FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Mikroskopische Simulation von teil- und hochautomatisierten Fahrzeugen zur Ermittlung der Wirkungen auf die Kapazität der Fernstraßeninfrastruktur
Autoren M. Sc. Sabine Krause, M. Sc. Nassim Motamedidehkordi, Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Silja Hoffmann, Prof. Dr.-Ing. Fritz Busch
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Dieser Beitrag zeigt Vorgehen und Ergebnisse einer Untersuchung der Wirkungen des teilund hochautomatisierten Fahrens auf die Kapazität der Straßeninfrastruktur. Hierbei werden Teilabschnitte von Fernstraßen untersucht und in einer mikroskopischen Verkehrssimulation nachgebildet. Die Fahrverhalten der automatisierten Fahrzeuge werden innerhalb der Simulation basierend auf Annahmen über Abstands- und Fahrstreifenwechselverhalten nachgestellt. Es werden unterschiedliche Systemalternativen betrachtet. Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass die Kapazität der Infrastruktur gesteigert werden kann, wenn auch geringe Fahrzeugfolgeabstände realisiert werden können. Die zu erwartende „konservative“ Auslegung der ersten Systeme kann hingegen zu einer Minderung der Kapazität führen. Je höher der Nutzungsgrad der Systeme, desto deutlicher wird der Einfluss dieser. Es ist außerdem zu beobachten, dass je nach Netzabschnitt andere Fähigkeiten des Systems von Bedeutung sind und auch die Kapazität beeinflussen.

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1 Einleitung und Motivation

Automatisierte Fahrzeuge können mit Hilfe von Sensoren Objekte in der Umgebung des Fahrzeugs erkennen und durch Eingriffe in die Aktorik des Fahrzeugs beispielsweise die Abstände zu diesen regeln sowie weitere Fahrmanöver durchführen. Automatisierten Fahrzeugen werden positive Wirkungen auf den Verkehrsfluss zugesprochen, da die Steuerung durch Regler im Vergleich zu menschlichen Fahrzeugführern genauer ist und geringe Latenzen aufweist. Auch die Umgebungsobjekte des Fahrzeugs sowie deren
Geschwindigkeiten und Beschleunigungen können von technischen Systemen weitaus präziser detektiert werden.

Das daraus resultierende Fahrverhalten ist somit in einigen Aspekten zum menschlichen Fahrverhalten verschieden und kann Wirkungen auf den gesamten Verkehr haben. Interessante Fragestellungen sind in diesem Zusammenhang, bei welchen Nutzungsgraden teil- und hochautomatisierter Fahrzeuge welche Wirkungen auf den Verkehr zu erwarten sind. Diese Fragestellung wird hier insbesondere im Hinblick auf die Kapazität der Verkehrsinfrastruktur von Autobahnen betrachtet.

Mit der Fragestellung nach den Kapazitätswirkungen automatisierter Fahrzeuge haben sich in der Vergangenheit schon einige Forschungsarbeiten beschäftigt. In vielen Studien werden analytische Betrachtungen für die Wirkungsermittlung herangezogen. So untersucht FRIEDRICH [1] die Kapazitätsänderungen von Strecken auf Autobahnen mittels eines makroskopischen Verkehrsmodells. Hierbei wird ersichtlich, dass vor allem der Platzbedarf der einzelnen Fahrzeuge und die Folgezeitlücke zu anderen Fahrzeugen Einfluss auf die Kapazität der Infrastruktur haben. Er geht davon aus, dass sich diese Zeitlücke bei autonomen Fahrzeugen auf einen Wert von 0,5 s (im Vergleich zu 1,15 s beim manuellen Fahren) verringern wird. Es wird somit eine Kapazitätssteigerung um fast 50% ermittelt. In einigen Studien wird Kommunikation zwischen den Fahrzeugen unterstellt und die möglichen Abstände zwischen den Fahrzeugen als noch geringer eingeschätzt. Die erreichbare Kapazitätssteigerung fällt dann sogar noch höher aus, [2] berechnet eine Steigerung um fast das 4-fache.

