FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Erweiterung von wegebasierten Modellansätzen der simultanen Ziel- und Moduswahl für große Modellanwendungen
Autoren PD Dr.-Ing. habil. Christian Schiller
Kategorien HEUREKA
Einleitung
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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einführung in die Problematik

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der knapper werdenden öffentlichen Mittel entstehen immer umfangreichere Anforderungen an die Verkehrsplanung. So wird es zunehmend wichtiger, die Auswirkungen infrastruktureller und betrieblicher Maßnahmen in Überlagerung mit den sich vollziehenden raumstrukturellen und demografischen Veränderungen zu betrachten. Dies beinhaltet sowohl eine adäquate Ermittlung der verkehrlichen Aspekte (z. B. maßnahmenbedingte Verkehrsverlagerungen) als auch die Berücksichtigung der Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Zur Lösung dieser Aufgaben ist der Einsatz rechnergestützter Verkehrsmodelle unabdingbar, welche ausgehend von einer integrierten Betrachtung aller Verkehrsarten in der Lage sind, die Verkehrsnachfrage maßnahmensensitiv und damit auch prognosefähig zu berechnen.

Die damit zusammenhängende stetige Vergrößerung der Untersuchungsräume und die damit einhergehende Zunahme der Komplexität haben Verkehrsmodelle zu einem unverzichtbaren Verkehrsplanungsinstrument gemacht. Damit sollen Analysen kleinräumiger Fragestellungen beantwortet (z.B. Linienoptimierung) als auch großräumiger Veränderungen (z.B. Auswirkungen von Veränderungen in der Siedlungsstruktur) berechnet werden können. Dem gegenüber stehen allerdings die immer heterogener werdenden Modellierungsgebiete, welche Modelle derzeit an ihre Grenzen bringen.

Um allen Belangen gerecht zu werden, sind jedoch auch die Anforderungen sowohl in Bezug auf die Einsatzmöglichkeiten und Fragestellungen als auch auf die Genauigkeit der Verkehrsnachfragemodelle stark gestiegen. Somit hat die Verlässlichkeit der Modellergebnisse eine zentrale Bedeutung für verkehrsplanerische Entscheidungen. Diese Verlässlichkeit und Qualität kann nur durch stetige Modellverbesserungen garantiert werden.

Wegebasierte Modelle ermitteln die simultane Zielund Moduswahl auf Basis von ijkAufwandsbewertungen. Auf dieser Grundlage berechnen sie zur Lösung der Verkehrsströme vijk in der Gleichung die Faktoren fqi, fzj und fak für jede Quelle-Ziel-Gruppe so, dass die aus der Erzeugung vorgegebenen Quellund Zielverkehrsaufkommen als auch der vorgegebene Modal Split eingehalten werden. Hierbei wird tatsächlich eine simultane Lösung für jede QZG mit Hilfe verschiedener Iterationsverfahren sukzessiv approximativ berechnet. Über die Bewertung Bijk, welche frei wählbare Komponenten enthalten kann, kann das Modell je verhaltenshomogener Gruppe zweckfein, modusfein und aufwandsfein kalibriert werden. (vgl. Schiller [7] und Lohse [4]).

Formel siehe PDF.

Die mögliche Vorgabe des Modal Splits im Analysezustand, die tatsächliche simultane Verund Aufteilung und die sehr gute Kalibrierbarkeit zählen zu den entscheidenden Vorteilen der wegebasierten Modelle. Nachteile besitzen diese Modelle neben der Nichtbeachtung der Wegefolge, bei der Matrixbilanzierung am Ende der Berechnungen.

2 Modifikation der Bewertung

Die stetige Vergrößerung der Untersuchungsräume und die damit einhergehende Zunahme der Modellkomplexität erfordern im Besonderen für große Modelle entsprechende Anpassungen der Aufwandsbewertungen, welche am Beispiel des Schweizer Nationalen Personenverkehrsmodells (NPVM) dargestellt werden sollen.

Für den Neuaufbau des NPVM soll das heterogene Verkehrsverhalten der Schweizer Bevölkerung über regionale Teilräume abgebildet werden. Die Ziele dieser Regionalisierung sind

–  die Einbettung in einen räumlichen Kontext (möglichst zusammenhängende Analyseregionen),

die Abbildung von Ähnlichkeiten im Verkehrsverhalten und

die Handhabbarkeit der Komplexität des Nachfragemodells (Bildung von maximal 3 bis 4 Teilräumen).

