FGSV-Nr. FGSV 002/123
Ort Kassel
Datum 19.03.2019
Titel Dezentrale Behandlung von Straßenabflüssen im urbanen Raum - wohin geht die Reise?
Autoren Univ.-Prof. Dr. Brigitte Helmreich, M. Sc. Steffen Rommel
Kategorien Kommunal
Einleitung

Bereits bei der Bebauungsplanung wird oftmals wenig Platz für die Infrastruktur vorgesehen, speziell für Straßen und insbesondere für ihre ortsnahe Entwässerung. Sind Straßenabflüsse stofflich belastet, müssen sie vor dem Einleiten in das Grundwasser oder in Oberflächengewässer behandelt werden. Eine Möglichkeit zur Vorbehandlung ist die Versickerung über Mulden, die nicht nur die Funktion der ortsnahen Entwässerung übernehmen, sondern auch durch ihre belebte Oberbodenschicht Schadstoffe zurückhalten. Jedoch stehen aufgrund der Verdichtung im urbanen Raum immer weniger Flächen für den Bau von Versickerungsmulden zur Verfügung, der Bedarf an platzsparenden dezentralen Behandlungsanlagen steigt daher. Welche Leistung solche dezentralen Behandlungsanlagen erbringen müssen, ist in Deutschland bundesweit nicht rechtsverbindlich vorgegeben, jedoch gibt es Regelungen einzelner Bundesländer. Untersuchungen der Funktionsfähigkeit von dezentralen Behandlungsanlagen beschränken sich im Wesentlichen auf Laborversuche, die den Einfluss von klimatischen und standortspezifischen Faktoren wie Starkregenereignisse, Polleneinfluss, erhöhter Grobstoffanfall, Winterdienst und Straßenreinigung nur bedingt abbilden, der Praxisbetrieb ist wenig untersucht. Ob Betrieb und Unterhalt dezentraler Anlagen vom Betreiber sowohl logistisch als auch finanziell zu leisten sind, ist offen. Nachdem aber die Wirksamkeit dezentraler Anlagen wesentlich durch Betrieb und Unterhalt gesteuert wird, liegen Praxiserfahrungen auch im wasserwirtschaftlichen Interesse. Aus diesem Grund wird ein vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) finanziertes Forschungsvorhaben mit unabhängigen praxisorientierten Untersuchungen an drei verschiedenen dezentralen Behandlungsanlagen mit Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBT) an einer stark befahrenen Straße in München durchführt. Ebenso wird an dem Standort eine weitere dezentrale Behandlungsanlage der Landeshauptstadt München im Praxisbetrieb erprobt. In dem Zusammenhang findet auch ein Monitoring der Schadstoffe der Straßenabflüsse statt. Insbesondere die Analyse der feinpartikulären Stoffe AFS63 ist wichtig, da dessen Wirkungsgrad zukünftig Grundlage für Anforderungen an die dezentrale Niederschlagswasserbehandlung vor der Versickerung über unterirdische Versickerungsanlagen in den deutschen Regelwerken werden könnte.

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1 Einleitung

Im urbanen Raum werden immer mehr natürliche Flächen versiegelt, um sowohl Wohnraum als auch eine gute Verkehrsanbindung für die Bewohner – also Lebensqualität – zu schaffen. Dies gilt insbesondere für Städte und Gemeinden mit stabiler wirtschaftlicher Entwicklung. Im Zuge eines vorausschauenden Wassermanagements – insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel – werden die Niederschlagsabflüsse von Verkehrsflächen in Städten heute immer häufiger nicht mehr gesammelt und über die Kanalisation abgeleitet, sondern – wenn möglich und zulässig – direkt vor Ort versickert oder in ein ortsnahes Oberflächengewässer geleitet. Bei dieser dezentralen Bewirtschaftung muss allerdings die Gefährdung durch einen möglichen Eintrag von organischen und anorganischen Stoffen aus Verkehrsflächenabflüssen in Boden und Gewässer beachtet werden. Aufgrund von Fahrzeugemissionen, atmosphärischen Verunreinigungen und punktuellen Quellen können Verkehrsflächenabflüsse zum Teil stark mit Schwermetallen (Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel und Zink) und organischen Stoffen (Mineralölkohlenwasserstoffe, Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe, Methly-tert-butylether bzw. Ethly-tert-butylether (MTBE/ETBE) sowie Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel verunreinigt sein (Brown; Peake, 2006; Davis; Birch, 2010; Huber; Welker et al., 2015).

