FGSV-Nr. FGSV 002/117
Ort Münster
Datum 15.03.2017
Titel Klimawandel – Berücksichtigung beim Bau von Straßen
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Oeser, Dipl.-Ing. Lukas Renken
Kategorien Kommunal
Einleitung

Die Auswirkungen des Klimawandels sind insbesondere in kommunalen Bereichen, wo eine Vielzahl von Menschen auf engem Raum leben, von besonderem Interesse. Durch industrielle Aktivitäten steigen die Emissionen von Treibhausgasen weiterhin an und die Folgen treffen in seiner vollen Härte auf die urbanen Bereiche. Neben einer deutlich spürbaren Erhöhung der Temperatur sowie einer Veränderung des Stadtklimas, nehmen auch Extremwetterereignisse und Überflutungen in kommunalen Ballungsräumen zu. Im Rahmen dieser Studie werden aktuelle Handlungs- und Forschungsstrategien im Bereich der Entwicklung von Materialien zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung für kommunale Bereiche vorgestellt und erläutert. Als besonders effektive Maßnahme wird auf die Entwicklung eines neuartigen, umweltfreundlichen und wasserdurchlässigen Belags in besonderem Maße eingegangen. Um die Mobilität in seiner Qualität aufrechtzuerhalten ist die Entwicklung weiterer Handlungsstrategien sowie eine weitere Anpassung der Infrastruktur an die klimatischen Bedingungen unerlässlich.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Der globale, hauptsächlich von den Menschen verursachte Klimawandel stellt eine der größten umweltpolitischen Herausforderungen der heutigen Zeit dar. Maßgeblicher Grund hierfür ist der vom Menschen verursachte Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre. Bereits seit Beginn der Industrialisierung ließ sich weltweit ein deutlicher Anstieg der Treibhausgasemissionen mit einer damit verbundenen Temperaturerhöhung verzeichnen. (Haße 2012).

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war das Jahr 2014 mit einer mittleren Jahrestemperatur von 11,0 °C – und damit 2,8 °C über dem langjährigen Mittel von 8,2 °C – das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Darüber hinaus lagen von den insgesamt 20 wärmsten Jahren alleine elf im 21. Jahrhundert (LANUV 2016).

Langfristig muss auch mit einem weiteren, unvermeidbarem Anstieg der Temperaturen gerechnet werden. Aufgrund der Trägheit unseres Klimasystems werden sich diese Auswirkungen jedoch erst in den kommenden Jahrzehnten zeigen.

2 Auswirkungen des Klimawandels

Die Verkehrsinfrastruktur und seine Nutzer aber auch die urbanen Ballungsräume sind den Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar ausgesetzt. Die höheren globalen Temperaturen führen zu einer erhöhten Verdunstung von Wasser und folglich zu einer Zunahme der Häufigkeit und der Intensität von Niederschlägen. Trotz großer Variabilität kann eine Zunahme der Jahresniederschlagssumme zwischen 1881 und 2015 im Mittel um 107 mm verzeichnet werden (UBA 2016).

Die Folgen verursachen erheblichen Schaden an der Verkehrsinfrastruktur und führen zu einer Verkürzung der Lebensdauer sowie zu einer temporären Verfügbarkeitseinschränkung der Mobilität.

Neben einer strukturellen Störung der Infrastruktursubstanz sind umwelt- und klimarelevante Auswirkungen von zentraler Bedeutung. Vor allem Folgen im Hinblick auf die Luftqualität, des Wasserhaushaltes sowie eine Veränderung der klimatischen Verhältnisse spielen in kommunalen Bereichen eine wesentliche Rolle.

2.1 Feinstaub

Insbesondere in den vergangenen Jahren ist die Luftverschmutzung durch Feinstaub in Deutschland eines der maßgeblichsten kommunalen Umweltprobleme geworden. Vor allem Stickoxide, die in Ballungsräumen hauptsächlich aus dem Straßenverkehr (40 % der gesamten Emissionen) stammen, tragen zur Feinstaubbelastung bei und sind gefährlich für die Umwelt. Nach Angaben des Umweltbundesamtes wurden im Jahre 2014 an etwa 50 % der Messstationen der Jahresmittelwert von 40 g/m3 überschritten. Daher werden neben präventiven Maßnahmen, wie zum Beispiel der Verminderung des Schadgasausstoßes durch primäre Emissionsquellen (z. B. Straßenverkehr, industrielle Verbrennungsprozesse, Landwirtschaft) auch Maßnahmen notwendig bei denen die Konzentration von Schadstoffen direkt in der Luft bekämpft wird.