Bei der Betrachtung von Studien zum Abstandsverhalten mit Fahrerassistenzsystemen wird allerdings festgestellt, dass die beobachteten Zeitlücken in der Folgefahrt mit einem Assistenzsystem nicht in einem so niedrigen Bereich liegen. In der Studie von FILZEK [3] wird ausgewertet, dass die mittlere Folgezeitlücke bei Fahrten mit einem ACC-System in einer Versuchsfahrt 1,4 s betrug. In der Untersuchung wird außerdem beschrieben, dass kleine Zeitlücken seltener vorkommen, wenn das Assistenzsystem verwendet wird als beim manuellen Fahren [3]. Auch ist es bei aktuellen Fahrerassistenzsystemen gar nicht möglich die Wunschfolgezeitlücke auf einen Wert von 0,5 s einzustellen [4], kleinere Zeitlücken werden mit solchen Systemen nur kurzfristig zum Beispiel auf Grund von Einschermanövern beobachtet [3]. Mit Systemen, die der Stufe des teilautomatisierten Fahrens entsprechen, in denen der Fahrer also die Verantwortung über das Fahrzeug hat [5], ist es daher denkbar, dass größere Lücken in der Folgefahrt gefahren werden.

Des Weiteren ist nicht nur das Fahrzeugfolge- sondern auch das Fahrstreifenwechselverhalten bei der Kapazitätsermittlung bedeutend. Vor allem an Engpässen im Straßennetz wie Fahrstreifenreduktionen, Ein- und Ausfahrten oder Verflechtungen von Autobahnen werden häufiger Verkehrszusammenbrüche beobachtet. Daher ist es von Bedeutung auch diese Netzabschnitte in die Betrachtung aufzunehmen. Laut [1] ist hier das kooperative Verhalten der Fahrer von maßgebender Bedeutung für den Verkehrsfluss und damit für die Kapazität.

Im Folgenden werden zunächst die Annahmen und Randbedingungen für die hier durchgeführte Studie vorgestellt. Dann wird auf die Methodik für die Durchführung und Auswertung der Simulationsstudie eingegangen und im Anschluss werden die Ergebnisse vorgestellt.

2 Randbedingungen

Die Wirkungen der automatisierten Fahrzeuge auf die Kapazität werden mittels mikroskopischer Verkehrsflusssimulation untersucht, um im Gegensatz zu rein makroskopischen Betrachtungen insbesondere die Auswirkungen des Fahrzeugfolge- und Fahrstreifenwechselverhaltens im automatisierten und gemischten Verkehr auf das Entstehen von Verkehrszusammenbrüchen, beziehungsweise die erreichbaren Kapazitäten zu analysieren. Innerhalb der Simulation (im vorliegenden Fall VISSIM 7.00 der PTV AG) werden die Fahrverhalten der generischen automatisierten Fahrzeuge in Längs- und Querrichtung angepasst, um die Gegebenheiten verschiedener Automatisierungsstufen nachzubilden.
Dabei wird im Längsfahrverhalten von den Annahmen ausgegangen, dass automatisierte Fahrzeuge der Richtgeschwindigkeit stets folgen und die gesetzlich erforderlichen Abstände zu Vorderfahrzeugen einhalten. Die Richtgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen beträgt, soweit keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorliegt, 130 km/h. Für Lkw gilt eine maximale Geschwindigkeit von 80 km/h. Diese Geschwindigkeiten entsprechen in der Simulation der Wunschgeschwindigkeit der automatisierten Fahrzeuge. Der Abstand eines automatisierten Fahrzeugs zu seinem Vorderfahrzeug folgt der in Deutschland üblichen Faustregel “Abstand = halber Tacho” [6], dies entspricht einem Wert von 1,8 Sekunden. Im Vergleich zu menschlichen Fahrern können automatisierte Fahrzeuge gewünschte Abstände präziser einregeln und konstant halten.