Vor dem Einleiten in das Grundwasser oder in Oberflächengewässer muss daher stofflich belasteter Verkehrsflächenabfluss behandelt werden. Da für eine dezentrale Behandlungslösung aufgrund der Verdichtung im urbanen Raum immer weniger Flächen zur Verfügung stehen, steigt der Bedarf an platzsparenden dezentralen Behandlungsanlagen. 

2 Rechtliche Situation in Deutschland und Regelwerke

Für den Umgang mit der stofflichen Belastung von Verkehrsflächenabflüssen existieren in Deutschland derzeit keine rechtlich verbindlichen Vorgaben. Die Abläufe von Verkehrsflächenabflüssen sind nach wie vor nicht unter den Abwasserarten in der Abwasserverordnung (AbwV) verankert und daher fehlen gesetzliche Anforderungen an die Behandlung (AbwV 2004). In Bayern – wie in anderen Bundesländern – wird beispielsweise gesammeltes Niederschlagswasser von Verkehrsflächen nach § 54, Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) und dem Bayerischen Wassergesetz (BayWG) als Abwasser eingestuft (BayWG, 2010) und muss daher entsprechend behandelt werden. Für die wasserrechtliche Erlaubnis von Niederschlagswassereinleitungen muss nachgewiesen werden, dass keine nachteilige Veränderung der Wasserbeschaffenheit erfolgt sowie Menge und Schädlichkeit entsprechend dem Stand der Technik gemindert werden (§§ 8, 9, 48, 54, 57 und 60 WHG).

Für die Behandlung von Verkehrsflächenabflüssen vor dem Einleiten in Oberflächengewässer gibt es zwar keine bundesweit rechtsverbindlichen Vorgaben, es existieren jedoch Regelwerke der fachtechnischen Vereinigungen, z. B. DWA-M 153 (DWA 2007), BWK-M 3 bzw. sind Regelwerke in Arbeit (z. B. DWA-A 102 (Entwurf)). Für die dezentrale Behandlung gibt es zudem Regelungen einzelner Bundesländer. Nach dem Trennerlass in NRW kann beispielsweise schwach belasteter Niederschlagswasserabfluss der Flächenkategorie II dezentral behandelt und anschließend in ein Gewässer eingeleitet werden. Diese eingesetzten dezentralen Behandlungsanlagen müssen einzeln genehmigt werden. Hierzu besteht eine Liste an Anlagen, die in diversen Untersuchungsvorhabens betrachtet worden sind (LANUV, 2019). Voraussetzung ist der Nachweis der vergleichbaren Behandlungsleistung im Vergleich zu zentralen Behandlungsanlagen. Die Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn mit den zentralen Systemen der AFS-Rückhaltegrad von AFS63 > 50 % und die betrieblichen Untersuchungsergebnisse eine Vergleichbarkeit mit Regenklärbecken positiv bescheinigen.

Werden stofflich belastete Verkehrsflächenabflüsse direkt vor Ort versickert, also ins Grundwasser eingeleitet, so kann nach DWA-M 153 in Abhängigkeit von der Verschmutzung eine Vorbehandlung beispielsweise über einen entsprechend mächtigen, bewachsenen Oberboden, einen (Retentions-)Bodenfilter oder durch technische, dezentrale Behandlungsanlagen erfolgen (DWA 2007). Nach einer Behandlung wird indirekt durch eine ungesättigte Bodenzone mit einem Mindestabstand zum mittleren höchsten Grundwasserstand ≥ 1m ins Grundwasser eingeleitet (DWA 2005).