2.2 Wasserhaushalt

Die Zunahme der versiegelten Flächen in Deutschland stellt ebenfalls eine zentrale Problematik dar. In den Jahren 2006 bis 2009 wurden täglich durchschnittlich 94 Hektar Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Derzeit beträgt der versiegelte Anteil der bundesdeutschen Gesamtfläche etwa 13 % (DESTATIS 2014). In urbanen Ballungsräumen kann der versiegelte Anteil dieser Flächen bis zu 50 % und in Einzelfällen sogar bis zu 70 % betragen (UBA 2011).

Durch die Flächenversieglung werden natürliche Versickerungsflächen reduziert. Folgen können sich in Form einer Veränderung des natürlichen Wasserabflusses sowie in einer daraus resultierenden Störung des natürlichen Wasserkreislaufes zeigen (Balades et al. 1995). Dieser Sachverhalt kann insbesondere in dicht bebauten Gebieten wie in Innenstadt- oder Gewerbebereichen bereits bei einem durchschnittlichen Regenereignis zu einer hohen Beanspruchung der Drainage- und Rückhaltesysteme führen. Als Folge muss das nicht rückhaltbare Regenwasser dem Vorfluter zugeführt werden. Da sich in den Vorflutern die Abflüsse aus kleinräumigen natürlichen Einzugsgebieten mit den Abflüssen der Kanalnetzüberlastung überlagern, bilden sich sogenannte urbane Sturzfluten. Die meisten vorhandenen Drainagesysteme können diesen, durch den Klimawandel mitverursachten Ereignissen, nicht standhalten (Kirkpatrick et al. 2009).

2.3 Stadtklima

Als weitere Folge des hohen Versiegelungsgrades insbesondere in kommunalen Bereichen tritt vor allem an warmen und windarmen Sommertagen der so genannte urbane Wärmeinseleffekt auf, welcher das Stadtklima erheblich verändert.

Als Wärmeinseleffekt (Urban Heat Island Effect kurz UHI) wird das Phänomen bezeichnet, bei welchem in urbanen Ballungsräumen bodennah höhere Temperaturen als in der ländlichen Umgebung auftreten. An besonders warmen Tagen wird die durch die Sonnenstrahlung verursachte Wärme in den dichten Materialien, insbesondere Asphaltstraßen und versiegelten Flächen, in Form von Wärmeenergie gespeichert. Die tagsüber gespeicherte Wärme wird nach Sonnenuntergang langsam an die Umgebung abgegeben und führt hier zu einer Erhöhung des urbanen Klimas.

3 Handlungsstrategien

Die sich bereits abzeichnenden Veränderungen des Klimawandels werden weitere soziale, ökologische und somit auch ökonomische Auswirkungen mit sich bringen. Durch eine unvermeidbare, voranschreitende Klimaerwärmung werden die Schäden der Infrastruktur und damit auch die Risiken für die Verkehrsteilnehmer zunehmen sowie die Kosten für Instandhaltungsmaßnahmen ansteigen.

Verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Handlungsstrategien sollen eine umweltfreundliche und klimaneutrale Verkehrs- und Infrastrukturentwicklung ermöglichen. Im Fokus steht hierbei eine möglichst geringe Beeinflussung der Umwelt und Natur. Hierzu zählt neben einer Reduktion von Treibhausgasen auch ein geringer Verbrauch von Verkehrsflächen. Auch ein effizienter Einsatz von Rohstoffen und Energie spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Dabei gilt es eine ausgewogene Balance zwischen einer wirtschaftlichen Entwicklung und einem möglichst sorgsamen Umgang mit Ressourcen zu gewährleisten.

