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1 Organisatorische und formale Voraussetzungen in der Hansestadt Rostock
Der Oberbürgermeister wurde von der Bürgerschaft der Hanse- und Universitätsstadt Rostock (HRO) beauftragt, für die HRO einen Integralen Entwässerungsleitplan (IELP) (BIOTA, 2016) zu erarbeiten. Gegenstand dieses Leitplans ist das gesamte hydrologische Einzugsgebiet der auf dem Stadtgebiet der Hanse- und Universitätsstadt Rostock befindlichen Gewässer (Grund- und Oberflächenwasser) und der gemeinsam mit dem Warnow-Wasser- und Abwasserverband und seiner Betriebsführerin, der Nordwasser GmbH, genutzten Regenwassersammler. Der Integrale Entwässerungsleitplan wurde im Jahr 2015 in enger Kooperation mit allen Partnern der „Kommunalen Gemeinschaftsaufgabe Binnenhochwasserschutz“, insbesondere dem Warnow-Wasser- und Abwasserverband, seiner damaligen Betriebsführerin, der Eurawasser Nord GmbH, dem Wasser- und Bodenverband „Untere Warnow-Küste“ sowie den planenden Ämtern der Stadtverwaltung der Hanse- und Universitätsstadt Rostock aufgestellt. Auch diese bewährte Arbeitsweise im Rahmen der kommunalen Gemeinschaftsaufgabe wurde unterdessen von der Bürgerschaft beschlossen. Hiermit ergeht aber auch die Verpflichtung einer jährlichen Berichterstattung über erfolgte Maßnahmen im Bürgerschaftsausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Ordnung.
In Fortsetzung der vorliegenden Entwässerungskonzepte für die Hanse- und Universitätsstadt Rostock (INTEK, BIOTA, 2012, 2013, 2014) zur Bewertung von Hochwassergefährdungen und -risiken im Stadtgebiet, wird schrittweise und systematisch die Leistungsfähigkeit der ca. 50 Haupt- und ca. 150 Nebenentwässerungsachsen analysiert; Defizite und Handlungsnotwendigkeiten werden herausgearbeitet. Daraus werden zukunftsorientierte Handlungsschwerpunkte identifiziert und entsprechende Maßnahmen schrittweise umgesetzt. Dies trägt der zunehmenden urbanen Verdichtung, dem sich abzeichnenden Klimawandel, den Verpflichtungen der Wasserrahmenrichtlinie und des Wasserhaushaltsgesetzes Rechnung. Als kommunale Gemeinschaftsaufgabe sind davon abzuleitende, zukunftsorientierte Handlungsschwerpunkte zu identifizieren und als Maßnahmen in die Haushaltsplanung einzustellen.
Ziele der Umsetzung des Integralen Entwässerungsleitplans sind eine abgestimmte Prioritätensetzung für die Maßnahmen an den Hauptentwässerungsachsen, die wasserwirtschaftlich nachhaltig gesicherte Erschließung von Bau- und Verkehrsflächen sowie eine bedarfsgerechte mittel- und langfristig abgesicherte Investitionsplanung. Dies betrifft auch die Bereitstellung erforderlicher Freiflächen für die dezentrale Regewasserbewirtschaftung (Rückhaltung). Für den Fall, dass aufgrund des nutzungsbezogen festgelegten Schutzniveaus vor Regenereignissen technische Anlagen über das Regelwerk hinaus ausgelegt werden sollen, z. B. Nennweitenvergrößerung, übernimmt die HRO die Mehrkosten.
Die erforderlichen Abstimmungen aller Partner der Binnenentwässerung finden zweimal jährlich auf Einladung des Amtes für Umweltschutz statt; hier werden auch die Investitionsvorhaben in den Hauptentwässerungsachsen aufeinander harmonisiert. Unterdessen verfügt die Arbeitsgemeinschaft über ein gemeinsames Logo (Bild 1) und nutzt eine browserbasierte Austauschplattform für den Informations- und Datenaustausch.