Für automatisierte Fahrzeuge gilt für die laterale Fahrzeugführung die Annahme, dass durch die Fahrzeuge stets das Rechtsfahrgebot eingehalten wird und sie sich auch nach einem Überholmanöver schnellstmöglich wieder auf dem rechten Fahrstreifen einordnen. Bei Fahrstreifenwechseln werden nur ausreichend große Lücken für einen Wechsel gewählt. Kooperation kann insofern von den automatisierten Fahrzeugen erwartet werden, als dass sie einscherende Fahrzeuge frühzeitig erkennen und für diese komfortable Verzögerungen oder Fahrstreifenwechsel ermöglichen. Ist das hochautomatisierte Fahrzeug in der Lage, mit den Fahrzeugen auf dem Zielfahrstreifen zu kommunizieren, können auch kleinere Lücken zum Fahrstreifenwechsel genutzt werden.

Es werden unterschiedliche Typen automatisierter Fahrzeuge untersucht:

•    Teilautomatisierte Fahrzeuge (TAF): die Längsregelung des Fahrzeugs erfolgt automatisiert, die Fahrstreifenwechsel werden durch den Fahrer übernommen.

•    Hochautomatisierte Fahrzeuge (HAF): die Längs- und auch Querführung des Fahrzeugs erfolgen automatisiert.

•    Kommunizierende hochautomatisierte Fahrzeuge (kHAF): die Längs- und Querführung erfolgen auch automatisiert, es dürfen jedoch, abweichend von oben genannten Annahmen, geringere Abstände zu gleichartig ausgestatteten Fahrzeugen gehalten werden. Dies gilt sowohl im Fahrzeugfolgeverhalten, als auch für das Fahrstreifenwechseln, bei dem kleinere Lücken für einen Wechsel angenommen werden können. Außerdem haben sie eine größere Vorausschauweite.

Das Basisszenario, in dem das menschliche Fahrverhalten nachgebildet und kalibriert ist, stammt aus dem Forschungsprojekt „HBS-konforme Simulation des Verkehrsablaufs auf Autobahnen“ [7]. Im Vergleich zu den teil- und hochautomatisierten Fahrzeugen weist das menschliche Abstandsverhalten mehr Varianz zwischen den Fahrern auf. Die mittlere Wunschzeitlücke bei einer Folgefahrt liegt bei ca. 1,1 s. Auch die sog. Normalfahrer halten sich an das Rechtsfahrgebot, werden jedoch nicht in allen Situationen zum nächstmöglichen Zeitpunkt nach einem Überholvorgang zurück auf den rechten Fahrstreifen wechseln. Beim Fahrstreifenwechsel werden im Vergleich zu den HAF auch größere Verzögerungen für das Folgefahrzeug und kleinere Lücken zwischen den Fahrzeugen auf dem Zielfahrstreifen akzeptiert.

3 Methodik

Innerhalb der Simulationsstudie wird eine Reihe von Szenarien untersucht, die sich in den folgenden Aspekten unterscheiden:

•    Infrastruktur: Es werden von den Netzelementen Strecke, Einfahrt, Ausfahrt und Verflechtung des deutschen Autobahnnetzes jeweils mehrere verschiedene Typen in Bezug auf die Anzahl der Fahrstreifen untersucht.

•    Vorhandene Fahrzeugtypen: Hier wird beschreiben welche Fahrer-/ Fahrzeugtypen in der Simulation vorhanden sind; die oben genannten generischen Typen manuelle Fahrzeuge, TAF, HAF und kHAF werden untersucht.

•    Nutzungsgrade der automatisierten Fahrfunktionen: Diese reicht von 0% Nutzung (Basisszenario, in dem kein automatisiertes Fahrzeug vorhanden ist) bis 100% Nutzung des Systems (Vollausstattung, in dem alle Fahrzeuge das System besitzen und nutzen).