Für eine erfolgreiche und höchst effiziente Entwicklung kommunaler Handlungsstrategien ist zunächst zwischen Klimaschutzmaßnahmen (CO2-Emissionsreduktion) und einer Anpassung der Verkehrsinfrastruktur an die veränderten Klimabedingungen zu unterscheiden. Durch eine Reduktion der Luftschadstoffe kann ein wesentlicher Beitrag zur Entlastung des Ökosystems geleistet werden und somit weitere Auswirkungen auf das Klima reduziert werden. Anpassungsmaßnahmen der Infrastruktur an das kommunale Klima werden erst seit relativ kurzer Zeit wissenschaftlich und politisch behandelt. Dabei stellt insbesondere die kommunale Verkehrsinfrastruktur eine kritische Größe dar, da von ihren Funktionen multiple wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen abhängen (con Schlieffen 2016).

Das Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen University engagiert sich bereits seit vielen Jahren durch Forschungsaktivitäten im Bereich der Entwicklung klimaangepasster Materialien sowie Maßnahmen der Verkehrsinfrastruktur zum Klimaschutz. Im Bild 1 sind exemplarische Forschungsschwerpunkte dargestellt und werden im Folgenden weiter erläutert.

Bild 1: Handlungsstrategien am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen University

3.1 Umweltfreundlicher Straßenbelag mit Titandioxid

Luftverschmutzung durch Schadstoffemissionen sowie der urbane Wärmeinseleffekt stellen zwei wesentliche umweltrelevante Problemstellungen dar, mit denen viele Städte und Kommunen auf der ganzen Welt konfrontiert sind. Durch die Einbindung von Titandioxid (TiO2) in den Oberbau können in der Straßenoberfläche photokatalytische Reaktionen hervorgerufen werden. Durch UV-A kann das Titandioxid aktiviert werden und dann als hochreaktiver „Aktivsauerstoff“ wirken, welcher den chemischen Oxidationsprozess beschleunigt und eine schnellere Zersetzung von Stickoxiden (NOx) aus Kraftfahrzeugen fördert. Zum anderen wird durch die Verwendung von Titandioxid der Absorptionsgrad der Sonneneinstrahlung reduziert und führt zu einer Abkühlung der Straßenoberfläche. Dies geschieht indem die weißen TiO2-Partikel die schwarze Oberfläche aufhellen und somit ein größerer Anteil der Einstrahlung reflektiert wird und der Wärmeinseleffekt reduziert werden kann (FE 09.0146/2010/HRB).

3.2 Temperierbare und Energieerzeugende Straße

Wie bereits erläutert führen die Auswirkungen des Klimawandels zu einer erheblichen Störung der Substanz der Infrastruktur. Einen weiteren umweltrelevanten Aspekt stellt auch der negative Einfluss des Winterdienstes dar. Durch den hohen Salzeintrag, der im Winter Glättebildung auf Straßen verhindern soll, werden Pflanzen und Gewässer verunreinigt.

Um diesen negativen Aspekten entgegenzuwirken kann eine Temperierung der Straßenoberflächen dafür genutzt werden, die Temperaturspanne des Asphaltoberbaus zu reduzieren, um die Lebensdauer der Straße zu verlängern. Insbesondere in den Wintermonaten kann so die Straße beheizt werden, um der Eisbildung entgegenzuwirken. Darüber hinaus kann die im Sommer durch Sonneneinstrahlung zugeführte Energie abgeführt werden, was gleichzeitig eine Kühlung der Asphaltfläche zur Folge hat.

Die abgeführte Energie kann gespeichert werden und zur energetischen Grundversorgung der umliegenden Infrastruktur genutzt werden (Bereitstellung von Prozess- und Raumwärme sowie Warmwasser aus regenerativen Energiequellen). Alternativ kann die gewonnene Wärmeenergie in der kalten Jahreszeit wieder zur Heizung der Straße zur Verfügung zu stehen (FE 5.196/2016/ARB).

3.3 Photovoltaik-integrierte Straße

Der Bedarf an elektrischer Energie wächst kontinuierlich. Dieser Bedarf wird durch zwei Trends maßgeblich beeinflusst: Zum einen macht die Energiewende mit dem Verzicht auf Atomkraft alternative Stromquellen unverzichtbar. Zum anderen steigert die zunehmende Elektromobilität den Bedarf zusätzlich.

