV von zentraler Bedeutung und regelmäßig neu zu gewinnen. Das Verkehrsmittelwahlverhalten wird darüber hinaus maßgeblich von subjektiven Kriterien geprägt, wie Einstellungen zum ÖV, der Kenntnis des ÖV-Angebotes, dessen Akzeptanz und die Zufriedenheit damit, vgl. u. a. (Wermuth 1980), (Hunecke, Schweer 2006). Die erlebte Verlässlichkeit ist für die Entscheidung zur Nutzung des ÖV von großer Bedeutung und ergibt sich aus der Beantwortung vieler Fragen, von denen im Folgenden einige exemplarisch aufgeführt sind:

Erreiche ich pünktlich und zuverlässig mein Ziel?

Ist mein Weg durchgängig barrierefrei möglich?

Ist der Weg spät abends noch sicher?

Kann ich einfach und ohne Umstände einen Fahrschein kaufen?

Werde ich als Fahrgast ausreichend informiert?

Was wird im Störungsfall für mich getan?

Im Fokus des verlässlichen ÖV stehen die grundsätzlichen Fragen des Mobilitätsverhaltens ebenso wie alle Abschnitte eines Weges einschließlich ihrer Vorbereitung.

2 Verlässlichkeit aus Kundenperspektive

2.1 Erwartungen der Kunden an den ÖV

Jeder Mensch unternimmt in Deutschland im Mittel rund drei Wege pro Tag (Infas, DLR et al., 2018), die häufig mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden können. Die Entscheidung, den ÖV zu nutzen, wird stark von dessen Verlässlichkeit beeinflusst. Auf was wollen sich die Kunden des ÖV verlassen und wie können die Akteure, die den ÖV gestalten, diese Verlässlichkeit erreichen und erhalten?

Wichtige Erwartungen der Kunden an den ÖV sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, angemessene Taktfrequenzen, verlässliche Anschlüsse und Umsteigevorgänge, eine gute Abdeckung durch Haltestellen und Liniennetz, eine adäquate Reisezeit, ein ausreichendes Platzangebot sowie sichere Anlagen und Fahrzeuge. Die aktuelle und verlässliche Information des Fahrgastes vor und während der Fahrt spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Von großer Bedeutung sind darüber hinaus die Preise, das jeweilige Tarifsystem und der Vertrieb. Die Tabelle 1 stellt Schlüsselfaktoren zusammen, deren Qualität über die Verkehrsmittelwahl der Kunden entscheidet.

Tabelle 1: Wichtige Kundenerwartungen (FGSV 2017) 

2.2 Definition der Verlässlichkeit im ÖV

Die Bewertung der Erwartungen von bestehenden Kunden und potenziellen Kunden wird üblicherweise in folgenden Kategorien dargestellt:

– Erwartungen werden übertroffen: Der Kunde ist „überzeugt“.

Erwartungen werden erfüllt:          Der Kunde ist „zufrieden“.

Erwartungen werden nicht erfüllt: Der Kunde ist „enttäuscht“.

Die Kategorien bringen zum Ausdruck, in welchem Umfang Erwartung und Wahrnehmung der Kunden in Deckung kommen. In einem von Wettbewerb geprägten Umfeld sind „überzeugte“ Kunden anzustreben, um den Kundenbestand zu erhalten und durch die Ausschöpfung der Potenziale zu erweitern. Dies führt zu nachfolgender Definition von einem verlässlichen ÖV: Der öffentliche Verkehr ist verlässlich, wenn der Kunde bei der Erfüllung seiner Erwartungen auf planbare Verbindungen vertrauen kann und ihn die Dienstleistung insgesamt überzeugt.

Verlässlichkeit ist damit mehr als die Zuverlässigkeit von Reisezeiten, die in der Regel im ÖV anhand der Pünktlichkeit beschrieben wird. Die Verlässlichkeit bezieht sich auf wesentliche Merkmale der Verkehrsdienstleistung gemäß den in der Tabelle 1 genannten Schlüsselfaktoren. Sie erfordert damit ein umfassendes Verständnis über den gesamten Erstellungsprozess öffentlicher Verkehrsdienstleistungen, inklusive vor- und nachgelagerter Prozesse und den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen den o. g. Schlüsselfaktoren. 