•    Belastungsverhältnisse: Bei Netzelementen mit Ein- oder Ausfahrt beschreibt dies den Anteil der jeweils ein- bzw. ausfahrenden Fahrzeuge gegenüber den Fahrzeugen auf der Hauptfahrbahn. Beim Verhältnis mit der Nummer 1 ist der Anteil der Fahrzeuge auf der Ein- oder Ausfahrt sehr groß, bei Nummer 6 sehr gering.

Ein Überblick zu den Untersuchungsszenarien ist schematisch in Bild 1 dargestellt.

Bild 1: Untersuchungsszenarien der Simulationsstudie

Um die Kapazität der Infrastruktur zu bestimmen, muss innerhalb der Verkehrssimulation die Verkehrsnachfrage so weit gesteigert werden, dass ein Verkehrszusammenbruch entsteht oder die Verkehrsstärke nicht mehr ansteigen kann. Ein Basisszenario wurde für jedes der untersuchten Netzelemente auf Basis von Realdaten in [7] kalibriert und liefert die Kapazitäten für die einzelnen Netzelemente und Belastungsverhältnisse die auch im HBS angegeben werden.

Zur Ermittlung der Kapazität an Teilknotenpunkten wird die Methodik aus dem Projekt „HBS- konforme Simulation des Verkehrsablaufs auf Autobahnen“ [7] verwendet. Hierbei wird für jedes Untersuchungsszenario aus dem Verkehrsstärke-Geschwindigkeit-Diagramm, welches 5-minütig aufgezeichnete Querschnittsmesswerte der Simulation enthält, ermittelt, wo sich die sog. kritische Geschwindigkeit (vkrit) befindet. Das ist die Stelle, an der die geringste Dichte an Geschwindigkeitswerten vorhanden ist. Die kritische Geschwindigkeit sollte nicht unter 60 und nicht über 80 km/h liegen. Als relevante Verkehrsstärkewerte werden die Werte, die oberhalb dieser Geschwindigkeit liegen und einen Verkehrszusammenbruch hervorrufen, definiert. Das Hervorrufen eines Verkehrszusammenbruchs wird dadurch identifiziert, dass bei dem darauffolgenden Wert ein starker Einbruch der Geschwindigkeit (Differenz > 15 km/h) zu beobachten ist. Das Mittel der Verkehrsstärkewerte der gefundenen Einbruchswertepaare bildet den Wert für die Kapazität. In Bild 2 sind die beiden zur Kapazitätsermittlung erforderlichen Diagramme dargestellt und die Werte markiert.

Bild 2: Ermittlung der Kapazität aus dem Geschwindigkeits-Verkehrsstärke-Diagramm und der Klassenhäufigkeit der Geschwindigkeitswerte

Mit bestimmten Verhaltensweisen der Verkehrsteilnehmer entstehen keine Zusammenbrüche und die Bestimmung der Kapazität anhand der Verkehrszusammenbrüche ist nicht mehr möglich. Für diese Fälle wird eine veränderte Methodik für die Berechnung des Kapazitätswertes erforderlich. Hierfür wird so lange simuliert, bis sich die Verkehrsstärke über drei Zeitintervalle (mit einer Dauer von je 5 Minuten) trotz gesteigerter Nachfrage nicht mehr erhöht. Die weiteren Fahrzeuge werden dann nicht mehr in das Simulationsnetz eingefügt, da dies bereits seine Auslastungsgrenze erreicht hat. Von allen Werten im Verkehrsstärke- Geschwindigkeits-Diagramm wird das 90. Perzentil der Verkehrsstärkewerte berechnet. Es wird dann das Intervall gesucht, zu dem der Wert des 90. Perzentils am nächsten ist. In diesem Intervall ergeben die Verkehrsstärke des aus- bzw. einfahrenden Stroms und des Stroms der Hauptfahrbahn ein Wertepaar für die Kapazität. Der Mittelwert aller summierten Wertepaare über alle Simulationsläufe (nach Berechnung aus [7] je nach Szenario zwischen 20 und 30) ergibt die Kapazität für das Netzelement.

