FGSV-Nr. FGSV 002/117
Ort Münster
Datum 15.03.2017
Titel Finanztechnische Aspekte beim Tiefbauinfrastrukturmanagement – Kommunales Erhaltungsmanagement neu denken
Autoren StBDir. Dipl.-Ing. Alexander Buttgereit, Dipl.-Betriebsw. Stefan Gomolluch
Kategorien Kommunal
Einleitung

Straßen sind seit je her die Lebensadern unserer Gesellschaft. Sie verbinden Menschen unterschiedlicher Kulturen, fremde Länder und ermöglichen z. B. Handel und wirtschaftlichen Wohlstand. Die Straßen, Wege und Plätze unserer Städte dienen darüber hinaus als Aufenthaltsraum und der Kommunikation. Sie stellen damit einen großen gesellschaftlichen Wert dar. Ohne sie kämen wir nicht zur Arbeit, nicht in die Schule, nicht ins Schwimmbad oder Theater, nicht zum Einkaufen oder bekämen nicht unsere Bestellungen per Internet geliefert. Schlicht gesagt, ohne eine gut ausgebaute und gut gepflegte Verkehrsinfrastruktur wäre unsere moderne Lebensweise nicht möglich. Durch die Einführung des NKF vor mehr als 10 Jahren trat plötzlich der „finanzielle Wert der Straßen“ ins Bewusstsein der Handelnden in Politik, Gesellschaft und Verwaltung. Die kommunalen Straßenbauverwaltungen waren aufgefordert, das Anlagevermögen zu ermitteln und die Abschreibungszeiträume bzw. die Gesamtnutzungsdauern ihrer Straßen abzuschätzen, eine Vorgehensweise, die z. B. im Bereich der Stadtentwässerung oder der Versorgungsnetze seit Jahrzehnten gelebte Praxis ist. In diesem Beitrag soll eine Idee für ein Infrastrukturmanagement vorgestellt werden, die es ermöglicht, eine Datenlage und ein Instrument zu schaffen, welches den „wahren“ Bestand und Bedarf der Infrastruktur über ihren gesamten Lebenszyklus darstellt, die Aktualisierungen sicherstellt und im unmittelbaren Zugriff der Entscheidungsträger liegt. Dies führt zu Verbesserungen der Prozesse mit optimiertem Personaleinsatz und nachhaltiger Senkung der Haushaltsrisiken, spürbare Haushaltsentlastung und Gebührenstabilität.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Die Verkehrsinfrastruktur der Kommunen stellt auf der einen Seite die Grundlage für die Funktion des öffentlichen Lebens und auf der anderen Seite ein enormes Anlagevermögen dar. Die täglichen Wege zur Arbeit, Versorgung und Daseinsfürsorge, der Transport von Gütern oder auch Freizeitverkehre werden über die Straßen abgewickelt. Somit haben die Verkehrsanlagen einen sehr hohen Stellenwert für die Wirtschaft und das soziale Leben.

Im Rahmen der Einführung des neuen kommunalen Finanzmanagements (NKF) mussten Kommunen in verschiedenen Bundesländern, u. a. seit 2005 auch in NRW, ihr Anlagevermögen erfassen und bewerten. Darüber hinaus haben die Landesstraßenbauverwaltungen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland ihre Straßeninfrastruktur zwischenzeitlich erfasst und monetär bewertet.

Neben der technischen Sicht sind die kaufmännische Sicht sowie Lebenszykluskostenbetrachtungen im Erhaltungsmanagement zusätzlich eingeflossen. Eine präzise Abschätzung des Finanzbedarfs für die Straßenerhaltung ist trotz zu Hilfenahme von Pavementmanagement (PMS)-Programmen immer noch mit einem erheblichen Aufwand verbunden, zudem sie nur valide Ergebnisse für Fahrbahnen in Asphalt- oder Betonbauweise liefern. Diese Flächen stellen aber nur einen Teil der zu unterhaltenden öffentlichen Verkehrsflächen dar. Je genauer eine Berechnung sein soll, umso größer ist die hierfür erforderliche Datenmenge. Diese erstmalig zu beschaffen und dauerhaft auf dem erforderlichen Niveau zu erhalten bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Aufwand, der in Zeiten von Personal- und Finanzknappheit in vielen Fällen nicht zu leisten ist.

Bild 1: Vermögensübersicht zum 31. 12. 2014 (Tiefbauamt Münster, 2016)

Für die Kommunen stellen die Verkehrsanlagen einen der größten Posten im Anlagevermögen dar (Bild 1). Dieses Kapital gilt es dauerhaft zu erhalten. Wenn der bereits begonnene Werteverfall (Bild 2) aufgehalten werden soll, ist ein qualifiziertes Erhaltungsmanagement, am besten für die gesamte kommunale Infrastruktur, erforderlich. Deshalb sollte es Ziel der kommunalen Straßenbaulastträger sein, die erforderlichen Eingriffe in die Straßeninfrastruktur rechtzeitig durchzuführen, insgesamt zu minimieren bzw. die unvermeidbaren Eingriffe zu koordinieren. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel sind optimal einzusetzen, um die Nutzungsdauern zu erreichen und den Werterhalt des Anlagevermögens sicher zu stellen.

Bild 2: Vermögensentwicklung des Tiefbauinfrastrukturvermögens in Münster (Tiefbauamt Münster, 2016)

2 Blick zurück

Das Thema „systematische Erhaltungsplanung“ ist auch im kommunalen Straßenbau nicht neu. Seit Jahrzehnten wird nach Möglichkeiten bzw. Lösungen gesucht, beispielsweise den operativen und den strategischen Finanzbedarf zu ermitteln. Die Grundlagen für die moderne systematische Straßenerhaltung in Deutschland hat nach Meinung der Autoren Professor Alfred Schmuck bereits in den 1980er Jahren entwickelt und 1987 in seinem Buch „Straßenerhaltung mit System Grundlagen des Managements“ (Schmuck, 1987) niedergeschrieben. Sie stellen nach Meinung der Autoren bis heute eine sehr gute Grundlage für PMS-Anwendungen in Deutschland dar.