Bild 1: Gemeinsames Logo der AG „KOGA Binnenhochwasserschutz“ im Corporate Design
In neu ausgewiesenen Baugebieten ist dezentrales Regenwassermanagement (RWM) mit Starkregenvorsorge unterdessen etablierter Standard; regelmäßig werden hydrologische Gutachten beauftragt, die sicherstellen, dass das im IELP verankerte Schutzniveau sowie eine ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz möglichst erreicht werden. Hierbei sind etliche Schnittstellen zwischen den einzelnen Akteuren zu beachten und verschiedene Aspekte zu klären, z. B. multifunktionale Flächennutzung (in wessen Bewirtschaftung), Abwasserbeseitigung oder dezentrales Regenwassermanagement (Zuständigkeit für Planung und Wartung), Einstauhöhen und Sicherungsmaßnahmen. Um diesen Prozess künftig abzukürzen und verbindliche Kenngrößen und Kriterien zugrunde legen zu können, wird in der AG KOGA derzeit eine Leitstrategie erarbeitet, die 2025 der Bürgerschaft zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll.
Weil im Bestand wassersensibler Stadtumbau eine Generationenaufgabe darstellt, wurde der Arbeitstitel „Schwammstadt 2080“ eingeführt. Der Stadtumbau kann nur über ein Ausnutzen aller Möglichkeiten des RWM im Zusammenspiel mit technischen Lösungen bis hin zur Einrichtung von Notwasserwegen für eine wirksame Überflutungsvorsorge gelingen. Wesentliche Bausteine sind die Erhöhung der hydraulischen Leistungsfähigkeit im Kanalnetz, eine weitreichende Mischwasserentflechtung, Etablierung blau-grüner Infrastruktur, die Einführung von Kennzahlen für Regenrückhalt auf privaten Flächen sowie die Anwendung smarter Technologien.
Die unterdessen beschlussreife Leitstrategie formuliert hierfür die konkreten angestrebten Ziele für die Zusammenarbeit der KOGA sowie Planungsziele für die Umgestaltung der Entwässerung und Entwicklung zur Schwammstadt. Sie stellt die wichtigsten Elemente und Ansätze für eine Implementierung der Schwammstadt in die zukünftige Stadtentwicklung dar. Für eine optimierte Prozessgestaltung und zur Vermeidung von Diskussionen im Einzelfall formuliert diese Leitstrategie eine verbindliche Regelung zur Umsetzung der wassersensiblen Stadtentwicklung für die Hanse- und Universitätsstadt Rostock.
Hierbei wird die interne Zusammenarbeit durch Pflichten und Aufgaben der planenden Ämter der Stadt und wasserwirtschaftlichen Institutionen als Mitglieder der KOGA in Form von Grundsätzen und Arbeitspaketen für die Stadtverwaltung geregelt. Als zusätzliche Planungshilfe werden durch die Leitstrategie weiterhin wichtige Planungsgrößen als Bemessungsansätze und Kennzahlen verbindlich festgelegt. Abschließend zeigt die Leitstrategie zukünftige Visionen als Entwicklungsziele für die weitere wassersensible Stadtentwicklung bis 2080 auf.
Ziel ist es, dass zukünftig alle Handlungsfelder der Stadt die Ziele der Schwammstadt berücksichtigen. Die Tabelle 1 zeigt dazu die grundlegenden Ziele der wassersensiblen Entwicklung.
Tabelle 1: Grundsätzliche Planungsziele für das Wasser- und Regenwassermanagement der Hanse- und Universitätsstadt Rostock für die Umsetzung der wassersensible Stadtentwicklung (Schwammstadt 2080)
2 Fallbeispiele
2.1 Niederschlagswassermanagement – Beispiel Bauleitplanung B-Plan Kiefernweg
Seit 2016 ist die Verankerung eines wasserwirtschaftlichen Fachbeitrages als verbindliches Dokument in der Bauleitplanung eine Selbstverständlichkeit der Planungskultur in der HRO. Hiermit wird das Ziel verfolgt, das entsprechend des IELP vorgegebene Schutzniveau der Nutzungsarten gegenüber Starkregenereignissen sicherzustellen und zugleich die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung eines möglichst naturnahen Wasserhaushalts nach der Bebauung gemäß DWA-A 102/BWK-A 3 (2020) zu gewährleisten.
Für die Neubebauung des Bebauungsplangebietes „Kiefernweg“ galt es nicht nur, die ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz nachzuweisen. Es war auch aufgrund der Überlastung der für das Bebauungsplangebiet nahezu allein infrage kommenden Vorflut nach Nordwesten, der Rotbäk (Gewässer 2/3R), gegenüber dem zuständigen Wasser- und Bodenverband „Hellbach-Conventer Niederung“ nachzuweisen, dass mit der neuen Bebauung kein zusätzlicher Gebietsabfluss in das an der Leistungsgrenze befindliche Gewässer abgegeben wird. Die Vorgabe war der Trockenwetterabfluss von 1 l/s*ha – eine erhebliche Herausforderung für ein 32 Hektar großes Baugebiet, in dem das 100-jährliche Ereignis schadlos bewirtschaftet werden soll.
