FGSV-Nr. FGSV 002/106
Ort Stuttgart
Datum 02.04.2014
Titel Was bringt wie viel? Alte und neue Verkehrs- und Mobilitätskonzepte für Städte
Autoren Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich, Dipl.-Ing. Charlotte Ritz
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Ausgehend vom Anspruch, dass eine gute Verkehrsplanung Aussagen zu den Wirkungen von Maßnahmen machen muss, will der vorliegende Beitrag zumindest qualitative Aussagen zu Maßnahmenwirkungen machen. Dabei stehen die unmittelbaren Wirkungen eines Verkehrsangebots auf die Verkehrsnachfrage im Vordergrund, aus denen sich dann die sekundären Wirkungen des Verkehrs (z.B. Energieverbrauch, Lärm- und Schadstoffemissionen) ergeben. Die Aussagen umfassen Maßnahmen aus dem Bereich der Verkehrskonzepte und der Mobilitätskonzepte. Dazu werden Wirkungszusammenhänge diskutiert und die Ergebnisse von Modellrechnungen und Potenzialabschätzungen vorgestellt. Die Wirkungsabschätzungen zeigen, dass ein Rückgang der Pkw-Fahrleistung am besten durch großräumige monetäre Maßnahmen erzielt werden kann. Im Stadtgebiet kann eine umfassende Neuorientierung bei der Netzgestaltung verbunden mit einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h und einem Ausbau des ÖV ebenfalls messbare Veränderungen bewirken. Maßnahmen des Parkraummanagements haben eher kleine Wirkungen auf die Verkehrsnachfrage. Bei Sharing-Konzepten ist die Wirksamkeit noch schwer abzuschätzen. Da sie eigenwirtschaftlich betrieben werden, können sie nur dort kostendeckend eingesetzt werden, wo die Nachfragestruktur eine mehrfache Nutzung der Fahrzeuge im Tagesverlauf ermöglicht. Das wird in den Bereichen, in denen die Fahrzeuge entsprechend dem Leitbild „vernetzte Mobilität“ Zubringerfunktion zum Schienenpersonenverkehr übernehmen könnten aufgrund der ausgeprägten Lastrichtungen schwer zu erreichen sein. Dieses Problem lässt sich erst dann lösen, wenn Sharing-Fahrzeuge autonom umgesetzt werden können. Das erzeugt dann aber wieder unerwünschte Leerfahrten.

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1 Einleitung

Verkehr in Städten

Dreiviertel der deutschen Bevölkerung lebt in Städten, ein Drittel in einer der 76 Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern (Stand 2010). Im Pkw-Verkehr entfallen etwa ein Drittel der im Bundesgebiet gefahrenen Fahrzeugkilometer auf Städte. Im öffentlichen Verkehr beträgt der Anteil der Personenkilometer in Städten rund 40%. Bezieht man die Pkw-Fahrleistung auf die Fläche, dann ist die Verkehrsdichte im Pkw-Verkehr in Großstädten ungefähr acht Mal höher als außerhalb der Städte (ohne Autobahnen), obgleich der Anteil am Modal Split im Pkw-Verkehr in Städten rund 20% unter dem Bundesschnitt liegt. Diese Zahlen illustrieren, warum der öffentliche Raum in Städten vom Kfz-Verkehr dominiert wird. Da der öffentliche Raum aber nicht nur dem Kfz-Verkehr dient und die meisten städtischen Straßen mit Wohnund Geschäftsgebäuden angebaut sind, verursacht der Kfz-Verkehr in den Städten eine Reihe unerwünschter Wirkungen. Dazu gehören insbesondere

·      die Schadstoffemissionen (Feinstaub und Stickoxide),

·      die Lärmemissionen,

·      der Flächenbedarf für den fließenden und den ruhenden Verkehr und

·      die Trennwirkung der Verkehrswege.

Dazu kommen aus globaler Sicht der Verbrauch fossiler Ressourcen und die Emission von Treibhausgasen. Den unerwünschten Wirkungen stehen die Vorteile des Kfz-Verkehrs gegenüber, der auf sehr vielen Relationen selbst in der Hauptverkehrszeit deutlich schneller ist, als andere Verkehrsmittel. Diese Vorteile erklären, warum der Pkw in Deutschland auch in Großstädten das Verkehrsmittel mit der höchsten Verkehrsleistung ist. Aufgrund der Fähigkeit Güter zu transportieren und nahezu jedes Ziel zu erreichen, dominiert das Kfz gleichzeitig den städtischen Wirtschaftsverkehr.

Die positiven und negativen Wirkungen des Kfz-Verkehrs führen zu den bekannten Zielkonflikten, die die städtische Verkehrsplanung kennzeichnen. Zum einen will man die Mobilität von Personen und die Versorgung mit Gütern sicherstellen bzw. verbessern, zum anderen sollen die negativen Wirkungen des Kfz-Verkehrs verringert werden. Gleichzeitig muss der Bau, der Unterhalt und der Betrieb der Straßen finanziert werden. Diese Zielkonflikte gibt es natürlich in ähnlicher Form im öffentlichen Verkehr, der ebenfalls Flächen beansprucht, Energie verbraucht und mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Und auch nichtmotorisierte Verkehrsmittel erfordern Verkehrswege, die Platz brauchen und Geld kosten.

Verkehrs- und Mobilitätskonzepte

Die Ziele und Maßnahmen einer städtischen Verkehrsplanung werden in Verkehrsentwicklungsplänen niedergelegt. In den vergangenen Jahrzehnten dominierten Verkehrskonzepte die städtische Verkehrsplanung, bei denen folgende Aufgaben im Vordergrund stehen:

·      Gestaltung der Verkehrswege und Verkehrsanlagen.

·      Entwicklung verkehrstechnischer Steuerungseinrichtungen (Lichtsignalanlagen, …).

·      Regeln zur Nutzung der Infrastruktur (Verbote, Preise).

·      Gestaltung gemeinwirtschaftlicher Angebote im öffentlichen Verkehr (Linien und Takte).

Diese Aufgabe wird auch in Zukunft Bedeutung haben, sie wird aber zunehmend durch Mobilitätskonzepte ergänzt, deren Ausprägungen anders als bei der Netzgestaltung nur noch begrenzt von der städtischen Verkehrsplanung beeinflusst werden können. Mobilitätskonzepte umfassen:

·      Eigenwirtschaftliche Angebote für Verkehrsteilnehmer (z.B. Carsharing, öffentliche Fahrradverleihsysteme).

·      Spezielle Mobilitätsdienstleistungen für Verkehrsteilnehmer (z.B. Bereitstellung von Informationen im Internet, Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten).

·      Spezielle Dienste für Mitarbeiter einer Firma (z.B. betriebliches Mobilitätsmanagement).