Da die Komplexität innerorts um ein Vielfaches höher ist als außerorts, sind zunächst für Außerortsfahrbahnen Algorithmen entwickelt worden, die zum Beispiel auf der Grundlage von systematischen Zustandserfassungen und -bewertungen der Straßen (hauptsächlich der Fahrbahnen) mithilfe von Prognosefunktionen zur voraussichtlichen Entwicklung des Straßenzustands Erhaltungsprogramme für die nächsten 5-10 Jahre berechnen (operatives Erhaltungsmanagement) bzw. den Finanzbedarf langfristig abzuschätzen versuchen (strategisches Erhaltungsmanagement). Die dabei eingesetzten Ansätze und Modelle sind in den allermeisten Fällen zustandsgesteuert, sei es anhand von einfachen Schwellenwerten, die eine geeignete Erhaltungsmaßnahme hervorrufen oder auf Grundlage von hochkomplexen Simulationen der Zustandsentwicklung (z. B. Bildung von Markov-Ketten). Diese zustandsgesteuerten Ansätze kann man als „reaktive“ Prozesse bezeichnen, die eine kurzfristige bis höchstens mittelfristige Erhaltungsplanung ermöglichen.

Für den Innerortsbereich ist nach Recherchen der Autoren erst 2013 im Forschungsbericht „Daten und Methoden für ein systematisches Erhaltungsmanagement innerörtlicher Straßen“ (Maerschalk, Krause, Socina, Köhler, Stöckner, 2013) eine umfassende, nachvollziehbare Systematik entwickelt worden, mit der sowohl Erhaltungsprogramme für alle kommunalen Verkehrsflächen als auch der Finanzbedarf berechnet bzw. abgeschätzt werden können.

Bereits die für das PMS von Außerortsstraßen erforderlichen Daten in geeigneter Güte zu beschaffen, beschreiben die Experten von PM-Systemen als nicht einfach. Für kommunale Straßen sei es meist um ein Vielfaches schwerer bzw. beinahe unmöglich. Damit stellt sich für die Autoren dieses Beitrags die Frage, inwieweit es für Kommunen überhaupt möglich sein wird, die erforderlichen Daten in Zeiten knapper Kassen und fortschreitendem Personalabbau in geeigneter Qualität zu ermitteln und dauerhaft zu pflegen. So verwundert es auch nicht, dass nach einer nicht repräsentativen Umfrage unter 200 Städten zum Straßen-Geokongress 2014 in Münster nur 23 % angegeben haben, bereits mit einem Erhaltungsmanagement zu arbeiten (Sig Media, 2014).

Diese Zweifel der Autoren werden durch die im Folgenden beispielhaft aufgeführten Besonderheiten in Kommunen weiter gestützt:

1.       Prognose der Verkehrsbelastung bzw. des Schwerverkehr

Bereits die Prognose der Verkehrsbelastung auf den Fernstraßen ist in der Vergangenheit und bis heute mit großen Unsicherheiten versehen. Gerade in den Kommunen ist aber die städtebauliche und somit die verkehrliche Entwicklung ein kontinuierlicherer, schnellerer, sich verändernder Prozess als außerorts. Allein die Feinmaschigkeit kommunaler Straßennetze, verbunden mit den individuellen Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer, macht eine zuverlässige Prognose bereits unmöglich. Planerische Entscheidungen, wie zum Beispiel die Neuordnung von Buslinien im Nahverkehrsplan, werden in den Modellen bislang nicht berücksichtigt. In Nebenstraßen sind aber Busse die maßgebende Belastung bei der Dimensionierung des Oberbaus bzw. beeinflussen Busverkehre die Zustandsentwicklung der Fahrbahnen, besonders bei nach heutigen Randbedingungen unterdimensionierten Straßen.

2.       Fehlende Prognosefunktion für die Zustandsentwicklung kommunaler Straßen

Prognosefunktionen zur Zustandsentwicklung kommunaler Straßenflächen fehlen weiterhin. Jüngst ist im Forschungsprojekt FE 77.0502/2010/LA „Entwicklung von Prognosefunktion für den Straßenzustand kommunaler Straßen“, veröffentlicht im Heft 1107 (Oeser, Kemper, Wang, Vallée, Schneider, 2014) zum wiederholten Male mit erheblichem Aufwand versucht worden, Prognosefunktionen für die Entwicklung des Straßenzustands kommunaler Straßen zu bestimmen. Jedoch lasse auch hier die zugrunde liegende Datenmenge keine repräsentativen, allgemeingültigen Aussagen zu, wie bereits in der Kurzzusammenfassung des Berichts selbst erwähnt worden ist. Diese Prognosefunktionen sind aber im Modul Zustandsentwicklung sowie für einige Folgemodule von zentraler Bedeutung.

3.       Pflasterflächen bleiben bislang im PMS unberücksichtigt

Neben den Asphaltflächen müssen die Pflaster- und Plattenflächen, die einen großen Teil  der kommunalen Verkehrsflächen, insbesondere in sensiblen Innenstadtbereichen, ausmachen (in Münster ungefähr 1/3 der öffentlichen Verkehrsfläche), in ein praxisgerechtes Kontroll-, Bewertungs- und Erhaltungssystem eingebunden werden. Ohne Aussagen zu diesen nicht asphaltierten Verkehrsflächen, erscheint eine systematische Erhaltungsplanung bzw. ein systematisches Infrastrukturmanagement nicht sinnvoll möglich bzw. wird der Finanzbedarf nur unvollständig ermittelt.