Zusätzlich zur hydraulischen Modellierung wurden an insgesamt 5 Punkten Infiltrationsversuche vorgenommen. Die gemessenen kf-Werte sind, außer an einem Standort, schlechter als die für die Modellierung entsprechend der Bodenkarte angenommenen Werte. Ein Standort mit 3*10-8 m/s erschien besonders kritisch. Ein weiterer Standort konnte nicht beprobt werden, da bei sechs angesetzten Bohrversuchen nach ca. 20 cm stets eine nicht durchdringbare Schicht aus Grobkies/tonigem Schluff angetroffen wurde. Die erzielten Messergebnisse führten zu Neubemessung der Mulden-Rigolen-Systeme gegenüber der bisherigen Ableitung aus der Bodenkonzeptkarte für das Wohngebiet Kiefernweg. Bezüglich des oberirdischen Flächenbedarfs (Mulden) waren keine Änderungen notwendig. Durch die schlechten Kf-Werte wurde jedoch das Volumen von Rigolen 1, 2 und 3 erhöht (BIOTA; Sieker). Im Ergebnis der Untersuchungen und Variantenvergleiche wurden durch die Gutachter vier dezentrale, die vorhandenen Geländedepressionen und zeitweise wasserführenden Gerinne ausnutzende Mulden-Rigolen-Systeme sowie ein Regenrückhalteraum vorgeschlagen.
Der Nachweis des Regenwasserrückhalts im Bebauungsplangebiet bis zu einem HQ 100 wurde dabei ebenso erbracht, wie die angestrebte Neutralität für den Wasserhaushalt (Bild 2).
Bild 2: Wasserbilanz Wohnbaufläche „Kiefernweg“; Vergleich der Zustände (BIOTA & Sieker)
Unberücksichtigt blieben indes in dieser Planungsphase die im Gebiet vorherrschenden geringen Grundwasserflurabstände, die in der sich anschließenden Erschließungsplanung durch das Ingenieurbüro Voss & Muderack GmbH zu einer veränderten Lösung ausschließlich über ein kaskadierend aufgebautes Muldensystem führten (Bild 3). Für die Wasserhaushaltsbilanz war diese Anpassung neutral.
Die Mulden-Systeme und der Rückhalteraum mit einem Rückhaltevolumen von insgesamt 8.610 m³ sind in Flächen für öffentliches Grün eingeordnet, wodurch eine multifunktionale Flächennutzung ermöglicht wird: Aufenthaltsraum, Spiel- und Erlebnisbereich, Biotopstrukturen. Es wurde hier jedoch die Möglichkeit genutzt, die zeitlich überwiegende Grünflächen-/Freiraumnutzung als Grundnutzung festzusetzen und durch die wasserwirtschaftliche Zweckbestimmung zu überlagern, da diese nur episodisch benötigt wird.
Bild 3: Auszug aus der Erschließungsplanung (Voss & Muderack)
Die Erschließung ist unterdessen weitgehend abgeschlossen und erste Hochbauten entstehen. Die erforderlichen Maßnahmen für das dezentrale Regenwassermanagement wurden entsprechend umgesetzt und sind wirksam.
2.2 Niederschlagswassermanagement – Beispiel Bestandsplanung Markgrafenheide
Im Bereich der städtischen Entwässerung treffen Starkregenereignisse auf ein, durch die urbane Nachverdichtung, hydraulisch ausgelastetes Kanal- und Vorflutsystem.
Des Weiteren reicht mancherorts eine bislang vorhandene dezentrale Entwässerungslösung aufgrund der lokalen Bedingungen, wie anstehender Böden und Grundwasserstände, zur Bewältigung der Niederschläge nicht mehr aus.