3 Rahmenbedingungen für einen verlässlichen ÖV

3.1 Zusammenspiel verschiedener Akteure

Die verkehrspolitischen Zielsetzungen und Entscheidungen zur Qualität des ÖV sowie dessen Finanzierung legen die Grundlage für einen verlässlichen Verkehr und versetzen die Akteure in die Lage, diesen organisieren zu können. Die Realisierung eines verlässlichen ÖV erfordert politische Unterstützung und eine angemessene finanzielle Ausstattung für die Entwicklung eines attraktiven Angebots, die Sicherstellung der Pünktlichkeit sowie den sicheren Umgang mit Abweichungen vom planmäßigen Betrieb. Das ist die gemeinsame Aufgabe von Verkehrsunternehmen, Aufgabenträgern und Politik. Wesentliche Kompetenzen der Verkehrsunternehmen sind dabei neben der Angebots- und Betriebsplanung:

Infrastruktur/Anlagen planen, bereitstellen und instand halten,

Fahrzeuge beschaffen, bereitstellen und instand halten,

Betrieb organisieren, durchführen und steuern,

Informationen für die gesamte Reise organisieren.

Insbesondere der routinierte Umgang mit Abweichungen vom Regelbetrieb ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal der die Verkehrsleistung erbringenden Unternehmen. In diesem Fall sollten eine zeitnahe Fahrgastinformation und Fahrgastlenkung sowie die schnelle Störungsbehebung erfolgen. Die Beschwerdebearbeitung und die Entschädigung des Kunden auf der Basis gesetzlicher oder nachvollziehbarer, darüber hinaus gehender Regelungen sind geeignete Mittel, das Vertrauen der Kunden in die angebotene Dienstleistung auch bei erlebten Einschränkungen aufrechtzuerhalten. 

3.2 Rechtsrahmen und allgemeine Rahmenbedingungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene bilden die Grundlage für die qualitative und organisatorische Ausgestaltung des ÖV. Auf dieser Basis wird Verlässlichkeit erreicht und nachhaltig gewährleistet, wenn vielfältige Aspekte in ihrem Zusammenwirken beachtet werden:

Zuständigkeiten von Aufgabenträgern, Genehmigungsbehörden, Verkehrsverbünden und Verkehrsunternehmen sowie den Verantwortlichen für die Infrastruktur.

Übergeordnete Pläne (z. B. Landesentwicklungs- oder Nahverkehrspläne).

Beschreibung der qualitativen und quantitativen Anforderungen an die zu erbringenden Leistungen im Rahmen von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen.

Bereitstellung ausreichender Finanzmittel zur Sicherstellung von Quantität und Qualität des Angebotes und dessen mittel- und langfristiger Verlässlichkeit. Das schließt den Nachhol-bedarf bei der Modernisierung und Instandhaltung der ÖV-Infrastruktur und die vielfach ungesicherte Finanzierung der Entwicklung des ÖV im Sinne der Kunden ein.

Entwicklung adäquater Bewertungsverfahren für Maßnahmen zur Steigerung der Verlässlichkeit des ÖV.

Management der Kundenbeziehungen und Gewährleistung der Kundenrechte.

Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern, die ein breites Spektrum an fachlichen Kompetenzen abdecken müssen. Insbesondere in der Aus- und Weiterbildung hat die Vermittlung von Systemwissen und Systemverständnis eine große Bedeutung.

Berücksichtigung kontinuierlicher Veränderungen der Rahmenbedingungen, wie z .B. die soziodemographische und technische Entwicklung sowie Änderungen im Mobilitätsverhalten. 