4 Ergebnisse

Innerhalb der Simulationsstudie wurden nun die einzelnen Systeme hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Kapazität der Netzelemente untersucht. Es sollte hierbei nicht nur herausgefunden werden, welches System welche Wirkungen auf die Kapazität aufweist, sondern auch, bei welchem Nutzungsgrad der Systeme die Wirkungen deutlich werden, ob es Unterschiede zwischen den verschiedenen Netzelementen gibt und ob weitere Parameteranpassungen die Wirkungen noch verstärken würden. Die Ergebnisse sind im Folgenden widergegeben.

4.1 Untersuchung unterschiedlicher Netzelemente

Bei Ein- und Ausfahrten lassen sich deutliche Kapazitätssteigerungen durch kHAF im Vergleich zu den Normalfahrern erreichen, wohingegen TAF und HAF Kapazitätsminderungen mit sich ziehen. Wie in Bild 3 zu sehen, sind große Einflüsse auf die Kapazität meist erst bei hohen Nutzungsgraden erkennbar.

Bild 3: Entwicklung der Kapazitätswerte für das Netzelement E1-2 Belastungsverhältnis 4 relativ zum Basisszenario

Außerdem wurde aus den Simulationen deutlich, dass die Harmonisierung der Geschwindigkeiten von den Verkehrsteilnehmern zu einer Reduzierung von Verkehrszusammenbrüchen führen kann. Wie in Bild 4 zu sehen, pendelt sich die Geschwindigkeit der Fahrzeuge an der Kapazitätsgrenze auf die der langsamsten Verkehrsteilnehmer im Netz (Lkw mit einer Geschwindigkeit von v = 80 km/h) ein und ab einem gewissen Zeitpunkt erhöht sich die Verkehrsstärke q nicht weiter. Das Nichtvorhandensein von Verkehrszusammenbrüchen an den untersuchten Stellen der Netzelemente bedeutet allerdings nicht unbedingt eine Erhöhung der Kapazität. Der Verkehrszusammenbruch verlagert sich in andere Bereiche des Netzes.

Bild 4: Verkehrsstärke-Geschwindigkeit-Diagramm mit zugehörigem Histogramm der Geschwindigkeiten eines Netzabschnitts ohne Verkehrszusammenbruch

Innerhalb dieser Studie wurde ein sogenanntes VR-Netzelement betrachtet. Hierbei gibt es eine Verflechtungsstrecke an einer Verteilerfahrbahn, jedoch keine Hauptfahrbahn (siehe Bild 5).

Bild 5: Netzelement Verflechtung des Typs VR1 nach RAA [8]

In Verflechtungsbereichen hängt die Kapazität stark vom Fahrstreifenwechselverhalten der Verkehrsteilnehmer ab. Bei solchen Systemen, die auf große Freiräume auf dem Zielfahrstreifen angewiesen sind, vermindert sich die Kapazität bei hohen Nutzungsgraden des Systems.

In diesem Netzelement ist zu beobachten, dass die teilautomatisierten Fahrzeuge weniger Schwierigkeiten haben die Fahrstreifenwechsel durchzuführen als die hochautomatisierten Fahrzeuge. Das ist durch die Wahl der Verhaltensparameter zur begründen, in denen die TAF bei einem Fahrstreifenwechsel (analog zu den Normalfahrern, da die Fahrstreifenwechsel durch diese ausgeführt werden) kleinere Lücken wählen als HAF. Gleichzeitig sind die Abstände zwischen einander folgenden TAF genauso groß wie zwischen einander folgenden HAF. Das Finden einer ausreichend großen Lücke ist demzufolge für TAF einfacher als für HAF. In den Ergebnissen spiegelt sich das in der Kapazität wider. In Bild 6 sind die Kapazitätsänderungen für zwei verschiedene Belastungsverhältnisse dargestellt. Deutlich erkennbar ist hier, dass die Kapazität der TAF bei vollem Nutzungsgrad, im Gegensatz zu den Ergebnissen der Ein- und Ausfahrten, höher liegt als die der HAF. Je nach Belastungsverhältnis ist dies auch schon bei geringeren Nutzungsgraden zu beobachten.