Während bei Verkehrskonzepten der Bürger und der Gedanke der Daseinsvorsorge im Vordergrund stehen, ist der Verkehrsteilnehmer bei Mobilitätskonzepten in erster Linie ein Kunde.

 Aufgabe der Verkehrsplanung

„Aufgabe der Verkehrsplanung ist die zielorientierte, systematische, vorausschauende und informierte Vorbereitung von Entscheidungen über Handlungen, die den Verkehr nach den jeweils festgelegten Zielen beeinflussen sollen“ (Leitfaden für Verkehrsplanungen, FGSV, 2001, [4]). Eine gute Verkehrsplanung moderiert den Prozess der Verkehrsplanung von Zielentwicklung, über die Maßnahmenentwicklung, bis zur Maßnahmenbewertung und Maßnahmenauswahl. Da diese Vorgehensweise nicht das Problem der unterschiedlichen Gewichtung der Ziele und der daraus folgenden unterschiedlichen Bewertung von Maßnahmen löst, kommt der Wirkungsermittlung im Planungsprozess eine besondere Bedeutung zu.

Welche Wirkung hat eine Maßnahme?

Eine möglichst transparente Ermittlung der Wirkungen einer Maßnahme, die von allen Planungsbeteiligten akzeptiert wird, erleichtert den Planungsprozess. Man muss nicht mehr über die Wirkungen, sondern nur mehr über die Bewertung der Wirkungen streiten.

Ausgehend vom Anspruch, dass eine gute Verkehrsplanung Aussagen zu den Wirkungen von Maßnahmen machen muss, will der vorliegende Beitrag zumindest qualitative Aussagen zu Maßnahmenwirkungen machen. Dabei stehen die unmittelbaren Wirkungen eines Verkehrsangebots auf die Verkehrsnachfrage im Vordergrund, aus denen sich dann die sekundären Wirkungen des Verkehrs (z.B. Energieverbrauch, Lärmund Schadstoffemissionen) ergeben. Die Aussagen umfassen Maßnahmen aus dem Bereich der Verkehrskonzepte und der Mobilitätskonzepte.

2 Wirkungszusammenhänge

Die Wirkungen einer Maßnahme auf den Verkehr lassen sich auf verschiedene Weise illustrieren. Bild 1 zeigt eine mögliche Darstellung der Wirkungen des Personenverkehrs, die für den Energieverbrauch und die Schadstoffemissionen geeignet ist. Will man Wirkungen erzielen, muss man entweder die Personenverkehrsleistung (Personenkilometer pro Zeiteinheit) oder die spezifischen Wirkungen pro Personenkilometer (z.B. Energieverbrauch) beeinflussen. Jeder dieser beiden Größen hängt von weiteren Einflussgrößen ab.

Die Verkehrsnachfrage und damit die Personenkilometer werden von folgenden Wirkungszusammenhängen bestimmt:

·      Die Nachfrage steigt mit der Einwohnerzahl.

·      Menschen zwischen 25 und 60 Jahren machen mehr und längere Wege als junge Menschen.

·      Die Siedlungsstruktur bestimmt mögliche Aktivitätenorte vor und beeinflusst so die Reiseweite.

·      Personen mit Pkw-Verfügbarkeit können größere Distanzen zurücklegen.

·      Personen mit ÖV-Zeitkarten nutzen häufig öffentliche Verkehrsmittel.

·      Ein qualitativ hochwertiges Verkehrsangebot, das kurze Reisezeiten bietet, ermöglicht es in gleicher Zeit weiter entfernte Ziele zu erreichen.

Die spezifischen Wirkungen pro Personenkilometer sind abhängig von folgenden Einflussgrößen:

·      Der Besetzungsgrad bestimmt die Fahrzeugkilometer, die mit motorisierten Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Ein hoher Besetzungsgrad, z.B. durch eine höhere Auslastung der ÖV-Fahrzeuge oder durch Car-Pooling reduziert den spezifischen Verbrauch pro Personenkilometer. Das erfordert aber ein entsprechend attraktives Verkehrsangebot im ÖV oder Anreize für Car-Pooling.

·      Eine gute Steuerung der Lichtsignalanlagen und sonstiger Verkehrsbeeinflussungssysteme kann die Zahl der Halte und die Zahl der Beschleunigungsvorgänge reduzieren. Das reduziert den Energieverbrauch und die Emissionen.

·      Die Fahrzeugtechnik und das Gewicht des Fahrzeugs wirken ebenfalls auf den Energieverbrauch und die Emissionen.

Die in Bild 1 blau dargestellten Einflussgrößen lassen sich durch raumplanerische, verkehrsplanerische, verkehrstechnische Maßnahmen oder durch Entwicklungen in der Fahrzeugtechnik beeinflussen. Die Siedlungsstruktur, das Verkehrsangebot einschließlich der Mobilitätskosten und die Verkehrstechnik bilden wesentliche Rahmenbedingungen für die verkehrsrelevanten Entscheidungen von Menschen, die in Bild 1 rot markiert sind.

Diese Wirkungszusammenhänge mögen einem Verkehrsplaner banal erscheinen, trotzdem kann es in der Diskussion, wie Maßnahmen wirken, hilfreich sein, diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Bei jeder Maßnahmendiskussion sollten die vermuteten Wirkungszusammenhänge formuliert werden. Was wird durch die Maßnahme beeinflusst:

·      die Standortwahl?

·      die Beschaffung eines Fahrzeugs und damit die Zusammensetzung der Fahrzeugflotte?

·      die Beschaffung einer Zeitkarte?

·      die Zielwahl?

·      die Verkehrsmittelwahl?

·      die Routenwahl?

·      die Abfahrtszeitwahl?

·      der Verkehrsfluss?

·      die Fahrweise?

Bild 1: Wirkungszusammenhänge im Personenverkehr für die Wirkungen auf den Energieverbrauch und auf die Emissionen in einem Untersuchungsgebiet

3 Ermittlung der Wirkungen

Um die Wirkungen einer Maßnahme zu ermitteln, werden die Zustände mit und ohne Maßnahme anhand geeigneter Kenngrößen verglichen. Die Methoden zur Ermittlung der Wirkungen sind abhängig von der Art der Maßnahme (siehe Hinweise zur Evaluation von verkehrsbezogenen Maßnahmen. FGSV [5]):

·      Um grundlegende Kenngrößen der Verkehrsnachfrage im Personenverkehr (Zahl der Wege, Verkehrsmittelwahl, Reiseweite, Reisezeit) zu ermitteln, sind Haushaltsbefragungen mit Wegetagebüchern seit vielen Jahren Stand der Technik. Dabei wird eine Stichprobe von Haushalten zufällig gezogen, befragt und dann auf die bekannte Grundgesamtheit hochgerechnet.