4 Planung

Die räumlichen und inhaltlichen Zuständigkeiten für den ÖV sind gesetzlich geregelt. Häufig liegt die Zuständigkeit für die Planung des ÖV in einem Verkehrsgebiet, für das der Kunde ein abgestimmtes Angebot erwartet, nicht in einer Hand, sondern teilt sich auf mehrere Aufgabenträger auf. Daher sollte die Planung rechtzeitig und übergreifend stattfinden. Voraussetzungen für einen verlässlichen ÖV sind u. a.:

Haltestellen, die unter Berücksichtigung der topografischen Bedingungen und der unterschiedlichen Nutzergruppen in angemessener Entfernung erreichbar sind.

ein für möglichst viele Fahrgäste attraktives und zweckmäßiges Netz. Dazu verfügt das Netz über gut merkbare Linienwege, die u. a. Stadt- oder/und Ortsteilzentren anbinden. Bei der Linienführung sollte zwischen der Verbindungs- und der Erschließungsfunktion abgewogen werden.

ein Fahrtenangebot, das durch Häufigkeit bzw. Takt sowie die eingesetzten Fahrzeugtypen geeignet ist, einen pünktlichen und regelmäßigen Betrieb zu gewährleisten. Taktfahrpläne sind in besonderer Weise geeignet, den Fahrgästen ein attraktives und qualitativ hochwertiges Fahrtenangebot zu bieten.

ein durch die Planungsbeteiligten anzustrebendes wettbewerbsfähiges Reisezeitverhältnis zwischen ÖV und Pkw-Verkehr. Die Reisezeit setzt sich dabei aus der Summe der Zu- und Abgangszeiten, der Fahr-, Umsteige- und Wartezeiten über die gewählte Verbindung zusammen. Existiert keine Direktverbindung, kommt der Qualität der Anschlüsse eine maßgebende Bedeutung zu.

ein in Bezug auf Platzkapazität und Platzqualität abgestimmtes Fahrtenangebot. Der Fahrzeugbestand sollte so dimensioniert sein, dass auch saisonal bedingte Schwankungen im Verkehrsaufkommen sowie besondere Anforderungen und Störungen kompensiert werden können.

Fahrzeitvorgaben, die so geplant sind, dass Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit bestmöglich unterstützt werden. Sie unterliegen dabei zahlreichen internen und externen Einflussgrößen (siehe Bild 1), wie z. B. unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten der Fahrzeuge und wechselnden Verkehrsbelastungen, und münden idealerweise in einem realistischen (fahrbaren) Fahrplan, der die Grundlage der Fahrgastinformation ist und das Qualitätsversprechen des Unternehmens darstellt.

Eine permanente Qualitätssicherung zur stetigen Verbesserung der Verlässlichkeit. Hierfür sollten geeignete Zielwerte festgelegt und überwacht werden.

Bild 1: Externe und interne Einflussfaktoren auf die Beförderungszeit (Quelle: VAG Nürnberg 2017)

5 Infrastruktur und Fahrzeuge

Die Infrastruktur des ÖV setzt sich i. W. aus den Haltestellen und Stationen sowie den Strecken zwischen diesen zusammen. Sie muss einen sicheren und ordnungsgemäßen Betrieb ermöglichen, sollte die für einen verlässlichen Betrieb notwendigen Voraussetzungen bieten sowie in Beschaffung und Unterhalt wirtschaftlich sein. Die verschiedenen Verkehrsmittel stellen unterschiedliche Anforderungen an die Infrastruktur, die in Bezug auf die Sicherstellung der Verlässlichkeit weitgehend übereinstimmend sind:

Die Infrastruktur muss die betrieblichen und technischen Anforderungen, die Vorgaben der Gesetze, Verordnungen und Normen erfüllen und eine hohe technische Verfügbarkeit aufweisen.

Die ordnungsgemäße und den Regeln der Technik entsprechende Instandhaltung der Infrastruktur muss gewährleistet sein.

Die Fahrwege sollten leistungsfähig und behinderungsfrei sein. Ausreichende Netzkapazitäten stellen eine wesentliche Voraussetzung zur Fahrplanstabilität dar und sollten über Leistungsreserven zum Abbau von Störungen bzw. zur Vermeidung von deren Ausweitung und Übertragung verfügen.

Ersatzfahrwege für den Fall von Baustellen, Betriebsstörungen und regelmäßigen Sperrungen sollten betriebsfähig vorhanden sein. Das gilt auch für die Fahrwege im öffentlichen Straßenraum.