4.       Arbeiten der Versorgungsträger und Dritter bleiben bislang im PMS und bei der Ermittlung des Finanzbedarfs unberücksichtigt

Neben den Baumaßnahmen des Straßenbaulastträgers beeinflussen Baumaßnahmen von Ver- und Entsorgungsunternehmen oder privater Bauherren die Zustands- bzw. Substanzentwicklung kommunaler Straßen (Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, 1989). Eine Vielzahl an verschiedenen Leitungen verschiedener Versorgungsträger befindet sich unter der Verkehrsoberfläche. Auch dieses Netz steht in den nächsten Jahren zur Erneuerung an, so dass ein Kompromiss, wie er exemplarisch im Bild 3 dargestellt ist, gefunden werden muss.

Die Abstimmung mit den Versorgungsträgern über den Zeitpunkt der Maßnahmen und die Möglichkeit der Verbindung mit dem Erhaltungsprogramm der Verkehrsflächen ist eine zunehmende Herausforderung für den kommunalen Straßenbau.

Bild 3: Skizze des Verlaufs der Nutzungsdauer unterschiedlicher Anlagen (Buttgereit, 2014)

5.       Keine flächendeckenden RStO-Oberbauten

In vielen Städten existieren immer noch viele Straßen mit von den RStO abweichenden Straßenaufbauten. Dies ist nicht verwunderlich, da die RStO erstmals 1972 erschienen sind und in den Kommunen vielfach eigene, auf Erfahrungen basierende Straßenaufbauten verwendet worden sind. Zudem werden viele dieser Aufbauten nicht den erforderlichen Aufbauten nach den derzeit gültigen RStO entsprechen. Deren Zustandsentwicklung mit geeigneten, noch zu entwickelnden Verhaltensfunktionen präzise vorherzusagen und einen validen Finanzbedarf zu ermitteln erscheint fraglich.

6.       Finanzsicht aus dem NKF wird im PMS bislang nicht berücksichtigt

Die Anforderung aus dem seit mehr als 10 Jahren geltenden Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF) wie Werteverzehr, Vermögensentwicklung, und Entwicklung der Restnutzungsdauer können mit den derzeitigen PM-Systemen trotz hohem Aufwand für Daten und Datenqualität nur ansatzweise erfüllt werden. Des Weiteren wird die Grundlage für ein gutes Langzeitverhalten von Straßenbefestigungen bereits bei der erstmaligen Herstellung geschaffen. Qualitätsbewusstsein, fachlich richtige und praxisgerechte Ausschreibungen und eine konsequente Baustellenüberwachung sind für den langen Substanzerhalt ebenso ausschlaggebend wie fachlich gut ausgebildete Mitarbeiter in einer gut funktionierenden Organisation der Straßenerhaltung sowie die Überwachung der Arbeiten der Versorgungsträger. Je rechtzeitiger Unterhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten durchgeführt werden, umso kostengünstiger sind diese Maßnahmen. Gleichzeitig können die Straßen so ihre vorgesehene Lebensdauer erreichen, ohne vorher erneuert werden zu müssen.

Die immer knapper werdenden Finanzmittel für den Straßenbau haben in Verbindung mit einem starken Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung, bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen an das Personal in den letzten Jahren dazu geführt, dass die o. g. Grundlagen häufig nicht mehr gegeben sind. Die Folgen sind schlechtere Straßen und eine verminderte Nutzungsqualität, größere Immissionen und vermehrte Verkehrsbeschränkungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit erscheint die Frage berechtigt zu sein, ob es unter diesen Randbedingungen überhaupt sinnvoll ist, ein kommunales EMS aufzubauen?

3 Nutzen und Notwendigkeit eines kommunalen Erhaltungsmanagements (EMS-K) im NKF?

Bei der Beantwortung der Frage nach dem Nutzen bzw. der Notwendigkeit eines EMS-K erhält man zunächst die üblichen Antworten, wie z. B. die Verringerung der Beeinträchtigungen auf die Straßennutzer und Anlieger. Denn bei einer unkoordinierten Erhaltung wird auf entstehende Schäden nur reagiert, ohne das Umfeld der Schadstelle eingehend zu betrachten und die Historie heranzuziehen. Dies führt oftmals zu einer sogenannten „Flickschusterei“ mit vielen kleinflächigen Flickstellen. Da diese meist in Tagesbaustellen durchgeführt werden, werden unnötig viele Verkehrsbehinderungen verursacht, und es wird wenig nachhaltig gehandelt.

Durch eine koordinierte Erhaltungsplanung ergibt sich für die Anlieger eine Reduzierung der Bauzeiten, weil insgesamt weniger, dafür aber strategischer und umfassender gebaut bzw. saniert wird. Die Folge sind geringere Baustellenemissionen in Form von Lärm, Staub und Erschütterungen und eine Vermeidung von Schadstoffemissionen aus gestautem Verkehr. Neben einer Steigerung der Lebensqualität hat dies auch positive Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Verkehrsteilnehmer profitieren ebenfalls von der reduzierten Anzahl an Baustellen und somit von weniger Verkehrsbehinderungen. Positive Auswirkungen auf das Unfallgeschehen sind ebenfalls zu erwarten. Für den Straßenbaulastträger werden durch ein systematisches Erhaltungsmanagement die Abläufe und die Entscheidungsfindung in der Erhaltung transparenter. Durch den Zugriff auf ständig aktuelle Daten über die Zustände und Entwicklungen wird die Effizienz der Erhaltungsplanung gesteigert und das vorhandene Personal, Material und die Finanzmittel optimiert eingesetzt. Durch den strategisch verbesserten Finanzmitteleinsatz ergeben sich zudem Potenziale für weitere Maßnahmen und die Möglichkeit einer effektiveren Kostenkontrolle.

Den politischen Entscheidungsträgern wird zudem eine bessere Entscheidungsgrundlage durch Folgekostenbetrachtungen und Transparenz bei der Maßnahmenauswahl zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird die Vermögensentwicklung in der Bilanz jährlich ausgewiesen. Anhand von Kennzahlen können im Vergleich zur einfachen Mittelzuweisung eine wirksamere Steuerung des Erhaltungsmanagements und eine Erfolgskontrolle erfolgen.