·      Geht es um die Wirkung neuer Mobilitätskonzepte, wie z.B. öffentlicher Fahrradverleihsysteme oder stationsungebundener Carsharing-Systeme, ist eine zufällige Stichprobenziehung aus der Grundgesamtheit aller Haushalte ungeeignet, da die Systeme selten genutzt werden. Da hier die Wege mit dem neuen System im Vordergrund stehen, bieten sich Befragungen in direktem Zusammenhang mit dem Ausleihvorgang an. Eine Haushaltsbefragung bei den Kunden der Systeme ermöglicht zusätzlich einen Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Haushalten, die keine Kunden sind (siehe z.B. Rabenstein et al. [10]).

·      Zählungen der Verkehrsstärke an ausgewählten Messstellen ermöglichen räumlich begrenzte Aussagen zur Verkehrsnachfrage. Bei Zählungen, die nur an einem einzigen sog. normalen Werktag durchgeführt werden, können die Tageszählwerte um 15% bis 20% vom tatsächlichen Mittelwert aller normalen Werktage abweichen. Diese Größenordnung übersteigt die Wirkungen vieler Maßnahmen, so dass man für den Nachweis der Maßnahmenwirkungen einen größeren Zählzeitraum einplanen oder Dauerzählstellen installieren muss.

·      Die räumlich differenzierte Ermittlung von Personenoder Fahrzeugkilometern in einem größeren Untersuchungsgebiet erfordert Berechnungen mit einem Verkehrsnachfragemodell, das unter Nutzung von Haushaltsbefragungen und Zähldaten kalibriert wurde. Makroskopische Verkehrsnachfragemodelle modellieren das Mobilitätsverhalten in einem Untersuchungsgebiet disaggregiert, d.h. der Prozess der Verkehrsentstehung erfolgt räumlich differenziert und unterscheidet Personengruppen und Wegezwecke. Ein disaggregiertes Nachfragemodell ermöglicht viele detaillierte Auswertungen. Abgesicherte Aussagen sind trotzdem nur auf einer aggregierten Ebene möglich. Die Aussagegenauigkeit steigt dabei mit zunehmender Aggregation. Immer dann wenn Maßnahmen modelliert werden sollen, die die verkehrsrelevanten Entscheidungen der Menschen nur in kleinem Umfang beeinflussen (z.B. Bau eines neuen Radwegs, eine lokal begrenzte Geschwindigkeitsbegrenzung) können Verkehrsnachfragemodelle keine belastbaren Aussagen machen. Natürlich können sie auch nur bekannte Wirkungszusammenhänge nachbilden. Solange es keine empirischen Befunde zu den Wirkungen einer Maßnahme (z.B. neue Mobilitätskonzepte oder große Preiserhöhungen) gibt, können diese Wirkungen auch nicht modelliert werden. Verkehrsnachfragemodelle ermöglichen aber, anders als Erhebungen, Aussagen über zukünftige Zustände.

·      Stated Preference Befragungen eignen sich dann, wenn es um die Nachfragewirkungen einer Maßnahme geht, die bisher nicht umgesetzt wurde und deren Wirkungen deshalb auch nicht in der Realität beobachtet werden konnten (siehe z.B. Axhausen und Sammer [2]). Situative oder personalisierte Stated Preference Befragungen bieten dabei den Befragten Entscheidungssituationen an, die sich an den Randbedingungen der jeweiligen Befragten orientieren.

·      Eine andere Möglichkeit Aussagen zu den denkbaren Wirkungen einer Maßnahme zu quantifizieren, ist die Potenzialanalyse. Bei einer Potenzialanalyse können bekannte, empirisch beobachtete Wirkungszusammenhänge genutzt werden oder Wirkungszusammenhänge angenommen werden. Eine Potenzialanalyse, die auf Wirkungsannahmen basiert, ermöglicht es, die oberen Grenzen einer Maßnahmenwirkung abzuschätzen. Ein Beispiel: Alle Wegeketten mit dem Pkw, die nur Ziele im Umkreis unter 2 km um den Wohnort anfahren, werden auf nicht motorisierte Verkehrsmittel verlagert. Umfassende Potenzialanalysen dieser Art finden sich in Ahrens et al. [1].

·      Aussagen zur Routenwahl, zu Fahrzeiten, zur Zahl der Halte oder zu Beschleunigungsvorgängen erfordern eine Erfassung von Einzelfahrzeugen mit GPS-Geräten oder mit Verfahren, die Einzelfahrzeuge an Messquerschnitten wiedererkennen. Als Kennung kommen u.a. das Fahrzeugkennzeichen oder die Bluetooth-Adresse eines Kommunikationsgerätes in Frage. Bei diesen Erhebungen ist wie bei Verkehrszählungen die erforderliche Stichprobengröße zu beachten (Otterstätter und Friedrich [9]).

4 Nachweis der Wirksamkeit von Maßnahmen

Wann ist eine Maßnahme wirksam? Eine einfache Antwort lautet: Immer dann, wenn sich aufgrund der Maßnahme etwas ändert, z.B. wenn die Verkehrsstärken an Straßenquerschnitten sinken, die Fahrgastzahlen auf einer ÖV-Linie steigen oder die Reisezeit abnimmt. Da im Zeitraum eines Vorher-Nachher-Vergleichs neben der Maßnahme auch andere Entwicklungen und Maßnahmen eine Veränderung verursachen können, ist es häufig schwierig, die Wirksamkeit einer Maßnahme zu belegen. Außerdem sind die Wirkungen einer Maßnahme immer räumlich begrenzt, d.h. man muss nachweisen in welchen Raum eine Maßnahme wirkt.

Der in der Statistik eingeführte Begriff der Signifikanz hilft bei der Beurteilung verkehrlicher Maßnahmen nur begrenzt. Das liegt daran, dass der Begriff der statistischen Signifikanz keine Aussagen zum Umfang der Änderungen macht, sondern testet, ob die Änderungen der Messgrößen zufällig oder überzufällig sind. Ein statistischer Test kann bereits bei vielen, sehr kleinen Änderungen der Messgrößen, die alle in die gleiche Richtung zeigen, ein signifikantes Ergebnis aufweisen.

Um Aussagen über die Wirksamkeit in der Praxis der Verkehrsplanung machen zu können, bietet es sich an, Wirkungsklassen zu definieren. Für eine derartige Klassifizierung der Verkehrsstärkeänderungen kann man den Erwartungswert m und die Standardabweichung s einer Verteilung heranziehen. Dazu benötigt man eine Verteilung der täglichen Verkehrsstärke für vergleichbare Tage (z.B. Werktage Dienstag bis Donnerstag in der Schulzeit) über einen längeren Zeitraum. Um die Wirksamkeit einer Veränderung an einem Messquerschnitt Q zu bestimmen, vergleicht man den Mittelwert im Vorher-Zustand qv und den Mittelwert im Nachher-Zustand qn. Eine Maßnahme ist dann an einem Querschnitt Q wirksam, wenn folgende Bedingung eingehalten ist:

Gleichung (1) siehe PDF.