Haltestellen und Stationen sollten gut erreichbar, ausreichend dimensioniert und in das Gesamtverkehrssystem integriert sein. Der Zugang zur Haltestelle und der Zustieg in das Fahrzeug sind barrierefrei zu gestalten.

Sonstige betriebliche Anlagen, wie Stromversorgung, Zugsicherung, Leitsysteme, Betriebshöfe sollten so ausgestaltet werden, dass stabile betriebliche Abläufe gewährleistet werden können.

Für den ÖV im öffentlichen Straßenraum sollte dessen Bevorrechtigung in der Verkehrssteuerung und an den Lichtsignalanlagen (LSA) als zentrale Voraussetzung für die Verbesserung der Fahrplanstabilität und Anschlusssicherheit sowie die Verkürzung der Reisezeit angestrebt werden. Dafür bedarf es einer grundsätzlichen politischen Entscheidung über den Vorrang für den ÖV.

Die Fahrzeuge müssen einen sicheren und ordnungsgemäßen Betrieb ermöglichen und sollten den Anforderungen der Kunden bzgl. Platzangebot, Komfort und Bequemlichkeit, Sauberkeit und Informationsangebot genügen sowie in Beschaffung und Unterhalt wirtschaftlich sein. Für die Verlässlichkeit sind folgende Punkte wesentlich:

Die Fahrzeugmerkmale und die Fahrzeugausstattung müssen die betrieblichen und technischen Anforderungen, die Vorgaben der Gesetze, Verordnungen und Normen erfüllen und eine hohe technische Verfügbarkeit aufweisen.

Die ordnungsgemäße und den Regeln der Technik entsprechende Instandhaltung der Fahrzeuge muss gewährleistet sein. Eine ausreichende Zahl von Reservefahrzeugen sollte vorhanden sein.

– Der Fahrzeugbestand sollte sich an den Nachfragespitzen orientieren und die mittel- bis langfristige Entwicklung der Nachfrage berücksichtigen.

Der Betreiber sollte dafür Sorge tragen, dass die benötigten Fahrzeuge jeden Tag einsatzbereit und pünktlich an den vorgesehenen Standorten bereitgestellt werden.

Die Anforderungen an die Fahrzeuge sollten von allen daran beteiligten Akteuren bereits bei der Fahrzeugbeschaffung beachtet werden. 

6 Betrieb

Die betriebliche Planung bildet die Schnittstelle zwischen der Verkehrs- und Angebotsplanung und der Betriebsdurchführung. Sie setzt die grundsätzlichen Angebotsvorgaben in die Planungen um, nach denen der Betrieb durchgeführt wird. Ein verlässlicher Betrieb baut auf folgenden Aspekten auf:

Die Wagenumläufe der Fahrzeuge sowie die Dienste des Fahrpersonals sollten mit den notwendigen Reserven geplant werden.

Die operative Fahrplanung sollte flexibel auf Erkenntnisse aus der Qualitätsüberwachung bzw. auf besondere Einflüsse wie Baustellen oder größere Veranstaltungen reagieren.

Die Anzahl der Fahrpersonale sollte so dimensioniert werden, dass das Fahrplanangebot zuverlässig und kontinuierlich sichergestellt werden kann.

Die Betriebsvorbereitung sollte Fahrtausfälle und Verspätungen durch eine geeignete Fahrzeug- und Personaleinteilung sowie die Bereitstellung ausreichender Betriebsreserven minimieren. Dazu gehören die Betriebsreserven, die der Kompensation von Betriebsstörungen dienen und als solche idealerweise ein Teil der Standardplanung sind. Darüber hinaus werden ereignisorientierte Betriebsreserven benötigt, z. B. um bei Veranstaltungen dem Betrieb kurzfristig die Flexibilität zu ermöglichen, die erforderlich ist, um Kapazitätsdefizite zu vermeiden.

Technische Systeme wie Fahrgastinformation, Fahrzeugrechner, Leitstellen, Verkehrsrechner und LSA-Steuergeräte sollten mit korrekten und aktuellen Daten versorgt werden.