Das DWA-M 153 wird zurückgezogen werden, wenn das neue DWA-A 102, das sich mit dem Einleiten von Niederschlagsabflüssen in Oberflächengewässer beschäftigt, herausgegeben wurde. Der Stand der Technik zur Reinigung von Niederschlagsabflüssen vor dem Versickern in das Grundwasser soll dann in einem überarbeiteten DWA-A138 aufgezeigt werden. Ebenso entsteht ein neues Merkblatt DWA-M 179 „Dezentrale Anlagen zur Niederschlagswasserbehandlung“, das sich mit der Planung und dem Betrieb von dezentralen Anlagen zur Behandlung von niederschlagsbedingten Abflüssen beschäftigt. Alle drei Regelwerke sind in Bearbeitung.

Grundlage für die laufenden Regelwerksüberarbeitungen war, zunächst Klarheit hinsichtlich der Rahmenbedingungen und der Zielgrößen für den Grundwasserschutz zu schaffen. Dies erfolgte im März 2018 im Rahmen eines Fachgespräches zum Thema „Auswirkungen der Grundwasserverordnung auf die Überarbeitung des Arbeitsblattes DWA-A 138 und das Regelwerk des Hauptausschusses Entwässerungssysteme“, an dem sowohl Vertreter der DWA-Arbeitsgruppen ES 3.1 „Versickerung von Niederschlagswasser“ und ES 3.7 „Dezentrale Anlagen zur Niederschlagswasserbehandlung“ als auch Vertreter von Landesumweltministerien und -behörden, Bundesministerium für Umwelt, Umweltbundesamt, Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), Bund/Länder Arbeitsgruppe Anhang Niederschlagswasser, Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) und einschlägigen Hochschulen teilnahmen.

Ergebnis des Fachgespräches war, dass eine nachteilige Veränderung der Wasserbeschaffenheit nicht zu besorgen ist, wenn folgende Konvention getroffen werden (Ettinger, Grotehusmann et al., 2018):

Die Werte der Grundwasserverordnung (GrwV) gelten zur Beurteilung des guten chemischen Zustands von Grundwasserkörpern nach EG-WRRL. Sie gelten im Grundwasser selbst und können, genauso wie die sehr strengen GFS-Werte der LAWA, derzeit nicht direkt als „Grenzwerte“ für sämtliche indirekten Einleitungen von Niederschlagswasser über die ungesättigte Bodenzone in das Grundwasser herangezogen werden.

Schadstoffeinträge sind grundsätzlich vorab auf ihre Vermeidbarkeit zu prüfen und bevorzugt durch Maßnahmen an der Quelle zu lösen (z. B. abstumpfende Streumittel statt Natriumchlorid im Winterdienst, Vermeidung oder geeignete Beschichtung von Metalldachflächen, Herbizidverzicht auf Wegen und Plätzen).

Die Versickerung unter Ausnutzung der natürlichen Reinigungsleistung des bewachsenen Oberbodens mit Ausführung gemäß technischem Regelwerk ist grundsätzlich möglich. Der Nachweis, dass die Versickerungsanlagen nach dem Stand der Technik geplant, gebaut und betrieben werden, ist ausreichend (Hintergrund: langjährige Betriebserfahrungen und Messprogramme).