Stehen keine Verteilungen zur Verfügung, da die Werte z.B. mit einem Verkehrsnachfragemodell berechnet wurden, kann man für die Beurteilung der Wirksamkeit den GEHWert heranziehen, der in der Verkehrsmodellierung für den Vergleich gemessener und modellierter Werte genutzt wird. Bei einer Wirksamkeitsanalyse kann man anstelle des modellierten Wertes den Wert im Nachher-Zustand setzen. Damit ergibt sich die folgende Bedingung für die Wirksamkeit:

Gleichung (2) siehe PDF.

Nach dem Design Manual for Roads and Bridges (Volume 12, Section 2, Chapter 4 [11]) gilt eine Umlegung dann als ausreichend mit Zählwerten validiert, wenn für die Verkehrsstärken einer Stunde gilt:

·      GEH < 5 für 85% aller Zählstellen

Da der GEH-Wert von der Verkehrsstärke abhängt, gelten für Tageswerte andere Anforderungen. Überträgt man die Anforderungen an die Stundenwerte auf Tageswerte ergeben sich folgende Anforderungen:

·      GEH < 15 für 85% aller Zählstellen

Basierend auf diesen Kennwerten könnte eine Klassifizierung der Wirksamkeit für die Verkehrsstärke an einem Querschnitt wie folgt aussehen (Bild 2):

·      Die Wirkung sind groß und sind gut messbar:

In diese Klasse fallen Wirkungen, bei denen die Veränderung der Verkehrsstärke größer ist als die Standardabweichung, d.h. in Gleichung (1) wäre b = 1. Das entspricht bei typischen städtischen Zählstellen einer relativen Änderung der Verkehrsstärke von mindestens 10% bis 15%, wenn man die Standardabweichung aus Tageswerten vergleichbarer Tage ableitet. Bezogen auf den GEH in Gleichung (2) ergäbe sich aus [11] ein GEHMIN von 15.

·      Die Wirkungen sind mittel, aber gut messbar:

Dieser Klasse werden Wirkungen zugeordnet, bei denen die Veränderung der Verkehrsstärke kleiner ist als die Standardabweichung, aber größer als die halbe Standardabweichung, d.h. b = 0,5. Der GEHMIN muss größer als 10 sein. Bei Verkehrsstärken von 10.000 Kfz/Tag entspricht der GEH = 10 einer relativen Änderung von 11%.

·      Die Wirkungen sind klein und daher nur mehr eingeschränkt messbar:

Diese Klasse umfasst Wirkungen, bei denen die Veränderung der Verkehrsstärke kleiner ist als ein Drittel Standardabweichung, d.h. b = 0,33. Bei einem Vergleich mit dem GEH müsste GEHMIN > 5 sein, was bei Verkehrsstärken von 10.000 Kfz/Tag einer relativen Änderung von 5% entspricht.

·      Die Wirkungen sind berechenbar, aber im Verkehrsnetz kaum messbar:

In diese Klasse fallen Wirkungen, bei denen zufällige Veränderungen stärker sein können als die Wirkungen der Maßnahme. Mit einem Verkehrsnachfragemodell können die Wirkungen auf die Verkehrsstärke aber berechnet werden. Die berechneten Wirkungen müssen größer als die Modellungenauigkeiten sein, die sich aus den Abbruchkriterien der Umlegung und der Rückkopplung zwischen Zielwahl, Moduswahl und Umlegung ergeben

·      Die Wirkungen sind weder berechenbar noch messbar:

In diese Klasse fallen Wirkungen für die keine Wirkungszusammenhänge bekannt sind oder für die Wirkungszusammenhänge angenommen werden, die nicht durch empirische Untersuchungen belegt sind.

Für ein Untersuchungsgebiet könnte man dann zur Quantifizierung der Wirksamkeit einer Maßnahme Folgendes festlegen:

·      Eine Maßnahme ist sehr wirksam, wenn die Wirkungen an mindestens 50% der Querschnitte groß sind und die erwartete Wirkungsrichtung aufzeigen. An weiteren 30% müssen die Wirkungen messbar sein.

·      Eine Maßnahme ist wirksam, wenn die Wirkungen an mindestens 80% der Querschnitte messbar sind und die erwartete Wirkungsrichtung aufzeigen.

Bild 2: Klassifizierung der Wirksamkeit von Maßnahmen mit dem GEH-Wert

5 Wirksamkeit von Maßnahmen

Tabelle 1 zeigt eine Reihe ausgewählter Maßnahmen und vermutete Größenordnungen ihrer Wirksamkeit. Grundlage für diese qualitative Abschätzung der Größenordnungen sind die in Bild 1 dargestellten Wirkungszusammenhänge. Die Maßnahmen bewirken mehr oder weniger große Änderungen bei der Reiseweite und der Verkehrsmittelwahl. Daraus resultieren Veränderungen bei den Personenund Fahrzeugkilometern im Pkw-Verkehr. Die Fahrzeugkilometer in Verbindung mit der Qualität des Verkehrsflusses und der Fahrzeugtechnik beeinflussen dann den Energieverbrauch. Höhere Verkehrsdichten reduzieren die Qualität des Verkehrsflusses, gute Lichtsignaltechnik und Verkehrsleittechnik verbessern den Verkehrsfluss durch eine Reduktion der Halte.

Bild 3 und Bild 4 visualisieren die Wirkungen von sechs Maßnahmen auf die werktäglichen Personenkilometer der Modi Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer und ÖV in der Region Stuttgart quantitativ. Der Wert „alle“ in Bild 3 zeigt die Veränderung über alle Modi einschließlich Rad und Fuß. Die Veränderungen im Fußund Radverkehr sind bezogen auf die gesamten Personenkilometer klein und sind deshalb in Bild 3 nicht dargestellt. Die Personenkilometer wurden mit dem Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart berechnet und mit einem Bezugsfall ohne Maßnahmen verglichen. Dargestellt sind nur die Personenkilometer im Binnenverkehr der Region. Durchgangsverkehre, z.B. auf der Autobahn oder in Fernzügen sind ebenso wie der Quellund Zielverkehr in die Region Stuttgart nicht berücksichtigt. Bei den dargestellten Personenkilometern handelt es sich um Ergebnisse eines Modells. Das Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart ist ein Modell, das dem State of the Art der makroskopischen Verkehrsnachfragemodellierung entspricht. Es differenziert im Personenverkehr 23 Personengruppen, 19 Wegezwecke und 6 Modi (Fuß, Rad, ÖV, PkwSelbstfahrer, Pkw-Mitfahrer, Park&Ride). Adressen von Schulen, Einkaufsgelegenheiten, Freizeiteinrichtungen und weiteren Verkehrserzeugern wurden als Points of Interest geocodiert. Die Zielwahl und Verkehrsmittelwahl sind über sog. Logsums miteinander gekoppelt, so dass bei der Zielwahl die Erreichbarkeit der Zielzelle mit allen Verkehrsmitteln berücksichtigt wird. Für die Wegezwecke Arbeiten, Grundschule, Schule und Universität wird ein zweiseitig gekoppeltes Verteilungsmodell angewendet. Das Modell wurde im Analysezustand mit Mobilitätsdaten von 5.000 Haushalten und über 250.000 beobachteten Wegen kalibriert und mit Zählwerten validiert. Das Modell sollte daher Ergebnisse für einen Vergleich der aggregierten Personenkilometer im Bezugsfall und im Maßnahmenfall liefern, die zumindest die richtige Tendenz und Größenordnung aufzeigen. Basierend auf den quantitativen Vermutungen (Bild 1), den Modellrechnungen (Bild 3) und Literaturangaben wird im Folgenden die Wirksamkeit ausgewählter Maßnahmen diskutiert.