Mit den Verkehrsbehörden und Straßenbaulastträgern sollte eine regelmäßige Abstimmung zu anstehenden Baumaßnahmen und Umleitungen gesucht werden.

Das Fahr- und Servicepersonal hat durch die Kundenkontakte eine zentrale Bedeutung. Es sollte geeignet geschult und mit (aktuellen) Informationen versorgt werden.

Der Betrieb sollte die in der Planung festgelegten Anschlüsse sicherstellen, damit planmäßige Umstiege auch bei Verspätungen funktionieren und der Fahrgast eine verlässliche Verbindung erhält. Darüber hinaus kann z. B. in der Schwachverkehrszeit eine Anschlussgarantie gegeben werden, in deren Rahmen dem Fahrgast die Taxikosten für die Weiterfahrt bis zu einem Höchstbetrag erstattet werden.

Die räumliche Abdeckung der operativen Betriebsführung (Leitstelle) sollte den relevanten Relationen der Fahrgäste entsprechen. Eine Beschränkung auf einzelne Unternehmen oder Gebietskörperschaften schränkt den Nutzen für die Fahrgäste ein. Der Schienenpersonenverkehr sollte dabei einbezogen werden.

Um Störungen des Betriebes schnell und effizient beherrschen zu können, sollten geeignete Systeme und organisatorische Abläufe implementiert sein. Für häufig eintretende Störungen sollten vorbereitete Planungen und Szenarien zur Verfügung stehen.

Eine betriebsbegleitende Qualitätsüberwachung und -sicherung sollte dafür sorgen, dass die Verlässlichkeit des ÖV anhand statistischer Kennzahlen zu Pünktlichkeit, Störungshäufigkeit, Verkehrsnachfrage etc. kontinuierlich verbessert werden kann.

Geeignete Beziehungen zum städtischen bzw. regionalen Verkehrsmanagement sowie die Abstimmung mit Polizei, Rettungsdiensten und Staatsanwaltschaft zur präventiven Störungsvermeidung bzw. Erzielung einer schnellen Reaktionszeit bei Störungen sollten etabliert werden. 

7 Information

Der Kunde erwartet eine verlässliche, insbesondere korrekte Information als Teil der Verkehrsdienstleistung. Sie erleichtert den Zugang zum ÖV und verleiht Sicherheit bei der Nutzung des ÖV. Besonders wichtig sind verlässliche Informationen im Störungsfall und bei alternativen oder flexiblen Angebotsformen. Information und Kommunikation unterstützen Kundengewinnung und -bindung und leisten einen Beitrag für die Qualitätssicherung. Eine verlässliche Fahrgastinformation basiert neben den gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit (Zwei-Sinne-Prinzip, ausreichende Schriftgröße und Kontrast) auf folgenden Punkten:

– Die Informationen sollten auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der (potenziellen) Kundengruppen sowie den Wechsel der Bedürfnisse der Kunden im Verlauf ihrer Lebenssituationen zugeschnitten sein und an die jeweiligen betrieblichen Voraussetzungen angepasst werden. Alle Informationen sollten aktuell sein, ineinander greifen und aufeinander aufbauen. Die Bereitstellung einer „optimalen Information“ sollte nicht mit der Maximierung von Inhalten gleichgesetzt werden. Ein Zuviel an Auskünften kann unter Umständen eher zur Verwirrung als zur Unterstützung führen und störend für diejenigen sein, die diese Information nicht benötigen.

Den Kunden sollten auf jedem Abschnitt seines Weges – bei der Vorbereitung, während des Weges und auch nach dem Weg – kontinuierlich die für ihn wichtigen Informationen in der richtigen Form auf Basis aktueller und verlässlicher Daten zur Verfügung gestellt werden.

Kommt es zu Abweichungen, sollten zutreffende Informationen in allen Phasen des Störungsfalls verfügbar sein (zu Beginn, nach Einrichten der Ersatzmaßnahmen und bei Rückführung in den planmäßigen Betrieb). Die Information im Störungsfall sollte darauf zielen, die Auswirkungen der Störungen für die Fahrgäste zu begrenzen und die Nutzung einer passenden alternativen Verbindung zu ermöglichen. Deshalb ist es besonders wichtig, den Fahrgast insbesondere bei plötzlich auftretenden Störungen möglichst zeitnah zu informieren. Die Lenkung der Fahrgäste durch passende Informationen minimiert die Folgen für die Fahrgäste und kann die Bedingungen für eine schnelle Behebung der Störung verbessern.