Ein weiteres Argument für ein systematisches Erhaltungsmanagement ist eine mögliche Steigerung der Bauqualität. Denn umfassend geplante Sanierungen und Instandsetzungen ermöglichen die Steigerung der Dauerhaftigkeit. Zugleich bietet die bereits vorhandene Datengrundlage aus dem Erhaltungsmanagement die Basis für ein Baustellenmanagement, welches auf größtmögliche Bauqualität bei gleichzeitiger Koordination der Baumaßnahmen abzielt.

Wenn es also richtig ist, dass das vor rund 30 Jahren entwickelte Managementsystem weiterhin gilt, die Entwicklung eines praxisbezogenen Systems zur operativen und strategischen Erhaltungsplanung für kommunale Straßen aber keine zufriedenstellenden Ergebnisse lieferte, so erscheint es aus Sicht der Autoren sinnvoller nach anderen Lösungen zu suchen. Diese Lösungen sollen möglichst die Anforderungen der Straßenbautechnik, der Straßenerhaltung sowie die betriebswirtschaftlichen Aspekte des NKF verbinden und für Kommunen aller Größen anwendbar sein.

Das bedeutet, dass die Lösung aber auch Rücksicht auf die personelle und finanzielle Ausstattung der Kommunen nimmt und beispielsweise Informationen aus Routinearbeiten integriert, sodass die Akzeptanz für bzw. die Bereitschaft der potenziellen Anwender ein solches System anzuwenden besser gegeben ist.

Das übergeordnete Ziel ist ein Infrastrukturmanagement (Straßen, Brücken, Kanäle, Lichtsignalanlagen, Verkehrszeichen etc.), welches möglichst umfassend die wesentlichen Eingriffe in den Straßenraum erfasst, deren zeitliche wie räumliche Ausdehnung minimiert und die Gesamtkosten aller Eingriffe optimiert. Leider existieren in Deutschland derzeit nur rudimentäre Ansätze zur Unterstützung der Finanzplanung mit den erforderlichen Informationen.

Ein Schwerpunkt sollte in Münster also in den nächsten Jahren in der Weiterentwicklung eines rechnergestützten kommunalen Straßenerhaltungssystems (Pavementmanagementsystem – PMS) liegen, welches den Ingenieur bei seinen Entscheidungen unterstützt.

Im Vordergrund stehen insbesondere

die flexible und lückenlose Abbildung der Straßen und Wege bis auf die Inventarebene,

die Optimierung der Geschäftsprozesse und Leistungen, bei denen die sachgerechte und wirtschaftliche Steuerung von Kosten und Qualität im Vordergrund steht,

die sichere und wirtschaftliche Anbindung an das Rechnungswesen (SAP R/3) sowie die Projektsteuerungssoftware,

die Bereitstellung von Planungs- und Steuerungsinstrumenten,

die Bereitstellung von Qualitätssicherungssystemen.

Einen Lösungsansatz bietet beispielsweise das Tiefbauinfrastrukturmanagement Münster (TIMM). In diesem Beitrag wird beschrieben, wie diese Aufgabenstellung im Tiefbauamt Münster angegangen worden ist und welche Ergebnisse bislang in der Praxis erzielt worden bzw. in die tägliche Arbeit eingeflossen sind. Derzeit wird eine zweite Projektphase vorbereitet, die Mitte 2017 starten soll und eine Laufzeit von ca. drei Jahren haben wird. Nach Abschluss dieser zweiten Phase wird die Implementierung des TIMM weitestgehend abgeschlossen sein.

4 Methodik/Vorgehensweise zur Entwicklung des TIMM

Die Stadt Münster hat als lebenswerte Stadt eine sehr hohe Attraktivität. Das derzeit noch in relativ gutem Zustand befindliche Straßennetz leistet hierzu einen nicht unwesentlichen Beitrag. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich der Zustand von Münsters Straßen bei reduzierten Haushaltsmitteln für die Straßenerhaltung, wie in vielen anderen Städten, deutlich verschlechtern wird. Im Zuge der Einführung des NKF in Münster hat die Frage nach dem möglichen Finanzbedarf für den Straßenbau im Teilergebnisplan (konsumtiv) und im Teilfinanzplan (investiv) eine immer größere Bedeutung gewonnen.

Bereits in den 1980er Jahren hat das Tiefbauamt begonnen, ein System zur Qualitätssicherung zu erarbeiten. In diesem System sollen sowohl administrative Abläufe als auch bautechnische Qualitäten (z. B. Standardisierung von Bauweisen, Ausschreibungen…) verbessert werden. Seit 1996 führt das Tiefbauamt Münster regelmäßig messtechnische Zustandserfassungen und visuelle Schadenserfassungen durch. 2009 zeigte sich, dass die Prognoseberechnung, die aus der ZEB-Kampagne 2003 errechnet worden ist, deutlich vom Ergebnis 2009 abwich. Daher ist der Wunsch entstanden, gegebenenfalls mit weniger Aufwand, eine alternative Vorgehensweise zu entwickeln. Das NKF-Verfahren brachte eine weitere straßenbautechnische Herausforderung mit sich. Während in Münster die gemäß den RStO dimensionierten Straßen eine Nutzungsdauer (ND) von 30 Jahren erreichen sollen, sollen die kommunalen Straßen nach NKF-Gesetz NRW eine Nutzungsdauer von bis zu 60 Jahren erreichen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob kommunale Straßen in Münster länger als 30 Jahre halten bevor sie komplett erneuert werden müssen und wenn ja, unter welchen Randbedingungen das möglich ist?

Im Zuge der Einführung des NKF in Münster ist mit Unterstützung der Universität-Gesamthochschule Essen (Frau Prof. Edeltraud Straube †) eine Straßendatenverwaltungssoftware im Rahmen einer öffentlichen, europaweiten Ausschreibung beschafft worden. Den Zuschlag erhielt die Firma Geologix aus der Schweiz, die in der Software Logo das Schweizer PMS- Modell für Gemeinden „Grundmodell Werterhalt“ implementiert hat, das durch ein deutsches kommunales PMS ersetzt werden sollte. Die Auseinandersetzung mit den Grundgedanken dieses in der Schweizer Norm VSS Norm 640986 niedergeschriebenen kommunalen PMS hat einige Parallelen zu den Bedürfnissen im Tiefbauamt bei der Einführung des NKF gezeigt. Diese Grundgedanken sind in die Entwicklung des EMS-K zum TIMM eingeflossen und in den Folgejahren weiterentwickelt worden.