5.1 Maßnahmen der Verkehrsnetzgestaltung 

Neubau und Ausbau von Straßenverkehrswegen

Neue Netzelemente beeinflussen in jedem Fall die Routenwahl der Verkehrsteilnehmer. Sie werden damit zumindest im Bereich der Maßnahme zu messbaren räumlichen Verlagerungen führen. Bei größeren Maßnahmen (z.B. Ausbau eines Stadtrings) werden die räumlichen Verlagerungen auch großräumig messbar sein. Da größere Neuund Ausbaumaßnahmen die Qualität des Verkehrsangebots verbessern, wird es auch Verlagerungen bei der Verkehrsmittelwahl und in kleinerem Umfang bei der Zielwahl geben, da die Verkehrsteilnehmer in gleicher Zeit mehr Ziele erreichen können. Allgemeine Aussagen zur Wirksamkeit sind nicht möglich, da der Umfang der räumlichen und modalen Verlagerungen von der Maßnahme und von den lokalen Gegebenheiten dominiert wird, die nur in einer spezifischen Untersuchung ermittelt werden können.

Neubau von Schienenverkehrswegen und Ausbau des ÖV-Angebots

Öffentliche Verkehrsmittel sind für dicht besiedelte städtische Bereiche besonders geeignet, da ein ÖV-Fahrweg gleicher Breite verglichen mit dem Pkw eine 10-fach höhere Kapazität haben kann. Sie sind energieeffizient, wenn der durchschnittliche Auslastungsgrad der Sitzplätze mindestens 40% beträgt. Und die Zahl der erforderlichen Fahrzeuge ist niedrig, da die ÖV-Fahrzeuge anders als private Pkw und Car-Sharing Fahrzeuge entgegen der Lastrichtung umgesetzt und so kontinuierlich eingesetzt werden können. Die Qualität des ÖVAngebots ist der wichtigste Einflussfaktor für den ÖV-Anteil in einer Stadt. Maßgebend für die Qualität sind das Reisezeitverhältnis ÖV/Pkw, die Zuund Abgangszeiten, die Umsteigehäufigkeit und die Bedienungshäufigkeit. Wie im Straßenverkehr gilt auch im ÖV, dass die Wirksamkeit von der Art der Maßnahme und von den lokalen Gegebenheiten dominiert wird. Neue Schienennetze und neue Linien werden große Wirkungen haben, Änderungen der Bedienungshäufigkeit oder der Fahrzeit auf einzelnen Linien werden nur begrenzt wirken und schwer messbar sein.

Ausbau des Rad-Angebots

Fahrräder sind effiziente Verkehrsmittel im Hinblick auf den Energieverbrauch und den Platzbedarf. In vielen Verkehrsentwicklungsplänen wird folglich die Förderung des Radverkehrs als ein wichtiges verkehrspolitisches Ziel benannt. Kurze Wege sollen durch geeignete Maßnahmen auf das Rad verlagert werden. Pedelecs sollen die Fahrtweite erhöhen, das Radfahren in hügeligem Gelände erleichtern und für weniger sportliche Personengruppen attraktiv machen. Allerdings sollten die Potenziale des Fahrrades nicht überschätzt werden. Zwar ist nach Mobilität in Deutschland (MiD 2008 [6]) rund die Hälfte aller Wege kürzer als 4 km, jedoch entfallen auf diese Entfernungsklasse nur etwa 10% der Personenkilometer. Zudem ist das Fahrrad auch mit Elektroantrieb wetterabhängig und der Transport von Gepäck und anderen Personen (Bringen/Holen von Personen) ist nur eingeschränkt möglich. Potenzialabschätzungen zum Radverkehr basieren meist auf Wirkungsannahmen. Ahrens et al. [1] ermitteln so beispielsweise für die Annahme, dass sich 25% aller Pkw-Wege unter 5 km auf das Rad verlagern lassen, einen Zuwachs des wegebezogenen Modal-Splits im Radverkehr von 11% auf 16%. Bezogen auf die Pkw-Kilometer reduziert sich die Gesamtfahrleistung in Deutschland aber nur um etwa 1,5%. In Stadtgebieten, in denen viele kurze Wege stattfinden, würde die Reduktion höher ausfallen. Unbeantwortet bleibt die Frage nach den Maßnahmen, die dazu führen, dass diese Verlagerungen eintreten. Hierfür sind Maßnahmen in städtischen Verkehrsnetzen erforderlich, die deutlich über den Ausbau von Radwegen und Hauptradrouten hinausgehen. Das Konzept der Fahrradstraße müsste die Regellösung im nachgeordneten Straßennetz darstellen, an Kreuzungen mit dem Hauptstraßennetz müssten Aufstellflächen geschaffen werden und es müssten Parkplätze im Straßenraum zugunsten von Radverkehrsanlagen aufgegeben werden. Diese Maßnahmen sind teuer und derzeit in vielen Städten wohl nicht mehrheitsfähig.