Die technische Ausstattung und die Vernetzung der Verkehrsunternehmen untereinander sollten die o. g. Anforderungen ermöglichen. Hierzu beitragen kann eine durchgehende Systematik von der Planung über die Echtzeitdatensysteme bis zum Betrieb einer „qualifizierten“ Leitstelle, die die Disposition durch softwaregestützte Maßnahmenplanung und automatisierte Informationsprozesse unterstützt.

8 Fazit

Die Megatrends Digitalisierung, Vernetzung und Elektrifizierung beanspruchen derzeit viel Aufmerksamkeit – und lenken möglicherweise von den Maßnahmen ab, die aus Kundensicht besonders wichtig sind. Die beste App oder ein elektrischer Antrieb helfen dem Fahrgast nicht, wenn das von ihm benötigte Angebot nicht vorhanden ist oder aufgrund einer Störung nicht zur Verfügung steht. Für aktuelle und zukünftige Kunden ist es daher besonders wichtig, dass das heutige Angebot unter Berücksichtigung der Chancen von Digitalisierung und Vernetzung weiterentwickelt und in der Qualität erhalten bzw. verbessert wird. Dabei nimmt die Verlässlichkeit des öffentlichen Verkehrsangebotes bei der Bindung und Gewinnung neuer Fahrgäste sowie dem Erfüllen ambitionierter Klima- und Umweltverpflichtungen eine Schlüsselstellung ein.

Die Verlässlichkeit des ÖV kann nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden. Einer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden folgend, setzt sie passende rechtliche und politische Rahmenbedingungen und eine gesicherte Finanzierung voraus. Wichtig ist auch das enge Zusammenwirken aller Akteure, von der den Rahmen setzenden Politik über lokale Vorgaben stellende Verwaltungen bis zum Fahr- und Servicepersonal mit dem täglichen Kontakt zum Fahrgast. Ohne Abstriche sollte Verlässlichkeit als Leitidee in der Planung und im täglichen Betrieb zur gelebten Praxis im Interesse der Fahrgäste werden. Die erstmals erstellten „Empfehlungen für einen verlässlichen öffentlichen Verkehr“ (FGSV 2017) unterstützen Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und politisch Verantwortliche bei der Umsetzung dieser Leitidee mit Hinweisen, die einen verlässlichen ÖV aus Kundenperspektive ermöglichen. 

Literaturverzeichnis

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2017): Empfehlungen für einen verlässlichen öffentlichen Verkehr, Ausgabe 2017, Köln (FGSV 166)

F r e i t a g, A.; K r i e t e m e y e r, H.; I s f o r t, A.: Seit mehr als 20 Jahren MVV-Kundenbarometer. In: Der Nahverkehr, Heft 10/2017, DVV Media Group/Alba-Fachmedien, Hamburg

H u n e c k e, M.; S c h w e e r, I. R. (2006): Einflussfaktoren der Alltagsmobilität – Das Zusammenwirken von Raum, Verkehrsinfrastruktur, Lebensstil und Mobilitätsorientierungen. In: StadtLeben – Wohnen, Mobilität und Lebensstil. Beckmann, K. J.; Hesse, M; Holz-Rau, C.; Hunecke, M. (Hrsg.), Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

IGES (2008): Verbrauchererwartungen an Dienstleistungsqualität im Bahnverkehr. Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Berlin

Infas; DLR; IVT; Infas 360 (2018): Mobilität in Deutschland – Kurzreport. Bonn

W e r m u t h, M. (1980): Ein situationsorientiertes Verhaltensmodell der individuellen Verkehrsmittelwahl. In: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, Gesellschaft für Regionalforschung (Hrsg.), 1. Jahrgang, Göttingen

VAG Nürnberg (2017): Interne Dokumentation der VAG Nürnberg, Nürnberg