Im gleichen Zeitraum sind verstärkt Schäden an relativ neuen Straßen kurz nach Ablauf der Gewährleistung bzw. im Zuge der Baudurchführung festgestellt worden. Für diese Probleme mussten ebenfalls Lösungen gefunden werden. Dabei standen die folgenden Fragen im Mittelpunkt:

„Warum sind diese Fehler früher nicht aufgetaucht?“

„Was haben wir früher anders gemacht?“

„Was sind die Grundlagen für erfolgreiches Bauen?“

Zur Beantwortung der vorgenannten Fragen sind mehrere Projekte initiiert und bearbeitet worden, u. a.:

1.  Überprüfung, Optimierung und Standardisierung von Prozessen (Aufgrabungen, Qualitätskontrolle, Asphaltoberbauten etc.).

2.  Ermittlung der Nutzungsdauer kommunaler Straßen.

3.  Nutzen und Notwendigkeit eines kommunalen Erhaltungsmanagements.

4.  Optimierung der visuellen Zustandserfassung und -bewertung.

5.  Implementieren von neuen Verfahren zur Substanzbewertung.

Die Ergebnisse der vorgenannten Projekte sind einerseits in die Weiterentwicklung des Erhaltungsmanagementsystems Münster (EMS-MS) eingeflossen. Andererseits dienten sie zur Prüfung von sinnvollen Alternativen im EMS-MS und bildeten somit eine Grundlage zur Weiterentwicklung zum TIMM. Denn bundeseinheitliche Regelwerke für ein kommunales Infrastrukturmanagement existieren nicht. Es gibt z. T. anlagenspezifische Regelwerke für Abwasseranlagen und für Straßen, nicht jedoch für Brücken oder Ampelanlagen. Im TIMM werden schließlich die technische Sicht des Ingenieurs und die kaufmännische Sicht des Betriebswirts zusammengeführt (Bild 4).

Bild 4: Ganzheitliche Betrachtung durch TIMM (Tiefbauamt Münster, 2016)

Ganzheitliche Betrachtung durch TIMM bedeutet die technische und kaufmännische Sicht zu einem Infrastrukturmanagement für alle Anlagen (Kanäle, Straßen, Brücken, Verkehrssteuerungs- und Parkleitsystem) zu verbinden und die Verantwortlichkeit für die Infrastruktur über den gesamten Lebenszyklus darzustellen. Damit sollen die finanziellen Belastungen der Stadt gegenüber heute verringert werden. Gleichzeitig soll eine Anpassung an die künftigen, neuen und veränderten Aufgaben vorgenommen sowie zusätzlicher Personal- und Finanzmittelbe- darf spätestens mittelfristig möglichst aufwandsneutral dargestellt werden. Voraussetzung für ein Gelingen ist u.a. eine Datenlage und ein Instrument zu schaffen, die den „wahren“ Bestand und Bedarf der Infrastruktur über ihren gesamten Lebenszyklus darstellt, die Aktualisierungensicherstellt und im unmittelbaren Zugriff der Entscheidungsträger liegt. Dabei sind der „Preis“ für die Bereitstellung der Infrastruktur und die Lebenszyklusbetrachtung von zentraler Bedeutung (vgl. Abschnitt 5.2) (Gomolluch, Buttgereit, 2016).

5 Infrastrukturmanagement

Bevor als nächstes auf Auswirkungen unterschiedlicher Erhaltungsstrategien eingegangen werden soll, müssen zunächst der Umfang der Straßenerhaltung sowie der Begriff Erhaltungsstrategie näher erläutert werden, um die anschließenden Ausführungen besser nachvollziehen zu können.

Unter Straßenerhaltung versteht man alle Maßnahmen an Verkehrsflächen, die der Wiederherstellung des Gebrauchswertes bzw. der Sicherung der Straßensubstanz dienen. Die Straßenerhaltung ist analog der „Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen“ (E EMI) (FGSV, 2012) in die folgenden Aufgabenbereiche gegliedert (Bild 5):

Bild 5: Umfang der Straßenerhaltung (FGSV, 2012)

Für die Ermittlung des Finanzbedarfs der Straßenerhaltung müssen alle Maßnahmen der betrieblichen Unterhaltung und baulichen Erhaltung berücksichtigt werden. Bis auf die Kosten für Erneuerungen, die zu den Investitionen gehören, sind alle anderen Kosten konsumtiv, soweit sie nicht signifikant die Nutzungsdauer einer Straße verlängern und zu Anpassungen in der Anlagenbuchhaltung führen. Qualitätsverbessernde Veränderungen durch Um- und Ausbaumaßnahmen und Erweiterungen zur Erhöhung der Kapazität gehören nicht zur Erhaltung.

5.1 Erhaltungsstrategie

Im „Merkblatt über den Finanzbedarf der Straßenerhaltung in den Gemeinden“ (FGSV, 2004) ist das Thema Erhaltungsstrategie wie folgt erläutert und mit Beispielen dargestellt.

Demzufolge kann die theoretische Nutzungsdauer einer Straßenbefestigung nur dann erreicht werden, wenn zeitgerecht die erforderlichen Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wenn infolge unzureichender Finanzmittel diese Maßnahmen aufgeschoben oder durch einfachere, billigere Maßnahmen ersetzt werden, beschleunigt sich der Substanzverlust. Auf Dauer wird dies dazu führen, dass instandsetzungsbedürftige Straßen einen Zustand erreichen, der nur noch eine grundhafte Erneuerung mit einem Anstieg der Gesamterhaltungskosten zulässt.