In Deutschland gibt es rund 1,4 Milliarden Quadratmeter horizontale Flächen. Diese könnten für die Erzeugung von Strom genutzt werden. Mit der Entwicklung eines Konzeptes zur Energieerzeugung aus Verkehrsflächen auf Basis eines neuartigen Photovoltaik-integrierten Straßenkonzeptes ist hierfür ein wesentlicher Grundstein gelegt worden.

Das Systemkonzept besteht aus mehreren funktionalen Schichten unterschiedlicher Materialien und Werkstoffe, die miteinander kombiniert werden. Die Gestaltung der oberen gläsernen Deckschicht ist derart konzeptioniert, dass ein optimaler Photovoltaik-Wirkungsgrad ermöglicht werden kann und zugleich alle relevanten verkehrs- und bautechnischen Anforderungen erfüllt werden. Zusätzlich können durch eine spezielle Beschichtung der Oberfläche photokatalytische Effekte zur Luftreinhaltung beitragen, indem Stickoxide abgebaut werden.

Die Doppelnutzung von Straßen für Verkehr und als Energielieferant hat ein größeres Flächenpotenzial als Photovoltaik auf dem Dach.

3.4 Versickerungsfähige Befestigungen

Um das anfallende Niederschlagswasser wieder naturnah rückführen zu können und damit die weitreichenden Folgen der Flächenversieglung zu verringern, können versickerungsfähige Verkehrsflächenbefestigungen anstelle undurchlässiger Befestigungen, vor allem in kommunalen Bereichen eingesetzt werden. Insbesondere im Hinblick auf einen rücksichtsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen Grundwasser, Boden und Klima. Ein konstruktiver Lösungsansatz stellt die Einführung durchlässiger Befestigungen für Verkehrswege dar, insbesondere Wasserdurchlässige Asphalte (WDA) oder Betone bzw. Betonsegmente oder Pflastersteine können hierbei zum Einsatz kommen.

Obwohl Offenporige Asphalte (PA) innerhalb der letzten Jahre im Hinblick auf Klebkraft und Haltbarkeit optimiert und weiterentwickelt worden sind, bleiben diese aufgrund der hohen Anfälligkeit von Kornausbrüchen infolge mechanischer Schub- und Scherbeanspruchungen in ihrer Lebensdauer eingeschränkt (Renken et al. 2010). Bei derartigen Belastungen, die beispielsweise auf Parkplätzen, Betriebshöfen, Bushaltebuchten und generell im innerstädtischen Bereich häufig auftreten, kommt es in den monolithischen Klebestellen zu einem Versagen der Adhäsion. Weiterhin zeigt das verwendete Bindemittel aufgrund der großen zugänglichen Oberflächen eine erhöhte Alterungsanfälligkeit. Dies hat zur Folge, dass diese Asphalte für die kommunalen Bereiche nicht oder nur eingeschränkt geeignet sind.

Aufgrund des enorm hohen umwelt- und klimarelevanten Potenzials versickerungsfähiger Verkehrsflächen ist im Rahmen mehrerer Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durch das Institut für Straßenwesen in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen aus der Wirtschaft ein Polyurethan-gebundenes, offenporiges Material für Verkehrsflächenbefestigungen erforscht worden, welches im Folgenden näher betrachtet wird (FE 7.264/2012/ARB, FE 89.0304/2014, DFG 2016).

4 Versickerungsfähige Verkehrsflächenbefestigungen auf Basis von Polyurethan

Im Rahmen mehrerer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie in weiteren wissenschaftlichen Studien konnte bereits gezeigt werden, dass sich das synthetische Bindemittel Polyurethan (PU) für eine vollständige Substitution anderer Bindemittel, insbesondere von Bitumen, für die Herstellung von offenporigen Straßendeckschichtsystemen hervorragend eignet (FE 7.264/2012/ARB, FE 89.0304/2014, DFG 2016, Renken/Oeser 2014, Renken/Oeser 2015, Renken et al. 2015a, Renken et al. 2015b, Renken et al. 2015c).