Bild 6: Kapazitäten und Kapazitätsänderungen des Netzelements VR1-1 für die Belastungsverhältnisse 2 und 6 relativ zum Basisszenario

Innerhalb dieser Studie wurden außerdem zwei- und dreistreifige Streckenabschnitte simuliert. In Bild 7 ist die Entwicklung der Kapazitätswerte der beiden betrachteten Streckenabschnitte dargestellt. Erneut ergibt sich in diesen Szenarien durch die teil- und hochautomatisierten Fahrzeuge eine Kapazitätsminderung, während die kHAF, insbesondere bei hohen Nutzungsgraden, kapazitätssteigernd wirken und die Kapazität um bis zu knapp 30% bzw. 35% erhöhen.

Bild 7: Kapazitäten und Kapazitätsänderungen auf zwei- bzw. dreistreifigen Streckenabschnitten

4.2 Untersuchung weiterer Parameteränderungen

Bild 8 zeigt die Änderung der Kapazität unterschiedlicher Systeme im Vergleich zum Basisszenario mit 100% Normalfahrern auf einem Netzabschnitt mit einstreifiger Einfahrt und zweistreifiger Hauptfahrbahn (E1-2). Die oben genannten Einflüsse der TAF, HAF und kHAF werden in dieser Abbildung deutlich. Des Weiteren wurden in einem Testszenario die Fahrzeugfolgeabstände für die kHAF (Bild 8 oben) und für die HAF (Bild 8 unten) auf einen Wert von 0,5 Sekunden reduziert. Diese Extremszenarien zeigen, dass sich die Kapazität dieses Netzelementes somit um bis zu 40% erhöhen kann. In der oberen Grafik, in der die kHAF die extrem kleinen Abstände zu den Vorderfahrzeugen hielten, ist zu erkennen, dass weiterhin die größten Kapazitätssteigerungen erst bei hohen Nutzungsgraden erreicht werden können. Dies ist dadurch zu begründen, dass kHAF nur dann einen solch geringen Abstand zum Vorderfahrzeug einnehmen können, sofern dieses auch ein kHAF ist. Bei einem geringen Nutzungsgrad folgen die kHAF noch häufig einem Normalfahrer und können somit nicht das volle Potenzial ausschöpfen. In der unteren Grafik ist der Fall „HAF Extrem“ dargestellt. Das bedeutet, dass alle HAF die extrem geringen Abstände zu ihren jeweiligen Vorderfahrzeugen halten können. Da es bei den HAF nicht darauf ankommt, welche Art Fahrer bzw. System das Vorderfahrzeug steuert, können diese immer einen geringen Abstand einregeln. Dies spiegelt sich positiv in den Ergebnissen wider. In der unteren Grafik von Bild 8 ist zu sehen, dass die Kapazität fast linear steigt und schon bei einem Nutzungsgrad des Systems von 50% eine beachtliche Kapazitätssteigerung zu erkennen ist. Bei 100% Nutzungsgrad eines so ausgelegten Systems kann sich die Kapazität dieses Netzelementes im Vergleich zu einem Szenario mit ausschließlich Normalfahrern um 40% steigern.

Bild 8: Entwicklung der Kapazität für das Netzelement E1-2 für unterschiedliche Systeme incl. Extremszenarien (oben: Extremszenario kHAF; unten: Extremszenario HAF)

Aus den Simulationsergebnissen lässt sich schließen, dass die Kapazität der Infrastruktur durch automatisierte Fahrzeuge gesteigert werden kann, sofern diese (inkl. entsprechender regulatorischer Rahmenbedingungen) so gestaltet werden, dass auch geringe Fahrzeug- folgeabstände zugelassen werden dürfen. Abgesehen vom Abstandsverhalten scheint auch das kooperative Verhalten beim Fahrstreifenwechsel einen hohen Einfluss auf die Kapazität der Infrastruktur zu haben, was insbesondere auf Netzabschnitten deutlich wird, auf denen häufig Fahrstreifenwechsel durchgeführt werden müssen.