Im Bild 6 aus (FGSV, 2004) sind beispielhaft die Auswirkungen von zwei verschiedenen Erhaltungsstrategien für eine Nutzungsdauer von 90 Jahren qualitativ dargestellt.

A        Erhaltungsstrategie „Bauliche Unterhaltung“

Bei Erreichen des Schwellenwertes (Zustandswert 4,5) werden die Oberflächenschäden (Risse, Aufbrüche etc.) immer wieder geflickt. Durch eindringendes Wasser und die Verkehrsbelastung verschlechtert sich trotz der Maßnahmen die Substanz weiterhin, bis eine Erneuerung der Gesamtbefestigung nach etwa 45 Jahren notwendig wird. Außerdem ist ein erhöhter Kontrollaufwand zum Sicherstellen der Verkehrssicherheit für den Straßenbaulastträger erforderlich.

B        Erhaltungsstrategie „Instandsetzung“

Bei Erreichen des Schwellenwertes werden jeweils nach 30 Jahren Instandsetzungsmaßnahmen (Ersatz der Deckschicht, Ersatz der Deck- und Binderschicht, Grunderneuerung) durchgeführt, die die Gesamtsubstanz der Befestigung schützen und die Nutzungsdauer der Gesamtbefestigung verlängern. Dadurch ergeben sich im dargestellten Beispiel Einsparungen von ca. 25 % gegenüber der Strategie „Bauliche Unterhaltung“.

Neben den wirtschaftlichen Vorteilen für den Baulastträger ergeben sich durch fortlaufende Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch Verbesserungen für den Straßennutzer hinsichtlich Fahrkomfort und Sicherheit. Während bei der Strategie B „Instandsetzung“ der Warnwert von 3,5 ca. 25 Jahre überschritten wird, liegt dieser Zeitraum bei der Strategie A „Bauliche Unterhaltung“ bei ca. 38 Jahren. Die Verkehrsfläche hat also im betrachteten Beispiel während mehr als 40 % ihrer Gesamtnutzungsdauer einen Zustandswert der über dem Warnwert liegt. Der Schwellenwert (Zustandswert 4,5) wird ca. 20 Jahre, also mehr als 20 % der Gesamtnutzungsdauer überschritten. In diesem Zeitraum steht die Straße nur eingeschränkt zur Verfügung, d. h. es ist mit Verkehrsbeschränkungen zu rechnen.

Bild 6: Vergleich von Erhaltungsstrategien (FGSV, 2004)

Da der Zustand der Straßen in Münster trotz der aus Sicht der Verwaltung zu geringen Finanzmittel für die Straßenerhaltung noch relativ gut ist, musste die Erhaltungsstrategie in Münster in der Vergangenheit aus Sicht der Autoren gut gewesen sein, auch ohne das umfangreiche und aufwändige ZEB-Kampagnen durchgeführt worden sind. Ebenfalls die Ergebnisse der durchgeführten Messtechnischen Zustandserfassungen auf Teilen der Asphaltfahrbahnen seit 1996 unterstützen diese These. Leider ist diese „Erhaltungsstrategie“ nirgends niedergeschrieben und musste deshalb so gut es geht rekonstruiert werden. Dies hat aber zur Konsequenz, dass von der klassischen Zustandssicht des PMS Abstand genommen werden muss.

Dabei ist zunächst ein Problem deutlich geworden, welches sich bereits in der NKF-Vermögensbewertung heraus kristallisierte. Der Rückschluss auf die wahrscheinliche Restnutzungsdauer einer Anlage (Straße) allein anhand der Zustandswerte ist nicht möglich, da die dahinter liegenden Verhaltenskurven mehrfach unbestimmt sind (Bild 7). Somit ist es erforderlich, das „wahre“ Alter der Anlage zu bestimmen. Hierzu sind die vorhandenen Straßenakten, BauGB- und KAG-Abrechnungen, Förderbescheide nach dem GVFG sowie Kanalbaumaßnahmen ausgewertet worden. Ergänzend standen im Verlauf des Projektes vermehrt ältere Luftbilder zur Verfügung, aus denen für eine Vielzahl von Straßen ein hinreichend präzises Alter der An- lage und somit ein vermeintliches „Baujahr“ bestimmt werden konnte.

Bild 7: Ermittlung der Restnutzungsdauer aus der Zustandsentwicklung (Buttgereit, 2014)

Die Auswertung der Maßnahmenlisten der Straßenerhaltung und der Erneuerungsmaßnahmen sind durch Befragungen von Bediensteten der Straßenerhaltung ergänzt worden. Die Ergebnisse sind mit der Verordnung zur Berechnung von Ablösungsbeträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz, dem Bundesfernstraßengesetz und dem Bundeswasserstraßengesetz (BMVBS, 2010) sowie den Anhaltswerten der „Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen“ (RPE-Stra) (FGSV, 2001) verglichen worden. Im Ergebnis konnten Erhaltungsstrategien für unterschiedliche Straßenkategorien identifiziert werden, wie sie beispielhaft im Bild 8 dargestellt sind. Innerhalb der erwarteten Nutzungsdauer der einzelnen Straßenkategorien sind standardisierte Kostensätze von in Frage kommenden/ zugelassenen Erhaltungsmaßnahmen, wie sie in der Vergangenheit durchgeführt wurden und auch zukünftig weiter zur Anwendung kommen sollen, definiert worden. Somit ist es nun möglich, in einem auf Erfahrungswerten basierenden EMS-K MS den strategischen Finanzbedarf, konsumtiv wie investiv, für lange Zeiträume abzuschätzen und Schlussfolgerungen für die Finanzplanung zu ziehen.