Für die städtischen Entwässerungsstrukturen der Zukunft müssen daher ganzheitliche Entwässerungslösungen unter Beachtung individueller Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ein reines Niederschlagsableitungssystem, nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik dimensioniert, wird allein eine ordnungsgemäße Entwässerung auch im Starkregenfall nicht bieten können. Hier wird ein Zusammenspiel aus dezentralen und zentralen Lösungen, inklusive leistungsfähigen oberirdischen Abflussbahnen und Vorflutsystemen notwendig sein – so auch für die Ortslage Markgrafenheide im Rostocker Nordosten.
Die Ortslage ist im Norden und Westen durch die Ostsee, im Osten durch den Moorgraben und die Rostocker Heide mit ihren Wald- und Moorflächen und im Süden durch den Radelsee begrenzt. Große Teile der Ortslage Markgrafenheide weisen eine Geländehöhe von weniger als 2 m NHN auf, so dass die vorhandenen Binnengräben bereits bei Normalpegel der Vorfluter aufgrund des geringen Flurabstandes hydraulisch hoch belastet sind. Der geringe Flurabstand lässt seit jeher kaum Spielraum für den Einbau von Niederschlagswasserkanälen oberhalb der Pegel von Grundwasser und Vorfluter. Daher findet hier größtenteils eine dezentrale Bewirtschaftung des Niederschlagswassers in Form von Versickerung auf den Grundstücken statt, die bei stärkeren Regenereignissen an ihre Grenzen stößt.
Insgesamt werden die in der Ortslage vorhandenen Binnengräben durch den Moorgraben über den Radelsee, den Breitling und die Warnowmündung in die Ostsee entwässert. Damit sind sowohl der Moorgraben als auch der Radelsee stark vom Wasserstand der Ostsee beeinflusst. Durch diese exponierte Lage ist Markgrafenheide von Hochwasserereignissen der Ostsee bedroht. 2006 wurde daher im Rahmen des Sturmflutschutzes, zusätzlich zu den bestehenden Küstenschutzanlagen im Norden, eine Ringeindeichung der gesamten Ortslage durchgeführt. Um eine Entwässerung zu ermöglichen, wurden mit Schieber und Klappe, als Sicherung gegen Außenhochwasser, versehene Durchlässe in den Ringdeich integriert.
Im Falle von Ostseehochwasser schützt dieser Rücklaufschutz die Ortslage vor Überflutung, verhindert aber auch eine Entwässerung des Innenbereiches. Bei gleichzeitig auftretenden Niederschlagsereignissen, ist somit eine binnenseitige Überflutung nicht auszuschließen. Zusätzlich wird sich zukünftig die bisherige Versickerung des Niederschlagswassers innerhalb der Ortslage durch den absehbaren klimawandelbedingten Meeresspiegelanstieg und den voraussichtlich damit einhergehenden steigenden Grundwasserständen immer schwieriger gestalten.
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Kommunalen Gemeinschaftsaufgabe Binnenhochwasserschutz ein gemeinsam von WWAV/Nordwasser GmbH und dem Amt für Umwelt- und Klimaschutz finanziertes und koordiniertes Entwässerungskonzept beauftragt. Das Ingenieurbüro WASTRA Plan GmbH erhielt den Zuschlag und untersuchte Varianten bis zum Niveau einer Vorplanung für die zukunftsorientierte Niederschlagswasserentwässerung der Ortslage Markgrafenheide (Bild 4).
Bild 4: Unmaßstäblicher Ausschnitt aus dem Entwässerungskonzept; rote Markierungen zeigen die angedachten Standorte zum Einsatz der mobilen Pumpen. Hauptstandort ist das südliche Gewässer 19/1/1 (WASTRA)
Als Vorzugslösung wurde eine Variante entwickelt, die neben der Ertüchtigung der vorhandenen Binnengräben eine Vielzahl von dezentralen Maßnahmen des Regenwassermanagements auf öffentlichen Grünflächen, Stellplätzen und im Straßenraum empfiehlt. Für die Sicherstellung einer Entwässerung auch bei Sturmflutereignissen mit geschlossenem Schieber sieht das Konzept den Einsatz von vier mobilen Pumpen an kritischen Stellen der Entwässerung vor. Die wesentlichen Vorteile dieser Variante sind nach Ansicht der Gutachter der Verzicht auf starre Bauwerke, die Möglichkeit einer flexiblen Anpassung an die Entwässerungssituation bei steigendem Meeresspiegel sowie geringe Eingriffe in bestehende Nutzungsverhältnisse und Schutzgebiete. Diese Variante wird durch die Auftraggeber weiterverfolgt; die Mittel für die Herstellung der Aufstellorte und die Anschaffung zunächst einer Pumpe sind im Haushalt des Amtes für Umwelt- und Klimaschutz bereits eingestellt. Für die Umsetzung der Lösungsvorschläge ist – wie auch beim B-Plangebiet „Kiefernweg“ – ein Zusammenspiel vieler weiterer Verwaltungseinheiten erforderlich. Enge Abstimmungen erfolgen zwischen Amt für Mobilität (Straßenplanung), Tiefbauamt (Straßen und Parkplatzbau) sowie dem Amt für Stadtgrün, Naturschutz und Friedhofswesen (öffentliche Grünflächen, Straßenbegleitgrün, Plätze).