Eine weitere Vorgabe ist die Aufteilung in ausreichend große Teilstichproben, so dass der Umfang der Teilräume der SP-Befragung 2015 für die SP-Schätzung statistisch signifikanter Modelle genügt. Dazu wurden in einer Vorstudie die in Abbildung 1 gezeigten Ergebnisse erzielt.

Abbildung 1: Vorschlag für Regionalisierung mit Sonderregion aufgrund räumlicher Lage und Verhaltensähnlichkeit (Quelle: Schweizer Bundesamt für Raumentwicklung / Vrtic et al.)

Werden die Netzaufwände mit einer (frei wählbaren) Bewertungsfunktion bewertet und die simultane Verkehrsverteilung und -aufteilung mit nachstehender Formel unter Berücksichtigung quellund zielseitgier Randsummenbedingungen berechnet, ergibt sich, dass für einen (VHG-1, zweckund modusfeinen) Aufwand auch nur ein Parametersatz verwendet werden kann. Dies lässt ein Bewertungsschema nach Abbildung 1 nicht zu. In Abbildung 2 wird dazu noch einmal verdeutlicht, dass über die gesamt Matrix der gleiche Parametersatz PS verwendet wird.

Formel siehe PDF.

Abbildung 2: Verwendung von nur einem Parametersatz PS

Hier muss eine Modifikation ansetzen, welche den Heimatstandort e (primär: Wohnen, sekundär: Arbeiten) beachtet. Nur so ist es möglich, Regionalisierung aufgrund räumlicher Lage und Verhaltensähnlichkeit. Demnach ist folgende Formel anzusetzen:

Formel siehe PDF.

Die Verwendung von Bijke statt Bijk hat zur Folge, dass nur unterschiedliche Parametersätze PSe (je nach Heimatstandort) für einen Aufwand verwendet werden können.

Abbildung 3: Heimatgebundene (hier quell- und zielseitige) Parametersätze PSe

Da wegebasierten Modellansätzen auch Ortsveränderungen ohne einen Heimatstandort an Quelle und Ziel existieren (vgl. Abbildung 4), ist dann der Parametersatz PSe anzuwenden, welcher sich durch die Heimatstandort der VHG ergibt. Dabei können auch noch die Aufwände vom/zum Heimatstandort beachtet werden (z. B. über polare oder bi-polare Einzugsgebiete).

Abbildung 4: Parametersätze PSe für Ortsveränderungen ohne einen Heimatstandort an Quelle und Ziel 

Diese Modifikation der Bewertung lässt somit folgendes Gleichungssystem von wegebasierten Modellansätzen der simultanen Zielund Moduswahl für große Modellanwendungen entstehen:

Formel siehe PDF.

3 Modifikation der Modal-Split-Vorgaben im Analysezustand

Ein großer Vorteil wegebasierter Modell ist die mögliche Vorgabe eines zweck-, modusund aufwandsfeinen Modal Splits im Analysezustand. Dies ist wichtig, da die Moduswahl von subjektiven und objektiven Kriterien abhängig ist und nicht alle Einflussgrößen im Verkehrsangebotsmodell beschrieben werden können!

Allerdings ergeben sich durch die vorab beschriebenen Eigenschaften unterschiedlicher Regionen in einem Untersuchungsgebiet auch unterschiedliche Analyse-Modal-Splits, welche im Modell eingehalten werden müssen. Diese unterschiedlichen heimatseitigen Analyse-Modal-Splits können über Befragungen (z. B. SrV, MiD etc.) erhoben werden.

Kann der Modell-Split nicht vorgegeben werden, so wird versucht diesen über unterschiedlichste Konstanten, Aufwandsvektoren oder ähnliche Konstrukte einzuhalten. Das Ergebnis ist meist nicht wunschgemäß, zumal bezweifelt werden darf, ob das eine oder andere Konstrukt dann noch tatsächlich prognosefähig ist.

Um dies künftig zu vermeiden, soll eine weitere Modifikation vorgestellt werden, welche den heimatseitigen Modal Split je Region in einem Untersuchungsgebiet beachten kann. Derzeitige Modelle nutzten das (bereits gezeigte) Gleichungssystem und berechnen die nachfolgend beispielhaft dargestellten Ergebnisse:

Formel siehe PDF.