Die Ergebnisse der periodischen messtechnischen ZEB sowie der visuellen Schadenserfassung dienen künftig „nur noch“ zum Abgleich der erwarteten Zustandsentwicklung mit der Tatsächlichen. Somit ist einerseits eine Wirkungsanalyse der durchgeführten Maßnahmen bzw. der verfolgten Erhaltungsstrategie möglich. Andererseits kann eine Feinjustierung der Verhaltenskurven des EMS K MS durchgeführt werden. Das EMS K MS ist im System Logo integriert und kann somit für die Weiterentwicklung zum TIMM genutzt werden. Ebenfalls steht eine Schnittstelle zur Anlagenbuchhaltung in SAP zur Verfügung, so dass die Mitarbeitenden in der Entscheidungsfindung für das operative EMS K MS neben den baulichen Informationen auch auf Restbuchwerte und Restnutzungsdauern der Anlagen zurückgreifen können.

Wenn in den nächsten Monaten das Modul Aufgrabungen in Betrieb genommen wird, kann die koordinierte Erhaltungsplanung ebenfalls durch Logo unterstützt erfolgen, ohne dass ein aufwändiger Datentransfer zwischen verschiedenen Organisationseinheiten innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung notwendig ist.

Bild 8: Erhaltungszyklen nach Straßenkategorien in Münster, Stand 12. 8. 2014 (Schilinsky, 2014)

5.2 Lebenszykluskosten – Life Cycle Costs (LCC)

In der Betriebswirtschaft stellt man die Frage: Was kostet das Produkt?

Das Produkt ist in unserem Fall die „Bereitstellung der Straße“. Hierbei wird der Lebenszyklus einer Straße betrachtet und die Kosten von der erstmaligen Herstellung bis hin zur grundhaften Erneuerung ermittelt. Zu den Lebenszykluskosten einer Anlage zählen die Herstellungskosten im Zeitpunkt 0, die Kosten für die betriebliche Erhaltung und die Instandhaltung sowie die Kosten für eine oder mehrere Instandsetzungen. Die Lebenszykluskosten werden dann durch die Lebensdauer geteilt und somit ergeben sich dann die jährlichen Kosten, welche dem Preis entsprechen.

Diese Berechnungen werden dann für unterschiedliche Erhaltungsstrategien durchgeführt, so dass dann die wirtschaftlichste Erhaltungsstrategie bestimmt werden kann. Ziel ist es somit die Kosten pro Jahr zu minimieren, bei optimaler Qualität und Verfügbarkeit.

Das Einbeziehen der Anschaffungs-/Herstellungskosten (AK/HK) und das Verteilen dieser über die Lebensdauer in Form der Abschreibungen führen zu einer erweiterten Sicht. Es wird die kaufmännische und die technische Sicht verbunden. Höhere Erhaltungskosten in Verbindung mit einer Verlängerung der Lebensdauer können in Summe zu einem günstigeren Preis führen, da sich durch die Verteilung der AK/HK auf eine längere Lebensdauer die jährliche Abschreibung verringert.

Bild 9: Lebenszyklusbetrachtung am Beispiel geringbelastete Hauptverkehrsstraße in Münster, Nutzungsdauer 50 Jahre (Gomolluch, Buttgereit, 2016)

Die in Münster angedachte Erhaltungsstrategie für geringbelastete Hauptverkehrsstraßen (Strategie C) ist im Bild 9 dargestellt. Die Nutzungsdauer ist auf 50 Jahre gesetzt und als Instandsetzungsmaßnahmen der Fahrbahnen sind nach 15 Jahren die Deckschicht und nach 30 und 40 Jahren jeweils die Deck- und Binderschicht geplant. Instandsetzungsmaßnahmen in den Nebenflächen sind nicht zu erwarten. Für die betriebliche Unterhaltung werden aufgrund von Erfahrungswerten jährlich fixe Kosten angesetzt, da es sich hierbei um jährlich wiederkehrende Arbeiten handelt. Für die Instandhaltung werden ebenfalls jährliche Fixkostensätze für das gesamte Netz angesetzt, da diese Maßnahmen nicht wie die der Instandsetzung örtlich und zeitlich „planbar/vorhersehbar“ sind. Der so ermittelte mittlere jährliche Finanzbedarf für die Straßenerhaltung von 1,80 €/m² und Abschreibungen von 2,40 €/m² führen zu einem Preis von 4,20 €/m² für geringbelastete Hauptverkehrsstraßen in Münster.

Im Vergleich zu den Strategien A und B (Bild 10) ist die Strategie C insgesamt wirtschaftlicher, obwohl ein höherer jährlicher Finanzbedarf für die Straßenerhaltung als bei der Strategie B erforderlich ist. Die höheren Erhaltungskosten werden durch die geringeren jährlichen Abschreibungsbeträge, aufgrund der Verteilung der AK/HK auf eine längere Lebensdauer, mehr als kompensiert und führen so zu einem günstigeren Preis.

Bild 10: Lebenszyklusbetrachtung zweier Erhaltungsstrategien am Beispiel Hauptverkehrsstraße in Münster, Nutzungsdauer 40 Jahre (Gomolluch, Buttgereit, 2016)

Bild 11: langfristige Ersatzinvestitionsplanung aus der Anlagenbuchhaltung

Die aus den für Münster angedachten Erhaltungsstrategien resultierenden Nutzungsdauern weichen von denen bei der Erstbewertung zum 1. 1. 2008 ab. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre und der gewählten Erhaltungsstrategien erscheinen diese längeren Nutzungsdauern jedoch eher den technischen und somit tatsächlichen Nutzungsdauern zu entsprechen. Dies ist im Rahmen dreier Untersuchungen (Weßelborg, Zumsande, Buttgereit, 2014), (Hülsbömer, 2014), (Finke, 2016) an der Fachhochschule Münster ermittelt und bestätigt worden. Diese Nutzungsdauern sollten entsprechend auch in der Anlagenbuchhaltung verwendet werden. Ziel ist es somit die technischen und die kaufmännischen Nutzungsdauern zu vereinheitlichen, um somit ebenfalls die Belastung durch Abschreibungen auf die Gesamtdauer der Nutzung zu verteilen. Kürzere kaufmännische Nutzungsdauern führen zu erhöhten Abschreibungen in den ersten Jahren und zu einem frühzeitigen Wertverlust der Anlage. Die Anlage würde dann mit Null Euro in der Bilanz stehen und weiter genutzt werden. Folglich wäre die Kommune hinsichtlich der wirtschaftlichen Flexibilität und Handlungsfreiheit eingeschränkt. Die höheren Belastungen des Haushaltes in den ersten Jahren würden zudem der Generationengerechtigkeit widersprechen.