Tempo 30 in der Stadt

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten soll den Verkehr langsamer, leiser, sicherer und damit stadtverträglicher machen. Bild 3 zeigt die Wirkungen einer Maßnahme, bei der die zulässige Geschwindigkeit mit Ausnahme der Bundesstraßen auf allen Straßen in der Stadt Stuttgart innerhalb der Ortstafeln auf 30 km/h reduziert wird. Um Verlagerungen ins nachgeordnete Straßennetz zu vermeiden, wird die Geschwindigkeit hier auf 20 km/h gesetzt. Die Ergebnisse von Modellrechnungen ergeben einen Rückgang der Pkw-Fahrleistung in der gesamten Region um rund 2% (nur Binnenverkehr) oder 0,5% (gesamter Verkehr). Im Stadtgebiet sinkt die Pkw-Fahrleistung mit rund 10% deutlich. Im Verkehrsnachfragemodell wirkt die Maßnahme aufgrund der höheren Pkw-Reisezeit bei der Verkehrsmittelwahl durch Verlagerungen auf den Umweltverbund. Außerdem gibt es bei der Routenwahl eine Verlagerung auf Außerortsstraßen. Die gesamten Personenkilometer, d.h. die mittlere Reiseweite gehen nur geringfügig zurück. Die Modellrechnungen basieren auf der Annahme, dass die Geschwindigkeiten von den Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Allerdings kann eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h den Kraftstoffverbrauch und die Schadstoffemissionen erhöhen, wie Messfahrten in Stuttgart gezeigt haben (LUBW [7]). Hier könnten Elektrofahrzeuge Vorteile haben, deren Verbrauch bei niedrigen Geschwindigkeiten nicht steigt.

5.2 Monetäre Maßnahmen

Über Preise kann man viele verkehrsrelevante Entscheidungen der Menschen beeinflussen. Die Bandbreite der Beeinflussung reicht von langfristigen Standortentscheidungen (generelle Verteuerung des Verkehrs), über mittelfristige Entscheidungen der Verkehrsmittelwahl (Verlagerung auf den ÖV und Kauf einer Monatskarte bei höheren Kosten im Pkw-Verkehr) oder der Tourenplanung (Vermeidung teurer Leerfahrten im Lkw-Verkehr) bis hin zu kurzfristigen Entscheidungen der Abfahrtszeitwahl. Über die Beeinflussung des Mobilitätsverhaltens können verkehrliche Ziele (bessere Nutzung der Kapazitäten, Reduzierung von Stausituationen), umweltbezogene Ziele (Reduzierung der Emissionen) und stadtplanerische Ziele (bessere Aufenthaltsqualität) erreicht werden. In Bild 3 sind die Wirkungen von folgenden vier monetären Maßnahmen auf die Personenkilometer beispielhaft dargestellt:

Parkraummanagement

Die Bewirtschaftung des bestehenden Parkraumangebots im öffentlichen Straßenraum ist auf der Grundlage der Straßenverkehrsordnung prinzipiell durch eine Begrenzung der Parkdauer, durch Erhebung von Gebühren und durch die Bevorzugung von Nutzergruppen (Bewohnerparken) möglich. Die Modellrechnungen zeigen, dass übliche Parkgebühren für das Parken im Straßenraum außerhalb des Stadtzentrums (0,5 bis 1,0 €/h) nur geringe Wirkungen auf die Pkw-Fahrleistung haben. Die Wirkungen eines großräumigen, innerstädtischen Parkraummanagements mit Lizenzen für Bewohnerparken werden selbst im Bereich der Maßnahme nur eingeschränkt messbar sein. Die Modellrechnungen für Stuttgart zeigen im Stadtgebiet einen Rückgang der Pkw-Fahrleistung von etwa 2% und im Innenstadtbereich von 4%. Im Verkehrsnachfragemodell wurden diese Wirkungen durch eine Erhöhung der Preise für den Zielverkehr und durch eine Reduzierung der Parksuchzeiten für die Bewohner erreicht. Dass eine bessere Stellplatzverfügbarkeit auch bei den Besuchern Pkw-Verkehr generieren kann, wird im Modell nicht berücksichtigt. Untersuchungen, die die Wirkungen eines Parkraummanagements auf die Verkehrsstärke in einer Vorher-Nachher-Untersuchung quantifizieren, sind den Autoren nicht bekannt. Nachweisbar ist ein Rückgang der Falschparker, was aber vor allem den Kontrollen geschuldet ist.

Pkw-Citmaut und Pkw-Regiomaut

Bei einer Citymaut wird die Einfahrt in die Innenstadt bepreist, bei einer Regiomaut werden auf allen Straßen einer Region Straßenbenutzungsgebühren erhoben. Die in Bild 3 dargestellten Wirkungen basieren auf einer Citymaut von 4 € pro Einfahrt in die Innenstadt, wobei für Einwohner keine Ermäßigungen angenommen sind. Bei der Regiomaut fallen für alle Straßen in der Region Stuttgart mit Ausnahme der Autobahn kilometerabhängige Mautgebühren von 0,1 €/km an.

Da die Citymaut nur einen kleinen Teil der Pkw-Nachfrage betrifft, sind die Wirkungen in der Region relativ klein. Die Pkw-Kilometer werden um etwa 3% sinken. Im Stadtgebiet wird die Pkw-Fahrleistung mit etwa 15% deutlicher sinken, im Innenstadtbereich sind hohe Rückgänge bis 50% möglich. Die Rückgänge im Innenstadtbereich liegen höher als in London, da die Maßnahme anders als in London vorsieht, dass auch die Innenstadtbewohner die Maut bezahlen müssen.

Die Regiomaut wirkt im Gegensatz zur Citymaut in der gesamten Region. Die relativ hohen Gebühren (0,1€/km entspricht etwa einer Kraftstoffpreiserhöhung von 70%) werden im PkwBinnenverkehr Rückgänge von 25% und im gesamten Pkw-Verkehr von 20% bewirken. Die Rückgänge ergeben sich aus zwei Effekten: Verlagerungen auf den Umweltverbund und Rückgang der mittleren Reiseweite im Pkw-Verkehr von 9,0 auf 7,5 Kilometer pro Weg. Dabei überwiegen die Rückgänge der Reiseweite (veränderte Zielwahl), die bei der Citymaut sehr gering ausfallen.

Preisreduzierung im ÖV

Um eine Verlagerung vom Pkw auf den ÖV zu erreichen, kann man die Preise im ÖV reduzieren. Die Modellrechnungen für die Region Stuttgart zeigen für die Maßnahme ÖV-Halbpreis, dass Preisreduzierungen von 50% neben dem erwünschten Verlagerungseffekt vom Pkw (-3% Pkw-Fahrleistung im Binnenverkehr der Region) auf den ÖV weitere, weniger erwünschte Nachfrageeffekte haben. Es gibt Verlagerungen von den nicht motorisierten Verkehrsmitteln auf den ÖV und die gesamte Verkehrsleistung steigt, da Mobilität in der Summe billiger wird. Den relativ geringen Rückgängen im Pkw-Verkehr stehen hohe Zuwächse im ÖV (30% Personenkilometer im Binnenverkehr der Region) gegenüber. Diese Zuwächse würden einen Ausbau des ÖV-Angebots bei gleichzeitigen Einnahmerückgängen erfordern.