Abbildung 4: Parametersätze PSe für Ortsveränderungen ohne einen Heimatstandort an Quelle und Ziel

Hierbei ist zu erkennen, dass die wegebasierten Modellansätze der simultanen Zielund Moduswahl, neben den grün umrandeten quellund zielseitigen Randsummenbedingungen, auch die globalen Vorgaben des analytischen Modal Splits (rote Umrandung) einhalten können. Die heimatseitigen Analyse-Modal-Splits unterschiedlicher Regionen in einem Untersuchungsgebiet, wie sie in großen Modellen auftreten können, können nicht eingehalten werden. Um dies zu erreichen, wird das Gleichungssystem entsprechend modifiziert.

Formel siehe PDF.

berechnet jetzt die nachfolgenden Ergebnisse:

Abbildung 6: Erweiterungen der Randsummenbedingungen (hier quellseitiger Heimatstandort)

Auch hier werden die grün umrandeten quellund zielseitigen Randsummenbedingungen, als auch die globalen Vorgaben des analytischen Modal Splits (rote Umrandung), eingehalten. Darüber hinaus werden ebenso die heimatseitigen Analyse-Modal-Splits (MSe) unterschiedlicher Regionen in einem Untersuchungsgebiet (blau und gelb markiert) eingehalten. Dies führt zu einer unmittelbaren Verbesserung der Modellkonsistenz und des Modellergebnisses.

Die zugehörigen Lösungsverfahren können im Sinne eines konvexen Optimierungsproblems mit affinlinearen Nebenbedingungen beschrieben werden. Dies geschieht durch Anwendung der Multiplikationsmethode von Lagrange kann eine Lagrange-Funktion (mit den zugehörigen Kuhn-Tucker-Bedingungen) entwickelt werden.

Formel siehe PDF.

4 Fazit

Dadurch, dass immer feiner werdende Modelle immer größere Gebiete abdecken, ist eine globale Bewertungsfunktion bzw. ein globaler Parametersatz nicht mehr zeitgemäß. Verhaltensunterschiede in einzelnen Gebieten bzw. in Korridoren kann nur mit unterschiedlichen Bewertungsfunktionen bzw. Parametersätzen begegnet werden. Somit können neben den Eingangsdaten (z. B. Mobilitätsraten, Modal Split, Besetzungsgrad) auch das tatsächliche Verkehrsverhalten raumtypenfein abgebildet werden. So können Spezifika, wie zum Beispiel eine über die real existierende Bewertung hinausgehende Verkehrsverflechtung zwischen Großstädten oder eine unterschiedliche Bewertung von Reisezeit in Agglomerationen und ländlichen Gebieten, modelliert werden.

Des Weiteren spiegelt die Möglichkeit der Vorgabe von heimatseitigen regionalen Modal Splits bei großen Modellanwendungen die Realität besser wider. Sie gibt dem Modell die Stützstellen, welche es für gute Modellergebnisse benötigt. Somit können die immer heterogener werdenden Modellierungsgebiete auch zukünftig sachlogisch modelliert werden.

5 Literatur

[1] Ortúzar, J. DE D.; Willumsen, L. G. (2004): Modeling Transport, 3. Auflage, John Wiley & Sons Inc., Chichester u. a. O.

[2] KIRCHHOFF, P. (1970): Verkehrsverteilung mit Hilfe eines Systems bilinearer Gleichungen. Ein Beitrag zur Entwicklung von Verkehrsmodellen, Dissertation, TU Braunschweig, Braunschweig

[3] LOHSE D.; TEICHERT, H.; DUGGE, B.; BACHNER, G. (1997): Ermittlung von Verkehrsströmen mit n-linearen Gleichungssystemen. Schriftenreihe Heft 5, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der TU Dresden, Dresden

[4] LOHSE, D. (2010): Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung, Band 2: Verkehrsplanung, 3. Auflage, Verlag für Bauwesen GmbH, Berlin

[5] LOHSE, D.; SCHILLER, C.; TEICHERT, H. (2006): Das Verkehrsnachfragemodell EVA – Simultane Verkehrserzeugung, Verkehrsverteilung und Verkehrsaufteilung. In Straßenverkehrstechnik Heft 4/2006, S. 181-192, Kirschbaum Verlag, Bonn

[6] SCHILLER, C. (2006): Gekoppelte Verkehrsnachfragemodelle Ein grundlegendes Modell. In Straßenverkehrstechnik Heft 7/2006, Kirschbaum Verlag, Bonn

[7] SCHILLER, C. (2007): Erweiterung der Verkehrsnachfragemodellierung um Aspekte der Raumund Infrastrukturplanung. Schriftenreihe Heft 10, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der TU Dresden, Dresden