Bei unterirdischen Versickerungsanlagen bleibt der Ablauf einer vorgeschalteten dezentralen Behandlungsanlage weiterhin primärer Beurteilungspunkt. Die Reinigungswirkung der ungesättigten Bodenzone kann zusätzlich berücksichtigt werden. Die Werte der GrwV sind im Jahresmittel nach Berücksichtigung der Sickerwasserpassage bis zum Grundwasser einzuhalten. In Diskussion steht, ob die Werte der GrwV eventuell nach Einmischung in einem begrenzten Grundwasserbereich gelten. Die Einhaltung der Zielgrößen ist nicht im Einzelfall nachzuweisen, vielmehr wird sie Behandlungsmaßnahmen und Fallkonstellationen nach dem technischen Regelwerk unterstellt (Basis technisches Regelwerk: langjährige Betriebserfahrungen, Messprogramme oder Zulassungen).

Die Versickerung von Verkehrsflächenabflüssen in unterirdischen Versickerungsanlagen nach Reinigung über dezentrale Behandlungsanlagen mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung durch das Deutschen Institut für Bautechnik ist in diesem Zusammenhang bei bestimmungsgemäßem Betrieb grundsätzlich möglich. 

3 Dezentrale Behandlungsanlagen für Verkehrsflächenabflüsse

Dezentrale Anlagen zur Behandlung von Verkehrsflächenabflüssen zum Einleiten ins Grundwasser können vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) im Labor auf ihre Rückhaltefähigkeit bezüglich Abfiltrierbarer Stoffe (AFS), Kohlenwasserstoffe (KW) und der Schwermetalle Kupfer (Cu) und Zink (Zn) geprüft und zugelassen werden (DIBt 2017).

Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Behandlungsleistung von Anlagen mit DIBt-Zulassung im Vergleich mit der Leistung einer Versickerungsmulde mit 20 cm Oberboden. Ebenso sind Jahresmittelwerte von Straßenabflüssen eines europäischen Vergleichs dargestellt und die Prüfwerte der BBodSchV, die als Mindestanforderung für den Ablauf der dezentralen Behandlungsanlagen nach den DIBt Grundsätzen einzuhalten sind.

Tabelle 1: Jahresmittelwerte verschiedener Parameter von Straßenabflüssen, Konzentrationen nach Vorbehandlung über 20 cm Oberbodenschicht und durch Anlagen mit DIBt-Zulassung im Vergleich zu den Prüfwerten der BBodSchV 

Da in dem Prüfverfahren des DIBt zunächst keine detaillierte Methodik zur Ermittlung einer realistischen Standzeit der Anlagen vorgesehen war, wurde am Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft ein Standzeitverfahren im Auftrag des LfU ermittelt (Helmreich, Huber et al., 2014; Huber, Welker et al., 2016), um eine Standzeit für solche dezentralen Behandlungsanlagen im Labormaßstab abzuschätzen. Beim DIBt-Verfahren wird in einer Teilprüfung der Zink- und Kupferrückhalt unter Tausalzeinfluss mit Natriumchlorid als repräsentatives Streusalz untersucht. Bei der Entwicklung des Standzeitverfahrens wurde festgestellt, dass neben dem Natriumchlorid als repräsentatives Tausalz zur Bestimmung des Remobilisierungsrisikos weitere Ionen einen Einfluss auf die Remobilisierung haben und daher ebenfalls betrachtet werden müssen.

In einem weiteren, von der Bayerischen Forschungsstiftung geförderten Forschungsvorhaben wurde daher der Einfluss verschiedener Streu- und Feuchtsalze auf die Remobilisierung von fünf Schwermetallen im Labormaßstab bestimmt (Huber; Hilbig et al., 2016). Die Kernergebnisse sind: die Schwermetalle Cadmium (Cd), Nickel (Ni) und Zink werden geringer als Kupfer und Blei (Pb) von den untersuchten Filtermaterialien (Ausnahme: halbgebrannter Dolomit) zurückgehalten und alle Schwermetalle, auch Blei, weisen unterschiedliche Remobilisierungseigenschaften auf. Dabei hatte die Tausalz-Mischung aus Natriumchlorid und Calciumchlorid fast immer den stärksten Einfluss auf die Remobilisierung. Eine Untersuchung aller aufkommensrelevanten Schwermetalle unter realen Bedingungen auch mit Tausalzeinsatz ist daher empfehlenswert. Innerhalb des Projektzeitraums wurde die Prüfmethodik des DIBt auf Basis der genannten Untersuchungen angepasst.