5.3 Mobilitätsangebote

Shared Mobility

Beim Carsharing teilen sich mehrere Personen ein Fahrzeug. Das klassische stationsgebundene Carsharing (Stadtmobil & Co) beeinflusst das Mobilitätsverhalten der Nutzer dann, wenn diese Nutzer auf einen eigenen Pkw verzichten. Personengruppen ohne ständige PkwVerfügbarkeit fahren deutlich weniger mit dem Pkw. Die Wirkungen eines nicht stationsgebundenen Carsharing (Car2Go, DriveNow, Flinkster, …) sind noch nicht bekannt. Hier ist neben erwünschten Wirkungen auch eine unerwünschte Verlagerung vom ÖV auf den Pkw vorstellbar. Auch beim Ridesharing (z.B. www.flinc.org, www.mitfahrgelegenheit.de) kann es solche Verlagerungen geben. Sie führen aber nicht zu mehr Pkw-Fahrten, sondern zu einem höheren Besetzungsgrad.

In Ahrens et al. [1] wird das Potenzial von Carsharing in einem Szenario „Autonutzung statt Autobesitz“ abgeschätzt. Dazu wird die folgende Wirkungsannahme getroffen:

„Personen an Wohnstandorten mit einer Mindestdichte von 150 EW/km² verzichten bei Vorhandensein einer ÖV-Haltestelle im Umkreis von 500 m und eines Versorgungsstandortes (Lebensmittelmarkt mit mind. 400 m² Verkaufsfläche) im Umkreis von maximal 800 m auf ihren eigenen Pkw und verhalten sich so wie Personen ohne Zugang zu einem eigenen Pkw“ (Ahrens et al. [1], Seite 69).

Für dieses Szenario geben Ahrens et al. eine Reduktion der Pkw-Fahrleistung von 19% für das gesamte Bundesgebiet an. Einen anderen Weg zur Abschätzung der Potenziale neuer Carsharing-Systeme gehen Magg et al [8]. Sie nutzen real beobachtete Wegeketten von Pkw-Nutzern einer Haushaltsstichprobe über den Zeitraum einer Woche. Für diese Stichprobe wird ein Grenzfall betrachtet, bei dem alle Pkw-Fahrten durch Fahrten mit CarsharingFahrzeugen ersetzt werden. Damit ergibt sich eine Optimierungsaufgabe, die sich auf die Umlaufplanung im öffentlichen Verkehr zurückführen lässt. Diese Annahme unterstellt, dass es keine Reduktion bei den Fahrzeugkilometern gibt, es kann jedoch die Zahl der Fahrzeuge und in der Folge auch die Zahl der Stellplätze reduziert werden. Nach Magg et. al. lassen sich bis zur Hälfte der Fahrzeuge einsparen. Höhere Einsparungen sind nicht möglich, da die Nachfrage tageszeitabhängige Lastrichtungen aufweist.

Vernetzte Mobilität

Unter dem Begriff vernetzte Mobilität kann man den Mobilitätsverbund von mehreren Mobilitätsdienstleistungen (öffentlicher Verkehr, Carsharing, Fahrradverleihsysteme, Mitfahrgelegenheiten) verstehen, die über ein gemeinsames Informationsund Bezahlsystem verknüpft sind. Canzler [3] beschreibt die vernetzte Mobilität für eine Stadt folgendermaßen: „Öffentliche Elektroautos stehen wie Busse und Bahnen praktisch jedem zur Verfügung, vorausgesetzt er oder sie hat sich unter Nachweis einer allgemeinen Fahrerlaubnis einmal angemeldet. Die Fahrzeuge stehen auf frei zugänglichen Parkplätzen überall an den Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs bereit. Carsharing-Technologie erlaubt einen einfachen Zugang mit Handy oder Karte, die Autos können ohne Vorbuchung direkt genutzt und an jedem anderen freien Parkplatz wieder abgestellt werden.“ Dieser Ansatz orientiert sich wie der Ansatz der Intermodalität an der Zielvorstellung, dass für jede Etappe eines Weges das geeignete Verkehrsmittel gewählt werden sollte. Auch wenn der Pkw für den gesamten Weg Vorteile gegenüber dem ÖV besitzt, kann ein Verkehrsmittelwechsel auf einer Wegetappe die Reiseweite im Pkw reduzieren. Dazu müssen folgende Bedingungen eingehalten werden:

·      Die Zeitverluste beim Verkehrsmittelwechsel müssen niedrig und die Zuverlässigkeit des Anschlusses (Pünktlichkeit, Verfügbarkeit des Sharing Angebots) hoch sein.

·      Der intermodale Weg muss attraktiver sein als der unimodale Weg mit dem Pkw.

·      Die Verkehrsmittelwechsel müssen für die gesamte Wegekette attraktiver sein als die reine Pkw-Nutzung.

Um die Wirkungen einer vernetzten Mobilität mit dem Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart zu quantifizieren, wurde angenommen, dass jede Verkehrszelle durch ein geeig-netes Zubringerverkehrsmittel an die nächste Haltestelle des Schienenverkehrs angebunden ist. Die Zugangszeit entspricht dabei nahezu der Fahrzeit mit einem Pkw. Die resultierenden Wirkungen (siehe Bild 3 und Bild 4) ähneln im ÖV den Wirkungen der Maßnahme ÖV-Halbpreis, d.h. es gibt hohe Zuwächse bei den Personenkilometern. Die sehr gute Verknüpfung des schnellen Zubringerverkehrsmittels mit dem schnellen Schienenpersonenverkehr verbessert die Angebotsqualität so deutlich, dass die Reiseweite aller Wege um knapp 10% steigt. Die Pkw-Fahrleistung sinkt allerdings nur um etwa 3%. Das liegt an der Annahme, dass der Zubringerverkehr mit Sharing-Fahrzeugen erfolgt.

Tabelle 1: Qualitative Wirksamkeit von Maßnahmen basierend auf Vermutungen der Autoren

Bild 3: Quantifizierung der Wirkungen von Maßnahmen in der Region Stuttgart basierend auf einem Verkehrsnachfragemodell – relative Änderungen der Personenkilometer

6 Fazit

Die Gestalt einer Stadt und ihrer Verkehrsnetze ändert sich ähnlich wie der Gebäudebestand nur langsam. Das Verkehrsnetz ist damit immer ein Zeugnis von Entscheidungen, die in der Vergangenheit gefällt wurden. Maßnahmen der Verkehrsnetzgestaltung müssen deshalb sorgfältig im Hinblick auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen untersucht werden, da sie den Verkehr in einer Stadt über einen langen Zeitraum beeinflussen. Auch bei monetären und ordnungspolitischen Maßnahmen sowie bei neuen Mobilitätskonzepten ist eine möglichst genaue Wirkungsermittlung wichtig, um den Beitrag zu verkehrspolitischen Zielen abschätzen zu können. Die in Bild 3 dargestellten Wirkungen verdeutlichen, dass viele Maßnahmen nicht nach dem einfachen Schema „verbessere Verkehrsmittel a, um die Verkehrsleistung mit Verkehrsmittel b zu reduzieren“ funktionieren. Es gibt räumliche und modale Verlagerungswirkungen, da eine Maßnahme die Zielwahl, die Verkehrsmittelwahl und die Routenwahl beeinflussen kann. Dazu kommen hier nicht diskutierte zeitliche Verlagerungen.