2.3 Niederschlagswassermanagement – Beispiel Hohe Düne
Im Ortsteil Hohe Düne kommt es aufgrund einer kaum vorhandenen Straßenentwässerung, dem Fehlen einer natürlichen Vorflut sowie einer ausgeprägten Senkenlage im Bereich des „Platz des Friedens“ und des angrenzenden Garagenkomplexes immer wieder zu länger anhaltenden Überflutungen aufgrund nicht oder nur sehr langsam abfließendem Niederschlagswasser. Um hier Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, wurde vom Amt für Umwelt und Klimaschutz das Institut Biota beauftragt, zu prüfen, inwieweit die Grünanlagen am „Platz des Friedens“ für eine Zwischenspeicherung/Versickerung genutzt werden kann. Die Betrachtungen schlossen mit dem Ergebnis, dass durch einfache Geländemodellierung auf dem Platz ausreichende Retentionsvolumen (rund 2.000 m³) geschaffen werden können, um das anfallende Wasser zwischenzuspeichern. Ein gedrosselter Anschluss an einen vorhandenen Straßenentwässerungskanal stellt sicher, dass die Fläche auch wieder trockenfällt, wenn die Versickerung alleinig nicht ausreicht. Eine Umsetzung dieser Maßnahme ist für 2025 vorgesehen.
2.4 Niederschlagswassermanagement – Smarte Lösung
Rostock ist seit 2020 Modellstadt Smart City in Deutschland und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2027 eine smarte und intelligente Stadt zu werden. Mit dem Rostocker Ansatz einer
„Smile City“, der nicht nur die technologische Entwicklung in den Vordergrund stellt, sondern die Bürgerinnen und Bürger, soll das Projekt für mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität in allen Stadtteilen und für alle Menschen der Stadt beitragen (https://smartesrostock.de).
Gemeinsam haben die Nordwasser GmbH und das Amt für Umwelt- und Klimaschutz ein Smart City – Projekt entwickelt, das auf der Basis einer radarbasierten lokalen Regenvorhersage ein digitales Frühwarnsystem für Einwohner, Behörden und Institutionen anbieten soll. Die Frühwarnung soll verlässliche Angaben zu den zu erwartenden Niederschlagsmengen mit ausreichend langen Prognosezeiträumen (mindestens 2 Stunden im Voraus, auf Basis DWD) machen. Auf diese Weise sollen alle Betroffenen sich bestmöglich auf die zu erwartenden Regen- und Belastungszustände vorbereiten können. Nach Möglichkeit soll die WarnAppHRO! genutzt werden.
Als weitere Zielsetzung des Projektes ist eine Modellentwicklung zur Abbildung eines jeweils bevorstehenden Belastungsszenarios geplant. Das Modellierungsergebnis dient als Voraussetzung für ein smartes Steuerungs- und Regelsystem für Vorflutgewässer und das Kanalnetz zur optimalen Bewältigung der prognostizierten Belastungszustände.
Erste Voruntersuchungen wurden durch das Amt für Umwelt- und Klimaschutz und die Nordwasser GmbH für die Einzugsgebiete des Kringelgrabens und des Rote-Burg-Grabens durchgeführt. Das Ziel ist, das unterhalb gemeinsam genutzte Regenwassernetz des Warnow-Wasser- und Abwasserverbandes bei einem Starkregen so lange wie möglich von Gebietswasserzuflüssen freizuhalten und dadurch die Kapazitäten im Netz zu erhöhen. Dies soll durch eine smarte, an die Regenvorhersage gekoppelte Wehrsteuerung erreicht werden.