Ein weiterer Aspekt, der innerhalb dieser Simulationsstudie untersucht wurde, ist der Einfluss der Lkw-Geschwindigkeiten. Als Randbedingung gilt, dass der Anteil der Lkw am gesamten Verkehr 10% beträgt und der Anteil automatisierter Lkw genauso hoch ist wie der Anteil der automatisierten Pkw. Die Untersuchung der Kapazität an dem beispielhaften Netzelement E1- 2 zeigt, dass die Änderung der Geschwindigkeitsbegrenzung der Lkw von 80 km/h auf 100 km/h für die automatisierten Fahrzeuge keinen nennenswerten Einfluss auf die Kapazität des Netzabschnittes hat. In Bild 9 wird dies deutlich.

Bild 9: Verkehrsstärke-Geschwindigkeit-Diagramm des Netzelements E1-2 mit 100% kHAF für den Fall a) Geschwindigkeitsbeschränkung der Lkw = 80 km/h und b) Geschwindigkeitsbeschränkung der Lkw = 100 km/h

Um die Effekte, die eine veränderte Wunschgeschwindigkeit der HAF auf die Kapazität haben könnte, herauszufinden, wurde dies für das Netzelement E1-2 in der Simulation realisiert. Automatisierte Pkw und Lkw haben hier die gleiche Wunschgeschwindigkeitsverteilung wie die Normalfahrer. Das Bild 10 zeigt, dass die Änderung der Wunschgeschwindigkeitsverteilung der HAF keinen deutlichen Einfluss auf die Kapazität des Netzabschnittes hat.

Die Beispiele der weiteren Parameteränderungen zeigen, dass sich durch die Änderung der maximalen Geschwindigkeiten keine signifikanten Einflüsse auf die Kapazität der Infrastruktur ergeben. Die Änderung im Abstandsverhalten hingegen hat einen großen Einfluss auf die erreichbare Kapazität der Infrastruktur und kann die Kapazitätsgewinne weiter steigern.

Bild 10: Verkehrsstärke-Geschwindigkeit-Diagramm des Netzelements E1-2 mit 100% HAF

5 Zusammenfassung und Ausblick

Ziel dieser Studie war die Wirkungsermittlung von teil- und hochautomatisierten Fahrzeugen auf die Kapazität der Straßeninfrastruktur des deutschen Autobahnnetzes. Dafür wurden mikroskopische Verkehrssimulationen verschiedener repräsentativer Straßennetzelemente durchgeführt. Das Fahrverhalten der Fahrzeuge innerhalb der Simulation wurde so angepasst, dass unterschiedliche Arten teil- und hochautomatisierter Fahrzeuge dargestellt werden konnten. Aus den Simulationsergebnissen lässt sich schließen, dass die Kapazität der Infrastruktur gesteigert werden kann, sofern auch geringe Fahrzeugfolgeabstände der automatisierten Fahrzeuge zugelassen werden dürfen. Ein Verhalten, welches nur große Abstände zwischen den Fahrzeugen zulässt, wirkt hingegen negativ auf die Kapazität der Infrastruktur. Abgesehen vom Abstandsverhalten hat auch das kooperative Verhalten beim Fahrstreifenwechsel einen massiven Einfluss auf die Kapazität der Infrastruktur.

Die Wirkung der Systeme auf die Kapazität ist auch abhängig vom Nutzungsgrad der Systeme. In Mischszenarien ist unter den getroffenen Verhaltensannahmen ein Anstieg der Kapazität meist erst bei einem hohen Nutzungsgrad erkennbar. Hohe Nutzungsgrade der automatisierten Systeme können zu weniger Verkehrszusammenbrüchen führen, auch wenn sich die Kapazität der Infrastruktur nicht in jedem Fall erhöht, teilweise sogar reduziert.