Die oben dargestellten Überlegungen und Wirkungsabschätzungen zeigen, dass ein Rückgang der Pkw-Fahrleistung am besten durch großräumige monetäre Maßnahmen erzielt werden kann. Im Stadtgebiet kann eine umfassende Neuorientierung bei der Netzgestaltung, verbunden mit einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h und einem Ausbau des ÖV, messbare Veränderungen bewirken. Maßnahmen des Parkraummanagements haben eher kleine Wirkungen auf die Verkehrsnachfrage. Bei Sharing-Konzepten ist die Wirksamkeit noch schwer abzuschätzen. Da sie eigenwirtschaftlich betrieben werden, können sie nur dort kostendeckend eingesetzt werden, wo die Nachfragestruktur eine mehrfache Nutzung der Fahrzeuge im Tagesverlauf ermöglicht. Das wird in den Bereichen, in denen die Fahrzeuge entsprechend dem Leitbild „vernetzte Mobilität“ Zubringerfunktion zum Schienenpersonenverkehr übernehmen könnten aufgrund der ausgeprägten Lastrichtungen, schwer zu erreichen sein. Dieses Problem lässt sich erst dann lösen, wenn Sharing-Fahrzeuge autonom umgesetzt werden können. Das erzeugt dann aber unerwünschte Leerfahrten.

Wenn die oben dargelegten Wirkungen stimmen, hat die städtische Verkehrspolitik die undankbare Aufgabe, Maßnahmen vorzuschlagen, die nur begrenzt auf Zustimmung stoßen werden. Wirksame Verkehrsund Mobilitätskonzepte vom Typ „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ gibt es nicht. Das ist keine neue Erkenntnis. Aber gerade weil verkehrliche Maßnahmen so schwer umzusetzen sind und es gleichzeitig Handlungsdruck gibt, ist der Wunsch nach Lösungen groß, die eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung haben. Die Kombination von Handlungsdruck, Umsetzungshemmnissen, Akzeptanzproblemen und unvollständigem Wissen über Wirkungszusammenhänge können in der städtischen Verkehrspolitik leicht zu „Wishful Thinking“ führen. Dabei werden Maßnahmen, die als erwünscht beurteilt werden, in ihrer Wirkung überschätzt. Aber auch die Fokussierung auf eine einzige Lösung, deren Erfolg von vielen Unbekannten geprägt ist, kann ein Hinweis auf „Wishful Thinking“ sein. In diese Kategorie fällt die Maßnahme „Ersatz von Fahrzeugen mit konventionellem Antrieb durch Elektrofahrzeuge“. Diese Maßnahme hat in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz, da sie verspricht bewährte, motorisierte Verkehrsmittel beizubehalten und gleichzeitig lokale Lärmund Schadstoffemissionen deutlich zu reduzieren. In der Bewertung der Maßnahme wird jedoch häufig ausgeblendet, dass der Erfolg der Maßnahme maßgeblich von der Art der Energieerzeugung abhängt. Und mögliche Nebenwirkungen wie neue Umweltbelastungen, die mit der Batterietechnik verbunden sind, werden ignoriert oder sind noch nicht bekannt.

Um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, aber auch um erwünschte Wirkungen einer Maßnahme nicht zu überschätzen, muss die sorgfältige Wirkungsermittlung und die Darstellung der Wirkungszusammenhänge auch in Zukunft eine wesentliche Aufgabe der Verkehrsplanung bleiben, die sich nicht zum Diener politischer Wunschvorstellungen machen darf.

7 Literatur

[1]    Ahrens, A., Becker, U., Böhmer T., Richter, F., Wittwer, R. (2013): Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz, Texte 19/2013, Umweltbundesamt.

[2]    Axhausen, K.W., Sammer, G. (2001): Stated Responses: Überblick, Grenzen, Möglichkeiten, Internationales Verkehrswesen, 53 (6), 274-278.

[3]    Canzler, W. (2011): Vernetzte Mobilität für die Stadt von morgen, in Yellow Paper Stadt der Zukunft, EurActiv.de , verfügbar im Internet (Stand 12.01.2014): http://www.euractiv.de/fileadmin/images/EurActiv_YellowPaper_Stadt_der_Zukunft_2011.pdf

[4]    FGSV (2001): Leitfaden für Verkehrsplanungen, Forschungsgesellschaft für Straßenund Verkehrswesen, Köln.

[5]    FGSV    (2012):    Hinweise    zur    Evaluation    von    verkehrsbezogenen    Maßnahmen. Forschungsgesellschaft für Straßenund Verkehrswesen, FGSV-Nr. 157, Köln.

[6]    Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (Infas); Deutsches Zentrum für Luftund Raumfahrt e.V: Mobilität in Deutschland 2008, www.mobilitaet-in-deutschland.de, 2008.

[7]    LUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (2011), Vermessung des Abgasemissionsverhaltens von zwei Pkw und einem Fahrzeug der Transporterklasse im realen Straßenbetrieb in Stuttgart mittels PEMS-Technologie, Untersuchungsbericht, verfügbar im Internet (Stand 12.01.2014) http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/23231/bericht-tuev-nord-lubw-pems-2011.pdf?command=downloadContent&filename=bericht-tuev-nord-lubw-pems-2011.pdf

[8]    Magg, C., Roth, C., Oppolzer, L. (2014): Shared Mobility – Potenziale und Grenzen neuer Carsharing-Systeme, in Heureka 2014 Heureka’14 – Optimierung in Transport und Verkehr, Tagungsbericht, FGSV Verlag.

[9]    Otterstätter T., Friedrich, M., (2011): Ermittlung des erforderlichen Stichprobenumfangs für Fahrzeitmessungen im Straßenverkehr, Straßenverkehrstechnik Heft 11, S. 701-709, Kirschbaum Verlag, Bonn.

[10]  Rabenstein, B., Friedrich, M., Wehmeier, T. (2014): Methoden zur Wirkungsermittlung und Potenzialanalyse von öffentlichen Fahrradverleihsystemen, in Heureka 2014 Heureka’14 – Optimierung in Transport und Verkehr, Tagungsbericht, FGSV Verlag.

[11]  UK Department of Transport, Highway Agency: The Design Manual for Roads & Bridges (DMRB), Volume 12, London 1996 (http://www.standardsforhighways.co.uk/dmrb/).