4.1 Materialdesign und Funktionsprinzip

Bei dem multifunktionalen Werkstoff Polyurethan handelt es sich um ein Lösemittelfreies Zwei-Komponenten System, welches sich hervorragend zur Verfestigung von Gesteinen eignet. Im Wesentlichen besteht Polyurethan aus den Rohstoffen Polyol und Polyisocyanat.

Die chemische Zusammensetzung lässt sich in folgende Komponenten unterteilen (A- und B-Komponente):

A-Komponente: Zusatzmittel enthaltendes Polyolgemisch

B-Komponente: Dipehnylmethan-diisocyanat.

Die Herstellung von Verkehrsflächensystemen mit PU-Bindemitteln ist prinzipiell mit einer konventionellen Bauweise gleichzusetzen. Die Gesteinskörnungen werden mit dem Bindemittel bis zur vollständigen Mischguthomogenität vermischt. Aufgrund des hohen Bindevermögens des PU-Bindemittels unterscheidet sich jedoch das Funktionsprinzip der Gesamtkonstruktion gegenüber der konventionellen Bauweise erheblich.

Bei der Herstellung von PU-Asphalt ist es erforderlich, die spezifische Oberfläche der verwendeten Gesteinskörnungen mit dem Polyurethan vollständig zu benetzten, dadurch werden die Gesteinskörnungen an den Kontaktstellen dauerhaft zu einer monolithischen, dreidimensionalen, verformungsbeständigen Struktur verfestigt (Bild 2). Obwohl die monolithische Verklebung nur an den Kontaktstellen auftritt, entsteht eine sehr hohe Materialfestigkeit, sodass problemlos offenporige Strukturen mit hohen Festigkeiten erreicht werden können.

Bild 2: Funktionsprinzip von offenporigen PU-Systemen (Renken/Oeser 2015)

Bild 3: Offenporige PU-Asphaltprobe (Renken/Oeser 2015)

4.2 Derzeitiger Entwicklungsstand

Durch die bisherige Forschungsleistung konnten ein vollständig neues Materialkonzept auf Basis von Polyurethan sowie mögliche Einbauverfahren und -technologien entwickelt und erprobt werden. Anhand der Forschungsergebnisse wurde festgestellt, dass durch die Verwendung von Polyurethan die Materialperformance des Deckschichtmaterials erheblich gesteigert werden kann. Weiterhin wurde die neuartige Straßendeckschicht auf einer Testfläche mit geeigneten, modifizierten Herstellungs- und Einbauverfahren realisiert und bewertet.

Im Wesentlichen konnten folgende relevante, mechanische Materialcharakteristika festgestellt werden:

– Hohe Verformungsbeständigkeit unter Beibehaltung der Duktilität

– Hohe Ermüdungsbeständigkeit – Geringe Beeinflussung durch Temperatur

– Gute Versickerungs- und Drainageleistung

– Sehr hohe mechanische Oberflächenresistenz (Kornausbruch)

– Geringes Alterungsverhalten.

Demnach ist es erstmals möglich die hervorragenden, funktionalen Eigenschaften eines offenporigen Systems mit einer hochstabilen Materialperformance und -dauerhaftigkeit zu verknüpfen. Darüber hinaus lassen sich durch ein gezieltes Materialdesign lärmwirksame sowie flächenschonende Planungsziele berücksichtigen.

Durch die Vielzahl der Untersuchungen konnte bereits die Anwendungsreife nachgewiesen werden. Um jedoch eine strategisch sinnvolle und effiziente Umsetzung der wissenschaftlichen Entwicklung in Praxis gewährleisten zu können, erfolgt derzeit eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Experten aus verschiedenen Fachbereichen.