Einen Überblick über die am Markt befindlichen Anlagen gibt Huber; Helmreich et al. (2015). Es sind jedoch nur sehr wenige wissenschaftlich dokumentierte Erfahrungen zum Verhalten der Anlagen im Praxisbetrieb zugänglich. Die Untersuchungen beschränken sich bisher fast ausschließlich auf den Praxisbetrieb von Straßeneinlaufsystemen. Es liegen Erkenntnisse zu folgenden Systemen vor:

Stadtentwässerungsbetriebe Köln, 2011: Geotextilfiltersack der Fa. Schreck, Centrifoel duplex der Fa. Roval, Separationsstraßenablauf SSA der Fa. ACO, Innolet der Fa. Funke Kunststoff und 3P Hydrosystem 1000 der Fa. 3P Filtersysteme, jedoch mit einem Bypass ab 15 L/(s·ha)

Barjenbruch; Heinzmann et al., 2016: Geotextil Filtersack der Fa. Schreck, Innolet der Fa. Funke Kunststoff, Separationsstraßenablauf Combipoint SSA der Fa. ACO, Budavinci N der Fa. MeierGuss Sales & Logistics

Pick und Fettig, 2009: Aquafoel der Fa. Aqua Clean, Centrifoel der Fa. Roval

Alle getesteten Straßeneinlaufsysteme besitzen einen Bypass bzw. Notüberlauf, was aus Sicht der bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung bei Versickerung über unterirdische Versickerungsanlagen überwiegend abzulehnen und bei Einleitung in kleine und leistungsschwache Fließgewässer kritisch zu hinterfragen ist. Da durch die unkontrollierbare Einleitung von Verkehrsflächenabflüssen über den Bypass schädliche Gewässerveränderungen zu besorgen sind. Eine Bewilligung einer derartigen Nutzung ist entsprechend § 9 i.V.m § 12 WHG i. d. R. zu versagen. Dies entspricht ebenfalls § 5 des WHG, wonach „nachteilige Veränderung[en] der Gewässereigenschaften zu vermeiden“ sind.

Eine unabhängige praxisorientierte Untersuchung zu Kompakt- und Rinnensystemen ist nicht bekannt. Die Hersteller selbst können einige Praxiserfahrungen vorweisen, wobei eine unabhängige Überwachung der Reinigungsleistung meist nicht erfolgt ist oder die tatsächliche Belastung nicht repräsentativ ist.

Ansonsten beschränken sich die Untersuchungen von dezentralen Behandlungsanlagen im Wesentlichen auf Laborversuche. In solchen Laborversuchen kann der Einfluss von klimatischen und standortspezifischen Faktoren wie Starkregenereignisse, Polleneinfluss, erhöhter Grobstoffanfall, Winterdienst und Straßenreinigung – trotz aller Bemühungen – nur bedingt abgebildet werden. Ebenso gibt es derzeit kaum fundierten Grundlagen, die Aussagen dazu ermöglichen, was für Betrieb und Unterhalt dezentraler Anlagen vom Betreiber sowohl logistisch als auch finanziell zu leisten ist (Unterscheidung/Relation zu zentralen Anlagen). Nachdem die Wirksamkeit dezentraler Anlagen jedoch wesentlich durch Betrieb und Unterhalt gesteuert werden, liegen entsprechende Fragestellungen auch im wasserwirtschaftlichen Interesse.