Im Bereich der Investitionen zeigte sich eine andere Auffälligkeit, die im Zuge des Controllings der Amtsziele bemerkt worden ist. Denn die Steuerung des Tiefbauamtes in Münster erfolgt über die 13 Strategischen Ziele unterstützt durch ein Integriertes Qualitäts-, Umwelt- und Arbeitsschutzmanagement sowie ein zentrales Controlling und Berichtswesen (Balanced- Scorecard). Bei der Betrachtung des Zieles „Werterhalt“ wurde 2010 eine geringe Reinvestitionsquote festgestellt und hinterfragt.

Anhand der Baujahre und der Lebensdauer der Vermögensbewertung zum 1. 1. 2008 wurden die Ersatzzeitpunkte der Anlagen bestimmt und anhand der Wiederbeschaffungskosten wurden die voraussichtlichen Baukosten geschätzt. Bei dieser langfristigen Investitionsplanung wurde deutlich, dass die anfänglich erforderlichen Ersatzinvestitionen ins Verkehrsinfrastrukturvermögen deutlich unter den jährlich anfallenden Abschreibungen von rund 28 Mio. € liegen, ab 2028 jedoch eine drastische Steigerung auf ca. 57 Mio. € erforderlich wird (Bild 11). Die Differenz zwischen der Höhe der theoretischen und erforderlichen Ersatzinvestitionen müsste für spätere Jahre „bei Seite“ gelegt werden (Gomolluch, 2010).

Gegenüberstellung der aus der Anlagenrechnung ermittelten erforderlichen jährlichen Ersatzinvestitionen und der jährlichen Abschreibung (Gomolluch, 2010).

Der hohe Wertverlust der letzten Jahre, wie er im Bild 2 dargestellt ist, erklärt sich somit durch die bei der Erstbewertung gewählten kürzeren Nutzungsdauern und damit hohen Abschreibungsbeträgen. Ersatzinvestitionen in dieser Höhe waren aus technischer Sicht nicht erforderlich (Gomolluch, 2010).

Der Werterhalt sollte durch ein Gleichgewicht zwischen Abschreibungen und Ersatzinvestitionen hergestellt werden (Bild 12). Dies sollte durch eine Senkung der Abschreibungen in Folge einer Verlängerung der Nutzungsdauer bei moderater Erhöhung der Ersatzinvestitionen erfolgen. Als Ergebnis erhält man dann eine Vorgehensweise, wie sie bereits oben im Beitrag unter dem Stichwort TIMM beschrieben worden ist (Tiefbauamt Münster, 2016).

Bild 12: Gleichgewicht/Werterhalt (Tiefbauamt Münster, 2016)

6 Fazit und Ausblick

Wer seinen Straßenbestand nicht kennt, kann seine Anlagen weder rechtssicher noch effizient betreiben.

Die ganzheitliche Betrachtung bei TIMM bedeutet Infrastrukturmanagement im Sinne von Verantwortlichkeit für die gesamte Infrastruktur (Kanäle, Straßen, Brücken, Verkehrssteuerungs- und Parkleitsystem) über den gesamten Lebenszyklus durch Zusammenführen der technischen und kaufmännischen Aspekte hin zur Generationengerechtigkeit.

Dazu ist es notwendig, die vorhandenen Erhaltungsstrategien der einzelnen Anlagen zu optimieren und zu einer anlagenübergreifenden Erhaltungsstrategie aufeinander abzustimmen. Die Lebenszyklen sollen so aufeinander abgestimmt werden, dass die jeweiligen Reinvestitionszeitpunkte aufeinander fallen. Gleichzeitig können hierdurch die notwendigen Erhaltungsmittel minimiert werden. Die dann gewählte anlagenübergreifende Erhaltungsstrategie führt zu den wirtschaftlichsten Lebenszykluskosten bei einer bestmöglichen Verfügbarkeit und Qualität der Infrastruktur. Eine nachhaltige (Gebühren- und) Preisstabilität wird hierdurch sichergestellt. Entsprechend der optimierten anlagenübergreifenden Erhaltungsstrategie werden Nutzungsdauern angepasst.

Die Verbindung der technischen und kaufmännischen Sicht sowie die ganzheitliche Betrachtung aller Anlagen eröffnet neue Möglichkeiten für alle am Prozess Beteiligten, welche für ein funktionierendes Erhaltungsmanagement aus Sicht der Autoren unabdingbar sind. Am Ende soll den Entscheidungsträgern ein Instrument für die Erhaltungs- und Investitionsplanung sowie die Ermittlung des erforderlichen Finanzbedarfs zur Verfügung stehen. Weiter wird dieses Instrument zu einem wirtschaftlicheren Einsatz der Personal- und Finanzressourcen sorgen sowie zu einer besseren Verfügbarkeit und Qualität für den Nutzer der Infrastruktur. Zudem bietet es die Möglichkeit, eine Senkung der Haushaltsrisiken, eine spürbare Haushaltsentlastung sowie eine Gebühren- und Preisstabilität herbei zu führen sowie die permanente Inventur sicherzustellen.

Die Ergebnisse der nächsten Jahre werden zeigen, inwieweit sich die Thesen der Autoren in der Praxis bewähren. Sollten sich die ersten positiven Tendenzen verstetigen, so müssten die vorhandenen PM-Systeme ergänzt werden, um gesamtwirtschaftliche Beurteilungsgrundlagen zur Verfügung stellen zu können. Nach Meinung der Autoren lohnt sich diese Erweiterung für die Anbieter solcher Programme, da das in diesem Beitrag dargestellte Prinzip auf andere Baulastträger und Organisationseinheiten grundsätzlich übertragbar ist.

Literaturverzeichnis

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