4.3 Gesamtsystem

Aufgrund der erhöhten Durchlässigkeit des PU-Deckschichtsystems, ist bei der Konstruktion des Gesamtsystems das Untergrunddesign im besonderen Maße zu berücksichtigen. Eine Versickerung des Regenwassers durch die Schicht bewirkt eine Zunahme der Wasserzuführung in die darunterliegenden Schichten. Dies widerspricht jedoch den Regeln der Bautechnik, gemäß derer das Niederschlagswasser weitgehend von der Konstruktion fernzuhalten ist. Daher sind besondere Anforderungen an den Schutz der Konstruktion zu stellen. Diesbezüglich wurden bereits Untersuchungen von (Oeser et al. 2012) im Hinblick auf die hydraulischen und mechanischen Eigenschaften für Untergrundmaterialien durchgeführt. Zur Sicherstellung einer dauerhaften Wasserdurchlässigkeit der Konstruktion ist es notwendig, einen ausreichend wasserdurchlässigen Untergrund unter Berücksichtigung der anstehenden Wasserverhältnisse zu realisieren. Weiterhin ist eine Notentlastung für dauerhaft verbleibende Oberflächenabflüsse vorzusehen. Ist die Differenz der Durchlässigkeitsbeiwerte der Einzelschichten zu groß, können durch den entstehenden Strömungsdruck Feinanteile in die Porenräume des stärker durchlässigen Materials transportiert werden, was zu einer Systemdestabilisierung führen kann (Ulonska 2009). In (Renken et al. 2015b) wurden bereits hydraulische Eigenschaften von durchlässigen PU-Asphaltmaterialien unter Berücksichtigung des Sättigungszustandes untersucht.

4.4 Umwelt- und klimatechnische Wirksamkeit

Aufgrund der offenporigen Struktur des Gesamtsystems sowie der Verwendung alternativer Baustoffe lassen sich weitreichende umwelt- und klimatechnische Auswirkungen feststellen.

4.4.1 Rohstoffe

Deckschichten konventioneller Verkehrsflächenaufbauten bestehen überwiegend aus Asphalt, welcher sich aus Gesteinskörnern unterschiedlicher Größe, aus Bitumen und ggf. weiteren Zusatzstoffen zusammensetzt. Bei Bitumen handelt es sich um ein durch Vakuumdestillation von Rohöl gewonnenes Produkt. Da es sich bei Bitumen nicht um einen nachwachsenden Rohstoff handelt, ist die Verfügbarkeit dieses Baustoffes an die Rohölförderung geknüpft.

Polyurethane hingegen können teilweise oleochemisch, also auf der Basis von Pflanzenölen erzeugt werden. Das Hauptaugenmerk bei der Entwicklung derartiger Polyurethane auf liegt auf der Komponente Polyol. Für die Herstellung der Polyolkomponente können bis zu 100 % nachwachsende Rohstoffe verwendet werden. Auf das Polyurethan-Gesamtsystem bezogen ergibt dies einen Anteil von nachwachsenden Rohstoffen von etwa 50 %.

Wenn die für die Herstellung von Polyurethanen eingesetzten Ausgangsstoffe vollständig miteinander reagiert haben und keine reaktiven Ausgangsstoffe mehr vorhanden sind, besitzen diese Produkte keinerlei gesundheits- oder umweltbedenkliche Eigenschaften mehr.

Demnach ist es möglich, durch eine Verwendung von Polyurethan den begrenzten Rohstoff Öl zu schonen und einer langfristigen Verknappung entgegen zu wirken.

4.4.2 Materialherstellung

Eine weitere wesentliche ökologische Vorteilhaftigkeit des PU-gebundenen Materials zeigt sich hinsichtlich des Primärenergiebedarfs sowie bezüglich der Schadstoffemission während der Materialherstellung und während des Einbaus gegenüber konventionellen Asphaltmaterialien.

Präzise Erkenntnisse bezüglich des Primärenergieverbrauchs sowie der Schadstoffemissionen während des Einbauprozesses von Polyurethan-Asphalt werden derzeit näher untersucht. Aufgrund einer Kaltverarbeitung in situ kann davon ausgegangen werden, dass sowohl der Primärenergiebedarf als auch die Schadstoffemissionen während des Einbauprozesses deutlich geringer gegenüber konventioneller Asphaltbauweise ausfallen.

4.4.3 Stadtklima

Versickerungsfähige Verkehrsflächensysteme besitzen aufgrund ihrer offenporigen Struktur eine geringere Dichte und folglich ein geringeres Wärmespeichermögen als dichte Aufbauten. Hierdurch ist es möglich, die rückstrahlbare Wärmemenge der Verkehrsflächen – die i.d.R. bei Tag gespeichert und nachts zurückgegeben wird – zu reduzieren und einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas zu leisten. Das in den Schichten der versickerungsfähigen Verkehrsflächen gespeicherte Wasser kann an heißen Tagen teilweise verdunsten. Durch die Verdunstungskälte wird eine weitere Verbesserung des Stadtklimas erreicht. Beide Effekte tragen zu einer Vermeidung von Hitzeinseleffekten in urbanen Räumen bei.