Bild 5: Kringelgrabenpark mit drei steuerbaren Wehranlagen für den Wasserrückhalt
Zudem wäre damit ein regelbares städtisches Wasserdargebot, z. B. durch gezielte Speicherung für Trockenperioden verbunden, dass auch das städtische Mikroklimas positiv beeinflussen würde.
3 Niederschlagswasserbehandlung – Sachstand in Rostock
Die praktischen Fallbeispiele zeigen, dass Rostock die ersten Schritte in Richtung Schwammstadt gemacht hat und bereits mit aktivem Regenwassermanagement begonnen hat. Damit folgt man dem Ansatz des DWA-Arbeitsblattes 102 und unterstützt bewusst den lokalen Wasserhaushalt und probiert ihn möglichst naturnah zu erhalten.
Neben dem Erhalt eines naturnahen Wasserhaushaltes ist ein weiterer elementarer Bestandteil des DWA-Arbeitsblattes 102 die ausreichende Behandlung von Niederschlagswasser. Diese muss man im Bereich der Regenwasserbewirtschaftung als Grundvoraussetzung ansehen, da das eine ohne das andere nicht möglich sein wird.
Genau wie bei Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen gilt auch bei Maßnahmen zur Regenwasserbehandlung, dass sie im Neubau relativ einfach umzusetzen sind, während sie im Bestand aufgrund sehr unterschiedlicher Rahmenbedingungen (z.B. hinsichtlich Belastung/ Bewertung, Platzverfügbarkeit) die Siedlungswasserwirtschaft vor große Herausforderungen stellt.
Da die Bewertung nach DWA-A 102 im Bereich der Betreiber gesehen wird und im Bereich des Warnow-Wasser- und Abwasserverbandes insgesamt drei Wasserbehörden zuständig und tätig sind, war es der Nordwasser GmbH von Anfang an wichtig, ein transparentes, möglichst objektives Bewertungssystem nutzen zu können. Daher wurde die Professur für Siedlungswasserwirtschaft der Universität Rostock früh mit der Erarbeitung einer einheitlichen und transparenten Flächenbewertung nach DWA-A 102 beauftragt. Dank eines Verschnitts von vorhandenen Geoinformationen, wie z. B. Nutzungsdaten der Realnutzungskartierung HRO, OSM-Wege und DTV-Daten, gelang es für das Stadtgebiet Rostock eine einheitliche und nachvollziehbare Bewertung vorzunehmen.
Diese kann sehr gut für weitere Betrachtungen herangezogen werden, da es nur wenige Flächen gibt, bei denen es aufgrund des automatisierten Prozesses zu einer Unter- bzw. Überschätzung der Flächenbelastungskategorie nach DWA-A 102 kommt.
Bild 6: Verschnitt von verschiedenen Geodaten zur Differenzierung von Flächen
Diese Bewertung erlaubt es nun im Verschnitt mit den Einzugsgebietsflächen von Niederschlagswassereinleitstellen einen ersten Eindruck von der Belastung innerhalb der Niederschlagswassereinzugsgebiet zu erhalten und weitere Betrachtungen zu möglichen zentralen oder dezentralen Behandlungsmöglichkeiten anstellen zu können. Es ist in Zukunft vorgesehen, diese Bewertungsverfahren als Grundlage im Rahmen wasserrechtlicher Antragsverfahren im Stadtgebiet zu nutzen.
Bild 7: Beispiel Verschnitt Bewertungssystem Uni Rostock mit Niederschlagswassereinzugsgebiet
Nach Schaffung dieser Möglichkeit wurden ersten Gespräche mit den zuständigen Behörden hinsichtlich der Umsetzung der Niederschlagswasserbehandlung nach dem Regelwerk DWA-A 102 geführt. Hier herrscht gemeinsamer Konsens, dass das Regelwerk ab sofort umzusetzen ist. Da sich aber alle einig sind, dass die Umsetzung des DWA-A 102, wie der städtische Infrastrukturumbau in Richtung Schwammstadt, ein langwieriger Transformationsprozess ist, bedeutet dies nicht eine sofortige bauliche Umsetzung. Viele mehr sind entsprechende Betrachtungen gemeinsam in jedem wasserrechtlichen Antragsverfahren durchzuführen. Dabei sind nicht nur die Flächenbewertungen vorzunehmen, sondern auch Behandlungskonzepte vorzuschlagen und Umsetzungszeiträume abzusprechen.