Ziel des vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) finanzierten und vom Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft der TUM durchgeführten Forschungsvorhabens ist es daher, unabhängige praxisorientierte Untersuchungen an dezentralen Behandlungsanlagen mit Zulassung des DIBt durchzuführen. Hierzu wurden in der Landeshauptstadt München drei Behandlungsanlagen (zwei Schacht- und ein Rinnensystem) mit verschiedenen Wirkprinzipien an einer stark befahrenen Straße unter gleichen Einflussbedingungen errichtet und werden derzeit für den Zeitraum von zwei Jahren betrieben, um saisonale Einflüsse für den Betrieb (z. B. Pollen im Frühjahr, Starkregen und Trockenperioden im Sommer, erhöhter Blattanfall im Herbst und Streusalzeinfluss im Winter) zu erfassen. Neben (Schad-)Stoffanfall, -rückhalt und -remobilisierung unter Streusalzeinfluss und Dauer(ein)stau werden vor allem betrieblichen Aspekte erfasst und untersucht. Dazu wurde ein Monitoring von bisher unzureichend untersuchten (Schad-)Stoff-Parametern wie Antiklopfmittel (MTBE/ETBE), Cyaniden aus Streusalzen und Feinpartikeln (AFS63) integriert. Durch das Forschungsvorhaben werden fundierte Grundlagen für wasserrechtliche Beurteilungen sowie für die Beratung von Betreibern zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse dienen darüber hinaus der Arbeit und Steuerung verschiedener bundesweit agierender Fachgremien, unter anderem der DWA und des DIBt. Am gleichen Standort wird zudem eine weitere, nicht DIBt-zugelassene Behandlungsanlage im Auftrag der Landeshauptstadt München untersucht.

Die Auswertung des ersten Betriebsjahres zeigt, im Median eine Zulaufkonzentration von 105 mg/L AFS und 84 mg/L AFS63 (siehe Bild 1). Dies entspricht einem Anteil von 91 % der Fraktion AFS63 an den AFS. Damit liegt ein um rund 40% erhöhtes AFS- und AFS63-Aufkommen gegenüber dem Jahresmittel von 74 mg/L AFS nach Huber, Welker et al. (2015) vor. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang die Ergebnisse auf die besonderen Wetterbedingungen 2018 zurückzuführen sind.

 
 

Bild 1:Links: AFS-Konzentration im Zu- und Ablauf aller Versuchsanlagen, n = 36; ein Ausreißer im Zulauf (AFS = 2738 mg/L; AFS63 = 2590 mg/L) ist nicht dargestellt, rechts: stark verschmutzter Straßenabfluss im Winter/Frühjahr am Beprobungsstandort in München 

Das Bild 2 zeigt den jahreszeitlichen Verlauf der AFS. Die Extremwerte im Mai sind auf die sehr lange Trockenzeit im März und April zurückzuführen, auf der sich Partikel auf der Straßenoberfläche sammelten. Erst nach den ersten starken Regen fiel die Konzentration an AFS schnell ab und erreichte im Sommer das Minimum. Die künftige Fokussierung auf feinpartikuläre Stoffe bzw. AFS63 stellen die Anlagen zudem vor eine weitere große Herausforderung, insbesondere im Winterbetrieb. Vor allem durch die tiefe Wassertemperatur im Winter setzen sich AFS63 aufgrund der Dichteeigenschaften schlecht ab, was sich letztendlich nachteilig auf Sedimentationsstufen – auch zentrale Ausführungen – auswirkt (Rommel; Helmreich, 2018).

Bild 2: Jahreszeitlicher Verlauf der AFS-Konzentration im Zulauf aller Versuchsanlagen 

AFS bzw. AFS63 bergen ein erhöhtes Kolmationsrisiko für dezentrale Behandlungsanlagen, was den Wartungsaufwand im Betrieb stark erhöhen kann. Das Forschungsvorhaben, das noch bis März 2020 läuft, wird auch zeigen, welche logistischen als auch finanziellen Leistungen deshalb beim Betrieb und Unterhalt dezentraler Anlagen vom Betreiber zu aufzuwenden sind. 

Literaturverzeichnis

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