4.4.4 Wasserhaushalt

Durch die Gewährleistung einer Infiltration des Niederschlagswassers durch die Schichten, kann das anfallende Oberflächenwasser schnell drainiert werden. Als Folge können Spitzenwasserabflüsse reduziert und eine Entlastung der Drainagesysteme realisiert werden (Borgwardt 2006 und Pratt et al. 1989). Weiterhin kann durch eine erhöhte Versickerungsleistung der Verkehrsflächen die Grundwasserneubildung signifikant erhöht werden, wodurch eine bessere Versorgung der umliegenden Flora möglich ist.

4.4.5 Feinstaubbelastung

Die Resuspension von Feinstaubpartikeln insbesondere im kommunalen Bereich stellt einen wesentlichen Faktor dar. Durch fahrzeuginduzierte Turbulenzen, welche durch Verwirbelungen der Luft durch Fahrzeugbewegungen verursacht werden, entstehen Aufwirbelungen der sich auf der Fahrbahnoberflächen befindenden Partikeln. Werden diese Partikel wieder in die Luft getragen, erfolgt eine erhöhte Feinstaubbelastung in urbanen Ballungsräumen.

Offenporige und insbesondere hochbelastbare Materialsysteme können als sehr wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Feinstaubbelastung in Städten eingesetzt werden. Durch die offenporige Struktur werden die verkehrsinduzierten Partikel nur im geringeren Maße an der Oberfläche gesammelt und tragen somit maßgeblich zu einer Verbesserung der Luftqualität in kommunalen Bereichen bei.

5 Fazit

Die Auswirkungen des Klimawandels sind insbesondere in kommunalen Bereichen, wo eine Vielzahl von Menschen auf engem Raum leben von besonderem Interesse. Hier ist die Bevölkerung durch höhere urbane Temperaturen und veränderter Luftqualität besonders betroffen. Weiterhin wird der Infrastruktur, durch eine Erhöhung der Anzahl von Extremregenereignisse und einer damit verbundenen Zunahme urbaner Überflutungen, ein erheblicher Schaden zugefügt. Durch eine Einschränkung der Mobilität wird die Lebensqualität der Menschen erheblich reduziert. Daher ist es zwingend notwendig alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen um die Mobilität in seiner Qualität aufrechtzuerhalten.

Das Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen University fügt sich mit seinen Forschungsaktivitäten im Bereich der Entwicklung von Materialien zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung dem positiven Trend zu einer umweltfreundlichen Infrastruktur. Die Forschungsaktivitäten stellen jedoch nur einzelne Bausteine dar. Um die Verkehrsinfrastruktur für die weiteren zu erwartenden klimatischen Herausforderungen zu verbessern, bedarf es weiterer, interdisziplinärer Forschungsaktivitäten zur Entwicklung und Umsetzung neuer Materialien und klimaresistenter Bauweisen.

Literaturverzeichnis

Balades, J-D.; Legret, M.; Madiec, H. (1995): Permeable Pavements: Pollution Management Tools. In: Water Science and Technology, Band 31, Heft 1, London, Großbritannien, S. 49-56

Borgwardt, D. S. (2006): Long-term in-situ infiltration performance of permeable concrete block pavement. Proc. of 8th International Conference on Concrete Block Paving, San Francisco, USA

DESTATIS (2014): Siedlungs- und Verkehrsfläche wächst täglich um 74 Hektar. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden

DFG-Projekt (2016): „Hydraulisch-mechanische Wechselwirkung in wasserdurchlässigen Fahrbahnaufbauten unter Berücksichtigung teilgesättigter Zustände”;

FE 05.0196/2016/ARB (2016): Temperierte Straße – Untersuchungen zur Realisation eines Demonstrators auf dem duraBASt. FuE-Projekt, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

FE 07.0264/2012/ARB (2012): Simulationsgestützte Entwicklung neuer Straßenbaustoffe und innovativer Herstellungs- und Einbautechnologien, FuE-Projekt, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)