Innerhalb dieser Studie wurden die automatisierten Fahrzeuge mit vereinfachten Annahmen über deren Verhalten dargestellt. Diese Annahmen wurden mit Automobilherstellern abgestimmt. Mit voranschreitender Entwicklung der Systeme können und sollten genauere Modelle des Fahrverhaltens in die Simulation integriert werden, so dass detaillierte, reale Systeme hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den Verkehrsfluss analysiert werden können.

In einem zweiten Teil der Studie wurden die mikroskopischen Ergebnisse aus der Verkehrsflusssimulation einzelner Streckenelemente durch das Institut für Verkehrswesen des Karlsruher Instituts für Technologie auf das gesamte deutsche Autobahnnetz hochgerechnet. Die Ergebnisse und weitere Details zur oben dargestellten Untersuchung können dem Projektschlussbericht [9] entnommen werden, der sich gerade im Veröffentlichungsprozess über die Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) befindet.

Danksagung

Das Thema wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Auswirkungen des teil- und hochautomatisierten Fahrens auf die Kapazität der Fernstraßeninfrastruktur“ (2015-2016) in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Verkehrstechnik der Technischen Universität München und dem Institut für Verkehrswesen des Karlsruher Institut für Technologie untersucht. Wir danken der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT), Arbeitskreis 7 „Optimierung des Systems Straßenverkehr“ für die Finanzierung des Forschungsprojektes.

Unser Dank gilt außerdem der PTV AG für die Unterstützung bei der Verkehrssimulation mit der Software VISSIM.

Literatur

[1]    B. FRIEDRICH, Verkehrliche Wirkungen autonomer Fahrzeuge, in Autonomes Fahren, M. Maurer, C. Gerdes, B. Lenz und H. Winner (Hrsg.), Berlin, Heidelberg, Springer, 2015, pp. 331-349.

[2]    P. TIENTRAKOOL, Y.-C. HO UND N. MAXEMCHUK, Highway Capacity Benefits from Using Vehicle-to-Vehicle Communication and Sensors for Collision Avoidance, IEEE Vehicular Tehnology Conference, 2011.

[3]    B. FILZEK, Abstandsverhalten auf Autobahnen - Fahrer und ACC im Vergleich, Darmstadt: Dissertation TU Darmstadt, 2002.

[4]    H. WINNER UND M. SCHOPPER, Adaptive Cruise Control, in Handbuch Fahrerassistenzsysteme, H. Winner, F. Lotz, S. Hakuli und C. Singer (Hrsg.), Wiesbaden, Springer, 2015, pp. 851-891.

[5]    VDA, Automatisierung, VDA Magazin, 2015.

[6]    DEUTSCHER VERKEHRSSICHERHEITSRAT E.V., Bitte Abstand halten, 02 2008. [Online]. Verfügbar unter: http://www.dvr.de/presse/informationen/foto/1822.htm. [Zugriff am 24 01 2017].

[7]    J. GEISTEFELDT ET. AL., HBS-konforme Simulation des Verkehrsablaufs auf Autobahnen, Forschungsauftrag FE03.0460/2009/OGB, Bergisch Gladbach: Schritfenreihe der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Verkehrstechnik, Heft V 279, 2016.

[8]    FGSV, Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA), Köln: FGSV, 2008.

[9]    S. KRAUSE, N. MOTAMEDIDEHKORDI, S. HOFFMANN, F. BUSCH, M. HARTMANN UND P. VORTISCH, Auswirkungen des teil- und hochautomatisierten Fahrens auf die Kapazität der Fernstraßeninfrastruktur Deutschlands, Berlin: FAT-Schriftenreihe (im Veröffentlichungsprozess), VDA, 2017.