Hierfür soll in naher Zukunft ein exemplarisches strategisches Umsetzungskonzept als Vorlage für weitere Antragsverfahren gemeinsam erarbeitet und abgestimmt werden.
Abschließend ist festzuhalten, dass diese Möglichkeit bislang jedoch nur im Bereich der Hanse- und Universitätsstadt Rostock existiert. Für den ländlich geprägten Bereich des Warnow-Wasser- und Abwasserverbandes konnte eine entsprechende Bewertung aufgrund bislang fehlender Basisdaten nicht vorgenommen werden. Aus betrieblicher Sicht ist eine künftige, landesweit einheitliche Flächenbewertung für alle beteiligten Parteien wünschenswert. Mit dieser einheitlichen Bewertung können künftig alle wasserwirtschaftlichen Belange grundlegend argumentiert werden.
4 Zusammenfassung
Für die Hanse- und Universitätsstadt Rostock lässt sich zusammenfassend festhalten, dass gerade durch die Starkregenereignisse im Jahr 2011 ein Umdenken bei den Akteuren der Rostocker Wasserwirtschaft stattgefunden hat. Die bis dahin praktizierten Einzellösungen im genauen Zuständigkeitsbereich wichen einem integralen, gemeinschaftlichen Ansatz, um die zukünftigen Herausforderungen der Wasserwirtschaft anzugehen. Entsprechende Grundlagen wurden in den darauffolgenden Jahren durch erste gemeinschaftlichen Forschungsvorhaben und Bauprojekte erarbeitet. Die so gemachte Erfahrung mit den Vorteilen einer gemeinsamen Arbeitsweise gipfelt 2019 in Gründung der Arbeitsgemeinschaft „Kommunalen Gemeinschaftsaufgabe Binnenhochwasserschutz“ (KOGA), ein Zusammenschluss aller Akteure der Rostocker Wasserwirtschaft unter der Federführung der Abteilung Wasser und Boden des Rostocker Amtes für Umwelt und Klimaschutz mit dem Ziel wassersensible und damit klimaresiliente Stadtentwicklung in Rostock gemeinsam voranzubringen. Fast zeitgleich wurde sie und ihre Arbeitsweise per Bürgerschaftsbeschluss in der Planungskultur der Hanse- und Universitätsstadt verankert. Mittlerweile befinden sich die ersten gemeinsam entwickelten Projekte in der Umsetzung, u. a. B-Plan Kiefernweg, Bestandsentwässerung Markgrafenheide und Hohe Düne. Die dort gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass für eine Umsetzung dieses langwierigen Transformationsprozesses eine Leitstrategie „Schwammstadt Rostock 2080“ hilfreich ist, um gemeinsam und zielgerichtet die Vision Schwammstadt Rostock zu verfolgen. Eine entsprechende Strategie befindet sich gerade in Bearbeitung und soll 2025 der Bürgerschaft vorgelegt werden.
Die Niederschlagswasserbehandlung als elementarer Bestandteil und notwendige Grundlage eines Niederschlagswassermanagements wird dabei von vorneherein mitgedacht werden müssen. Hier hat die Professur für Siedlungswasserwirtschaft der Universität Rostock im Auftrag der Nordwasser GmbH für das Stadtgebiet Rostock bereits eine einheitliche und transparente Bewertung nach DWA-A 102 auf Grundlage von Geodaten vorgenommen. Diese Bewertung steht jetzt für die weitere Nutzung, z. B. in wasserrechtlichen Antragsverfahren oder strategischen Umsetzungskonzepten, zur Verfügung. In naher Zukunft gilt es diese Grundlagendaten in den wasserrechtlichen Antragsprozess und die strategische Investitionsplanung des Warnow-Wasser- und Abwasserverbandes zu integrieren.
Dies wird nur in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden gelingen. Damit hier jedoch die Zusammenarbeit mit allen zuständigen Behörden auf ein und derselben Grundlage basieren kann, wäre zunächst die Umsetzung einer ähnlichen transparenten und allgemeingültigen Bewertung auch im ländlichen Raum notwendige. Diese konnte bislang auf Grund fehlender Geodaten für diesen Bereich nicht durchgeführt werden, sondern beschränkt sich allein auf das Rostocker Stadtgebiet. Hier wäre aus Betreibersicht in Zukunft eine landesweite Bewertung als Basis für die Umsetzung des DWA-A 102 in den Zuständigkeitsbereichen aller Wasserbehörden sinnvoll.
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