FE 09.0146/2010/HRB (2010): Umweltfreundlicher Straßenbelag mit Abgasnachbehandlung durch photokatalytischen Stickstoffdioxidabbau unter Nutzung der Nanotechnologie. FuE-Projekt, Bundesanstalt für Straßenwesen

FE 89.0304/2014: (2015): 2. Entwicklungsstufe einer innovativen offenporigen Deckschicht aus PU-Asphalt, FuE-Projekt, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Haße, C. (2012): Die Folgen des Klimwandels in Deutschland, Umweltbundesamt, Hintergrundpapier, Dessau-Roßlau

Kirkpatrick, R.; Campbell, R.; Smyth, J.; Murtagh, J.; Knapton, J. (2009): Improvement of Water Quality by Coarse Graded Aggregates in Permeable Pavements. Proc. of 9th Internatonal Conference on Concrete Bock Paving, Buenos Aires, Argentinien

Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2016): Klimawandel und Klimafolgen in Nordrhein-Westfalen, Ergebnisse aus dem Monitoringprogrammen 2016, LANUV-Fachbericht 74, Recklinghausen

Oeser, M.; Meyer, A.; Ueckermann, A.; Schacht, A.; Renken, L. (2015): Design von Straßenoberflächen – Zielkonflikte zwischen akustischen Eigenschaften, Griffigkeit, Rollwiderstand, Dauerhaftigkeit und Fahrkomfort, VDI-Berichte 2241, Düsseldorf

Oeser, M.; Hovagimian, P.; Kabitzke, U. (2012): Hydraulic and mechanical properties of porous cement-stabilised materials for base courses of PICPs. In: International Journal of Pavement Engineering, Band 13, Ausgabe 1

Pratt, C.J.; Mantle, J.D.G.; Schofiel, P.A. (1989): Urban Stormwater Reduction and Quality Improvement Through the use of Permeable Pavements. In: Water Science and Technology Band 21, Heft 9, London, Großbritannien, S. 769–778

Renken, L.; Kreischer, S.; Oeser, M. (2015a): Entwicklung von Deckschichtmaterialien für versickerungsfähige Verkehrsflächenbefestigungen auf Basis alternativer Bindemittel – Teil II: Ansprache der Performance, Straße und Autobahn, Ausgabe 11-2015, S. 776–784, Kirschbaum Verlag, Bonn

Renken, L.; Oeser, M. (2015): Entwicklung von Deckschichtmaterialien für versickerungsfähige Verkehrsflächenbefestigungen auf Basis alternativer Bindemittel – Teil I: Festigkeit, Permeabilität, Kornverlust, Straße und Autobahn, Ausgabe 09-2015, S. 601–608, Kirschbaum Verlag, Bonn

Renken, L.; Oeser, M. (2014): Innovative Material Concepts – Application Potentials and Characterization of Synthetic Road Pavements. In: Aachener Mitteilungen, Band 62, Proc. of the 3rd. China-Europe Workshop on Functional Pavement, Aachen, S. 101–112, 2014

Renken, L.; Oeser, M.; Milatz, M.; Grabe, J. (2015b): Measurement of Hydraulic Properties of Unsaturated Permeable Polyurethane bound Asphalt. Proc. of the 6th Asia-Pacific conference on unsaturated soils (AP UN-SAT 2015), Guilin, China

Renken, L.; Simon, M.; Oeser, M. (2015c): Development of Permeable Block Pavements based on Polyurethane. Proc. of the 11th Conference on Concrete Block Pavement (ICCBP 2015), Dresden

Renken, P.; Wistuba, M.; Grönninger, J.; Schindler, K. (2010): Adhäsion von Bitumen am Gestein. In: Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Forschungsbericht, Heft 1043, Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, Bonn

UBA (2011). HOCHWASSER – verstehen, erkennen, handeln . Umweltbundesamt c/o GVP

Ulonska, D. (2009): Planung und Ausführung dauerhafter Betonpflasterbauweisen. Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. (SLG), Fassung April 2009, Bonn

von Schlieffen, G. (2016): Klimawandel-Herausforderungen für den Straßenbau. VSVI-Verkehrsforum, Romrod